Medienspiegel 4. Februar 2024

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/

+++ZÜRICH
Brand in Asylunterkunft in Buchs ZH – mehrere Container zerstört
In einer Unterkunft für Asylsuchende in Buchs im Kanton Zürich ist es am Samstagabend zu einem Brand gekommen. Mehrere zusammengebaute Container brannten aus oder wurden durch Rauch beschädigt. Verletzt wurde gemäss Polizeiangaben niemand, der Sachschaden wird aber als erheblich bezeichnet.
https://www.watson.ch/schweiz/polizeirapport/675381276-brand-in-asylunterkunft-in-buchs-mehrere-container-zerstoert


Hohe Asylquote: Der Druck auf Uster und andere Gemeinden steigt
Ab diesem Sommer müssen die Zürcher Gemeinden mehr Asylbewerber aufnehmen. Der Kanton hat die Quote von 1.3 auf 1.6 Prozent erhöht. Dies stelle die Stadt Uster vor grosse Herausforderungen, sagt FDP-Stadträtin Petra Bättig. Und dies nicht nur bei der Suche nach geeignetem Wohnraum.  (ab 04:17)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/hohe-asylquote-der-druck-auf-uster-und-andere-gemeinden-steigt?id=12532337


+++SCHWEIZ
Geheimpapier aus Bern enthüllt: «Der Migrationsdruck auf Europa nimmt zu»
Eine Studienkommission des Bundesrats warnt vor Gefahren der Zuwanderung, der Politik Wladimir Putins und der Radikalisierung in der Gesellschaft.
https://www.blick.ch/politik/geheimpapier-aus-bern-enthuellt-der-migrationsdruck-auf-europa-nimmt-zu-id19399417.html 1045


30’000 Asylgesuche erwartet: Bericht warnt vor Radikalisierung
Der Bund rechnet 2024 mit bis zu 30’000 neuen Asylgesuchen. Ein geleakter Bericht des VBS warnt nun vor einem Migrationsdruck und Radikalisierung. Experte Dirk Baier pocht auf gut vernetzte Polizeien.
https://www.20min.ch/story/migration-30000-asylgesuche-erwartet-bericht-warnt-vor-radikalisierung-103035916


+++DEUTSCHLAND
Keine Online-Geschäfte – keine Überweisungen – nur noch regional einkaufen: Bayerns Knallhart-Plan mit der Bezahlkarte
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder will die Asylbewerber noch mehr einschränken, als Berlin es plant. Mit der «Bayern-Karte» gelten besonders strenge Regeln.
https://www.blick.ch/ausland/keine-online-geschaefte-keine-ueberweisungen-nur-noch-regional-einkaufen-bayerns-knallhart-plan-mit-der-bezahlkarte-id19400845.html


+++FRANKREICH
Helfer erzählt: Illegales Flüchtlingscamp von «Polizisten in Vollmontur» zerstört
Der 25-jährige Ivo Bosshard aus Bremgarten ist nach Nordfrankreich gefahren, um in Flüchtlingslagern mitzuhelfen. Was er erlebt hat, lässt ihn nicht mehr los.
https://www.20min.ch/story/helfer-erzaehlt-er-betete-im-regen-auf-einem-muellsack-103031969


+++EUROPA
Gemeinsames europäisches Asylsystem: Licht ins Wirrwarr der Paragrafen
Die EU-Institutionen haben sich nach jahrelangem Ringen auf eine Reform ihres Asylsystems geeinigt. Das Paket ist umfassend und unübersichtlich. Was darüber schon bekannt und was davon zu halten ist.
https://www.woz.ch/2405/gemeinsames-europaeisches-asylsystem/licht-ins-wirrwarr-der-paragrafen/!Q4SR0EY1X1NZ


Initiative gegen Grenzgewalt: »Wer überlebt, ist nicht sicher«
Die Kampagne #FreeHomayoun unterstützt eine Bürgerinitiative gegen Gewalt an Europas Grenzen
Mahtab Sabetara kämpft für die Freilassung ihres Vaters Homayoun, der in Griechenland wegen »Menschenschmuggel« im Gefängnis sitzt. Seine Unterstützer*innen engagieren sich jetzt auf EU-Ebene.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1179749.eu-aussengrenzen-initiative-gegen-grenzgewalt-wer-ueberlebt-ist-nicht-sicher.html


+++GASSE
Der obdachlose Juan (20) über sein Leben in der Notschlafstelle: «Es ist kein Zuhause, aber es ist ein Wohlfühlort»
Wie viele Jugendliche in der Schweiz obdachlos sind, ist unklar. In der Notschlafstelle Nemo in Zürich finden einige aber mehr als ein Dach über dem Kopf. Ein Betroffener hat Blick auf einen Rundgang mitgenommen und über seine Wohnsituation erzählt.
https://www.blick.ch/life/wohnen/der-obdachlose-juan-20-ueber-sein-leben-in-der-notschlafstelle-es-ist-kein-zuhause-aber-es-ist-ein-wohlfuehlort-id19399192.html



Sonntagszeitung 04.02.2024

Trotz Verbot: Bettler sind vermehrt in Zügen unterwegs

Meistens stammen sie aus Osteuropa und müssen für ihre Familienclans betteln. Die Bahnen gehen unterschiedlich damit um.

Jon Mettler

Dienstagmorgen im Zug auf der Linie S3 von Biel nach Bern: Drei junge Frauen hasten durch die Abteile und legen Zettel auf die leeren Sitze. Darauf steht auf Englisch: «Ich habe zwei Kinder und keinen Job.» Und die Bitte, «mit etwas Geld zu helfen».

Nach weniger als fünf Minuten kehren die Frauen zurück und nehmen die Zettel wieder an sich. Kaum sind sie eingesammelt, hält der Zug an der nächsten Haltestelle. So rasch wie die Bettlerinnen aufgetaucht sind, sind sie wieder verschwunden.

Die Ausbeute an diesem Tag dürfte indes gering sein. Die Reisenden im Abteil haben die Bettlerinnen weitgehend ignoriert. Auf Nachfragen, woher sie stammen, reagieren die Frauen nicht.

Nicht nur im bernischen Bahnunternehmens BLS, auch anderswo im öffentlichen Verkehr sind vermehrt Bettler unterwegs, wie in Pendler-Foren zu erfahren ist. «Wieder ganz schlimm» sei es auf den Linien zwischen Zürich und Uster sowie Zürich und Winterthur, melden Beobachter.

Mancherorts sollen Bettler ebenfalls Zettel verteilt haben, anderswo werden Reisende direkt angesprochen, wie es heisst. Meistens werde nach Geld für Essen gefragt. Das Auftreten wird in den Foren zwar als unaufdringlich beschrieben, viele stören sich aber an der Häufigkeit der Bettelei in den Zügen.

Betteln in Zügen ist verboten

Die Bundesbahnen schreiben, es gebe schweizweit «saisonale Wellenbewegungen von Bettlern in den Zügen der SBB». Ein Sprecher hält fest: «Betteln ist in den Zügen und Bahnhöfen verboten.»

Die Südostbahn (SOB) erhalte pro Woche von ihren Zugbegleitern bis zu zwei Meldungen, sagt eine Sprecherin. Obwohl Betteln verboten sei, dürften die Bettler weiterreisen, wenn sie einen gültigen Fahrausweis besitzen. Eine erhöhte Präsenz der Transportpolizei helfe, die Aktivitäten einzudämmen.

Auch die BLS stellt fest, dass Betteln wieder zunimmt, oftmals in S-Bahnen mit vielen Fahrgästen. «Die allermeisten Bettelnden reisen ohne gültiges Billett», sagt eine Sprecherin. Werden sie erwischt, erfolgt eine Anzeige.

Die Rhätische Bahn (RhB) weist auf ein anderes Phänomen hin. «Vereinzelt kommt es zu Trickbetrügereien an Bahnhöfen und in Zügen der RhB», sagt ein Sprecher. Dies geschehe insbesondere im Raum Chur-Thusis. «Unter Vorspiegelung falscher Tatsachen werden Fahrgäste dabei zur Herausgabe von Geld, beispielsweise für Zugtickets, angefragt.»

In acht Kantonen – darunter Bern, Solothurn und Luzern – besteht kein kantonales Bettelverbot. Dort können die Gemeinden das Betteln eigenständig verbieten oder erlauben. Auch Bahnunternehmen zeigen sich in der Regel kulant. Eine schweizweite und systematische Erfassung von Daten über Bettler gibt es nicht. Informationen zu Herkunft und Organisation der Bettler sind deshalb nur schwer erhältlich.

Bettler kommen aus Rumänien und Bulgarien

Allerdings kennen sich lokale Ermittlungsbehörden gut mit dem Phänomen aus. Eine davon ist die Fremdenpolizei der Stadt Bern. Deren Vorsteher Alexander Ott beschäftigt sich seit über 30 Jahren mit dem Thema. «Personen, die im öffentlichen Verkehr oder auf der Strasse betteln, kommen häufig aus Rumänien und Bulgarien», sagt Ott. Sie reisten entweder aus Frankreich ein oder direkt aus ihren Herkunftsländern.

Es handle sich dabei um Mitglieder von Familienclans mit einer patriarchalischen Organisation. «Angehörige werden angewiesen, zu betteln. Dabei müssen sie einen Teil des Geldes abgeben», sagt Ott. Werde das Tagesziel verfehlt, müssten die Betroffenen mitunter stehlen gehen.

Den raschen «Umsatz» in einem Zug schätzt Ott auf eine zweistellige bis niedrige dreistellige Summe. Als Vergleich zieht er Bettelaktivitäten mit Kind vor dem Globus in Bern heran. «Da sind in wenigen Stunden bis zu 400 Franken möglich», sagt er.

In der Stadt Bern ist Betteln erlaubt. Deshalb prüft die Fremdenpolizei nur, ob «Ausbeutungsverhältnisse» vorliegen. Ist dies der Fall, kann die Fremdenpolizei sogenannte opferrechtliche Massnahmen ergreifen.

Andernfalls können die Behörden Bettler auffordern, die Schweiz zu verlassen. Kommen sie dieser Aufforderung nicht nach, können sie weggewiesen werden. Ein aktuelles Urteil des Bundesgerichts stützt die Praxis.

Ott rät, ausländischen Bettlern kein Bargeld zu geben: «Wenn sie merken, dass diese Einnahmequelle versiegt, wird Betteln unattraktiv.» Zudem könne die gut gemeinte Spende unter Umständen helfen, ausbeuterische Familienbanden zu unterstützen.

Die SBB empfehlen Reisenden, Bettler bei der Transportpolizei zu melden. Bei Hinweisen weisen die Patrouillen bettelnde Personen weg oder erstatten im Wiederholungsfall Anzeige.
(https://www.derbund.ch/sbb-bettler-sind-vermehrt-in-zuegen-unterwegs-804822888267)


++++DEMO/AKTION/REPRESSION
Bei Palästina-Demo in der Stadt St.Gallen mit Schal vermummt: 23-Jähriger wird gebüsst
Das hat Seltenheitswert: Weil sich ein Mann im vergangenen Oktober während der Demo gegen den Krieg im Nahen Osten durch die St.Galler Innenstadt unkenntlich gemacht hat, wird er mit 150 Franken gebüsst. Die Strafnorm wird sonst fast nur bei vermummten Hooligans angewandt.
https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/stgallen/strafbefehl-bei-palaestina-demo-in-der-stadt-stgallen-mit-schal-vermummt-23-jaehriger-wird-gebuesst-ld.2573019


+++SPORT
Kollektivstrafen – FC Zürich und Fans wollen gegen Sperrung der Südkurve rekurrieren
Den neuen Kollektivstrafen fehle die rechtliche Grundlage, sagt FCZ-Präsident Ancillo Canepa dem «Sonntagsblick»
https://www.srf.ch/news/schweiz/kollektivstrafen-fc-zuerich-und-fans-wollen-gegen-sperrung-der-suedkurve-rekurrieren


Hochrisikospiel FCL gegen St. Gallen
Es ist ein Hochrisikospiel. Der FC Luzern hat heute zu Hause den FC St. Gallen empfangen. Die Bilder vom Mai 2023 sind noch immer präsent. Damals kam es zu massiven Ausschreitungen beider Fanlager. Diese sind auch der Grund, warum die Gästesektoren bei den Spielen der beiden Mannschaften in dieser Saison leer bleiben. Die Anspannung war daher gross heute Nachmittag
https://www.tele1.ch/nachrichten/hochrisikospiel-fcl-gegen-st-gallen-156121925


«Heisser Sonntag» in Luzern: Ausschreitungen durch Chaoten bleiben aus
Mit dem Eishockey-Cupfinal sowie dem FCL-Heimspiel gegen den FC St. Gallen war die Stadt Luzern am Sonntag Austragungsort von gleich zwei grossen Sportanlässen. Entsprechend zahlreich erschien die Polizei. Zu bedeutenden Ausschreitungen kam es nicht.
https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/stadt-region-luzern/fussball-heisser-sonntag-in-luzern-ausschreitungen-durch-chaoten-bleiben-aus-ld.2575346


+++POLICE BE
derbund.ch 04.02.2024

Vom Taser bis zum Granatwerfer: So hat die Berner Polizei aufgerüstet

Neue Pistolen, Sturmgewehre und Schutzhelme: Die Kantonspolizei ist heute viel besser ausgerüstet als noch vor ein paar Jahren. Eine Übersicht.

Andres Marti

Die Berner Kantonspolizei hat ihre Ausrüstung in den letzten Jahren stetig modernisiert. Als Grund für die Aufrüstung nennen die Behörden die gestiegene Bedrohung durch Terroranschläge sowie die zunehmende Gewaltbereitschaft gegen Polizistinnen und Polizisten.

Neben Pistolen der neusten Generation gehören heute Elektroschocker (Taser), moderne Granatwerfer und Sturmgewehre zum Waffenarsenal des Berner Polizeikorps. Die Aufrüstung sorgte aber auch für Kritik, wie unser Überblick zeigt.

Frauenfreundliche Pistolen

Bis auf wenige Ausnahmen hat die Kantonspolizei letztes Jahr sämtliche 2700 bisherigen Dienstwaffen ausgemustert. Ersetzt wurden die teilweise über 30-jährigen Pistolen (SIG Sauer P228 und P229) durch österreichische Glocks 45 der neusten Generation. Für verdeckte Einsätze hat die Kapo zudem eine nicht genannte Anzahl kompaktere Glocks 43x beschafft. Preis pro Waffe laut Polizei: circa 400 Franken.

Die alten Dienstwaffen waren «für viele Frauen aufgrund des Abzugsgewichts schwer zu bedienen», schrieb der Regierungsrat im Vorfeld der Beschaffung. Darüber hinaus kann mit den leicht bedienbaren und leichteren Glocks beidhändig geschossen werden.

Viele behielten die alte Waffe

Dennoch waren die ausgemusterten Pistolen im Korps offenbar beliebt: Rund 1000 der alten Dienstwaffen wurden von Polizistinnen und Polizisten für den Privatgebrauch übernommen, wie die Polizei auf Anfrage mitteilt.

Möglich macht den Wechsel der Dienstwaffen in private Hände eine Spezialregelung: «Mitarbeitende, die mindestens zehn Jahre ununterbrochen bei der Kantonspolizei gearbeitet haben, können auf Wunsch ihre alte Waffe behalten», so Polizeisprecherin Lena Zurbuchen.

Auch pensionierte und ehemalige Kapo-Mitarbeitende können ihre Dienstwaffen behalten. Die Polizei wollte diese liberale Praxis im Zuge der Umrüstung eigentlich verbieten, stiess dabei aber auf Widerstand im Korps. «Die Dienstwaffe begleitet Polizistinnen und Polizisten in der Regel ein Dienstleben lang und kann für sie deshalb einen gewissen emotionalen Wert haben», sagt dazu Sprecherin Zurbuchen. Im Kantonsparlament wehrte sich Thomas Fuchs (SVP) letztes Jahr erfolgreich gegen die Verschärfung.

Umstrittene Granatwerfer aus Thun

Ausgemustert hat die Kapo auch die alten Mehrzweckwerfer 73. Die aus den 1970er-Jahren stammenden Werfer sind inzwischen vollständig durch moderne Granatwerfer GL06 des Thuner Herstellers B&T ersetzt worden. Insgesamt wurden 300 Stück beschafft. Preis pro Waffe laut Polizei: 1500 Franken.

Im Gegensatz zu Schlagstock, Pfefferspray und Pistole gehören die Granatwerfer nicht zur persönlichen Ausrüstung der rund 2700 Kapo-Mitarbeitenden. Eingesetzt wird der 40-mm-Granatwerfer vor allem im Ordnungsdienst, also etwa an Demonstrationen oder Fussballspielen. Neben Gummischrot – dessen Einsatz in der Vergangenheit mehrfach schwere Augenverletzungen verursacht hat – kann mit dem neuen Werfer auch ein sogenanntes Wuchtgeschoss abgefeuert werden.

Ein Gutachten der Universität Bern kam zum Schluss, dass bei einer Schussabgabe aus 30 Metern «Brustbeinbrüche und Leberrisse» mit dieser Waffe nicht auszuschliessen seien. Bei bis zu 60 Metern bestehe die Gefahr für «Rippenbrüche», und im gesamten Einsatzbereich müsse mit «irreversiblen Augenschäden» gerechnet werden. Wie oft der neue Werfer bislang zum Einsatz kam, gibt die Polizei nicht bekannt.

Sturmgewehre gegen IS-Terroristen

Ebenfalls nicht zur persönlichen Ausrüstung gehören die sogenannten Langwaffen. Dazu zählen die vollautomatischen Maschinenpistolen Typ MP5 des deutschen Herstellers Heckler & Koch. Die Kapo verfügt über rund 380 dieser Waffen.

Noch vor ein paar Jahren waren Sturmgewehre mit grösserer Reichweite und Durchschlagskraft den Spezialeinheiten vorbehalten. Dies änderte sich nach den Anschlägen schwer bewaffneter IS-Terroristen in Brüssel, Paris und Nizza. Als Reaktion darauf beschaffte die Kapo kurzerhand 100 Sturmgewehre vom Typ SG 533 LB. Im Gegensatz zur MP5 durchschlägt die kompaktere Version des Sturmgewehrs 90 auch ballistische Schutzwesten. Preis pro Waffe laut Polizei: 1600 Franken.

Nach einer gross angelegten Terrorübung kam die Polizei 2019 zum Schluss, dass 100 Sturmgewehre nicht ausreichen, und forderte, den Bestand zu erhöhen. Seitdem ist indes nicht viel passiert: Man habe seit 2020 keine zusätzlichen Sturmgewehre beschafft, so die Polizei auf Anfrage. Eine «Evaluierung der Situation» sei aber in Gang.

Ballistische Schutzhelme auf eigene Kosten

Auch bei der passiven Bewaffnung hat die Kapo in den letzten Jahren aufgerüstet. 2010 schoss der Rentner Hans Peter Kneubühl beim Ausbruch aus seinem umstellten Haus in Biel mit seinem Gewehr einem Polizisten ins Gesicht. Dieser überlebte den Kopfschuss nur dank seines ballistischen Schutzhelmes. Solche Helme standen bis vor kurzem nur der Spezialeinheit Enzian zur Verfügung.

Die im Ordnungsdienst getragenen Helme schützen nur gegen Schläge und Wurfgegenstände, weshalb sich einzelne Mitarbeitende der Kapo auf eigene Kosten ballistische Helme beschafft haben.

Heute verfügt die Kantonspolizei über 650 ballistische Schutzhelme der Marke Ulbricht. Preis pro Helm laut Polizei: 1300 Franken.

Unklar ist, ob die neuen Helme auch dem Beschuss aus Sturmgewehren standhalten. Zur Schutzklasse der Helme macht die Polizei aus «taktischen Gründen» keine Angaben. In den letzten Jahren hat die Materialtechnik in diesem Bereich jedenfalls enorme Fortschritte gemacht (und ein globales Wettrüsten ausgelöst).

Teure Elektroschocker, günstige Pfeffersprays

Auffallend ist die Gewohnheit der Polizei, ihren Waffen möglichst neutral klingende Namen zu verleihen: Der Schlagstock heisst offiziell Gerader Einsatzstock (abgekürzt GES), der Granatwerfer ist ein Mehrzweckwerfer (mit dem vage «Mittel» eingesetzt werden), und aus dem Elektroschocker wird das «Destabilisierungsgerät» oder DSG.

Mit einem solchen Gerät wurde in Bern der selbst ernannte «Heiler» ausser Gefecht gesetzt, nachdem er sich der Polizei mit einem japanischen Schwert gezeigt hatte.

Heute besitzt die Polizei rund 450 Taser. Die gelben Schocker, die früher nur der Spezialeinheit Enzian zur Verfügung standen, gehören inzwischen zur Standardausrüstung jeder Patrouille. 2022 kamen sie laut Polizei 12-mal zum Einsatz. Preis pro Gerät laut Polizei: 2100 Franken (ein Taser kostet damit wesentlich mehr als ein Sturmgewehr.)

Günstiger ist das RSG (Reizstoffsprühgerät, im Volksmund auch Pfefferspray genannt). Für die über 3000 Sprays hat die Kantonspolizei pro Stück zwischen 30 und 60 Franken bezahlt.
(https://www.derbund.ch/terrorgefahr-die-berner-polizei-hat-neue-waffen-gekauft-438306501680)


+++JENISCHE/SINTI/ROMA
Wurde bei uns kultureller Genozid verübt? – «Das kann die Schweiz nie wiedergutmachen»
Jahrzehntelang nahm die Pro Juventute Jenischen und Sinti die Kinder weg. Unter den Folgen leiden Betroffene wie Ursula Waser (71) bis heute. Jenische fordern nun vom Bundesrat, dass er die Taten als kultureller Genozid verurteilt. Tatsächlich tut sich etwas.
https://www.blick.ch/schweiz/wurde-bei-uns-kultureller-genozid-veruebt-das-kann-die-schweiz-nie-wiedergutmachen-id19396387.html


+++HISTORY
Kanton Zürich: Opfer von illegalen Adoptionen sollen mehr Hilfe bekommen
Tausende Menschen in der Schweiz wurden in den vergangenen Jahrzehnten Opfer von illegaler Adoption. Der Kanton Zürich will dieses dunkle Kapitel der Geschichte historisch aufarbeiten. Aus dem Kantonsrat kommt nun die Forderung, Betroffene besser bei der Suche nach ihren Wurzeln zu unterstützen.
https://www.zueritoday.ch/zuerich/kanton-zuerich/opfer-von-illegalen-adoptionen-sollen-mehr-hilfe-bekommen-156050205


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Auf Social Media: Schweizer verbreiten russische Propaganda
Sie tragen Badges der Wagner-Truppe und verherrlichen auf Tiktok und Telegram Putins Angriffskrieg. Fachleute warnen davor, dass die Botschaften zunehmend gehört werden.
https://www.derbund.ch/schweizer-verbreiten-russische-propaganda-auf-social-media-814702416583



nzz.ch 04.02.2024

Ueli Maurer bekräftigt seine Kritik an der Corona-Politik: «Wer eine kritische Frage stellte, wurde aussortiert, indem man ihn als ‹Verschwörer› oder als ‹Rechtsextremen› brandmarkte»

Der frühere SVP-Bundesrat musste viel Kritik einstecken wegen seiner provokativen Aussagen zur Pandemie oder zur Impfung. Nun legt er noch einen drauf.

Simon Hehli

Ueli Maurer werde, befreit von den Zwängen bundesrätlicher Kollegialität, immer radikaler. Das schrieb die «NZZ am Sonntag» vor zwei Wochen – und führte zahlreiche Beispiele von provokativen Aussagen Maurers zur Schweizer Corona-Politik an. Im Gespräch mit dem früheren «Weltwoche»-Journalisten und SVP-Politiker Philipp Gut auf dem Internetsender «Hoch2.tv» bezeichnete der Alt-Bundesrat die Pandemie als «Hysterie», die bewusst geschürt worden sei. Und als «Massenhypnose». Es sei von Anfang an klar gewesen, dass das Virus nicht so schlimm habe sein können, wie man das dargestellt habe.

Auch zur Impfung äusserte sich Maurer sehr kritisch: «Wir haben vorgegaukelt, wir hätten Impfstoffe, die absolut nützlich seien. Und jetzt stellen wir fest: Das ist sehr viel heisse Luft. Mehr heisse Luft als Inhalt.» Politische Gegner reagierten empört. Die damaligen Entscheide des Bundesrates derart radikal infrage zu stellen, sei eines Alt-Bundesrates unwürdig, sagte die SP-Gesundheitspolitikerin Barbara Gysi. Und ein Soziologe analysierte: In den Aussagen von Maurer fänden sich «gezielt gesetzte Versatzstücke vieler verschwörungstheoretischer Erzählmuster».

Nun erklärt sich Ueli Maurer in einem Interview in der «Sonntags-Zeitung». Manche Aussagen mildert er zwar etwas ab. Doch von seiner dezidierten Kritik an der Corona-Politik rückt er nicht ab. Er habe dazu nur gesagt, was er schon immer gesagt habe. «Dass dies für so viel Wirbel sorgte, hat mich erstaunt.» Natürlich habe es sich bei der Pandemie um eine «Hysterie» gehandelt, und zwar weltweit.

In der «Hypnose» gefangen

Maurer räumt zwar ein, dass tatsächlich viele ältere Menschen und Infizierte mit Vorerkrankungen gestorben seien. Doch man hätte sich laut Maurer darauf beschränken müssen, diese Risikogruppen zu schützen, statt alles lahmzulegen. «Klar, im Nachhinein ist man immer schlauer, aber damals wurde jeder, der etwas in diese Richtung sagte, als verantwortungsloser Spinner hingestellt. Das meine ich mit Massenhypnose.»

«Wer eine kritische Frage stellte, wurde aussortiert, indem man ihn als ‹Verschwörer› oder als ‹Rechtsextremen› brandmarkte, der ‹Tote in Kauf nimmt›», sagt Maurer. Aus dieser «Hypnose» sei man nicht mehr herausgekommen – selbst dann nicht, als sich herausgestellt habe, dass die Pandemie gar nicht so tödlich gewesen sei wie befürchtet, zumindest für junge und gesunde Menschen.

Maurer zeichnet von sich das Bild eines Mahners, auf den im Bundesrat niemand gehört hat. Der Trend sei unglaublich stark gewesen: zu immer noch mehr und noch stärkeren Massnahmen. «Dies umzukehren, war unmöglich. Ich musste mich darauf beschränken, das Schlimmste zu verhindern.» Maurer sagt, es sei für ihn ebenso faszinierend wie beängstigend gewesen, zu sehen, wie so eine Dynamik entstehe, bei der schon eine kritische Frage reiche, um als böse zu gelten. Ähnliches sei auch beim Ukraine-Krieg geschehen.

Impfschäden als Problem?

Maurer wehrt sich dagegen, wegen seiner Kritik als genereller Impfgegner hingestellt zu werden. Impfungen gegen Starrkrampf oder Kinderlähmung seien völlig unbestritten. Wenn ein Impfstoff hingegen so schnell entwickelt und zugelassen werde wie jener gegen Covid-19, so sei eine gewisse Skepsis angebracht. Maurer ist nach wie vor der Meinung, man hätte die Impfempfehlung auf Risikogruppen beschränken müssen. Er sei zudem überzeugt, dass man sich in den nächsten Jahren zunehmend mit Impfschäden werde beschäftigen müssen.

Dass seine Aussagen vor zwei Wochen einen derartigen Wirbel auslösten, erklärt sich der SVP-Mann mit dem «zuverlässigen Anti-Maurer-Reflex» in den Medien. «Privat erhalte ich sehr viel Zustimmung, auch von Ärzten und Wissenschaftern.» Doch ihm gehe es um etwas anderes: Dass man eine ganze Gesellschaft manipulieren könne, wie das während der Pandemie passiert sei, sei gefährlich.

Maurer nimmt die Kritik auf, er bereite Verschwörungstheoretikern den Boden – und dreht das Argument um: «Die Vorgänge während Corona waren Wasser auf die Mühlen all jener, die das Vertrauen verloren haben und nicht mehr an den Staat glauben. Die Folgen spüren wir nun durch die zunehmende Anzahl an Staatsverweigerern oder die Verschwörungstheorien, zum Beispiel, dass das WEF oder Bill Gates schuld an allem seien und die Weltherrschaft anstrebten.»

Maurer fordert, dass man diese Leute zurückholen müsse, sonst würden sie zu Extremisten. Daran werde die Schweiz noch eine ganze Weile zu beissen haben. «Doch der Staat hat es nicht einmal geschafft, einzugestehen, dass er bei der Ausgrenzung zu weit gegangen ist. Das wäre das Mindeste, was man tun müsste.»

Der Weg zum «Nanny-Staat»

Als Finanzminister war Maurer verantwortlich für die Kredite an Unternehmen, die wegen Corona in Schwierigkeiten gerieten. Obwohl auch Betrüger sich die Kredite sicherten und der Bund mit Ausfällen von 1,7 Milliarden rechnet, sieht der Alt-Bundesrat keine eigenen Fehler. Diese habe das Parlament begangen, indem es mit beiden Händen À-fonds-perdu-Gelder verteilt habe. «Dies führte dazu, dass viele, die zuvor einen rückzahlbaren Kredit aufnahmen, dachten: ‹Wenn die das Geld nicht zurückzahlen müssen, so tu ich es auch nicht.›»

Corona hat aus Maurers Sicht die Verwandlung der Schweiz von einem Land, in dem die Eigenverantwortung ein zentraler Wert ist, in einen «Nanny-Staat» verstärkt. Der Staat könne nicht für alles die Verantwortung übernehmen. Er könne auch nicht alle vor dem Tod schützen. «Doch genau das war der Anspruch, auch bezüglich der Firmen. Selbst marode Betriebe durften nicht in Konkurs gehen.» So sei es für Beizen zum Teil lukrativer gewesen, den Laden zu schliessen und Corona-Gelder zu kassieren, als zu öffnen und einen Lieferservice einzurichten.

CS-UBS-Deal als bestmögliche Variante

Maurer äussert sich auch zum Niedergang der CS, den er als Finanzminister nicht verhindern konnte. Er hält es weiterhin für richtig, dass der Staat erst später eingegriffen hat. Man müsse sich vorstellen, was eine vorübergehende Verstaatlichung bedeutet hätte: «Dass der Staat plötzlich eine weltweit tätige Bank führen muss, die überall Dreck am Stecken hat und in Rechtsfälle verwickelt ist. Wie soll das gehen? Wer sollte eine solche Bank führen? Ich, jemand aus dem Bundesrat, der Kanzler? Das wäre nicht gut gekommen.»

Die Übernahme der CS durch die UBS, die seine Nachfolgerin Karin Keller-Sutter aufgegleist hat, war für Maurer die bestmögliche Variante. «Es ist eine eigenständige Lösung, der Schaden für Wirtschaft und Staat ist minimal, es bestand nie die Gefahr, dass die CS beziehungsweise die UBS die staatlichen Kredite nicht zurückzahlen kann.» Dass es besser gewesen wäre, die CS in dieser Situation und mit dieser Vorgeschichte durch alle Böden als eigenständige Bank zu erhalten, bezweifelt er.

Maurer ist 73-jährig. Doch der frühere Präsident der SVP zeigt keine Lust, in aller Ruhe die Rente zu geniessen und – wie andere frühere Bundesräte – der Maxime «servir et disparaître» zu folgen. Er erklärt bereits, gegen «einen möglichen schlechten Rahmenvertrag» an vorderster Front kämpfen zu wollen.
(https://www.nzz.ch/schweiz/ueli-maurer-bekraeftigt-seine-kritik-an-der-corona-politik-wer-eine-kritische-frage-stellte-wurde-aussortiert-indem-man-ihn-als-verschwoerer-oder-als-rechtsextremer-brandmarkte-ld.1777334)



Sonntagszeitung 04.02.2024

Ueli Maurer im Interview: «Natürlich handelte es sich bei Corona um eine Hysterie!»

Mit seinen Aussagen zur Covid-Politik sorgt der Alt-Bundesrat für Aufregung. Im Gespräch bekräftigt er seine Haltung und redet erstmals ausführlich über seine Rolle im Credit-Suisse-Debakel.

Rico Bandle

Er macht noch immer einen bundesrätlichen Eindruck: Ueli Maurer, 73, erscheint im Zürcher Hauptbahnhof in Anzug und Krawatte, der Pin mit dem Schweizer Kreuz steckt am Kragen. Er sei gerade auf dem Weg nach Bern zu einem Botschaftertreffen, wo er eingeladen sei, sagt er, bestens gelaunt. Bis sein Zug losfährt, bleiben eineinhalb Stunden Zeit, um bei einem Kaffee über die wichtigsten Themen in seiner Zeit als Bundesrat zu sprechen: Corona und die CS-Krise.

Herr Maurer, nach Ihren letzten Aussagen zur Corona-Politik hiess es, Sie würden immer radikaler. Stimmt das?

Was heisst radikal? Vielleicht kommt man im Alter direkter auf den Punkt, es bleibt einem ja weniger Zeit. Zu Corona habe ich aber nur gesagt, was ich immer schon gesagt habe. Dass dies für so viel Wirbel sorgte, hat mich erstaunt.

Sie bezeichneten die Corona-Politik als «Hysterie» und sprachen von einer «Massenhypnose».

Natürlich handelte es sich um eine Hysterie! Und zwar weltweit. Man sagte, Corona sei tödlich – und spann unter dieser Prämisse ein Netz von Massnahmen, wie man das noch nie gesehen hatte. Wer eine kritische Frage stellte, wurde aussortiert, indem man ihn als «Verschwörer» oder als «Rechtsextremer» brandmarkte, der «Tote in Kauf nimmt». Man kam aus dieser Hypnose nicht mehr raus – selbst dann nicht, als sich herausstellte, dass die Pandemie gar nicht so tödlich war wie befürchtet, zumindest nicht für junge und gesunde Menschen.

Verharmlosen kann man die Pandemie trotzdem nicht: Es starben viele ältere Leute und solche mit Vorerkrankungen.

Stimmt. Als dies klar war, hätte man sich darauf beschränken sollen, die Risikogruppen zu schützen. Doch man legte alles lahm, sogar die Schulen. Klar, im Nachhinein ist man immer schlauer, aber damals wurde jeder, der etwas in diese Richtung sagte, als verantwortungsloser Spinner hingestellt. Das meine ich mit Massenhypnose.

Wie war das im Bundesrat, als zum Beispiel die Schulschliessungen entschieden wurden? Stimmt es, dass Sie isoliert waren?

Ich war sicher der Kritischste. Auch, weil ich immer darauf pochte, die Massnahmen hinsichtlich der Finanzen anzuschauen. So viel Geld auszugeben für einen zweifelhaften Nutzen, war für mich nicht zu verantworten. Geld spielte keine Rolle mehr, es war völlig egal, was es kostete.

Haben Sie sich gewehrt?

Ich habe regelmässig Mitberichte und Anträge geschrieben. Der Trend war aber unglaublich stark: zu immer noch mehr und noch stärkeren Massnahmen. Dies umzukehren, war unmöglich. Ich musste mich darauf beschränken, das Schlimmste zu verhindern.

Es ist doch menschlich, wenn Politiker in einer solchen Situation vorsichtig, vielleicht sogar übervorsichtig sind: Man will auf jeden Fall ausschliessen, irgendwann für den Tod vieler Menschen verantwortlich gemacht zu werden.

Ich mache auch niemandem einen Vorwurf. Ich kritisiere nur, dass man nichts mehr hinterfragen durfte, dass Menschen mit anderer Meinung ausgegrenzt wurden. Das Wichtigste, was ich einmal in einem Management-Kurs lernte, war: Wenn in einem Geschäft alle derselben Meinung sind, muss man den Entscheid verschieben, denn dann hat man wohl etwas übersehen. Genauso war das hier. Die Schraube wurde immer noch stärker angezogen.

Plötzlich kommt ein Mann auf Ueli Maurer zu und sagt: «Grüezi Herr Leuenberger! Schön, dass ich Sie einmal sehe.» – «Finde ich auch, aber ich bin nicht Herr Leuenberger» – «Entschuldigung, wer sind Sie schon wieder?» – «Ueli Maurer.»

Dass Sie mit Moritz Leuenberger verwechselt werden, kommt wahrscheinlich nicht alle Tage vor.

Das nicht, aber es gibt schon viele Verwechslungen. Nach einer «Arena»-Sendung kommen oft Leute, die mich loben: «Das haben Sie gut gesagt!» Dabei hat das ein anderer gesagt… Aber wo waren wir? Genau: Es war für mich ebenso faszinierend wie beängstigend, zu sehen, wie so eine Dynamik entsteht, bei der schon eine kritische Frage reichte, um als böse zu gelten. Ähnliches geschah dann auch beim Ukraine-Krieg.

Ist jemand in Ihrem Umfeld an Corona gestorben?

Nein. Aber Freunde von mir durften ihren todkranken Vater – der kein Corona hatte – nicht im Spital besuchen. Er starb nach drei Monaten, vielleicht an Einsamkeit. Nicht einmal in so einem Fall machte man eine Ausnahme. Das ist doch verrückt. Es gab weitere Erlebnisse, die mir die Augen öffneten.

Zum Beispiel?

Wir waren zu sechst auf einer dreitägigen Bergtour. Danach gingen wir im hintersten Krachen im Urnerland in eine Gartenwirtschaft. Die Wirtin sagte, dass nur vier Leute an einen Tisch sitzen dürfen. Zuerst lachten wir. Doch dann begann sie zu weinen – sie hatte wirklich Panik. Selbstverständlich sassen wir dann sofort auseinander. Aber da sah man die Wirkung dieser Hypnose, welche Angst den Leuten gemacht worden war. So etwas hatte ich noch nie erlebt.

Kürzlich sagten Sie, die Corona-Impfung habe viel weniger gewirkt als versprochen, da sei «viel heisse Luft» drin. Die Empörung war gross.

Natürlich wurde gleich wieder gesagt, ich sei ein Impfgegner. Das stimmt nicht. Die seit Jahrzehnten bewährten Impfungen, zum Beispiel gegen Starrkrampf oder Kinderlähmung, sind völlig unbestritten. Wenn ein Impfstoff hingegen so schnell entwickelt und zugelassen wird, so ist eine gewisse Skepsis angebracht. Das finden auch viele Wissenschaftler und Ärzte. Aber auch die hat man komplett auf die Seite gedrängt.

Die Impfung hat zwar nicht wie erhofft gegen Ansteckung gewirkt, aber immerhin schwere Verläufe verhindert. Laut WHO hat sie allein in Europa 1,4 Millionen Leben gerettet.

Man hat nicht gehofft, sondern es wurde versprochen. Man hätte sich auf eine Impfempfehlung für Risikogruppen beschränken können. Stattdessen wurde allen gesagt: «Entweder du bist geimpft oder du kommst nicht rein!» Man schloss damit viele Leute aus. Das ging zu weit. Ich bin überzeugt, dass wir uns in den nächsten Jahren zunehmend mit Impfschäden beschäftigen werden.

Ist das mit den Impfschäden nicht auch Angstmacherei? Ich kenne niemanden, der Schäden davongetragen hat.

Ich schon! Dass es Menschen gibt, die die Impfung nicht vertrugen, ist so unbestritten wie Long-Covid. Schweizer Betroffene haben sich in einem Verein organisiert. Wie gravierend diese Schäden sind, kann ich nicht beurteilen. Klar ist aber, dass die Impfung die Versprechen nicht einlöste. Selbst Pfizer als Hersteller hat ja gesagt, dass die Impfung nicht vor Ansteckung und Übertragung schütze. Weshalb wird man immer noch angefeindet, wenn man das ausspricht?

Wie erklären Sie sich, dass das Thema immer noch solche Emotionen auslöst?

Die negativen Reaktionen auf meine Aussagen kamen hauptsächlich von den Medien. Da gibt es einen zuverlässigen Anti-Maurer-Reflex. Privat erhalte ich sehr viel Zustimmung, auch von Ärzten und Wissenschaftlern. Das Medizinische steht bei mir aber gar nicht im Zentrum: Mich beschäftigt vor allem, wie man eine ganze Gesellschaft in eine solche Hypnose versetzen und manipulieren kann. In einer Demokratie mit freier Meinungsäusserung darf so etwas nicht passieren.

Übertreiben Sie nicht etwas?

Nein, ich halte das tatsächlich für gefährlich. Die Vorgänge während Corona waren Wasser auf die Mühlen all jener, die das Vertrauen verloren haben und nicht mehr an den Staat glauben. Die Folgen spüren wir nun durch die zunehmende Anzahl an Staatsverweigerern oder die Verschwörungstheorien, zum Beispiel, dass das WEF oder Bill Gates Schuld an allem seien und die Weltherrschaft anstrebten. Wir müssen diese Leute zurückholen, sonst werden sie zu Extremisten. Daran werden wir noch eine ganze Weile zu beissen haben. Doch der Staat hat es nicht einmal geschafft, einzugestehen, dass er bei der Ausgrenzung zu weit gegangen ist. Das wäre das Mindeste, was man tun müsste.

Sie waren als Finanzminister für die Corona-Kredite verantwortlich, die an Unternehmen verteilt wurden. Damals sagten Sie: «Missbrauch ist praktisch ausgeschlossen, davon bin ich grundsätzlich überzeugt.» Nun geht man von einem Ausfall von 1,7 Milliarden Franken aus.

Wir sind immer von einem Ausfall von etwa zehn Prozent ausgegangen, was ziemlich genau diesen 1,7 Milliarden entspricht.

Sie sagten mehrmals, Missbrauch werde kein Problem.

Ich erwähnte die zehn Prozent damals an der Pressekonferenz, das können Sie nachschauen. Die unbürokratischen Covid-Kredite erachte ich immer noch als eine der besseren Massnahmen. Wir konnten in kürzester Zeit 130’000 Kredite vergeben, dies hat sofort für Stabilität gesorgt. Dafür wurden wir international bewundert. Das Problem folgte später.

Welches?

Das Parlament öffnete beim zweiten Lockdown alle Schleusen, verteilte oft mit beiden Händen À-fonds-perdu-Gelder. Dies führte dazu, dass viele, die zuvor einen rückzahlbaren Kredit aufnahmen, dachten: «Wenn die das Geld nicht zurückzahlen müssen, so tu ich es auch nicht.» Auch bei der Kurzarbeit liess man zu viel durch. Da verpuffte viel mehr Geld und es gab auch mehr Missbrauch als bei den Krediten. Ich habe mich im Parlament stark dagegen gewehrt, dass das Geld so blindlings ausgegeben wird.

Ihnen und der SVP warf man deshalb vor, Sie liessen die KMU im Stich.

Für Beizen war es zum Teil lukrativer, den Laden zu schliessen und Corona-Gelder zu kassieren, als zu öffnen und zum Beispiel einen Lieferservice einzurichten. Es wurde Geld ausgegeben bis zum Gehtnichtmehr. Hier noch eine Milliarde, dort zwei oder drei Milliarden – Geld spielte keine Rolle mehr. Ich habe das im Bundesrat selber erlebt, man hat zum Teil nicht einmal mehr darüber diskutiert. Auch das war Teil der Hypnose.

Sie hätten mehr Betriebe pleitegehen lassen?

Der Staat kann nicht für alles die Verantwortung übernehmen. Er kann auch nicht alle vor dem Tod schützen. Doch genau das war der Anspruch, auch bezüglich der Firmen. Selbst marode Betriebe durften nicht in Konkurs gehen. Die Eigenverantwortung wurde aufgelöst wie noch nie. Der Staat signalisierte: Wir übernehmen alles, ihr müsst euch nicht kümmern. Das führen wir nach Corona weiter – in jedem Bereich. Wir sehen das jetzt bei der Diskussion um die 13. AHV-Rente. Der Staat soll schauen. Aber der Staat kann nur das Geld einsetzen, das er den Leuten zuerst wegnimmt.

Sehen Sie Corona als Wendepunkt in der Schweiz: Von einem Staat, bei dem die Eigenverantwortung an erster Stelle steht, zu einem Nanny-State?

Den Trend gab es schon länger, durch Corona verstärkte er sich rasant. Seither ist für viele selbstverständlich: Der Staat sorgt für alles, für wirklich alles.

Die zweite grosse Krise in Ihrer Amtszeit betraf die Credit Suisse, auch wenn es erst nach Ihrem Rücktritt zum grossen Knall kam. Am 13. Dezember 2022 äusserten Sie den viel zitierten Satz: «Man muss die CS jetzt einfach ein Jahr oder zwei in Ruhe lassen.» Eine kolossale Fehleinschätzung?

Nein, die Chance bestand, dass die CS das aus eigener Kraft hätte lösen können. Eigentlich geht es ja um dieselbe Frage wie bei Corona: Ist der Staat für alles verantwortlich? Diese Bank hat über Jahrzehnte gravierende Managementfehler gemacht. Ist es Aufgabe des Steuerzahlers, für die Fehler von Managern mit Millionenboni hinzustehen? Meine Aussage bedeutete, dass die Credit Suisse nach Lösungen suchen musste, ohne eine Aufgabe auszuschliessen.

Das Problem war ja: Man konnte einen Konkurs nicht riskieren, da dies womöglich die ganze Wirtschaft in die Krise gerissen hätte. Diese Banken haben uns in Geiselhaft.

Dass es zu einem Konkurs kommt, war in diesem Fall sehr unwahrscheinlich. Die Bank hatte so viel Eigenkapital, dass es klar war, dass Interesse von Dritten besteht. Das ist ja dann auch geschehen. Die UBS hat ein gutes Geschäft gemacht.

Kürzlich schrieb die Nachrichtenagentur Reuters, dass die Nationalbank im Oktober 2022 eine Verstaatlichung der Credit Suisse vorschlug. Sie hätten das nach Absprache mit dem CS-Management verhindert.

Da weiss Reuters mehr als ich. Zuerst aber etwas Grundsätzliches: Der Bundesrat kommt bei einem solchen Szenario ganz am Ende der Kette. Die Verantwortung für eine Bank trägt zuerst das Management, dann der Verwaltungsrat, die Revisionsgesellschaften, die Finanzmarktaufsicht Finma, am Ende vielleicht auch noch die Nationalbank – alle haben in diesem Fall nicht gehandelt. Erst dann kommt, wenn überhaupt, der Bundesrat ins Spiel. Er verfügt gar nicht über die nötigen Informationen. Die Vorstellung, der Bundesrat könne plötzlich per Notrecht gegen den Willen des Managements eine global tätige Bank verstaatlichen, ist naiv. Das geht nicht.

Weshalb? Kann man ein unfähiges Management, das das Land in Gefahr bringt, nicht entmachten?

Es ist eine Güterabwägung: Gibt es eine Lösung ohne staatliche Hilfe oder muss der Staat wirklich eingreifen? Wenn der Staat eingreift, so sendet das ein fatales Signal aus: Ihr könnt problemlos grosse Risiken eingehen, denn wenn es schiefläuft, hilft der Staat.

Anfang November 2022 war eine ausserordentliche Bundesratssitzung zur Rettung der CS angesagt. Laut Medienberichten sagten Sie die Sitzung kurzfristig ab. Weshalb?

Dies wird der Untersuchungsbericht der PUK klarstellen, ich kann dem nicht vorgreifen.

Sie sagen, man kann eine Bank nicht gegen den Willen jener retten, die gerettet werden sollen. Es ist doch klar, dass die Manager einer Rettung nie zustimmen, denn damit würden sie ihr eigenes Versagen eingestehen.

Eine Rettung hätte in etwa Folgendes bedeutet: Der Bundesrat beantragt beim Parlament per Notrecht einen sehr, sehr hohen Milliardenkredit, den das Management und der Verwaltungsrat gar nicht wollen, weil sie sagen, sie lösen das Problem selber. Dies hätte zu einer Riesen-Aufregung geführt, vor allem auch medial. Das wäre schlicht nicht gegangen und hätte der Bank noch mehr geschadet.

Finden Sie im Nachhinein Ihren Entscheid, nicht einzugreifen, noch als richtig?

Ich hätte gerne nach wie vor zwei Grossbanken. Aber man muss sich vorstellen, was eine vorübergehende Verstaatlichung bedeutet hätte: dass der Staat plötzlich eine weltweit tätige Bank führen muss, die überall Dreck am Stecken hat und in Rechtsfälle verwickelt ist. Wie soll das gehen? Wer sollte eine solche Bank führen? Ich, jemand aus dem Bundesrat, der Kanzler? Das wäre nicht gut gekommen. Der Staat hätte eine ganze Reihe von CS-Managern entlassen und neue einsetzen müssen; er hätte mit den Aufsichtsbehörden in Amerika und anderswo verhandeln müssen, Bussen bezahlen und so fort. Das Risiko wäre riesig gewesen. Was in dieser Diskussion oft übersehen wird: Die CS ist vor allem sehr international, gegen 90 Prozent der Mitarbeiter waren im Ausland tätig.

Dem Vernehmen nach haben Sie den Bundesrat nur zurückhaltend über die Probleme bei der Credit Suisse informiert – die Angst vor Leaks war nach den Erfahrungen in der Corona-Krise zu gross.

Das war so. Das Geschäft war rund um die Uhr auf der ganzen Welt börsenrelevant. Es bestand ja damals noch die Chance, dass es die CS selber schafft, sie konnte ja sogar noch selber neues Kapital auftreiben. Deshalb musste man sehr vorsichtig sein. Wenn immer möglich haben wir mündlich informiert, sodass nichts Schriftliches nach draussen gelangen konnte. Denn es war klar: Sobald herauskommt, dass der Staat die Finger im Spiel hat, verändert sich alles. Es wären noch viel mehr Forderungen auf die Bank zugekommen, sie wäre zum Spielball der Politik geworden. Für den Staat ein Fass ohne Boden.

Ihre Nachfolgerin Karin Keller-Sutter hat dann die Übernahme durch die UBS durchgesetzt. Hätten Sie gleich gehandelt?

Das war eine der möglichen Lösungen, die wir bereits im Oktober vorbereitet hatten, die man noch verfeinern und aus der Schublade ziehen konnte. Wir haben damals verschiedene Szenarien ausgearbeitet. Auch ich denke, dass dies am Ende die bestmögliche Variante war: Es ist eine eigenständige Lösung, der Schaden für Wirtschaft und Staat ist minimal, es bestand nie die Gefahr, dass die CS beziehungsweise die UBS die staatlichen Kredite nicht zurückzahlen kann. Ob es besser gewesen wäre, die CS in dieser Situation und mit dieser Vorgeschichte durch alle Böden als eigenständige Bank zu erhalten, mag ich bezweifeln.

Während der Corona-Zeit drangen viele geheime Informationen aus dem Bundesrat zu den Medien. Sie bezeichneten diese Leaks kürzlich als eine Art von Korruption.

Das ist so. Politiker geben die Informationen mit der Erwartung heraus, dass die Journalisten im Gegenzug positiv über sie berichten. Das war während Corona offensichtlich. Man sagt ja: «Die Hand, die einen füttert, beisst man nicht.»

Im Verdacht stand vor allem das Departement von Alain Berset, das einen besonders engen Kontakt zum Medienhaus Ringier gehabt haben soll. Es gab aber auch Stimmen, die Ihrem Departement die Schuld gaben.

Ja? Ich bin gewohnt, für vieles den Sündenbock zu spielen. Das kann ich aber ausschliessen. Wir bauten ein System auf, das Indiskretionen verhinderte. Einmal haben wir einen Test gemacht: Wir formulierten einen besonders scharfen Mitbericht, also einen Antrag zu einem Geschäft eines anderen Bundesrats. Bundesrats-Mitberichte sind eigentlich vertraulich. Doch es dauerte nur 30 Minuten, bis ein «Blick»-Journalist anrief und Fragen dazu stellte. So schnell ging das raus – und zwar nicht bei uns. Der Bericht des Parlamentes hat diese Frage inzwischen wohl geklärt.

Wie sehen Sie Ihre Rolle als Alt-Bundesrat? Werden Sie nun Ihre neue Freiheit nutzen, um vermehrt die aktuelle Politik zu kommentieren?

Es gibt die Freiheit als Bürger, sich aktiv einzubringen. Gegen einen möglichen schlechten Rahmenvertrag werde ich sicher an vorderster Front kämpfen.
(https://www.tagesanzeiger.ch/ueli-maurer-und-die-corona-hysterie-der-alt-bundesrat-im-interview-287928134433)
-> https://www.20min.ch/story/ueli-maurer-ueber-pandemie-corona-fall-credit-suisse-103035773



Sonntagszeitung 04.02.2024

Stiftung in Zug: Bekannter SVPler verbündet sich mit deutschem Rechts­aussenpolitiker Maassen

Alt-Nationalrat Claudio Zanetti ist neu Stiftungsrat der Atlantis-Stiftung in Zug, die vom umstrittenen deutschen Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maassen gegründet wurde. Maassen erklärt seine Beziehung zur Schweiz und seine Pläne für eine neue Partei.

Alexandra Aregger, Bernhard Odehnal

Ein früher Dienstagnachmittag, Flughafen Zürich. Hans Georg-Maassen sitzt in der Lobby des Hotels Radisson Blu auf einem roten Wildledersessel. Vor ihm eine Stange Bier. Die Lobby ist praktisch menschenleer. Etwas Ruhe für jemanden, um den in Deutschland gerade ziemlich viel Lärm gemacht wird.

Der Mann mit der auffällig kleinen, goldenen Brille spricht ruhig und freundlich. Nichts deutet auf den politischen Sturm hin, den er gerade auslöst. Kurz nach dem Gespräch wird bekannt, dass der deutsche Verfassungsschutz Maassen im Bereich Rechtsextremismus abgespeichert hat. Er steht damit unter Beobachtung. Unter anderem hatte Maassen in der «Weltwoche» im November die Migration mit einer Krebserkrankung verglichen und «schmerzhafte Operationen» angekündigt.

Dabei war Maassen selbst sechs Jahre lang Chef des deutschen Verfassungsschutzes gewesen. 2018 wurde er abberufen, nach der Kontroverse um ein Video. Darauf ist zu sehen, wie Rechtsextreme Jagd auf Ausländer in Chemnitz machen. Maassen sprach von «keinen belastbaren Informationen für eine Hetzjagd».

Danach schloss sich Maassen der «Werteunion» an. 2023 wurde er Vorsitzender des konservativen Vereins, aus dem er jetzt eine Partei rechts der Mitte machen will. Seine alte Partei, die CDU, wollte ihn wegen angeblicher antisemitischer Aussagen ausschliessen. Dem kam Maassen mit seinem Austritt zuvor.

Seit einiger Zeit fliegt der Parteichef in spe zudem alle paar Wochen nach Zürich. Denn in der Schweiz, genauer gesagt in Zug, hat Maassen 2021 eine Stiftung namens «Atlantis» gegründet. Offizieller Stiftungszweck: «Die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos fördern».


Herr Maassen, was verbindet Sie mit der Schweiz?

Meine Kindheit. Ich war oft mit meinen Eltern hier.

Wo genau?

Häufig in der Nähe von Bern, irgendwo im Mittelland. Ein Freund von uns war Landwirt, den haben wir ab und zu besucht. Aber auch in Luzern war ich oft. Später war ich dann dienstlich sehr oft in der Schweiz und habe wegen meiner Arbeit im Verfassungsschutz viele Gespräche mit dem Nachrichtendienst des Bundes (NDB) geführt. Der damalige Chef Markus Seiler hat mich oft eingeladen.

Und heute?

Habe ich immer noch eine gute, persönliche Beziehung zu ihm. Und bin nach wie vor sehr gerne in der Schweiz.


Markus Seiler ist heute Generalsekretär des Aussendepartements unter Ignazio Cassis. Er bestätigt dieser Redaktion, dass er noch «gelegentlich, wenn auch unregelmässig» Kontakt mit Maassen habe. Die Atlantis-Stiftung sei ihm nicht bekannt, schreibt Seiler.

Noch ist die Stiftung auch nicht mehr als ein Briefkasten an der Zuger Bahnhofstrasse. Es gibt keine Webseite, keine Auftritte. Doch das soll sich bald ändern, wie Recherchen dieser Redaktion zeigen. Unter anderem mithilfe einer bekannten Figur aus der Schweizerischen Volkspartei SVP: Claudio Zanetti.

Was haben die beiden Männer miteinander zu tun?

Twitter-Haudegen sucht «intellektuelle Sache»

«Förderung der internationalen Gesinnung, der Toleranz und Völkerverständigungsgedankens sowie des demokratischen Staatswesens», so steht es in der Gründungsurkunde der Stiftung. Sie will «Massnahmen gegen Extremismus und Totalitarismus» ergreifen. Aber auch Geld vergeben, in Form von «Preisen an Personen und Gruppen». Darüber entscheiden kann allein der Stiftungsrat – dem seit Dezember Zanetti angehört.

Der ehemalige Nationalrat und Jurist trifft sich regelmässig mit Maassen zu Sitzungen des Stiftungsrats. So auch an jenem Dienstag. Zanetti sitzt vis-a-vis von Maassen in der Radisson-Blu-Lobby.

«Wir kennen uns durch gemeinsame Bekannte», sagte Zanetti am Telefon, als ihn diese Redaktion erstmals auf seine neue Stiftungstätigkeit anspricht. Maassen habe ihn angefragt. «Ich habe zugesagt, weil ich es eine gute Sache finde.»

Seit Zanetti 2019 die Wiederwahl verpasst hat, nimmt man ihn hauptsächlich auf X (vormals Twitter) wahr. Dort wettert er mehrmals täglich über Linke und die EU.

Die Stiftung von Hans-Georg Maassen bezeichnet Zanetti als «eine sehr intellektuelle Sache». Der ehemalige Verfassungsschutzchef scheint dem SVP-Politiker stark zu imponieren. So verteidigte er ihn in der «Weltwoche». Oder schwärmte im Januar dieses Jahres im Interview mit dem rechts-esoterischen Sender Klagemauer tv von Maassen als «absolut honoriger Persönlichkeit». Dieser Redaktion sagt Zanetti, Maassen sei ein «äusserst fähiger Jurist und seine Ansichten sind hervorragend».

Zanetti ist seit Jahren Mitglied der Gesellschaft Schweiz-Israel. Und prangert immer wieder Antisemitismus an. Wie passt das zu Maassen, dem von jüdischen Organisationen eine Verharmlosung des Holocaust und von der CDU eine «Sprache aus dem Milieu der Antisemiten» vorgeworfen wurde? Etwa, als er 2021 die «Wirtschaftsglobalisten» anprangerte, welche die Nationalkulturen zerstörten. «Globalismus» wird in rechtsextremen Kreisen häufig als antisemitische Chiffre benutzt. Maassen hat solche Vorwürfe stets zurückgewiesen. Und auch Zanetti glaubt, dass sein Stiftungskollege «keinesfalls ein Antisemit ist, ganz im Gegenteil».


Maassen will auch Events in der Schweiz

Herr Maassen, warum haben Sie Ihre Stiftung gerade in der Schweiz gegründet?

Wir haben ja auch in Deutschland die Stiftung Meinungsfreiheit. Aber in der Schweiz ist die Rechtslage einfacher für die Gründung einer Stiftung. In Deutschland ist es sehr, sehr kompliziert.

Sprechen noch andere Gründe für die Schweiz?

Ich mache mir sehr grosse Sorgen um die Lage der Menschenrechte und des Rechtsstaats in Deutschland. Dass es mit Deutschland bachab geht, wird ja jetzt sogar in der Schweiz berichtet. Und da ist es gut, wenn man in einem anderen Rechtsraum eine derartige Stiftung hat.

Wollen Sie aus der Schweiz heraus Ihre Werteunion in Deutschland finanzieren?

Nein, die Stiftung hat mit der Partei nichts zu tun. Das würde gegen das deutsche Transparenzrecht verstossen. Wir wollen nicht, dass in Deutschland Parteien aus dem Ausland heraus finanziert werden.


Maassen sagt, dass die Stiftung hauptsächlich aus Zuwendungen von Unternehmern finanziert werde, die «durchaus vermögend sind». Auch aus der Schweiz. Er nennt sie «Selfmademen», die jetzt «etwas für das Allgemeinwohl tun wollen». Summen und Namen will er keine nennen. Nur so viel: «Wir sind noch nicht so wohlhabend, wie wir gerne wären.»

Hier kommt Zanetti ins Spiel. Er ist in der Schweiz vernetzt und hat Erfahrungen mit Stiftungen. Und könne Maassen «den einen oder anderen politischen Ratschlag gebe». Schliesslich sei er unter Blocher SVP-Parteisekretär gewesen und wisse, wie es ist, «wenn alle etwas von einem wollen».

Auf die Frage nach konkreten Aktivitäten der Stiftung bleibt Maassen vage. Er spricht von der Unterstützung von «bestimmten Personen, wenn die in Not sind», oder von Veranstaltungen, die in Deutschland, aber auch in der Schweiz und Österreich geplant seien. Zudem wolle man kleine Anzeigenblätter fördern, «denn es ist aus meiner Sicht wichtig, dass diese Blätter auch mit politischen Inhalten gefüllt werden».

Geheimtreffen in Potsdam hallt nach

Ein konkretes Projekt der Stiftung: «Wir wollen einen Bericht machen über die Situation der Menschenrechte und über politische Verfolgung in westlichen Staaten, insbesondere in Deutschland», sagt Maassen: «Weil es nicht sein kann, dass Leute ihren Job verlieren, weil sie mit jemandem zusammenkommen, der angeblich rechtsextrem ist.»

Maassen bezieht sich dabei auf das rechte Geheimtreffen im vergangenen November in Potsdam, das von der Recherchegruppe «Correctiv» aufgedeckt wurde. Dort hat laut Correctiv der österreichische Führer der rechtsextremen «Identitären», Martin Sellner, über einen Plan zur Ausschaffung deutscher Staatsbürger mit Migrationshintergrund referiert. Anwesend waren auch Mitglieder der extrem rechten deutschen AfD und von Maassens Werteunion. Nach der Aufdeckung verloren mehrere Personen ihren Job.


Herr Massen, wie stehen Sie zum Begriff der Remigration, der von Martin Sellner ins Spiel gebracht wurde?

Sellner wird als Rechtsextremist beobachtet von Verfassungsschutzbehörden. Aber der Mann ist kein Kinderschänder, kein Schwerstverbrecher. Allein die Tatsache, dass man sich mit einem Herrn Sellner getroffen hat, darf nicht dazu führen, dass man gesellschaftlich erledigt ist. Der Begriff Remigration wird in Sellners Szene verwendet. Bei uns nennt man das Rückführung.

Aber es geht ja um die Ausschaffung von Staatsbürgern?

Inwieweit man Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit die deutsche Staatsangehörigkeit entziehen kann, wenn sie schwere Straftaten begehen, ist eine juristische Frage. Kann man das machen? Darf man das machen? Es ist eine zulässige Frage.

Bei den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg im September will Massen mit seiner Werteunion bereits antreten. Die Vermutung, er wolle mit seiner Bewegung der AfD zu einer Regierungskoalition verhelfen, dementiert er im Gespräch in Zürich: «Ich habe die Partei nicht gegründet, um der AfD einen Gefallen zu tun. Ich bin nicht AfD-nah und sehe mich auch nicht in der politischen Welt der AfD verhaftet.»

Als neuer Parteichef werde er den Vorsitz im Zuger Stiftungsrat wohl abgeben und «ins Glied zurücktreten», sagt Maassen: «Es macht Sinn, dass man das trennt». Auf die Frage, ob dann Claudio Zanetti die Leitung der Stiftung übernehme, folgt Schweigen. Jetzt wolle man erst einmal eine erste öffentliche Veranstaltung der Stiftung organisieren, vermutlich im Sommer.

Massen muss am Flughafen Zürich zu seinem Gate. Er hat am Abend noch einen Termin in Berlin. Zuvor aber noch eine letzte Frage:

Wieso eigentlich der Name «Atlantis»? Klingt das nicht nach Untergang?

Nein, das nicht.

Da muss selbst Claudio Zanetti schmunzeln: Dieser Gedanke, flüstert er, «ist mir auch gekommen».

Wie kam es zu diesem Namen?

Der Vorschlag kam von einem Unternehmer. Ich finde den Namen nicht schlecht. Neutral.

Das mythische Inselreich ist untergegangen.

Aber es ist auch ein Ort der Sehnsucht. Wo so viele Schatzsucher eigentlich hinwollen.
(https://www.derbund.ch/atlantis-stiftung-in-zug-hans-georg-maassen-und-claudio-zanetti-im-interview-439341973332)