Medienspiegel 29. März 2024

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/

+++MITTELMEER
Kleines Segelboot aus dem Wendland rettet 31 Flüchtlinge
Drei Menschen vermutlich im Mittelmeer ertrunken
Zwischen Lampedusa und Tunesien sank am Donnerstag am Donnerstag ein Metallboot mit vermutlich 45 Insassen. Die »Trotamar« arbeitete bei der Rettung mit der italienischen Küstenwache zusammen.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1181103.mittelmeer-kleines-segelboot-aus-dem-wendland-rettet-fluechtlinge.html


+++FREIRÄUME
(Biel) – Besetzer:innen einigen sich mit dem Kanton
https://web.telebielingue.ch/de/sendungen/info/2024-03-29


+++GASSE
Drogenhotspot im Kleinbasel – «Primarschüler können Drogendeals vom Fenster aus beobachten»
Die Primarschule Dreirosen befindet sich mitten im Drogenhotspot im Kleinbasel. Das kriegen auch die Kinder mit.
https://www.srf.ch/news/schweiz/drogenhotspot-im-kleinbasel-primarschueler-koennen-drogendeals-vom-fenster-aus-beobachten


+++RECHTSEXTREMISMUS
Warum Martin Sellner Deutschland von Auschwitz entlasten will
Die Vertreibungsfantasien von Martin Sellner sind ein Symbol der rechten Gefahr. Die Pläne erklären auch, wieso die Neue Rechte die deutsche Erinnerungskultur bekämpft.
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2024-03/neue-rechte-martin-sellner-vetreibung-erinnerungskultur


+++RECHTSPOPULISMUS-2
nzz.ch 29.03.2024

«Wer sich distanziert, verliert»: Der Chef der Jungen SVP erteilt seinen Parteikollegen ein Sprech- und Schreibverbot

Der Streit in der Jungen SVP um die Nähe zur Jungen Tat eskaliert. An einer Online-Krisensitzung drohte Präsident Nils Fiechter den Kantonalparteien mit rechtlichen Konsequenzen.

Ladina Triaca und Mirko Plüss

Es ist keine Aussprache, sondern eine Befehlsausgabe. Gleich zu Beginn der eiligst einberufenen Videokonferenz gibt Nils Fiechter, der Präsident der Jungen SVP, den Präsidenten seiner Kantonalparteien und den Mitgliedern der Parteileitung den Tarif durch: Alle Kameras müssen zu jeder Zeit eingeschaltet bleiben.

Der Grund für das Misstrauen und die Krisensitzung am Mittwochabend: In der Jungpartei ist man sich uneinig, wie man mit Rechtsextremismus umgehen soll. Die «NZZ am Sonntag» hat vergangene Woche aufgedeckt, dass manche Parteiexponenten mit der rechtsradikalen Jungen Tat sympathisieren.

In einem Whatsapp-Chat der Jungpartei mit dem Namen «PV JSVP Schweiz» hatte der Präsident der Jungen SVP Aargau Ramon Hug geschrieben: «Wir müssen ehrlich sein und anerkennen, dass die Junge Tat inhaltlich die exakt gleichen Inhalte anspricht wie wir.» Und weiter: «Sich davon zu distanzieren, ist, wie wenn wir uns von unserem eigenen Programm distanzieren.»

Zur Erinnerung: Die Männer der Jungen Tat wurden schon mehrfach verurteilt. An der Zürcher Hochschule der Künste störten sie 2020 am Geburtsdatum von Adolf Hitler eine Online-Vorlesung mit «Heil Hitler!»-Rufen.

Die Äusserungen des Aargauer Parteichefs führten zu einem Zerwürfnis innerhalb der Partei. Kritische Kantonalparteien reichten vor der Videokonferenz mehrere Anträge ein. Sie fordern, dass sich die Parteispitze klar von der Jungen Tat distanziert, keine Social-Media-Posts der Gruppe mehr likt und rechtsradikal besetzte Begriffe wie Remigration nicht mehr verwendet. In der Schweiz verbreitet etwa die Strategiechefin der Jungen SVP Sarah Regez den Begriff.

Doch eine Diskussion über die Anträge findet am Mittwochabend nicht statt. Das berichten mehrere Teilnehmer gegenüber der «NZZ am Sonntag». Stattdessen hält der Parteichef Nils Fiechter vor seinen Parteikolleginnen und -kollegen einen rund 40-minütigen Monolog. Dann wünscht er ihnen einen schönen Abend.

Inhaltlich geht Fiechter kaum auf das Thema ein. Vielmehr stört er sich daran, dass die Nachrichten aus dem parteiinternen Chat öffentlich geworden sind. Er droht den kantonalen Präsidentinnen und Präsidenten: Wer interne Infos herausgebe, müsse mit rechtlichen Konsequenzen rechnen.

Seine Kolleginnen und Kollegen im Zoom-Call hat er alle auf stumm gestellt. Sie haben ein Sprechverbot. Und damit nicht genug: Am nächsten Morgen folgt ein Schreibverbot. Im Whatsapp-Chat der Führungsriege können bis auf weiteres nur noch Administratoren schreiben. Alle anderen haben ihr Schreibrecht verloren.

Interner Widerstand

Fiechters Vorgehen führt zu heftigem Widerstand in der Jungpartei. Die «NZZ am Sonntag» hat mit zahlreichen Exponenten gesprochen. Öffentlich äussern will sich niemand.

Die kritischen Stimmen stören sich auch an einer Chat-Nachricht, die Nils Fiechter bereits vor der Zoom-Sitzung verschickt hat. Darin schreibt er seinen Kolleginnen und Kollegen: «Wer sich distanziert, verliert.»

Wie Fiechter die Botschaft meint, ist nicht klar: Will er verhindern, dass sich die Kantonalparteien von der rechtsradikalen Jungen Tat distanzieren? Oder von der eigenen Jungpartei? Klar ist einzig: Der Satz ist eine Drohung. Wer sich distanziert, muss Konsequenzen fürchten.

Angesprochen auf die Krisensitzung, das Schreibverbot und seine Chat-Nachricht, antwortet Nils Fiechter stets dasselbe: «Interne Belange werden bei der Jungen SVP Schweiz intern behandelt.»

Nicht viel gesprächiger sind die Vertreter der Mutterpartei. Marcel Dettling, der frisch gewählte SVP-Präsident, schreibt auf mehrere Fragen zu den Vorfällen in der Jungen SVP: «Die SVP Schweiz hat ein Parteiprogramm, zu dem sie steht und dem sie verpflichtet ist. Weiter nehmen wir dazu keine Stellung.»

Auch sonst sind die meisten SVP-Politiker auffallend still. Kaum jemand nimmt öffentlich Anstoss an den Sympathien mancher Jungpolitiker für die Junge Tat. Niemand spricht ein Machtwort, so wie es früher der Parteistratege Christoph Blocher ab und an getan hat.

Lob von der Jungen Tat

Im Aargau waren es diese Woche ehemalige Führungsmitglieder der Jungpartei, die den Rücktritt des amtierenden Parteichefs Ramon Hug forderten. Wer sich mit der Jungen Tat identifiziere, müsse «umgehend aus der Partei austreten», schrieben sie in einem Brief, über den die «Aargauer Zeitung» berichtete.

Die Mutterpartei, die SVP Aargau, verschickte zwar eine Medienmitteilung, in der sie sich «klar von extremen Positionen distanziert». Doch auf Nachfrage stellt sich der Parteipräsident und SVP-Nationalrat Andreas Glarner hinter den Chef der Jungpartei: «Ramon Hug ist ein völlig integrer junger Mann.» Dessen Aussagen im Chat bezeichnet Glarner im Gespräch mal als «unbedarft», mal als «völlig harmlos». Konsequenzen hätten sie für den jungen Mann keine: «Ich habe mit Ramon Hug gesprochen. Der Fall ist für uns als Kantonalpartei erledigt.» Die Medien sollten besser einmal über Linksextremismus berichten.

Interessant sind die Reaktionen im rechtsradikalen Milieu. Der «Heimatkurier», ein rechtes Medium, das einen Mann der Jungen Tat zu seinen Autoren zählt, hat diese Woche einen Artikel publiziert mit dem Titel «SVP-Distanzierung: Jugend brilliert – Mutterpartei verliert».

Ein anonymer Autor lobt darin den «konsequenten Kurs der neuen JSVP-Führung» und die «standhaften Jungpolitiker». Kritisiert wird dafür der neue Asylchef der SVP Pascal Schmid, der diese Woche in einem Interview mit «20 Minuten» gesagt hatte, Rechtsextremismus habe in der SVP nichts verloren.

Schon vor zwei Wochen hatten die beiden verurteilten Anführer der Jungen Tat in einem Podcast über ihr Verhältnis zur Volkspartei sinniert. Ihr Fazit: Die Partei habe sich bei Vorfällen in der Vergangenheit – entgegen ihren Erwartungen – grösstenteils «absolut stabil» verhalten. Zumindest den «Nichtangriffspakt» habe sie immer eingehalten.
(https://www.nzz.ch/schweiz/wer-sich-distanziert-verliert-der-streit-in-der-jungen-svp-eskaliert-ld.1824323)



aargauerzeitung.ch 29.03.2024

Junge SVP Aargau reagiert nun doch auf umstrittenen Post – Präsident Hug: «Ich distanziere mich von jeder Form des Extremismus»

Fast zwei Wochen lang herrschte bei der Jungen SVP Aargau Funkstille. Nun äussert sie sich zu ihrem «Solidarität mit Martin Sellner»-Post. Das Wording des Posts sei unglücklich gewesen. Die Jungpartei entschuldigt sich. Doch was sagt Präsident Ramon Hug zu seinen Äusserungen zur rechtsextremen Jungen Tat?

Philipp Zimmermann

«Solidarität mit Martin Sellner!»: Mit diesem Satz in einem Post auf X (vormals Twitter), verfasst in Grossbuchstaben, erhielt die Junge SVP Aargau mehr Aufmerksamkeit, als ihr lieb war. Abgesetzt hatte sie den Post am vorletzten Samstag, nachdem die Aargauer Kantonspolizei einen Vortrag des österreichischen Rechtsextremen Martin Sellner in Tegerfelden abgebrochen und ihn aus dem Kanton weggewiesen hatte.

Die Jungpartei wollte sich danach nicht zu ihrem Post äussern. Es herrschte Funkstille. Stattdessen wurden Vorwürfe laut. Selbst ehemalige Präsidenten der Jungpartei übten scharfe Kritik und schrieben der Führung der JSVP: «Wer sich mit der Jungen Tat identifiziert, muss umgehend aus der Partei austreten.»

Entschuldigung für «das falsche Wording»

Am Karfreitag verschickt die Junge SVP Aargau doch noch eine Stellungnahme. «Das Wording, welches im Post verwendet wurde, war unglücklich», räumt sie ein. «Der Beitrag sollte kritisieren, dass die Wegweisung Sellners nicht mit der Meinungsfreiheit zu vereinbaren ist.»

Und weiter: «Die Wortwahl liess allerdings Spielraum, daraus eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Sellners Themen zu erahnen. Dies war nicht die Absicht. Die Jungpartei entschuldigt sich insbesondere bei den Wählern, unseren Mitgliedern und der Mutterpartei für das falsche Wording», so die JSVP. Mitteilungen zu sensiblen Themen, wie in diesem Fall, will sie künftig exakter verfassen.

Angesichts der Vorwürfe stelle sie «erneut klar, dass sich die Jungpartei selbstverständlich von jeglicher Form des Extremismus distanziert». Beim Verdacht, dass ein Mitglied extremistische Tendenzen habe oder Mitglied in extremistischen Gruppierungen sei, werde dies ernst genommen, «und die Person wird aus der Partei ausgeschlossen».

Parteileitung stellt sich hinter Präsident Hug

In ihrer Mitteilung stellt sich die Junge SVP Aargau hinter ihren Präsidenten Ramon Hug. «Der Präsident weist keinerlei Verbindungen zu Extremismus auf und bleibt mit Rückhalt der Partei und der Parteileitung im Amt.»

Hug lässt sich wie folgt zitieren: «Ich distanziere mich von jeder Form des Extremismus und ich dulde keinerlei Extremisten in unserer Partei. Dass ich als Extremist dargestellt werde, ist falsch, verwerflich und tut weh. Wir werden unsere Distanz zum Extremismus auch zukünftig mit einer fundierten inhaltlichen Auseinandersetzung der wichtigen politischen Themen der Schweiz beweisen.»

In einem internen Whatsapp-Chat vom Oktober 2023, von der AZ wie auch der «NZZ am Sonntag» publik gemacht, hatte Hug geschrieben: «Wir müssen ehrlich sein und anerkennen, dass die Junge Tat inhaltlich die exakt gleichen Inhalte anspricht wie wir.» Und weiter: «Sich davon zu distanzieren, ist, wie wenn wir uns von unserem eigenen Programm distanzieren.»

Was sagt er heute zu seinen damaligen Worten? Die AZ erreicht ihn am Telefon. Auf die Fragen antwortet die Parteileitung später schriftlich: «Zur Gruppierung Junge Tat nehmen wir keine Stellung. Des Weiteren wurde die Chataussage von Hug vom Herbst 2023 aus dem Kontext gerissen. Es sollte lediglich darum gehen, dass die Gruppierung Junge Tat die gleichen politischen Themen behandelt (Woke, Migration).»

Dass die Wegweisung Sellners, wie oben erwähnt, nicht mit der Meinungsfreiheit vereinbar sei, dazu verweist die JSVP auf Aussagen des das Bundesamt für Polizei (Fedpol) in einem Artikel der Newsplattform nau.ch. Dort nimmt das Fedpol allerdings nicht konkret Stellung zum Fall. Zudem sind die Kantone für Wegweisungen zuständig. Das Fedpol dagegen kann dagegen eine Einreisesperre aussprechen zur Wahrung der inneren und äusseren Sicherheit.

Auf Nachfrage dazu antwortet die Jungpartei: «Dass das Fedpol eine Einreisesperre gegen Sellner ablehnte, ist bezeichnend für den Konflikt mit der Meinungsfreiheit. Die Meinungsfreiheit darf nur Ultima Ratio eingeschränkt werden.»
(https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/fall-tegerfelden-junge-svp-aargau-reagiert-nun-doch-auf-umstrittenen-post-praesident-hug-ich-distanziere-mich-von-jeder-form-des-extremismus-ld.2600662)
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/nach-kritik-aargauer-jsvp-entschuldigt-sich-doch-fur-sellner-post-66736224


+++HISTORY
Sakral-kolonial
Zur Aufarbeitung der kolonial-rassistischen Vergangenheit lohnt sich ein Blick in die Gotteshäuser. Eine Spurensuche in den Kirchen von St.Gallen und Appenzell.
https://www.saiten.ch/sakral-kolonial/



solothurnerzeitung.ch 29.03.2024

«Dass der allmächtige Gott Hitlers Arbeit in seine Gnade nehme»: Wie der Oltner Walter-Verlag und seine Blätter mit den Nazis sympathisierten

Der Oltner Verleger und Autor Otto Walter galt zeitlebens als deutschlandfreundlich. Nun zeigt die Arbeit des Historikers Peter Heim auf: Walters Nazi-Sympathien waren noch stärker, als bisher vermutet wurde.

Hannah Jauch

In den Zwischenkriegsjahren schaut die Schweiz zu, wie ihre Nachbarländer aufrüsten und Menschenmassen sich von populistischen Führern aufwiegeln lassen. Spurlos gehen diese Entwicklungen auch an der Schweiz nicht vorbei.

Vor den kantonalen Wahlen in Solothurn 1933 bemalen politische Gegner Wahlplakate der katholisch-konservativen Partei in Olten. Sie verändern die Schweizerkreuze so, dass sie Hakenkreuzen gleichen. Möglicherweise, um die Nähe der Partei zu rechtsextremen Positionen zu kritisieren. Wie viel ist am Vorwurf dran?

Der vermeintliche Rechtsrutsch einiger Oltner Blätter beginnt schon viel früher. Gerade bei den konservativen Katholiken hinterlässt der Kulturkampf des ausgehenden 19. Jahrhunderts seine Spuren.

Rückblickend prangert Otto Walter, Gründer des Walter-Verlags, in den 1930er-Jahren die «Gewaltschläge» an, die romtreue Katholiken unter der freisinnigen Herrschaft erfahren mussten. Darunter die Aufhebung des St.-Ursen-Stiftes und des 600-jährigen Franziskanerklosters in Solothurn wie auch die Ablehnung des Unfehlbarkeitsdogmas.

Der Historiker Peter Heim, auf dessen Arbeit dieser Artikel beruht, schätzt die Situation wie folgt ein: «Tatsächlich hatten die Auseinandersetzungen während und nach der Kulturkampfzeit in Olten […] besonders hohe Wellen geworfen. Im sozialen Leben der Stadt führte die Minoritätslage der Römisch-Katholiken zur Ausbildung einer Subgesellschaft, eines katholischen Milieus mit gemeinsamen Wertvorstellungen und Alltagsritualen.»

Jugendbewegung mit Rechtsdrall

Damals bäumt sich ein ultrakonservativer Jugendflügel auf. Im Alter von 23 Jahren gründet Otto Walter 1912 gemeinsam mit dem Mümliswiler Ortspfarrer Robert Mäder und dem Journalisten Johann Baptist Rusch eine rechtskatholische Zeitung. Mit dem Titel «Die Schildwache am Jura. Religiös-politische Weckstimme für die katholische Jugend der Schweiz» knüpft das Blatt bewusst an die kulturkämpferische Bewegung des Kantons Solothurn an. Dadurch entwickelt sich der Walter-Verlag zum integralistischen, das heisst vatikantreuen Zentrum.

Vier Jahre später gründet Otto Walter 1916 den Walter-Verlag. Dieser bildet zu dieser Zeit laut Heim eine Art «Bastion» der Oltner Römisch-Katholischen. Entstanden ist dieser aus der Druckerei des katholisch-konservativen Parteiorgans «Oltner Nachrichten». Diese erscheinen zu diesem Zeitpunkt seit 1895, bevor sie 1916 von Otto Walter übernommen und 1920 zu «Der Morgen» umbenannt werden. Wie Heim schreibt, bringt Walter «das Blatt nach und nach auf einen aggressiven antiliberalen, antisozialistischen und antisemitischen Kurs»

1918 erscheint unter der Leitung Walters eine Kolumne mit dem Titel «Der ewige Jude», welche die gleichen antisemitischen Klischees benutzt, denen sich später die Nationalsozialisten bedienen. Auszugsweise hiess es:

«Es ist eine auffallende Erscheinung, dass unter den Trägern der revolutionären Bewegung, die gegenwärtig Europa in seinen Fundamenten zu erschüttern droht, so viele Vertreter der jüdischen Rasse sind. […]

Noch auffallender aber ist die Tatsache, dass es diesen […] gelungen ist, auf das ganze Geistesleben Europas einen so unheilvollen Einfluss zu gewinnen. […] Es genügt auf die Rolle hinzuweisen, die die Juden in der Presse spielen. […] Die von Juden produzierte und inspirierte Literatur ist ein Verhängnis für ganz Europa geworden. […] Judenwitz und Judenfrivolität haben es sich zur Aufgabe gemacht, alle Ehrfurcht vor dem Heiligen zu untergraben, alle Autorität zu zerstören, alle Ideale des Volkes lächerlich zu machen. […]

Die schöne, gedankenvolle, ehrliche, keusche deutsche Sprache ist wie die Börse, das Kapital, der Handel dem Judentum verfallen. […] Jüdische Witze, jüdische Geilheit, jüdische Gaunerausdrücke haben sich auch hier wie ekelhaftes Ungeziefer eingenistet. […]

Der Jude will herrschen, und da es kein Judenreich mehr gibt, so machte er sich das Geld zum Götzen, mit dessen Hilfe er über Völker und Nationen herrscht. […]

Für uns Christen ist sicher: Das Volk der Juden hat den Messias verkauft, verraten und getötet; es kommt deshalb zu keiner Ruhe, bis es reumütig zum Gekreuzigten flieht. […] Die heutige Weltkatastrophe mit ihrem christentumsfeindlichen Charakter lässt sich gar nicht denken ohne den ‹ewigen Juden›!»

Antisemitische Exzesse heruntergespielt

Nach Hitlers Machtergreifung 1933 weicht die anfängliche Skepsis schnell der Bewunderung. So loben die Redaktoren die deutsche Regierung dafür, die Gefahr eines kommunistischen Umsturzes ausgemerzt und Ordnung geschaffen zu schaffen. Erwähnt werden besonders auch die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und das Verbot von Prostitution. Es heisst: «Wir wünschen nur […], dass der allmächtige Gott Hitlers Arbeit in seine Gnade nehme […]».

Die einzige Sorge scheint der zunehmende Verlust an politischem Einfluss der katholischen Kirche unter Hitler zu sein. Antisemitische Exzesse hingegen werden heruntergespielt. Unter Schlagzeilen wie «Gegen Greuelpropaganda» versichern die katholischen Journalisten ihrer Leserschaft, dass Berichte über «Schutzhaftanstalten», gemeint sind Konzentrationslager, nur «Hetze» seien.

Sie schreiben: «Wer hat bei uns im Ernst an die Greuel geglaubt? An die Tramschienen voll Blut in Berlin? An die Horden gefesselter, durch die Strassen getriebener Juden?» Dem gegenüber wurden die gleichzeitig stattfindenden «Säuberungen» in der Sowjetunion unter Stalin als «Kapitel grauenhafter bolschewistischer Rohheit und Vertiertheit» angeprangert.

Auch die Schlagzeilen zum Ergebnis der Volksabstimmung 1938, die über den Anschluss Österreichs entschied, lesen sich wie die eines nationalsozialistischen Parteiblattes: «Der Führer des grossdeutschen Volkes hat gestern den höchsten Triumph gefeiert. Hitler steht tatsächlich als unumschränkter Führer und Leiter Grossdeutschlands da, dem Millionen folgen, wohin er sie auch führen möge!»

«Katholischer Helfer des Dritten Reiches»

Die Frage, inwiefern der von der Redaktion gesteuerte politische Kurs von der Trägerschaft des «Morgens» und dessen Leserschaft unterstützt wurde, lässt sich nicht definitiv beantworten. Immerhin sieht sich die Zeitung nach anhaltender Kritik der Linkspresse dazu gezwungen, sich offiziell vom Nationalsozialismus zu distanzieren. Zum Jahresende 1938 erscheint das Statement: «‹Der Morgen› kann aus seiner katholischen Einstellung heraus niemals mit den Lehren des Nationalsozialismus sympathisieren.»

Trotzdem erntet das Blatt weiter Kritik von der Konkurrenz. Die «Berner Tagwacht» bezeichnet den Walter-Verlag 1940 sogar als «katholischen Helfer des Dritten Reiches».

Tod vor Zusammenbruch der Naziherrschaft

In seiner Analyse kommt Historiker Peter Heim zum Schluss, dass die im Walter-Verlag erschienene Zeitung die Entwicklung im nationalsozialistischen Deutschland bewunderte – und zwar in einer Weise, die weit über das hinausging, was in den anderen bisher untersuchten konservativen Blättern der deutschen Schweiz festgestellt werden konnte.

Peter Heims Bezug zum Thema ist auch ein persönlicher. Er sagt: «Ich bin selbst im römisch-katholischen Milieu aufgewachsen und war erschrocken zu sehen, wie nah katholische Blätter dem Nationalsozialismus standen.»

Wie Otto Walter selbst mit den Vorwürfen umging, bleibt unklar. Heim vermutet jedoch, dass er sich nicht habe erschüttern lassen. Wie es scheint, hat Walter an seiner Einstellung zumindest bis Sommer 1941 festgehalten. Danach meldete er sich nur noch selten öffentlich zu Wort. Ob dies mit der Wende an den Kriegsfronten in Zusammenhang stand, lasse sich nicht sagen. Den Zusammenbruch der Naziherrschaft und die Veröffentlichung der Gräueltaten, die «Der Morgen» seiner Leserschaft weitgehend verschwiegen hatte, erlebte er nicht mehr.

Peter Heims Artikel «Im Banne des Zeitgeists. Otto Walter und der Oltner Walter-Verlag als Bastion des rechtskatholischen Fundamentalismus in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts» erscheint im Jahrbuch für Solothurnische Geschichte (Band 96).



Zur Person von Otto Walter

1889 in Mümliswil geboren, wuchs Walter als Sohn eines Fabrikanten auf. Er studierte Philosophie, Volkswirtschaft und Jurisprudenz, bevor er 1912 das Studium abbrach, um sich der Politik zuzuwenden. Während seines Aufenthalts in Wien entwickelte er eine «germanophile Haltung, die er Zeit seines Lebens beibehielt». Von 1917 bis 1937 war er konservativer Kantonsrat (1929 Präsident), 1925 bis 1939 Solothurner Nationalrat und 1932 bis 1938 kantonaler Parteipräsident. Ab 1939 zog er sich aus der Politik zurück, um sich vollumfänglich dem Verlagswesen und der Schriftstellerei zu widmen. 1944 verstarb Otto Walter. Er gehört zu den Begründern der Jungkonservativen Bewegung der Schweiz. (otr)
(https://www.solothurnerzeitung.ch/solothurn/olten/historisch-wir-wuenschen-dass-der-allmaechtige-gott-hitlers-arbeit-in-seine-gnade-nehme-der-oltner-walter-verlag-und-die-blaetter-die-mit-den-nazis-sympathisierten-ld.2599112)