Medienspiegel 7. Juni 2024

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++BERN
derbund.ch 06.06.2024

Mental Health von Geflüchteten: Sie unterstützt Asylsuchende im nebligen Gurnigelbad

Geflohen vor dem IS, fehlte Nesrin Mahmoud in der Schweiz ein Mensch, der ihr zuhörte. Nun bietet sie anderen Geflüchteten Hilfe.

Sabin Gfeller

Die Leute erzählen ihr von Mäusen, die ihnen im Schlaf über den Körper huschen, von Folter im Gefängnis, von Sorgen um ihre Familie. Nesrin Mahmoud ist Helferin des Projekts Spirit. Bei einem Treffen im Gurnigelbad in Riggisberg berichtet sie über die seelischen Nöte der Asylsuchenden.

Das Konzept: Geflüchtete helfen Geflüchteten. Der Vorteil: Die Leute können in ihrer Muttersprache mit einer Person wie Nesrin Mahmoud, die ähnliche Erfahrungen gemacht hat, über das Durchgemachte reden. Das Ziel: Resilienz und Eigenantrieb fördern.

Laut dem Ambulatorium für Folter- und Kriegsopfer in Zürich gehören Geflüchtete zur Hochrisikogruppe für psychische Erkrankungen. Rund die Hälfte der geflüchteten Menschen in der Schweiz leidet laut dem Ambulatorium an mindestens einer psychischen Erkrankung.

Hier greift Spirit. Im Kanton Zürich gibt es das Projekt bereits seit drei Jahren. «Eine erste Evaluation hat ergeben, dass sich sowohl die Integration als auch die Häufigkeit depressiver Symptome verbessert hat», bilanzierte Spirit-Projektleiter Naser Morina gegenüber den Tamedia-Zeitungen.

Für das SRK Kanton Bern sind vierzehn Spirit-Helferinnen und -Helfer im Einsatz. Sie bieten Beratungen in elf Sprachen an, darunter Farsi und Tigrinya. Die Teilnehmenden aus den Kollektivunterkünften haben kostenlos Anspruch auf fünf Sitzungen à 90 Minuten. Danach sind sie wieder auf sich selbst gestellt.

Eric Send, Mediensprecher des SRK Kanton Bern, sagt: «Sind Belastungen oder Traumata da, ist es wichtig, diese früh anzusprechen – gerade bei jungen Menschen.» So wolle man verhindern, dass diese chronisch würden. Er hält aber auch fest: «Spirit dient der Selbsthilfe, es ist kein psychotherapeutisches Angebot.»

Nesrin Mahmoud sitzt im Aufenthaltsraum im Gurnigelbad, hier führt sie die Beratungen auf Kurdisch und Arabisch durch. Tisch, Stühle, Wände – alles aus Holz gefertigt, es riecht nach Landschulwoche.

Seit Januar unterstützt die 36-Jährige Geflüchtete in Worb, Büren an der Aare und Kirchlindach. Oder auf dem Gurnigel – hierhin reist Mahmoud zurzeit dreimal pro Woche mit dem Auto an.

Radiologiefachfrau, Fast-Juristin, Dolmetscherin

Neben diesem Engagement arbeitet Mahmoud als interkulturelle Dolmetscherin in Lützelflüh und Burgdorf. Gelernt hat sie ursprünglich jedoch etwas anderes.

Im syrischen Qamishli arbeitete sie in einem Spital als Radiologiefachfrau. Später studierte sie Jura – bis die Terrororganisation Islamischer Staat einen Teil dieser kurdischen Stadt eroberte. «Aus Angst ging ich nicht mehr zur Fakultät», sagt Mahmoud. Ein Jahr fehlte bis zum Abschluss. «Doch ich musste Syrien aus politischen Gründen verlassen.» Das war vor acht Jahren.

All das erzählt Mahmoud mit ruhiger Stimme. Man merkt, sie ist es gewohnt, ihre Fluchtgeschichte zu Protokoll zu geben.

Angekommen in der Schweiz, fehlte Mahmoud ein Angebot wie Spirit. «Ich hätte gern jemanden gehabt, der mich versteht und mit dem ich in meiner Sprache hätte reden können.» Der sie hätte ermutigen können, Fuss zu fassen. «Es war nicht einfach, ich war allein mit drei Kindern.» Vier, sechs und sieben Jahre alt waren sie damals.

Doch Nesrin Mahmoud hatte ein Ziel: «Ich wollte möglichst schnell Deutsch lernen, um mich und meine Kinder rasch zu integrieren», sagt sie. Stolz fügt sie an: «Gestern haben sie den C-Ausweis bekommen.» Für sich selbst werde sie ihn erst später beantragen können. Heute wohnen die vier in der Region Bern.

Was ihr fehlte, gibt sie anderen weiter

Nun hilft sie anderen, wie sie auf ein Ziel hinarbeiten können. Damit sie sich aus ihrem Loch wieder hochkämpfen können oder gar nicht erst hineinfallen.

Die Menschen, mit denen Mahmoud spricht, flohen aus Syrien, der Türkei oder dem Irak. Gerade die Männer seien oftmals im Krieg oder im Gefängnis gewesen und hätten ihre Familie zurücklassen müssen.

Viele Klienten weinen in den ersten Sitzungen. «In der kurdischen und arabischen Kultur ist es ungewöhnlich, dass ein Mann vor einer Frau weint», sagt Mahmoud. Dass sie es trotzdem tun, zeige, wie sehr sie es brauchen.

Für viele sei es entscheidend, dass sie in ihrer Sprache erzählen könnten. Das motiviere sie, das Angebot überhaupt zu nutzen.

Allerdings leiden sie nicht nur unter den teils traumatischen Erfahrungen im Herkunftsland und auf der Flucht. «Viele finden die Situation in der Asylunterkunft herausfordernd», sagt die Beraterin.

Sie hat den Eindruck, im Gurnigelbad sei es «schwierig, weil es so abgelegen ist». Mahmoud ermutigt ihre Klienten zu Spaziergängen.

Aber im Gurnigelbad entgegnen die Bewohner oftmals: «Schau, draussen hat es Nebel oder Schnee.» Auch an diesem Tag hängen Nebelschwaden zwischen den Hügeln. Ohne konkrete Verpflichtungen blieben viele drinnen.

In der Unterkunft sei es ständig «lärmig», erzählen ihr die Klienten, auch in der Nacht. In den geteilten Schlafräumen gebe es für sie keinen Rückzugsort.

Das spitzt sich im Militärtrakt des Gurnigelbads zu, wo in einem Raum 20 Männer schlafen. Zwei Holzwände unterteilen das Zimmer, nur Vorhänge trennen die Kajütenbetten vom Gang. «Manche würden gern lesen», sagt Mahmoud. Aber mit so vielen anderen Männern in einem Raum sei das schwierig.

Einige Klienten hätten sogar Mäuse im Zimmer, sagt Mahmoud. Ihre Hand huscht von einer zur anderen Schulter: «Sie laufen über ihren Körper.» Das SRK ist sich dessen bewusst. Seit längerem geht es das Problem an, stellt in den Zimmern Mausefallen auf.

Die Frauen, die Mahmoud berät, beschäftigen ähnliche Themen wie die Männer: schwierige Erlebnisse auf der Flucht oder etwa mangelnde Privatsphäre. Hinzu kommt bei den Frauen manchmal das Gefühl, von Angehörigen unterdrückt zu werden.

Schläge im Gefängnis

Mahmoud sammelt mit den Klienten Ideen, damit sie ihre Probleme angehen können. Wenn sie nicht schlafen könnten, sei eine Variante: «Mit Kopfhörer schöne Musik zu hören», sagt Mahmoud und zeigt mit dem Finger auf ihr rechtes Ohr. Sie rät ihren Klienten davon ab, tagsüber zu schlafen und motiviert sie dazu, sich ausgiebig zu bewegen.

Die Lösungen scheinen teils simpel. Das zeigt: Wichtig für die psychisch belasteten Menschen ist der Austausch. Ein Gegenüber, das zuhört, das bei der Bewältigung hilft.

Bei manchen äussert sich das Unwohlsein körperlich. So etwa bei Mahmoud Ahmed. Er hatte gestern seine letzte Sprechstunde mit Nesrin Mahmoud und setzt sich nun neben sie, die mit Nachnamen gleich heisst wie er mit Vornamen.

Er habe oft Kopfschmerzen, sagt er auf Kurdisch, Mahmoud übersetzt. Der 31-Jährige ist letzten Herbst aus Syrien geflüchtet und wohnt seit vier Monaten im Gurnigelbad.

Die Zeit in Syrien hat bei ihm Spuren hinterlassen. «Im Gefängnis dort wurde ich geschlagen», sagt er. Davon hat er immer noch Rückenprobleme. Vor den Beratungen bei Mahmoud habe er niemandem davon erzählt. «Erst die Gespräche mit ihr haben mich ermutigt, einen Arzttermin zu vereinbaren und über meine Erlebnisse zu sprechen.»

Vor einigen Wochen fühlte Ahmed sich einsam. «Mir hat niemand zugehört.» Er hatte keine Lust, irgendetwas zu machen. Zu Mahmoud hat er Vertrauen aufgebaut. Seit den Treffen mit ihr strukturiert er seinen Tag und hat einen Deutschkurs begonnen.

Wieder alleingelassen

Er sei «traurig», sagt Mahmoud Ahmed, dass die «sehr hilfreichen» Beratungen fertig seien. «Jetzt werden wir wieder alleingelassen», übersetzt die Helferin seine Worte. Das zeigt die Grenzen des Projekts auf.

Auch ihr macht das zu schaffen. Viele seien so motiviert. «Manchmal mache ich mir Sorgen, dass sie nach der letzten Sitzung wieder in ein Tief geraten.» Im SRK werde momentan darüber diskutiert, ob nach einem Monat eine zusätzliche, sechste Sitzung angehängt werden solle.

Die Leute erzählten ihr fast immer von schwierigen Erlebnissen, sagt sie. «Mich macht das traurig, zum Teil habe ich mehr oder weniger dasselbe erlebt.» Um die Dinge mit jemandem zu teilen, haben Mahmoud und die anderen Helfer einmal pro Monat Supervision. Und bei akuter Gefährdung wie etwa Suizidalität ist Nesrin Mahmoud verpflichtet, das der Supervisorin unverzüglich zu melden.

Auch wenn das Erzählte der Geflüchteten manchmal eigene Erinnerungen in ihr auslöse: Für sie sei das kein Grund, aufzuhören. Sie habe ihre Erfahrungen verarbeitet.

Eine Beschäftigung fehlt

Mahmoud Ahmed scheint nun Dinge anpacken zu wollen. Doch: «Wir haben hier fast nichts», sagt er auf Kurdisch. Er und andere Mitbewohner gehen einmal pro Woche in Riggisberg Fussball spielen. «Aber wir haben kein Material, keine Ausrüstung.»

Sie wollen nicht nur essen und schlafen. «Wir brauchen Beschäftigung – mehr Deutschkurse, etwas Handwerkliches.»

Der Medienverantwortliche vom SRK pflichtet ihm später bei: «Es ist sehr nachvollziehbar, was er sagt.» Freiwilligenprogramme zu finden, sei manchmal schwierig, sagt Eric Send. Denn: «Sie dürfen andere Unternehmen nicht konkurrieren.» Hilfe bei Caterings oder etwa in der Landwirtschaft fallen dadurch grösstenteils weg.

Seit den Sitzungen bei Mahmoud hat Ahmed ein Treffen am Mittwochabend initiiert. Wöchentlich kommt er in der Unterkunft mit anderen zusammen – rund 18 Männer und zwei Frauen. Sie erzählen einander, welche Schwierigkeiten sie haben, und versuchen, Lösungen zu finden. Was er bei Nesrin Mahmoud gelernt hat, versucht er dort anderen weiterzugeben.



Spirit im Kanton Bern nur in SRK-Unterkünften

Die Methode Spirit wurde von der Weltgesundheitsorganisation entwickelt und wird durch das Ambulatorium für Folter- und Kriegsopfer in Zürich koordiniert. Seit letztem Herbst wird sie in den Kollektivunterkünften des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK) Kanton Bern angeboten, sie befindet sich bis Ende Jahr in der Pilotphase. Finanziert wird es über den Integrationskredit des Bundes und über verschiedene Stiftungen wie etwa der Gesundheitsförderung Schweiz.

Spirit ist im Kanton Bern bislang lediglich in den SRK-Unterkünften ein Thema. Die Stadt Bern prüft derzeit eine Teilnahme am Projekt, und für Asyl Berner Oberland klingt es «sehr interessant».

Bei den Unterkünften, die von der ORS AG betrieben werden, wird über die Einführung von psychologischen Sprechstunden in den Zentren nachgedacht. Asyl Berner Oberland gleist ein Peer-Projekt auf. Die Stadt Bern bietet Kurse zur Förderung der psychischen Gesundheit von geflohenen Eltern in deren Muttersprache an. (sog)
(https://www.derbund.ch/mental-health-von-asylsuchenden-im-gantrischgebiet-155258856269)


+++AARGAU
Aargauer Regierung ist gegen Bezahlkarte für Asylsuchende
Der Aargauer Regierungsrat lehnt die SVP-Forderung nach einer Bezahlkarte statt Bargeld für Asylsuchende ab. Er sieht viele praktische und rechtliche Hürden. Auch gibt es in der Schweiz nach Angaben des Regierungsrats keinen Anbieter einer solchen breit akzeptierten Karte.
https://www.watson.ch/schweiz/aargau/858186198-aargauer-regierung-ist-gegen-bezahlkarte-fuer-asylsuchende
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/aargauer-regierung-ist-gegen-bezahlkarte-fur-asylsuchende-66775291
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/versuchter-mord-aargauer-obergericht-verschaerft-strafe-von-vater?id=12603425 (ab 04:37)
-> https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/karte-statt-bargeld-bargeld-statt-bezahlkarte-regierungsrat-will-das-alte-system-beibehalten-ld.2628900


Aargau plant 100 betreute Wohnplätze für minderjährige Asylsuchende
Aargau beantragt 10,3 Millionen Franken Kredit zur Schaffung von Wohn- und Betreuungsplätzen für minderjährige Asylsuchende.
https://www.nau.ch/news/schweiz/aargau-plant-100-betreute-wohnplatze-fur-minderjahrige-asylsuchende-66775382


+++SCHWEIZ
Minderjähriger Asylsuchender – UNO-Kinderrechtsausschuss rügt die Schweiz
Die UNO kritisiert den Umgang des Staatssekretariats für Migration mit einem minderjährigen Asylsuchenden aus Afghanistan. Die Schweiz solle dem Jugendlichen nun eine Wiedergutmachung leisten.
https://www.srf.ch/news/schweiz/minderjaehriger-asylsuchender-uno-kinderrechtsausschuss-ruegt-die-schweiz
-> Rüge: https://tbinternet.ohchr.org/_layouts/15/treatybodyexternal/Download.aspx?symbolno=CRC%2FC%2F96%2FD%2F80%2F2019&Lang=en
-> https://www.blick.ch/politik/kritik-von-der-uno-hat-die-schweiz-bei-minderjaehrigem-asylsuchenden-getrickst-id19821881.html


Das war die Pitch-Night zu Fluchtmigration
An der Pitch-Night erzählten 7 Personen in je 7 Minuten ihre Perspektive auf die Migration aus Fluchtgründen. Wie können die bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen verbessert werden? Und wie gestalten wir eine Gesellschaft, an der alle teilhaben können? Die Pitch-Night im Kraftwerk war der Auftakt des Fokusmonats zum Thema Fluchtmigration.
https://tsri.ch/a/clx3yie7907br6a2smaaa48zs/das-war-die-pitch-night-zu-fluchtmigration


«Die Schweiz muss sich in 30 Jahren offiziell für das Leid entschuldigen»
Das Schweizer Asylsystem sei menschenunwürdig, findet Malek Ossi. Er flüchtete 2015 aus Syrien in die Schweiz und unterstützt heute abgewiesene Asylsuchende.
https://tsri.ch/a/clx3grzg907456a2sbc2ei82d/das-schweizer-asylsystem-ist-menschenunwuerdig-migration-zuerich


+++DEUTSCHLAND
Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien sind menschenrechtswidrig
Nach der schrecklichen Tat von Mannheim sollen laut Bundeskanzler Scholz bei schweren Straftaten Abschiebungen nach Afghanistan oder Syrien stattfinden. Doch in beiden Ländern gibt es Folter und andere schwere Menschenrechtsverletzungen, die jegliche Abschiebungen völkerrechtlich verbieten.
https://www.proasyl.de/news/abschiebungen-nach-afghanistan-und-syrien-sind-menschenrechtswidrig/


+++MITTELMEER
Wenn der Schrecken nicht nachlässt
Viele Migranten, die Europa erreichen, sind von ihrer gefährlichen Flucht traumatisiert
Die Küstenwachen in Nordafrika werden immer besser ausgestattet, die Fluchtrouten immer waghalsiger. Wer von den Migranten in Spanien ankommt, hat Todesängste durchgestanden. Um ihre Leiden kümmert sich oft niemand.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1182759.flucht-ueber-das-mittelmeer-wenn-der-schrecken-nicht-nachlaesst.html


+++GASSE
BE:
Vorglühen am Bahnhof Bern: Klassische Musik? Nichts wie weg!
Mit Debussy, Chopin und Mozart wollen die SBB Menschen vertreiben, die am Bahnhof Bern am Eingang rumlungern.
https://www.derbund.ch/bahnhof-bern-klassische-musik-soll-menschen-verscheuchen-301196571155


FR:
Die Freiburger Notschlafstelle La Tuile bangt um ihre Zukunft. Die Kantonsbeiträge würden nicht ausreichen, um die Leistungen langfristig zu sichern, findet der Trägerverein. Er verlangt mehr Subventionen.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/permafrost-wird-immer-waermer-zeigen-walliser-messstationen?id=12603236
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/romeo-und-julia-in-der-alten-patriziervilla?id=12603593 (ab 05:40)


GR:
Abstimmung Konsumraum Chur
https://www.suedostschweiz.ch/sendungen/rondo-news/rondo-news-ehrwuerdiges-hotel-loewen-mulegns-in-neuem-glanz-07-06-24


ZH:
Am Sonntag wird das Glaubten-Areal eröffnet
Am Sonntag ist es so weit: Auf dem Glaubten-Areal eröffnen in Zürich-Affoltern die reformierte Kirchgemeinde Zürich und das Sozialwerk Pfarrer Sieber ihren Neubau. Drin gibt es ein Spital, ein Pflegheim und eine Wohnsiedlung für sozial Benachteiligte. Wir waren schon heute zu Besuch. (ab 01:22)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/am-sonntag-wird-das-glaubten-areal-eroeffnet?id=12604034
-> https://www.telezueri.ch/zuerinews/obdach-fuer-obdachlose-157410247
-> https://www.tagesanzeiger.ch/das-neue-sieber-dorf-in-zuerich-affoltern-hat-sogar-ein-spital-168150728431



BE:
derbund.ch 06.06.2024

Wegen Vandalismus: Studen plant eine Ausgangssperre

Das Seeländer Dorf will ein Ausgehverbot für unter 14-Jährige verankern. Andernorts sorgten ähnliche Regelungen für Proteste.

Simone Lippuner

Es ist ein emotionales Thema. Rasch scheiden sich die Geister, wenn es darum geht, Kinder und Jugendliche mittels Verboten aus dem öffentlichen Raum fernzuhalten, wenn Probleme wie Lärm, Littering oder Vandalismus mittels Ausgangssperren reduziert werden sollen.

Gleich dreimal gelangten Berner Gemeinden in den letzten zehn Jahren deshalb in die nationalen Schlagzeilen: Sowohl in Kehrsatz wie auch in Wohlen mussten die Behörden mit geplanten oder bereits verankerten Ausgehverboten zurückkrebsen, nachdem es zu Protesten gekommen war.

Und die Gemeinde Aarberg wurde 2015 vom Statthalteramt zurückgepfiffen, nachdem sie für die unter 16-Jährigen ein entsprechendes Verbot erlassen wollte und dagegen Einsprache erhoben wurde. Der Grund: eine zu starke Einschränkung der Grundrechte.

Kantonsweit kommen Ausgangssperren für Jugendliche derzeit wieder aufs politische Parkett. Dies, wenn die Gemeindeversammlungen über die Revision des Ortspolizeireglementes befinden; was in diesen Wochen unter anderem in Moosseedorf und Studen der Fall ist.

Die Seeländer Gemeinde Studen hatte vermehrt mit Vandalismus zu kämpfen. An Halloween 2022 randalierten über 70 Jugendliche beim Jugendtreff, die Polizei rückte mit mehreren Patrouillen an. Als Folge des Radaus hat die Gemeinde Studen den Treff geschlossen, einen Monat später jedoch wieder geöffnet. Seither habe sich die Situation beruhigt, mit Ausnahme von Lärm und Littering, hiess es.

Und doch scheinen es die Behörden als nötig zu erachten, die Schraube anzuziehen. Studen befindet am kommenden Montag über einen neuen Artikel im revidierten Ortspolizeireglement. Demnach soll es unter 14-Jährigen nach 22 Uhr und bis 6 Uhr verboten sein, sich ohne Begleitung der Sorgeberechtigten im öffentlichen Raum aufzuhalten.

«Es kam schon vor, dass 8-Jährige abends im Dorf rumlungerten», sagt Gemeindepräsident Heinz Lanz (parteilos). «Mit dem Ausgehverbot wollen wir den Druck auf gewisse Eltern erhöhen, damit sich diese besser um ihre Kinder kümmern.»

Keine Broncos

Er halte dies nicht für einen einschneidenden Eingriff in die Freiheiten der jungen Menschen, sagt der Gemeindepräsident. «Das Verbot gilt für unter 14-Jährige, nicht für unter 16-Jährige, das ist ein Unterschied», so Lanz. Auch werde man bei der Umsetzung «möglichst liberal sein» und sicherlich nicht zusätzliche Kontrollen durch einen Sicherheitsdienst durchführen lassen.

Von den Ortsparteien gibt es wenig Widerstand. «Ein Kind unter 14 Jahren hat ohne Begleitung nichts mehr draussen zu suchen», sagt etwa Tamas Fülöp von der SVP. «Mit unseren lockeren Erziehungsmethoden haben das aber viele schon vergessen, es ist ein gesellschaftliches Problem.»

Dass Kinder unter 14 Jahren zu einer bestimmten Zeit «ins Bett gehören, um am nächsten Tag ausgeruht zur Schule zu kommen», findet auch Stephan Kunz von der örtlichen FDP. Auch erinnere er an die Schliessung des Jugendtreffs nach den «Halloween-Ausschreitungen»: «Dieser Entschluss hat die Situation beruhigt, auch wenn das Vorgehen in einigen Kreisen höchst umstritten war.»

Restriktives Vorgehen ist nicht im Sinn der lokalen Linken. Vincent Rieder von der SP plus sagt: «Wir sind der Meinung, dass es nicht Aufgabe der Gemeinde ist, in die Erziehung einzugreifen.» Es sei wichtiger, die Eltern zu unterstützen, statt restriktive Massnahmen zu ergreifen. Dennoch befürwortet die SP das Ausgehverbot: Der Antrag sei nachvollziehbar, sagt Rieder, da das Verbot Schülerinnen und Schüler der 7. und 8. Klasse betreffe.

Gegen zusätzliche Reglemente

Die Eltern in die Pflicht nehmen. Das ist auch die Haltung von Reto Tschäppeler, Standortleiter des Kinder- und Jugendtreffs Studen. Er verstehe, dass die Gemeinde über eine «gewisse Handhabe» verfügen wolle, sagt er. «Doch das Verbot zielt vor allem auf die Kinder, ohne die Eltern in die Pflicht zu nehmen.» Durch ein weiteres Gesetz könnte noch mehr Verantwortung abgegeben werden. «Ich sehe die Lösung eher im direkten Dialog mit der Bevölkerung als in zusätzlichen Reglementen.»

Im Dorf sei es momentan ruhig und zu keinen Vorfällen mehr gekommen. Widerstand von den Jugendlichen erwartet der Jugendarbeiter nicht. «Dies wäre jedoch ganz anders, wenn das Verbot die unter 16-Jährigen betreffen würde.»

Viel Freiraum für Gemeinden

Sollte es dennoch Widerstand geben, würden sich die kantonalen Behörden einschalten. «Der Kanton kontrolliert die Ortspolizeireglemente nicht im Vorfeld, sondern erst auf eine allfällige Beschwerde hin», sagt die Statthalterin Franziska Steck.

Aarberg sei der einzige Fall gewesen, wo sich das Regierungsstatthalteramt Seeland bezüglich eines Ausgehverbots habe einschalten müssen, so Steck. Zu Studen könne sie sich nicht äussern – sie finde es aber schade, «dass überhaupt darüber nachgedacht werden muss, solche Verbote zu erlassen». Entsprechende Regeln aufzustellen wäre die Aufgabe der Eltern, sagt die Statthalterin.

Doch die Politik hat diesbezüglich viel Freiraum. Die Ausgestaltung der Ortspolizeireglemente liegt in der Kompetenz der Gemeinden, wie bei der kantonalen Direktion für Inneres und Justiz (DIJ) zu erfahren ist. Der Kanton stellt im Sinne einer Arbeitshilfe das «Handbuch Polizeiaufgaben der Gemeinden»  zur Verfügung.

Bezüglich Ausgehverbote steht im Handbuch: «Solche Bestimmungen sind zwar im Grundsatz zulässig, bei der Ausgestaltung der Normen sind aber alle auf dem Spiel stehenden Interessen zu berücksichtigen und abzuwägen.» Insbesondere gehe es hier um den Eingriff in die persönliche Freiheit.

Weiter verweist das Handbuch auf einen Zürcher Fall, wo das Verwaltungsgericht ein nächtliches Ausgehverbot für schulpflichtige Kinder in Dänikon aufgehoben hatte, da es der Ansicht war, dieses greife in unverhältnismässiger Weise in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit ein. «Für die Gemeinden im Kanton Bern hat dieses Urteil keine präjudizierende Bedeutung, es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass das Verwaltungsgericht Bern im Beschwerdefall ähnliche Überlegungen anstellen würde.»

Wie es in Kehrsatz heute ist

Im Zuge der Proteste in Kehrsatz gegen das Ausgehverbot gab es mehrere politische Vorstösse, welche ein nationales Verbot der Ausgangssperre forderten. Mit Verweis auf die Kompetenz der Gemeinden lehnte der Bundesrat diese jedoch ab – seither war ein Verbot des Verbots nicht erneut Thema.

Wie sieht die Situation heute in Kehrsatz aus? 2013 war es, als über 100 Jugendliche gegen das Ausgehverbot für unter 16-Jährige protestierten. Ein Jahr später korrigierte die Gemeinde diesen Entscheid, neu sollten nur noch «störende Jugendliche» adressiert werden.

Gemäss Niklaus Dürig, Finanzverwalter von Kehrsatz, hätten sich die damals eingeführten Bestimmungen bewährt. Neuralgische Punkte werden von einer Sicherheitsfirma kontrolliert, zudem wurden einige «finstere Ecken» besser ausgeleuchtet und die Jugendlichen würden sensibilisiert. «Glücklicherweise sind wir momentan von grösserem Vandalismus verschont», sagt er. Littering hingegen sei Dauerthema.
(https://www.derbund.ch/ausgehverbot-fuer-teenager-studen-plant-ausgangssperre-470050507398)



Wegen Vandalismus: Berner Gemeinde will Sperrstunde für Teenies
Vandalismus, überall Abfall und Lärm: Die Gemeinde Studen BE hat genug und will im neuen Ortspolizeireglement eine Ausgangssperre zwischen 22 und sechs Uhr für unter 14-Jährige verankern.
https://www.20min.ch/story/studen-be-wegen-vandalismus-berner-gemeinde-will-sperrstunde-fuer-teenies-103121410
-> https://www.telebaern.tv/telebaern-news/ausgangssperre-fuer-unter-14-jaehrige-157410005


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Zum Scheitern verurteilt?
Auch ein weiterer Dialogversuch zwischen propalästinensischen Aktivist*innen und Unileitung scheitert. Vermittler Markus Wild ordnet ein, warum es derzeit für beide Seiten so schwierig ist, an einen Tisch zu kommen.
https://bajour.ch/a/zum-scheitern-verurteilt


Inhaberin hätte sich Gespräch gewünscht: Kunstgalerien in Zürich von Vandalen beschmiert
Mehrere Zürcher Kunstgalerien wurden über Nacht Opfer von Vandalen: Leserbilder zeigen die verschmierten Wände und Böden.
https://www.blick.ch/schweiz/zuerich/no-art-for-genocide-kunstgalerien-in-zuerich-von-vandalen-beschmiert-id19821528.html
-> https://www.tachles.ch/artikel/schweiz/unbekannte-verschmieren-fassaden-von-kunstgalerien-zuerich
-> https://www.20min.ch/story/zuerich-pro-palaestinensische-sprayereien-an-juedischer-galerie-103121600
-> https://www.zueritoday.ch/zuerich/stadt-zuerich/unbekannte-verschmieren-fassaden-von-kunstgalerien-in-zuerich-157409306


+++JUSTIZ
Daten von Hausbesetzerinnen: Bundesgericht rüffelt Luzerner Polizei
Zwei Frauen wurden nach einer Hausbesetzung erkennungsdienstlich erfasst. Das Bundesgericht hält nun fest, dass die Luzerner Polizei diese Daten nun löschen muss.
https://www.zentralplus.ch/justiz/bundesgericht-rueffelt-luzerner-polizei-2657633/


Unnötige und damit rechtswidrige DNA-Proben
Auch im Kanton Zürich wird die Verhältnismässigkeit der DNA-Probenahme und -Profilerstellung hin und wieder bundesrechtswidrig beurteilt (BGer 7B_176/2023 vom 24.05.2024; vgl. auch die heutigen Beiträge aus dem Kanton Luzern).
https://www.strafprozess.ch/unnoetige-und-damit-rechtswidrige-dna-proben/


++++REPRESSION DE
Freispruch in Karlsruhe: Der Journalist Fabian Kienert hatte die Archivseite der verbotenen Plattform linksunten.indymedia in einem Artikel verlinkt. Deswegen wurde er wegen Unterstützung eines verbotenen Vereins angeklagt. Ihm drohten bis zu drei Jahre Freiheitsentzug oder Geldstrafe. Das Gericht in Karlsruhe entschied nun aber: Das Setzen eines Links mit mitunter strafrechtlich relevanten Inhalten ist nicht als Unterstützungshandlung einer verbotenen Vereinigung zu werten. (ab 14:08)
https://rabe.ch/2024/06/07/rabe-info-vom-07-juni-2024/


Systemeinstellungen:  #05 Kriminelles Klima
Plötzlich steht die Polizei im Kinderzimmer, liest das Tagebuch einer Teenagerin, nimmt ihr Handy mit. Warum behandeln die Beamt:innen eine junge Klimaaktivistin wie eine gefährliche Kriminelle? In Episode #5 unseres Doku-Podcasts geht es um den Beginn der Augsburger Klimabewegung – und ihrer Kriminalisierung.
https://netzpolitik.org/2024/systemeinstellungen-05-kriminelles-klima/


+++POLIZEI GR
Das Polizeirecht in Graubünden wird aktualisiert. Bessere behördliche Zusammenarbeit sowie präventive Verhaftungen sollen mithelfen, kriminelle Taten zu verhindern. (ab 07:32)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-graubuenden/regierungsraetin-carmelia-maissen-praesidiert-die-gebirgskantone?id=12603608


+++FRAUEN/QUEER
Männer töten Frauen – und die Schweiz nimmt es hin
Jeder dritte Mord in der Schweiz ist ein Femizid. Trotzdem fehlt das Verständnis dafür, dass Menschen aufgrund ihres Geschlechts getötet werden, noch immer. Das verantworten auch Staat und Politik.
https://daslamm.ch/maenner-toeten-frauen-und-die-schweiz-nimmt-es-hin/


+++RECHTSPOPULISMUS
tagesanzeiger.ch 07.06.2024

Radio Lora unter Druck: Bürgerliche kritisieren Staatsgeld für Zürcher Alternativ-Radio

Ein NZZ-Artikel wirft Lora vor, linksextreme und gewaltsame Positionen zu verbreiten. Bürgerliche verlangen Konsequenzen. Das Radio verteidigt sich.

Beat Metzler

Im Januar gab es gute Nachrichten für das Zürcher Radio Lora: Der Bund erteilte dem Alternativradio eine neue Sendekonzession bis 2034. So lange wird Lora jedes Jahr bis zu 738’000 Franken aus den Radio- und Fernsehgebühren erhalten.

Ein paar Monate später folgt der Rückschlag. Nun fordern bürgerliche Politikerinnen, Radio Lora die Konzession und das Geld eventuell wieder zu entziehen. Grund sind Vorwürfe, welche die NZZ aufgebracht hat.

Im Nationalrat haben die Zürcher SVP-Vertreter Nina Fehr Düsel und Mauro Tuena je eine Frage zum Thema eingereicht. Warum, wollen sie wissen, unterstütze der Bund einen Radiosender, der gewaltverherrlichende Musik spiele und «linksextremistisches, antisemitisches Gedankengut verbreitet»?

«Mich befremden gewisse Beiträge auf Radio Lora», sagt Nina Fehr Düsel. Gemäss ihren Beobachtungen werden diese immer extremer. Das zuständige Bundesamt für Kommunikation (Bakom) müsse nun überprüfen, welche Konzessionsverletzungen vorgekommen seien. Danach müsse es klare Bedingungen setzen. «Wenn Radio Lora diese nicht einhält, sollte der Bund seine Zahlungen einstellen», sagt Fehr Düsel.

Auch im Zürcher Kantonsrat gerät die alternative Radiostation unter Druck. Dort haben Mitglieder von GLP, EVP, Mitte, FDP und SVP gemeinsam eine Anfrage eingereicht. Sie wollen wissen, warum Radio Lora letztes Jahr mit dem kantonalen Anerkennungspreis von 10’000 Franken ausgezeichnet wurde. Gefragt wird auch nach weiteren Zahlungen.

Die politische Stimmungslage werde immer aggressiver, sagt Mitverfasserin Sonja Rueff-Frenkel (FDP). Dagegen müsse man vorgehen. Es dürfe nicht sein, dass der Staat die Verbreitung von extremistischem Gedankengut finanziere. «Wir alle müssen genauer hinschauen, bei Lora und anderswo.»

Lora sieht sich als Opfer einer Kampagne

Die parlamentarischen Anfragen beziehen sich auf einen NZZ-Artikel von letzter Woche. Die Zeitung wirft dem nicht kommerziellen Radio vor, sowohl die eigenen Regeln zu verletzen wie auch die Konzessionsvorgaben. Lora spiele gewaltverherrlichende oder antisemitische Lieder, etwa «Revolution» der deutschen Band K.I.Z. oder «Intifada» der spanischen Band Ska-P. In Sendungen werde zu unbewilligten Kundgebungen aufgerufen. Dem linksextremen Revolutionären Aufbau biete das Radio regelmässig eine Plattform, es verkläre Gewalt gegen Polizisten und verbreitete antisemitische Propaganda.

Radio Lora reagierte letzte Woche mit einer allgemeinen Entgegnung: Die NZZ habe aus einem «vielfältigen 24-Stunden-Programm einzelne Minuten herausgepickt» und als objektive Tatsache dargestellt, hiess es darin.

Auf Anfrage dieser Redaktion äussert sich die Betriebsgruppe von Radio Lora ausführlicher. Die jüngste Kritik bewertet das anonyme Kollektiv als «politisch motivierte Stimmungsmache», die gegen öffentlich unterstützte Institutionen wie die Zentralwäscherei, das Zentrum Karl der Grosse oder Radio Lora ziele. Dabei werde Antisemitismus missbraucht, um antimuslimische Positionen zu rechtfertigen. «Wer Äusserungen gegen den Genozid in Gaza nicht unterdrückt, gerät sofort in den Fokus verschiedener Medien», sagt die Betriebsgruppe. Einen Angriff dieser Grössenordnung habe Radio Lora noch nie erlebt. Man sorge sich um die Vielfalt der Schweizer Medienlandschaft.

Unterstützung erhält das Radio vom Zürcher AL-Gemeinderat Moritz Bögli. Bei der Lora-Kritik handle sich um eine «inszenierte Empörung» und «Cancel-Culture von rechts». Emanzipatorische Positionen als linksextrem zu diffamieren, sei eine alte Taktik bürgerlicher Politiker. «Wenn diese Subventionen dazu nutzen, um ihnen nicht genehme Inhalte zu unterdrücken, wird es brandgefährlich», sagt Bögli.

Auch der Versuch, Lieder mit geschmacklosen Texten zu verbieten, sei problematisch. «Dann könnten Radios sehr viele Songs nicht mehr spielen», sagt Moritz Bögli. Die Kunstfreiheit sei grundrechtlich geschützt. Einen Aufruf zu einer nicht bewilligten Demonstration lasse sich zudem nicht mit einem Gewaltaufruf gleichsetzen. «Viele unbewilligte Demonstrationen verlaufen absolut friedlich.»

Vertreter rechter Parteien würden immer wieder fremdenfeindliche oder andere diskriminierende Aussagen machen, sagt Moritz Bögli. «Im Vergleich dazu ist das Programm von Radio Lora geradezu zurückhaltend.»

Radio mahnt Sendungsmachende

Am Mittwoch verschickte die Sendekommission von Radio Lora ein Mail an die rund 300 Personen, die auf Lora Sendungen machen. Das Schreiben liegt dieser Redaktion vor. Darin verweist die Sendekommission, welche die Programmgestaltung regelt, auf die Vorgaben des Bundes: Sendungen dürften «weder zu Rassenhass beitragen (…) noch Gewalt verherrlichen oder verharmlosen». Zudem müsse «sachgerecht» berichtet werden. Weiter heisst es, dass die Lora-Sendekommission die Vorwürfe der NZZ untersuche.

Mit dem Schreiben wolle man alle Sendungsmachenden daran erinnern, die üblichen Prozesse der Qualitätskontrolle anzuwenden, schreibt Radio Lora auf Anfrage. Fast alle Beteiligten seien in ihrer Freizeit für den Sender tätig.

Konzessionsentzug ist letztes Mittel

Ob die politischen Angriffe Lora zu schaden vermögen, bleibt fraglich. Bis eine Radiostation die Konzession des Bundes einbüsst, muss viel passieren. Die «Programmautonomie» ist durch die Verfassung garantiert.

Hinweise auf Verstösse müssen bei der Ombudsstelle des Bakom gemeldet werden. Diese leitet glaubwürdige Beschwerden an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) weiter. Stellt die UBI eine Rechtsverletzung fest, kann sie beim Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation einen Konzessionsentzug beantragen. Ein solcher wäre die «Ultima Ratio», schreibt das Bakom auf Anfrage. Als mildere Massnahmen gebe es Auflagen oder Einschränkungen der Konzession.

Bei der UBI sind in den letzten Jahren keine Beschwerden gegen Lora eingegangen. Auch das Bakom hat keine Kenntnis von solchen. Wegen der negativen Medienberichte habe das Bundesamt bei Lora aber Auskünfte darüber angefordert, «wie das Redaktionsstatut und die Qualitätssicherung umgesetzt werden».

Am Montag wird sich der zuständige Bundesrat Albert Rösti (SVP) zu den Anfragen der SVP-Nationalrätinnen äussern.



Mit Gebühren finanziert

Radio Lora wurde 1983 gegründet, die nicht kommerzielle Station sendet 24 Stunden am Tag in rund zwanzig Sprachen. Das Radio finanziert sich vor allem mit Geld aus den Serafe-Gebühren. 2022 erhielt das Radio 551’500 Franken, 2023 waren es 624’600 Franken. Für mindestens 20 Prozent des Betriebs muss Lora selber aufkommen. Die Station beantrage «projektbezogene Unterstützung von privaten und öffentlichen Geldgebern», schreibt die Leitung auf Anfrage. «Subventionen der Stadt Zürich oder des Kantons Zürich erhalten wir nicht.» (bat)
(https://www.tagesanzeiger.ch/zuercher-radio-lora-unter-druck-357560991601)


+++RECHTSEXTREMISMUS
Aussage von NSU-Terroristin: Gab es ein bisher unbekanntes Terror-Versteck in der Schweiz?
Rechtsterroristin Beate Zschäpe behauptet, dass ihr Komplize im Kanton Zürich ein Doppelleben führte. Die Spur führte die Fahnder nun zur Wohnung einer 39-jährigen Frau.
https://www.derbund.ch/nsu-gab-es-einen-terror-unterschlupf-in-der-schweiz-542441057074
-> https://www.zueritoday.ch/zuerich/deutscher-nsu-terrorist-soll-unterschlupf-in-zuerich-gehabt-haben-157409259


+++HISTORY
luzernerzeitung.ch 07.06.2024

Wenn Frauen flüchten: Der Frauenstadtrundgang blickt auf die Migrationsstadt Luzern

Von Ungarn bis Iran: Der Verein Frauenstadtrundgang erzählt die Geschichten geflüchteter Frauen. Das ist aktueller denn je.

Simon Mathis

«Was bewegte Frauen dazu, ihre Heimat zu verlassen und sich an einem fremden Ort ein neues Leben aufzubauen?» Mit dieser Frage beschäftigt sich die neueste Führung des Frauenstadtrundgangs Luzern. Unter dem Titel «Hin und weg» begleitet der Verein Frauen auf ihrem Weg, der dieses Mal rund um die Seebrücke führt.

Erzählt werden ganz unterschiedliche Geschichten. Etwa von 1956, als in der Stadt Luzern Flüchtende aus Ungarn ankamen. Grund dafür waren die Zusammenstösse der Roten Armee mit der ungarischen Bevölkerung, die insgesamt rund 200’000 Ungarinnen und Ungarn zur Flucht zwangen, heisst es im Manuskript zum Rundgang. In Luzern kamen etwa 300 Personen unter. Die Flüchtenden seien am Bahnhof mit «Zigaretten, Bäbi und heisser Ovi» in Empfang genommen worden.

Gewöhnungsbedürftige Geschlechterrollen

Zunächst mussten die Flüchtenden drei Wochen lang in Quarantäne in der Kaserne Allmend. «Damit es in der Kaserne nicht so düster aussieht, haben vor allem Krienser Frauen auf den Tischen und Fensterbänken in den Zimmern und Gängen Blumen aufgestellt», erzählt eine der beiden Rundgängerinnen. Die mehrheitlich antikommunistische Schweiz solidarisierte sich mit den Opfern des Sowjetregimes.

Die Autorinnen Eva Bachmann, Natalie Ehrenzweig, Pia Gemperle und Nicole Schraner halten fest, dass insbesondere Schweizer Frauen an den Hilfsaktionen für die Flüchtenden beteiligt waren. Dabei orientierten sie sich ganz am «Rollenverständnis der mütterlichen und sich aufopfernden Hausfrau der 1950er-Jahre». Dieses Geschlechterverhältnis habe bei den «kommunismusvertrauten Ungarinnen zuweilen für Befremden gesorgt». Sie seien es gewohnt gewesen, «wie die Ehemänner ausser Haus zu arbeiten».

Folglich hätten die Ungarinnen ihre eigene Gesellschaft als «fortschrittlicher und gleichberechtigter» empfunden, führen die Autorinnen aus. Eine Ungarin etwa habe pointiert festgehalten: «In Ungarn war ich eine Frau, in der Schweiz war ich nur eine Frau.» Die Arbeitsbereitschaft, die im Kommunismus gepflegt wurde, fand in der Schweiz zwar Anklang – allerdings nur diejenige der Männer, wie die Autorinnen hinzufügen. Denn in der Schweiz sei «die Arbeit der Frau ausser Haus nicht gerade üblich» gewesen.

Neue Heimat für die Iranerin Nazdar

Die Migration aus Ungarn nach Luzern ist nur eine von sechs Stationen, an denen der reichhaltige Rundgang mit Requisiten, kritischem Blick und feinem Humor die Geschichte geflüchteter Frauen näher beleuchtet. Besonders spannend ist das Porträt von Nazdar, die aus dem Iran geflüchtet ist und mittlerweile seit zehn Jahren in Luzern lebt. Denn ihre Zitate werden direkt abgespielt. Die heute 43-Jährige flüchtete aus dem Iran, weil sie dort als Frau kaum Rechte hatte. Als sie erfuhr, dass die iranischen Frauen viel früher als die Schweizer Frauen das Wahlrecht erhalten haben, war sie «geschockt». Und dachte dann: «Wow! Wie die Schweizer Frauen gekämpft und nie aufgegeben haben. Das ist schön.»

Die Führung streift weitere Stationen auf Nazdars Lebensweg; etwa, wie sie im Aufnahmezentrum Malters zum ersten Mal Velo fahren lernte. «Hin und weg» dreht sich allerdings nicht nur um persönliche Erfahrungen von Frauen, sondern auch um allgemeine Fragen – etwa die, ob Schweizerinnen und Schweizer ein aktuelles Einbürgerungsgespräch meistern könnten. Bei diesem Rundgang ist also auch das Publikum gefragt.
Hinweis

Rundgang «Hin und weg» am 9. Juni um 18 Uhr, 17. Juni um 19 Uhr, 7. Juli um 10 Uhr, 24. August um 16 Uhr, 12. September um 18 Uhr und 6. Oktober um 16 Uhr. Treffpunkt: Wagenbachbrunnen vor dem KKL. Dauer: etwa 1,5 Stunden.
(https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/stadt-region-luzern/frauenstadtrundgang-ld.2627829)