Grenzgewalt innerhalb der EU

21.07.20
Grenzbeamt*innen auf der Balkanroute zerschneiden Hände, erniedrigen Menschen, schieben ab
Das Border Violence Monitoring Network (BVMN) veröffentlichte im Juni 20 Fälle von illegalen Push-backs und dokumentierte die Erfahrungen von 351 Menschen, deren Rechte an der EU-Aussengrenze verletzt wurden. Menschen vor Ort registrierten eine Vielzahl von grausamen und missbräuchlichen Handlungen von Offizier*innen aus mindestens zehn verschiedenen nationalen Behörden. Einige der beschriebenen Entwicklungen der europäischen Grenzpolitik auf der Balkanroute:

  • Kroatien: In der Grenzregion verletzten Polizist*innen bei Push-backs Geflüchtete mit Messerschnitten in die Hände. Dies geschieht zur Abschreckung gezielt vor den Augen anderer Geflüchteter und auch die bleibenden Narben sollen in die Camps getragen werden. Des weiteren gab es mehrere Fälle von Schlägen mit Gewehrkolben auf die Köpfe von Geflüchteten. Anschliessend wurden die blutenden Wunden mit Lebensmitteln wie Ketchup verschmiert –  ein grausames Verhöhnen der Menschen. Im Landesinneren starben erneut Menschen, vermutlich sechs, bei dem Versuch, die Flüsse Mrežnice und Korona zu überqueren. Ihre genaue Zahl ist schwer zu ermitteln, da die toten Körper häufig im Fluss verschwinden. Die beiden Flüsse verlaufen mitten durch das Land und zeigen beispielhaft, dass entlang der Fluchtrouten nicht nur die Grenzregionen gefährlich sind. Auch im Landesinneren kommt es zu Racial Profiling, Festnahmen und Pushbacks ohne jegliche behördliche Notiz. Eine Untersuchung zur Verwendung von EU-Geldern wirft Fragen zur Rolle der EU in diesem Gewaltszenario auf. 2018 bekam Kroatien von der EU 6,8 Millionen € zur Grenzsicherung zugesprochen. Ein Monitoring sollte eingerichtet werden um sicherzustellen, dass alle Tätigkeiten der Grenzbehörden „verhältnismässig“ sind und den Grundrechten sowie den europäischen Asylgesetzen entsprechen. Dieses wurde jedoch nie eingerichtet. Von den 300.000 € (von den 6,8 Millionen), die für Überwachungsstrukturen budgetiert waren, wurden insgesamt 84.672 € an die kroatische Polizei vergeben. Der Rest wurde für andere Zwecke umgenutzt oder überhaupt nicht ausgegeben. Die EU finanziert dadurch direkt eine Polizeibehörde, die in illegale Pushback-Praktiken verwickelt ist.
  • Rumänien: Auch hier kommt es zu physischer und psychischer Gewalt durch Grenzbeamt*innen, insbesondere werden Menschen mit Kabeln und Schlagstöcken verletzt. Die Grenzen werden gewaltsam gesichert, um das Stellen von Asylanträgen im Land zu verhindern.
  • Griechenland: Nach der neuen Akkreditierungspflicht sind neben den NGOs in den Camps auch viele Gruppen von einer Kriminalisierung betroffen, die solidarische Hilfe auf der Strasse leisten, z.B. durch Versorgung mit Lebensmitteln oder medizinische Dienste. In diesem Umfeld wurden Geflüchtete mit dem Versprechen einer Legalisierung von den Behörden mitgenommen und fanden sich wenige Stunden später nach einer Sammelabschiebung in der Türkei wieder.
  • Italien: Zu Täuschungen kommt es auch in Italien, wo die Behörden Geflüchteten Fingerabdrücke abnehmen und suggerieren, sie könnten nun einen Asylantrag stellen, nur um sie anschliessend nach Slovenien und in sogenannten Ketten-Push-Backs über mindestens zwei weitere Grenzen abzuschieben. In einer öffentlichen Rede vor dem Schengen-Ausschuss erklärte Innenminister Lamorgese, dass vom 1. Januar bis 25. Juni 2020, 343 Personen, deren Fingerabdrücke in das EURODAC-System eingelesen wurden, nach Slowenien gedrängt wurden.
  • Serbien: Nachdem es fast unmöglich geworden ist, in Ungarn einen Asylantrag zu stellen, gehen immer mehr Menschen nach Serbien, das bisher für viele lediglich ein Transitland war. Aktuell leben allein in den offiziellen Camps 6.000 Menschen. Nun zeigt sich, dass es auch dort extrem schwierig ist, einen Asylantrag zu stellen: Das Vorgehen ist unklar. Die Fristen kurz, alle Unterlagen müssen auf serbisch ausgefüllt werden und es gibt einen Mangel an Rechtsberatung. Nur 3% der Geflüchteten sind als Asylsuchende registriert. Weiterhin wurde das „Ausländergesetz“ geändert, um Abschiebungen zu erleichtern, und Rücknahmeabkommen mit  dem Irak, Afghanistan und Pakistan initiiert.

Im  Bericht werden die Daten und Erzählungen von Menschen auf der Flucht wiedergegeben. Sie machen das Ausmass der Grenzgewalt sichtbar –  die immer drohende körperliche und psychische Gewalt, Erniedrigungen, falsche Versprechungen, Push-backs. Jeder Fall eine individuelle Geschichte eines Menschen, dem im weiss dominierten Europa jeglicher Wert abgesprochen wird.https://www.borderviolence.eu/balkan-region-report-june-2020/

21.07.20
Im Kühllastwagen an der Grenze gestoppt

An der Grenze zu Tschechien stoppten deutsche Grenzbehörden einen Kühllastwagen. 31 (geflüchtete) Migrant*innen versuchten so nach Deutschland zu gelangen. Sie wurden eingepfercht zwischen Kisten mit Melonen und der Decke des Anhängers gefunden. Fahrten in Kühllastwagen können tödlich enden. 2015 starben 71 Personen in einem Lastwagen auf dem Weg von Ungarn Richtung Westeuropa und letztes Jahr wurden in Grossbritannien 39 Personen tot in einem Lastwagen aufgefunden. Und trotzdem: Mangels sicherer Fluchtrouten und legaler Einwanderungsmöglichkeiten entschliessen sich immer wieder Menschen, dieses Risiko einzugehen.
https://www.infomigrants.net/en/post/26043/german-police-find-31-migrants-hidden-inside-refrigerated-truck

21.07.20
In Calais und Ventimiglia werden die noch immer gleichen Methoden angewandt
Am frühen Morgen vom 10. Juli haben in Calais Räumungen stattgefunden. Zwei Camps wurden zerstört und etwa 500 Bewohner*innen wurden in 16 Bussen in Asylzentren ausserhalb der Grenzregion gebracht.  Auch kam es zu Protesten und die mit einem Grossaufgebot erschienene Polizei nahm mehrere Personen fest. Die Campauflösung wurde vor der Presse abgeriegelt und die Ereignisse konnten nur sehr begrenzt dokumentiert werden. Die Care4Calais Charity spricht von der grössten Räumung seit 2016, als der berühmte Jungle of Calais mit seinen 10.000 Bewohner*innen aufgelöst wurde:
„Es wurde behauptet, dass der Abriss des grossen Dschungels von Calais im Oktober 2016 die Menschen davon abhalten würde nach Calais zu kommen um den Ärmelkanal zu überqueren, aber das tat er nicht. […] Die einzige Wirkung der Vertreibungen besteht darin, die Verzweiflung der in den Lagern lebenden Menschen so zu verstärken, dass sie noch dringender Frankreich verlassen und den Ärmelkanal überqueren wollen. […] Die einzige wirkliche Lösung wäre eine sichere und legale Möglichkeit Recht auf Asyl zu beanspruchen, ohne ein Leben beim Überqueren des Kanals zu riskieren und im Elend in Calais zu leben. Eine Situation, die sowohl Frankreich als auch das Vereinigte Königreich beschämt.“

Aber auch an der französischen Grenze zu Italien werden die immer gleichen Methoden gegen die Bewegungsfreiheit angewandt: der Verein Caritas Intemelia in Ventimiglia schreibt, dass die französischen Behörden täglich hundert Personen an der Grenze abweisen. Als Konsequenz blieben dieses Jahr schon über 700 Personen in Ventimiglia stecken.
https://calais.bordermonitoring.eu/2020/07/10/groesste-raeumung-seit-2016/

https://calais.bordermonitoring.eu/2020/07/11/raeumungen-gehen-weiter/#more-722

https://www.infomigrants.net/en/post/26062/caritas-ventimiglia-says-france-is-pushing-back-100-migrants-per-day

13.07.20
Erschossen an der bosnisch-kroatischen Grenze
Im Grenzgebiet zwischen Bosnien-Herzegowina und Kroatien wurde eine Person beim Versuch, die Grenze zu überqueren, erschossen. Der Mann soll aus einem Jagdgewehr in den Rücken getroffen worden sein und erlag seinen Verletzungen. Der mutmassliche Täter stellte sich später der Polizei. Er gab an, in den Wäldern gewildert zu haben und dass es sich bei dem tödlichen Schuss um einen Unfall gehandelt habe. Die Umstände, unter denen dieser Mann starb, können hingegen nicht als Unfall bezeichnet werden. Warum sind Menschen in diesen Wäldern, in unwegsamem Gelände, zu jeder Jahreszeit? Aktuell bis zu 7.000 wählen diese gefährliche und oftmals tödliche Fluchtroute, weil es keinen legalen und sicheren Weg gibt, in Europa Asyl zu beantragen. Stattdessen gibt es seit Jahren geschlossene Grenzen,  Milliardeninvestitionen in die Kontrolle dieser und Gewalt gegen Menschen auf der Flucht. Die kroatische Grenze ist in diesem Gebiet eine grüne Grenze. Es gibt keinen meterhohen Zaun mit Stacheldraht. Dennoch ist das Gebiet bestens überwacht, mehrfach technisch aufgerüstet und zuletzt auf einem kilometerlangen Streifen für eine bessere Sichtbarkeit der Menschen auf der Flucht entwaldet worden. Gewaltsame Push-backs sind an der Tagesordnung. Das Border Violence Monitoring Network, das auf der Balkanroute  ein Monitoring betreibt, spricht von sechs Toten Menschen allein im Juni und jährlich zehntausenden Push-backs auf der Balkanroute.
https://deutsch.rt.com/europa/104139-bosnien-herzegowina-wilderer-erschiesst-migranten/
https://kroatien-nachrichten.de/fluchtling-auf-dem-weg-nach-kroatien-erschossen/
https://thefirethisti.me/2020/07/06/35-the-european-unions-violence-against-asylum-seekers/

29.06.20
«Operation Sillath» gegen Flucht über den Ärmelkanal
Unter dem Namen «Operation Sillath» will England Migrant*innen im Ärmelkanal abfangen und nach Frankreich zurückführen. Diese Abschottungsmission wird vom britischen «Home Office» (Innenministerium) nach Dublin-Konvention legitimiert. Als Begründung für die «Operation Sillath» gilt wohl die steigende Zahl in England ankommender Migrant*innen, welche in Frankreich in Booten und Kanus starten. 681 Personen erreichten laut britischen Medien im Mai von Nordfrankreich aus die englische Südostküste. Am 8. Mai waren es 145 – so viele wie noch nie an einem einzigen Tag. 1.336 sind es seit Beginn des Lockdowns und 1.715 im gesamten Jahr 2020. Im Vergleich dazu: 1.892 Personen sind im Gesamtjahr 2019 von Nordfrankreich nach England über den Ärmelkanal gefahren. Die Anwaltskanzlei Duncan Lewis arbeitet derzeit an einem Anfechtungsverfahren gegen die Operation und die Rückführungsmassnahmen. Denn obwohl ihre Fingerabdrücke oft nicht in der europaweiten Datenbank Eurodac gefunden wurden und es keine eindeutigen Beweise dafür gibt, dass sie sich längere Zeit in Frankreich aufgehalten oder dort Asyl beantragt haben, werden Migrant*innen zurück nach Frankreich gebracht.
https://ffm-online.org/channel-crossings-kleine-boote-grosse-bedrohung/?fbclid=IwAR1KIP8MUIugo6MUNfXjm32pAxqVzAh0uXNIBkuxj2FeIUHqqAAIuA_fpQU
https://www.theguardian.com/world/2020/may/21/home-office-deporting-migrants-who-cross-channel-in-small-boats

22.06.20
Kroatische Polizist*innen markieren Geflüchtete bei Push-backs mit Farbe
Bei illegalen Push-backs von Kroatien nach Bosnien wurden mehrere Gruppen von Menschen auf der Flucht von Grenzbeamt*innen mit Farbspray markiert. Ein Betroffener berichtet, dass ihm zusammen mit weiteren Personen das Stellen eines Asylantrags auf der kroatischen Polizeiwache verweigert wurde. Anschliessend wurden sie an die Grenze gefahren und von alkoholisierten Polizeibeamt*innen beraubt, geschlagen, gezwungen ihre Kleider und Schuhe auszuziehen und mit einem orangenen Kreuz auf dem Kopf besprayt. Die sichtbare Markierung von Menschen kennen wir von faschistischen Regimes, die auf diese Weise Menschen kennzeichnen, die sie als „Untermenschen“ sehen.
Der aktuelle Border-Violence Report zeigt auf, dass über 80% der dokumentierten Push-backs in den letzten zwölf Monaten „Folter oder grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung“ umfassten. Die Farbmarkierungen ergänzen eine Reihe etablierter Gewaltmethoden: Gebrauch von Elektroimpulswaffen, Zwang zum Ausziehen, Bedrohung und Gewalt mit Schusswaffen, inhumane Behandlung in Polizeifahrzeugen und Gefangenschaft. Die Grenzbeamt*innen bringen ungehindert und ungeniert ihre Verachtung gegenüber diesen Menschen zum Ausdruck. Lachend wenden sie körperliche und psychische Gewalt an und bringen so ihre rassistische Haltung und ihre Islamfeindlichkeit zum Ausdruck. Diese Taten werden durch strukturellen Rassismus, ein gut entwickeltes System der Anonymität für die Täter*innen und einen Staat ermöglicht, der die Anwendung von Gewalt als Methode des Grenzschutzes toleriert und fördert.

Der Report „Illegal Push-backs and Border Violence Report, Balkan Region April/ Mai 20“ zeigt ausserdem folgende Vorfälle und Entwicklungen auf:

  • Nachdem der Weg über Albanien von Geflüchteten als eine Alternative zur West-Balkan-Route  erschlossen wurde, setzte Frontex im Mai 2019 erstmals Beamt*innen in einem Nicht-EU-Staat ein. Seither kam es zu 11’344 Festnahmen  von Geflüchteten an der albanischen Grenze, gefolgt von gewaltsamen und illegalen Push-backs nach Griechenland.
  • Mindestens 49 Menschen wurden in „Ketten“-Push-backs über mindestens drei Grenzen aus Serbien  nach Griechenland ausgeschafft. Diese spezielle Form der Push-backs hat sich etabliert und kann nun zu den Methoden des europäischen „Migrationsmanagements“ gezählt werden. Das erste Glied dieser Kette ist nicht selten Italien, welches Aussschaffungen nach Serbien durchführt.
  • Die griechischen Behörden erhöhen erneut die Zahl der Einsatzkräfte in der Region des Grenzflusses Evros. 14 Einheiten der Bereitschaftspolizei wurden bereits entsandt. 125 weitere Polizeibeamt*innen sollen folgen. Im April und Mai wurden über 600 illegale Push-backs in die Türkei dokumentiert – mit Sicherheit nur ein Bruchteil der tatsächlich durchgeführten gewaltsamen Rückführungen. Dabei nehmen auch Rückführungen grösserer Gruppen aus dem Landesinneren zu, zum Beispiel aus Thessaloniki und Igoumenitsa. In den Städten kommt es zu gezielten Polizeirazzien, um obdachlose Geflüchtete aufzugreifen und bereits registrierte Personen auszuschaffen. Dabei geben Polizeibeamt*innen vor, den Menschen zu einem Aufenthaltsstatus zu verhelfen, schieben sie jedoch ab.
  • Forstarbeiter*innen haben einen 8 km langen Abschnitt der kroatisch-bosnischen Grenze entwaldet. Auf dieser Sichtbarkeitslinie sollen manuelle und technologisch unterstützte Überwachungsoperationen ansetzen können.
  • Im EU-finanzierten Lager Miral in Bosnien wurden weitere schwere Körperverletzungen dokumentiert. Videos zeigen beispielsweise, wie Beamt*innen der bosnischen Polizei und des Sicherheitsdienstes beliebige Container betreten und die Menschen darin schlagen. Auch strukturelle Gewalt gehört zum Alltag in den bosnischen Camps. Dazu zählen die nur begrenzte Versorgung mit Lebensmitteln, die eingeschränkte Gesundheitsversorgung, die Unterbringung in überfüllten Wohncontainern und die unverhältnismässige Kontrolle der Sperrstunden.
  • Ebenfalls in Bosnien einigten sich die zuständigen Behörden darauf, eine Lösung für die Schliessung der temporären Lager in Bihać und Velika Kladusa zu finden. Es soll ein neues Lager ausserhalb der Städte errichtet werden, in das die Menschen aus informellen Unterkünften zwangsumgesiedelt werden. Gleichzeitig müssen Privatpersonen vor Ort und Hilfsorganisationen, die ohne Genehmigung der UNO arbeiten, mit Repression rechnen, wenn sie weiterhin Geflüchtete ausserhalb der offiziellen Strukturen unterbringen oder unterstützen. Die neuen Beschränkungen in der Unterbringung und fehlende Solidaritätsarbeit werden wahrscheinlich dazu führen, dass Menschen vermehrt und wiederkehrend Gewalt ausgesetzt sind.
  • Anfang Mai kam es zu einem Angriff auf Menschen in einem serbischen Lager, indem ein Rechtsextremist der Gruppe Leviathan mit hoher Geschwindigkeit und gezielt in das Lager fuhr. Ein Video zeigt seine gewalttätigen, rassistischen und islamfeindlichen Äusserungen, die keinen Zweifel an seiner Motivation lassen, Menschen zu verletzen oder zu töten. Die Leviathan-Bewegung fällt seit Monaten mit rassistischen Provokationen und Attacken  auf. Sie bedrohen Geflüchtete in den Städten und patrouillieren an der Grenze zu Rumänien.
  • Im Mai wurde serbisches Militär im westlichen Grenzgebiet zu Kroatien rund um die Lager Adaševci, Šid und Principovac stationiert. Die Bewachung von Camps gehört klar nicht zu den Aufgaben der Armee. Das Innenministerium argumentiert, die Massnahme sei zur Gewährleistung der Sicherheit der Bevölkerung notwendig. Damit zeichnet sie erneut das rassistische Bild gefährlicher Migrant*innen. Dabei geht die Sicherheitsbedrohung in der Region ganz klar von rechtsextremistischen Gruppen und der Polizei aus, wie Berichte gut dokumentieren. Gut zur staatlichen Argumentation passt die Beschaffung von 2,5 Tonnen Rasierdraht für den Bau von Lagerumzäunungen.
  • Anfang März versuchten tausende Menschen, die griechische Grenze zu überqueren, nachdem die türkische Regierung sie als geöffnet erklärt hatte. Zum sogenannten Grenzschutz schossen griechische Beamt*innen mit tödlicher Munition über die Grenze auf unbewaffnete Menschen auf der Flucht. Untersuchungen dazu belegen nun, dass dabei acht Menschen von Schüssen der griechischen Beamt*innen getroffen wurden, darunter Muhammad Gulzar tödlich.

https://www.borderviolence.eu/wp-content/uploads/Balkan-Region-Report-May-2020.pdf

08.06.20
Maskierte Überfälle auf Schlauchboote durch die griechische Küstenwache
Ein von Alarmphone veröffentlichtes Handy-Video zeigt eine Szene, gefilmt aus einem Schlauchboot mit Migrant*innen an Bord: Ein Schnellboot, besetzt mit schwarz maskierten Personen, befindet sich seitwärts dieses Schlauchbootes. Einer der Maskierten macht sich am Schlauchboot zu schaffen. Die Menschen im Boot berichten, die griechische Küstenwache erzeugte mit ihren Schnellbooten Wellen, um die manövrierunfähigen Migrant*innenboote in türkische Hoheitsgewässer zurück zu bewegen. Die türkische Küstenwache nutzte dieselbe Methode, um wiederum die Boote Richtung Griechenland zu treiben. Ein tödliches Ping-Pong Spiel, in welchem Menschen als Spielball in zwischenstaatlichen Konflikten her halten müssen. Mehr Infos und Videos zu den Push-Backs durch die griechische Küstenwache gibt es auf der Twitter-Seite des Alarm-Phones.
https://twitter.com/alarm_phone

27.04.20
Zwei Geflüchtete auf Lesbos angeschossen
Ein Bewohner der Insel Lesbos hat mit einer Jagdflinte zwei Geflüchtete angeschossen. Diese befanden sich auf einem Spaziergang ausserhalb des Camps Moria. Glücklicherweise wurden sie nicht schwer verletzt. Bei der verdächtigten Person wurden Waffe und Munition sichergestellt. Er wird wegen versuchten Totschlags angeklagt. Als Motiv gab er an, Geflüchtete hätten ihn angeblich in letzter Zeit bestohlen. Eine weitere Motivation könnte die Verletzung der Quarantäne gewesen sein. Die Geflüchteten dürfen wegen Corona das Asylcamp aktuell nicht verlassen, was aufgrund der Bedingungen im Lager unzumutbar ist. Dass Rassismus und Frustration zu direkter Gewalt führen, ist kein Einzelfall. Seit Monaten gibt es auf der Insel Gewalt gegen Geflüchtete, Journalist*innen und  solidarische Menschen.
https://www.spiegel.de/politik/ausland/lesbos-polizei-nimmt-55-jaehrigen-griechen-nach-schuessen-auf-asylbewerber-fest-a-3254bdde-fdb5-4e3b-a229-ac3a99140cef
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-04/griechenland-lesbos-moria-fluechtlinge-angeschossen
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1135837.moria-fluechtlinge-auf-lesbos-angeschossen.html
https://www.kleinezeitung.at/international/corona/5804356/Durchsetzung-der-Quarantaene-mit-Schusswaffen_Gruene-fordern

11. Mai 2019
Untragbare Zustände für Asylsuchende in Italien
Die Situation für Asylsuchende in Italien hat sich nach den Wahlen im Frühjahr 2018 und insbesondere seit Inkrafttreten des sogenannten Salvini-Dekrets im Oktober 2018 weiter verschlechtert (schau auch hier). Direkt nach der Wahl Salvinis wurden diverse Unterkünfte geschlossen und Stellen in der Verwaltung nicht mehr besetzt. Deswegen sind nun tausende Menschen obdachlos und illegalisiert. Sogar die Flüchtlingshilfe Schweiz, die nicht gerade für ihre radikalen Positionen bekannt ist, ist der Meinung, dass Dublin-Rückschaffungen nach Italien nicht zumutbar sind.
https://www.fluechtlingshilfe.ch/news/archiv/2019/untragbare-zustaende-fuer-asylsuchende-in-italien.html

22. April 2019
Gesetzesverschärfungen gegen Geflüchtete in Deutschland
Gleich mit zwei Gesetzesverschärfungen treiben die Herrschenden in Deutschland die Entrechtung von Geflüchteten voran. Zum einen erfolgt der Angriff durch das „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ zum anderen durch Verschärfungen im „Asylbewerberleistungsgesetz“. Neu vorgesehen sind, (1) dass Geflüchteten, die von einem anderen EU-Staat anerkannt sind, die Sozialleistungen in Deutschland nach zwei Wochen komplett gestrichen werden, obwohl sie in Staaten wie Italien, Griechenland oder Bulgarien unter miserablen Bedingungen leben müssten. (2) Allgemein kam es zu Kürzungen bei den Leistungen sowie Sparmassnahmen und (3) zu einem Ausbau der Repression, durch mehr Knast für abgewiesene Geflüchtete. Diese können eingesperrt werden, wenn ihnen die Behörden unterstellen, dass »Fluchtgefahr« vorliege. Dass es so einfach ist Menschen wegzusperren, widerspricht auch dem an sich bürgerlichen Grundsatz, dass jede Inhaftierung nur als letztes Mittel angewendet werden soll. Ebenfalls verschlechtert hat sich der rechtliche Rahmen für solidarische Personen. Sie könnten durch die Weitergabe von bestimmten Informationen im Rahmen einer Beratung der »Beihilfe zum Geheimnisverrat« bezichtigt werden. Was auffällt ist, dass ein grosser Teil dieser Verschärfung in der Schweiz bereits vollzogen wurde.
https://www.proasyl.de/news/kabinett-beschliesst-massive-verschlechterungen-fuer-gefluechtete/

16. Februar 2019
Person bei Grenzüberquerung zwischen Italien und Frankreich gestorben
Weil die Grenzen in und um Europa dichter und schwerer zu überqueren werden, müssen Migrant*innen auf ihrer Flucht immer gefährlichere Routen auf sich nehmen. In den letzten Jahren versuchten vermehrt Personen, die Alpen von Italien Richtung Frankreich zu Fuss zu durchqueren. Diese Woche wurde eine bewusstlose Person am Strassenrand in den französischen Alpen gefunden. Sie verstarb wenig später aufgrund eines Herzinfarkts und Unterkühlung. Bereits letzten Mai wurde eine tote Person in der Nähe von Montgenèvre in den französischen Alpen gefunden, die vermutlich versucht hatte, die Grenze zu Fuss zu überqueren. Obwohl mehrere lokale Unterstützer*innenorganisationen immer wieder davor warnen, dass es zu noch mehr Toten kommen wird, wenn keine Hilfsstrukturen aufgebaut werden, machen die Behörden nichts, um dieses unnötige Sterben zu verhindern.
https://www.thelocal.fr/20190208/migrant-found-dying-on-roadside-in-french-alps-near-italy-border 

27. Januar 2019
Deutschland weiter auf Abschottungskurs
Die deutsche Regierung lässt keine Möglichkeit ungenutzt, sich noch stärker gegenüber Geflüchteten abzuschotten. Einerseits will sie sich aus der EU-Mission Sophia im Mittelmeer zurückziehen. Die deutsche Marine wird nach Ablauf des Mandats Anfang Februar 2019 kein neues Schiff zur EU-Mission vor der libyschen Küste schicken, sondern sich statt dessen lieber an Nato-Manövern in der Nordsee beteiligen. Obwohl die Sophia-Mission grundsätzlich zum Ziel hat, gegen „Schlepperbanden“ vorzugehen, den Mittelmeerraum zu überwachen und die libysche „Küstenwache“ auszubilden, wäre deren Wegfall trotzdem nicht nur positiv zu beurteilen. Denn im internationalen Seerecht ist die Pflicht zur Seenotrettung festgehalten, was auch für die Sophia-Mission gilt. Da die Seenotrettung im Mittelmeer momentan sozusagen inexistent ist (unter anderem aufgrund der Kriminalisierung ziviler Seenotrettung), wurde die Sophia-Mission zu einer wichtigen Rettungsakteurin. Allein seit 2014 hat sie 42.000 Personen aus Seenot gerettet. Wenn also die Mission Sophia nicht durch eine zivile Mission ersetzt wird (was natürlich zu begrüssen wäre), wird ihre Wegfall zu nur noch mehr Toten im Mittelmeer führen.
Zudem versucht die deutsche Regierung momentan mit aller Kraft, Geflüchtete abzuschieben. Dabei scheut sie auch nicht davor zurück, Menschen nach Afghanistan abzuschieben (siehe antira-Wochenschau vom 12. Januar 2019: https://antira.org/2019/01/12/allahu-akbar-abschiebung-nach-afghanistan-ueberschwemmungen-in-camps/). Zudem schiebt Deutschland so viele Menschen in andere EU-Staaten ab wie nie zuvor. Von Januar bis Ende November 2018 wurden 8658 Menschen unter Andwendung der Dublin-Verordnung in andere EU-Staaten abgeschoben. Hauptzielland der innereuropäischen Abschiebungen war Italien: Dorthin wurde fast jede*r Dritte gebracht. Nebst der unsäglichen Praxis, Menschen wie Waren zwischen unterschiedlichen Orten hin –und herzuschieben, erscheint gerade eine Abschiebung nach Italien mehr als problematisch. Wir berichteten vor einigen Wochen über die brutalen Auswirkungen des neuen „Sicherheitsdekrets“ von Salvini (antira-Wochenschau vom 15. Dezember: https://antira.org/2018/12/15/antira-wochenschau-nutella-banane-karin-keller-sutter/)
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2019-01/eu-mittelmeermission-sophia-deutsche-beteiligung-gestoppt
https://www.sueddeutsche.de/politik/fluechtlinge-deutschland-schiebt-so-viel-in-andere-eu-staaten-ab-wie-nie-zuvor-1.4295346

20. Januar 2019
Deutsche Rüstungsfirmen profitieren von der europäischen Abschottung
Immer mehr Menschen versuchen, über den Ärmelkanal von Frankreich nach Grossbritannien zu fliehen. Unter anderem weil sie in Frankreich keine Chance auf Asyl haben und ihre Camps (z.B in Calais) immer und immer wieder von der Polizei zerstört werden. Die Überfahrt ist extrem gefährlich, da der Kanal täglich von ca. 400 grossen Schiffen passiert wird, es sehr starke Strömungen gibt und das Wasser eiskalt ist. Trotzdem nehmen die Menschen diesen Weg auf sich. Vielleicht können wir uns so die hoffnungslose und auswegslose Situation der Geflüchteten etwas besser vorstellen.
Die Chance, auf diese Weise nach Großbritannien zu kommen, schwindet aber zusehends. Denn die französischen und britischen Behörden haben natürlich sofort auf die neue Fluchtroute reagiert und die Grenzkontrollen massiv verstärkt. Sei dies durch Zäune, die rund um Stadt, Hafen und Eurotunnel in die Höhe schießen oder durch Überwachung. Zu den Gewinner*innen der europäischen Abschottungspolitik gehören zwei deutsche Rüstungskonzerne (Airbus und ATLAS Elektronik, welche sich zu Signalis zusammengeschlossen haben). Diese haben sich auf die Überwachung von Seegrenzen spezialisiert und lieferten den Grenzbehörden in Frankreich das Schiffsverfolgungssystem „STYRIS“. Signalis bestreitet zwar, dass ihre Technik zur Migrationskontrolle eingesetzt würde. Vielmehr sollen gefährliche Zusammenstöße im Ärmelkanal vermieden werden. Airbus hatte seine Grenzüberwachungstechnik vor drei Jahren aber noch als besonders geeignet gegen eine „Welle illegaler Einwanderer“ beworben. Zudem bietet Signalis auch Technologien an, welche Informationen aus der Luftüberwachung nutzen. Das Überwachungssystem sei besonders auf die Erkennung „kleiner Ziele“ spezialisiert. Was sie damit wohl meinen könnten?
Die Technologie von Airbus und ATLAS Elektronik wird nicht nur bei der Überwachung des Ärmelkanals eingesetzt. Auch das deutsche Verteidigungsministerium hat Technik von Airbus gekauft, um damit die Grenzsicherung in Tunesien zum „Schutz vor terroristischen und anderen grenzüberschreitenden Bedrohungen“ zu verbessern.
Der Markt für Technologien zur Grenzüberwachung wird wohl weiter florieren. Sowohl die französischen wie auch die britischen Behörden haben angekündigt, die Häfen und „potentiellen Startplätze“ ausserhalb der Häfen, stärker zu überwachen. Die britische Regierung will zudem zusätzlich zu einem bereits beorderten Marineschiff zwei Patrouillenboote aus dem Mittelmeer in die Nordsee entsenden. Eines der Schiffe wurde bislang in einer Mission der Grenzagentur Frontex eingesetzt.
https://www.heise.de/tp/features/Ru…
https://www.taz.de/!5563185/

30. Dezember 2018
Trotz eisiger Kälte versuchen (flüchtende) Migrant*innen per Boot nach Grossbritannien zu gelangen.
Insgesamt 40 Flüchtende in fünf Booten sind am ersten Weihnachtstag im Ärmelkanal zwischen Grossbritannien und Frankreich aufgegriffen worden. Darunter waren auch mehrere Kinder. Als Teil des «New Arrivals» Projekts des Guardians erklärten Anfang Jahr mehrere Betroffene, wieso sie grössere Hoffnung in Grossbritannien als in Frankreich setzen: Jahrelanges Warten ohne Gewissheit, ein riesiger bürokratischer Aufwand auf französisch und fehlende Sprachkurse. Ausserdem würde GB von vielen als toleranter wahrgenommen und die Wohnungssituation sei besser. Grossbritannien hat bereits vor der Brexit-Abstimmung Binnen-Kontrollen gemacht, die es erschwerten, einzuwandern. Nun ist es aber gut möglich, dass es vor allem für marginalisierte (flüchtende) Migrant*innen noch schwieriger werden wird, nach Grossbritannien zu gelangen.
https://www.theguardian.com/world/2018/mar/09/we-want-to-work-refugees-tell-france-why-uk-is-so-attractive
https://www.tagblatt.ch/newsticker/international/40-fluechtlinge-im-aermelkanal-gerettet-ld.1080885
http://www.infomigrants.net/en/post/8916/how-will-brexit-affect-migrants-and-refugees

2. Dezember 2018
Es flüchten wieder vermehrt Menschen nach Grossbritannien
Die frühere Route, auf der Menschen auf/in LKWs versteckt versuchten, durch den Eurotunnel zu gelangen, wurde mit dem Bau einer Mauer und der Räumung einer Zeltstadt bei Calais verbarrikadiert.
Nun versuchen immer mehr Menschen mit kleinen Booten den Ärmelkanal zu überqueren. In den letzten drei Wochen haben um die 100 Geflüchtete die gefährliche Überfahrt nach Großbritannien gewagt. Der britische Innenminister Sajid Javid schlägt vor, dass Großbritannien ein Rettungsschiff aus dem Mittelmeer abziehen könnte, um die zunehmende Zahl der Migrant*innen, die versuchen, über den Kanal zu kommen, zu „retten“. Tatsächlich geht es Javid aber darum, die Geflüchteten nach Frankreich zurückzuschieben und er bedient mit dem Vorschlag die in Großbritannien wegen des Brexits vorherrschende Antimigrationsstimmung.
https://www.heise.de/tp/features/Migranten-entdecken-den-Seeweg-ueber-den-Kanal-nach-Grossbritannien-4234922.html

23. November 2018
Iranische Migrant*innen fahren in geborgtem Schiff über den Ärmelkanal
Nachdem der „Jungle“ in Calais 2016 gewaltsam geräumt wurde, verteilten sich die Geflüchteten entlang der Küste. Nun haben 17 Migrant*innen in Boulonge-sur-Mer einen Fischkutter geborgt und sind damit über den Ärmelkanal gefahren, wo sie bei der Ankunft festgenommen wurden. Die englischen Behörden machen sich nun in die Hosen, da die englischen Häfen viel zu wenig Personal hätten, alle festzunehmen, wenn mehr Leute diese Art der Überquerung des Ärmelkanals wählen würden. Bis jetzt sind nur Überquerungsversuche in selbstgebastelten Booten bekannt.
https://www.telegraph.co.uk/news/2018/11/13/uk-border-force-arrest-12-migrants-stole-french-fishing-trawler/