Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel
+++GRIECHENLAND
Flüchtlingslager Moria – «Die Lage in Moria ist so schlimm, dass die Kinder krank werden»
Seit einigen Monaten kommen wieder mehr Menschen aus der Türkei in Griechenland an. Entsprechend voll sind die Flüchtlingscamps auf den griechischen Inseln. Auf Lesbos sorgt das berüchtigte Lager Moria seit Jahren für negative Schlagzeilen. Die norwegische Kinderpsychologin Katrin Glatz Brubakk hat mehrmals dort gearbeitet. Jetzt prangert sie die Zustände in Moria öffentlich an.
https://www.srf.ch/news/international/fluechtlingslager-moria-die-lage-in-moria-ist-so-schlimm-dass-die-kinder-krank-werden
+++FREIRÄUME
Grundstück der Burgergemeinde: Besetzer haben Feld in Wittigkofen geräumt
Das Wagenkollektiv, dass ein Grundstück bei den Hochhäusern in Bern-Wittigkofen besetzt hatte, hat dieses am Sonntag verlassen. Es kam einem Ultimatum zuvor.
https://www.derbund.ch/bern-besetzer-haben-grundstueck-der-burgergemeinde-geraeumt-886894266364
+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Einsatz in Zürich-Affoltern: Stadtpolizei Zürich verhindert eritreische Veranstaltung
Am Samstag versammelten sich mehrere hundert Eritreer zu einer nicht bewilligten Veranstaltung. Die Stapo kontrollierte mehrere Dutzend Personen und wies sie weg.
https://www.tagesanzeiger.ch/stapo-verhindert-eritreische-veranstaltung-160845438631
-> https://www.20min.ch/story/zuerich-affoltern-polizei-verhindert-eritreer-treffen-103109021
-> https://www.stadt-zuerich.ch/pd/de/index/stadtpolizei_zuerich/medien/medienmitteilungen/2024/05/eritreische_veranstaltungverhindert.html
-> https://www.blick.ch/schweiz/zuerich/am-samstag-in-zuerich-affoltern-polizei-verhindert-unbewilligte-eritreer-veranstaltung-id19754802.html
-> https://www.zueritoday.ch/zuerich/stadt-zuerich/polizei-verhindert-eritreische-veranstaltung-in-zuerich-affoltern-157145724
Palästina-Demonstranten beklagen sich über «Polizeigewalt»
Vor der Universität Zürich sei es zu Polizeigewalt gekommen, behaupten Palästina-Demonstranten. Die Stapo ging am Freitag gegen eine unbewilligte Aktion vor.
https://www.nau.ch/news/schweiz/palastina-demonstranten-beklagen-sich-uber-polizeigewalt-66764762
-> https://www.stadt-zuerich.ch/pd/de/index/stadtpolizei_zuerich/medien/medienmitteilungen/2024/05/polizeieinsatz_wegenaufrufenzupropalaestinensischenaktionen.html
Zwischen Sympathie und Sorge: Wie jüdische Studierende die Pro-Palästina-Demo erlebten
Angesichts der Proteste an der Uni Basel kämpfen jüdische Studierende mit komplexen Emotionen. Zwischen Solidarität und Sicherheit suchen sie ihren Platz in einer vielschichtigen Debatte.
https://www.baseljetzt.ch/zwischen-sympathie-und-sorge-wie-juedische-studierende-die-pro-palaestina-demo-erlebten/224592
+++RECHTSPOPULISMUS
NZZ am Sonntag 18.05.2024
Nach den Besetzungen: SVP will Unis durchleuchten
Als Reaktion auf die Proteste müsse der Bund aktiv werden, verlangt die Partei. Die politische Vielfalt an den Hochschulen sei in Gefahr.
Simon Marti
Es ist Ruhe eingekehrt an den Schweizer Universitäten. Vorläufig zumindest. In den meisten Fällen beendete die Polizei diese Woche die Besetzung von Hochschulgebäuden durch propalästinensische Aktivisten. Für die Bundeshausfraktion der SVP ist bereits die Zeit der politischen Aufarbeitung angebrochen. Sie hat am Freitag einstimmig zwei Fraktionspostulate beschlossen, in denen sie vom Bund Aufklärung über die Hintergründe der Besetzungen verlangt.
«Es ist offensichtlich, dass die Besetzungen nicht einfach so spontan geschahen», ist SVP-Nationalrat Benjamin Fischer überzeugt, bei der Partei zuständig für das Dossier Familien, Bildung und Gesellschaft. Die verschiedenen Gruppen hätten sich koordiniert und abgesprochen. «Das sieht man schon an den praktisch identischen Forderungen an zig verschiedenen Universitäten in verschiedenen Ländern», sagt Fischer. Der Bund tue gut daran, dieses Phänomen vertieft zu untersuchen. Namentlich will die SVP, dass untersucht wird, wie die Besetzungen geplant worden seien und «welche Rolle in- und ausländische Netzwerke» dabei gespielt hätten.
«Antisemitische Boykottaufrufe»
Auf manchem Campus haben die Proteste deutliche Spuren hinterlassen. So berichtete der «Sonntags-Blick» von einem Brief jüdischer Studentinnen und Studenten an die Leitung der Universität Lausanne. «Jüdische Studierende machen sich Sorgen um ihre persönliche Sicherheit. Man hat Angst, als Jude identifiziert zu werden», heisst es darin. Und gegenüber der NZZ sagte die Co-Vorsitzende der Fachgruppe Jüdische Studien der Universität Basel: «Die Studierenden am Zentrum für jüdische Studien fühlen sich durch die Proteste bedroht.»
Was sich an den Unis manifestiert habe, sei schlicht beängstigend, so Fischer. «Die Boykottaufrufe gegen israelische Hochschulen und Forscher sind antisemitisch», hält er fest. «Wie muss sich wohl ein israelischer Forscher in der Schweiz fühlen?» Habe man während des Irak-Krieges je gegen die Zusammenarbeit mit amerikanischen Unis demonstriert? «Nein. Die Leute gingen gegen die Bush-Regierung auf die Strasse», sagt der SVP-Politiker. Und so will er vom Bundesrat auch wissen, wie der Nationalfonds, der im Auftrag des Bundes Wissenschafter aller Disziplinen fördert, mit Forschern umgeht, die diese Boykottaufrufe mittragen.
Wie neutral sind die Unis?
Seine Partei geht in ihren Forderungen aber über die jüngsten Ereignisse hinaus. Geht es nach der SVP, muss der Bundesrat aufzeigen, ob die politische Vielfalt und «die Neutralität von Forschung und Lehre» noch gewährleistet seien und wie verbreitet Fälle von politischer Diskriminierung an Schweizer Universitäten seien. Fischer verweist auf das Berner Nahost-Institut. Ein Dozent lobte im vergangenen Oktober die Hamas für ihren Terror-Angriff auf Israel. Die Universität führte eine Administrativuntersuchung durch und löste das Institut in der Folge auf. «Wir sehen hier ein Symptom für tiefliegende Probleme, namentlich in den Geisteswissenschaften», sagt Fischer.
Was auffällt: Fischer hatte sich im Nationalrat noch vor kurzer Zeit gegen ein Verbot von Nazi-Symbolen ausgesprochen. Jetzt vom Bund zu verlangen, die Gesinnungen an Schweizer Unis unter die Lupe zu nehmen, sieht er nicht als Widerspruch. «Ich bin der Allerletzte, der Meinungen einschränkt. Aber das sind öffentlich finanzierte Institutionen, nicht ein paar verwirrte Gestalten, die irgendwo Parolen skandieren.»
Dass andere Fraktionen die Forderungen mittragen, scheint unwahrscheinlich. Die Besetzungen seien zügig unterbunden worden, erklärt FDP-Nationalrätin Regine Sauter. «Das war auch absolut richtig, denn diese Gruppen von Studierenden vertreten eine einseitige und extreme, zum Teil auch antisemitische Haltung in Bezug auf den Nahostkonflikt, andere Meinungen werden nicht toleriert.» Doch brauche es «kein Tätigwerden der nationalen Politik oder ein Eingreifen des Bundes», die Universitäten seien in der Lage, dies selber zu regeln.
Es sei billig, aus dieser traurigen Lage politisches Kapital schlagen zu wollen, kritisiert SP-Nationalrat Matthias Aebischer. «Diese Gespenster beschwört die SVP auch nicht zum ersten Mal, schon öfters glaubte sie, die Hochschulen seien von bösen Geistern unterwandert.» Manches, was zuletzt bei den Protesten geäussert und gefordert wurde, sei bedenklich, betont auch der Berner. Wie alle Institutionen seien die Unis nicht gefeit gegen extreme Weltanschauungen, «linke und rechte», so Aebischer. «Wenn schon, dann müsste man alle politischen Strömungen unter den Lehrbeauftragten und Studierenden im Auge haben und nicht bloss eine einzige Gruppe.»
(https://www.nzz.ch/schweiz/nach-den-besetzungen-svp-will-unis-durchleuchten-ld.1830934)
-> https://www.telezueri.ch/zuerinews/nach-den-besetzungen-svp-will-unis-durchleuchten-157148509
+++HISTORY
Ein Stück Gerechtigkeit für die gambische Zivilbevölkerung
Gerichtsprozess – Das Bundesstrafgericht hat den ehemaligen Innenminister von Gambia, Ousman Sonko, zu 20 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Er kam als Asylsuchender nach Bern, weshalb er in der Schweiz angezeigt werden konnte.
https://journal-b.ch/artikel/ein-stueck-gerechtigkeit-fuer-die-gambische-zivilbevoelkerung/
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NZZ am Sonntag 19.05.2024
Bisher unveröffentlichte Dokumente zeigen: Schweizer Spitzendiplomaten schwärmten vom eritreischen Diktator
Die offizielle Schweiz sah in Isaias Afewerki anfänglich einen Hoffnungsträger und Partner. Nächstes Wochenende feiert das ostafrikanische Land seinen Nationalfeiertag. Es drohen Gewalt und Ausschreitungen, auch hierzulande.
Georg Humbel
Was für ein Sieg! Eine David-gegen-Goliath-Erzählung wie aus dem Bilderbuch: Vor 33 Jahren marschierte Isaias Afewerki an der Spitze seiner Rebellentruppe in der eritreischen Hauptstadt Asmara ein. Ein Triumphzug für die Kämpfer in Sandalen. Die kleine Guerilla hatte das scheinbar Unmögliche geschafft: Afewerki und seine Krieger konnten das übermächtige Äthiopien niederringen. Nach drei Jahrzehnten blutigem Krieg war das Land endlich vom äthiopischen Joch befreit. Der Einmarsch in Asmara gilt als Geburtsstunde des jungen Staates. Der 24. Mai ist seither Nationalfeiertag.
Der Rebellenführer Afewerki hat den kleinen Staat am Horn von Afrika in die Unabhängigkeit geführt. Aber nicht in die Freiheit. Dass Afewerki ein brutaler Machtmensch und Autokrat ist – dafür gab es schon früh Anzeichen. Der ehemalige BBC-Journalist und Buchautor Martin Plaut gilt als einer der besten Kenner Eritreas. Er hat den Präsidenten schon während des Befreiungskrieges in den achtziger Jahren kennengelernt. 36 Stunden lang war Plaut mit einem Jeep durch die Wüsten des Sudans und Eritreas gefahren worden, um den Anführer an einem geheimen Ort zu treffen. Schliesslich konnte er mit Afewerki in einem Bunker reden – geschützt vor den äthiopischen Kampfjets und ihren Bomben: «Er hat eine paranoide Persönlichkeit und sieht überall Verschwörungen», beschreibt Plaut dessen Charakter.
Afewerki habe sich im China der Kulturrevolution in Guerillataktik ausbilden lassen. Dieser Aufenthalt habe ihn und sein Denken geprägt: «Er hat von Anfang an die totale Kontrolle über die Befreiungsbewegung gesucht und ist gegen interne Abweichler sehr hart vorgegangen», sagt Martin Plaut. Afewerki traut grundsätzlich niemandem: Auch die eigenen Kämpfer und Parteifreunde lässt er bespitzeln und überwachen. Afewerki ist auch nie davor zurückgeschreckt, langjährige Weggefährten aus dem Weg zu räumen. «Es gab immer wieder rigide interne Säuberungen, auch innerhalb der Guerilla.»
Afewerki mache einen «vorzüglichen Eindruck»
Doch für die offizielle Schweiz war das kein Grund, auf Distanz zu gehen. Im Gegenteil: Bundesbern begegnete Afewerki mit sehr viel Wohlwollen. Die Schweizer Diplomaten schwärmten in der Anfangszeit geradezu von Eritreas Staatsgründer. Das zeigen bisher unveröffentlichte Dokumente aus dem diplomatischen Archiv (Dodis).
Im November 1992 reiste der Schweizer Botschafter in Äthiopien ins befreite Eritrea und traf den neuen Machthaber. Der Bericht nach Bern war geradezu euphorisch: Der Rebellenführer habe die Bundesverfassung studiert und habe sie seinen Mitstreitern zur Lektüre empfohlen. Eritrea interessiere sich auch für das Milizsystem und das Kollegialitätsprinzip. «Isaias machte mir einen vorzüglichen Eindruck als unprätentiöser, besonnener Staatslenker, der auch Fehler offen zugibt», berichtet der Botschafter. Der Präsident und sein Umfeld würden effizient arbeiten, «mit Computern in Büros». Nach seinem Treffen mit Afewerki bereiste der Botschafter auch das Hinterland. Dabei sind ihm «Einigkeit, Diszipliniertheit und Ordnungssinn» der Eritreer ins Auge gestochen.
Die Dokumente zeigen auch, dass die Schweiz unbedingt zu den ersten Ländern gehören wollte, die Eritrea als unabhängigen Staat anerkennen. Entsprechend reagierte man im Eidgenössischen Departement des Äussern (EDA) säuerlich darauf, dass die USA und Italien der Schweiz im Frühling 1993 zuvorgekommen waren. Sofort bereiteten die Diplomaten das offizielle Anerkennungsschreiben vor und liessen es vorsorglich von Bundespräsident Adolf Ogi unterschreiben.
Am 6. Mai schickte Bern dann das entscheidende Telefax nach Asmara. Damit hatte es die Schweiz doch noch geschafft, zur «ersten Ländergruppe» zu gehören. «Das Signal aus Bern dürfte sehr gut angekommen sein», fanden die Diplomaten und klopften sich auf die Schultern. Derweil bauten Afewerki und seine Kämpfer bereits eifrig einen Einparteienstaat auf. Dass Afewerki nie zum Demokraten wurde, ist für den Eritrea-Kenner Martin Plaut nicht überraschend: «Afewerki übte während des Krieges die totale Kontrolle über sein Volk aus. Und er konnte nie akzeptieren, dass dies nach dem Einmarsch in Asmara infrage gestellt wurde.» Afewerki sei immer Guerillaführer geblieben und habe sein Land genau gleich wie während des Befreiungskampfes führen wollen: mit maximaler Härte und Kontrolle.
Doch die Schweizer Diplomaten interpretierten die Lage ganz anders. In einem als «vertraulich» gekennzeichneten Schreiben berichtete der Botschafter über seinen Antrittsbesuch in Asmara. Erneut schwärmte der Spitzendiplomat von Afewerki. Dieser sei ein «gutaussehender Endvierziger, präzis im Ausdruck, von angenehm menschlicher Direktheit. Wie sein Auftreten ist auch sein Umfeld unkompliziert und unprätentiös.» Im ganzen Land gebe es nur gerade ein Gefängnis mit 300 Insassen. «Bettler oder Strassenkinder sieht man kaum.»
Lobeshymnen für einen brutalen Machtmenschen: Der Schweizer Botschafter schwärmte nach seinem Antrittsbesuch regelrecht von Isaias Afewerki.
Für Bundesbern war der kleine Staat hoffnungsvoll unterwegs. «Angesichts dieser erfreulichen Entwicklungen ist es sicher angebracht, in Eritrea einen für die Schweiz interessanten bilateralen Partner am Horn von Afrika zu sehen», so das EDA in einer Lageanalyse im Sommer 1993. «Auch die Menschenrechtslage gibt zu Optimismus Anlass.»
Was für ein Irrtum. Die offizielle Schweiz schätzte die Lage komplett falsch ein. Isaias Afewerki war nie bereit, auch nur ein Quentchen Macht abzugeben. Er ist bis heute der alles dominierende Machthaber, und die Menschenrechtslage ist katastrophal. Eritrea ist ein Gefängnis, aus dem jedes Jahr Tausende Menschen zu fliehen versuchen.
Wenn es überhaupt einmal Hoffnung auf Demokratie gab, dann wurde diese 1998 definitiv zerschlagen. Eritrea und Äthiopien begannen einen blutigen Grenzkonflikt. Für ein paar Quadratkilometer Land und einige Lehmhütten war Afewerki bereit, Zehntausende Soldaten in den Tod zu schicken. Zwei Jahre lang dauerten die Gefechte. Eritrea verlor zwar auf dem Schlachtfeld – doch für Afewerki war der Krieg ein Gewinn: Er nutzte den Konflikt, um seine Macht auszubauen. Seither befindet sich Eritrea in einer Art Dauermobilisierung und Kriegszustand.
Seit dem Grenzkonflikt gilt ein unbefristeter Militärdienst, der sogenannte National Service. Alle Wehrpflichtigen müssen jahrelang Frondienst für den Staat leisten. Entweder beim Militär oder in einer zivilen Institution. Niemand weiss, wie lange der Einsatz dauert. Afewerki hat immer wieder versprochen, die Dienstzeit zu verkürzen – doch umgesetzt wurde das nie. Menschenrechtsorganisationen bezeichnen den National Service als eine Art moderne Sklaverei. Der jahrelange Dienst passt zu Afewerkis Ideologie: Er versteht sein Land als postkoloniales Projekt. Eritrea soll sich ohne Einfluss des Westens aus eigener Kraft heraus entwickeln. Private Initiative ist nicht erwünscht. Der Staat und die Partei lenken die Wirtschaft und steuern den Aufbau. Hilfsprojekte von NGO lehnt Afewerki als ausländischen Einfluss ab. Diese Politik hat aus Eritrea einen bitterarmen Staat gemacht.
Einmal nur gab es ein zaghaftes Auflehnen gegen den strengen Landesvater. 2001 wagten es 15 Weggefährten aus dem Befreiungskampf, die Situation zu kritisieren. Mit einem offenen Brief erinnerten die Veteranen Afewerki daran, dass er seinem Volk einmal freie Wahlen und Demokratie versprochen hatte. Der Autokrat reagierte wie immer: mit einer Säuberungswelle. Die Autoren des Briefes verschwanden ohne Anklage im Gefängnis. Bis heute fehlt von mehreren jede Spur. Gleichzeitig schloss Afewerki die Universitäten und verbot die letzten freien Zeitungen.
Ein Generationenkonflikt spaltet die Eritreer
Trotz allem haben er und sein Regime bis heute viele Anhänger – vor allem unter der älteren Generation. Johannes Berhane ist 1990 wegen des Krieges in die Schweiz geflüchtet. Er hat nie unter dem Regime von Afewerki gelebt und hat sich in der Schweiz eine Existenz aufbauen können. Für ihn ist Afewerki noch immer der des Befreiungskampfes. «Die grosse Mehrheit des Volkes steht hinter ihm», ist Berhane überzeugt. Dass Eritrea bis heute einen jahrelangen Militärdienst kenne, sei nicht der Fehler des Machthabers. Schuld sei die dauernde Bedrohung durch das Nachbarland Äthiopien. «Die Regierung konnte gar nicht anders, als das Land so zu verteidigen.» Auch die Sanktionen des Westens hätten geschadet und den wirtschaftlichen Aufbau behindert. «Afewerki will sicher kein Unterdrücker sein. Er will das Land aufbauen und seine Zukunft sichern.» Berhane hat das Land gerade erst diesen Februar bereist. Der Regimetreue ist überzeugt, dass es bald einen wirtschaftlichen Aufschwung gebe: «Ich habe so viele gute Projekte gesehen, es herrscht Aufbruchstimmung.» Die Regierung investiere massiv in die Wirtschaft und den Ausbau der Infrastruktur.
Genau solche Geschichten mag die jüngere Generation nicht mehr hören. Sie glaubt der Clique der alten Freiheitskämpfer kein Wort mehr. Sie haben die Durchhalteparolen satt und glauben auch nicht mehr, dass an der ganzen Misere immer nur der Erzfeind Äthiopien schuld sein soll. «Isaias Afewerki ist ein Betrüger. Er hat mich und das eritreische Volk hintergangen», sagt Yohannes Measho. Er ist 2007 vor dem Regime in die Schweiz geflüchtet. Er gehört zur neuen Generation von Regimekritikern und Oppositionellen.
Measho erzählt der «NZZ am Sonntag», wie er sich von der Diktatur abgewandt hat. Sein Vater war selber Guerillakämpfer und ist im Krieg gefallen. In seiner Familie war die Verehrung für den Landesvater gross. «Meine Eltern haben immer gesagt, dass Gott uns Afewerki geschickt habe.» Auch er selber war ein Anhänger, bis sich 2001 alles änderte. Measho war als Student an der Universität Asmara eingeschrieben. Im Rahmen der grossen Säuberungswelle wurden er und Tausende Studenten verhaftet und unter üblen Bedingungen eingesperrt. Für Measho war das ein Schock. «Ich habe nicht verstanden, warum ich plötzlich im Gefängnis bin. Ich konnte gar nicht glauben, was passiert.»
Nach seiner Freilassung fand Measho keine Ruhe mehr. Freunde warnten ihn, er könnte eines Nachts verschwinden, wenn er weiter kritische Fragen stelle. Er entschied sich zur Flucht. Heute urteilt er hart über Afewerki: «Er ist ein fürchterlicher Diktator, für den Menschenleben nichts zählen.»
Die ältere Generation sieht in Afewerki den strengen, aber wohlmeinenden Landesvater. Für die Jungen ist er ein verhasster Unterdrücker. Diese zwei Sichtweisen auf den Machthaber spalten die eritreische Gesellschaft. Und sie führen zu den blutigen Ausschreitungen, die immer wieder für Negativschlagzeilen sorgen (siehe zweiten Artikel). Die Nervosität ist vor dem Nationalfeiertag besonders gross. Der Experte Plaut warnt davor, dass es auch in Europa Todesopfer geben könnte, wenn die Gewalt weiter eskaliert.
Afewerki hat das Land an einen kritischen Punkt geführt. Dass es unter ihm noch zu einer Öffnung kommt, ist wohl ausgeschlossen. Die grosse Frage ist, was passiert, wenn er einmal stirbt. Der Alleinherrscher ist 78 Jahre alt, und es gibt wilde Spekulationen über seinen Gesundheitszustand. «Niemand weiss, was dann passiert», sagt Martin Plaut. Afewerki habe keinerlei Nachfolger aufgebaut. «Wenn er stirbt, gibt es ein Vakuum. Er ist unersetzbar. Er verkörpert den Staat.»
Wie es nach seinem Tod weitergeht, beschäftigt auch die Bundesbehörden, namentlich das Staatssekretariat für Migration: «Die Experten des SEM machen sich selbstverständlich Überlegungen, wie ein Ende der Ära Afewerki aussehen könnte – auch wenn alles sehr schwer vorhersehbar ist», sagt ein Sprecher zu dieser Zeitung. Für den Bund gibt es unterschiedliche Szenarien – von einem friedlichen Machtwechsel bis hin zu erhöhten Spannungen. «Im schlimmsten Fall könnte es zu einem Bürgerkrieg kommen.» Das dürfte neue Fluchtbewegungen auslösen. Allerdings ist nicht klar, ob diese bis in die Schweiz reichen würden. «Die Fluchtroute Richtung Europa ist wegen des Krieges im Sudan praktisch zu», so die Analyse des SEM.
Isaias Afewerki – er hat dem Kampf für ein unabhängiges Eritrea alles untergeordnet. Das Tragische an der ganzen Geschichte ist, dass all die Opfer womöglich vergeblich waren. Wenn der Landesvater dereinst stirbt, dann könnte auch sein Lebenswerk zugrunde gehen.
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Lobeshymnen für einen brutalen Machtmenschen: Der Schweizer Botschafter schwärmte nach seinem Antrittsbesuch regelrecht von Isaias Afewerki. PD
https://img.nzz.ch/2024/05/16/2594c05d-5e6c-41ba-8778-9203194ed81e.jpeg
Ende 2023 lebten in der Schweiz über 30 000 anerkannte Flüchtlinge aus Eritrea. Die grosse Zahl von Asylgesuchen sorgt immer wieder für politische Kontroversen.
https://www.youtube.com/watch?v=FFzmG3I1DNs
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(https://www.nzz.ch/report-und-debatte/eritrea-und-die-schweiz-wie-sich-das-bild-von-autokrat-afewerki-gewandelt-hat-ld.1830439)
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NZZ am Sonntag 19.05.2024
Behörden befürchten Ausschreitungen und Gewalt von Eritreern
Vor dem Nationalfeiertag sind die Polizeibehörden alarmiert. Die Spannungen in der eritreischen Diaspora nehmen seit Monaten zu und drohen zu eskalieren.
Georg Humbel
Nächsten Freitag ist eritreischer Nationalfeiertag. Statt fröhliche Feierlichkeiten erwarten die Behörden aber Ausschreitungen. «Wir sehen ein gewisses Risiko für gewaltsame Zusammenstösse», sagt Florian Düblin, Generalsekretär der kantonalen Polizeidirektorenkonferenz. Die KKJPD hat deshalb bereits Mitte April einen Brief an die Gemeinden und Städte verschickt und die Behörden um erhöhte Aufmerksamkeit gebeten. «Die Stimmung in der eritreischen Diaspora ist offenbar angespannt», sagt Düblin. Er rechne damit, dass es zu Auseinandersetzungen kommen könne.
Zuerst in Oerlikon, dann im basellandschaftlichen Grellingen und zuletzt besonders heftig in Gerlafingen: Seit Monaten eskaliert die Gewalt innerhalb der Diaspora. Mit Eisenstangen bewaffnet, gehen Anhänger von Autokrat Afewerki und Oppositionelle aufeinander los. Oft kann die Polizei die verfeindeten Gruppen nur mit einem Grossaufgebot trennen. Das Unverständnis darüber, dass sich Schutzsuchende hierzulande bekriegen und sogar Polizisten verletzen, ist gross. Bundesrat Beat Jans wandte sich mit einer emotionalen Aufforderung an die Eritreer: «Hört auf, eure politischen Konflikte in der Schweiz auszutragen.»
Dabei kommt es nicht nur in der Schweiz zu diesen Spannungen. In den USA, in Israel und praktisch allen Ländern mit einer grossen eritreischen Gemeinde ist dasselbe passiert. Anlass für die Gewalt sind praktisch immer Feierlichkeiten von regimetreuen Eritreern, welche die Opposition verhindern will. Dass die Anhänger von Langzeitherrscher Afewerki in der Diaspora Feste feiern, ist kein neues Phänomen. Das erste grosse Eritrea-Festival fand 1974 im italienischen Bologna statt. Seither finden diese Festivals jährlich statt, sie sind der häufigste Anlass für Ausschreitungen. Unpolitisch waren diese Events nie. Häufig werden bekannte, regimetreue Musiker und Parteikader aus Eritrea eingeflogen und verbreiten vor den Anhängern Parolen. Und es wird Geld für Eritrea gesammelt. Gerade die reiche Schweiz ist dabei interessant für das notorisch klamme Regime. Die Schweiz gilt als wichtige Spendenbasis.
Seit den Auseinandersetzungen spielen die Anhänger von Afewerki und die Opposition ein Katz-und-Maus-Spiel. Beide Seiten bespitzeln sich intensiv. Die Regimetreuen versuchen unter grosser Geheimhaltung Räume für die Feierlichkeiten zu reservieren. Teilweise werden die Feiern als Hochzeiten oder Geburtstagsfeiern getarnt. Es gilt Geheimhaltung: Die Teilnehmer werden per Whatsapp aufgeboten und in Bussen abgeholt. Sie wissen manchmal selber nicht, wo die Feier schliesslich stattfinden wird. Auch vor dem nächsten Wochenende überschlagen sich die Gerüchte. Klar ist: Die Anhänger des Regimes werden versuchen, den für sie so wichtigen Tag zu feiern.
(https://www.nzz.ch/report-und-debatte/gewalt-unter-eritreern-polizei-befuerchtet-eskalation-am-nationalfeiertag-ld.1830801)