Medienspiegel 20. Februar 2024

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/

+++ZÜRICH
St. Galler Parlament diskutiert Schutzstatus S
Wie sollen mutmassliche Missbräuche beim Schutzstatus S verhindert werden? Dazu fordert das St. Galler Kantonsparlament noch in dieser Session Antworten von der Regierung. Im Fokus stehen Roma-Familien, welche mit ukrainischen Pässen in die Schweiz einreisen.  (ab 02:18)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-ostschweiz/st-galler-parlament-diskutiert-schutzstatus-s?id=12541943


+++SCHWEIZ
Wie Grossbritannien oder Italien: Bundesrat prüft Auslagerung von Asylverfahren ins Ausland
Mehrere europäische Staaten wollen Asylverfahren im Ausland durchführen. Jetzt will auch der Bundesrat diese Idee analysieren.
https://www.watson.ch/schweiz/migration/116720688-drittstaaten-bundesrat-prueft-auslagerung-von-asylverfahren-ins-ausland
-> Postulat Caroni: https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20234490


Bundesrat Beat Jans kündigt im Tessin Massnahmen zur Entlastung des Asylsystems an
Bundesrat Beat Jans hat am 20. Februar 2024 das Bundesasylzentrum in Chiasso besucht. Der Vorsteher des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD) tauschte sich auch mit Vertreterinnen und Vertretern des Kantons Tessin und der Standortgemeinden über die aktuelle Lage aus. Dabei stellte er weitere konkrete Massnahmen zur Verbesserung der Situation in Aussicht. Für die ganze Schweiz kündigte er ein schärferes Vorgehen gegen Wiederholungstäter aus dem Asylbereich an, zudem Anpassungen im Asylverfahren und im Betrieb der Bundesasylzentren (BAZ), um die Zahl aussichtsloser Asylgesuche zu senken.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-100103.html
-> https://www.watson.ch/schweiz/migration/725582980-so-will-beat-jans-die-zahl-aussichtsloser-asylgesuche-senken
-> https://www.blick.ch/politik/medienkonferenz-um-13-uhr-jans-will-asylschraube-anziehen-id19452604.html
-> https://www.20min.ch/story/im-asylzentrum-chiasso-bundesrat-beat-jans-spricht-erstmals-ueber-das-asylwesen-live-103046759?version=1708430587638
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/justizminister-in-chiasso-mit-diesen-massnahmen-will-jans-das-asylsystem-entlasten
-> https://www.stadt-zuerich.ch/pd/de/index/das_departement/medien/medienmitteilung/2024/02/klare-kriterien-fuer-personenkontrollen-seit-2017.html
-> Echo der Zeit: https://www.srf.ch/audio/echo-der-zeit/so-will-der-neue-justizminister-das-asylsystem-entlasten?partId=12542141
-> Tagesschau: https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/beat-jans-will-mit-24-stunden-verfahren-asylsuchende-abschrecken?urn=urn:srf:video:a0b7c643-6efb-4593-b9a4-e9bc5eb47bb3
-> https://www.jungfrauzeitung.ch/artikel/218233/
-> https://www.20min.ch/story/wochenend-plausch-uebernachten-kriminaltouristen-in-asylzentren-das-sagt-bundesrat-jans-103047069?version=1708447598517&utm_source=twitter&utm_medium=social
-> https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/beat-jans-geht-gegen-bb-aslybewerber-vor-ld.2582493
-> 10vor10: https://www.srf.ch/play/tv/10-vor-10/video/debatte-zur-abschreckung-von-asylbewerber?urn=urn:srf:video:282b6c09-769b-4cdf-a895-24417b30b036
-> https://www.derbund.ch/bundesrat-in-chiasso-beat-jans-kuendigt-asylplaene-an-512564809252


+++DEUTSCHLAND
Abschiebung von Jesiden: Völkermord überlebt, nun droht die Abschiebung
Deutschland hat den Genozid an den Jesiden anerkannt. Trotzdem werden nun Überlebende in den Irak abgeschoben. Das Schicksal der Familie Qassim entscheidet sich heute.
https://www.zeit.de/gesellschaft/2024-02/abschiebung-jesiden-irak-versprechen/komplettansicht


Bericht des Auswärtigen Amtes:  „Systematische Verfolgung“ von Kritikern in Syrien
Das Innenministerium prüft, wie straffällig gewordene Asylbewerber zurück nach Syrien abgeschoben werden können. Doch laut einem vertraulichen Bericht des Auswärtigen Amtes ist eine sichere Rückkehr weiter „nicht gewährleistet“.
https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/syrien-asylbewerber-bericht-auswaertiges-amt-100.html


+++FRANKREICH
luzernerzeitung.ch 20.02.2024

Frankreich: Von der Frontex zum Frontisten: Wie radikal ist Fabrice Leggeri?

Der frühere Vorsteher der europäischen Grenzschutzagentur geht in die Politik – und nicht ganz überraschend für das rechtspopulistische «Rassemblement National» in Frankreich.

Stefan Brändle, Paris

Fabrice Leggeri bestätigte eine Pressemeldung in Paris, wonach er auf der Liste des «Rassemblement National» (früher: «Front National») für die kommenden Europawahlen den dritten Platz einnimmt. In dieser prominenten Position ist dem Politnewcomer ein Platz im Europaparlament sicher.

Sprecher französischer Linksparteien sehen in der Berufung einen Beleg, dass der frühere Frontex-Direktor schon in seinem Amt eine politische Agenda befolgt hatte. Leggeri (55), ein französischer Spitzenbeamter, war 2015 Direktor der europäischen Grenzschutzagentur Frontex mit Sitz in Warschau geworden.

Seine Amtsführung weckte von Beginn weg Kritik; unter anderem wurde ihm eine chaotische Einstellungspolitik vorgehalten. Dazu kam der Vorwurf von Flüchtlingshelfern, er decke die griechische Polizei bei den sogenannten Pushbacks, also der völkerrechtlich unzulässigen Rückschaffung von Migrantinnen und Migranten Richtung türkische Küste.

Die Türkei verwahrte sich gegen diese Pushback-Politik und machte dafür Leggeri persönlich verantwortlich. Nichtregierungsorganisationen warfen dem Frontex-Chef des Weiteren vor, er verhindere die Einstellung von Menschenrechtsagenten, die für die juristisch korrekte Abwicklung der Flüchtlingshilfe im Ägäischen Meer zu sorgen hatten.

Die beliebteste Partei Frankreichs

Laut einer Athener Zeitung ermittelte die OLAF auch gegen Leggeri und seinen Stabschef Thibauld de La Haye Jousselin, weil sie sich «aktiv geweigert» hätten, in der Frontex 40 Grundrechtsagenten einzustellen, wie es das neue Grenzschutzreglement der EU vorsah. Als bekannt wurde, dass die OLAF ein Disziplinarverfahren gegen Leggeri plante, zog er im April 2022 die Konsequenzen und reichte seinen Rücktritt ein.

Knapp zwei Jahre später berichtete nun das «Journal du dimanche» in Paris überraschend, Leggeri werde bei den Europawahlen im Juni für das «Rassemblement National» (RN) von Marine Le Pen kandidieren. Der ehemalige Frontex-Chef erklärte, er wolle mithelfen, die «Überflutung durch Migration» zu bekämpfen. RN-Listenführer und Parteichef Jordan Bardella zeigte sich erfreut über den Zuzug eines Kandidaten, der «verfolgt worden war, weil er die Grenzen schützen wollte».

In den Wahlumfragen liegt das RN derzeit mit 29 Prozent der Stimmen weit voraus. Dem Mitte-Lager von Staatspräsident Emmanuel Macron werden 19 Prozent Stimmen gutgeschrieben, den Sozialisten, Grünen und Unbeugsamen jeweils etwas weniger als 10 Prozent. Die Wahl gilt als Barometer für die Chancen von Marine Le Pen bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2027.
(https://www.luzernerzeitung.ch/international/frankreich-von-der-frontex-zum-frontisten-wie-radikal-ist-fabrice-leggeri-ld.2582325)


+++FREIRÄUME
hauptstadt.be 20.02.2024

Spagat zwischen Idealismus und Wirtschaftlichkeit

Nach über vierzig Jahren Betrieb steckt die Brasserie Lorraine in der Krise. Mit einem Spendenaufruf sollen 100’000 Franken zusammenkommen. So will sich das Kult-Lokal retten.

Von Linus Küng (Text), Simon Boschi (Bild)

Es ist vielleicht der günstigste Kaffee im Lorraine-Quartier: Vier Franken kostet die Tasse in der Brasserie Lorraine. Das ist Konzept: «Wir sind ja nicht günstig, weil wir blöd sind, sondern aus politischem Willen», sagt Valentina. Sie arbeitet in der «Brass» im Service, organisiert Veranstaltungen und hat den Spendenaufruf mitverantwortet.

Auf den sozialen Medien und ihrer Website bittet die Beiz seit Dezember um Spenden. Mit dem Betrag möchte sie einen Covid-Kredit in der Höhe von 100’000 Franken zurückzahlen.

Der Kredit wurde damals zinslos gewährt, seit rund einem Jahr sind nun Zinsen darauf fällig. Gleichzeitig sind die Einnahmen gesunken: «Wir haben immer noch genug Kundschaft, aber der Pro-Kopf-Konsum ist tiefer», sagt Valentina. Sie erklärt sich das mit der Teuerung. Die Leute seien weniger bereit, Geld auszugeben, um auswärts zu essen. Es würden weniger Mittagsmenüs, Vorspeisen, Desserts und weniger Getränke pro Tisch bestellt.

Die Kombination aus Schulden und tieferen Einnahmen macht den Spagat schwieriger, an dem sich das Lokal seit vierzig Jahren übt: Eine linke, antikapitalistische Beiz zu sein, die gleichzeitig wirtschaftlich sein muss.

«Ich glaube nicht, dass wir so länger als ein halbes Jahr weiterexistieren könnten», unterstreicht Valentina die Dringlichkeit der Lage. Sie sitzt an einem Montag in der Brasserie am Fenster. Rundherum schwere Beizentische, Holztäfelung. Weder hip noch trendig – es wirkt ein wenig, als wäre hier die Zeit stehengeblieben. Nur die bunten Plakate und politischen Flyer erinnern: Hier passiert etwas.

Seit 1981 verschreibt sich die Beiz einer Art kulturell-gastronomischem Aktivismus. Der äussert sich auf verschiedene Arten: Erstens ist die Brasserie Lorraine selbstverwaltet und kollektiv geführt – alle Entscheidungen werden in der Gruppe abgesegnet. Vorgesetzte gibt es keine. Darum herrscht an diesem Montag auch reger Betrieb im Lokal: immer wieder trudeln Mitglieder des Kollektivs ein. Der Ruhetag ist hier Sitzungstag.

Ein Wohnzimmer für viele

Zweitens pflegt die Beiz eine Politik der offenen Tür: Fast alle sind hier willkommen. Menschen ohne festes Zuhause, Menschen, die am Rande der Gesellschaft stehen. Die Brasserie soll für sie und alle anderen eine Art offenes Wohnzimmer sein. Darum gilt auch kein Konsumzwang: Wer will, darf hier den ganzen Tag verbringen, ohne etwas zu bestellen. Das sehr durchmischte Publikum bringt aber Betreuungsaufwand mit sich: «Manchmal bin ich auch ein wenig Sozialarbeiterin», sagt Valentina.

Weniger willkommen ist die Polizei, die in der Brasserie immer wieder auftaucht, wie das Kollektiv auf seiner Website schreibt. Um was es bei den Kontrollen und Verhaftungen geht, weiss man nicht – es sollen aber auch Drogen im Spiel sein.

Politisch kontrovers

Drittens positioniert sich die «Brass» ganz klar politisch: Soldaten in Uniform oder SVP-Politiker werden nicht bedient. Und am bekanntesten: Ein Konzert der Band «Lauwarm» wird vor eineinhalb Jahren mittendrin abgebrochen. Das führt zu einer landesweiten Debatte über kulturelle Aneignung und zuletzt zu einem Strafbefehl wegen Rassendiskriminierung gegen das Lokal. Gegenüber Medien äussert sich das Kollektiv momentan nicht zum Thema. Einen Zusammenhang zu den tieferen Einnahmen verneinen sie aber.

Alles in allem braucht es viel Idealismus, um länger in der «Brass» zu arbeiten. Das Einkommen ist tief: ein Einheitslohn von knapp zwanzig Franken pro Stunde, plus Kinderzuschlag. Im Gespräch fällt das Wort «Selbstausbeutung». Hier zu arbeiten, scheint mehr als ein Gastro-Job zu sein. Alle, die im Kollektiv mitwirken, übernehmen neben der Arbeit in Service oder Küche zusätzliche Funktionen. Arbeitsgruppen sind zuständig für den Unterhalt, organisieren Veranstaltungen oder zahlen die Löhne aus. Viel Engagement für wenig Lohn: aus politischer Überzeugung.

Darum setzt das Kollektiv in erster Linie auf Spenden. Und da muss noch einiges gehen: Erst rund 10’000 Franken wurden bisher gespendet. Und so macht das Lokal, was es ungern tut: Ab März erhöht die «Brass» über die ganze Speisekarte die Preise.

Der Kaffee in der linken Beiz könnte also bald nicht mehr der günstigste in der Lorraine sein.
(https://www.hauptstadt.be/a/die-brasserie-lorraine-braucht-dringend-geld)



derbund.ch 20.02.2024

Kultur- und Szenelokal in Thun: Bürgerliche wollen Preisgeld fürs Mokka zweckentfremden

Das 50’000-Franken-Preisgeld fürs Mokka soll helfen, den städtischen Beitrag ans Kulturlokal zu kürzen. Es ist die neuste Idee von SVP und FDP/Die Mitte.

Gabriel Berger

Wie hoch soll der Beitrag sein, mit dem die Stadt den laufenden Betrieb in der Café-Bar Mokka unterstützt? An dieser Frage scheiden sich in Thun die Geister.

Im letzten Juli hatte der Stadtrat den neuen Leistungsvertrag für die Jahre 2024 bis 2027 mit einem jährlichen Betrag von 188’000 Franken denkbar knapp zurückgewiesen. In der Folge solidarisierten sich diverse Kulturschaffende aus allen Ecken des Kantons mit den Verantwortlichen des Thuner Kulturlokals und kritisierten den Entscheid des Parlaments.

Um Zeit für die Nachverhandlungen mit dem Verein Mokka zu gewinnen, verlängerte der Gemeinderat im August den Leistungsvertrag vorerst um ein Jahr bis Ende 2024.

Fast gleichzeitig – und unabhängig von den politischen Vorkommnissen in Thun – gab die Burgergemeinde Bern bekannt, dass sie dem Mokka einen mit 50’000 Franken dotierten Preis verleiht. Das Lokal engagiere sich seit über 35 Jahren für eine «qualitativ hochwertige Kulturlandschaft», teilte die Burgergemeinde damals mit.

Spende soll angerechnet werden

Derzeit laufen die Verhandlungen zwischen dem Gemeinderat und dem Verein Mokka. Das neue Kreditgeschäft soll noch in der ersten Jahreshälfte ins Parlament kommen. In der jüngsten Stadtratssitzung vom Donnerstag haben die Fraktionen SVP und FDP/Die Mitte nun aber bereits einen neuen Vorstoss lanciert. Dem Postulat wurde Dringlichkeit gewährt, womit es spätestens in der Sitzung vom 2. Mai behandelt werden wird.

SVP und FDP/Die Mitte fordern, dass der Gemeinderat prüfen soll, das Preisgeld der Burgergemeinde an die Zahlungen ans Mokka für den Zeitraum 2025–2027 anzurechnen. Verteile man diese ausserordentliche Spende auf diese drei Jahre, ergebe diese eine jährliche Unterstützung von 16’667 Franken.

«Der neu ausgehandelte Beitrag der Stadt Thun könnte entsprechend reduziert werden», argumentieren die Urheber des Postulats. Damit könne die «Politisierung des Mokkas endlich ein Ende» finden.

«Die Logik bleibt dieselbe»

Vom Vorstoss überrascht zeigt sich die zuständige Thuner Gemeinderätin Katharina Ali-Oesch (SP). Ausführlich Stellung nimmt die Kulturdirektorin noch nicht; dies werde der Gemeinderat zu gegebener Zeit tun. Ali-Oesch hält aber fest: «Die Logik der Urheberschaft bleibt dieselbe: Man will dem Mokka Gelder kürzen.» Es sei einfach ein neuer, anderer Versuch.

Inwiefern eine allfällige Annahme des Postulats das spätere Kreditgeschäft zum Mokka tangieren würde, kann Ali-Oesch im Detail noch nicht beurteilen. «Würde der Vorstoss angenommen, wäre dies ja erst ein Prüfauftrag. Der Gemeinderat hätte immer noch verschiedene Optionen», erklärt Ali-Oesch.

Die Verantwortlichen der Café-Bar Mokka wussten bis am Dienstag noch nichts von der jüngsten Idee aus dem Stadtrat. «Dass wieder was kommen würde, hat uns nicht erstaunt. Überrascht hat uns aber der Inhalt des dringlichen Postulats», sagt die Präsidentin des Vereins Mokka, Michelle Aebischer. Die Argumentation im Vorstoss stimme nicht mit dem überein, was das Mokka-Team zuletzt aus den Reihen der involvierten Parteien vernommen habe.

Zweck noch nicht bestimmt

Einen konkreten Zweck für das Preisgeld von 50’000 Franken habe das Team bisher noch nicht bestimmt, hält Aebischer fest. Noch sei alles möglich. «In den Pandemiejahren mussten wir all unsere Rückstellungen aufbrauchen. Zudem sind auch wir mit der Teuerung und höheren Sicherheitskosten konfrontiert», sagt die Präsidentin lediglich.

Und wie lautet der Kommentar der Burgergemeinde Bern zur neuen Idee der Bürgerlichen in Thun? «Der Vorschlag ist nicht in unserem Sinn», sagt Patrizia Crivelli, Leiterin der Fachstelle Engagement in Kultur und Gesellschaft bei der Burgergemeinde. «Das Mokka-Team ist völlig frei in der Verwendung des Preisgelds.»

Crivelli kann sich nicht erinnern, dass schon je einmal versucht worden wäre, eine Auszeichnung auf diese Art zweckzuentfremden. Der entscheidende Punkt sei: «Der Preis ist eine Anerkennung und Ehrung für Leistungen in der Vergangenheit – und nicht ein Kulturförderbeitrag für künftiges Engagement.»
(https://www.derbund.ch/mokka-thun-svp-fdp-und-mitte-wollen-preisgeld-zweckentfremden-129090440898)


+++GASSE
Arm und alleinerziehend – «Viele geben mir selbst die Schuld dafür»
Nadja Chahdi lebt mit ihrer dreijährigen Tochter am Existenzminimum. Mit einem 60-Prozent Job kommt die 23-Jährige ohne Sozialhilfe nicht über die Runden. Immer wieder muss sich Nadja anhören, dass sie für ihre Armut selbst verantwortlich sei, weil sie mit 19 Jahren gewollt schwanger wurde.
https://www.telebaern.tv/41-das-schweizer-reportagemagazin-old/arm-und-alleinerziehend-viele-geben-mir-selbst-die-schuld-dafuer-155966421


Zu wenig Geld fürs Essen – Volle Gassenküche wegen Armut
Die Gassenküche des Sozialwerks Hope in Baden ist fast jeden Mittag voll. Weil die Lebensmittelpreise stark angezogen haben, können sich Armutsbetroffene kein Essen mehr leisten. Das Angebot der Gratissuppe nehmen auch Leute in Anspruch, die man in einer Gassenküche nicht erwarten würde.
https://www.telebaern.tv/41-das-schweizer-reportagemagazin-old/zu-wenig-geld-fuers-essen-volle-gassenkueche-wegen-armut-155966439


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
«Anti-Chaoten-Initiative» und Gegenvorschlag in Zürich
Nein zum rechten Doppel-Angriff auf unsere Versammlungsfreiheit
Die Junge SVP will im Kanton Zürich mit einer Initiative die Meinungs- und Versammlungsfreiheit einschränken. Die bürgerliche Mehrheit des Kantonsparlaments biedert sich bei ihnen mit einem Gegenvorschlag an. Die Gewerkschaften lehnen beide Vorlagen ab.
https://www.workzeitung.ch/2024/02/nein-zum-rechten-doppel-angriff-auf-unsere-versammlungsfreiheit/


Demonstration in Bern: Gut 50 Menschen fordern die Freilassung von Julian Assange
Auf dem Helvetiaplatz trafen sich am Dienstag Unterstützer von Wikileaks-Gründer Julian Assange. Ihm droht diese Woche die Auslieferung in die USA.
https://www.derbund.ch/julian-assange-50-menschen-fordern-in-bern-die-freilassung-639033388525


+++SPORT
Kampfansage an Hooligans: Eymann will Fussballultras härter anpacken
Die Basler Sicherheitsdirektorin will den Beitritt zum erweiterten Konkordat erneut auf den Tisch bringen. Auch personalisierte Tickets sind ein Thema.
https://www.bazonline.ch/kampfansage-an-hooligans-eymann-will-fussballultras-haerter-anpacken-284598550563



Basler Zeitung 20.02.2024

Landräte sind aufgebracht: Baselbieter Polizeichef provoziert mit Interviewaussagen

Mark Burkhard äusserte in der BaZ Zustimmung zum erweiterten Hooligan-Konkordat, obschon das Parlament dies unlängst abgelehnt hatte. Das sorgt für Kritik.

Oliver Sterchi

Es sind markige Worte, die der Baselbieter FDP-Landrat Balz Stückelberger wählt: «Wir müssen uns dringend einig werden darüber, wer im Kanton Baselland Politik macht, der Polizeichef oder das Parlament.»

Der Grund, weshalb Stückelberger so aufgebracht ist: Letzte Woche äusserte sich der Baselbieter Polizeikommandant Mark Burkhard im Interview mit der BaZ zum Problem der Fangewalt. Dabei kam auch das erweiterte Hooligan-Konkordat zur Sprache.

Burkhard signalisierte im Interview, dass er Aussagen der basel-städtischen Justizdirektorin Stephanie Eymann in der NZZ, die Frage über den Beitritt zum Konkordat nochmals aufs Tapet zu bringen, begrüsse. «Gut so», befand der Polizeikommandant – und: «Stephanie Eymann macht es vor.»

Diese Aussagen kommen, knapp ein Jahr nachdem der Baselbieter Landrat in dieser Frage einen klaren Entscheid gefällt hat, nämlich ein Nein zu einem Beitritt. Stückelberger stört sich denn auch daran, dass Burkhard nun wieder damit kommt, nachdem das Parlament dies abgelehnt hat. Und sein Ratskollege Jan Kirchmayr (SP) meint: «Der Polizeikommandant soll demokratische Prozesse respektieren, Punkt.»

Aussagen nicht mit Regierungsrätin abgesprochen

Die beiden Basel sind die einzigen Kantone, die dem erweiterten Konkordat nicht beigetreten sind. Die interkantonale Vereinbarung regelt den strikteren Umgang mit gewaltbereiten Sportfans. Beide hatten einen Beitritt bereits 2013 respektive 2014 abgelehnt, der Landrat bekräftigte diese Position im Dezember 2022 mit einem erneuten Nein. In der Stadt will Eymann nun offenbar ebenfalls einen neuen Anlauf wagen.

Der Baselbieter Polizeikommandant wollte wohl dieses Momentum nützen, um das Thema auch im Landkanton wieder zur Sprache zu bringen. Er verstehe nämlich nicht, «weshalb der Widerstand gegen schärfere Massnahmen derart gross ist», so Burkhard zur BaZ.

Seine Aussagen waren allerdings offenbar nicht abgesprochen mit Regierungsrätin und Sicherheitsdirektorin Kathrin Schweizer. Auf die Frage, ob Schweizer plane, das Konkordat neu zu lancieren, antwortet Direktionssprecher Andreas Schiermeyer mit einem knappen «Nein». Zwar sei der Direktionsvorsteherin bekannt gewesen, dass Burkhard für ein Interview angefragt worden sei. Aber: «Inhalte wurden keine besprochen.»

Regierungsrätin Schweizer sei «grundsätzlich» der Meinung, «dass Lösungen zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt anlässlich von Sportanlässen gefunden werden müssen». Da sich der Landrat erst vor gut einem Jahr gegen das erweiterte Hooligan-Konkordat ausgesprochen habe, sei jedoch nicht zu erwarten, dass er sich bei einem erneuten Anlauf anders positionieren würde.

Zuspruch von der GLP

Burkhard erhält von anderer Seite indes auch Zuspruch. GLP-Landrat Yves Krebs hatte den erneuten Vorstoss für einen Beitritt ins Parlament eingebracht, der 2022 abgelehnt wurde. Für ihn ist die Sache damit aber noch nicht gegessen: «Es gibt keine stichhaltigen Argumente gegen einen Konkordatsbeitritt», so der Grünliberale. Es brauche schweizweit einheitliche Regeln für den Umgang mit den «Krawallbrüdern» in den Fankurven, sagt Krebs.

Der GLP-Landrat stützt den Polizeikommandanten denn auch: «Es ist seine Pflicht, auf Missstände hinzuweisen.» Die anderen Probleme, mit denen die Polizei zu kämpfen habe – etwa der Personalmangel –, stünden nämlich ebenfalls in einem Zusammenhang mit der Fangewalt. «Wenn Polizistinnen und Polizisten fast schon jedes Wochenende zu einem Hochrisikospiel ausrücken müssen, ist das der Jobzufriedenheit nicht gerade zuträglich.»

Eine diametral andere Meinung vertritt SP-Landrat Jan Kirchmayr. Er findet, dass es im Moment drängendere Probleme gebe als Fangewalt, etwa die Zunahme der Einbruchdiebstähle im Baselbiet. «Der Polizeikommandant sollte sich vielmehr darum kümmern.» In den letzten Jahren habe es vergleichsweise wenig Zwischenfälle im Stadion gegeben, sagt Kirchmayr, der selber über eine Saisonkarte verfügt. «Das zeigt, dass der Basler Weg, der auf Dialog und Fanarbeit setzt, funktioniert und weitergeführt werden soll.» Dies zeigten auch wissenschaftliche Studien. «Mehr Repression ist kontraproduktiv.»

Und was sagt der Angeschossene dazu? Auf Nachfrage der BaZ krebst die Medienstelle der Baselbieter Kantonspolizei etwas zurück: «Mit diesen Aussagen hat Herr Burkhard das gegenwärtige erweiterte Hooligan-Konkordat im Baselbiet überhaupt nicht wieder auf den Tisch gebracht. Dazu bestünde ja auch kein konkreter Anlass», schreibt die Leiterin Kommunikation, Barbara Richard. Und weiter: Falls das Konkordat in Zukunft überarbeitet oder angepasst werden müsse – «was ja denkbar ist» –, dann gelte Burkhards Wunsch «sinngemäss».

Das Thema Umgang mit Fangewalt – es bleibt ein heisses Eisen im Baselbiet.
(https://www.bazonline.ch/landraete-sind-aufgebracht-baselbieter-polizeichef-provoziert-mit-interviewaussagen-551966626256)


+++KNAST
EGMR verurteilt Schweiz: Igor L. erhält Genugtuung wegen unrechtmässigen Freiheitsentzugs
Die Behörden haben im Fall des «Schlägers von Schüpfen» mehrere Konventionen verletzt, urteilt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte.
https://www.derbund.ch/egmr-verurteilt-schweiz-igor-l-erhaelt-ueber-40000-genugtuung-832889772700
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/mitarbeitende-kritisieren-das-neue-berner-inselspital?id=12542171

-> EGMR-Urteil: https://hudoc.echr.coe.int/app/conversion/pdf/?library=ECHR&id=003-7880517-10957331&filename=Judgment%20I.L.%20v.%20Switzerland%20(no.%202)%20-%20applicant%E2%80%99s%20detention%20in%20conditions%20unsuited%20to%20his%20health.pdf


+++POLICE BE
Kontroverse um Polizeieinsatz: Berner Regierung kritisiert Medien
Der Berner Regierungsrat bemängelt die Berichterstattung dieser Zeitung zu einem Polizeieinsatz von 2021. Die Chefredaktion weist die Vorwürfe zurück.
https://www.bernerzeitung.ch/kontroverse-um-polizeieinsatz-berner-regierung-kritisiert-medien-718405780700
-> https://www.20min.ch/story/kontroverse-festnahme-berner-regierungsrat-kritisiert-berichterstattung-der-medien-103046466


+++POLIZEI AG
Was tun gegen die Diebe aus Nordafrika? Die Rezepte des Polizeikommandanten, des SVP-Nationalrats und der SP-Grossrätin
Im TalkTäglich erklärte Polizeikommandant Michael Leupold, warum sein Korps an seine Grenzen kommt. SVP-Nationalrat Christoph Riner forderte Nulltoleranz gegenüber kriminellen Flüchtlingen. SP-Grossrätin Lelia Hunziker sagte, ein strenges Asylsystem wirke auf Migrantinnen und Migranten nicht abschreckend.
https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/diskussion-was-tun-gegen-die-diebe-aus-nordafrika-die-rezepte-des-polizeikommandanten-des-svp-nationalrats-und-der-sp-grossraetin-ld.2582663
-> https://www.telem1.ch/talktaeglich/autoaufbrecher-aus-nordafrika-155970084


+++POLICE NE
Aufarbeitung Geiselnahme VD – Wann darf die Polizei scharf schiessen?
Vor zwei Wochen hat die Waadtländer Polizei einen Geiselnehmer erschossen, der 13 Menschen über Stunden in seiner Gewalt hatte. Der Getötete war ein Geflüchteter aus dem Iran. Seine Familie hat Anklage gegen die Polizei erhoben. Die Familie unterstütze die Tat nicht, aber es sei nicht angebracht gewesen, ihn zu töten. Wie die Rechtslage diesbezüglich aussieht, erläutert Dominic Buttliger.
https://www.srf.ch/news/schweiz/aufarbeitung-geiselnahme-vd-wann-darf-die-polizei-scharf-schiessen


Neue Details zu Geiselnehmer von Yverdon und Asylzentrum-Mitarbeiterin: Er stalkte sie über ein Jahr lang – sie wechselte sogar Arbeitsort
Während der Geiselnahme in Essert-sous-Champvent VD vor gut zwei Wochen bestand der Täter mehrmals darauf, mit einer Mitarbeiterin eines Asylzentrums verbunden zu werden. Nun ist mehr über diese Frau bekannt.
https://www.blick.ch/schweiz/westschweiz/waadt/neue-details-zu-geiselnehmer-von-yverdon-und-asylzentrum-mitarbeiterin-er-stalkte-sie-ueber-ein-jahr-lang-sie-wechselte-sogar-arbeitsort-id19454256.html
-> https://www.rts.ch/play/tv/19h30/video/la-police-vaudoise-avait-refuse-denregistrer-la-plainte-de-la-femme-harcelee-par-le-preneur-dotages?urn=urn:rts:video:14715965
-> https://www.blick.ch/schweiz/westschweiz/waadt/england-griechenland-polen-geiselnehmer-von-essert-sous-champvent-vd-reiste-durch-halb-europa-id19450499.html


+++POLIZEI ZH
Racial Profiling Fall; Europäischer Gerichtshof verurteilt Schweiz wegen Diskriminierung
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg hat heute Dienstag das Urteil zu einer Personenkontrolle im Zürcher Hauptbahnhof verkündet.
https://www.derbund.ch/racial-profiling-fall-europaeischer-gerichtshof-verurteilt-schweiz-508341682618
-> https://www.watson.ch/schweiz/justiz/400981440-egmr-verurteilt-schweiz-wegen-fall-von-racial-profiling
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/europaeischer-gerichtshof-fuer-menschrechte-ruegt-die-schweiz?id=12541946
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/schweiz-wegen-fall-von-racial-profiling-verurteilt-66711469
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/rassistische-polizeikontrolle-egmr-verurteilt-schweiz-wegen-fall-von-racial-profiling
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/was-bedeutet-das-egmr-urteil-fuer-die-zuercher-polizei?id=12542168
-> Echo der Zeit: https://www.srf.ch/audio/echo-der-zeit/egmr-verurteilt-schweiz-wegen-racial-profiling?partId=12542144
-> https://www.toponline.ch/news/winterthur/detail/news/egmr-verurteilt-schweiz-wegen-fall-von-racial-profiling-00232504/
-> https://www.amnesty.ch/de/laender/europa-zentralasien/schweiz/dok/2024/egmr-verurteilt-schweiz-wegen-ethnischem-profiling
-> https://www.humanrights.ch/de/news/wegweisendes-egmr-urteil-rassistischem-profiling-wa-baile
-> Schweiz Aktuell: https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/egmr-verurteilt-schweiz-wegen-fall-von-racial-profiling?urn=urn:srf:video:5c7a7928-5a77-41f2-b873-f9e9a52a53ab
-> https://www.telezueri.ch/zuerinews/schweiz-wird-wegen-racial-profiling-verurteilt-156334395
-> https://www.20min.ch/story/fall-wa-baile-egmr-verurteilt-die-schweiz-wegen-racial-profiling-103046854
-> https://www.jungfrauzeitung.ch/artikel/218248/
-> https://www.blick.ch/politik/beschwerde-gutgeheissen-egmr-verurteilt-schweiz-wegen-fall-von-racial-profiling-id19452000.html
-> https://tsri.ch/a/clsumayy200eg4z2ssw6z0yu6/racial-profiling-in-zuerich-mohamed-wa-baile-bekommt-am-egmr-recht-europaeischer-gerichtshof-fuer-menschenrechte-strassburg
-> https://www.zueritoday.ch/videos/schweiz-wird-wegen-racial-profiling-verurteilt-156329731?autoplay=true&mainAssetId=Asset:156329663
-> https://www.derbund.ch/egmr-urteil-wegen-racial-profiling-die-folgen-fuer-die-schweiz-507262099751
-> https://www.derbund.ch/racial-profiling-das-strassburger-urteil-ist-ein-grund-zum-schaemen-907359018264

-> EGMR-Urteil: https://hudoc.echr.coe.int/fre#{%22itemid%22:[%22001-231080%22]}%20peau%20dans%20le%20contexte%20d’un%20contr%C3%B4le%20d’identit%C3%A9.pdf
-> https://twitter.com/ECHR_CEDH/status/1759868150684811623


Klare Kriterien für Personenkontrollen seit 2017
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg beurteilt die Personenkontrolle von Mohamed Wa Baile im Jahr 2015 durch die Stadtpolizei als diskriminierend. Die Stadtpolizei reagierte auf die Rassismusvorwürfe und setzte bereits 2017 neue Standards in Kraft, nach denen eine Person kontrolliert werden darf.
https://www.stadt-zuerich.ch/pd/de/index/das_departement/medien/medienmitteilung/2024/02/klare-kriterien-fuer-personenkontrollen-seit-2017.html


Strassburg verurteilt Schweiz: «Dieses Urteil ist bahnbrechend»
Der Gerichtshof für Menschenrechte rügt die Schweiz wegen rassistischer Polizeikontrollen. Gemäss Rechtsprofessor Daniel Moeckli wird die Schelte weitreichende Folgen haben.
https://www.derbund.ch/egmr-urteil-wegen-racial-profiling-die-folgen-fuer-die-schweiz-507262099751



tagesanzeiger.ch 20.02.2024

Racial-Profiling-Urteil aus Strassburg: Was der Fall Wa Baile in Zürich ausgelöst hat – und wo es noch hapert

Der Stadtrat findet: Die Stadtpolizei habe ihre Lehren gezogen. Die Zürcher Linke fordert Quittungen für Polizeikontrollen.

Beat Metzler

Zum zweiten Mal innert kurzer Zeit äussert sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zur Zürcher Stadtpolizei. Zum zweiten Mal kommt diese dabei nicht so gut weg.

Ende 2023 rügte das Gericht aus Strassburg die Stadtpolizei für die Einkesselung von 1.-Mai-Demonstrierenden im Jahr 2011. Die zuständige Stadträtin Karin Rykart (Grüne) entschuldigte sich dafür.

Am Dienstag hat das EGMR Mohamed Wa Baile recht gegeben. Der heute 49-Jährige wurde im Februar 2015 im Zürcher Hauptbahnhof von Stadtpolizisten angehalten. Wa Baile weigerte sich, seinen Ausweis zu zeigen. Aus seiner Sicht kontrollierten ihn die Polizisten allein aufgrund seiner Hautfarbe. Der Fachbegriff dafür lautet Racial Profiling. Weil er sich weigerte, bekam Wa Baile eine Busse von 100 Franken.

Diese Strafe wollte er nicht akzeptieren. Mit Unterstützung von zwei Menschenrechtsorganisationen klagte er vor Gericht. Doch alle Schweizer Instanzen – das Bezirks- und das Obergericht Zürich sowie das Bundesgericht – sahen in der Identitätskontrolle kein Racial Profiling.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte kommt nun in seinem fast 50 Seiten langen Urteil zu einem anderen Schluss: Die Schweizer Gerichte hätten die Frage der Diskriminierung nicht ausreichend geprüft. Wa Bailes Klage sei gut begründet.

Klarere Regeln für Kontrollen gefordert

Die Non-Profit-Organisation Allianz gegen Racial Profiling hat Wa Baile bei seinem Gang durch die Instanzen unterstützt. Gemäss ihrem Sprecher Tarek Naguib handelt es sich beim aktuellen Entscheid um eine Art Leiturteil, welches das EGMR besonders schnell gefällt habe. «Jetzt müssen die Schweizer Polizeikorps und die Politik auf verschiedenen Ebenen Massnahmen ergreifen, damit Racial Profiling nicht mehr vorkommt», sagt Naguib. So brauche es klarere Regeln für Personenkontrollen. In die Ausbildung und bei der Personalrekrutierung müsse das Thema ebenfalls stärker einfliessen.

Tarek Naguib erhofft sich ausserdem Auswirkungen auf die Schweizer Gerichte. «Der EGMR fordert sie klar auf, Racial-Profiling-Fälle sorgfältiger zu untersuchen.» Mangelnden Einsatz wirft die Allianz gegen Racial Profiling unter anderem etwa dem Zürcher Obergericht im Fall des herzkranken Wilson A. vor. Dieser wurde bei einer Polizeikontrolle im Jahr 2009 verletzt. Das Obergericht sprach den beschuldigten Polizisten letzte Woche frei.

Der juristische Kampf habe sich gelohnt, sagt Tarek Naguib. Das Urteil zeige allen Betroffenen: «Ihr müsst behördlichen Rassismus nicht einfach akzeptieren.»

Quittungen bei Kontrollen?

In Zürich hat der Fall politisch einiges ausgelöst. So fordert die links-grüne Mehrheit im Gemeinderat, dass die Stadtpolizei bei Personenkontrollen jeweils eine Quittung ausgibt. Dazu hat sie im November 2022 gleich zwei Vorstösse überwiesen, ein Postulat der SP sowie eine parlamentarische Initiative der AL. Auf solchen Quittungen würden der Anlass für die Kontrolle sowie alle Beteiligten vermerkt. «Quittungen sollen Polizistinnen und Polizisten bewusst machen, warum sie jemanden anhalten und durchsuchen», sagt Mit-Postulant Reis Luzhnica (SP). Dadurch würde auch das Vertrauen der Bevölkerung in die Polizei erhöht.

In den letzten Jahren gehe die Stadtpolizei aufmerksamer mit Fehlern bezüglich Racial Profiling um, sagt Luzhnica. «Aber ich glaube, dass das Problem weiterhin besteht.»

Dank dem Mittel der parlamentarischen Initiative kann der Gemeinderat nun selber eine entsprechende Verordnung schreiben. Gemäss Reis Luzhnica wird die zuständige Kommission die Beratung bald abschliessen.

Im Gemeinderat stimmten die bürgerlichen Parteien gegen die Quittungen. Sie befürchteten ein wirkungsloses  «Bürokratiemonster» und warfen der Linken vor, der Polizei pauschal Rassismus zu unterstellen. Auch Sicherheitsvorsteherin Karin Rykart stellte sich gegen die Forderung. Die Stadtpolizei habe bereits viel unternommen, sagte sie.

Stadtpolizei reagiert heute bei fehlbarem Verhalten

Dies betont das Sicherheitsdepartement auch in einer Pressemitteilung zum aktuellen EGMR-Urteil: Die Stadtpolizei habe bereits 2015 ein Projekt lanciert, um Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe zu minimieren. Die entsprechenden Massnahmen wurden 2017 umgesetzt. Seither müssen Stadtpolizisten kontrollierten Personen mündlich den Anlass dafür angeben. Die Voraussetzungen für Kontrollen seien in einer Dienstanweisung festgeschrieben. Das Bauchgefühl allein reiche nicht. Auf einer App erfasse die Stadtpolizei intern Ort, Zeit, Ursache und Folgen der Kontrolle. Zudem habe sie das Thema Rassismus in der Ausbildung vertieft sowie Übungen dazu eingeführt. «Und wenn wir fehlbares Verhalten feststellen, reagieren wir», schreibt das Sicherheitsdepartement. Das Urteil aus Strassburg werde man analysieren.

Unterstützung erhält die Stadtpolizei von der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus. In einer Mitteilung begrüsst sie das Urteil des EGMR. Bei der Stadtpolizei beobachte man aber «grösste Bemühungen zur Eindämmung von Racial Profiling».

Mohamed Wa Baile wollte sich am Dienstag gegenüber dieser Zeitung nicht weiter äussern. Vor Jahren sagte er, dass es im Prozess nicht um ihn selber gehe; sondern darum, dass Schwarze in der Schweiz künftig nicht mehr beweisen müssten, keine Drogenhändler zu sein.
(https://www.tagesanzeiger.ch/racial-profiling-was-der-fall-wa-baile-in-zuerich-ausgeloest-hat-415123026990)



nzz.ch 20.02.2024

Der Gerichtshof für Menschenrechte rüffelt die Schweiz: Ob ein dunkelhäutiger Mann bei einer Polizeikontrolle diskriminiert worden ist, haben die Gerichte nicht genügend genau geprüft

Mohamed Wa Baile ist bis nach Strassburg gegangen, um wegen Racial Profiling zu klagen.

Isabel Heusser

Der Fall hatte für Aufsehen gesorgt und beschäftigte schliesslich den Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg: Mohamed Wa Baile, ein Schweizer kenyanischer Herkunft, warf der Zürcher Stadtpolizei vor, er sei ein Opfer von Racial Profiling geworden.

Der heute 49-Jährige war im Februar 2015 im Hauptbahnhof Zürich von drei Polizisten angehalten worden. Er war auf dem Weg zur ETH, wo er damals als Bibliothekar arbeitete. Wa Baile weigerte sich, seinen Ausweis zu zeigen. Als die Polizisten seinen Rucksack durchsuchten, fanden sie einen Sozialversicherungsausweis und liessen ihn gehen. Später erhielt Wa Baile wegen Nichtbefolgens polizeilicher Anordnungen per Strafbefehl eine Busse von 100 Franken.

Diese akzeptierte er nicht. Wa Baile war überzeugt, dass die Polizisten ihn einzig aufgrund seiner dunklen Hautfarbe kontrolliert hatten, und machte eine Verletzung des Diskriminierungsverbots geltend.

Mit Unterstützung von zwei Menschenrechtsorganisationen ging er vor Gericht. Doch sowohl das Bezirksgericht Zürich als auch später das Ober- und das Bundesgericht erkannten in der Identitätskontrolle kein Racial Profiling. Das Zürcher Verwaltungsgericht kam zwar zum Schluss, dass die Kontrolle zu Unrecht erfolgt war. Es liess aber die Frage, ob Wa Baile allein aufgrund seiner Hautfarbe angehalten worden war, offen.

Schliesslich gelangte er an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Dieser hat nun am Dienstag sein Urteil bekanntgegeben. Es stellt im Wesentlichen drei Verletzungen der Europäischen Menschenrechtskonvention fest – und enthält einen Rüffel an die Gerichte in der Schweiz.

Polizisten in einer «schwierigen Situation»

Der Gerichtshof hält grundsätzlich fest, dass Rassendiskriminierung eine besonders abscheuliche Form der Diskriminierung sei und von den Behörden besondere Wachsamkeit und ein energisches Vorgehen erfordere.

Bei der Kontrolle im Hauptbahnhof sei Wa Bailes Privatsphäre verletzt worden, und die Polizisten hätten den Grundsatz der Nichtdiskriminierung nicht beachtet, heisst es im Urteil. Sein Vorwurf der Diskriminierung sei berechtigt gewesen, doch die Gerichte hätten seine Beschwerde nicht genügend geprüft.

Zudem sei Wa Baile hinsichtlich seiner Beschwerde kein wirksames Rechtsmittel zur Verfügung gestanden – obwohl die Schweizer Behörden Diskriminierungsvorwürfe effektiv untersuchen und behandeln müssten, insbesondere in Fällen von möglichem Racial Profiling.

Im Urteil kommt der Gerichtshof auch auf die Rolle der Polizisten zu sprechen, die sich in einer schwierigen Situation befunden hätten. Sie hätten sehr schnell entscheiden müssen, ob sie es mit einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu tun gehabt hätten – insbesondere weil es keine klaren Richtlinien gegeben habe.

Die Schweiz muss nun knapp 24 000 Euro an Wa Baile zahlen, wenn das Urteil rechtskräftig ist.

Wa Bailes Fall zeigt auf, wie teuer der Gang vor ein internationales Gericht werden kann: Die Allianz gegen Racial Profiling hat nach eigenen Angaben mit Spenden rund 100 000 Franken gesammelt. In einer Medienmitteilung spricht die Organisation von einem «Meilenstein im Kampf gegen institutionellen Rassismus» und platziert eine Reihe von Forderungen. Nun müssten sämtliche Korps in der Schweiz einer «unabhängigen sozialwissenschaftlichen Untersuchung» unterzogen werden.

Gefordert wird weiter eine unabhängige Monitoringstelle, die Fälle von Rassismus in Polizei und Justiz systematisch erfasst, analysiert und öffentlich macht. Zudem, so heisst es in der Mitteilung, brauche es «eine Veränderung der internen Polizeikultur».

Kontrollen müssen in einer App protokolliert werden

Das Sicherheitsdepartement der Stadt Zürich teilte am Dienstag mit, man werde das Urteil des Gerichtshofes analysieren.

In Zürich wird seit Jahren darüber gestritten, ob die Polizei ein Racial-Profiling-Problem hat. Linke Kreise monierten immer wieder, die Polizei gehe bei ihren Kontrollen unverhältnismässig und diskriminierend vor. Der damalige Stadtzürcher Sicherheitsvorsteher Richard Wolff (AL) liess die Vorwürfe abklären – und kam zum Schluss, es gebe bei der Stadtzürcher Polizei keine systematisch rassistischen Kontrollen.

Gleichzeitig stellte er ein Paket von Massnahmen vor, um konsequenter gegen Racial Profiling vorzugehen. Die wichtigste: Polizisten müssen Personen, die sie kontrollieren, den Grund für die Überprüfung angeben. Ein diffuses Bauchgefühl allein reiche nicht aus. Seit Februar 2018 sind zudem alle Stadtpolizisten mit einer App auf dem Smartphone ausgerüstet, in der sie Personenkontrollen protokollieren müssen.

«Selbstverständlich passieren in einem Korps mit über 2100 Mitarbeitenden Fehler», schreibt das Sicherheitsdepartement. «Wenn wir fehlbares Verhalten feststellen, reagieren wir.»

Den Linken war das nicht genug. Im Stadtparlament brachten sie mit Unterstützung der GLP Ende 2022 einen Vorstoss mit einer weiteren Massnahme durch: Künftig soll die Stadtpolizei bei Personenkontrollen eine Quittung ausstellen. Darauf sollen die Stadtpolizisten minimale Angaben zur angehaltenen Person sowie zu Zeit und Ort festhalten, ebenso eine Begründung der Kontrolle und ein Hinweis zu Beschwerdemöglichkeiten.

Die Sicherheitsvorsteherin Karin Rykart (Grüne) hatte sich gegen ein solches Quittungssystem gestellt. Das Problem von Racial Profiling werde bei der Polizei sehr ernst genommen, hielt sie im Rat fest und verwies auf die entwickelte App. Nach Gutdünken dürften keine Kontrollen durchgeführt werden, und hier sei man auf einem guten Weg: Bei rund jeder dritten überprüften Personen bestätige sich der Anfangsverdacht.

In den letzten Jahren ist die Zahl der Personenkontrollen in der Stadt Zürich zurückgegangen: Waren es im Jahr 2018 noch 25 830 Kontrollen gewesen, wurden im Jahr 2022 nur noch 14 028 Personen überprüft, wie es im Sicherheitsbericht der Stadt Zürich heisst. Einen Ausreisser nach oben gab es im Pandemiejahr 2021, als allein rund 3500 Personen im Zusammenhang mit dem damaligen Versammlungsverbot kontrolliert wurden.

Ernsthafte Zwischenfälle bei Überprüfungen sind nur wenige bekannt. Allerdings musste sich das Zürcher Obergericht erst kürzlich mit einer Personenkontrolle befassen, die aus dem Ruder gelaufen war. Ein heute 50-jähriger Mann mit dunkler Hautfarbe gab an, er sei im Jahr 2009 das Opfer von Polizeigewalt geworden. Das Gericht sprach den Polizisten aber frei.
(https://www.nzz.ch/zuerich/mohamed-wa-baile-wird-am-hauptbahnhof-zuerich-von-der-polizei-kontrolliert-das-empfindet-er-als-diskriminierend-nun-rueffelt-das-hoechste-europaeische-gericht-die-schweiz-ld.1814785)


++++FRAUEN/QUEER
SRF: Kritik nach Beiträgen zu trans Jugendlichen!
Das Transgender Network Switzerland hat gegen Beiträge von SRF eine Beanstandung eingereicht. Es sei «äusserst problematisch» berichtet worden, so das Netzwerk.
https://www.nau.ch/people/aus-der-schweiz/srf-kritik-nach-beitragen-zu-trans-jugendlichen-66710631


Von Michael zu Michelle – Transition mit 52 Jahren
Mit 52 Jahren wurde aus Michael Michelle Egloff. Die Aargauerin berät als Ärztin trans Menschen bei der Hormontherapie, jetzt hat sie selber den Schritt vom Mann zur Frau vollzogen. Schon als Bub hat sich Michael dem weiblichen Geschlecht zugehörig gefühlt. Dennoch gründete er eine Familie und lebte ein der gesellschaftlichen Norm entsprechendes Leben. Bis die innere Not zu gross wurde und er den Schritt zur Transition wagte. Wie viel Mut dieser Entscheid gekostet hat und wie sich ihr neues Leben als Frau anfühlt, erzählt Michelle Egloff heute live im «TalkTäglich».
https://www.telezueri.ch/talktaeglich/von-michael-zu-michelle-transition-mit-52-jahren-155966424


+++RASSISMUS
Bundesamt passt «Bimbo» nicht – Gericht muss entscheiden
Die mexikanische Grupo Bimbo ist eine der grössten Bäckereien der Welt. Wegen ihres Namens darf sie sich aber wohl nicht in der Schweiz registrieren lassen. Den Fall klären soll nun das Bundesverwaltungsgericht in St. Gallen.
https://www.20min.ch/story/firmenname-bund-passt-bimbo-nicht-gericht-muss-entscheiden-103046687?version=1708420426638
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/rassistischer-name-schweiz-akzeptiert-backerei-bimbo-nicht-66711306



derbund.ch 20.02.2024

Gericht entscheidet über Fall: Rassistisch oder nicht? Schweiz lehnt «Bimbo» als Markennamen ab

Ein Konzern aus Mexiko will den Namen Bimbo QSR registrieren lassen. Die Behörden finden, dass der Ausdruck Menschen dunkler Hautfarbe abwerte – am Dienstag entscheidet ein Gericht.

Jan Bolliger

Die wohl grösste Bäckerei der Welt hat ein Problem. Lösen soll es das Bundesverwaltungsgericht in St. Gallen am Dienstagmorgen. Denn das Schweizer Institut für Geistiges Eigentum verweigert einer Marke des globalen Milliardenkonzerns die internationale Registrierung. Deren Name verstosse gegen die guten Sitten. Dagegen hat die Firma Beschwerde eingereicht.

Diese heisst Grupo Bimbo und kommt ursprünglich aus Mexiko. Registrieren lassen möchte sie ihre Fast-Food-Sparte Bimbo QSR, welche weltweit Restaurants wie McDonald’s mit Burgerbrötchen beliefert und auch in der Schweiz aktiv ist. QSR steht dabei für Quick Service Restaurant.

Laut der Firmenwebsite entstand der Name «Bimbo» vor über 90 Jahren als Kombination aus den Worten «Bingo» und «Bambi», dem damaligen Lieblingsfilm der Tochter des Gründers. Das Logo der Gruppe ist ein süsses weisses Bärchen mit einer Bäckermütze und eingesticktem «B».

Rassistische Bedeutung im Deutschen

Alles andere als herzig ist hingegen das deutsche «Bimbo». Seit über hundert Jahren wird das Wort im Deutschen für Schwarze und Personen mit dunkler Hautfarbe verwendet – fast immer abwertend. Immer wieder werden zum Beispiel Schwarze Fussballer von den gegnerischen Fans als Bimbo beleidigt. Der zum Glück veraltete Ausdruck «Ich bin doch nicht dein Bimbo» bedeutet so viel wie «Ich bin doch nicht dein Sklave».

Diese Bedeutung des Wortes hatte wohl auch das Institut für Geistiges Eigentum (IGE) im Kopf, als es entschied, der Grupo Bimbo die Eintragung der Marke Bimbo QSR zu verweigern. Das Institut ist unter anderem zuständig für die Registrierung und den Schutz von Marken, Designs und Patenten in der Schweiz.

«Das Wort ‹Bimbo› ist eine stark abwertende Bezeichnung für eine Person mit dunkler Hautfarbe. Die Marke verstösst somit gegen die guten Sitten», fasst das Bundesverwaltungsgericht die Position des Instituts zusammen. Die Grupo Bimbo akzeptierte den Entscheid jedoch nicht und legte Beschwerde ein. Deswegen muss sich nun das Gericht mit der Sache befassen.

Auf Italienisch kein Problem

«Es überrascht mich nicht, dass der Fall an das Bundesverwaltungsgericht gelangt», sagt Simone Brauchbar. Sie ist Anwältin und auf Markenrecht spezialisiert. In der Tat sieht das Gesetz explizit vor, dass Marken vom Schutz ausgeschlossen sind, wenn sie gegen die öffentliche Ordnung, die guten Sitten oder geltendes Recht verstossen. So gibt das Institut für Geistiges Eigentum auf seiner Website zum Beispiel an, dass «Mohammed» als Name für ein alkoholisches Getränk nicht zugelassen würde. Das Institut berücksichtigt in seiner Beurteilung jeweils die Landessprachen und Englisch.

Hier wird es beim Wort «Bimbo» jedoch vertrackt. Denn während es im Deutschen klar rassistisch ist, ist es im Englischen und Französischen sexistisch. Laut dem Cambridge Dictionary bezeichnet das Wort eine junge Frau, die als «attraktiv, aber nicht intelligent» betrachtet wird. Im Italienischen ist das Wort hingegen absolut unproblematisch und bedeutet schlicht kleiner Junge.

«Grundsätzlich reicht es rechtlich, wenn eine Marke in einer Sprache gegen die guten Sitten verstösst, um vom IGE zurückgewiesen zu werden», sagt Anwältin Brauchbar. Es sei am Ende aber ein Ermessensentscheid des Gerichts. Denn was gegen die guten Sitten verstosse, sei immer eine Auslegungsfrage und ändere sich im Lauf der Zeit.

Bereits mehrere Firmen mit «Bimbo» registriert

So haben in der Schweizer Markendatenbank tatsächlich schon mehrere Unternehmen die Marke «Bimbo» eingetragen. Darunter der Schweizer Spielplatzhersteller Bimbo und der Babynahrungsproduzent Bimbosan. Paradoxerweise geniesst auch die Marke «Bimbo» der Grupo Bimbo seit 2006 Markenschutz.

Für die bereits eingetragenen Marken würde auch eine abschlägige Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im aktuellen Verfahren nichts ändern. Denn ist eine Marke erst eingetragen, erfolgt bei der Verlängerung keine erneute Prüfung auf Sittenwidrigkeit. «Zur nachträglichen Löschung der Marken müsste jemand deren Schutz vor Gericht anfechten», erklärt Markenspezialistin Brauchbar.

Die Grupo Bimbo könnte den Namen Bimbo QSR auch ohne die Registrierung durch das Institut für Geistiges Eigentum weiterverwenden. Die Marke würde dann jedoch keinen Schutz geniessen und könnte je nach Umständen zum Beispiel auch von anderen Bäckereien verwendet werden.

Weder die Grupo Bimbo noch das Institut für Geistiges Eigentum wollen sich zum laufenden Verfahren äussern. Auf Nachfrage schreibt das IGE, dass im vergangenen Geschäftsjahr über 34’000 Registrierungsgesuche eingegangen und 2300 Anträge abgelehnt worden seien – nur in den wenigsten Fällen, weil sie gegen die guten Sitten verstiessen. Gerade mal 18 Fälle seien ans Bundesverwaltungsgericht weitergezogen worden.

«Das spaltet die Gesellschaft»

Dementsprechend gespannt ist die Markenrechtlerin Simone Brauchbar auf den Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts. «In letzter Zeit scheint bei der Prüfung von Marken auf Sittenwidrigkeit wieder ein etwas strengerer Massstab angewendet zu werden», sagt sie.

Dass das IGE genauer hinschaut, begrüsst die Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus. «Sprache wirkt sowohl auf unsere Wahrnehmung wie auch unser Verhalten», sagt deren Geschäftsleiter Philip Bessermann. Diskriminierende Markennamen könnten deshalb Vorurteile verstärken, Diskriminierung fördern und Bevölkerungsgruppen ausgrenzen. «Das spaltet die Gesellschaft.»

Dazu, ob das auch auf die Grupo Bimbo und die Bimbo QSR zutrifft, möchte sich Bessermann jedoch nicht äussern. Dafür kenne er die juristische Sachlage und den mexikanischen Kontext zu wenig. Die Entscheidung liegt also ganz beim Bundesverwaltungsgericht.
(https://www.derbund.ch/bimbo-schweiz-will-markennamen-von-baeckerei-nicht-registrieren-234075482465)


+++HISTORY
Wie das Wandbild die Restaurierungsethik herausfordert
Das Wandalphabet im Berner Schulhaus Wylergut sorgt seit Jahren für hitzige Diskussionen. Das Werk der beiden Künstler Emil Zbinden und Eugen Jordi wurde 1949 im Auftrag der Stadt erstellt. Entsprechend ist die Malerei vom damaligen Zeitgeist geprägt. Das Bild zeigt für jeden Buchstaben des Alphabets ein Beispiel. Meist stammen sie aus dem Bereich der Natur – bei den Buchstaben C, I und N zeigen sie aber stereotype und rassistische Darstellungen: Das C steht für «Chinese», das I für eine indigene Person Amerikas und das N für eine schwarze Person.
https://rabe.ch/2024/02/20/wie-das-wandbild-die-restaurierungsethik-herausfordert/


Die Basler Fasnacht und der Nationalsozialismus
An der Basler Fasnacht nimmt man grundsätzlich Jede und Jeden auf die Schippe. Ab 1933 war dies jedoch ein heikles Unterfangen.
https://blog.nationalmuseum.ch/2024/02/basler-fasnacht