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+++FLUCHT
blick.ch 18.05.2024
Sie kriegen extra schlechte Flüchtlingsboote: Tunesien wird für Afrika-Migranten zur tödlichen Falle
Sie müssen sich im Internet prostituieren – und kriegen von den Schleppern extra schlechte Boote: Tunesien wird für Migranten aus Subsahara-Afrika zur tödlichen Falle. An der Küste bei Sfax treten sie die «Harka» an. Für Tausende jedes Jahr ist es die allerletzte Reise.
Samuel Schumacher
Mohammed (17) sitzt im Dreck neben der schmalen Strasse und kaut auf einem Stück Weissbrot. Die Brösmeli kleben ihm im verschwitzten Gesicht. An den Kleidern Lehm und Staub. Mohammed ist das egal. Alles ist ihm egal. «Sie haben meine Eltern getötet in Mali. Ich bin Tausende Kilometer durch die Wüste gelaufen. Das Meer? Vor dem habe ich keine Angst», sagt er und kaut weiter.
Nah ist es, das Meer. Gleich hinter dem Feld mit den Olivenbäumen und den Plastikzelten rauscht es seichwarm an den mit Seetang gesäumten Stränden. «Kilomètre dix-neuf» nennen sie den Ort 19 Kilometer nördlich der tunesischen Schlepper-Hochburg Sfax. El Amra heisst das Fischerdorf auf der Landkarte. Entlang der Strasse betteln Flüchtlingsfrauen mit kleinen Kindern um Wasser. Kamele warten stoisch vor den Metzgereien auf ihr Schicksal. Einheimische schlürfen unter Johannisbrotbäumen Kaffee. Migranten aus Schwarzafrika ziehen auf der Suche nach etwas Essbarem durch die Gassen.
Tausende von ihnen hausen hier am «Kilomètre dix-neuf» unter freiem Himmel. An der Küste warten sie auf das nächste Boot, das sie mitnimmt. Seit das Nachbarland Libyen seine Küstenwache mit EU-Geldern massiv aufgestockt hat, ist Tunesien zum Mekka all jener geworden, die vom Paradies auf der anderen Seite des Wassers träumen. 62 Prozent der mehr als 150’000 afrikanischen Flüchtlinge, die 2023 ins Meer stachen, bestiegen ihr Boot in dieser Küstengegend. Was sie da draussen erwartet, davon haben sie keine Vorstellung.
Unten am Meer liegen die rostigen Überreste der Stahlboote, mit denen die Migranten jede Nacht aufs Neue zur Harka, der Überfahrt nach Lampedusa (Italien), aufbrechen. 30 Prozent schaffen es ans Ziel, schätzt ein Schlepper, mit dem Blick gesprochen hat. Die anderen werden von der Küstenwache aufgehalten – oder versinken auf offenem Meer.
1000 Euro für die Fahrt in den Tod
1027 Menschen sind laut der Uno dieses Jahr bei der Harka bereits ums Leben gekommen. Tausende mehr werden diesen Sommer noch sterben. Die Hoffnung auf «Drüben» treibt sie durch die Wüsten und hinaus ins salzige Grab. Viele lassen sich vor der Überfahrt in einer der Untergrund-Kirchen im muslimischen Tunesien taufen. Wenn schon ertrinken, dann wenigstens mit Ausblick auf den Himmel. Doch ertrinken: Dieses Wort benutzen die Geflohenen hier nicht mehr. Sie sagen: «Der und der, die sind im Wasser geblieben.»
Im Wasser geblieben.
Die Sprache vernebelt den Blick auf den Horror, der jedem dieser Menschen hier auf der 186 Kilometer langen Fahrt nach Lampedusa droht.
Rund 1000 Dollar oder Euro müsste Mohammed den Schleppern bezahlen, die ab und an hier auftauchen und fragen, wer Cash habe und mitkommen wolle. Dann könnte er sich einen der Gummischläuche packen, die Billigvariante der Schwimmwesten, ein paar Schlucke Milch trinken, wie das viele vor der Harka tun, und dann raus ins nasse Verderben.
Mohammed hat aber keine 1000 Dollar. Davida (15) hatte sie auch nicht. Aber sie konnte trotzdem schon einmal mit aufs Boot. Wie sie das geschafft hat? Das Mädchen mit dem bedeckten Haar schaut auf die Erde. «Es war schlimm. Wir mussten schwimmen. Die Polizei kam. Jetzt bin ich wieder hier.»
Den Flüchtlingsfrauen bleibt nur «Bizi», um Geld zu verdienen
Mehr und mehr Menschen gesellen sich zu Mohammed und Davida am Strassenrand. Sie erzählen, viele wütend: von der Polizei, die mit Tränengas auf sie schiesse; von den Menschen in der Stadt, die sie jagten wie die Tiere. Mehrfach soll die tunesische Polizei Migrantengruppen in der Wüste nahe der libyschen Grenze ausgesetzt haben, ohne Wasser.
Im März 2023 hielt Tunesiens Präsident Kais Saied (66) eine Rede, in der er von einem «kriminellen Plan» schwadronierte, den afrikanische Länder gegen Tunesien ausheckten. «Sie wollen die Demografie unseres Landes verändern. Sie wollen hier Migranten aus Subsahara-Afrika ansiedeln.» Die Rede löste gewaltsame Proteste aus.
Afrikaner – als solche sehen sich die Tunesier selber nicht – sind von allem ausgeschlossen: Arbeit, Unterkünfte, Nothilfesysteme. Viele Frauen bieten in der Verzweiflung über Facebook Bizi an, Sex gegen Geld. Männer schlagen sich auf dem Schwarzmarkt durch.
Selbst auf den Flüchtlingsbooten herrscht die Zweiklassengesellschaft
Tunesien ist eine Zweiklassengesellschaft, bis hinaus aufs Meer. Mehdi* (37), ein tunesischer Schlepper, erzählt beim Gespräch an einem geheimen Ort in Sfax, er nehme keine Schwarzafrikaner mehr mit, er arbeite nur noch mit maghrebinischen Kunden. Der Grund: Die Schwarzafrikaner würden die tunesischen Fischer, die als Schlepper-Captains auf den Booten mitreisen und sich bei der Ankunft als normale Flüchtlinge tarnen, verpfeifen.
Deshalb bauen sich die Verdammten dieses Kontinents jetzt ihre eigenen Boote aus Stahlplatten. Sie haben eigene Captains, selten nur Seekarten oder GPS, praktisch nie richtige Schwimmwesten. Mehr als 800 Leichen wurden 2022 in der Gegend an die Küste gespült. 800 tote Menschen.
«Gott wird es richten», sagt Mohammed, der Malier. Doch eine falsche Welle, ein bisschen starker Wind, und Gott ist schachmatt da draussen auf dem Meer. Mohammed will das nicht hören. «Le Dieu», sagt er nochmals, zeigt in den blauen Himmel. «Inshallah.»
Unweit von Mohammeds erdigem Rastplatz, versteckt hinter weissen Backsteinmauern, liegt ein grosser Friedhof. Da sind Tausende muslimische Gräber, ausgerichtet nach Mekka, versehen mit Geburts- und Todesdatum, mit Namen und Heimatort. Ganz am Rand liegt eine Reihe mit Gräbern ohne Grabsteine, markiert nur mit Lehmplatten. «Afrikaner» ist in die Platten geritzt. Nur das, und die Zahl des Grabes. Mehr weiss oft niemand über jene, die der Tod hier an die Küsten spült. Man weiss nur: Sie sind im Wasser geblieben.
* Name geändert
(https://www.blick.ch/ausland/sie-kriegen-extra-schlechte-fluechtlingsboote-tunesien-wird-fuer-afrika-migranten-zur-toedlichen-falle-id19751467.html)
+++GASSE
hauptstadt.be 18.05.2024
Mehr als eine neue Frisur
Karin Flückiger-Stern und ihr Team schneiden Obdachlosen gratis die Haare. Weil sie realisiert hat, wie schnell Menschen in die Armut rutschen können.
Von Flavia von Gunten (Text) und Danielle Liniger (Bilder)
Ein Samstag im April, kurz vor sechs Uhr abends. Vor dem «Punkt 6» von Pinto an der Nägeligasse in Bern hat sich eine kleine Menschenschlange gebildet. Unten im Lokal orientiert Karin Flückiger-Stern ihr Team darüber, wie viele Anmeldungen es gibt für diesen Abend und öffnet dann die Türe: «Es geit los!»
Obdachlose und armutsbetroffene Menschen dürfen sich an diesem Abend gratis ihre Haare schneiden lassen. Auch Hörnli und Ghackets mit Apfelmus werden serviert, zum Dessert gibt’s selbstgebackenen Zitronencake. Alle dürfen auch Hygieneartikel und Kleider, Schuhe und Lebensmittel mitnehmen, die gespendet worden sind.
Der Verein Kar-Li organisiert den Abend gemeinsam mit dem Pinto-Team. Kar-Li steht für «Karitative Liebe» und ist zugleich der Nickname von Karin Flückiger-Stern, Präsidentin und Co-Gründerin des Vereins. Sie ist Coiffeuse und führt einen eigenen Salon in Niederwangen. Vor sieben Jahren hatte sie eine geschäftliche Krise und realisierte: «Es kann so schnell gehen, den Boden unter den Füssen zu verlieren.»
Aus einem Impuls heraus fuhr Flückiger-Stern im November 2017 zum Passantenheim Thun, um dort gratis Haare zu schneiden. «Ich spürte eine grosse Wertschätzung für meine Arbeit. Die Leute lachten und auch ich fuhr mit einem Lachen heim.» Das wollte sie wiederholen und professionalisieren und gründete darum zusammen mit acht Kolleg*innen den Verein Kar-Li.
Mit ihm will sie die Armut in der Schweiz sichtbar machen und die Gesellschaft dafür sensibilisieren. 702’000 Menschen sind in der Schweiz armutsbetroffen, 1’340’000 gelten als armutsgefährdet. So die aktuellsten Zahlen des Bundesamtes für Statistik. «Es ist wichtig, diese Realität sichtbar zu machen, um Empathie und Verständnis zu fördern.» Der Haarschnitt und das offene Ohr währenddessen seien ihr Beitrag der Solidarität, um «den Vergessenen wieder Selbstwertgefühl zurückzugeben.»
Geordneter Ablauf
Acht «Kar-Lis», wie sich die aktiven Vereinsmitglieder nennen, sind an diesem Abend in Bern im Einsatz. 31 sind es insgesamt, 18 davon sind ausgebildete Coiffeur*innen. Wer nicht Haare schneidet, empfängt die Gäst*innen, kocht Essen oder gibt Kleider heraus.
Am Empfang an der Theke erhalten alle eine Nummer. Der Reihe nach werden sie aufgerufen. Zuerst Haarewaschen in der Dusche, dann Haarschnitt am Tisch im Aufenthaltsraum. Mit der Dauer des Abends steigt der Lärmpegel. Alle fünf Schnittplätze sind besetzt, Coiffeusen und Gäst*innen unterhalten sich, Föhne surren, ein Hund bellt.
Alle «Kar-Lis» tragen schwarze Kleidung und darüber eine schwarze Lederweste, auf die Stoffpatches mit dem Vereinslogo – ein rotes Herz mit Augen, eingerahmt in einen rosafarbenen Ring – und solche von Sponsoren genäht sind. Und das Schild mit dem Nicknamen. «Die Weste und der Nickname schützen unsere Privatsphäre», sagt Karin Flückiger-Stern. Die Weste verändere ihre optische Erscheinung genügend fest, damit sie durch die Stadt laufen könne, ohne auf ihre Rolle bei Kar-Li angesprochen zu werden. «An der Weste prallen auch die emotional schweren Geschichten ab. Ziehe ich die Weste nach der Arbeit aus, lege ich auch die Geschichten ab, die ich gehört habe.»
Geschichten hören Karin Flückiger-Stern und die anderen Freiwilligen viele. «Die Menschen erzählen, wie sie in ihre aktuelle Lage geraten sind. Da sind Akademiker*innen, die krank geworden sind oder Menschen aus vermögenden Familien, die aus der vorgespurten Karriere ausgebrochen und an die falschen Leute gelangt sind.»
Der Stammgast bringt ein Geschenk
Alle Gäst*innen dürfen entscheiden, ob sie fotografiert werden wollen oder nicht. Und selbstverständlich auch, ob sie der Journalistin ihre Geschichte erzählen wollen. Die meisten Angefragten lehnen ab.
Ein Gast stimmt zu und spricht vor allem über gesundes Essen, das er so fest vermisse, weil er es sich nicht leisten könne: «Brot, Butter und Nudeln machen den Bauch satt, aber nicht das Gehirn», sagt er. «Früchte und Gemüse wären besser.» Er lässt sich je drei Zöpfe auf dem Kopf und in den Bart flechten. Seit drei Jahren sei er nicht mehr beim Coiffeur gewesen.
Manche Kar-Li-Gäst*innen kommen immer wieder. Zur namentlichen Begrüssung gibts eine Umarmung, dann die Aufdatierung, was alles passiert ist seit dem letzten Haarschnitt. An diesem Abend in Bern hat ein Stammgast sogar ein Geschenk für alle Kar-Lis mitgebracht: Einen Schlüsselanhänger mit dem Vereinslogo und Charms in Form von Schere, Kamm und Föhn. «Den werde ich mir an meine Weste hängen», erzählt Karin Flückiger-Stern gerührt.
Rund zwei- bis dreimal pro Monat organisiert Kar-Li einen Haarschneide-Anlass. Nicht nur in Bern, sondern auch in Thun, Solothurn, Liestal und anderen Orten in der Deutschschweiz. Alle arbeiten freiwillig, Spesen zahlt der Verein keine. Shampoo und Stylingprodukte sowie Spiegel, Umhänge oder Föhne stellen zwei Firmen für Coiffeurbedarf gratis zur Verfügung.
20 Menschen lassen sich an diesem Abend in Bern die Haare schneiden. Wer fertig ist, verlässt das Lokal nicht, sondern setzt sich an den Tisch, isst und unterhält sich mit den anderen Anwesenden. «Die Gemeinschaft und das Essen sind ebenso wichtig wie das Haareschneiden», sagt Karin Flückiger-Stern.
Kurz vor neun Uhr tröpfelt sie ihrem letzten Gast Tonic auf die Haare und massiert ihm den Kopf. «So entspannt habe ich dich noch nie gesehen», kommentiert die Mitarbeiterin von Pinto, die daneben steht.
Dann hat auch Karin Flückiger-Stern Zeit, um sich eine Portion Hörnli mit Gehacktem zu gönnen. Stehend, in der Küche. «Die Dankbarkeit der Menschen erfüllt mich immer wieder», erzählt sie zwischen zwei Bissen. Dann wird sie wieder unterbrochen. Jemand fragt, wann Kar-Li das nächste Mal nach Bern komme. Ende Sommer ist es wieder soweit.
Es war ein langer Tag für Karin Flückiger-Stern. Tagsüber arbeitete sie in ihrem eigenen Salon. Nun steht der letzte Programmpunkt an: «Weste ausziehen, heimfahren, duschen. Und dabei dankbar sein, dass ich ein warmes und trockenes Zuhause habe.» Das ist ihr Ritual, um herunterzufahren. Bisher habe es immer funktioniert.
(https://www.hauptstadt.be/a/haareschneiden-karli)
++++DEMO/AKTION/REPRESSION
Gastbeitrag zu Unis in Israel: Was hinter den studentischen Boykott¬forderungen steckt
In Israel wird wissenschaftliche Ethik schon lange verletzt. Die studentische Protestbewegung fordert, das nicht länger zu ignorieren.
https://www.derbund.ch/nahostkonflikt-das-steckt-hinter-studentischen-boykott-forderungen-669721224710
BS.
Weiterer Protest auf Petersplatz von Pro-Palästina-Aktivisten (ab 04:58)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/neue-ausstellung-zu-archaeologischen-funden-aus-basler-boden?id=12592628
ZH:
Erneute Demo an Uni – Polizei reagiert mit Grossaufgebot
Am Freitagnachmittag versammelten sich rund 80 Studierende vor der Uni, um gegen den Gaza-Krieg zu protestieren. Die Polizei riegelte den Eingang zur Hochschule grossflächig ab und versuchte, die Demo mit Gummischrot aufzulösen.
https://www.zsonline.ch/2024/05/17/erneute-demo-vor-uni-polizei-reagiert-mit-grossaufgebot
-> https://www.nzz.ch/zuerich/polizei-news-aus-zuerich-pfefferspray-an-palaestina-demonstration-eingesetzt-ld.1829356
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/zu-viele-schaeden-zuercher-bauern-wollen-biber-nicht-mehr-schuetzen?id=12592631
+++KNAST
Aus dem Gefängnis per Handy Kokain bestellt – so kam ein Häftling in Witzwil ums Leben
Ein Mazedonier aus dem Kanton Solothurn sass Ende Dezember 2023 in Witzwil im Gefängnis, wenige Wochen später wäre er entlassen und ausgeschafft worden. Doch in der Nacht auf den Stephanstag konsumierte er so viel Kokain, das er am nächsten Morgen tot in seiner Zelle gefunden wurde. Wie kann es sein, dass sich ein Häftling per Handy eine tödliche Dosis Drogen ins Gefängnis bestellen kann?
https://www.baerntoday.ch/bern/kanton-bern/aus-dem-gefaengnis-per-handy-kokain-bestellt-so-kam-ein-haeftling-in-witzwil-ums-leben-157103464
+++RASSISMUS
aargauerzeitung.ch 17.05.2024
Nach Streit um jüdisch-orthodoxe Gäste: Trotz Fiasko setzt Davos im Sommer wieder auf Vermittler
Der Bündner Tourismusort sorgt immer wieder für Schlagzeilen wegen des Umgangs mit der zahlenmässig grossen jüdischen Gästeschar. Zur Verbesserung der Lage wurde eine Taskforce mit einem Ex-Spitzendiplomaten eingesetzt. Nun wurde eine erste Massnahme kommuniziert.
Christoph Bernet
Davos ist eine beliebte Feriendestination bei orthodoxen Juden. Höhepunkt sind wenige Wochen während der Sommersaison. Dann befinden sich gemäss Schätzungen gleichzeitig rund 3000 jüdische Gäste in Davos. Die wichtigsten Herkunftsländer sind Israel, Grossbritannien und Belgien. Sie finden hier alles, was sie auch in den Ferien brauchen, um ihren Glauben gemäss jüdisch-orthodoxen Regeln auszuüben: Gebetsräume, ein rituelles Bad, koschere Verpflegungs- und Einkaufsmöglichkeiten.
In jüngster Zeit war das Verhältnis zwischen dem Bündner Touristenort und seinen jüdischen Feriengästen jedoch angespannt. Ausgelöst hatte die Kontroverse der Davoser Tourismusdirektor Reto Branschi mit Aussagen letzten Sommer in der Zeitung «Südostschweiz». Er kritisierte, unter den orthodoxen Gästen gebe es eine Gruppe, «die keinen Respekt vor unseren Gepflogenheiten im öffentlichen Raum» habe und ablehnend auf alle Versuche reagiere, ihnen das zu erklären. Als Beispiele nannte Branschi Probleme mit Littering, dem fehlenden Ausweichen auf dem Trottoir oder das Verhalten bei Restaurantbesuchen.
Der Davoser Tourismusvertreter erklärte das Projekt «Likrat Public» für gescheitert. Likrat Public war 2019 vom Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund gemeinsam (SIG), dem Dachverband der jüdischen Gemeinden, zusammen mit verschiedenen Tourismusdestinationen lanciert. Die Idee: Jüdische Schweizerinnen und Schweizer treten als Vermittler auf. Sie sollen so kulturellen Missverständnissen vorbeugen und dabei mit der lokalen Bevölkerung wie auch mit den jüdischen Gästen in einen Dialog treten. Dies solle das gegenseitige Verständnis fördern.
Der einseitige Abbruch des Projekts durch den obersten Davoser Touristiker ohne vorheriges Gespräch irritierte den SIG mächtig. Einer von Reto Branschi im Herbst angekündigten Taskforce zum Umgang mit den jüdischen Gästen stand man skeptisch gegenüber.
Im Januar 2024 sorgte ein Aushang an der Bergstation Pischa weltweit für Schlagzeilen. Das auf Hebräisch formulierte Schreiben verkündete, dass man nicht mehr länger Schlitten an jüdische Gäste vermiete. Nach heftiger Kritik an der diskriminierenden Regelung krebste der Schlittenvermieter zurück und entschuldigte sich.
-> https://x.com/JehudaSpielman/status/1756734500984217991
In der Folge berief Tourismusdirektor Reto Branschi den erfahrenen Ex-Spitzendiplomaten Michel Ambühl als Vermittler in die Taskforce, die sich aus Vertretern von Tourismusorganisation und Gemeinde Davos sowie der jüdischen Gemeinschaft zusammensetzt.
Mehr Vermittler für die neue Sommersaison
Nun trägt die Arbeit dieser Taskforce erste Früchte: Wie der Schweizerische Israelitische Gemeindebund am Freitag in einer Medienmitteilung schreibt, soll das Projekt Likrat Public im Sommer 2024 doch fortgesetzt werden. Die Zahl der Ermittler soll erhöht werden, der SIG sucht derzeit nach Interessierten.
Die Neuauflage sei Teil eines neuen gesamtheitlichen Ansatzes, der mehrere Module enthalten soll. Die Taskforce will ihre Arbeiten bis Ende Juni abschliessen und dann darüber informieren, wie das Zusammenleben mit den jüdisch-orthodoxen Gästen in Davos besser gelingen soll.
(https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/tourismus-nach-streit-um-juedisch-orthodoxe-gaeste-trotz-fiasko-setzt-davos-im-sommer-wieder-auf-vermittler-ld.2620599)
+++RECHTSEXTREMISMUS
Antisemitische Graffiti im Niederdorf: Zentralbibliothek Zürich mit Nazi-Emblemen besprayt
Unbekannte haben in der Nacht auf Samstag im Zürcher Niederdorf Hakenkreuze und andere auf die Nationalsozialisten verweisende Tags hinterlassen.
https://www.tagesanzeiger.ch/nazi-emblembe-im-niederdorf-421259822043
-> https://www.20min.ch/story/zuerich-ich-war-geschockt-nazi-graffiti-an-zentralbibliothek-103108287
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aargauerzeitung.ch 18.05.2024
Gerichtsakten zeigen: So will Andreas Glarner beweisen, dass er weder «gaga» noch ein «Rechtsextremist» ist
Vor drei Monaten entschied das Bezirksgericht Bremgarten, dass es nicht strafbar sei, den SVP-Nationalrat als rechtsextrem zu bezeichnen. Nun ist der Fall beim Obergericht hängig – der AZ liegt exklusiv die Berufung von Glarners Anwalt vor.
Fabian Hägler
Der Tweet des Anstosses wurde vor gut anderthalb Jahren verfasst und ist inzwischen gelöscht, doch er beschäftigt die Aargauer Justiz bis heute. Am 18. Dezember 2022 schrieb Journalist und Medienberater Hansi Voigt auf Twitter (heute X): «Wir sollten aufhören, uns darüber zu empören, was ein Gaga-Rechtsextremist wie Glarner sagt, der im Parlament völlig wirkungslos ist.»
Der SVP-Nationalrat reichte eine Anzeige ein, die Staatsanwaltschaft Muri-Bremgarten verurteilte Voigt per Strafbefehl wegen übler Nachrede und Beschimpfung. Der Journalist kassierte eine bedingte Geldstrafe von 8000 Franken (40 Tagessätze zu 200 Franken) sowie eine Busse von 1000 Franken. Voigt focht den Strafbefehl an und wurde im Februar dieses Jahres vom Bezirksgericht Bremgarten freigesprochen.
Richter: Rechtsextremist heisst nicht Neonazi
Glarner kündigte gleich nach dem Prozess an, das Urteil weiterzuziehen – und auch die Staatsanwaltschaft akzeptiert den Freispruch nicht. Beide verlangten ein schriftlich begründetes Urteil, das sie Ende April vom Gericht auch erhielten. Darin legte Einzelrichter Lukas Trost (parteilos) die Gründe für den Freispruch von Hansi Voigt dar – das sind die wichtigsten drei Punkte:
1. «Rechtsextremist» ist kein Synonym für «Neonazi»: Glarner werde nicht explizit unterstellt, rassistisch zu sein oder Sympathien für nationalsozialistische Ideologien zu hegen.
2. Politiker müssen einstecken: Je mehr ein Politiker eine populistische, undifferenzierte, verkürzte, provokative Sprache verwende, umso mehr müsse er sich ebenso pointierte Kritik im politischen Umfeld gefallen lassen.
3. Extremist als Bezeichnung zulässig: In sachbezogener Weise müssten bei der Einordnung eines Politikers die Bezeichnungen als «Links-» oder «Rechtsextremist» zulässig sein.
Wie wird Rechtsextremismus definiert?
Glarner und sein Anwalt Simon Käch sehen das völlig anders. Der AZ liegt exklusiv die Berufung des SVP-Nationalrats ans Aargauer Obergericht vor. Darin heisst es: «Ob Politiker oder nicht: Eine Person als Gaga-Rechtsextremisten zu bezeichnen, kann nur als Ehrverletzung beurteilt werden.» Die Bezeichnung von Glarner als «gaga» und «Rechtsextremist» sei je für sich allein bereits ehrverletzend, schreibt Käch, und begründet danach seine Position ausführlich.
Wichtig ist bei der Auseinandersetzung die Frage, wie Rechtsextremismus definiert wird. Das Bezirksgericht Bremgarten folgte Voigts Argument, Glarner stehe politisch sehr weit rechts, deshalb sei die Bezeichnung extrem gerechtfertigt. Dieser entgegnete bei der Verhandlung: «Ein Extremist ist jemand, der seine Ansichten mit Gewalt durchsetzt. Ich bin kein Gewalttäter, ich bin Demokrat».
Rechtsanwalt Käch hält nun fest, der Ausdruck «Rechtsextremist» stelle «keine Einordnung des Politikers Andreas Glarner in das sogenannt klassische Links-Rechts-Schema dar». Dies ergebe sich bereits aus den «Strategien gegen Rechtsextremismus in der Schweiz» der Fachstelle für Rassismusbekämpfung des Bundes. Darin heisst es, «rechtspopulistische Parteien und die extreme Rechte unterscheiden sich in der Schweiz in einigen wesentlichen Punkten».
Fachstelle des Bundes: Populist ist nicht gleich Extremist
Für einen Grossteil der rechtsextremen Akteure sei die Opposition zur Demokratie kennzeichnend. Ein wichtiges Ziel sei die Ersetzung des demokratischen Staates durch ein autoritäres, zum Teil an faschistischen Vorbildern orientiertes politisches System. Die extreme Rechte sei «vor allem im ausserparlamentarischen Bereich tätig» und betrachte «militante Aktionsformen bis hin zur Anwendung von Gewalt als legitime Mittel».
Schweizer Rechtspopulisten treten gemäss der Fachstelle hingegen nicht als fundamentale Gegner der Demokratie auf. Sie bewegten sich im rechtsstaatlichen Rahmen «und bedienen sich des Instrumentariums, das ihnen die demokratischen Institutionen bieten (Vertretung in Parlamenten und Regierungsgremien, Initiativen, Referenden etc.)». Glarner gehört laut seinem Anwalt in diese Kategorie – der SVP-Politiker wehrt sich denn auch nicht gegen Bezeichnungen wie Rechtspopulist oder Hardliner.
Voigt: Glarner ist rechtsextrem, aber kein Nazi
Hansi Voigt hatte vor Gericht gesagt, er werfe keinesfalls die ganze SVP in den rechtsextremen Topf und sehe Glarner auch nicht als Nazi. Doch dessen Ansichten seien in seinen Augen nun mal oft rechtsextrem, und das müsse man in der Schweiz straflos sagen dürfen. Voigts Verteidiger legte beim Prozess im Februar diverse Beweismittel vor, um aufzuzeigen, wie extrem Glarners Positionen seien.
So habe dieser Kinder einer Schulklasse mit ausländisch klingenden Namen auf Facebook an den Pranger gestellt oder die Telefonnummer einer Lehrerin veröffentlicht, die Eltern darauf hingewiesen hatte, dass muslimische Kinder während des Fastenbrechens nicht zur Schule kommen müssten. Zudem hielt der Anwalt fest, Glarner sei Mitglied der inzwischen aufgelösten rechtsextremen Bürgerbewegung Pro Köln in Deutschland gewesen.
Glarner-Anwalt: Kein Bezug zum Rechtsextremismus
Simon Käch schreibt, die Ausführungen und Dokumente, die Voigts Verteidiger vorgebracht habe, seien vollständig untauglich für den sogenannten Wahrheitsbeweis. Glarners Verteidiger findet: «Ein Bezug zum Rechtsextremismus ist nicht erkennbar.» Vielmehr setze sich der Politiker «konsequent gegen einen Missbrauch des Asylrechts und gegen die offenkundigen Tendenzen von fehlendem Integrationswillen vieler Migranten ein».
Käch geht zum Gegenangriff über und schreibt, die Bezeichnung von Glarner als «gaga» sei strafbar. Dies werde umgangssprachlich als verrückt, nicht ganz dicht und nicht richtig im Kopf verstanden. Verrücktheit betreffe einen geistigen Zustand, der medizinisch und juristisch fassbar sei, hält er fest. Durch den Begriff «gaga» stelle Voigt den geistigen Zustand von Glarner und rechtlich dessen Urteilsfähigkeit infrage.
Käch fasst in der Berufung zusammen, Voigt bezeichne Glarner «als irren Rechtsextremen». Es sei nicht nachvollziehbar, wo darin eine angeblich zulässige sachbezogene Einordnung eines Politikers vorliegen solle. Es gehe auch nicht um die Frage des guten oder schlechten Geschmacks, hält der Anwalt fest. Er beantragt, den Freispruch des Bezirksgerichts aufzuheben und Voigt gemäss Anklage wegen übler Nachrede zu verurteilen. Wann die Verhandlung vor Obergericht stattfindet, ist noch nicht bekannt.
(https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/berufung-gerichtsakten-zeigen-so-will-andreas-glarner-beweisen-dass-er-weder-gaga-noch-ein-rechtsextremist-ist-ld.2619868)
+++HISTORY
Die vielen Aspekte der Kinderarbeit in der Schweiz
Im 19. Jahrhundert und in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts waren Kinder eine fundamentale Arbeitskraft für Familien, vor allem in der Landwirtschaft. Mit dem Aufkommen der Industrie wurden sie als billige Arbeitskräfte ausgebeutet. Eine Ausstellung beleuchtet einen wenig erforschten Aspekt der Schweizer Geschichte.
https://www.swissinfo.ch/ger/kultur/die-vielen-aspekte-der-kinderarbeit-in-der-schweiz/77719753