Aufenthaltsrechte EU

29.06.20
«Operation Sillath» gegen Flucht über den Ärmelkanal
Unter dem Namen «Operation Sillath» will England Migrant*innen im Ärmelkanal abfangen und nach Frankreich zurückführen. Diese Abschottungsmission wird vom britischen «Home Office» (Innenministerium) nach Dublin-Konvention legitimiert. Als Begründung für die «Operation Sillath» gilt wohl die steigende Zahl in England ankommender Migrant*innen, welche in Frankreich in Booten und Kanus starten. 681 Personen erreichten laut britischen Medien im Mai von Nordfrankreich aus die englische Südostküste. Am 8. Mai waren es 145 – so viele wie noch nie an einem einzigen Tag. 1.336 sind es seit Beginn des Lockdowns und 1.715 im gesamten Jahr 2020. Im Vergleich dazu: 1.892 Personen sind im Gesamtjahr 2019 von Nordfrankreich nach England über den Ärmelkanal gefahren. Die Anwaltskanzlei Duncan Lewis arbeitet derzeit an einem Anfechtungsverfahren gegen die Operation und die Rückführungsmassnahmen. Denn obwohl ihre Fingerabdrücke oft nicht in der europaweiten Datenbank Eurodac gefunden wurden und es keine eindeutigen Beweise dafür gibt, dass sie sich längere Zeit in Frankreich aufgehalten oder dort Asyl beantragt haben, werden Migrant*innen zurück nach Frankreich gebracht.
https://ffm-online.org/channel-crossings-kleine-boote-grosse-bedrohung/?fbclid=IwAR1KIP8MUIugo6MUNfXjm32pAxqVzAh0uXNIBkuxj2FeIUHqqAAIuA_fpQU
https://www.theguardian.com/world/2020/may/21/home-office-deporting-migrants-who-cross-channel-in-small-boats

08.06.20
Massive Verschärfung der Einreiseregeln in den Schengen-Raum In den nächsten Jahren werden sich die digitalen Grenzkontrollen an den Schengen-Aussengrenzen massiv verschärfen. Dies geschieht vor allem dadurch, dass Grenz- und Polizeibehörden in Zukunft mit einem einzigen Klick Zugriff auf zahlreiche detaillierte Informationen zu einer Person verschaffen können, da europäische Grenzbehörden verschiedene Erfassungs- und Informationssysteme zusammenführen. Hinzu kommt die Pflicht einer Einreisebewilligung, auch für Personen aus visabefreiten Drittstaaten. Anhand des Antrags für eine Einreisebewilligung kann bspw. überprüft werden, ob die Person ein «Migrationsrisiko» darstellt und entsprechend keine Einreisebewilligung erteilt. Zudem wird erschwert, nach Ablauf der Visa-Frist unbemerkt im Schengen-Raum zu verweilen, da den Polizeibehörden durch das neue System automatisch gemeldet wird, wenn ein Visa abgelaufen ist, die Person aber nicht ausgereist ist.Vordergründig geht es bei der offiziellen Kommunikation des neuen schengener Informationssystems natürlich um Terrorismusbekämpfung. Wer sich aber die weiteren Punkte des Dossiers anschaut, wird vor allem Bestimmungen und Verschärfungen des Migrationsmanagements und der Migrationskontrolle finden. Diese wurden bereits in der antira-Wochenschau vom 13. Oktober 2019 (https://antira.org/2019/10/13/tuerkischer-staat-greift-rojava-an-neonazi-greift-synagoge-an-greta-greift-sem-an/), 07. September 2019 https://antira.org/2019/09/07/antira-wochenschau-mehr-geld-fuer-private-sicherheitsfirmen-hungerstreik-gegen-abschiebung-praeventivhaft-in-bayern/), 22. April 2019 (https://antira.org/2019/04/22/antira-wochenschau-krieg-in-libyen-verschaerfung-in-deutschland-gestank-in-taegerwil/) und 16. Februar 2019 (https://antira.org/2019/02/16/antira-wochenschau-betverbote-gegen-musliminnen-schlechte-rechtsvertretung-im-asyllager-antisemitismus-auf-dem-vormarsch/) zusammengefasst. Als Schengenstaat beteiligt sich auch die Schweiz an der Schaffung des neuen Informationssystems. Hierfür müssen gewisse nationale Gesetze, wie das Ausländer- und Integrationsgesetz angepasst werden, weshalb die Vorlage nun vom Bundesrat in die Vernehmlassung geschickt wurde. Wie nicht anders zu erwarten, hat der Ständerat den Überwachungsplänen letzte Woche zugestimmt. Als nächstes wird nun der Nationalrat darüber debattieren.
https://www.parlament.ch/de/services/news/Seiten/2020/20200602173000827194158159041_bsd184.aspx

18.05.20
Italien legalisiert temporär bis zu 600.000 Migrant*innen

Die Corona-Krise in Italien führt zu bisher schwer vorstellbaren Massnahmen: Die italienische Regierung hat sich geeinigt, bis zu 600.000 Sans-Papiers, die vor allem in der Landwirtschaft und als Haushaltshilfen arbeiten, zu legalisieren. Temporär und zugunsten der Wirtschaft versteht sich. 200.000 Arbeitskräfte fehlen aufgrund der geschlossenen Grenzen allein in der Landwirtschaft. Entsprechend der Länge einer Erntesaison sollen die Aufenthaltsbewilligungen so auch auf sechs Monate begrenzt werden. Voraussetzungen für die Legalisierung sind eine Registrierung in Italien vor dem 8. März mit Foto und ein Arbeitsvertrag. Da kommt die Frage auf, wie die Arbeitgeber*innen nun vorgehen können, da das Anmelden der Beschäftigten auch ein direktes Zugeständnis bisheriger illegalisierter Beschäftigung ist. Hier wurde ein pauschaler Straferlass gegen die Zahlung von 400 Euro an die Pensionskasse und eine Bearbeitungsgebühr von 160 Euro beschlossen. Die Bedingungen in der italienischen Landwirtschaft sind allgemein bekannt. Menschen ohne Papiere und damit meist praktisch ohne Rechte werden behandelt wie Sklav*innen. Sie bekommen tiefste Löhne und leben häufig in Baracken oder Hütten ohne Wasser und Strom. Wie so oft sind aber auch diesmal Forderungen nach besseren Lebensbedingungen für Geflüchtete und Arbeitsmigrant*innen nur in der nationalstaatlichen Logik zum Schutz der „eigenen“ Bevölkerung und der Wirtschaft mehrheitsfähig.
https://www.derstandard.at/story/2000117294330/italien-will-bis-zu-600-000-illegale-migranten-legalisierenhttps://www.tagesanzeiger.ch/italiens-pasionaria-bestellt-die-felder-443690458532https://www.sueddeutsche.de/politik/italien-migranten-schwarzarbeiter-saisonarbeiter-legalisierung-coronavirus-1.4906470

 

13.04.20
Weiterhin keine Asylverfahren in Griechenland
Die europäischen Aussengrenzen sind fast immer Orte brutalster Gewalt. Letzten Monat nahm die Gewalt an der türkisch-griechischen Grenze nochmals neue Dimensionen ein. Nachdem Erdogan Geflüchtete als Spielball seiner EU-Politik an die griechische Grenze schickte, gingen griechische Grenzschutzbehörden mit massivster Gewalt gegen diese vor. Recherchen mehrerer NGOs belegen erstmals zwei Todesopfer, wobei die tatsächliche Anzahl der Toten weit höher sein dürfte. Beide Ermordeten wurden von Grenzpolizist*innen erschossen. Unterstützt wurden die griechischen Grenzschutzbehörden während dieser Zeit vermehrt auch von der europäischen Grenzschutzagentur Frontex. Nachdem die Menschen auf der Flucht meist unter Anwendung extremster Gewalt festgenommen werden, werden sie in Haftlager gesteckt, wo ihnen sämtliche Dinge, die sie besitzen, geklaut werden. Allein auf Lesbos wurden 500 Menschen, darunter 200 Kinder, inhaftiert. Ein Teil der Menschen wurde dann zum Grenzfluss Evros gefahren, in schwimmende Zelte gesetzt und ohne Gewährung eines Asylverfahrens zurück in türkische Hoheitsgewässer geschoben. Der andere Teil der Menschen wurde in Internierungslager auf dem griechischen Festland verlegt und wird jetzt nach und nach abgeschoben. Ebenfalls ohne Gewährung eines Asylverfahrens. Die Aussetzung des Asylrechts als Reaktion auf die ankommenden Geflüchteten aus der Türkei galt vom 1. bis zum 31. März und ist nun offiziell beendet. Ersetzt wurde es durch eine allgemeine Aussetzung des griechischen Asylsystems aufgrund von Corona. Auch im Moment gibt es also in Griechenland keine Chance auf Asyl.
Auch ein Grossteil der Menschen, die es nicht nach Griechenland schafften und sich noch im türkisch-griechischen Grenzgebiet aufhielten, befindet sich nun in Haft. Ein Betroffener berichtet, dass sich am 26. März türkische Hilfsorganisationen und Medien aus dem Grenzgebiet zurückgezogen hätten. Kurz darauf seien türkische Sicherheitskräfte mit Tränengas angerückt. Sie hätten die Zelte in Brand gesetzt und die Menschen in Busse gezwungen. In mindestens acht Lagern sollen die Menschen nun inhaftiert sein, die Hälfte in dem Camp in Malatya. Die Bedingungen in dem Lager seien unerträglich, berichtet ein Betroffener. „Türkische Soldaten bewachen uns die ganze Zeit und an jedem Container hängt eine Videokamera. Wir sitzen hier und haben nichts zu tun.“ Es gibt keine medizinische Versorgung, zu wenig Essen, nicht einmal ihre Handys durften die Menschen offenbar behalten. Offizieller Grund für die Inhaftierung ist Corona-Quarantäne.
Völkerrechtler*innen haben nun die Aussetzung des Aslyrechts auf seine Rechtmässigkeit überprüft. Uns ist es egal, ob die Aussetzung rechtens war oder nicht, brutal und menschenverachtend war sie sowieso. Doch da es manchmal doch noch nützlich sein kann, den rechtlichen Rahmen staatlichen Handelns zu kennen, hier ihre Analyse: Griechenland hatmit der Aussetzung des Asylrechts sowie mit gewaltsamen Abschiebungen einerseits internationales und andererseits europäisches Recht gebrochen. Die griechische Regierung hatte sich auf den Artikel 78 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU berufen. Dieser besagt, dass der Europäische Rat Massnahmen zugunsten eines Mitgliedstaats beschliessen kann, sollte dieser „aufgrund eines plötzlichen Zustroms von Drittstaatsangehörigen in einer Notlage“ sein. Die Klausel erlaube es einem Mitgliedstaat aber nicht, im Alleingang Massnahmen zu ergreifen, sondern die Europäische Kommission muss eine Massnahme vorschlagen, das Parlament darüber beraten und der Rat das Vorgehen beschliessen. Auch die Push-Backs sind illegal, sie verstossen gegen das Non-Refoulement-Prinzip, welches vorschreibt, dass jede Person ein Recht auf ein individuelles Asylverfahren hat.
https://www.spiegel.de/politik/ausland/fluechtlinge-in-der-tuerkei-die-welt-hat-euch-vergessen-a-6645fb3c-e13b-49fa-94b7-5735d321bba6?
sara_ecid=soci_upd_KsBF0AFjflf0DZCxpPYDCQgO1dEMph

https://www.spiegel.de/politik/ausland/griechenland-aussetzung-des-asylrechts-war-laut-gutachten-illegal-a-2f6cb548-8333-4283-ae54-526e0f255df0
https://www.amnesty.ch/de/laender/europa-zentralasien/griechenland/dok/2020/brutale-gewalt-und-schwere-menschenrechtsverletzungen-an-der-griechisch-tuerkischen-grenze

06.04.20
Erste Hilfe für (illegalisierte) Migrant*innen in Portugal und Zürich
„Die Menschen sollen nicht ihres Rechts auf Gesundheit und öffentlichen Dienst beraubt werden, nur weil ihr Antrag auf eine Aufenthaltsbewilligung noch nicht bearbeitet wurde. (…) In diesen aussergewöhnlichen Zeiten müssen die Rechte der Einwanderer garantiert werden.“ Nein, dieses Zitat stammt schon nicht vom Bundesrat, sondern von Claudia Veloso, der Sprecherin des portugisieschen Innenministeriums. Dieses entschied vor einer Woche, dass (geflüchtete) Migrant*innen, die auf eine Aufenthaltsbewilligung warten, alle eine Bleiberecht erhalten sollen, um sich besser vor Covid-19 schützen zu können. Alle, die ein hängiges Regularisierungsgesuch vorweisen können, sollen nun auch Zugang zu den Anti-Coronahilfsmassnahmen für die Bevölkerung haben. D.h. häusliche Pflege bei Symptomen, Kinderbetreuungshilfe oder finanzielle Hilfen. In der Schweiz zeigen die Behörden mehr rassistische Härte gegenüber Migrant*innen. Während z.B. die linken Stadtregierungen in Bern oder Basel zuwarten, dass Sans-Papiers finanziell untergehen, erinnert sch die städtische Exekutive in Zürich scheinbar an ihren eigenen Grundsatz der Gleichbehandung oder einfach daran, dass Nothilfe ein Verfassungsrecht ist. Das Sozialdepartement sagt gegenüber dem Tagesanzeiger, wie es Sans-Papiers unterstützen will: «Die Stadt Zürich stellt in der aktuellen Krisensituation die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung, um für Sans-Papiers, die ihren Lebensmittelpunkt in Zürich haben, finanzielle Nothilfe sowie Zugang zu notwendiger medizinischer Versorgung sicherzustellen.» Das Geld «in dem Umfang, den es jetzt in der Krise braucht, um diese Menschen im akuten Notfall angemessen zu unterstützen» wird über die lokale Anlaufstelle für Sans-Papiers an illegalisierte Menschen verteilt.
http://www.rfi.fr/fr/europe/20200329-coronavirus-portugal-regularisation-immigres-migrants-protection-etrangers?fbclid=IwAR1hBcmmxT6a0jCv_6NG1SE04r0YGETrNJAl4J12dSsEJctfE-rj2DJjC1I
https://www.tagesanzeiger.ch/ich-weiss-nicht-was-ich-tun-soll-484532676750

https://www.bernerzeitung.ch/seit-15-jahren-werden-hier-die-fragen-der-sans-papiers-gehoert-318564610775
https://www.bazonline.ch/wem-in-basel-wegen-corona-der-hunger-droht-95016

23.03.20
500 Geflüchtete ohne Asylverfahren von Griechenland abgewiesen
Zehn Tage lang hielten die griechischen Behörden 500 Geflüchtete auf engstem Raum im Inneren eines Marineschiffs fest. Dieses lag im Hafen von Mytilini auf Lesbos. Nun wurden sie aufs griechische Festland gebracht. In ein geschlossenes Lager, ohne die Möglichkeit, ein Asylgesuch zu stellen, in Angst vor der Abschiebung zurück in die Türkei. Laut der Polizeidirektion von Lesbos stehen die Personen auf einer Liste von „unerwünschten Migranten“. Das passt zum Beschluss der rechten Regierung. Diese hatte beschlossen, Menschen, die nach dem ersten März in Griechenland ankamen, kein Asylverfahren mehr zu gewähren. Die NGO Pro Asyl kritisierte das „skandalöse Schweigen der EU-Innenminister zum Rechtsbruch in Griechenland“ und bezeichnet es als „menschenrechtlicher Dammbruch“. Das Schweigen geht weiter.
https://www.migazin.de/2020/03/16/griechenland-und-malta-schieben-ab-ohne-asylverfahren/
https://www.dw.com/de/auf-lesbos-festgehaltene-migranten-auf-festland-gebracht/a-52781258
https://www.derstandard.at/story/2000115495141/die-griechische-insel-der-schutzlosen-und-entrechteten
https://www.welt.de/politik/plus206558181/Migranten-auf-Lesbos-Gefangen-im-Hafen-der-Hoffnung-und-der-Angst.html?wtrid=onsite.onsitesearch

2. Februar 2019
Den Haag: Bleiberecht nach 100 Tagen Non-Stop-Gottesdienst

Nach knapp 100 Tagen Dauergottesdienst konnte in Den Haag eine Lösung für eine armenische Familie erkämpft werden. Die Familie hatte im Oktober Kirchenasyl erhalten. Um die Abschiebung zu verhindern, wurde eine gesetzliche Regelung genutzt. Diese untersagt es den Cops Kirchen während eines Gottesdienstes zu betreten. Das Krichenasyl war nur möglich, weil hunderte Pfarrer zum Dauergottesdienst beitrugen. Dieser endete am Mittwoch mit einem Erfolg. Nicht nur die Familie, sondern rund 600 Minderjährige und ihre Familien dürfen in den Niederlanden bleiben obwohl ihr Asylantrag abgewiesen wurde. Voraussetzung ist, dass die Kinder in den Niederlanden aufgewachsen sind. Nebst dem Druck war das Argument des Kindeswohls ein wichtiges bürgerliche Strategie für den Durchbruch.
https://www.dw.com/de/dauergottesdienst-f%C3%BCr-fl%C3%BCchtlingsfamilie-beendet/a-47300038

27. Januar 2019
Rom schliesst erstes Lager für Geflüchtete
Trotz heftigen Protesten seitens der Anwohner*innen hat Italiens Regierung diese Woche mit der Deportation von (geflüchteten) Migrant*innen aus dem Lager bei Castelnuovo di Porto begonnen. Als Gründe werden Probleme mit Drogenkriminalität und Sexarbeit in den Vororten vorgeschoben. Probleme, die auf die günstigen strukturellen Bedingungen auf Autobahnraststätten zurückzuführen sind und seit jeher existieren. Doch sagt der in Uniform erscheinende Salvini im gleichen Interview, dass sich durch die Schliessung aller grossen Lager und einer Deportation in kleinere bis zu acht Millionen Euro sparen liessen.
Die Zukunft der 500 Betroffenen ist ungewiss, da nur die Minderheit über einen sogenannten „offiziell anerkannten Status“ verfügt und ohne Rücksicht auf laufende Ausbildungen und soziale Beziehungen in den Gemeinden auf andere Lager umverteilt wird. Noch schlimmer trifft es die Mehrheit der Geflüchteten, welche nur über eine „humanitäre Aufenthaltsbewilligung“ verfügt und die, gelinde gesagt, sich selbst und der Obdachlosigkeit überlassen werden. Massnahmen, welche die Lebensbedingungen der Betroffenen erschweren und sie gezielt in die Kriminalität abdrängen sollenn. Ganz nach dem Willen Salvinis.
https://www.nzz.ch/international/italien-salvini-produziert-obdachlose-ld.1454268
https://www.srf.ch/play/radio/popupaudioplayer?id=f58e6cd4-902f-4ece-b18c-7586a7b3fdfe

Deutschland weiter auf Abschottungskurs
Die deutsche Regierung lässt keine Möglichkeit ungenutzt, sich noch stärker gegenüber Geflüchteten abzuschotten. Einerseits will sie sich aus der EU-Mission Sophia im Mittelmeer zurückziehen. Die deutsche Marine wird nach Ablauf des Mandats Anfang Februar 2019 kein neues Schiff zur EU-Mission vor der libyschen Küste schicken, sondern sich statt dessen lieber an Nato-Manövern in der Nordsee beteiligen. Obwohl die Sophia-Mission grundsätzlich zum Ziel hat, gegen „Schlepperbanden“ vorzugehen, den Mittelmeerraum zu überwachen und die libysche „Küstenwache“ auszubilden, wäre deren Wegfall trotzdem nicht nur positiv zu beurteilen. Denn im internationalen Seerecht ist die Pflicht zur Seenotrettung festgehalten, was auch für die Sophia-Mission gilt. Da die Seenotrettung im Mittelmeer momentan sozusagen inexistent ist (unter anderem aufgrund der Kriminalisierung ziviler Seenotrettung), wurde die Sophia-Mission zu einer wichtigen Rettungsakteurin. Allein seit 2014 hat sie 42.000 Personen aus Seenot gerettet. Wenn also die Mission Sophia nicht durch eine zivile Mission ersetzt wird (was natürlich zu begrüssen wäre), wird ihre Wegfall zu nur noch mehr Toten im Mittelmeer führen.
Zudem versucht die deutsche Regierung momentan mit aller Kraft, Geflüchtete abzuschieben. Dabei scheut sie auch nicht davor zurück, Menschen nach Afghanistan abzuschieben (siehe antira-Wochenschau vom 12. Januar 2019: https://antira.org/2019/01/12/allahu-akbar-abschiebung-nach-afghanistan-ueberschwemmungen-in-camps/). Zudem schiebt Deutschland so viele Menschen in andere EU-Staaten ab wie nie zuvor. Von Januar bis Ende November 2018 wurden 8658 Menschen unter Andwendung der Dublin-Verordnung in andere EU-Staaten abgeschoben. Hauptzielland der innereuropäischen Abschiebungen war Italien: Dorthin wurde fast jede*r Dritte gebracht. Nebst der unsäglichen Praxis, Menschen wie Waren zwischen unterschiedlichen Orten hin –und herzuschieben, erscheint gerade eine Abschiebung nach Italien mehr als problematisch. Wir berichteten vor einigen Wochen über die brutalen Auswirkungen des neuen „Sicherheitsdekrets“ von Salvini (antira-Wochenschau vom 15. Dezember: https://antira.org/2018/12/15/antira-wochenschau-nutella-banane-karin-keller-sutter/)
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2019-01/eu-mittelmeermission-sophia-deutsche-beteiligung-gestoppt
https://www.sueddeutsche.de/politik/fluechtlinge-deutschland-schiebt-so-viel-in-andere-eu-staaten-ab-wie-nie-zuvor-1.4295346

30. Dezember 2018
Italien entzieht zehntausenden Menschen die Aufenthaltsbewilligung und setzt sie auf die Strasse
Im November stimmte Italiens Regierung dem neuen „Sicherheitsgesetz“ von Innenminister Salvini zu, wodurch das Asylrecht deutlich verschärft wurde. Der Schutz aus humanitären Gründen wurde beispielsweise gänzlich abgeschafft. Dies ist jene Kategorie, in der die meisten Geflüchteten eine Aufenthaltsbewilligung erhielten – im ersten Halbjahr 2018 waren es 28% aller Personen, welche in Italien einen Asylantrag stellten. Durch den Wegfall des humanitären Schutzes werden in Zukunft statt 40 nur noch ca. 10 Prozent der Asylsuchenden einen positiven Entscheid erhalten. Das neue Gesetz gilt nicht nur für zukünftige Asylanträge, sondern betrifft auch Menschen, welche momentan unter dem humanitären Schutz in Italien leben, da diese Aufenthaltsbewilligung alle zwei Jahre erneuert werden muss. Faktisch wird nun also innerhalb der nächsten zwei Jahren ein Grossteil der Geflüchteten in Italien ihr Aufenthaltsrecht verlieren.
Letzte Woche zeigten sich nun die ersten Auswirkungen des neuen „Sicherheitsgesetzes“: Etwa 39.000 Menschen wurden aus den »Aufnahmezentren« vertrieben und auf die Strasse gesetzt. Darunter befinden sich Familien mit Kleinkindern, kranke, z.B. traumatisierte, Menschen. Die Gemeinden wurden angewiesen, Geflüchtete unverzüglich aus den Unterkünften auszuweisen und für sie auch keine Kosten mehr zu übernehmen. Wer nicht bei Bekannten Unterschlupf findet oder genügend Geld hat, sich eine Wohnung zu mieten, wird nun den Winter in Italiens Strassen überleben müssen.
https://www.nzz.ch/international/italien-verschaerft-sein-asylrecht-ld.1422862
https://www.jungewelt.de/artikel/346094.repression-gegen-fl%C3%BCchtlinge-heuchelei-der-regierung.html

Deutsches Asylregime: Intransparente Software beeinflusst Asylentscheide
Das deutsche Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) schult ihre Mitarbeiter*innen in einem IT-Tool, das die Herkunft der Asyl-Antragssteller*innen überprüfen soll. Die Auswertung erfolge unter anderem mithilfe von Handydaten und Sprachanalysen der Geflüchteten.
Wie diese Algorithmen aussehen und auf welchen Daten sie aufbauen, bleibe geheim. Selbst das BAMF gibt zu, dass die Fehlerquote 15% betrage. Diese ungenauen, selektiven Ergebnisse fliessen dann durch die Mitarbeiter*innen, die gerade mal einen Tag in der Software geschult wurden, in den Asylentscheid mit ein.
Wie wir bereits im Sommer berichteten, werden auch in der Schweiz die Handy- und Laptopdaten der Geflüchteten ausgewertet. Auch hier herrscht völlige Intransparenz über die konkrete Methode dieser Auswertung.
https://netzpolitik.org/2018/die-it-tools-des-bamf-fehler-vorprogrammiert/

15. Dezember 2018
Abschiebungen: Sicherheitsdekret treibt abgewiesene Personen in Italien in die Obdachlosigkeit
Das kürzlich vom italienischen Parlament verabschiedete und von Präsident Matarella formell bestätigte ‚Decreto sicurezza‘ hebt den humanitären Schutz für Geflüchtete auf, die keinen Flüchtlingsstatus haben. Dies hat zur Folge, dass Dutzende von Migrant*innen die sog. ‚Willkommenszentren‘ verlassen müssen und seitdem auf der Straße leben. In Crotone, einer Provinz in der Region Südkalabrien wurden am vergangenen Freitag 24 Menschen gezwungen, ein Zentrum in der Stadt Isola Capo Rizzuto zu verlassen; unter ihnen eine Familie mit einem fünf Monate alten Baby. Bewohner*innen des Ortes unterstützen die Geflüchteten mit einem Fackelzug unter dem Motto ‚Crotone bleibt menschlich‘. Unter diesen Umständen sind Dublin-Rückschaffungen nach Italien sofort zu stoppen. Dies fordern sogar die schweizerische Flüchtlingshilfe und das danish Refugee Council in ihrem gemeinsamen Monitoring-Bericht.
https://ffm-online.org/italien-sicherheitsdekret-treibt-gefluechtete-ohne-status-in-die-obdachlosigkeit/
https://www.fluechtlingshilfe.ch/medien/medienmitteilungen/2018/die-schweiz-muss-ihre-dublin-praxis-aendern.html

 7. Dezember 2018
Lagerregime: Dänische Regierung will abgewiesene Geflüchtete auf unbewohnter Insel internieren
Die Verhandlungen zum Staatshaushalt 2019 in Dänemark waren ein voller Erfolg für die Rechten. Geflüchtete Menschen erhalten künftig keine längerfristigen Aufenthaltsbewilligungen mehr, sondern nur noch vorläufige Aufenthaltsgenehmigungen. Zudem werden Geflüchtete, welche abgeschoben werden sollen, ab 2021 auf der Insel Lindholm eingeknastet. Als Abschiebelager dient die Tierseuchenforschungsanstalt auf der Insel, welche diesen Sommer geschlossen wurde. Die Insel ist sieben Hektar gross und unbewohnt.
Welche Folgen diese krasse Isolation und Einschränkung der Bewegungsfreiheit haben kann, zeigte sich unter anderem im Lager in Nauru, einer Insel vor Australien. Kinder entwickeln dort oft das sogenannte Resignationssyndrom: Sie kapseln sich von ihrer Umwelt ab, bis sie in einen koma-ähnlichen Zustand geraten und nicht mehr essen. Eines von vier Kindern in den Lagern Naurus ist suizidgefährdet.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1107194.asylpolitik-daenemark-integriert-nicht-mehr.html