Medienspiegel 07. Februar 2024

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/

+++ZÜRICH
Geflüchtete in Wädenswil: Die Stadt präsentiert die neue Asylunterkunft
Wegen Platznot hat die Stadt eine neue Asyl- und Notunterkunft errichtet. Doch bereits zeichnet sich wieder ein Mangel an Asylunterkünften ab.
https://www.zsz.ch/gefluechtete-in-waedenswil-wie-die-waedenswiler-asylunterkunft-von-innen-aussieht-410825871117


++++SCHWEIZ
Prepaid-Versuch in Deutschland: Auch die Schweiz prüft Bargeld-Stopp für Asylsuchende
Die Einführung einer Prepaidkarte für Asylsuchende in Deutschland weckt auch in der Schweiz Interesse. Der Bund prüft einen Bedarf, und die SVP wird aktiv.
https://www.derbund.ch/prepaid-karte-fuer-asylsuchende-auch-die-schweiz-prueft-bargeld-stopp-843844154959


Schweizer Asylwesen – Debitkarte statt Bargeld: SVP will Deutschland-Modell
Ab Sommer löst in Deutschland eine Bezahlkarte das Bargeld bei Asylsuchenden ab. Auch in der Schweiz ist die Debatte lanciert.
https://www.srf.ch/news/schweiz/schweizer-asylwesen-debitkarte-statt-bargeld-svp-will-deutschland-modell
-> 10vor10: https://www.srf.ch/play/tv/10-vor-10/video/kommt-die-bezahlkarte-fuer-asylsuchende-auch-in-der-schweiz?urn=urn:srf:video:6faad7c7-45dc-477d-9855-6f1fd00e986e


Neue SVP-Initiative: Eine Obergrenze für Flüchtlinge – wie soll das gehen?
Die SVP will mit ihrer Grenzschutzinitiative eine Höchstzahl für Flüchtlinge einführen. Eine strikte Umsetzung würde die Flüchtlingskonvention verletzen.
https://www.derbund.ch/grenzschutzinitiative-neue-svp-initiative-fordert-fluechtlingsobergrenze-195111059477



Grenzschutzinitiative der SVP: «Kontingente im Asylbereich sind völkerrechtswidrig»
Die SVP will systematische Grenzkontrollen und nur noch 5000 Asylbewerber*innen pro Jahr. Ist das umsetzbar? Migrationsrechtlerin Sarah Progin-Theuerkauf ordnet ein.
https://bajour.ch/a/clsalx2gb16558612sgwtsosjpjj/migrationsexpertin-kontingente-im-asylbereich-sind-voelkerrechtswidrig
-> https://www.watson.ch/international/schweiz/723730904-die-svp-grenzschutzinitiative-ueberschreitet-gleich-mehrere-rote-linien


+++FREIRÄUME
«Brass» mit finanziellen Problemen: Berner Kultbeiz kämpft ums Überleben
Im Sommer 2022 stand die Brasserie Lorraine wegen kultureller Aneignung im Rampenlicht. Jetzt will sie 100’000 Franken sammeln, um weiterzubestehen.
https://www.derbund.ch/brasserie-lorraine-berner-kultbeiz-kaempft-ums-ueberleben-565617283803
-> https://www.20min.ch/story/bern-der-brasserie-lorraine-droht-das-ende-103038072
-> https://www.baerntoday.ch/bern/stadt-bern/steht-die-brasserie-lorraine-vor-dem-aus-156140435
-> https://brasserie-lorraine.ch/


+++GASSE
Notschlafstelle: Ab Frühling können Obdachlose im Schöngrundquartier übernachten
Vor drei Jahren gab der Verein Schlafguet seine Pläne für eine Notschlafstelle bekannt. Seinem sozialen Anliegen zum Trotz traf er damit auf heftige Gegenwehr. Auch jetzt ist die letzte Hürde noch nicht genommen.
https://www.solothurnerzeitung.ch/solothurn/olten/olten-notschlafstelle-ab-fruehling-koennen-obdachlose-im-schoengrundquartier-uebernachten-ld.2576637


+++SPORT
Die wichtigsten Fragen und Antworten: Hat der Schweizer Fussball ein Gewalt-Problem?
Kurvensperrungen, Kollektivstrafen, Kaskadenmodell. Die ganze Fussball-Schweiz diskutiert über Fan-Gewalt und was dagegen zu tun ist. Die sieben wichtigsten Fragen und Antworten zur Thematik.
https://www.blick.ch/sport/fussball/superleague/die-wichtigsten-fragen-und-antworten-hat-der-schweizer-fussball-ein-gewalt-problem-id19408922.html


++++POLIZEI BS
Basel: Drei Polizisten nach «Körperdurchsuchung» freigesprochen
2017 wurde eine Frau von der Basler Polizei in Gewahrsam genommen. Dabei soll es zu unverhältnismässigen Handlungen seitens der Polizei gekommen sein.
https://www.nau.ch/news/schweiz/basel-drei-polizisten-nach-korperdurchsuchung-freigesprochen-66703047



Basler Zeitung 07.02.2024

Vorwurf: Amtsmissbrauc:h: Freispruch für Basler Polizisten – Rüffel für die Polizei

Das Appellationsgericht hat drei beschuldigte Beamte freigesprochen. Doch das Gericht sprach eine Warnung an die Behörde aus.

Mirjam Kohler

Wegen eines Falls von häuslicher Gewalt rückte im Frühjahr 2017 eine Patrouille der Basler Polizei aus. Ungewöhnlich war dabei, dass nicht – wie meistens bei häuslicher Gewalt – ein Mann die Ursache war, sondern eine Frau Anfang 60.

Die Polizei fand die Frau, die sich nach der Auseinandersetzung mit ihrem Mann in das Schlafzimmer zurückgezogen hatte, im Bett vor. Neben ihr ein Glas Rotwein. Die Frau weigerte sich, ihr Bett zu verlassen, sodass sie von der Polizei aus dem Bett gezerrt und anschliessend im Nachthemd auf den Polizeiposten verfrachtet wurde.

Dabei habe sie Lärm verursacht, weswegen ihr später eine Busse wegen Nachtruhestörung aufgebrummt wurde. Das stimme aber gar nicht und es gebe da auch unterschiedliche Angaben in den Unterlagen der Polizei, so der Anwalt der Frau.

Schikane oder Querulanz?

Auf dem Polizeiposten habe sie sich dann völlig nackt ausziehen müssen, und die Polizei habe eine Leibesvisitation durchgeführt, bei der die Körperöffnungen der Frau «visuell überprüft wurden». Weil sie sich dafür nicht vorgebeugt habe, sei ihr ein Stoss in die Kniekehle verpasst worden, so die Frau. Danach wurde sie – immer noch nackt – zur Ausnüchterung in eine Zelle gebracht. Die Verteidigung sagte, die Frau habe sich geweigert, sich wieder anzuziehen.

Nach dem Vorfall erstattete sie Anzeige wegen Amtsmissbrauch und Urkundenfälschung. Sie sei gedemütigt und schikaniert worden. Und die Urkundenfälschung bestehe darin, dass unterschiedliche Berichte der Polizei über ihr angebliches Stören der Nachtruhe existierten.

Die Staatsanwaltschaft war in diesem Fall offenbar nicht von grossem Ermittlungseifer gegen ihre Departementskollegen getrieben. Zweimal stellte sie das Verfahren gegen den Polizisten und die zwei Polizistinnen ein. Zweimal bestand das zuständige Appellationsgericht darauf, dass weiterermittelt werde.

Freispruch mit Zweifeln

Es war dann auch nicht die Staatsanwaltschaft, sondern die Privatklägerin, die eine Neubeurteilung durch das Appellationsgericht verlangte. Erstinstanzlich waren die beiden Polizistinnen und ihr Kollege durch das Strafgericht freigesprochen worden.

Zu diesem Entscheid kam schlussendlich am Dienstag auch das Appellationsgericht. Es war ein Freispruch nach dem Prinzip «Im Zweifel für den Angeklagten». Grundlegende Zweifel seien geblieben. So habe es für die Urkundenfälschung zwar ein Indiz gegeben, das reiche aber nicht.

Und dass die Körperdurchsuchung unverhältnismässig war, daran liess – wie auch das Strafgericht – Appellationsgerichtspräsident Christian Hoenen (SP) keinen Zweifel. Das allein reiche aber nicht für eine Verurteilung wegen Amtsmissbrauch. Dazu brauche es auch eine Schädigungs- oder Profitabsicht, die hier nicht zu belegen sei.

Schulungsbedarf bei Polizei

Die Frau habe sich sicher nicht in einer Situation der Selbstgefährdung befunden, die eine umfassende Durchsuchung zwingend gemacht habe. Es sei in diesem Kontext stossend, wenn eine der Polizistinnen vor dem Strafgericht sage, «Ich kenne die Mode dieser Person nicht, vielleicht schläft diese Person gerne mit einer Rasierklinge im Mund», um die umfassende Durchsuchung zu rechtfertigen.

Vor Appellationsgericht schwiegen sich die drei Beschuldigten weitestgehend aus. Man könne sich nach so langer Zeit nicht an Details erinnern.

«Das ist ein Grenzfall», betonte Hoenen. Und es sei ganz sicher nicht eine Einladung an die Basler Polizei, sich weiterhin über die Rechtsprechung des Bundesgerichts hinwegzusetzen. Demnach müssen solche Leibesvisitationen auf ihre Verhältnismässigkeit geprüft werden. Vor Gericht wurde deutlich, dass es sich im Kanton Basel-Stadt hingegen bis heute um eine Standardprozedur handelt.

Offensichtlich gebe es bei der Basler Polizei noch immer Schulungsbedarf für solche Situationen, sagte Hoenen – so wie drei Jahre vor ihm schon die Präsidentin des Strafgerichts. «Langsam» dürfte sich die juristische Vorgabe auch bei der Polizei herumsprechen, so Hoenen. Auch sie müsse sich an die Verfassung halten.
(https://www.bazonline.ch/vorwurf-amtsmissbrauch-freispruch-fuer-basler-polizisten-rueffel-fuer-die-polizei-961946328838)


+++RASSISMUS
Zürcher Zünfte prüfen Leitfaden gegen Rassismus
Das Basler Fasnachtskomitee hat neu einen Leitfaden, der definiert, dass Rassismus, Sexismus und Ausländerfeindlichkeit nicht toleriert werden. Die Verantwortlichen der Zürcher Zünfte finden dies interessant und wollen Ähnliches prüfen.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/zuercher-zuenfte-pruefen-leitfaden-gegen-rassismus?id=12535304


+++RECHTSEXTREMISMUS
Marktführer im deutschen Bahnhofsbuchhandel stoppen Verkauf von rechtsextremem Magazin Compact
Ab sofort soll das AfD-nahe Magazin Compact in zahlreichen Buchhandlungen nicht mehr verkauft werden. Als Grund nennen Unternehmen die Absicht des Magazins, die freiheitlich-demokratische Grundordnung Deutschlands zu gefährden
https://correctiv.org/aktuelles/neue-rechte/2024/02/06/verkauf-stopp-rechtsextreme-magazin-compact/
-> https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/compact-magazin-fliegt-aus-zahlreichen-bahnhofsbuchhandlungen-a-ba5e08ff-90c4-42f5-a329-ddd93402c73d
-> https://www.zeit.de/kultur/2024-02/compact-magazin-buchhaendler-verkauf
-> https://www.woz.ch/taeglich/2024/02/07/rechtsextremist-glarner
-> https://www.republik.ch/2024/02/07/andreas-glarner-darf-als-rechtsextremist-bezeichnet-werden
-> https://www.nd-aktuell.de/artikel/1179831.rechtsextremismus-compact-fliegt-aus-bahnhofsbuchlaeden.html
-> https://www.spiegel.de/kultur/compact-magazin-darum-nehmen-so-viele-bahnhofsbuchhandlungen-die-rechtsextreme-zeitschrift-aus-den-regalen-a-c7ce7ba3-29ee-4a44-8329-d2481bbc2aee
-> https://taz.de/Ludwig-und-Press–Book-kicken-Compact/!5987446/


+++FUNDIS
Die Esoterik und ihre braunen Freunde
Die Esoterik boomt
Die Verbindung von Esoterik und menschenfeindlichen Ideologien hat eine lange Tradition. Eine neue Broschüre der Amadeu-Antonio-Stiftung widmet sich der Geschichte und den Gefahren »brauner Esoterik«.
https://jungle.world/artikel/2024/05/die-esoterik-boomt


+++HISTORY
Farb-Anschlag: Wieso wird der Kindlifresserbrunnen nicht geputzt?
Vor mehr als einem Monat wurde der Berner Kindlifresserbrunnen durch Unbekannte verunstaltet. Die Reinigung zieht sich nun in die Länge.
https://www.nau.ch/news/schweiz/farb-anschlag-wieso-wird-der-kindlifresserbrunnen-nicht-geputzt-66697199


+++RECHTSPOPULISMUS
Streit um Tweet – Andreas Glarner muss sich «Gaga-Rechtsextremist» gefallen lassen
Journalist Hansi Voigt nannte den Aargauer SVP-Nationalrat einen «Gaga-Rechtsextremisten». Das ist nicht strafbar.
https://www.srf.ch/news/schweiz/streit-um-tweet-andreas-glarner-muss-sich-gaga-rechtsextremist-gefallen-lassen
-> https://www.20min.ch/story/gerichtsurteil-andreas-glarner-darf-als-gaga-rechtsextremist-bezeichnet-werden-103038235
-> https://www.woz.ch/taeglich/2024/02/07/rechtsextremist-glarner
-> https://www.watson.ch/schweiz/aargau/865606173-glarner-als-gaga-rechtsextremist-tituliert-freispruch-fuer-voigt
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/gaga-rechtsextremist-andreas-glarner-verliert-vor-gericht?id=12535325
-> https://www.telezueri.ch/zuerinews/gaga-rechtsextremist-svp-politiker-andreas-glarner-verliert-vor-gericht-156144444
-> https://www.telem1.ch/aktuell/gaga-rechtsextremist-svp-politiker-andreas-glarner-verliert-vor-gericht-156144686



aargauerzeitung.ch 07.02.2024

«Glarner ist ein Gaga-Rechtsextremist»: Warum diese Aussage nicht strafbar ist

Die Staatsanwaltschaft hatte Hansi Voigt noch per Strafbefehl verurteilt, das Bezirksgericht Bremgarten spricht ihn nun frei. Andreas Glarner als rechtsextrem zu betiteln, sei nicht strafbar, weil sich dies auf die politische Tätigkeit des SVP-Nationalrats beziehe, begründete der Richter. Glarner akzeptiert das Urteil nicht und will es anfechten.

Toni Widmer

Durfte Hans-Jürgen (Hansi) Voigt den SVP-Nationalrat Andreas Glarner im Dezember 2022 auf Twitter (heute X) als «Gaga-Rechtsextremist» bezeichnen? «Nein, darf er nicht», fand die Staatsanwaltschaft Muri-Bremgarten. Sie hat – auf eine Anzeige von Glarner hin – Voigt im Juni 2023 zu einer bedingten Geldstrafe von 8000 Franken sowie einer Busse von 1000 Franken verdonnert.

«Doch, darf er», sagt jetzt der Bremgarter Bezirksgerichtspräsident Lukas Trost. Er hat Hansi Voigt am Mittwoch in einer Berufungsverhandlung von Schuld und Strafe freigesprochen. Medienunternehmer Voigt, der sich als Präsident im von Jolanda Spiess gegründeten Verein Netzcourage gegen digitale Gewalt (Hass im Netz) engagiert, ist hochzufrieden.

Glarner zeigte sich erbost: «Klar ziehe ich dieses Urteil weiter. Dieses Verdikt war schon von Anfang an klar. Das lasse ich mir von einem linken Richter nicht bieten.» Gerichtspräsident Lukas Trost ist 2010 als Parteiloser in dieses Amt gewählt worden. Er hat damals mit 7575 Stimmen klar gegen Sonja Koch, Wohlen (5163 Stimmen) gewonnen. Sie war von Glarners SVP-Bezirkspartei nominiert worden.

Rechtliche und nicht politische Aspekte beurteilt

Bezirksrichter Trost legte in seiner Urteilsbegründung grossen Wert auf seine Funktion: «Hier geht es primär um eine Debatte zwischen zwei politisch stark engagierten Persönlichkeiten. Ich jedoch habe als Strafrichter nicht politische Ansichten zu beurteilen, sondern die rechtlichen Aspekte dieses Falles.» Nach der Verhandlung liess Richter Trost den Medien seine Urteilsbegründung zukommen. Sie finden diese am Schluss dieses Artikels.

Andreas Glarner, der ohne anwaltliche Unterstützung erschienen war, hielt fest: «Herr Voigt hat mich in meiner Ehre verletzt und meinen Ruf geschädigt. Die Bezeichnung ‹Rechtsextremist› lasse ich nicht auf mir sitzen.» Ja, erklärte er auf Rückfragen von Lukas Trost, er politisiere am rechten Rand, aber er halte sich jederzeit an die demokratischen Grundregeln: «Ein Extremist ist jemand, der seine Ansichten mit Gewalt durchsetzt. Ich bin kein Gewalttäter, ich bin Demokrat», sagte Glarner.

Ob denn für ihn die Begriffe «rechtsextrem» und «Rechtsextremist» das Gleiche bedeuten würden, fragte Lukas Trost. «Ja. Beides qualifiziert Menschen, die sich jenseits der demokratischen Grundregeln bewegen. Das trifft auf mich nicht zu», sagte Glarner und fügte, hörbar genervt von den Nachfragen des Gerichtspräsidenten an: «Ich bin hier nicht der Beklagte, ich bin der Kläger.»

Angeklagter sieht Tweet auch als Medienkritik

Sein Tweet, erklärte Hansi Voigt in der Befragung, sei eine Reaktion auf einen Tweet von Andreas Glarner zum Thema Grenzkontrollen gewesen. Darin habe, so die persönliche Sicht des Angeklagten, der Nationalrat gegen Flüchtlinge gehetzt. Weiter habe er mit seinem Text auch die Medien kritisieren wollen, die Politikern mit extremen Ansichten immer wieder (zu) viel Platz einräumten. Er, führte Voigt weiter aus, wolle keinesfalls die ganze SVP in den rechtsextremen Topf werfen und er sehe und bezeichne Glarner auch nicht als Nazi.

Doch dessen Ansichten seien in seinen Augen nun mal sehr oft rechtsextrem und das müsse man seiner Ansicht nach in der Schweiz straflos sagen dürfen. Der Nationalrat habe in der Vergangenheit auch schon mehrmals digitale Gewalt ausgeübt, führte Voigt weiter aus. Glarner wiederum fragte Voigt, wie es für ihn zusammengehe, dass er zwar einen Verein präsidierte, der sich gegen Hass im Netz engagiere, selber dort aber nicht zimperlich agiere.

Verteidiger: Voigt bezog sich auf politische Aussagen

Voigts Verteidiger plädierte auf Freispruch. Sein Mandant habe sich mit seinem Tweet nicht auf die Person Glarner fokussiert, sondern lediglich auf dessen politische Aussagen und dabei auch die Frage gestellt, wie viel Raum einem «solchen Provokateur» in den Medien zugestanden werden solle. Die Tatbestände der Beschimpfung und der üblen Nachrede seien in keiner Weise erfüllt.

In seiner Begründung, weshalb Hansi Voigt den Politiker Andreas Glarner durchaus als Rechtsextremisten bezeichnen dürfe, listete der Verteidiger in der Folge ein paar Fälle auf, in denen der Nationalrat seiner Ansicht nach Grenzen überschritten habe. Unter anderem führte er dabei die «erwiesenermassen rechtsextreme Organisation» Pro Köln auf, in der Glarner zeitweise eingeschriebenes Mitglied gewesen sei. Es gebe, sagte der Anwalt, keine exakte Definition für den Begriff Rechtsextremismus.

Aber klar sei, dass der SVP-Nationalrat «am äussersten rechten Rand des politischen Spektrums politisiere.» Zudem gäbe es auch mehrere Belege dafür, dass für Andreas Glarner nicht alle Menschen gleich seien und er gelegentlich rassistische und fremdenfeindliche Tendenzen an den Tag lege. Dagegen wehrte sich Glarner in seiner Replik vehement. «Ich weise jegliche völkische Tendenzen klar von mir. Wer sich für sein Land einsetzt, der hat nicht unweigerlich eine völkische Gesinnung.»

Gericht sieht keine Ehrverletzung

Wie eingangs erwähnt, die Begründung von Gerichtspräsident Lukas Trost zu seinem Urteil:

Die Bedeutung des Begriffs «Extremismus» ist uneinheitlich und bezeichnet keine bestimmte politische Anschauung. Vorliegend beschreibt der gewählte Ausdruck Herrn Glarner in einem politischen Diskurs als Politiker, gestützt auf seine politische Erscheinung. Dies in sachbezogener Weise, einerseits im Sinne der klassischen Verortung im politischen Spektrum mit der eindimensionalen Unterscheidung in links und rechts, andererseits aber auch zur Bezeichnung eines Polit-Stils. Diese Einordnung war Teil eines politischen Diskurses, auf welchen sich der Schutzbereich des Strafrechts grundsätzlich nicht erstreckt.

Die bundesgerichtliche Rechtsprechung besagt, dass in der politischen Auseinandersetzung eine Ehrverletzung nur mit grosser Zurückhaltung anzunehmen und im Zweifelsfall zu verneinen ist. Im politischen Diskurs sind Übertreibungen und scharfe Formulierungen gesellschaftlich akzeptiert und sie werden in ihrer allfälligen Theatralik auch nicht für voll genommen. Der strafrechtliche Schutz greift im politischen Diskurs erst, wenn jemand nicht nur als Politiker, sondern in seiner Ehre als Mensch herabgesetzt wird. Das ist hier nicht der Fall, nachdem der Ausdruck «Gaga-Rechtsextremist» sich nicht auf die Ehre von Herrn Glarner als Mensch, sondern auf sein Wirken als Politiker bezog.

Gutglaubensbeweis: Auch wenn der Fall der bundesgerichtlichen Praxis widersprechend beurteilt werden würde, erfolgte ein Freispruch: Das Strafrecht hat nicht zum Zweck, auf ernsthaften Gründen beruhende Aussagen zu verhindern, was umso mehr im politischen Umfeld gelten muss. Jemandem eine politische Gesinnung zuzuschreiben, die zur öffentlichen Wahrnehmung seiner Person im politischen Umfeld passt, muss erlaubt sein. Dazu sind Medienschaffende wie Herr Voigt nicht nur berechtigt, sondern in ihrer Funktion sogar berufen. Herr Voigt hat sich in guten Treuen, gestützt auf eine Vielzahl ernsthafter Gründe, für den gewählten Ausdruck entschieden. Aus strafrechtlicher Sicht müsste sich Herr Glarner die Bezeichnung «Gaga-Rechtsextremist» folglich auch aus diesem Grund gefallen lassen.

Fazit: Dass Herr Voigt Herrn Glarner im vorliegenden Fall als «Gaga-Rechtsextremist» bezeichnet hat, ist strafrechtlich nicht zu beanstanden.
(https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/urteil-glarner-ist-ein-gaga-rechtsextremist-warum-diese-aussage-nicht-strafbar-ist-ld.2576834)



derbund.ch 07.02.2024

SVP-Nationalrat vor Gericht Glarner ein «Gaga-Rechtsextremist»? – Das kann man sagen, meint der Richter

SVP-Nationalrat Andreas Glarner wehrt sich vor Gericht für seine Ehre. Doch der Schuss geht nach hinten los. Der Mann, der Glarner als rechtsextrem bezeichnet hat, wird freigesprochen. Glarner zieht das Urteil weiter.

Markus Häfliger aus Bremgarten AG

Für Andreas Glarner ist der Prozess ein Heimspiel, zumindest geografisch: Sein Wohnort Oberwil-Lieli liegt keine fünf Kilometer vom Gerichtsgebäude entfernt. Der SVP-Nationalrat ist vorgeladen zum Strafprozess – nicht als Angeklagter, sondern als Auskunftsperson. Und doch dreht sich der ganze Prozess um ihn.

Die Fragen, die an diesem Mittwochmorgen vor dem Bezirksgericht Bremgarten AG verhandelt werden, musste so noch kein Schweizer Gericht beantworten: Wie weit rechts steht Andreas Glarner politisch? Ist er, einer der bekanntesten Politiker des Landes, noch bürgerlich? Ein Rechtspopulist vielleicht? Oder ist Andreas Glarner rechtsextrem?

Der Mann, der diese politisch heiklen Fragen beantworten muss, heisst Lukas Trost: ein erfahrener Jurist, seit 14 Jahren hauptberuflicher Gerichtspräsident in Bremgarten, parteilos.

Am Ursprung dieses ungewöhnlichen Prozesses steht Hans-Jürgen Voigt, genannt Hansi, ein Journalist mit langer Karriere. Voigt war Chefredaktor von «20 Minuten» und Gründer des Newsportals «Watson», heute präsidiert er unter anderem den Verein Netzcourage, der sich gemäss Eigendarstellung gegen «digitale Gewalt» engagiert. Die Geschäftsführerin, Jolanda Spiess-Hegglin, sitzt als Zuschauerin im Gerichtssaal.

Doch um Netzcourage geht es an diesem Mittwochmorgen nicht, sondern um eine Botschaft, die Hansi Voigt am 18. Dezember 2022 auf X veröffentlichte, das damals noch Twitter hiess.

Es begann kurz vor Weihnachten

Voigts Tweet war eigentlich als Medienschelte gedacht. Er reagierte damit auf einen Artikel der «Aargauer Zeitung», die an diesem Tag gross über eine Aussage Glarners berichtet hatte. In seinem Tweet schrieb Voigt dazu: «Wir sollten aufhören, uns darüber zu empören, was ein Gaga-Rechtsextremist wie Glarner sagt, der im Parlament völlig wirkungslos ist. Wir sollten uns darüber empören, dass @chmediaag einem wirkungslosen Parlamentarier dauernd eine Bühne gibt und so extreme Positionen ‹einmittet›.»
-> Tweet: https://cdn.unitycms.io/images/4uJG3Nklq5I8lBQKQCQeTS.jpg?op=ocroped&val=2001,2000,1000,400,0,0&sum=xWkYS0EFZu8

Wegen des Worts «Gaga-Rechtsextremist» sitzen Voigt und Glarner jetzt vor Richter Trost – im (wie man in Bremgarten sagt) schönsten Gerichtssaal des Kantons Aargau: dunkles Nussbaumtäfer, grosszügige Fenster, ein uralter weisser Kachelofen.

Voigt wird begleitet von seinem Anwalt Manuel Bertschi, Glarner ist allein gekommen. «Auf dieser Stufe brauche ich doch keinen Anwalt!», sagt er vor Prozessbeginn. Dieser Fall werde sowieso später von einer höheren Instanz geklärt werden und nicht «von einem solchen Provinzgericht» (notabene das Gericht seines Wohnbezirks). «Bei diesem linken Richter habe ich sowieso schon verloren», sagt Glarner.

Im Nationalrats-Couvert

Begonnen hat der Rechtsfall mit einer Strafanzeige, die Glarner – anderthalb Monate nach Voigts Tweet – am 2. Februar 2023 in ein offizielles Couvert des Nationalrats steckte und an die regionale Staatsanwaltschaft Muri-Bremgarten schickte. Die Mühlen der Justiz setzten sich in Gang. Voigt wurde nach Muri auf den Polizeiposten bestellt. Die Frage, warum er diesen Tweet so verfasst habe, habe den Polizisten aber nicht interessiert, sagt Voigt. Vom Staatsanwalt sei er gar nicht befragt worden.

Am 29. Juni 2023 bekommt Voigt einen Strafbefehl. Das Verdikt: schuldig wegen «übler Nachrede» und «Beschimpfung» von Andreas Glarner. Die Begründung: dürr. Ohne nähere Argumentation konstatiert Staatsanwalt Pascal Ott, Voigts Tweet habe Glarner «in seinem Ansehen diskreditiert» und seinen «Leumund geschädigt». Die Sanktion: 8000 Franken Geldstrafe bedingt, 1000 Franken Busse, 800 Franken Verfahrenskosten.

Das akzeptierte Voigt nicht. Er zog den Fall weiter, und darum kommt es nun zur Gerichtsverhandlung. Auch für Andreas Glarner ist der Fall keine Bagatelle. Es gehe um eine «Grundsatzfrage»: «Ich bin vereidigter Nationalrat der grössten demokratisch legitimierten Partei der Schweiz.» Als solcher lasse er sich den Vorwurf des Rechtsextremismus nicht bieten.

Was ist ein Rechtsextremist? Das ist die Frage, die sich durch die ganze zweistündige Verhandlung zieht. Eine eindeutige Definition gibt es nicht, wie alle Anwesenden einräumen. Doch selbst wenn es eine gäbe: Die Schweiz tut sich von jeher schwer mit klaren Begrifflichkeiten und Abgrenzungen am rechten Rand ihres Parteienspektrums.

Und darum ist dieser Prozess im Bremgarter Rathaus von nationaler Bedeutung. Es geht um die Frage, wo bürgerliche Politik aufhört und wo Extremismus beginnt. Solche Fragen werden in der Schweiz primär mit Blick auf ausländische Politiker diskutiert, aber kaum je mit Blick auf Parlamentarier von Bundesratsparteien.

Dettling sei rechts von ihm, sagt Glarner

Glarner bezeichnet sich vor Gericht selber als «Mitte-rechts». Er verneint zwar nicht, dass er zu den rechtesten Politikern des Parlaments zählt. Das liege aber daran, dass sich um ihn herum die ganze politische Landschaft nach links bewegt habe. Und es gebe auch noch SVPler rechts von ihm, sagt er. Namentlich nennt er etwa Marcel Dettling, den designierten neuen Präsidenten der SVP Schweiz. Ein Rechtsextremist hingegen sei «jemand, der Gewalt und eine Nazi-Ideologie anwendet», sagt Glarner. Er aber habe noch nie Gewalt gebraucht.

Dann redet Hansi Voigt. Er präzisiert, dass er nie die SVP als Ganzes als rechtsextremistisch bezeichnen würde. Aber wenn sich ein Politiker wie Glarner «am rechten Rand einer rechtspopulistischen Partei befindet, fängt irgendwann der Rechtsextremismus an». Voigt betont auch, dass er Glarner zwar für einen Rechtsextremisten halte, aber nicht für einen Nazi. Sein Anwalt formuliert es später so: «Alle Nazis sind Rechtsextremisten, aber nicht jeder Rechtsextremist ist ein Nazi.»

Über 40 Beweismittel

Bertschi zitiert diverse Parlamentarierratings und die (von Glarner selber ausgefüllte) Wahlhilfe Smartvote, um aufzuzeigen, dass Glarner der «wohl extremste Parlamentarier der Schweiz» sei. Inwiefern Glarner also durch die Bezeichnung als Extremist in seiner Ehre verletzt sein solle, sei nicht nachvollziehbar.

Der Anwalt ist gut vorbereitet, über 40 Beweismittel legt er vor. Es sind im Wesentlichen Medienberichte über die vielen öffentlichen Kontroversen, die Andreas Glarner immer wieder provoziert. Bertschis Liste ist lang:

– 2018: Glarner veröffentlicht eine Klassenliste einer Schule aus Dübendorf und stellt die Kinder wegen ihrer teilweise ausländisch klingenden Namen auf Facebook an den Pranger.

– 2019: Glarner veröffentlicht die Telefonnummer einer Lehrerin, weil sie in einem Elternbrief darauf hingewiesen hatte, dass muslimische Kinder während des Fastenbrechens zu Hause bleiben dürfen.

– 2020: Glarner veröffentlicht auf Facebook die Namen von 20 Aldi-Lehrabgängern und unterstellt ihnen aufgrund ihrer Vornamen, keine Schweizer zu sein.

– 2020: Glarner unterstellt der grünen Nationalrätin Sibel Arslan vor laufenden Kameras, keine Schweizerin zu sein.

– 2021: Es wird publik, dass Glarner Administrator einer Facebook-Gruppe ist, auf der unter anderem Gewalt gegen Bundesrätin Simonetta Sommaruga propagiert wurde.

Und so weiter, und so fort.

Mit diesen Beispielen will der Anwalt den «Wahrheitsbeweis» erbringen, wie Juristen es nennen. Das heisst: Bertschi will zeigen, dass Voigts Tweet sachlich zutreffend ist. Die Vorfälle würden nämlich zeigen, «dass Herr Glarner die digitalen Kanäle dazu nutzt, hetzerische und diskriminierende Äusserungen zu verbreiten», sagt der Anwalt. Das sei «digitale Gewalt», wie sie für den modernen Rechtsextremismus typisch sei.

Die Deutschland-Connection

Einen zentralen Platz nimmt in Bertschis Plädoyer die Vereinigung Pro Köln ein, eine (inzwischen aufgelöste) Bürgerbewegung in Deutschland. Glarner trat Pro Köln 2009 als Mitglied bei, als diese bereits vom deutschen Verfassungsschutz wegen Rechtsextremismus-Verdacht beobachtet wurde. «Wenn Herr Glarner Mitglied eines als rechtsextrem eingestuften Vereins ist, wie sonst soll er bezeichnet werden, wenn nicht als Rechtsextremist?», fragt Bertschi rhetorisch. Glarner erwidert, er sei damals bei Pro Köln nach zwei Jahren wieder ausgetreten. Zudem stehe man in Deutschland «noch schnell einmal unter Beobachtung des Verfassungsschutzes».

In Deutschland wird die Frage, wo Rechtsextremismus anfängt, viel intensiver debattiert als in der Schweiz. Just diese Woche urteilte ein Gericht in Köln, dass die Jugendorganisation der Alternative für Deutschland (AfD) als «gesichert extremistische Bestrebung» zu gelten habe. Dass in solchen Debatten selbst subalterne Gerichte zentrale Rollen spielen können, erlebte der AfD-Politiker Björn Höcke. 2019 erklärte ein Verwaltungsgericht in Thüringen, es sei aufgrund einer «überprüfbaren Tatsachengrundlage» zulässig, Höcke einen «Faschisten» zu nennen. Seither fehlt der Verweis auf dieses Urteil in kaum einem Diskussion über Höcke.

Glarners Björn-Höcke-Moment?

Erlebt Andreas Glarner vor dem Bezirksgericht Bremgarten seinen Björn-Höcke-Moment? Falls das Gericht Voigts Tweet für zulässig erklärt, könnte die Strafanzeige für Glarner zum Rohrkrepierer werden: Es wäre dann gerichtlich legitimiert, Glarner als rechtsextrem zu bezeichnen.

Im Gerichtssaal kommt Anwalt Bertschi zum Ende seines Plädoyers. Glarners Aktionen würden aufzeigen, dass er die Gleichheit aller Menschen ablehne und «eine völkische Ideologie» propagiere. Egal welche Definition man anwende, sagt der Anwalt: «Das ist die Essenz des Rechtsextremismus.»

Glarner lässt all das nicht gelten. Die ganze lange Liste von kontroversen Vorgängen, die der Anwalt aufgezählt hat? Alles «an den Haaren herbeigezogen», inhaltlich in jedem einzelnen Fall widerlegbar, eine «nachträglich konstruierte Beweislage», um den ehrverletzenden Tweet zu rechtfertigen. Die Gleichwertigkeit der Menschen? Für ihn selbstverständlich. «Doch wenn die Ausländer das Land fluten, muss man das benennen dürfen.»

«Danke!», ruft Glarner in den Saal

Richter Trost verordnet eine Verhandlungspause – und kommt eine Stunde später zurück zur Urteilsverkündung. Eigentlich, sagt Trost, sei ein Strafgericht der falsche Ort für eine derart politische Debatte. Als Richter sei er auch nicht berufen, Glarners politische Ansichten zu bewerten. Das Einzige, was ihn als Richter zu interessieren habe, sei die Frage, ob Voigt mit seinem Tweet eine rote Linie im Sinne des Strafrechts überschritten habe. Und darauf laute die Antwort Nein. Eine Ehrverletzung im strafrechtlichen Sinne sei erst gegeben, wenn jemand auch «in seiner Ehre als Mensch herabgesetzt» werde. Voigts Tweet jedoch beziehe sich nur auf Glarners Wirken als Politiker. Diesbezüglich sei die Rechtssprechung des Bundesgerichts sehr grosszügig.

Hansi Voigt, meint der Richter, habe mit seinem Tweet «in sachbezogener Weise» einfach «die politische Erscheinung» von Herrn Glarner beschrieben – einerseits inhaltlich im Sinne der Verortung auf der Links-rechts-Achse, andererseits «auch zur Bezeichnung eines Politstils» – «Danke!», ruft Glarner an dieser Stelle sarkastisch dazwischen.

Das Fazit des Richters: Die Bezeichnung Glarners als «Gaga-Rechtsextremist» sei «strafrechtlich nicht zu beanstanden». Zu einer möglichen zivilrechtlichen Bewertung äussert sich der Richter nicht. Das Urteil lautet darum: Freispruch für Hansi Voigt vom Vorwurf der üblen Nachrede und der Beschimpfung.

Hansi Voigt bekommt aus der Staatskasse eine Parteientschädigung in Höhe von 9200 Franken. Andreas Glarner verlässt das Rathaus. Das Urteil sei «hanebüchen», sagt er draussen. Der Vorwurf des Rechtsextremismus sei «nicht einfach eine Unflätigkeit». Vielmehr gehe es darum, Leute wie ihn «mundtot» zu machen – «am Schluss gibt es niemanden mehr, der sich wehrt».

Er werde darum, kündigt Andreas Glarner noch auf der Strasse an, den Fall weiterziehen – an das Obergericht des Kantons Aargau.
(https://www.derbund.ch/andreas-glarner-vor-gericht-ist-svp-nationalrat-rechtsextremist-825586945367)
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nzz.ch 07.02.2024

Erstinstanzliches Gericht sagt: SVP-Politiker Andreas Glarner darf als «Gaga-Rechtsextremist» bezeichnet werden

Der Aargauer Nationalrat, der bei der SVP für das Dossier Zuwanderung und Migration verantwortlich ist, will das Urteil anfechten.

Daniel Gerny, Erich Aschwanden

Dass Andreas Glarner vor Gericht erscheinen muss, ist gar nicht so selten. Mit seinen Beiträgen in den sozialen Netzwerken hat der Aargauer SVP-Nationalrat in den letzten Jahren immer wieder für Empörung und negative Schlagzeilen gesorgt. Ein Tweet war auch der Anlass für eine bemerkenswerte Verhandlung, die am Mittwoch vor Bezirksgericht Bremgarten stattfand.

Abgesetzt wurde dieser allerdings nicht von Glarner selbst, sondern vom bekannten Journalisten Hans-Jürgen (Hansi) Voigt. Der Medienunternehmer hatte Glarner im Dezember 2022 auf Twitter (heute X) als «Gaga-Rechtsextremist» bezeichnet. Auf Anzeige von Glarner hatte die Staatsanwaltschaft Muri-Bremgarten Voigt im Juni 2023 zu einer bedingten Geldstrafe von 1000 Franken verurteilt.

Nicht in seiner Ehre als Mensch verletzt

Gegen diesen Strafbefehl erhob Voigt Beschwerde, so dass der Fall gerichtlich beurteilt werden musste. Gemäss mehreren Medienberichten waren sowohl Voigt als auch Glarner anwesend – Letzterer allerdings ohne anwaltschaftliche Vertretung. Das Gericht sprach Voigt nun frei.

Laut der schriftlichen Zusammenfassung der mündlichen Urteilsbegründung greift der strafrechtliche Schutz im politischen Diskurs erst, wenn jemand nicht als Politiker, sondern in seiner Ehre als Mensch verletzt werde. «Das ist hier nicht der Fall.» Der Ausdruck Gaga-Rechtsextremist habe sich nicht auf die Ehre von Glarner als Mensch bezogen. Zudem müsse es erlaubt sein, jemandem eine politische Gesinnung zuzuschreiben, die zur öffentlichen Wahrnehmung seiner Person im politischen Umfeld passe.

Der von Voigt gewählte Ausdruck beschreibe Glarner «in sachbezogener Weise, einerseits im Sinne der klassischen Verortung im politischen Spektrum», so das Gericht in der Zusammenfassung. Andererseits werde auch sein Politstil eingeordnet. Diese Einordnung sei Teil eines politischen Diskurses gewesen, auf welchen sich der Schutzbereich des Strafrechts grundsätzlich nicht erstrecke.

Glarner beschimpfte Nationalratskollegin

Voigts Anwalt argumentierte gemäss den Zeitungen der TX-Group vor allem mit Medienberichten über die zahlreichen öffentlichen Kontroversen, die Glarner als SVP-Parlamentarier und früherer Gemeindepräsident von Oberwil-Lieli ausgelöst hatte. So veröffentlichte er 2018 eine Klassenliste aus einer Dübendorfer Schule und stellte die Kinder wegen ihrer ausländisch klingenden Namen an den medialen Pranger. Mit der Lehrerin einigte sich Glarner später aussergerichtlich.

Ein Jahr später veröffentlichte Glarner die Telefonnummer einer Lehrerin. Dies weil sie in einem Elternbrief darauf hingewiesen hatte, das muslimische Kinder während des Fastenbrechens zu Hause bleiben dürfen. 2020 unterstellte Glarner der Nationalrätin Sibel Arslan (Grüne) vor laufenden Kameras, sie sei keine echte Schweizerin.

Der Anwalt wollte mit diesen Beispielen aufzeigen, dass Voigts Tweet in der Sache zutrifft. Die Vorfälle zeigten nämlich, «dass Herr Glarner die digitalen Kanäle dazu nutzt, hetzerische und diskriminierende Äusserungen zu verbreiten», zitieren die Medien der TX-Group aus dem Plädoyer. Solche «digitale Gewalt» sei typisch für den modernen Rechtsextremismus.

Auch in seiner Partei umstritten

Das Urteil des Bezirksgerichts dürfte in den kommenden Tagen die Diskussion über die Rolle von Glarner innerhalb der Partei anheizen. Der Aargauer Nationalrat ist auch innerhalb seiner Partei nicht unumstritten. Problematisch ist das Urteil für den Aargauer Nationalrat nicht zuletzt deshalb, weil er innerhalb seiner Partei für das Dossier Zuwanderung und Migration verantwortlich ist. Bemerkenswert ist ausserdem, dass die Anzeige wegen eines Tweets von einem Vertreter der SVP eingereicht wurde – jener Partei, die sich gerne gegen angebliche und tatsächliche Sprechverbote zur Wehr setzt.

Auch im Kanton Aargau dürfte der Richterspruch die Diskussionen über den Stil des umstrittenen Politikers anheizen. Glarner vertritt die Aargauer SVP nicht nur im Nationalrat, er ist auch deren Präsident. Seine Aktionen sorgten auch in diesem Kreis immer wieder für Kopfschütteln und wurden teilweise für das schlechte Abschneiden der Partei bei Wahlen verantwortlich gemacht.

Das Urteil ist jedoch noch nicht rechtskräftig. Es wird voraussichtlich an das Aargauer Obergericht und möglicherweise sogar an das Bundesgericht weitergezogen.
(https://www.nzz.ch/schweiz/andreas-glarner-darf-als-gaga-rechtsextremist-bezeichnet-werden-ld.1777842)