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Was ist neu?
Türkei: Mehrere Leichen von Geflüchteten an die Küste gespült
Mitte Dezember ging ein Boot mit 90 Menschen an Bord auf dem Weg nach Zypern unter. In der türkischen Region Antalya sind nun acht Leichen an Land getrieben worden, fünf von ihnen sollen zu den Vermissten zählen.
Die Behörden gehen aufgrund der Analyse von Strömung, Wind und Wellen stark davon aus, dass die gefundenen Personen zu den Vermissten zählen. Die Kleidung und Schuhe der fünf Personen weisen auf eine syrische Herkunft hin. Eine weitere Verstorbene konnte als Türkin identifiziert werden, die Anfang Januar in Antalya als vermisst gemeldet wurde. Am Montag wurden zwei weitere Leichen geborgen, darunter ein Kind.
Was geht ab beim Staat?
Drei Motionen zu Ausschaffungen in der Schweiz
Vergangene Woche hat der Deutsche Bundestag dem sog. «Rückführungsverbesserungsgesetz» zugestimmt hat. Auch in der Schweiz werden einmal mehr Massnahmen für eine verstärkte Ausschaffungspraxis gefordert. Ein Überblick:
Die Motion von Werner Salzmann (SVP) «Rückführungsoffensive und konsequente Ausweisung von Straftätern und Gefährdern» will den Bundesrat damit beauftragt, ein Konzept auszuarbeiten, wie die Zahl der Rückführungen und Ausweisungen in den kommenden Jahren deutlich erhöht werden kann. Massnahmen, die dafür vorgeschlagen werden, sind weitere Rücknahmeabkommen abzuschliessen, die Förderung der freiwilligen Rückkehr sowie Sanktionen gegen nicht kooperative Herkunftsländer (Kürzung der Entwicklungshilfe, Sanktionen bei Visa etc.). In der Wintersession 2023 nahm der Nationalrat die Motion in einer geänderten Fassung, ohne Forderung nach Sanktionen, an.
Die Motion von Philippe Bauer (FDP) «Migrationspartnerschaften. Eine strategische Neuausrichtung ist notwendig» fordert, wie bereits im Namen enthalten, neue Migrationspartnerschaften anzugehen und darin Rückübernahmeabkommen abzuschliessen. Die Staatspolitische Kommission des Ständerates empfiehlt die Motion zur Annahme.
Und nicht zuletzt hat der Nationalrat in der Herbstsession 2023 der von der FDP-Fraktion eingereichten Motion «Irreguläre Sekundärmigration stoppen und Ursachen bekämpfen» zugestimmt. Die Motion verlangt verschiedene Massnahmen zur Bekämpfung von Migration, unter anderem den Begriff «in der Regel» im Artikel 31a AsylG zu streichen. Somit wäre die Möglichkeit, in Ausnahmefällen auf ein Asylgesuch von Menschen, die aus einem sog. «sicheren Drittstaat» einwandern, einzutreten (Selbsteintritt) nicht mehr gegeben.
Der Bundesrat weisst in seiner Antwort auf die erste Motion darauf hin: Die Schweizer Vollzugsquote (2022: 57%) liegt deutlich über europäischen Vergleichswerten, weshalb die Schweiz zu den Staaten Europas zählt, die am häufigsten ausschaffen. Auch im Vergleich zu den laufenden Diskussionen in Deutschland rund um das «Rückführungsverbesserungsgesetz» hat sich dies einmal mehr gezeigt: viele repressive Massnahmen, die in diesem Gesetzt enthalten sind, sind in der Schweiz bereits Realität.
Auch in der Antwort des Bundesrates ist zu lesen: «Der Bereich der Rückkehr ist ein Schlüsselelement einer glaubwürdigen Asylpolitik.» Hier zeigt sich einmal mehr, wie die sog. Menschenfreundlichkeit eines Staates Schutzbedürftigen gegenüber Hand in Hand mit Brutalität, Zwang und Gewalt geht. Denn diese Freundlichkeit findet sich niemals allen gegenüber, sondern nur jenen, die sie «verdient» haben – den «echten Geflüchteten». Alle andern werden unter Zwang ausgeschafft, mit Gewalt zurückgetrieben, brutal behandelt. Für uns muss klar sein: Bleiberecht soll niemals nur für einige, sondern konsequent für alle gelten.
https://www.parlament.ch/press-releases/Pages/mm-spk-s2024-01-23.aspx
Migrationsabkommen: Auslagerung von Asylverfahren entwickelt sich weiter
Die italienische Regierung plant Asyllager in Albanien, letzte Woche stimmte die italienische Abgeordnetenkammer für den Gesetzentwurf. Zustimmung vom italienischen Senat steht allerdings noch aus, genauso fechtet das albanische Verfassungsgericht den Plan an. Das britische House of Lords hat währenddessen den sog. Ruanda-Deal zumindest pausiert.
Bereits seit Monaten schreiten verschiedene Externalisierungspläne von europäischen (Aussen-)Grenzen voran. Mehrere europäische Regierungen versuchen, Asylverfahren auszulagern, indem sie Asyllager in anderen Ländern bauen wollen. Die britische Regierung versucht, einen Deal mit Ruanda abzuschliessen; die dänische Regierung hat sich ebenfalls Richtung Ruanda und auch Richtung Albanien umgeschaut; in Deutschland versucht Innenministerin Nancy Faeser (SPD) ein ähnliches Vorhaben zu prüfen; auch in der Schweiz sprang die SVP auf den rassistischen Zug auf und forderte, Asylverfahren nach Ruanda auszulagern.
Zuletzt versuchte die ultrarechte Premierministerin Italiens Giorgia Meloni (Fratelli d’Italia) Migrationsdeals mit Rama in Albanien und mit Erdogan in der Türkei durchzusetzen. Im November unterzeichnete sie eine Absichtserklärung mit dem albanischen Premierminister Edi Rama, in welcher sie den Einsatz zweier Asyllager in Shengjin und Grader planen.
Menschen, welche auf dem Mittelmeer von italienischen Behörden abgefangen werden, sollen bereits auf dem Meer selektiert werden. Sog. nicht-vulnerable Menschen (also alleinreisende Männer) sollen hierauf auf dem Seeweg nach Albanien gebracht werden. Dies beinhaltet nicht nur eine gefährliche Zweiteilung, bei der die Vulnerabilität von geflüchteten Menschen gegeneinander ausgespielt wird, sondern gleichzeitig setzt es Menschen unnötig längeren Seereisen aus.
In den Lagern sollen 3.000 Menschen gleichzeitig untergebracht werden. Sie sollen unter italienischem Recht stehen, mit italienischem Personal betrieben und verwaltet und von albanischem Personal überwacht werden. Bereits dieses Jahr sollen sie in Betrieb genommen werden. Nun hat die italienische Abgeordnetenkammer letzte Woche dem Gesetzesentwurf zugestimmt. Er muss jedoch noch durch den italienischen Senat kommen. Und auch in Albanien liegt der Entwurf noch auf Eis, da das albanische Verfassungsgericht den Entwurf noch prüft. Diese Woche findet die Verhandlung statt.
Melonis Besuch in Istanbul bei Erdogan bezog sich vor allem auf die «Stärkung der Migrationskooperation». Ähnlich wie beim Türkei-EU-Deal wird dem autoritären Regime unter Erdogan Geld in den Rachen gepumpt, damit sie geflüchtete Menschen an der Weiterreise hindern.
In London hat die zweite Parlamentskammer, das House of Lords, unterdessen vorübergehend dagegen gestimmt, den Vertrag mit der ruandischen Regierung zu unterzeichnen. Zumindest ist das Vorhaben dadurch solange sistiert, bis «alle Sicherheitsvorhaben erfüllt» seien. Es könnte sogar bedeuten, dass das Abkommen so lange verzögert wird, bis im Januar 2025 eine neue Regierung an die Macht kommt – und momentan liegt bei den Umfragen die Labour-Partei vorne, die mitteilte, das Ruanda-Abkommen nicht weiterziehen zu wollen.
https://www.nau.ch/news/europa/italiens-abgeordnetenkammer-billigt-migrationsabkommen-mit-albanien-66694430
https://www.jungewelt.de/artikel/468224.un-%C3%BCber-italiens-fl%C3%BCchtlingsabkommen-mit-albanien-besorgt.html
https://de.euronews.com/2024/01/21/begrenzung-der-migration-aus-libyen-turkei-will-italien-helfen
https://www.zeit.de/politik/ausland/2024-01/grossbritannien-rishi-sunak-unterhaus-gegen-ruanda-plan
https://www.migazin.de/2024/01/25/italiens-parlament-billigt-fluechtlingspakt-mit-albanien/
Was tut Frontex?
Frontex droht mit Abzug aus Spanien
Die EU-Grenzagentur erwägt, ihre Aktivitäten in Spanien zu beenden und sowohl Personal als auch Schiffe und Flugzeuge abzuziehen. Zwischen Frontex und Spanien gab es Unstimmigkeiten bezüglich den Operationsplänen für die Missionen, die Frontex an der Strasse von Gibraltar im Mittelmeer und Atlantik sowie auf den Kanarischen Inseln durchführt.
Frontex möchte in seinen Einsätzen in Spanien mehr Befehlsgewalt haben. Spanien hingegen weigert sich, zuzustimmen, dass die Grenzagentur auf persönliche Daten aus Befragungen von Migrant*innen zugreifen darf. Am 18. Januar wurden von Frontex in dieser Angelegenheit neue Richtlinien eingeführt.
Frontex übernimmt im Rahmen der Einsätze in genannten Gebieten verschiedene Aufgaben. Die Mission «Indalo» findet im Alboran-Meer statt, auf den Kanaren übernimmt Frontex ein Teil der Befragungen, Identifizierungen und Überprüfung der Dokumente. 350 Grenzbeamt*innen von Frontex sind in Spanien im Einsatz. Zudem ist eine gemeinsame Operation «Minerva» geplant, welche die spanischen Behörden in verschiedenen Häfen bei Personenkontrollen von und nach Marokko unterstützen soll.
Frontex scheint seine Ankündigung ernst zu meinen. Die Ankunft eines Flugzeugs und eines Schiffes, welches für die Mission «Indalo» angedacht war, wurden verschoben. Auch erwartete Grenzpolizist*innen und Dolmetscher*innen sind noch nicht entsendet worden. Durch den Abzug von Frontex würde Spanien um die 63 Millionen Euro Finanzierung für die Bekämpfung von Migration verlieren.
Bereits früher kam es zwischen Spanien und Frontex zu Konflikten. So hat bereits im Jahr 2019 ein Streit zwischen den zwei Parteien zum Abbruch der Seemission «Hera» vor Senegal und Mauretanien geführt. Die bisherigen Versuche von Frontex, eine eigene Mission in Senegal auf die Beine zu stellen, sind bisher nicht gelungen.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1179516.migrationsabwehr-frontex-droht-mit-abzug-aus-spanien.html
Lesens -/Hörens -/Sehenswert
Kompliza vom 29.01.2024 zum Thema Asylverfahren und Asylrecht
In der neuen Kompliza-Sendung, dem feministischen Knastradios aus Zürich, hört ihr ein Interview mit der Regisseurin des Filmes „Die Anhörung“ und ein Gespräch über die Zwangsmassnahmen im schweizer Asylgesetz anhand der Geschichte des provisorischen Polizeigefängnisses (Propog).
https://open.spotify.com/episode/19RSnQ6BqJhgITHlCEGONg?si=1061be02819f478b
https://soundcloud.com/radio_lora/kompliza?si=912be4642aa847f985669ae5ec7348b2&utm_source=clipboard&utm_medium=text&utm_campaign=social_sharing