EU-Aussengrenze

03.08.20
Militär schottet italienischen Hotspot ab, Innenministerin schliesst Fluchtrouten mit weiterer Finanzierung Tunesiens
Die Abfahrten aus Tunesien und Libyen haben in den letzten Wochen wieder zugenommen. Das Auffanglager auf Lampedusa ist um das Zehnfache überfüllt. Der örtliche Bürgermeister verurteilt den Umgang der Regierung mit der Situation: Im Jahr 2011 wurde der Notstand ausgerufen, nachdem das Lager nicht annähernd so überfüllt war wie heute. Die Regierungsverantwortlichen Italiens reagierten sogleich: „Es handelt sich effektiv um einen schwierigen Moment. Diese ständigen Neuankünfte sind inakzeptabel, wir machen alles mögliche.“ Dass es nicht die Neuankünfte sind, die inakzeptabel sind, sondern die europäische Migrationspolitik, scheint erwähnenswert. Aussenminister Luigi Di Maio greift die EU an: „Ich fordere von der EU eine Antwort: In einer solchen Situation, in der ein hohes Gesundheitsrisiko herrscht, erwarten wir eine sofortige Verteilung der angekommenen Geflüchteten auf alle europäischen Länder. In Italien steht die soziale Kohäsion auf dem Spiel.“ Die Rechten nutzen die Situation wieder einmal aus, um ihrer Hetze gegen Geflüchtete freien Lauf zu lassen.
Nicht nur der Überfüllungsgrad des Auffanglagers ist im Vergleich zu 2011 problematisch. Corona-Massnahmen und -Quarantäne schaffen knastähnliche Bedingungen. Um sich diesen Umständen zu entziehen, verliessen mehrere hundert Menschen die Lager auf Sizilien. Die Regierung in Rom entsandte 300 Soldat*innen, um die Lage «in den Griff» zu bekommen. Lager sollen zukünftig militärisch bewacht werden. «Das war alles vorhersehbar», sagt Ida Carmina, die Bürgermeisterin von Porto Empedocle, einer Stadt im Südwesten Siziliens. Die Politikerin der Cinque Stelle hatte schon früh vor diesem Szenario gewarnt, jedoch ohne gehört zu werden.
Italiens Innenministerin Luciana Lamorgese reiste letzte Woche nach Tunesien und forderte die dortige Regierung auf, ihre Küsten besser zu kontrollieren und die Fluchtroute wieder zu schliessen. Von Tunesien aus starten Migrant*innen in Booten in Richtung Lampedusa und Sizilien. Italien sei «bereit, Tunesien dabei zu unterstützen», so die Innenministerin zu Kaies Saied, dem tunesischen Präsidenten.
Auch Libyen sagte sie Unterstützung bei der Schliessung der Fluchtrouten zu. Mitte Juli war Lamorgese in Tripolis und hatte dem international anerkannten libyschen Präsidenten Al-Serraj versichert, dass die Abkommen zur Migrationsabwehr zwischen der EU und der Türkei auch für das zentrale Mittelmeer gelten könnten.
Vergessen geht, dass es sich nicht um eine „neue Notlage“ handelt. Der Zustand der überfüllten Empfangseinrichtungen besteht seit Jahren und ist nicht das Resultat der Zunahme der Ankünfte aus Tunesien und Libyen, sondern das einer politischen Entscheidung: die Einrichtungen unterzufinanzieren und infrastrukturell schlecht auszustatten sowie der generellen Gestalung des europäischen Migrationsregimes. Anstatt also von einem Tag auf den anderen dem tunesischen Staat 30 Millionen Euro zu überweisen, so wie es Innenministerin Lamorgese an diesem Treffen in Tunis am Montag gemacht hat, um die Abfahrten von Geflüchteten zu stoppen, könnte auch die europäische Migrationspolitik überdacht werden. Von dieser Regierung ist das jedoch kaum zu erwarten.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1139686.gefluechtete-im-mittelmeer-fortgesetzte-tragoedie-auf-lampedusa.html
https://www.srf.ch/news/international/asylpolitik-in-coronazeiten-zu-wenig-quarantaeneplaetze-fuer-fluechtlinge-in-italien
https://www.infomigrants.net/en/post/26296/italian-interior-minister-urges-tunisia-to-act-on-migration
https://ffm-online.org/neuauflage-des-eu-tuerkei-deals-mit-libyen/

03.08.20
Libysche Behörden erschiessen nach einem Pushback drei Menschen aus dem Sudan

Die drei Getöteten wurden zuvor im Mittelmeer von der sogenannten libyschen Küstenwache gewaltsam an der Überfahrt nach Europa gehindert. Als die rund 70 gestoppten Migrant*innen im Hafen von al-Khums von Bord gehen mussten, versuchten einige zu fliehen. Skrupellos und vor den Augen der IOM eröffneten die libyschen Behörden das Feuer.
Die IOM, die nach Pushbacks im Hafen Nothilfe leistet, twitterte nach der Tötung der drei Männer, was alle bereits wissen: «We maintain that Libya is not a safe port» („Wir sind der Auffassung, dass #Libyen kein sicherer Hafen ist“). Der EU ist das ganz offensichtlich egal oder sogar recht. Immer mehr Berichte zeigen, wie Frontex und andere Instanzen Europas mit der mörderischen Küstenwache und den libyschen Behörden an Land Hand in Hand zusammenarbeiten, um koordinierte Pushbacks durchzuführen. So spielt es für die europäischen Verantwortlichen auch keine Rolle, dass die Überlebenden nach der Schiesserei nicht in Freiheit leben, sondern in einem der viel kritisierten Gefangenencamps interniert wurden.
Während derzeit auf dem Mittelmeer kein einziges ziviles Seenotrettungsschiff mehr im Einsatz ist, trat diese Woche die US-Africom, ein Schiff des US-Afrikakommando, in Erscheinung. Die US-Regierung signalisiert damit, dass sie den Mittelmeerraum mitüberwachen will und eingreifen könnte. Diese Botschaft richtet sich nicht zuletzt an die türkischen Truppen, die mit der sogenannten libyschen Einheitsregierung (GNA) zusammenarbeiten und diese mit Waffen beliefern – bzw. scheinen die US-Regierenden die Allianz bisher gutzuheissen.
https://www.heise.de/tp/features/US-Africom-schaltet-sich-in-Seenotrettung-vor-Libyen-ein-4858253.html
https://www.infomigrants.net/en/post/26286/3-migrants-killed-in-libya-after-being-intercepted-in-the-mediterranean-and-returned
https://www.vice.com/en_us/article/889dmb/libya-eu-refugees-loophole?fbclid=IwAR1Uwb_ynZddcjLvqzrnON-sOxdfG7axeo7OdIIqhiJlONW29H1Q2UvRlvk

29.06.20
Melilla: EGMR-Urteil zu Push-backs beruht auf Falschaussagen
Im Gerichtsfall zweier Geflüchteter gegen Spanien befasste sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erstmals mit einem Push-back an der Landgrenze zu Europa. Er urteilte, dass diese Push-backs nicht gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) verstossen würden. Damit führte der Gerichtshof eine neue gesetzliche Ausnahme von den Menschenrechten an den Grenzen Europas ein und schuf einen gefährlichen Präzedenzfall: Der Gerichtshof stellte fest, dass das Überschreiten der Grenzzäune ein „schuldhaftes Verhalten“ seitens der Geflüchteten sei, die stattdessen legale Einreiseverfahren hätten anwenden müssen. Der Gerichtshof meinte, dass Spanien „mehrere mögliche Mittel zur Beantragung der Einreise“ zur Verfügung gestellt habe (vgl. https://antira.org/2020/02/18/antira-wochenschau-menschenrechtskonforme-pushbacks-millionenschwere-afd-farbige-angriffe/).
Eine Recherche belegt nun, dass sowohl die Behauptungen Spaniens als auch die Schlussfolgerungen des Gerichtshofs falsch sind und dass Schwarze Menschen aus Subsahara-Afrika an der Grenze zu Melilla systematisch diskriminiert werden. Spanien behauptete, dass für Staatsangehörige aus Subsahara-Staaten legale Wege zur Beantragung von Asyl zur Verfügung stünden. Die erste Variante sei der Asylantrag am Grenzübergang Beni Enzar in Melilla. Gegenüber 9.385 Anträgen von Menschen aus nordafrikanischen Staaten oder dem Nahen Osten, gab es dort jedoch zwischen September 2014 und Mai 2017 nur zwei Anträge von subsaharischen Staatsangehörigen. Tatsächlich müssen Schwarze, die versuchen, die spanische Grenze in Melilla zu erreichen, einer marokkanischen Sondergrenzschutztruppe ausweichen und drei marokkanische Grenzkontrollstellen umgehen, an denen ihnen die Durchreise konsequent verweigert wird. In den beiden Fällen, in denen ein Asylantrag gestellt wurde, handelte es sich um Frauen, die „mit typisch marokkanischer Kleidung getarnt“ waren, um ihre Haut zu verdecken. In Ceuta gab es keinen einzigen Fall. Der zweite legale Weg sei der Asylantrag in den diplomatischen und konsularischen Vertretungen Spaniens in Marokko. Zeug*innenaussagen zufolge ist das Konsulat in Nador für Schwarze Staatsangehörige aus Subsahara-Staaten nicht zugänglich, und zwischen 2015 und 2018 gab es in keiner spanischen Botschaft in Marokko Anträge von Staatsangehörigen aus Subsahara-Staaten. Es ist also für Schwarze Menschen praktisch auf keinem Weg möglich, einen Asylantrag zu stellen. Dennoch akzeptierte das Gericht die Argumentation Spaniens. Das Vorgehen der spanischen Behörden offenbart die Mechanismen des strukturellen Rassismus, der in der europäischen Grenzpolitik verankert ist. Während des Prozesses machte Spanien irreführende Behauptungen, die nicht nur durch zahlreiche Berichte und Zeug*innenenaussagen, sondern auch durch eigene Daten widerlegt wurden. Dennoch akzeptierte das Gericht diese Argumente und wies die der Kläger*innen zurück. Das daraus resultierende Urteil ist eine grobe Verzerrung der Tatsachen und verkennt die Realitäten an den Grenzen Europas. Ein geflüchteter Migrant, der seit Jahren in Marokko gestrandet ist, fasst es so zusammen: „Jeder würde lieber Asyl beantragen, als über einen Zaun zu klettern. Wer würde über einen Zaun klettern, über drei Zäune, sich von der Polizei verprügeln lassen, wenn es dort einen einfacheren Weg geben würde?“
https://forensic-architecture.org/investigation/pushbacks-in-melilla-nd-and-nt-vs-spain

BIld: Die Grenze bei Melilla besteht aus drei Drahtzäunen, von denen der höchste 6 m hoch ist.

29.06.20
Libyen: Waffenlieferungen statt Waffenembargo, Push-Backs und Tote
Deutsche Militärfahrzeuge, zum Teil bewaffnet, wurden im libyschen Hafen heimlich gefilmt. Recherchen daraufhin belegen Folgendes: Am 24. Januar sticht in der türkischen Hafenstadt Mersin ein Schiff namens „Bana“ in See. Das offizielle Ziel ist Genua, die „Bana“ soll dort Autos an Bord nehmen. Sie passiert planmässig Zypern und Kreta. Doch plötzlich, am 27. Januar um 17:28 Uhr, sendet das Schiff ein letztes Positionssignal und verschwindet vom Radar. Die „Bana“ bleibt zwei Tage lang verschollen. Als sie plötzlich wieder auftaucht, befindet sie sich 25 Kilometer vor der libyschen Hauptstadt Tripolis und setzt ihre Fahrt Richtung Italien fort, als wäre nichts gewesen. Das Signal wurde offenbar bewusst abgeschaltet, um einen Abstecher nach Libyen zu verheimlichen. Darauf deuten die Aussagen von Schiffsbesatzungen und Hafenarbeiter*innen bei der Polizei in Genua hin. Das Schiff habe in Tripolis Waffen unter Aufsicht türkischer Soldaten abgeladen, geht aus Vernehmungsprotokollen hervor. Der Inhalt ist auch für die deutsche Bundesregierung äusserst heikel. Es wurden Mercedes-Militärfahrzeuge an Bord gesehen und gefilmt, die teils mit Kanonen und Radaranlagen bestückt gewesen seien. Der offizielle Handelsweg dieser Fahrzeuge geht von Deutschland in die Türkei und die Arabischen Emirate, aber von dort aus verschleiert weiter nach Libyen. Gleichzeitig steht Deutschland immer wieder für das Waffenembargo Libyens ein. Dieser krasse Widerspruch lässt sich nur mit den hohen Gewinnen aus Waffenexportgeschäften nachvollziehen.
Auf der anderen Seite wird die sogenannte «libysche Küstenwache» mit viel Geld und Ausbildung gefördert, um die Migrationsabwehr zu optimieren. Push-Backs von Menschen auf der Flucht aus internationalen Gewässern zurück nach Libyen sind an der Tagesordnung. Europäische Koordinierungszentren lehnen Rettungsmassnahmnen von Seenotfällen ab oder reagieren überhaupt nicht mehr. Menschen in libyschen Lagern harren unter den schlimmsten Bedingungen aus. In der Vergangenheit kam es zu Angriffen und Bombardierungen der Lager mit Toten und Verletzten.
Letzte Woche kam es erneut zu einem schweren Unglück unweit der libyschen Stadt Al-Zawiya. Die Zahl der Todesopfer ist unklar. Anfang letzter Woche wurden nach einem anderen Unglück auf See in der selben Gegend die Leichen dreier Migrant*innen gefunden, darunter ein 5 Monate altes Baby.
https://www.tagesschau.de/investigativ/report-muenchen/waffenembargo-libyen-101.html?fbclid=IwAR3mzRPxwEf6DqhGetPaw9MoKz2uvihLCCSiwAMa2bLRyGeGUzT-VEVfEFw
https://www.infomigrants.net/en/post/25528/several-dead-in-shipwreck-off-libyan-coastsea
https://twitter.com/msehlisafa/status/1276039028278689793?fbclid=IwAR3UqXZGL7jiAUbFE0ZSKRbDwxIp1mrXIcM9gaWxvTEzcEOKC63qaYD1SeU
https://www.fr.de/meinung/vergesst-libyen-nicht-13807052.html?fbclid=IwAR3gh-QNb3g_GrgVQb5FaTW1gRnnUmlA8AkwFCc2KxIFBk06ky7D30UOycI

22.06.20
Postcorona: Wieder mehr Menschen auf immer noch gefährlichen Migrantionsrouten
Die Frontex verzeichnete im Mai einen starken Anstieg der Migrant*innen, die auf eine Einreise in die EU hoffen. Der Anstieg kommt jetzt, nachdem die Zahl der Migrant*innen, die Europa erreichen können, wegen der COVID-19-Grenzschliessungen zurückgegangen ist. Im Mai gab es fast 4.300 Grenzübertritte, unter Berufung auf Zahlen von Frontex. Das sind fast dreimal so viele wie im Vormonat. Die EU-Asylbehörde hat zuvor davor gewarnt, dass die Pandemie in Zukunft letztlich mehr Ankünfte auslösen könnte – insbesondere wenn sie zu Nahrungsmittelknappheit und mehr Unruhen im Nahen Osten und Nordafrika führt. „Das Risiko destabilisierender Auswirkungen infolge von COVID-19-Ausbrüchen hat das Potenzial, zukünftige Asyltrends zu beeinflussen“, sagte die EASO-Agentur in einem Bericht im vergangenen Monat. In den ersten fünf Monaten des Jahres registrierte Frontex insgesamt 31.600 «unbefugte» Grenzübertritte, was einen Rückgang von 6% im Vergleich zum Vorjahreszeitraum bedeutet. Entlang der verkehrsreichsten Migrationsroute nach Europa, über die Türkei und Griechenland, wurden zwischen Januar und Mai 12.700 Fälle registriert – 28% weniger als im vergangenen Jahr. Die meisten Migrant*innen stammten aus Afghanistan.
Etwa 3.700 Personen reisten auch von Marokko über das Mittelmeer nach Spanien, was einem Rückgang von über 50% entspricht. Nach dem grossen Corona-Lockdown ist letzte Woche das erste Boot mit Flüchtenden auf Mallorca angekommen. Es ist das sechste Migrant*innenboot, welches in diesem Jahr auf den Balearen ankommt. Die ersten beiden kamen im Januar mit 25 Migrant*innen an, die anderen drei Boote im Februar. Im Jahr 2019 erreichten 41 Boote mit insgesamt 507 Migrant*innen die Küsten der Balearen. Auch machten sich wieder Menschen auf den gefährlichen Seeweg im Atlantik, um auf die Kanaren zu gelangen. Ein Boot mit acht Migrant*innen wurde am frühen Samstagmorgen etwa sechs Seemeilen südlich von Arguineguín (Gran Canaria) von einem Boot der Guardia Civil abgefangen und die Menschen wurden von der Besatzung an Bord genommen.
Auf anderen Routen wurde noch mehr Migrationsbewegung registriert. Beispielsweise kamen in den ersten fünf Monaten des Jahres 2020 mehr als 6.900 Menschen über die Westbalkanroute, was einem Anstieg um 50 % gegenüber dem Vorjahreszeitraum entspricht.
Auch aus Libyen und Tunesien kamen zwischen Januar und Mai fast dreimal so viele Menschen über das Mittelmeer nach Italien und Malta wie im gleichen Zeitraum 2019. Auf Lampedusa landen immer wieder Migrant*innenboote selbständig an. Letzte Woche kamen allein an einem einzigen Tag vier Boote mit insgesamt 55 Menschen an Bord an. Diese Boote waren in Tunesien gestartet.
https://www.infomigrants.net/en/post/25362/migrant-crossings-into-europe-spiked-in-may-report
https://www.ultimahora.es/noticias/local/2020/06/17/1173925/llega-primera-patera-mallorca-durante-pandemia.html
https://www.canarias7.es/siete-islas/gran-canaria/interceptada-una-patera-con-ocho-migrantes-a-unas-seis-millas-de-arguineguin-gran-canaria-YE9363177?fbclid=IwAR0RBbB2wEVuRlwLX0hMRATNYeJK5Hh0APEQHUK-nqhXhZSCdq6ONiL_e2U
http://www.ansamed.info/ansamed/it/notizie/rubriche/cronaca/2020/06/17/migranti-quarto-sbarco-a-lampedusa-pure-bimbo-di-due-anni_e10ee388-3da2-485f-8650-6af6ffd7181d.html

08.06.20
Massenhafte Zwangsräumungen von Geflüchteten aus Wohnprogramm in Griechenland
Von Mare Liberum: Seit dem 1. Juni droht 400 Menschen auf Lesbos und 9.000 in ganz Griechenland die Zwangsräumung aus ihren Unterkünften und der Verlust von finanzieller Unterstützung, mit keiner Alternative, wo sie hingehen könnten. Zuvor hatten Geflüchtete mit anerkanntem Asylstatus drei Monate Zeit, bevor sie Campstrukturen und NGO-finanzierte Wohnprogramme verlassen mussten, um ihren neuen Lebensabschnitt zu organisieren. Die extrem kurze Frist wurde jetzt auf einen Monat verkürzt, was die herausfordernde Aufgabe praktisch unmöglich macht. Nun werden sie bald auf der Strasse stehen und das mitten in einer globalen Pandemie und in einem rauen politischen Klima, in dem gewalttätige und rassistische Angriffe auf Migrant*innen immer häufiger passieren. Dies ist nur eine weitere Massnahme, die von der Nea Dimokratia Regierung eingeführt wurde, um das Leben von Geflüchteten noch härter und Griechenland so unattraktiv wie möglich für Menschen zu machen, die vor Krieg und Gewalt fliehen.
https://www.facebook.com/MareLiberumOfficial/posts/640265980035642
https://de.euronews.com/2020/06/01/wir-landen-auf-der-stra-e-bis-zu-10-000-migranten-in-griechenland-werden-heute-obdachlos

25.05.20
Mann stirbt durch Sprung vom Quarantäneschiff vor Sizilien
Dass die Unterbringung Geflüchteter auf einem Schiff keine Option ist, zeigen die Geschehnisse auf der Moby Zaza, die vor der Küste Siziliens als Quarantäneschiff im Einsatz ist. Am Mittwoch starb ein Mann, der an diesem Abend mit einer Rettungsweste, aus 15 Metern Höhe in die raue See von Bord gesprungen war. Ob er vom Schiff fliehen oder an Land schwimmen wollte, kann man nur vermuten.
Es folgten Proteste an Bord, mit denen 14 Geflüchtete ihre Ausschiffung erreichen konnten. Die Behörden begründeten die Zusage mit Sicherheitsbefürchtungen. Sie wurden in das Auffangzentrum Villa Sikania auf Sizilien gebracht, von wo aus einige versuchten zu fliehen. Die italienischen Behörden sahen am Donnerstag auch davon ab, neu Angekommene auf der Fähre unterzubringen. Sie kamen ins gleiche Lager wie die Menschen von Bord der Moby Zaza.
https://www.nau.ch/news/europa/migrant-stirbt-nach-sprung-von-quarantane-fahre-65711349
https://volksblatt.at/nach-protesten-14-migranten-verliessen-quarantaeneschiff/
https://www.agrigentonotizie.it/cronaca/lampedusa-migranti-imbarcati-nave-quarantena-no-tunisini-trasferiti-motovedette.html

Bild: Am Mittwoch stirbt ein Geflüchteter, der von Bord der Quarantänefähre Moby Zaza vor Lampedusa fliehen oder an Land schwimmen wollte.

25.05.20
Malta und die Unmenschlichkeit gegenüber geflüchteten Menschen
In den letzten drei Wochen sind aus Seenot geholte Menschen von den maltesischen Behörden auf «Captain Morgan»-Ausflugsschiffe zur Quarantäne verfrachtet worden. Sie werden zum Teil über die Quarantänefrist von 14 Tagen hinaus dort festgehalten. Diese Ausflugsschiffe sind weder für schwere See noch zur Versorgung kranker und traumatisierter Menschen ausgelegt. An Bord kommt es zu Hungerstreiks und Suizidversuchen. Frankreich ist bisher das einzige EU-Land, welches sich zur Aufnahme von 30 der 162 Menschen bereit erklärte. Letzte Woche wurden wiederum 74 Menschen in der maltesischen SAR-Zone von der Besatzung eines Fischkutters aus Seenot geholt. Malta lehnt jegliche Verantwortung, diese Menschen an Land zu nehmen, ab. Das Fischerboot kreuzt seither 18 Seemeilen vor Lampedusa, denn auch von Italien bekommet das Schiff keine Einlaufgenehmigung.
Derweil kommen immer mehr Details zu den Vorkommnissen um den 9. April zutage (vgl. antira Wochenschau vom 13. April und 20. April . Alarmphone veröffentlichte ein Video (https://alarmphone.org/en/2020/05/20/maltas-dangerous-manoeuvres-at-sea/), das zeigt, wie ein maltesisches Küstenwachschiff lebensbedrohliche Manöver um im Wasser schwimmende Menschen fährt. Journalist*innen konnten zudem Informationen zu geheimen Absprachen zwischen maltesischen Behörden und libyschen Fischereiunternehmen aufdecken. Dabei geht es um die Rückführung von Geflüchteten zurück nach Libyen durch Fischer*innen. Ein ehemaliger maltesischer Beamter sagte bei der maltesischen Staatsanwaltschaft aus, er sei von der Regierung angeheuert worden, um Rückführungen nach Libyen zu koordinieren.
Maltas Politik in Sachen Seenotrettung ist somit am Tiefpunkt der Menschlichkeit angekommen. Die Mehrheit der maltesischen Bevölkerung hingegen ist laut einer Umfrage von der Agentur ESPRIMI für die Wiederaufnahme von Rettungsmassnahmen in Seenot geratener Menschen.
https://ffm-online.org/malta-hungerstreiks-und-selbstmordversuche-von-boat-people-auf-gefaengnisschiffen/
https://www.infomigrants.net/fr/post/24797/mer-mediterranee-la-crainte-des-naufrages-invisibles

Frankreich will 30 der 162 vor Malta auf zwei Tourist*innenbooten festgehaltenen Schutzsuchenden aufnehmen und Malta…

Gepostet von News from the Med am Mittwoch, 20. Mai 2020

https://timesofmalta.com/articles/view/fresh-standoff-betwen-malta-and-italy-over-rescued-migrants.792851
https://www.theguardian.com/global-development/2020/may/19/exclusive-12-die-as-malta-uses-private-ships-to-push-migrants-back-to-libya?utm_term=Autofeed&CMP=twt_gu&utm_medium&utm_source=Twitter#Echobox=1589869573
https://twitter.com/alarm_phone/status/1262993717117452288
https://alarmphone.org/en/2020/05/20/maltas-dangerous-manoeuvres-at-sea/
https://www.theguardian.com/global-development/2020/may/20/we-give-you-30-minutes-malta-turns-migrant-boat-away-with-directions-to-italy
https://www.avvenire.it/attualita/pagine/cosi-malta-respinge-i-migranti-e-li-dirotta-verso-libia-e-italia
https://lovinmalta.com/news/most-maltese-people-believe-we-should-reopen-borders-to-asylum-seekers-when-the-covid-19-pandemic-is-over/?fbclid=IwAR0eopPsIuq-Ua2g-1hxt7v5hmmZu3gSqmgbrofX4pyI_-QhwFSr6y5UeyM

Bild: Socially distant demonstration outside Castille, asking the Prime Minister to do the right thing and protect the dignity of the men detained on a ship outside our waters.

18.05.20
Erste Corona-Fälle bei Geflüchteten auf Lesbos
Seit Beginn des Lockdowns werden neu ankommende Geflüchtete auf Lesbos in provisorischen Lagern im Norden der Insel unter Quarantäne gestellt, meist direkt am Anlandeplatz. Dort werden ihnen unter Ausschluss der Öffentlichkeit ihre Grundrechte verwehrt, zum Teil über 40 Tage lang. Dass die Lebensbedingungen von Geflüchteten in Europa noch schlechter sein können, als wir es ohnehin schon zur Genüge kennen, zeigt sich an diesen Orten. Es fehlt an medizinischer Betreuung und sanitären Anlagen. Keines der Lager verfügt über Duschen oder Toiletten. Lediglich einfache Zelte der UNHCR stehen zur Verfügung. Wo es keine Zelte gibt, schlafen die Menschen unter umgekippten Schifferbooten. Die Wasser- und Lebensmittelversorgung ist prekär. Nun wurden erstmals Geflüchtete positiv auf Corona getestet. Es handelt sich inzwischen um vier Personen. Sie wurden zusammen mit den übrigen Bewohner*innen der provisorischen Camps mittlerweile ins neue Quarantänelager Megala Therma gebracht.
Bisher ist das Virus nicht in Moria angekommen. Dafür wurde die Ausgangssperre in allen griechischen Lagern bis zum 21. Mai verlängert. Sie dauert seit März an. Hier werden Geflüchtete wesentlich stärker in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt, als die lokale Bevölkerung, für die es bereits zu Lockerungen des Lockdowns kam. Eine Begründung für den anhaltenden Freiheitsentzug gab das Ministerium für Asyl und Migration nicht. Leider ist er für das europäische Lagerregime nicht untypisch. So werden auch in Ungarn Geflüchtete in Transitknästen festgehalten.
Derweil werden weiterhin Menschen von den Inseln aufs Festland gebracht und weitere europäische Staaten kündigen Bereitschaft an, Geflüchtete aufzunehmen. Portugal spricht von 500 Minderjährigen, Serbien von 50. Nach Monaten der Verzögerung sind am Samstag tatsächlich auch 23 unbegleitete Minderjährige angekommen, die Angehörige in der Schweiz haben. Ein Hohn, wenn wir bedenken, wie viele geflüchtete Menschen sich auf den griechischen Inseln befinden…
https://www.thenationalherald.com/archive_general_news_greece/arthro/four_coronavirus_cases_in_refugee_and_migrant_facility_on_lesbos-309512/
https://www.aljazeera.com/news/2020/05/greece-extends-coronavirus-lockdown-refugee-camps-200510203054274.html
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-05/fluechtlingslager-griechenland-portugal-aufnahme-minderjaehrige
https://mission-lifeline.de/die-bedingungen-grenzen-an-folter/

Bild: Improvisiertes Lager auf Nordlesbos

 

04.05.20
Grenzbeamt*innen beschiessen sich gegenseitig
Ein türkischer Soldat hat auf deutsche Grenzsoldat*innen von Frontex geschossen und ihnen den Mittelfinger gezeigt. Letzteres wollte ich auch schon immer mal machen. In der Medienberichterstattung ist die Rede von einer „gefährlichen Situation“. Als Menschen im Februar und März versuchten, über die griechische Grenze zu gelangen, wurden sie mit Gummischrot und Tränengas beschossen. Mindestens zwei Menschen starben. Diese Situation erscheint mir viel gefährlicher, als ein Schuss auf Soldat*innen. DER SPIEGEL schreibt von einem „Hilferuf“ aus Athen im März, woraufhin Frontex 20 weitere Polizist*innen und einen Helikopter nach Griechenland übermittelte. Genau, schliesslich sind es die Regierungsbeamt*innen in Athen, die sich in einer prekären Lage befinden und „Hilfe“ brauchen… So beeinflussen Medien mit ihrer Wortwahl die Meinungsmache. Nach dem abgegebenen Schuss an der griechisch-türkischen Grenze überlegt Frontex mehr Leute nach Griechenland zu entsenden. Meistens sind dies Bundespolizist*innen oder Landespolizist*innen. Aus Italien, Spanien, Bulgarien und Albanien hingegen wurden aufgrund von Corona seit Mitte März die meisten Frontex-Beamt*innen abgezogen. Gut so, sollen sie wegbleiben und nie wieder entsandt werden.
https://rp-online.de/panorama/coronavirus/eu-grenze-frontex-weicht-corona-schutz-der-polizisten_aid-50293409

https://www.spiegel.de/politik/ausland/tuerkische-soldaten-sollen-auf-deutsche-frontex-beamte-gezielt-haben-a-ad7bd4ca-d7df-430e-b40a-7cf7e59bd92a?d=1588255977

https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-04/frontex-tuerkei-griechenland-grenze-schuss

https://www.nzz.ch/international/ein-tuerkischer-soldat-soll-auf-frontex-polizisten-geschossen-haben-ld.1554466

04.05.20
Statliche Migrationsabwehr mit privaten Fischerbooten und der Forderung, Libyen zum sicheren Hafen zu erklären
Erneut kam es diese Woche zu einem Seenotfall in der maltesischen Such- und Rettungszone. Am Dienstag meldet Alarmphone 61 Menschen in Seenot. Malta koordiniert die „Rettung“ mit einem Fischerboot, statt mit der eigenen Küstenwache. Dieses brachte die Menschen wiederum auf das gecharterte Touristenschiff Europa I des Anbieters Captain Morgan Cruises. Dort sollen die Menschen bleiben, bis eine europäische Lösung für ihre Aufnahme gefunden wurde. Dies sei laut Regierungschef Abela die einzige Möglichkeit, die Malta habe, ohne die Menschen nach Libyen zurückzuführen. Genau das tat Malta bei einem Seenotfall am Osterwochenende. Was auffällt: Das gleiche Fischerboot war bereits dort an der illegalen Rückführung der Menschen nach Libyen beteiligt gewesen, nachdem durch den tagelang verzögerten Rettungseinsatz 12 Menschen gestorben waren. Nach Aussagen des Kapitäns eines der Boote, eines hochrangigen Kommandeurs der libyschen Küstenwache und eines ehemaligen maltesischen Beamten, der an dem Vorfall beteiligt war, entsandte Malta am Osterwochenende eine kleine Flotte privater Schiffe, um Geflüchtete auf See abzufangen und sie gewaltsam in das Kriegsgebiet Libyen zurückzubringen. Die eingesetzten Fischtrawler befinden sich in Privatbesitz, handelten aber auf Anweisung der maltesischen Streitkräfte, so der Kapitän. Nachdem Malta bereits seine Häfen geschlossen hatte, um die Ankunft weiterer Menschen zu verhindern, ist der Einsatz einer ausgewählten Privatflotte eine neue Taktik. Diese Methode ähnelt in erschreckender Weise dem organisierten Verbrechen und den Operationen von Menschenschmugglern, die von europäischen Politiker*innen so hartnäckig angeprangert werden. Weil das Vorgehen der sogenannten libyschen Küstenwache der maltesischen Regierung zu gefallen scheint, hat diese sich nun auch noch dafür eingesetzt, Libyen zum sicheren Hafen zu erklären. Nach internationalem Recht ist es verboten, aus Seenot geholte Menschen in Tripolis abzusetzen. Libyen gilt nicht als sicherer Ort. Malta setzt sich zudem als Sprachrohr Libyens bei der EU dafür ein, dass Libyen weitere 100 Millionen Euro zugunsten der lokalen Bevölkerung und der Menschen in Gefangenenlagern erhalte. Derweil wollen NGOs die EU auf juristischem Wege zwingen, Zahlungen an die sogenannte libysche Küstenwache einzustellen. Konkret soll das „Integrated Border Management Programme“ überprüft werden, in dessen Rahmen die EU der libyschen Küstenwache bereits mehr als 90 Millionen Euro gezahlt hat. Das Geld kommt vom EU‑Treuhandfonds für Afrika. Es soll eigentlich der „Entwicklung“ afrikanischer Länder dienen. Die EU-Aussenminister*innen haben bereits über 15 Millionen Euro beraten, die zusätzlich an die libysche Küstenwache gegeben werden sollen und mit deren Hilfe der europäische Grenzschutz weiterhin auslagert werden soll.
https://www.spiegel.de/politik/ausland/libyen-europa-und-seine-handlanger-am-pranger-a-65ff0309-5b9c-4a07-98f0-bd3a474aa03f
https://timesofmalta.com/articles/view/private-fishing-vessel-on-route-to-stranded-migrants.788738

https://www.avvenire.it/attualita/pagine/lettera-di-malta-riconoscere-libia-porto-sicuro?fbclid=IwAR36AT2G1ScGHdybQFRciOkRaZnxL6XFYXWaIEtWsdqa2WF1besSH_fwmAA

27.04.20
Files from moria
Files from moria works as an archive for videos, sound files and other documents by people living in the refugee camp of Moria on the island of Lesbos. Files from moria shall serve as a concrete place in the world wide web, saying: MORIA EXISTS; letting the files speak for theirselves.
https://filesfrommoria.de/

27.04.20
„Humanitäre Hilfe“ der offiziellen Schweiz auf den griechischen Inseln ist ein Witz
Da die Zustände auf den griechischen Inseln selbst für Bürgerliche kaum mehr mitanzuschauen sind, gab es in den vergangenen Wochem relativ viele ans Parlament und die an Regierung gerichtete Forderungen zur Evakuierung der Lager und zur Aufnahme von Geflüchteten. Wie so oft in parlamentarischen Prozessen, die eher einem Theater mit vorgegebenen Rollen und Abläufen gleichen, fühlt sich der Bundesrat irgendwann bewegt, zu handeln. Um nicht unmenschlich oder antidemokratisch dazustehen, schlägt er dann irgendwelche Alibi-Massnahmen vor. Natürlich werden von staatlicher Seite nicht alle gehört und nicht alle Stimmen werden als relevant eingestuft. Was zählt, sind die Stimmen der Dominanzgesellschaft und ihrer Akteur*innen. Was zählt, sind Forderungen, die in den vorgegebenen Strukturen umsetzbar sind, die den Courrant normal niemals herausfordern, kritisieren oder angreifen. So auch vergangene Woche, als der Bundesrat doch auf einmal das Gefühl hatte, er sollte vielleicht etwas unternehmen gegen die Zustände auf den griechischen Inseln. Und so sieht es dann in der Realität aus, wenn sich ein Staat in solidarischem Handeln versucht:
– Finanzielle Unterstützung: Der Bundesrat genehmigt sagenhafte 1,1 Millionen Franken, um den Schutz von unbegleiteten Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren in den Unterbringungsstrukturen zu verstärken. Von Staaten gesprochene Summen klingen meist nach viel Geld, doch im Vergleich zu den Beträgen die sich in schweizer Staatskassen befinden und im Vergleich zur Anzahl Menschen, die damit unterstützt werden sollten, ist das ein Klacks.
– Unterstützung beim Aufbau leistungsfähiger Asylstrukturen: Konkret soll die Umsetzung der neuen Asylverfahren unterstüzt werden. Dies als Hilfe für Geflüchtete darzustellen, ist ein Witz. Seit letzten Sommer in Griechenland die rassistische Partei Nea Dimokratia an die Macht kam, wurde die Situation für Geflüchtete noch prekärer und die Umsetzung des neuen Asylverfahrens bedeutet eine massive Verschärfung des Asylregimes.
– Bereitstellung von Personal für Frontex-Einsätze: Ebenfalls äusserst zynisch. Was Frontex mit Hilfe zu tun haben soll, soll uns mal erklärt werden. In den letzten paar Monaten machte Frontex vor allem dadurch von sich reden, dass sie illegale Push-Backs durchführten und auf Geflüchtete schossen.
– 22 unbegleitete Minderjährige mit familiärem Bezug zur Schweiz werden von den griechischen Inseln aufgenommen. Damit tut die offizielle Schweiz nicht weniger und nicht mehr als das, wozu sie durch internationale Abkommen verpflichtet ist. Denn laut Dublin-Verordnung müssen Minderjährige mit familiären Bezug zur Schweiz aufgenommen werden. Angesichts dieser Massnahmen ist es umso wichtiger, die Reaktion auf eine humanitäre Katastrophe wie auf den griechischen Inseln nicht der offiziellen Schweiz zu überlassen. Sich nicht zurückzulehnen und zu denken, dass der Staat ja angesichts der dringlichen Situation schon etwas unternehmen wird. Es ist umso dringlicher, selbstorganisierte solidarische Strukturen weiter auszubauen und zu unterstützen, die die Systematik hinter solchen Zuständen erkennen und bekämpfen. Solidaritätsstrukturen zu schaffen, die direkte Unterstützung leisten und tatsächlich das Ziel verfolgen, die Zustände für alle zu verbessern. Eine Zusammenstellung von solchen Strukturen, die unterstützt werden können, findet sich hier, hier und hier.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-78847.html
https://www.luzernerzeitung.ch/schweiz/bundeshilfe-fuer-fluechtlinge-in-griechenland-amnesty-international-fordert-weitere-massnahmen-ld.1214207

27.04.20
Neue institutionelle Einschätzungen zur Diskriminierung in Camps bleiben folgenlos
Insgesamt acht Geflüchtete können das Lager Moria verlassen und müssen „menschenwürdig“ untergebracht werden. Das haben die Organisationen Pro Asyl und Refugee Support Aegan (RSA) vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erstritten. Ein enormer Aufwand steht hinter der Hilfe für Einzelpersonen: Ausführliche medizinische Gutachten müssen verfasst werden, während der Zugang ins Camp und die medizinische Versorgung vor Ort nahezu unmöglich sind. Umfassende Dokumentationen müssen juristisch nachweisen, dass die Personen besonders vulnerabel sind. Karl Kopp von Pro Asyl nennt es einen „Ausdruck einer niederträchtigen Asylpolitik“, dass es nur auf juristischem Wege möglich ist, Grundrechte für Menschen zu erstreiten.  Diese „Erfolge“ für Einzelpersonen werden keine Auswirkungen auf die verbleibenden Tausenden Menschen in den Camps haben. Ähnlich ist die Lage in den ungarischen Lagern, in denen ebenfalls immer wieder die Versorgung mit Lebensmitteln für Geflüchtete juristisch erstritten werden muss. Der Generalanwalt des europäischen Gerichtshofs meint zum ungarischen Lager Röszke nun zudem, dass „die Bewegungsfreiheit der Menschen in so hohem Mass eingeschränkt [sei], dass es sich um Haft handele“. Die Argumentation der ungarischen Regierung, sie sei nicht für die Versorgung der dort lebenden Menschen verantwortlich, ist damit erneut hinfällig. Ungarn gibt an, die Menschen könnten das Lager jederzeit nach Serbien verlassen – allerdings verlieren sie dann ihr Recht auf ein Asylgesuch. Der Generalanwalt machte im Gutachten auch deutlich, dass Ungarn die Bearbeitung der Asylanträge nicht mit dem Hinweis ablehnen dürfe, die Betroffenen seien durch ein sicheres Transitland (Serbien) gekommen. Ob der Europäische Gerichtshof dem nicht bindenden Gutachten folgt, wird sich in den nächsten Monaten zeigen. Vor kurzem waren Polen, Ungarn und Tschechien vom Europäischen Gerichtshof verurteilt worden, da sie sich 2015 nicht an der anteiligen Aufnahme von 160.000 Geflüchteten beteiligt hatten. Auch das blieb ohne Folge.
https://www.proasyl.de/pressemitteilung/menschenrechtsgerichtshof-zwingt-griechenland-fluechtlinge-aus-dem-hotspot-moria-menschenwuerdig-unterzubringen-und-medizinische-behandlung-sicherzustellen/
https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-04/fluechtlingsunterkunft-transitlager-ungarn-rechtswidrige-lebensbedingungen
https://www.spiegel.de/politik/ausland/ungarn-eugh-gutachter-nennt-transitlager-fuer-asylbewerber-rechtswidrig-a-21582bd5-9032-4e0f-a35c-b4a1de3c157a

27.04.20
Zwei Geflüchtete auf Lesbos angeschossen
Ein Bewohner der Insel Lesbos hat mit einer Jagdflinte zwei Geflüchtete angeschossen. Diese befanden sich auf einem Spaziergang ausserhalb des Camps Moria. Glücklicherweise wurden sie nicht schwer verletzt. Bei der verdächtigten Person wurden Waffe und Munition sichergestellt. Er wird wegen versuchten Totschlags angeklagt. Als Motiv gab er an, Geflüchtete hätten ihn angeblich in letzter Zeit bestohlen. Eine weitere Motivation könnte die Verletzung der Quarantäne gewesen sein. Die Geflüchteten dürfen wegen Corona das Asylcamp aktuell nicht verlassen, was aufgrund der Bedingungen im Lager unzumutbar ist. Dass Rassismus und Frustration zu direkter Gewalt führen, ist kein Einzelfall. Seit Monaten gibt es auf der Insel Gewalt gegen Geflüchtete, Journalist*innen und  solidarische Menschen.
https://www.spiegel.de/politik/ausland/lesbos-polizei-nimmt-55-jaehrigen-griechen-nach-schuessen-auf-asylbewerber-fest-a-3254bdde-fdb5-4e3b-a229-ac3a99140cef
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-04/griechenland-lesbos-moria-fluechtlinge-angeschossen
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1135837.moria-fluechtlinge-auf-lesbos-angeschossen.html
https://www.kleinezeitung.at/international/corona/5804356/Durchsetzung-der-Quarantaene-mit-Schusswaffen_Gruene-fordern

27.04.20
Fluchtroute Mittelmeer: Maltesischer Premierminister angeklagt, weil er mindestens fünf Menschen ertrinken liess
Letzte Woche liess die maltesische Regierung in Koordination mit der EU-Grenzschutzagentur Frontex zwischen 5 und 12 Menschen im Mittelmeer ertrinken (Zahlen variieren je nach Quelle). Sämtliche Instanzen waren über die Notlage, sowie über die genaue Position der sinkenden Schiffe informiert, unternahmen aber keinerlei Rettungsversuche. Offiziell wegen Corona. Erst nach sechs Tagen wurde eine Übergabe auf Fischerboote koordiniert. Diese schleppten die verbliebenen Menschen, welche die sechs Tage in Seenot überlebten, zurück nach Libyen. (vgl. antira-Wochenschau vom 20. April).
Nun haben das AlarmPhone und die maltesische Bürgerrechtsorganisation Republika Anklage wegen Totschlags gegen den maltesischen Premierminister Robert Abela erhoben. Die Anklage wird sich wahrscheinlich auch auf weitere Instanzen ausweiten, da Abela möglicherweise auch Frontex in die Verantwortung ziehen wird. Deren Flugzeug hatte die Menschen in Seenot während dieser sechs Tage mehrfach überflogen, ohne etwas zu unternehmen.Trotzdem meint Abela als Reaktion auf die Anklage, «sein Gewissen sei rein, weil er alles in seiner Macht Stehende getan habe, um das maltesische Volk vor einer möglichen Corona-Ansteckung zu schützen.» Obwohl wir die Anzahl Menschenleben nicht als Argument benutzen wollen, ist es erschreckend zu sehen, wie leichtfertig der Tod von geflüchteten Menschen in Kauf genommen wird, um das Leben der maltesischen Bevölkerung zu schützen. Bisher starben auf Malta drei Menschen an Corona.
Während Malta nun immerhin zugegeben hat, dass es seine Häfen „zum Schutz“ der maltesischen Bevölkerung geschlossen hält, stellt die italienische Regierung das Anlegeverbot in italienischen Häfen immer noch als Schutzmassnahme für die Geflüchteten dar. Aufgrund des derzeitigen Gesundheitsnotstands entsprächen die italienischen Häfen nicht den Anforderungen des Internationalen Abkommens für Seenotrettung an einen »Place of Safety«. Diese Begründung ist einfach nur absurd, lässt doch die italienische Regierung sonst so gerne Menschen im Mittelmeer ertrinken oder in libyschen Haftlagern foltern. Aufgrund der erneuten Hafenschliessung befinden sich nun also wie bereits vor einem halben Jahr zivile Rettungsschiffe mit Geflüchteten an Bord vor der italienischen Küste, ohne anlegen zu dürfen.
https://ffm-online.org/malta-anklage-gegen-premier-verschaerft-einbeziehung-frontex-eu/
https://www.spiegel.de/politik/ausland/malta-justiz-ermittelt-wegen-toten-bootsfluechtlingen-gegen-regierungschef-a-dbfa58d6-6876-401a-addf-302423dc55fb
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1135641.flucht-und-migration-nach-europa-aita-mari-fluechtlinge-muessen-auf-quarantaene-schiff.html

20.04.20
Push-backs über mehrere Grenzen und von Italien nach Griechenland dokumentiert
Der Monatsbericht März von Bordermonitoring.eu zeigt Entwicklungen in der illegalen Rückführungspraxis auf. Die rechtliche und humanitäre Situation von Menschen auf der Flucht hat sich im März aus zwei Gründen weiter verschlechtert: Zum einen zog die Situation an der griechisch-türkischen Grenze Massenabschiebungen und massive Gewalt nach sich. Zum anderen dient der Coronavirus als politische Rechtfertigung für weitreichende Verschärfungen wie eine zunehmende Grenzmilitarisierung.
Ein Fall von Ketten-Push-backs wird in Slowenien dokumentiert. Über 30 Menschen wurden auf einem Güterzug in Serbien aufgegriffen. Sie waren lebensgefährlich unter einer Tonschicht versteckt, die sie hätte einschliessen können. Die slowenischen Medien stellten die Polizeiarbeit als heldenhafte Rettung dar, ohne auf die strukturelle Gewalt und die anschliessenden Push-backs einzugehen. Die Menschen wurden über mehrere Grenzen hinweg nach Serbien gebracht, ohne in Europa einen Asylantrag stellen zu können.
Zwei Berichte dokumentieren weitere illegale Rückführungen aus italienischen Häfen in die griechische Stadt Patras. Ein Mann beispielsweise kam mit der Fähre in Venedig an, erlebte Gewalt durch Grenzbeamt*innen und wurde am gleichen Tag via Fähre zurückgeschickt. Dabei begann das Recht des Geflüchteten, in Italien Asyl zu beantragen, bereits 12 Seemeilen vor dem Hafen. Es gibt viele Parallelen zu den Push-back-Praktiken auf der Balkanroute: Verweigerung des Asylrechts, Anwendung extremer Gewalt, Diebstahl, der Einsatz von Hunden und die fehlerhafte Anwendung der Rückübernahmeabkommen.
Zahlreiche Push-backs und Fälle von massiver Gewalt und Erniedrigung gab es an der griechisch-türkischen Grenze. Einzelheiten dazu und ein Update der Situation entlang der Balkanroute finden sich im Report.
https://www.borderviolence.eu/wp-content/uploads/Monthly-Report_March-2020.pdf

20.04.20
Zwölf Tote und Push-back nach Libyen nach tagelanger Ignoranz europäischer Staaten
„Zwölf Menschen haben durch europäisches Handeln und Nicht-Handeln im Mittelmeer ihr Leben verloren. Die Behörden in Malta, Italien, Libyen, Portugal, Deutschland sowie die EU-Grenzagentur Frontex wurden über eine Gruppe von etwa 55 (später bestätigten 63) Personen in Seenot informiert. Sie entschieden sich aber dafür, zwölf von ihnen verdursten oder ertrinken zu lassen, während sie die Zwangsrückführung der Überlebenden nach Libyen, einem Ort des Krieges, der Folter und Vergewaltigung, koordinierten,“ heisst es im Bericht von Alarmphone zur verzögerten Rettung und dem anschliessenden Push-back eines Bootes in der maltesischen Such- und Rettungszone. Die Behörden waren bereits sechs Tage lang über den Seenotfall informiert, bevor die maltesischen Behörden die Übergabe der Menschen auf Fischerboote koordinierte, welche die Menschen zurück nach Libyen brachte. In dieser Zeit waren bereits drei Menschen ertrunken, die auf ein nicht helfendes Schiff in Sichtweite zugeschwommen waren. Vier weitere Menschen haben sich aus Verzweiflung ins Meer gestürzt. Fünf Menschen sind an Bord verdurstet. Italien, Malta und Libyen hatten zuvor ihre Häfen als geschlossen erklärt, da sie aufgrund von Corona angeblich keine Sicherheit bieten könnten.
Auf staatlicher Seite hat sich das Ertrinken-lassen im Mittelmeer normalisiert. NGOs springen gezwungenermassen ein, um diese Rettungslücke zu füllen. Und selbst das wird ihnen von den europäischen Staaten so stark wie möglich erschwert: Mit der Aufforderung, nicht mehr zu retten, der Nicht-Erreichbarkeit oder Nicht-Koordination von Rettungsleitstellen, der Verweigerung von Anlegeerlaubnissen an europäischen Häfen, der fehlenden Bereitschaft aller europäischen Länder, die Geretteten aufzunehmen. Das NGO-Schiff Alan Kurdi musste zwölf Tage mit 146 Geflüchteten auf einen Hafen warten. Die Lage an Bord hatte sich auch dort immer weiter zugespitzt. Ein Mann sprang aus Verzweiflung über Bord, um sich das Leben zu nehmen. Nun wurden alle auf ein Quarantäne-Schiff verlegt. Am Montag ist das spanische NGO-Schiff „Aita Mari“ anlässlich der zahlreichen Notrufe mit einer Spontanbesatzung losgefahren und hat vor Malta insgesamt 43 Menschen aus einem sinkenden Schlauchboot gerettet. Vor der italienischen Insel Lampedusa wartet es weiterhin auf einen Hafen zum Anlegen. Hier könnte auch die offizielle Schweiz aktiv werden und sich bereit erklären, aus Seenot gerettete Menschen aufzunehmen. Die Organisation Seebrücke Schweiz hat dazu Kontakt mit verschiedenen Politiker*innen aufgenommen und sie aufgefordert, die Themen Evakuierung aus Griechenland und Seenotrettung in die Frühjahrssession einzubringen.
https://sea-watch.org/zwoelf-tote-und-eine-illegale-rueckfuehrung-nach-libyen/
https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-04/seenotrettung-mittelmeer-fluechtlinge-malta-libyen-eu
https://www.br.de/nachrichten/bayern/nach-zwoelf-tagen-alan-kurdi-gefluechtete-auf-quarantaene-schiff,RwPzXZ5>
https://www.tagesschau.de/ausland/seenotrettung-mittelmeer-107.html
https://seebruecke.org/lokalgruppen/schweiz/

13.04.20
53 Menschen überwinden Grenzzaun nach Melilla
In einer koordinierten Aktion haben etwa 260 Menschen versucht, den Grenzzaun zwischen Marokko und der spanischen Enklave Melilla zu überwinden. Das war der grösste koordinierte Versuch seit einem Jahr. 53 Menschen haben es geschafft, über den Zaun zu kommen. Sie liefen, zum Teil verletzt, bis zum Aufnahmezentrum in der Stadt Melilla. Dort wurden sie wegen Coronavirus-Vorbehalten abgewiesen. Zwei wurden festgenommen, vier wurden vom Roten Kreuz ins Krankenhaus gebracht. Stunden später wurden die Menschen in ein Zelt am Flughafen verfrachtet. In diesem Bereich sitzen auch 350 marokkanische Reisende fest, die seit der marokkanischen Grenzschliessung Mitte März blockiert sind.
Im Februar hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geurteilt, dass Spanien nicht verpflichtet sei, Menschen ein Asylverfahren zu gewähren, die es schaffen, den Grenzzaun zu überwinden. Vielmehr sollten diese auf marokkanischem Boden bei der diplomatischen Vertretung Spaniens ihr Asylgesuch stellen. In der Praxis ist dies nahezu unmöglich (vgl. antira-Wochenschau vom 18.02.20).
https://ffm-online.org/melilla-eu-zaun-boza-und-coronavirus-blockade/https://www.theolivepress.es/spain-news/2020/04/06/around-50-migrants-successfully-jump-the-fence-and-enter-spains-melilla-in-the-largest-illegal-entry-since-may-2019/

13.04.20
Frontex schaut beim Sterben zu
In der Nacht von Samstag auf Sonntag erreichten das Alarmphone gleich vier Notrufe aus dem zentralen Mittelmeerraum. Insgesamt 250 Menschen befinden sich in Seenot, 118 davon in der Such- und Rettungszone Maltas. Zu zwei der Boote hat die NGO den Kontakt verloren und twittert: „EU-Luftkräfte überwachten einige von ihnen. Wie ist es, von oben zuzusehen, wie Menschen langsam sterben? Fröhlichen Ostersonntag.“ Zahlreiche Flüge der europäischen Agentur Frontex und anderer internationaler Luftstreitkräfte wurden im Laufe des Tages gemeldet. Es wird vermutet, dass sie wie bereits seit zwei Jahren der sogenannten libyschen Küstenwache die Standorte der Boote meldeten. Diese verkündet unterdessen, sie benötige mehr Gelder, um die Geflüchteten von der Überfahrt abzuhalten. Mit dieser Forderung und der Verkündung geschlossener Häfen übt sie Druck auf die EU nach weiterer Finanzierung aus. Die Lage vor Ort ist für die Geflüchteten hoffnungslos. Es sind, ausser der Alan Kurdi, die keine weiteren Menschen aufnehmen kann, keine Rettungsboote von NGOs vor Ort und offizielle Stellen lehnen ihre Pflicht zur Seenotrettung ab. In einer einzigen Woche, vom 5. bis 11. April 2020, haben mehr als 1.000 Menschen auf mehr als 20 Booten die libysche Küste verlassen, berichtet das Alarmphone. Das Schicksal vieler Menschen bleibt unklar. Frontex hat unterdessen 4 Boote gefunden. Vermutlich die von Alarmphone gemeldeten. Eines ist gesunken. Wir müssen annehmen, dass alle ertrunken sind, da es keine Infos über Rettungen gibt. Position& Notlage waren bekannt.
https://www.avvenire.it/attualita/pagine/il-ricatto-della-libia-messi-in-mare-10-barconi-in-pochi-giorni
https://lovinmalta.com/news/happy-easter-sunday-118-people-could-soon-die-in-maltas-waters-migrant-hotline-warns/

13.04.20
Vier Dramen im Mittelmeer
(1) Libysche Milizen behindern das NGO-Schiff Alan Kurdi: Die Alan Kurdi rettet am vergangen Montag in zwei Einsätzen 150 Menschen aus Seenot. Während des ersten Einsatzes fahren libysche Milizen aggressiv an das Holzboot heran und schiessen Warnschüsse ab. Auf dem Holzboot bricht Panik aus, viele springen ohne Rettungswesten ins Wasser. Trotzdem kann die Crew alle retten. Bereits während des Einsatzes geht ein zweiter Notruf von einem Holzboot ein. Das italienische Versorgungsschiff Asso Ventinove ist bereits seit Stunden vor Ort ohne zu helfen. Die Alan Kurdi nimmt auch diese Menschen auf. Dass das NGO-Schiff an einem Tag zwei schiffbrüchige Boote antrifft, zeigt die Dringlichkeit und Wichtigkeit von Rettungsschiffen vor Ort. Wie viele Menschen letzte Woche ertranken, ist unbekannt. Doch laut Alarmphone sind wegen des guten Wetters etwa 1000 Menschen aus Libyen auf das Mittelmeer gestartet.
(2) Italien, Malta und Libyen erklären ihre Häfen – wegen Corona – als unsicher: Rettungsschiffe mit Geflüchteten können deshalb auch nicht mehr anlegen. Die italienischen Behörden sagen, sie würden nicht für die Sicherheit der Menschen garantieren können. Wie zynisch ist denn diese Aussage, wenn wir bedenken, dass die Alternative Libyen heisst. Zudem könnten sich Corona-Infizierte unter den Geretteten befinden. Nach Italien erklärten auch Malta und Libyen ihre Häfen als unsicher. Aktuell verbietet Libyen einem Schiff der sogenannten libyschen Küstenwache mit rund 280 Personen das Einlaufen in einen libyschen Hafen. Die libysche Küstenwache erklärte derweil, dass sie keine weiteren Rettungen durchführen könne, weil keine Atemschutzmasken vorhanden seien. Vor Malta rief ein Boot mit rund 70 Menschen an Bord das Alarmphone an. „Ich sehe Malta. Das maltesische Militär kommt und schneidet das Kabel für den Motor durch“, ruft ein Mann am Donnerstagnachmittag ins Telefon. Wasser sei bereits ins Boot eingedrungen. „Sie wollen nicht, dass irgendjemand nach Malta kommt, das sagen sie. Wir werden sterben. Bitte, wir brauchen Hilfe.“  Später nimmt die maltesische Küstenwache die Menschen doch noch an Bord. Bereits am Vortag hatten sie sich dem Boot genähert und statt zu helfen, die Rettung aktiv verzögert bzw. Menschenleben bewusst aufs Spiel gesetzt. Es wird also weggesehen, gewartet, nicht geholfen, nicht aufgenommen.
(3) Das deutsche Innenministerium fordert die NGOs auf, keine Menschen mehr zu retten: Bereits Ende März hatte sich die italienische Innenministerin Lamorgese mit dem Hinweis an das deutsche Innenministerium gewandt, dass das unter deutscher Flagge fahrende Schiff Alan Kurdi seine Rettungsaktivitäten im zentralen Mittelmeer wieder aufnehme und dass Italien seine Häfen für das Rettungsschiff schliessen wird. Das deutsche Innenministerium unter Horst Seehofer fordert daraufhin allgemein NGOs auf, „angesichts der aktuellen schwierigen Lage“ derzeit „keine Fahrten aufzunehmen und bereits in See gegangene Schiffe zurückzurufen“. Mehrere NGOs bezeichnen diese Forderung als „Aufruf zur unterlassenen Hilfeleistung“ oder einen „Appell, Menschen ertrinken zu lassen“. Das deutsche Innenministerium bemüht sich nicht einmal um eine Lösung für die Aufnahme der Menschen, die von der Alan Kurdi gerettet wurden. Dabei benötigen die Menschen an Bord dringend Lebensmittel und Medikamente, die ihnen die maltesischen und die italienischen Behörden verweigern.
(4) Geschlossene Häfen führen zu einem neuen Stand-off vor Lampedusa: Das im September 2019 erarbeitete Malta-Abkommen zur Verteilung aus Seenot geretteter Menschen in Europa ist aufgrund der Corona-Pandemie ausgesetzt und es gibt wieder einen Stand-off vor Lampedusa. Dieselbe Situation also, wie wir sie aus Zeiten des Salvini-Dekrets in Erinnerung haben. Damals waren die italienischen Häfen zum „Schutz der nationalen Sicherheit“ geschlossen.
https://www.spiegel.de/politik/ausland/fluechtlinge-erheben-schwere-vorwuerfe-gegen-malta-a-4f311e15-89b1-46dd-afde-919bf429ea0f?fbclid=IwAR26WwIuZOHQ2CDXc2RaFnSf_OSXeFGxNiaSKA34qitmvDicJRRwkEQF7dAhttps://www.maltatoday.com.mt/news/national/101526/malta_tells_germany_it_will_refuse_disembarkation_to_rescued_seaeye_migrantshttps://www.theguardian.com/world/2020/apr/08/italy-declares-own-ports-unsafe-to-stop-migrants-disembarkinghttps://sea-eye.org/alan-kurdi-erhaelt-weder-lebensmittel-noch-medikamente/https://www.tagesspiegel.de/politik/ein-appell-menschen-ertrinken-zu-lassen-seehofer-ministerium-fordert-stopp-der-seenotrettung-im-mittelmeer/25729784.htmlhttps://www.tagesspiegel.de/politik/ein-appell-menschen-ertrinken-zu-lassen-seehofer-ministerium-fordert-stopp-der-seenotrettung-im-mittelmeer/25729784.html

23.03.20
Kind stirbt bei Brand in Moria 
Nach einem erneuten Brand im überfüllten „Hotspot“-Camp Moria auf Lesbos lässt sich bis jetzt nicht sagen, wieviele Menschen wirklich gestorben sind oder verletzt wurden. Mindestens ein Kind starb, während Container, Zelte und andere temporäre Unterkünfte bei starkem Wind brannten. Menschen gerieten in Panik. Für die Feuerwehr war es in der Enge schwierig zu löschen. Die Feuerwehr vermutet ein kleines offenes Feuer oder einen Gaskocher als Ursache. Die Geflüchteten benutzen das Feuer, um nicht zu erfrieren, um zu kochen oder mit warmem Wasser für wenigstens etwas Hygiene zu sorgen. In Moria kommt es immer wieder zu Bränden. Zuletzt war dabei im September eine Frau ums Leben gekommen. In Moria zeigt sich auch die rassistische Doppelmoral der Coronaschutzmassnahmen. So hat die griechische Regierung wegen Corona für die Griech*innen Gruppenansammlungen von mehr als 10 Menschen im Freien verboten, versammelt im Camp Moria auf Lesbos aber 20.000 Menschen im Freien. Die Menschen teilen sich teils zu Tausenden eine Wasserzapfstelle, schlafen in engen Zelten, Seife gibt es nicht. Hier gibt es schlicht keine Möglichkeit, sich an irgendwelche Hygienemassnahmen zu halten. Statt die Lager endlich aufzulösen, besteht die Corona-Massnahme darin, diese intensiver zu umzäunen, sodass die Geflüchteten nicht mehr heraus kommen können. Die Misstände in Moria sind seit Jahren bekannt. Seit Jahren handeln die europäischen Regierenden nicht, um weitere Katastrophen zu verhindern. Moria ist kein „wildes“ Camp. Es ist ein politisch gewolltes Kernelement des europäischen Grenzregimes. Die Zustände dort sind also kein Unfall, sie sollen so sein, wie sie sind.
https://www.spiegel.de/politik/ausland/brand-im-fluechtlingslager-moria-katastrophe-mit-ansage-a-bb5c9fd0-9ed1-4b6a-be35-67d716e239bc?sara_ecid=soci_upd_KsBF0AFjflf0DZCxpPYDCQgO1dEMph
https://www.srf.ch/news/international/brand-im-fluechtlingscamp-moria-als-waeren-sie-menschen-zweiter-klasse
https://www.freitag.de/autoren/pep/lesbos-hat-uns-auch-vorher-nicht-interessiert
https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-03/pandemie-fluechtlingslager-lesbos-moria-eu-grenze/komplettansicht
https://www.heise.de/tp/features/Griechenland-Abgeschottete-geschlossene-Lager-4685004.html
https://www.spiegel.de/politik/ausland/coronavirus-die-angst-in-den-fluechtlingslagern-griechenland-libanon-bangladesh-kenia-a-b9dffd13-47b2-4c2e-ae12-5acb7391e444
https://taz.de/Polizeieinsatz-gegen-Gefluechtete-in-Suhl/!5668971/

16.03.20
Nazikrise auf Festland und griechischen Inseln
Wie kann es sein, dass gerade hunderte Nazis auf dem Weg an die türkisch-griechische Grenze sind, um Menschen zu verprügeln oder zu erschiessen und alle europäischen Regierungen tun so, als wären Geflüchtete das Problem? In den letzten Tagen sind auf Lesbos mehr Nazis als Geflüchtete angekommen, das ist hier das einzige Problem. In Griechenland wird die Situation von Tag zu Tag schlimmer. An der Grenze zur Türkei patrouillieren sie bewaffnet als »Bürgerwehren«. Nicht nur mit Duldung, sondern sogar mit Förderung der Polizei und unter den Augen internationaler Medien. Auf der Insel Lesbos empfangen sie ankommende Boote mit Schrotflinten. Gegner*innen der Bürger*innenwehren sind Geflüchtete, Journalist*innen und Mitarbeitende von NGOs. Vermummte Menschen fahren mit Motorrädern durch die Strassen und rufen Dinge wie »Haut ab oder wir fackeln alles ab. Letzte Warnung!«. Nachdem bereits mehrere Camps für Geflüchtete angezündet wurden, stand letzte Woche auch das Bekleidungslager von „Auto­nomen Opfer“ in Flammen. Zudem wurde die Crew des Rettungsschiffes Mare Liberum von 15 Personen attackiert und das Deck des Schiffes mit Benzin übergossen. Auch griechische Landwirt*innen aus dem Norden haben gut 250 Kilometer zurückgelegt, um die Grenze zur Türkei zu erreichen. Sie wollen angeblich „den örtlichen Bäuer*innen zur Seite stehen und den Sicherheitskräften helfen, die Grenze zu schützen“. Nebst der rechten Kräfte vor Ort, mobilisieren sich auch internationale Fascho-Strukturen, oft auch online. Dort wird zur „Verteidigung Europas“ aufgerufen. Auf sozialen Netzwerken sind Posts wie folgender zu finden: „Gebt mir eine M60 mit ausreichend Munition, stellt mich an die türkische Grenze und ich schiesse den gesamten menschlichen Abschaum über den Haufen. Frauen und Kinder inklusive, wenn bei 10.000 Männern mal eine(s) dabei ist… “. Weitere Faschist*innen der Online-Szene rufen unter anderem dazu auf, dass sich „aufrechte Männer Europas“ an die Grenze begeben sollten. In anderen Chatgruppen mit Namen wie “Rockhate” und “NS-Action” wird derweil über eine Unterstützung lokaler Gruppen diskutiert, die gewalttätig gegen Geflüchtete vorgehen. Ausserdem kursiert ein Aufruf an „kampferfahrene Gleichgesinnte“, der von der mutmasslich französischen Gruppe “Gallia Daily” verbreitet wird. Auch die Gruppe „Soldiers of Odin“ aus Finnland teilt in ihrer Telegram-Chatgruppe Bilder, die angeblich aus der griechischen Grenzregion zur Türkei stammen, auf denen eine mit einem Gewehr bewaffnete vermummte Person posiert. Darunter steht: “Etwa 4.000 bewaffnete griechische Bürger patrollieren die Grenze, um die Invasoren aufzuhalten”. All dies zeigt,  was alles möglich wird, wenn sich Faschist*innen aus ganz Europa zu organisieren beginnen.
https://de.euronews.com/2020/03/07/migrantenkrise-in-griechenland-landwirte-unterstutzen-grenzschutzer
https://jungle.world/artikel/2020/11/autoritaere-formierung
https://jungle.world/artikel/2020/11/die-sehnsucht-nach-der-fronterfahrung

22. Juni 2019
9 Tote vor der türkischen Küste, 22 Tote vor spanischer Küste
Bei der Überfahrt von der türkischen Küste nach Griechenland sind mindestens zwölf Migrant*innen und Geflüchtete ertrunken. In den Morgenstunden des 17.06.2019 wurden 31 Migrant*innen und Geflüchtete vor der Insel Kos aus Seenot gerettet. Da die Zahl der Menschen, die sich auf dem Boot befunden haben, unbekannt ist, ist nicht auszuschließen, dass noch mehr Menschen ums Leben gekommen sind.
Vor Spanien sind indessen 22 Menschen gestorben, während sie versuchten, Europa zu erreichen. Laut den Erzählungen von Geflüchteten und Migrant*innen, die sich mit den Verstorbenen auf dem Boot befunden haben, seien sie im Nordosten Marokkos gestartet. Die Leichen der Gestorbenen hätten sie über Bord geworfen, wobei die genauen Todesursachen noch im Unklaren liegen. Die überlebenden wurden von der spanischen Küstenwache aus Seenot beorgen. Die Einsatzkräfte sahen keine Leichen im Wasser und sprachen deshalb nur von 22 vermissten Personen, nach denen gesucht werde.
http://www.ekathimerini.com/241634/article/ekathimerini/news/nine-missing-as-migrant-boat-sinks-off-western-turkey?fbclid=IwAR1KAYY0MpZNzjLeclmE-3oQ868M3RDlhv07Oyd9dgODdeEakD4JAdigf8A
https://ffm-online.org/griechenland-tuerkei-8-tote-bei-ueberfahrt-in-der-aegaeis/
https://www.derstandard.de/story/2000105174357/sea-watch-3-muss-mit-43-geretteten-vor-lampedusa-warten

26. Mai 2019
EU schottet sich weiter ab: Neu an griechisch-albanischer Grenze
Am Mittwoch startete Frontex (die Europäische Grenz- und Küstenwache) zusammen mit den albanischen Behörden die erste gemeinsame Operation. Es ist auch die erste Operation der EU mit einem Nicht-EU Staat auf dem Gebiet eines benachbarten Drittlandes. Seit Mittwoch werden nun Teams der Frontex zusammen mit albanischen Grenzschutzbeamt*innen an der griechisch-albanischen Grenze eingesetzt, um die Balkanroute weiter abzuriegeln. Insgesamt kommen 50 Grenzwächter*innen der EU zum Einsatz. Zudem wird die albanische Küstenwache von der EU aufgerüstet und erhält 16 Patrouillen-Fahrzeuge und ein Fahrzeug, das mit Wärmebildkamera ausgestattet ist.
Ähnliche Abkommen hat die EU auch mit anderen Drittstaaten aus dem Balkan absgeschlossen: mit Nord-Mazedonien, Serbien, Bosnien-Herzegowina und Montenegro. Die EU wird nun also auch noch die Grenzwach-Behörden der Balkanstaaten aufrüstet, um ihre eigene Aussengrenze dicht zu machen.
http://europa.eu/rapid/press-release_IP-19-2591_en.htm?utm_source=ECRE+Newsletters&utm_campaign=32d55f4332-EMAIL_CAMPAIGN_2019_05_21_02_07&utm_medium=email&utm_term=0_3ec9497afd-32d55f4332-422328393

19. Mai 2019
Pushbacks in Kroatien und Slovenien. EU unterstützt diese Grenzsicherung finanziell
Wie in Ungarn werden auch in Kroatien und Slovenien systematisch illegale Pushbacks von Geflüchteten durchgeführt. Leute werden beispielsweise in Flüsse gestossen, mitten im Wald ohne Schuhe ausgesetzt, beschimpft, bedroht, bestohlen, ausgelacht, verprügelt, stundenlang in extrem heruntergekühlten oder überhitzten Fahrzeugen herumgefahren oder gezwungen, sich für ein «Verhör» mitten in einer Stadt bäuchlings auf das Trottoir zu legen. Es gibt auch Berichte über sexuelle Übergriffe. Der EU ist das egal. Haupsache, die südliche Balkanroute ist möglichst dicht, die Wahl der Methoden ist zweitrangig, das Geld fliesst trotzdem. Das führt dazu, dass tausende von Geflüchteten in Bosnien-Herzegowina stranden, wo es praktisch keine institutionellen Unterstützungsangebote gibt. In Bosnien wurden 2017 weniger als 1’000 Geflüchtete gezählt, 2018 waren es über 20’000. Bosnien und Herzegowina war nach der Finanzkrise 2008 in einer Rezession und viele Menschen leben in Armut.
https://www.derbund.ch/ausland/europa/sie-behandeln-uns-wie-tiere/story/31596055

30. März 2019
Frontex wird weiter aufgestockt

Die europäische Abschottung geht weiter. Obwohl die Zahl der illegalisierten Grenzübertritte in die EU seit Jahren zurückgeht, soll die Grenzschutztruppe Frontex bis 2027 auf 10’000 Einsatzkräfte ausgebaut werden. Der Frontex-Ausbau soll stufenweise erfolgen. Die Truppe soll von 2021 an ausgebaut werden und aus Frontex-Mitarbeitenden sowie Personal der EU-Staaten bestehen.
Ziel der Aufstockung ist es, die Aussengrenzen dermassen stark zu kontrollieren, dass die derzeitigen Kontrollen an den EU-Binnengrenzen überflüssig werden. Wer drinnen ist, darf sich also frei bewegen, wer draussen ist, wird es in Zukunft noch schwieriger haben, in die EU zu kommen.
https://derstandard.at/2000100382315/Frontex-soll-in-zehn-Jahren-ueber-10-000-Grenzschuetzer-verfuegen

Widerstand gegen Verschleppung in libysche Lager
Diese Woche haben 108 Geflüchtete gegen ihre Verschleppung zurück nach Libyen Widerstand geleistet. Nachdem sie im Mittelmeer in Seenot gerieten, sollten sie von einem türkischen Öltanker, der sich in der Nähe befand, zurück nach Libyen gebracht werden. Kurz vor der libyschen Küste machte der Tanker aber kehrt und war plötzlich nicht mehr in Richutng Libyen sondern in Richtung Italien unterwegs. Wie es den 108 Geflüchteten 6 Seemeilen vor Tripolis gelungen ist, dass der Öltanker umdrehte, ist noch unklar. Der Tanker mit den Geflüchteten fuhr dann unter militärischer Begleitung nach Malta. Da die sogenannte libysche Küstenwache vor, während und nach der Rettung gerade „out of service“ war, erfolgte die Anweisung des Push-Back’s sehrwahrscheinlich direkt von der EU-Luftüberwachung (wahrscheinlich handelte es sich um ein Militärflugzeug der europäischen Operation „Sophia“). Abgesehen davon, dass ein derartiges Refoulement zurück in die libyschen Lager äusserst brutal und verachtend ist, ist es auch ausdrücklich verboten.
https://ffm-online.org/aufruf-sicherer-hafen-fuer-die-120-boat-people-auf-der-flucht/
https://www.jungewelt.de/artikel/352141.migranten-kapern-handelsschiff-im-mittelmeer.html
https://ffm-online.org/sterbenlassen-oder-refoulement-eu-marineflugzeug-bitte-melden/
https://www.theguardian.com/world/2019/mar/28/ship-hijacked-by-migrants-off-libya-escorted-to-malta

22. März 2019
Drei Jahre dreckiger EU-Türkei-Deal
Vergangenen Mittwoch (20.3.2019) waren es 3 Jahre her, seit der dreckige Deal der EU mit der Türkei in Kraft ist. Am 4. April 2016 wurden erstmals Migrant*innen von Griechenland zurück in die Türkei gebracht. Der Deal fordert, dass die Türkei die Grenzen zu den griechieschen Inseln dicht macht, im Gegenzug erhält sie von der EU sechs Milliarden Euro. Der Deal hat vorallem dazu geführt, dass tausende Migrant*innen seither auf den griechischen Inseln Lesbos, Samos und Chios blockiert sind. In der Ägäis herrscht ein permanenter Ausnahmezustand und die drei Inseln sind zu Freiluftgefängnissen für tausende Schutzsuchende geworden. Die Lager auf diesen Inseln — Moria auf Lesbos, Vathy auf Samos oder VIAL auf Chios — sind überfüllt und es herrschen unmenschliche und gesundheitsschädigende Zustände in ihnen. In Moria zum Beispiel sind zur Zeit 5’225 Menschen untergebracht, obwohl das Lager nur für 3’100 Menschen Platz hätte. Am schlimmsten sind die Zustände in Vathy auf Samos, wo zur Zeit 4,112 Leute untergebracht sind, obwohl das Lager nur für 648 Leute vorgesehen ist. Eine weitere Konsequenz des EU-Türkei-Deals ist, dass Menschen wieder die grüne Grenze nach Griechenland zu überqueren versuchen. Dabei überqueren viele den Grenzfluss Evros, wo sie von griechischen Polizist*innen verprügelt, ausgeraubt und zurück in die Türkei gebracht werden. Diesen Winter gab es mehrere Berichte von Menschen, die beim Versuch, den Evros zu überqueren, erfroren sind. Der dreckige Deal der EU mit der Türkei ist eines von vielen Anzeichen für das Versagen der europäischen Politiker*innen.

16. Februar 2019
Schweizer Staat übernimmt verschärfte Einreisekontrollen in den Schengenraum und Frontex wird ausgebaut
Die offizielle schweiz will neue EU-Regeln zum Grenzschutz und zur inneren Sicherheit übernehmen. Der Bundesrat hat am Mittwoch mehrere Gesetzesänderungen in die Vernehmlassung geschickt. Unter anderem geht es um mehr präventive Kontrolle bei der Einreise in den Schengen-Raum. Dazu soll sich die Schweiz künftig am europäischen Reiseinformations- und Genehmigungssystem (Etias) beteiligen. Es handelt sich um ein automatisiertes System zur Ermittlung von „Risiken im Zusammenhang mit der Einreise von nicht visumspflichtigen Drittstaaten-Angehörigen in den Schengen-Raum“. Diese müssen sich vor der Reise bei Etias registrieren. Abgefragt wird unter anderem der persönliche Hintergrund, zum Beispiel zu Strafregistereinträgen oder Aufenthalten in Kriegsgebieten. Das System speichert auch die IP-Adresse, von der aus das Gesuch eingereicht wurde.
Die anschliessende Prüfung erfolgt automatisiert, indem die Angaben mit anderen Datenbanken abgeglichen werden. Der Abgleich dient dazu, die Personen herauszusuchen, die eine „Gefährdung für die Sicherheit und die öffentliche Gesundheit im Schengen-Raum“ oder ein „Migrationsrisiko“ darstellen, wie es im Bericht zur Vorlage heisst. Fällt die Prüfung positiv aus, wird eine Reisegenehmigung ausgestellt. Ohne diese ist eine Einreise in den Schengen-Raum nicht möglich. Eine Genehmigung kann auch bedingt ausgestellt werden, so dass die Grenzkontrollbehörden an der Grenze eine vertiefte Prüfung vornehmen können.
Eine weitere Vorlage, die der Bundesrat in die Vernehmlassung geschickt hat, betrifft die Weiterentwicklung des Schengener Informationssystems (SIS). Neu werden alle Behörden verpflichtet, Personen zur verdeckten Fahndung auszuschreiben, die der Beteiligung an terroristischen Aktivitäten verdächtigt werden. Diese Möglichkeit besteht bereits heute, ist jedoch freiwillig. Sie wird von den Mitgliedstaaten seit 2015 immer reger genutzt. In Zukunft werden alle Personen, die als potenzielle terroristische Gefahr eingestuft werden, im SIS sichtbar sein. Mehr infos zum SIS gibts hier: https://antira.org/2018/09/20/schengen-fahndungen-werden-ausgeweitet/
Gleichzeitig wird die Grenzwachtagentur Frontex stark ausgebaut. Frontex wurde 2004 gegründet, um den „integrierten Schutz“ der Außengrenzen zu verbessern. Vor zwei Jahren wurde Frontex zu der Europäischen Grenz- und Küstenschutzagentur ausgebaut, die sie heute ist. Neu soll das standing corps auf 10’000 Stellen ausgebaut werden (siehe dazu https://antira.org/2018/11/12/frontex-wird-grenzpolizei/)
https://www.ejpd.admin.ch/ejpd/de/home/aktuell/news/2019/2019-02-13.html
https://www.20min.ch/schweiz/news/story/Schweiz-soll-Einreise-strenger-ueberwachen-10262320

9. Februar 2019
Frontex patrouilliert fortan verstärkt in Montenegro
Mevludin Nuhodžić, der Innenminister von Montenegro und Dimitris Avramopoulos, der EU-Kommissar für Migration und Inneres, einigten sich diese Woche über ein neues Abkommen. Dieses verstärkt die Zusammenarbeit zwischen Montenegro und der europäischen Grenz- und Küstenschutzagentur Frontex. Die Frontex erhält mehr Macht, um im Staatsgebiet von Montenegro aktiv zu werden und darf mit mehr Einsatzkräften vor Ort präsent sein. Nach Albanien (Oktober 2018), Mazedonien (Juli 2018), Serbien (September 2018) und Bosnien und Herzegowina (Januar 2019) handelt es sich um das fünfte Grenzgewaltabkommen mit einem westlichen Balkanstaat.
http://europa.eu/rapid/press-release_IP-19-851_en.htm?utm_source=ECRE+Newsletters&utm_campaign=ad23e4c1d8-EMAIL_CAMPAIGN_2019_02_06_01_00&utm_medium=email&utm_term=0_3ec9497afd-ad23e4c1d8-422315889
http://europa.eu/rapid/press-release_IP-18-6004_en.htm
http://europa.eu/rapid/press-release_IP-18-4567_en.htm
http://europa.eu/rapid/press-release_IP-18-5835_en.htm
https://ec.europa.eu/home-affairs/news/european-border-coast-guard-agreement-operational-cooperation-reached-bosnia-herzegovina_en

Künstliche Intelligenz: Fragwürdiger Lügendetektor soll EU-Grenzen schützen
Die EU bezahlt die Entwicklung eines KI-Lügendetektors für den Einsatz an der Grenze. Doch dem System fehlt jede wissenschaftliche Grundlage, und es ist technisch unausgegoren. Obwohl es eine völlig wirre Idee ist, mit Sicherheit Lüge und Wahrheit vom Gesicht eines Menschen „abzulesen“, will die EU ein solches automatisiertes System einführen. Dieses «Automatic Deception Detection System» ist Teil eines Projekts mit dem Namen iBorderCtrl. Im Rahmen dieses Projekts werden verschiedene Technologien zur verschärften Kontrolle von Menschen, die aus sogenannten „Drittstaaten“ über die Landesgrenzen in die EU einreisen wollen, erprobt. Dazu gehören unter anderem Computerprogramme zur biometrischen Gesichtsmodellierung, zur Erfassung von Fingerabdrücken und Handflächenvenen und zur Verifizierung von Dokumenten – und eben zur automatischen Erkennung von Menschen mit unlauteren Absichten durch den KI-Lügendetektor. Vereinfacht gesagt, geben all diese Systeme verschiedene Risikowerte aus, die dann abschliessend zu einem einzigen Wert zusammengerechnet werden, welchen der*die Grenzbeamt*in sieht. Hat ein*e Passagier*in einen niedrigen Risikowert, wird er oder sie durchgewunken. Bei einem hohen Wert schlägt das System Alarm: Diese Person sollten Grenzschützer*innen besser noch einmal genauer kontrollieren, durchsuchen oder vernehmen.
https://www.blick.ch/life/wissen/technik/kuenstliche-intelligenz-fragwuerdiger-luegendetektor-soll-eu-grenzen-schuetzen-id15147160.html

20. Januar 2019
Pushbacks in verschiedenen Grenzregionen
Zur Zeit häufen sich Berichte von Geflüchteten, die aus verschiedenen Grenzregionen erzählen, ohne Verfahren zurück über die Grenze geschafft worden zu sein. Diese Taktik, meistens von Polizei- oder Grenzbeamt*innen ausgeführt, nennt sich „Pushback“. Pushbacks sind sehr gefährlich, denn immer wieder drohen Menschen dabei zu erfrieren und sie verstösst auch gegen internationales Recht.
An der türkisch-griechischen Grenze berichten Geflüchtete davon, in Griechenland von vermummten Männern aufgegriffen, ausgeraubt und verprügelt worden zu sein und schliesslich halbnackt wieder über den Grenzfluss Evros in die Türkei gebracht worden zu sein. Anfang Dezember wurden vier Tote auf der türkischen Seite gefunden, die vermutlich erfroren sind. Die Pushbacks an der türkisch-griechischen Grenze sind eine direkte Folge des dreckigen EU-Abkommens mit der Türkei. Denn für die Milliarden, welche die türkische Regierung von der EU erhielt, versprach sie, die Fluchtrouten zu den griechischen Inseln Lesbos und Chios stärker zu kontrollieren. Viele Geflüchtete versuchen deshalb nun über die teils schwer zu überwachende grüne Grenze nach Griechenland weiterzureisen. Die Pushbacks von Griechenland in die Türkei sind aber keine Einzelfälle: Die Türkei selber schiebt je länger je mehr Menschen wieder nach Syrien zurück. Zudem erzählen Geflüchtete davon, von Kroatien zurück nach Bosnien geschafft worden zu sein. Und Personen, die es bereits durch Kroatien geschafft hatten, berichten davon, von der slovenischen Polizei nach Kroatien zurückgeschafft worden zu sein. Dieses absurde Spiel zeigt, was für tragische Konsequenzen diese rassistische europäische Abschottung mit sich bringt.
https://bazonline.ch/ausland/europa…
http://www.spiegel.de/politik/ausla…
https://rabe.ch/2019/01/16/solidari…
http://www.infomigrants.net/en/post…

6. Januar 2019
Software zur Beurteilung von Asylanträgen
Im EU-Raum kommen seit einiger Zeit vermehrt Softwares und künstliche Intelligenz bei Asylentscheiden und Grenzkontrollen zum Einsatz. Bereits letzte Woche berichteten wir über den Einsatz von Softwares zur Beurteilung von Asylanträgen in Deutschland (Link: https://antira.org/2018/12/30/antira-wochenschau-mit-zwang-zur-integration-mit-algorithmen-zum-asylentscheid-mit-musik-zum-mordaufruf/). Oder über das EU-Pilotprogramm «iBorderControl», in dem die EU den Einsatz von Lügendetektoren als «künstliche Grenzbeamte» testet und Einreisende durch ein KI-System befragen lässt (Link: https://antira.org/2018/11/02/faschismus-in-brasilien-anti-semitismus-in-der-usa-ausschaffungsknast-in-preles/).
Ein Vortrag von Anna Biselli am 35. Chaos Communication Congress in Leipzig gibt nun einen detaillierteren Einblick in den Softwareeinsatz beim „Bundesamts für Migration und Flüchtlinge“ (BAMF) in Deutschland. Laut Biselli stützen sich Asylentscheide zunehmend auf von Computerprogrammen erstellten Analysen. Brisant daran ist unter anderem, dass diese Systeme enorm hohe Fehlerquoten aufweisen. Beispielsweise analysiert eine Software, ob ein Name »plausibel« ist. Bei Namen aus den Maghreb-Staaten liegt die Fehlerquote bei 35 Prozent. Die Software soll zudem erkennen können, welcher arabische Dialekt gesprochen wird. Dabei unterscheidet das Programm jedoch nur fünf Dialektgruppen, obwohl es viel mehr gibt. Auch können Sprachproben völlig falsch gedeutet werden. In einem Fall wurde bei einer Aufnahme Kurdisch als Türkisch oder Hebräisch klassifiziert, was zur Ablehnung des Asylantrages geführt habe. Oder der Antrag auf Asyl einer Syrerin wurde abgelehnt, da sie der Computer anhand von Sprachproben dem Herkunftsland Ägypten zuordnete. Insgesamt liege das System laut Biselli bei jedem fünften bis sechsten Fall falsch.
Auch Smartphones sind vor dem Zugriff der Behörden nicht sicher. Wer kein Ausweisdokument vorlegen kann, muss das Handy durchsuchen lassen. Die vom BAMF eingesetzte Analysesoftware durchforstet den Anrufverlauf, das Adressbuch, Nachrichten, Geodaten, den Internetverkehr sowie Benutzer*innenkonten. Daraus sollen die Fluchtgeschichte und Herkunft ermittelt werden. Diesem krassen Eingriff in die Privatsphäre steht ein minimaler „Erfolg“ gegenüber: Lediglich 35 Prozent der Handy-Auswertungen wurden vom BAMF als brauchbar bewertet und gerade mal zwei Prozent haben Widersprüche bei Angaben der Antragsteller*innen aufgedeckt. Auch in der schweiz wurde erst kürzlich beschlossen, dass Handys und Laptops von Geflüchteten konfisziert werden dürfen, um deren Daten auszuwerten.
https://www.jungewelt.de/artikel/346438.35-chaos-communication-congress-wenn-it-%C3%BCber-asyl-urteilt.html

30. Dezember 2018
Europa leistet sich ein teures Abschottungsregime
Um illegalisierte Migration zu bekämpfen, fliessen 2,4 Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt und dem Europäischen Entwicklungsfonds an den EU-Treuhandfonds für Afrika. Dieses Geld erhalten hauptsächlich Staaten wie Niger, Marokko oder Libyen, weil sie bei der Abschottung aktiv mitmachen, indem sie mit brutalsten Mitteln Menschen an ihrer Reise Richtung Europa hindern. Zudem sollen künftig auch die Ausgaben für die Grenzgewalt an der EU-Aussengrenze von aktuell 13 auf fast 35 Milliarden Euro verdreifacht werden. Allein die gemeinsame Grenzschutz-Agentur EBCA, früher Frontex, soll ihren Personalbestand zwischen 2021 und 2027 von tausend auf 10.000 Grenzbeamt*innen verzehnfachen.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1108885.festung-europa-der-preis-der-abschottung.html

21. Dezember 2018
Marokko erhält 148 Mio. Euro um die Grenzen dicht zu machen
Vergangenen Freitag hat die EU-Bürokratie bekanntgemacht, dass sie den marokkanischen Behörden aus dem EU-Treuhandfonds Afrika für das Jahr 2018 148 Mio in den A… schieben wollen, um die EU-Aussengrenzen dicht zu machen. Konkret fliesst das Geld für das Abfangen von Geflüchteten auf dem Weg nach Spanien, für die Bewachung der EU-Zäune von Ceuta und Melilla sowie für die Razzien und Abschiebungen von Transitgeflüchteten.
In einer kurz darauffolgenden Mitteilung protestierte jedoch das spanische Staatssekretariat für Migration im Namen Marokkos, dass bisher keine Gelder von der EU an die marokkanischen Behörden geflossen sind und dass sich auch die EU-Bürokratie an ihren Teil der Abmachung halten müsse. Offensichtlich fürchten sich die spanischen Behörden davor, die marokkanische Regierung könnte in Zukunft ihre Versprechen nicht erfüllen, sollte die EU nicht zahlen. Die spanischen und marokkanischen Behörden „teilen“ sich seit über 15 Jahren die Geflüchteten im Westlichen Mittelmeer: Spanien „rettet“ ca. 50 Prozent, Marokko fängt ca. 50 Prozent der Geflüchteten ab. Die spanische Regierung verweist vergleichsweise auf den schmutzigen EU-Türkei-Deal, der vorsieht, dass das Erdoganregime für ähnliche Grenzwartarbeiten satte 3 Mrd. Euro erhält.
https://ffm-online.org/marokko-erhaelt-von-eu-148-mio-euro-in-2018/
https://ffm-online.org/marokko-laesst-protestieren-eu-abschottungsgelder-nicht-angekommen

13. Juli 2018
Im ersten Halbjahr 2018 hat Frontex 6400 geflüchtete Migrant*innen gewaltsam in Länder ausserhalb der Festung Europa verschleppt.
Dafür ist sie 165 Sonderflüge geflogen. Im Jahr 2005 kostete der Einsatz von Frontex die Schweiz 7,4 Millionen Franken. Bis 2015 hat die Schweiz 600 Millionen Franken an die Frontex bezahlt. Die EU-Kommission will die Ausgaben für Frontex verdreifachen. Von bisher 13 Milliarden Euro werden die Ausgaben der EU auf 35 Milliarden Euro erhöht. Die Kosten der Grenzschutzagentur wurden seit der Gründung verfünfzigfacht.
https://frontex.europa.eu/media-centre/news-release/frontex-reaches-milestone-in-return-operations-CHBRdU?utm_source=ECRE+Newsletters&utm_campaign=9a710ec472-EMAIL_CAMPAIGN_2018_07_10_11_14&utm_medium=email&utm_term=0_3ec9497afd-9a710ec472-422315889

15. Dezember 2018
Frontex soll vertrauliche Sicherheitsinformationen an „libysche Küstenwache“ weitergeben
Die EU-Grenzagentur hat ihre Überwachungsfähigkeiten massiv verstärkt. Die gewonnenen Daten will sie jetzt an die sogenannte „libysche Küstenwache“ weitergeben. Behörden in Libyen sollen noch im Dezember an das europäische Überwachungssystem EUROSUR bzw. an die Teilüberwachungsstruktur „Seepferdchen Mittelmeer“ angeschlossen werden. Die Plattform vernetzt die Sicherheitsbehörden der EU-Mittelmeeranrainer Italien, Malta, Griechenland, Zypern, Frankreich, Spanien und Portugal. Die „Libysche Küstenwache“ erhielte beispielsweise die Koordinaten von Booten mit Geflüchteten, um diese nach Libyen zurückzubringen. Das ist illegal, denn EUROSUR steht ausschließlich den Mitgliedstaaten der Europäischen Union offen. Durch die Hintertür wird jetzt Libyen angeschlossen. Dieser Rechtsbruch soll in Zukunft legal werden, indem die EUROSUR-Verordnung hinsichtlich der Weitergabe von sensiblen Informationen an Drittstaaten überarbeitet wird.
https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/seepferdchen-mittelmeer-ueberwachung-grenze-libyen-europa-eurosur-eu/
https://andrej-hunko.de/presse/pressemitteilungen/4330-bevorstehender-anschluss-libyens-an-eu-ueberwachung-ist-rechtswidrig

Marokkanische Regierung als brutaler neuer „Pionier“ im Grenzregime
Marokko, der Ort an dem das Treffen um den Migrationspakt stattfand, nimmt eine immer wichtigere Rolle im Grenzregime ein. Als einziges Land mit einer Landesgrenze zwischen der EU und Afrika (bei den spanischen Exklaven Ceuta und Melilla) und einer Selbstdefinition nicht nur als «Transit-» sondern als «Zielland» wird Marokko immer mehr zum Liebling der Regierungschef*innen Europas. So hat beispielsweise Marokko seit 2006 ein Abkommen mit Spanien um gegen Geld die spanischen Grenzen zu schützen. Menschen, welche die Zäune überklettern, werden sofort nach Marokko zurückgebracht. Regierungschef Saad-Eddine el Othmanis Vision von Marokko als „Pionier“ bei Migrationsfragen nimmt aber noch andere Formen an: Marokkanisches Militär löst regelmäßig mit Razzien informelle Siedlungen von subsaharischen Migrant*innen vor Ceuta und Melilla auf, teils nimmt sie diese auch in Wohngebieten, etwa in Tanger, fest. Gängige Praxis ist es dabei, die Menschen weit in den Süden des Landes zu fahren und dann mittellos dort auszusetzen. Mehrfach ist es auch vorgekommen, dass marokkanische Sicherheitskräfte auf Migranti*nnen geschossen haben, die versuchten, nach Ceuta, Melilla oder Andalusien zu gelangen. Erst im September 2018 war dabei eine Frau getötet worden.
http://taz.de/Marokko-als-Migrationspakt-Gastgeber/!5554321/

7. Dezember 2018
Grenzgewalt: griechische Cops zwingen Migrant*innen in die Türkei zurück
Im griechisch-türkischen Grenzgebiet beim Grenzfluss Evros wurden die Leichen von drei erfrorenen Männern entdeckt. Sie wurden von der griechischen Polizei zurück in die Türkei gebracht. Immer wieder gibt es Berichte darüber, dass Geflüchtete von der griechischen Polizei (illegalerweise) gezwungen werden, zurück in die Türkei zu kehren. Vor zwei Wochen tauchten 14 halbnackte Männer in der Türkei auf, die berichteten, maskierte griechische Grenzpolizist*innen hätten ihnen ihre Oberbekleidung, Wertsachen und Handys abgenommen und sie dann unter Schlägen in die Türkei zurückgetrieben. Nach Berichten türkischer Medien, die sich offenbar auf Angaben aus Polizeikreisen stützen, sollen in diesem Jahr etwa 4000 Migrant*innen von griechischen Grenzpolizist*innen zur Rückkehr in die Türkei gezwungen worden sein. Die Türkei selber hinderte in den ersten zehn Monaten 2018 fast 60000 Migrant*innen am Grenzübertritt nach Griechenland und Bulgarien.
http://www.fr.de/politik/griechenland-drei-fluechtlinge-sterben-am-grenzfluss-evros-a-1633210

Eruopäische Abschottung fordert erneut viele Verletzte und Tote
Ein spanisches Fischerboot mit elf Geflüchteten an Bord kann endlich in Malta anlegen. Die Besatzung des Schiffs hatte am 22. November zwölf Geflüchtete von einem Schlauchboot gerettet, das aus Libyen kam. Die Regierung in Madrid versuchte anschließend ohne Erfolg, Libyen zur Rücknahme der Geflüchteten zu bewegen. Da auch Italien und Malta das Boot vorerst nicht anlegen liessen, musste das Boot zehn Tage lang nach einem aufnahmebereiten Mittelmeerhafen suchen. Die hygienischen und gesundheitlichen Bedingungen an Bord waren katastrophal. Eine Person musste wegen akuter Dehydrierung mit einem Rettungshubschrauber an Land geflogen werden.
Zwei weitere Tragödien ereigneten sich diese Woche auf den Fluchtrouten nach Europa: 15 Menschen sind im Meer vor Libyen verhungert und verdurstet. Zwölf Tage ist ihr Boot vor den Küsten Libyens herumgetrieben. Und an der Grenze zwischen Griechenland und der Türkei wurden die Leichen von drei Migrant*innen gefunden, die wahrscheinlich erfroren sind.
https://www.zeit.de/gesellschaft/2018-12/seenotrettung-spanisches-fischerboot-gefluechtete-malta-mittelmeer-open-arms
https://ffm-online.org/odyssee-der-12-migranten-am-tiefpunkt/
https://ffm-online.org/vor-libyen-12-boat-people-verhungert-und-verdurstet/

23. November 2018
Bundesrat ist für das neue Schengen-Informationssystem
Ab 2021 wird europaweit ein Informationssystem eingeführt (Entry/Exit-System, EES), das an den Schengen-Aussengrenzen die Reisedaten von nicht-europäische Menschen erfasst, die für einen Kurzaufenthalt in den Schengen-Raum ein- resp. aus diesen ausreisen. Zudem wird das System allfällige Einreiseverweigerungen enthalten. Das EES wird an den Schengen-Aussengrenzen betrieben, in der Schweiz also an den Flughäfen. Gleichzeitig sind auch automatisierte Grenzkontrollen durch den Einsatz moderner Technologien vorgesehen. Die Neuerungen tragen dazu bei, die Kontrolle an den Aussengrenzen weiter zu verstärken. Der Bundesrat findet das gut, als nächstes werden die Parlamentarier*innen auch noch was dazu sagen.
https://www.ejpd.admin.ch/ejpd/de/home/aktuell/news/2018/2018-11-21.html
https://antira.org/2018/09/20/schengen-fahndungen-werden-ausgeweitet/

Libysches Spezialkommando stürmt Migrant*innen-Boot
Libysche Sicherheitskräfte stürmten mit Tränengas und Gummischrot ein Containerschiff. Die 92 Geflüchteten an Bord weigerten sich von Bord zu gehen und bewaffenten sich mit Stangen zur Selbstverteidigung. Lieber würden sie sterben als zurück in die libyschen „Lager“ zugehen: »In libyschen Gefängnissen ist Folter und Missbrauch an der Tagesordnung. Unsere Verwandten mussten 1000 Dollar für unsere Freilassung nach Libyen schicken. Ich gehe um keinen Preis in der Welt zurück nach Libyen.«
Die Küstenwache behandelte die Flüchtenden als Entführ*innen und Pirat*innen. Dies führte dazu, dass die Zuständigkeit an Spezialkräfte überging, die das Feuer eröffneten.
https://www.heise.de/tp/features/Libyen-Spezialkommando-schiesst-auf-Migranten-4229645.html
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1106151.seenotrettung-libyer-stuermen-containerschiff.html