Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/
+++AARGAU
Für Lebensmittelkäufe: 50 Rappen mehr pro Tag für Asylsuchende im Aargau
Der Kanton Aargau erhöht den Betrag, der Asylsuchenden für Lebensmittel pro Tag zur Verfügung steht. Das entspricht Mehrkosten in Höhe von rund 1,1 Millionen Franken pro Jahr.
https://www.blick.ch/schweiz/mittelland/aargau/fuer-lebensmittelkaeufe-50-rappen-mehr-pro-tag-fuer-asylsuchende-im-aargau-id19370393.html
-> https://www.ag.ch/de/aktuell/medien/medienmitteilungen?mm=erhoehung-der-verpflegungsgelder-in-der-asylsozialhilfe-166d7d18-5dec-44f7-b9a5-82c161fc8c77_de
++++THURGAU
Stadtrat Steckborn versendet Einladung zur ausserordentlichen Versammlung wegen Notasylunterkunft – mit Empfehlung für Ablehnung
Die IG Anwohner Notasylunterkunft Steckborn fordert vom Stadtrat, dass die Unterkunft für Flüchtende geschlossen wird. Die für eine ausserordentliche Versammlung notwendigen Unterschriften hat die IG zusammenbekommen. Nun hat der Stadtrat die Botschaft für die Abstimmung mit einer klaren Haltung verschickt.
https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/frauenfeld/asylwesen-stadtrat-steckborn-versendet-einladung-zur-ausserordentlichen-versammlung-wegen-notasylunterkunft-empfehlen-ablehnung-ld.2571500
+++SCHWEIZ¨
Protokoll einer Familien-Zwangsausschaffung: Ashvika (7) wollte zur Schule – dann kam die Polizei
Im November wurde die Familie Nesakumar nach acht Jahren in der Schweiz nach Sri Lanka ausgeschafft. Die Kinder sind in der Schweiz geboren. Die Mutter ist schwanger, der Vater psychisch krank. Blick hat diese Familie begleitet.
https://www.blick.ch/video/aktuell/protokoll-einer-familien-zwangsausschaffung-ashvika-7-wollte-zur-schule-dann-kam-die-polizei-id19357365.html
Ausgeschafft nach Sri Lanka oder Eritrea: So unterschiedlich ist die Abschiebe-Praxis der Schweiz
Trotz abgelehntem Asylgesuch bleiben Eritreer häufig trotzdem in der Schweiz. Tamilen dagegen werden ausgeschafft. Blick erklärt, warum die Schweiz so unterschiedlich handelt.
https://www.blick.ch/politik/ausgeschafft-nach-sri-lanka-oder-eritrea-so-unterschiedlich-ist-die-abschiebe-praxis-der-schweiz-id19368877.html
Abschiebungen auch für Polizei belastend: «Schwierig, insbesondere wenn kleine Kinder betroffen sind»
Zwangsabschiebungen sind auch für die Polizei emotional – besonders, wenn dabei Kinder involviert sind. Davon erzählt Roger Staub (52), Chef Spezialfahndung der Kantonspolizei Bern.
https://www.blick.ch/politik/abschiebungen-auch-fuer-polizei-belastend-schwierig-insbesondere-wenn-kleine-kinder-betroffen-sind-id19368513.html
+++DEUTSCHLAND
Bezahlkarte für Asylbewerber: «Familien reisen freiwillig aus»
Ein erster Landkreis hat in Deutschland eine Bezahlkarte für Asylsuchende eingeführt. Sie ersetzt Bargeld. Jetzt kehren offenbar erste Asylbewerber der Region den Rücken.
https://www.20min.ch/story/deutschland-bezahlkarte-fuer-asylbewerber-familien-reisen-freiwillig-aus-103028737
-> https://www.spiegel.de/politik/deutschland/asylpolitik-bayern-macht-tempo-bei-einfuehrung-der-bezahlkarte-a-7cdda312-16be-4d04-8869-82d6b95c85fe
-> https://www.blick.ch/ausland/neue-bezahlkarte-in-deutschland-fluechtlinge-reisen-aus-weil-sie-kein-bargeld-mehr-bekommen-id19373060.html
+++FREIRÄUME
«Mich überraschte, wie wenig sich verändert hat»
Das «megafon» ist die Zeitung aus der Reitschule und so alt wie die Reitschule selbst. Die Zeitung entstand zur Zeit der zweiten Besetzung der Reithalle und der Proteste gegen die Räumung des Zaffaraya.
Seither hat sich vieles verändert, in der Reitschule wie auch beim megafon: Kollektive wechselten sich ab, Grundsatzdebatten wurden geführt und das Erscheinungsbild hat sich geändert. Doch noch immer liefert das megafon zuverlässig jeden Monat Journalismus aus der Reitschule. Das sogar sehr erfolgreich: Im Jahr 2021 wurde das Kollektiv vom Branchenmagazin «Schweizer Journalist:in» zur Chefredaktion des Jahres gekürt.
https://rabe.ch/2024/01/26/103497/
+++GASSE
Die Geschichte von Luca: Wenn ein Randständiger plötzlich nicht mehr da ist
Viele Pendlerinnen und Pendler in Bern begegneten ihm täglich auf ihrem Weg zur Arbeit. Nun ist Luca im Alter von 38 Jahren gestorben.
https://www.derbund.ch/die-geschichte-von-luca-wenn-ein-randstaendiger-ploetzlich-nicht-mehr-da-ist-939148605116
Bajour-Drogenstammtisch 2.1: «Wir wollen eine Lösung, keine Verlagerung der Szene»
Es tut sich was im Kleinbasel: Stephanie Eymann präsentiert am zweiten Drogenstammtisch die von der Regierung beschlossenen Massnahmen. Neben Repression waren auch Prävention sowie die regulierte Abgabe von Drogen ein Thema.
https://bajour.ch/a/clrtvmbcj12104202sgwhprk1xu1/drogenstammtisch-21-von-bajour-zur-szene-im-kleinbasel
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/sicherheitsdirektorin-stephanie-eymann-schickt-hilferuf-nach-bern?id=12528122
-> https://www.baseljetzt.ch/eymann-will-sicherheitspersonal-fuer-schulen-bei-der-dreirosenanlage/178253
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/sicherheitspersonal-vor-den-schulhaeusern-im-kleinbasel?id=12528443
-> https://telebasel.ch/sendungen/punkt6/214187
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/dealer-in-kleinbasel-wegen-drogenproblem-basel-will-sicherheitspersonal-vor-schulen
Drogenkonsumraum wird massiv teurer: Was die Parteien sagen
Die dreijährige Pilotphase für den geplanten Konsumraum für Drogensüchtige in Chur wird fast viermal so teuer, wie von der Stadtregierung geplant. Die Parteien sind sich einig, dass diese Einrichtung nötig sei, haben aber Vorbehalte gegen die hohen Kosten.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-graubuenden/drogenkonsumraum-wird-massiv-teurer-was-die-parteien-sagen?id=12528431
+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Demo in Bern: 200 bis 300 Personen demonstrieren gegen Rassismus
In Bern gab es am Freitagabend eine Kundgebung für Toleranz und Demokratie. Die Demo verlief friedlich.
https://www.derbund.ch/demo-in-bern-200-bis-300-personen-demonstrieren-gegen-rassismus-529847225282
-> https://www.baerntoday.ch/bern/stadt-bern/200-bis-300-personen-demonstrieren-in-bern-gegen-rassismus-156052474
-> https://www.blick.ch/politik/gegen-hass-und-hetze-200-bis-300-personen-demonstrieren-in-bern-gegen-rassismus-id19373035.html
Einsatz am 21. Oktober: Demo-Samstag kostete 435’000 Franken
Am 21. Oktober hatte die Polizei in Basel wegen unbewilligten Protesten von «Nazifrei» und «Massvoll» einen Grosseinsatz. Nun legt der Regierungsrat die Kosten offen.
https://www.bazonline.ch/demos-von-nazifrei-und-massvoll-polizei-einsatz-kostete-435000-franken-989619285584
-> https://www.blick.ch/politik/basel-nazifrei-polizeieinsatz-kostet-435000-franken-id19371319.html
-> https://www.watson.ch/schweiz/basel/292692818-polizeieinsatz-an-demo-von-basel-nazifrei-kostet-435-000-franken
-> https://www.bzbasel.ch/basel/basel-stadt/regierungsrat-bs-435000-franken-fuer-polizei-einsatz-am-basler-demo-samstag-im-oktober-ld.2571719
Palästina-Demo an Holocaust-Gedenktag – Israel-nahe Organisationen fordern Absage
Am 27. Januar hätte in Zürich ein grosser Demonstrations-Umzug für Palästina stattfinden sollen – am selben Tag wie der Holocaust-Gedenktag. Die Stadt Zürich sagte erst zu, suchte nach Kritik aber nach einem Kompromiss.
https://www.watson.ch/schweiz/international/634802151-palaestina-demo-an-holocaust-gedenktag-sorgt-in-zuerich-fuer-unmut
+++BRIAN
Gegen Brian wurde ein Strafverfahren eröffnet
Brian K. sieht sich mit einem Strafverfahren konfrontiert. Ihm wird öffentliche Aufforderung zu Verbrechen oder Gewalt vorgeworfen.
https://www.20min.ch/story/offizialdelikt-gegen-brian-wurde-ein-strafverfahren-eroeffnet-103028899
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/die-bilanz-zum-neuen-system-der-sbb-tageskarten-ist-durchzogen?id=12528497 (ab 04:56)
-> https://www.watson.ch/schweiz/justiz/702764362-strafverfahren-gegen-brian-eroeffnet
-> https://www.blick.ch/schweiz/zuerich/weil-er-oeffentlich-zu-verbrechen-aufgefordert-haben-soll-staatsanwaltschaft-eroeffnet-verfahren-gegen-brian-keller-id19372491.html
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/wegen-drohungen-zuercher-staatsanwaltschaft-eroeffnet-strafverfahren-gegen-brian
-> https://www.zueritoday.ch/zuerich/brian-hat-ein-strafverfahren-am-hals-156051503?autoplay=true&mainAssetId=Asset%3A155974472
-> https://www.tagesanzeiger.ch/aufruf-zu-verbrechen-neues-verfahren-gegen-brian-eroeffnet-455588424034
+++FRAUEN/QUEER
Die Stadt Luzern toleriert keine Belästigungen und Übergriffe
«Luzern schaut hin» heisst ein neues Online-Meldetool der Stadt Luzern. Damit können sexistische und queer-feindliche Belästigungen unkompliziert und anonym gemeldet werden. Ziel des neuen Instruments ist es, dass Anfeindungen sichtbarer werden und dass die Prävention verbessert werden kann.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zentralschweiz/die-stadt-luzern-toleriert-keine-belaestigungen-und-uebergriffe?id=12528314
-> https://www.tele1.ch/nachrichten/stadt-luzern-lanciert-meldetool-gegen-belaestigung-156052778
+++RASSISMUS
#5 Racial Profiling und die Frage nach der Menschenwürde
Warum Menschen mit einer nichtweissen Hautfarbe nicht «unantastbar» sind
Rassismus ist nicht etwas, das beiläufig passiert, Rassismus ist auch kein individuelles Problem, sondern ein gesellschaftliches, sagt Tarek Naguib, der Koordinator der Menschenrechtsplattform Schweiz und Mitbegründer der Allianz gegen Racial Profiling. Dennoch ist die Erfahrung der Diskriminierung, der Gewalt, der Bedrohung immer eine persönliche, und eine schmerzhafte. So, wie im Fall von Wilson A., der um ein Haar sein Leben bei einer Polizeikontrolle verlor und bis heute um seine Rechte kämpft.
https://podcast8f59ba.podigee.io/6-new-episode
Fall Wilson A.: Eure Unterstützung ist gefragt
Am 19. Oktober 2009 wurde Wilson A. aufgrund von Racial Profiling von der Polizei im Tram kontrolliert und dabei in einem Gewaltexzess der Polizist*innen beinahe getötet. Seit über 14 Jahren kämpft Wilson für Gerechtigkeit und dafür, dass die beteiligten Beamt*innen gerichtlich belangt werden. Sein Fall zeigt exemplarisch den institutionellen Rassismus der Schweizer Polizei und Justiz und wie schwierig es ist, dagegen anzukämpfen.
Für die Gerichtsverhandlung vom 15. Februar 2024 vor Obergericht brauchen wir deine Unterstützung, zum Beispiel als Gerichtsbeobachter*in oder Gerichtszeichner*in. Im Vorfeld gibt es Veranstaltungen und am 10.2. eine Kundgebung am Bahnhof Wiedikon, dem Ort des Übergriffs.
https://barrikade.info/article/6291
+++HISTORY
«Geschichtsvergessen»: Nachfahren von Auschwitz-Überlebenden treffen sich in Zürich
Am Samstag vor 79 Jahren wurde das Konzentrationslager in Auschwitz befreit. Ein Gedenkanlass in Zürich Enge soll daran erinnern.
https://www.20min.ch/story/geschichtsvergessen-nachfahren-von-auschwitz-ueberlebenden-treffen-sich-in-zuerich-103028505
-> https://www.toponline.ch/news/schweiz/detail/news/antisemitismus-muss-laut-amherd-entschlossen-bekaempft-werden-00230573/
Die Schweizer Lösung am Beispiel des Verdingkindwesens
Die Schweiz ist das Vorbild, nach dem die Länder des Europarats künftig Kindsmissbrauch in Institutionen aufarbeiten und entschädigen möchten. Hierzulande wird das Verdingkindwesen wissenschaftlich aufgearbeitet und Wiedergutmachung betrieben. Die Hintergründe.
https://www.srf.ch/audio/echo-der-zeit/die-schweizer-loesung-am-beispiel-des-verdingkindwesens?partId=12528527
-> https://www.srf.ch/audio/echo-der-zeit/europarat-uebernimmt-schweizer-modell-in-sachen-kinderschutz?partId=12528524
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/solidaritaetsbeitraege-entschaedigung-von-verdingkindern-schweiz-als-vorbild
Einwanderinnen aus Italien im Fokus (ab 07:14)
https://web.telebielingue.ch/de/sendungen/info/2024-01-26
+++BIG BROTHER-2
derbund.ch 25.01.2024
Spionage im Internet: Werden wir wirklich alle bespitzelt? Streit um «Massen¬überwachung» in der Schweiz
Die Bevölkerung steht unter Generalverdacht, sagt Aktivist Erik Schönenberger. Unsinn, entgegnet Geheimdienstchef Christian Dussey. Was stimmt? Recherche aus der digitalen Schattenwelt.
Mario Stäuble
Erik Schönenberger sagte zuerst Nein, dann nochmals Nein, und irgendwann doch Ja. Alle hätten ihn erwartungsvoll angeschaut, erzählt er heute. Für seine Aktivistenkollegen war klar: Wenn einer diesen Kampf anführt, dann er.
Die Rede ist von einem ganz grundsätzlichen Konflikt der digitalen Welt: Wie viel Überwachung ist zulässig? Zum Beispiel: Soll der Schweizer Nachrichtendienst (NDB) unsere privaten E-Mails mitlesen dürfen? Intime Fotos sehen, die wir herumschicken?
Oder anders: Wer darf Löcher in unsere digitale Privatsphäre bohren – und warum?
Nur bei einem begründeten Verdacht, findet Schönenberger. Am 1. Februar 2017 begann er als Geschäftsführer der Digitalen Gesellschaft. Den Verein hat er zusammen mit Mitstreitern gegründet, die sich für digitale Grundrechte einsetzen. Seither widmet er sein Leben der Politik des Internets und dem Kampf gegen «Massenüberwachung» – als Aktivist, Lobbyist, digitaler Nachhilfelehrer.
Schönenberger hatte schon als Kind mit Computern experimentiert, in jungen Jahren gab er in einem alternativen Kulturzentrum in Bremgarten IT-Kurse. Das Recht auf Privatsphäre begleitet ihn seit seiner Jugend.
Der Beweis der Unschuld
Das Wort «Massenüberwachung» steht in diesem Text in Anführungszeichen, weil hier schon der Streit beginnt. Erik Schönenberger versteht darunter etwas völlig anderes als Christian Dussey. Der Direktor des Nachrichtendiensts NDB ist ein zentraler Gegenspieler.
Kein Beispiel verdeutlicht das besser als die sogenannte Kabelaufklärung. Der Schweizer Nachrichtendienst darf seit 2017 Datenverkehr aus Glasfaserkabeln ableiten und die Signale auswerten. Damals trat ein neues Nachrichtendienstgesetz in Kraft. Zwei Drittel des Stimmvolks haben zugestimmt.
Für Erik Schönenberger ist die Kabelaufklärung ein «Programm zur Massenüberwachung der Bevölkerung». Der Geheimdienst häufe in seinen Datenspeichern Informationen über unbescholtene Bürgerinnen und Bürger an – ohne dass diese je konkret davon erfahren würden und ohne dass ein Verdacht gegen sie bestehe.
Schönenbergers Einwände sind ganz grundsätzlicher Natur: «Mich beunruhigt – und das ist wissenschaftlich gut belegt –, dass du dein Verhalten veränderst, wenn du dich beobachtet fühlst. Selbst wenn du nicht genau weisst wie.»
Der zweite Punkt: Solche Systeme seien nie fehlerfrei, es gebe immer wieder irrtümliche Treffer, sogenannte «false positives». Schönenberger: «Dann kann es passieren, dass du plötzlich deine Unschuld beweisen musst.» Für ihn gibt es darum bezüglich Kabelaufklärung nur eine Option: abschalten.
«Glauben Sie wirklich, dass wir in einem totalitären Staat leben?»
Christian Dussey will das Gegenteil: die Kabelaufklärung aufbauen und ausbauen. Der Bundesrat ernannte den Walliser 2022 zum neuen Chef des Schweizer Nachrichtendiensts.
Dussey ist ein Karrierediplomat mit Erfahrung in Teheran und Moskau. Er kennt also autoritäre Systeme. Vielleicht reagiert er deshalb so scharf, wenn man ihn auf Schönenbergers Kritik anspricht: «Glauben Sie wirklich, dass wir in einem totalitären Staat leben, in dem der Nachrichtendienst die Kommunikation aller Bürger ausspioniert?», schreibt er in seiner ersten öffentlichen Stellungnahme zu der Kritik der Digitalen Gesellschaft.
Dussey wählt emotionale Worte, wenn er «seinen» Dienst verteidigt: «Glauben Sie ernsthaft, dass der NDB, der einer der kleinsten Nachrichtendienste in Europa ist, aber auch zu den rechtlich am meisten überwachten gehört, auf diese Weise gegen das Gesetz verstösst? Und dadurch seinen Grundauftrag vernachlässigt, der eben darin besteht, die Bürger zu schützen? Glauben Sie, dass meine 400 Mitarbeiter ihre Rechte überschreiten, um 9 Millionen Schweizer auszuspionieren – und dass sie dazu auch noch die Mittel hätten?»
Und weiter:
«Diese Anschuldigungen, die sich auf keinerlei Beweise stützen, sind sehr schlimm, da sie das Vertrauen der Bürger in ihre Institutionen auf unbegründete Weise untergraben und ein Klima der Unruhe und des Misstrauens schaffen. Ich sage es noch einmal klar und deutlich: Der NDB betrachtet nicht jeden Schweizer Bürger als potenziellen Terroristen, Spion oder gewaltbereiten Extremisten.»
Die Kabelaufklärung sei ein gesetzeskonformes Mittel zur Beschaffung von Informationen über Vorgänge im Ausland. Das werde regelmässig extern kontrolliert, hängt Dussey noch an. Alles sauber also. (Lesen Sie hier das ausführliche Interview mit dem NDB-Chef.)
Wer hat jetzt recht? Dussey oder Schönenberger?
Erzwungene Öffentlichkeit
Man weiss heute einiges darüber, wie die Kabelaufklärung funktioniert, obwohl das Programm in weiten Teilen geheim ist. Die Digitale Gesellschaft hat zusammen mit einer Gruppe von Journalisten und Anwälten 2017 beim Bundesverwaltungsgericht in St. Gallen Beschwerde gegen den NDB erhoben, mit dem Ziel, die Kabelaufklärung für illegal zu erklären.
In dem Verfahren hat der Nachrichtendienst eine Reihe von Dokumenten eingereicht, mit deren Hilfe sich ein Bild zusammensetzen lässt. Ein Teil davon ist geheim, ein Teil öffentlich. Das Onlinemagazin «Republik» hat in einem Report zur Kabelaufklärung zuerst über diese Dokumente berichtet.
Internet-Datenverkehr läuft weltweit fast ausschliesslich über Glasfaserkabel. Mit der Kabelaufklärung darf der Geheimdienst diese Kabel in der Schweiz anzapfen. Das geschieht bei den «Internet Service Provider», also zum Beispiel der Swisscom oder Sunrise – aber auch bei kleineren Anbietern. Etwa bei Init7, einem Telekommunikationsunternehmen aus Winterthur.
Dessen Gründer Fredy Künzler ist einer der wenigen in der Szene, die offen über die Überwachung reden. Das ist kein Zufall: Der 55-Jährige Kapuzenpulliträger ist SP-Stadtparlamentarier und Sponsor der Digitalen Gesellschaft – ein linker IT-Rebell, der auch mal die Grossen der Branche verklagt.
Künzler erhielt im letzten Jahr einen Fragebogen des Diensts für Cyber- und elektromagnetische Aktionen (CEA) zugeschickt, jener Abteilung der Armee, die im Auftrag des NDB für die Kabelaufklärung zuständig ist. In dem als «vertraulich» markierten Dokument stellt das CEA Künzlers Firma jede Menge Fragen: Wo führen die Glasfasern des Unternehmens durch? Wie viel Verkehr wird grenzüberschreitend übertragen?
Aus dem Dokument und Recherchen darum herum ergibt sich: Das CEA will in den Rechenzentren von Init7 eigene Maschinen aufstellen, um dann die Init7-Leitungen anzuzapfen und den Datenverkehr in die Speicher des CEA zu leiten. Dasselbe soll bei den weiteren wichtigen Anbietern der Schweiz passieren, oder die Installation ist bereits erfolgt. Eine Swisscom-Sprecherin schreibt zum Beispiel auf Anfrage: «Ja, Swisscom ist von der Kabelaufklärung gesetzlich betroffen.»
«Das Internet ist kein statisches Gebilde»
Nun gibt es mehrere Probleme. Erstens leitet das CEA via Glasfaserkabel gigantische Datenmengen ab, darunter auch Netflix-Streaming oder Spam. «Das CEA muss den Traffic filtern, sonst ‹verstopfen› dessen Systeme sofort», sagt Künzler.
Das nächste Problem: Das CEA darf nur Datenverkehr auswerten, der grenzüberschreitend ist. In den Worten von Christian Dussey: «Befinden sich Sender und Empfänger in der Schweiz, ist die Nutzung der Signale nicht erlaubt.»
Bloss: Schweizer und ausländischer Traffic lässt sich kaum auseinanderhalten, sagt Fredy Künzler. Digitaler Datenverkehr wird öfters auf neuen Wegen zum Ziel transportiert: «Das Internet ist kein statisches Gebilde, es ist global organisiert und kennt keine Grenzen zwischen Ländern.»
Und: Wer aus der Schweiz heraus eine E-Mail mit einer Gmail-Adresse verschickt, verursacht ebenfalls internationalen Datenverkehr, selbst wenn die Empfängerin in der Schweiz sitzt – weil das E-Mail seinen Weg über die internationale Google-Infrastruktur nimmt. Dasselbe gilt für das Ansteuern von Webseiten. Die gesuchte Information kann in der Schweiz gespeichert sein, aber auch irgendwo im Ausland.
Mit anderen Worten: Es kann vorkommen, dass eine harmlose E-Mail, die man als Bürger einem Freund in der Schweiz schreibt, über eine internationale Glasfaserleitung verschickt wird. Und dann im Datenspeicher des CEA landet.
Hier liegt der Kern der Kritik von Aktivist Schönenberger und Unternehmer Künzler: im Umstand, dass alle diese Datenströme voller privater Informationen überhaupt zum CEA gelangen – und damit in die Machtsphäre des Bundes kommen, um gefiltert und ausgewertet zu werden. «Das ist die Massenüberwachung», sagt Schönenberger. Und dagegen kämpfe man an.
Was passiert mit den umgeleiteten Datenströmen? Die Analysten des CEA sitzen in Zimmerwald BE, in einem eingezäunten Gebäudekomplex inmitten von Äckern, rund zehn Kilometer südlich von Bern.
Hier kommt ein zentrales Gegenargument von Christian Dussey ins Spiel: Die Analysten dürften nicht einfach im Traffic herumschnüffeln. Sie dürfen die Kabelaufklärung nur bei Terrorverdacht, zur Spionageabwehr, zum Schutz kritischer Infrastruktur wie Kraftwerken oder ähnlich schweren Bedrohungen nutzen. Es gibt also eine inhaltliche Schranke. So steht es im Gesetz.
Und dann gibt es formale Schranken. Will der NDB beim CEA eine Überwachung in Auftrag geben, muss er zuerst eine Bewilligung beim Bundesverwaltungsgericht einholen und ebenso eine Freigabe bei der VBS-Vorsteherin, also Viola Amherd. Diese wiederum muss die Vorsteher von EDA und EJPD konsultieren, also Ignazio Cassis und Beat Jans. Der Suchauftrag darf maximal sechs Monate lang laufen (kann aber immer wieder verlängert werden).
Das CEA darf gesammelten Traffic eine gewisse Zeit lang «aufstauen», um darin zu suchen. Nach 18 Monaten muss es diesen wieder löschen. In der Praxis reichen dafür die personellen und finanziellen Ressourcen allerdings gar nicht aus, kam im Prozess vor dem Bundesverwaltungsgericht heraus: Die Daten würden «durchschnittlich circa drei bis vier Monate» aufbewahrt.
Die Daten werden dann mittels einer Liste von Suchbegriffen durchforstet. Als Beispiel nennt der NDB die Namen der Mitglieder einer Terrororganisation. Schweizer Namen, Telefonnummern oder E-Mail-Adressen sind als Suchbegriffe verboten. Wenn «Schweizer» Informationen trotzdem in einer Suche auftauchen, müssen die Analysten des CEA diese ausscheiden – oder zumindest anonymisieren. Bei einer «konkreten Bedrohung der inneren Sicherheit der Schweiz» darf die Anonymisierung allerdings wieder aufgehoben werden.
Die Ergebnisse dieser Suchläufe gehen dann an den Nachrichtendienst, der daraus seine Erkenntnisse zieht. Oder die Infos an andere Dienste im Ausland weiterleitet.
Christian Dussey und der Geheimdienst fokussieren sich in ihrer Argumentation nicht auf das umfangreiche Absaugen der Daten, sondern darauf, was die Analysten aus der Sammlung herausziehen. Was nur ein winziger Bruchteil der ausgeleiteten Informationen umfasse.
Die Statistik zeigt: Es gab bisher in der Tat nur wenige Kabel-Suchaufträge: 2018 wies der NDB in seinem Jahresbericht lediglich einen aus, 2019 und 2020 je zwei, 2021 und 2022 je drei.
Lohnt es sich da überhaupt, eine derart heikle und umstrittene Überwachung aufzuziehen, wenn am Ende nur so wenige Resultate herausschauen? Unbedingt, findet NDB-Chef Dussey: «Es ist unerlässlich, dass unser Land diese Art der Informationsbeschaffung ausbaut, um nicht von anderen Staaten abhängig zu sein. Die Kabelaufklärung hat sich als potentes Mittel zur Aufklärung von Vorgängen im Ausland mit sicherheitspolitischer Bedeutung für die Schweiz erwiesen.»
Über konkrete Erfolge spricht Dussey allerdings nicht: geheim.
Böse Erinnerungen
Dass die digitale Überwachung in der Schweiz ein Reizthema ist, hat auch mit der Vergangenheit zu tun: Bis 1990 bespitzelten verschiedene Schweizer Behörden weite Teile der Bevölkerung, unter anderem Gewerkschafter und linke Politiker. Als der «Fichenskandal» aufflog, war der Aufschrei gross.
Gerade linke Kreise verweisen heute auf diesen Skandal – sie befürchten, dass der NDB ein neues Fichensystem aufbauen könnte, nun einfach digital statt mit Karteikarten. Manche Kritiker, die heute schon älter sind, waren einst selbst fichiert – und viele jüngere wie Aktivist Erik Schönenberger haben sich darüber informiert.
Christian Dussey weiss das: «Der Fichenskandal hat sich in das Bewusstsein der Schweizerinnen und Schweizer eingeprägt, aber glauben Sie mir, er hat auch den Nachrichtendienst geprägt», schreibt er. Der NDB werde durch nicht weniger als drei Behörden kontrolliert. «Heute haben wir dank der Leitplanken des Gesetzes alle Chancen auf unserer Seite, um die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen.»
Dusseys oberster politischer Aufseher sitzt an einem Januarmorgen in der Kantine des Bundeshauses und redet über Verantwortung. Stefan Müller-Altermatt präsidiert die sechsköpfige Geschäftsprüfungsdelegation des Parlaments, die für die NDB-Aufsicht zuständig ist.
Der Mitte-Nationalrat aus Solothurn schlägt einen sehr direkten Ton an: «Man muss sich nichts vormachen. Technisch ist heute bei der digitalen Überwachung sehr viel möglich.»
Er verstehe nicht, weshalb der Nachrichtendienst nicht offener über die ausgeleiteten Datenmengen und die Möglichkeiten spreche. Der NDB hat schon argumentiert, er leite nur Glasfaser-Verkehr aus, der aus einer bestimmten Region stamme, zum Beispiel Syrien. «Aber das ist technisch gar nicht möglich. In diesem Punkt muss ich den NDB für die saloppe Formulierung kritisieren.»
Die Bürgerinnen und Bürger müssten heute damit rechnen, dass eine elektronische Nachricht von einer staatlichen Behörde gelesen werde. Für Müller-Altermatt heisst das aber eben nicht, dass die Schweizer Bevölkerung massenweise überwacht werde: «Wenn es eine Massenüberwachung gäbe, wäre sie illegal – und wir als Aufsicht würden sofort die Strafbehörden informieren.»
In den Augen des Aufsehers funktioniert das System, dass das CEA nur in ganz bestimmten Ausnahmefällen Informationen aus den Datenströmen herausfiltern darf – «und die gesetzlichen Kontrollen greifen». Das Gericht habe Suchaufträge des NDB auch schon zurückgewiesen. Kurz: Die heutigen Kontrollen seien mit den Verhältnissen aus der Zeit der Fichenaffäre nicht vergleichbar.
Bleibt die Frage, die schon an NDB-Chef Dussey ging: Lohnt sich das aufwendige und umstrittene System überhaupt?
Jetzt wird Müller-Altermatt still. Nach einiger Bedenkzeit sagt er schliesslich: Ja, es habe schon Erfolgsfälle gegeben. Es sei aber offensichtlich tatsächlich schwierig, Informationen von hohem nachrichtendienstlichem Wert zu gewinnen. Trotzdem verteidigt er die Kabelaufklärung, auch mit Verweis auf die präventive Wirkung und den technischen Fortschritt. «Lassen Sie es mich so sagen: Ohne die Kabelaufklärung wäre der NDB in gewissen Bereichen zunehmend taub und blind.»
Für Erik Schönenberger zählen diese Argumente nicht: «Der Nutzen ist viel zu klein. Und er heiligt auch nicht die Mittel.» Seine Mitstreiter und er werden vor Gericht weiter gegen die Kabelaufklärung kämpfen – «und wenn wir dafür nach Strasbourg an den Menschenrechtsgerichtshof gelangen müssen».
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Vorratsdatenspeicherung: Das andere Überwachungsprogramm
Neben der Kabelaufklärung gibt es ein zweites Überwachungsprogramm, gegen das die Digitale Gesellschaft gerichtlich vorgeht: die Vorratsdatenspeicherung. Das Programm ist im Gesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (BÜPF) verankert. Es zwingt die Anbieter von Post- und Internetdiensten, Daten der Nutzer für sechs Monate aufzubewahren. Dazu gehören Standortdaten von Mobiltelefonen, wer wem eine SMS schickt oder wer welche Webseite ansteuert. Polizei und Staatsanwaltschaften können diese Daten anfordern, aber auch der Nachrichtendienst kann darauf zugreifen. Das Verfahren gegen die Vorratsdatenspeicherung liegt zurzeit beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. In anderen Ländern wurden ähnliche Programme als grundrechtswidrig eingestuft. (ms)
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Was gilt für die Berufsgeheimnisse von Ärztinnen, Journalisten und Anwältinnen?
Im normalen Rechtsverkehr haben bestimmte Berufsgruppen Sonderrechte. Ärztinnen und Ärzte unterliegen zum Beispiel dem Arztgeheimnis, Anwälte sind in ihren Kontakten mit Klienten vom Anwaltsgeheimnis geschützt, und Medienschaffende können sich auf den Quellenschutz berufen. Bei der Kabelaufklärung gibt es für diese Spezialfälle allerdings keine Ausnahme. Das heisst: Der Nachrichtendienst darf auch Datenverkehr solcher Berufsgruppen auswerten. Der NDB betont in seinen Stellungnahmen, einen solchen Fall habe es noch nie gegeben. Der fehlende Schutz ist allerdings dennoch ein zentrales Argument der Grundrechts-Aktivisten im Kampf gegen die Kabelaufklärung. (ms)
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Der nächste Streit ums Nachrichtendienstgesetz
Während die Massnahmen des neuen Nachrichtendienstgesetzes noch im Aufbau sind, geht bereits die Diskussion um eine nächste Revision des Gesetzes los. Das neue Gesetz soll die Kompetenzen des NDB nochmals ausweiten, was zu Kritik geführt hat, etwa von der Konferenz der schweizerischen Datenbeauftragten. Der grösste Streitpunkt ist die Frage, ob der Geheimdienst im Kontext von «gewalttätigem Extremismus» schärfere digitale Überwachung betreiben darf. Namentlich linke Organisationen befürchten, dass dadurch auch demokratische Organisationen wie NGOs in den Fokus des Dienstes geraten könnten. Der Bundesrat befasst sich laut NDB noch in der ersten Jahreshälfte 2024 mit dem Gesetz. (ms)
(https://www.derbund.ch/ueberwachung-im-internet-warum-die-schweiz-darueber-streitet-822713054752)
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derbund.ch 25.01.2024
Schweizer Geheimdienst-Chef im Interview: «Glauben Sie wirklich, dass wir in einem totalitären Staat leben?»
Christian Dussey wehrt sich gegen den Vorwurf, der Schweizer Nachrichtendienst betreibe eine Massenüberwachung der Bevölkerung. Und er sagt, welche neue Bedrohung ihm Sorgen macht.
Mario Stäuble
Herr Dussey, betreibt der NDB eine «Massenüberwachung der Bevölkerung», wie es Kritiker wie die Digitale Gesellschaft konstatieren?
Meine Antwort ist klar: Nein. Glauben Sie wirklich, dass wir in einem totalitären Staat leben, in dem der Nachrichtendienst die Kommunikation aller Bürger ausspioniert? Glauben Sie ernsthaft, dass der NDB, der einer der kleinsten Nachrichtendienste in Europa ist, aber auch zu den rechtlich am meisten überwachten gehört, auf diese Weise gegen das Gesetz verstösst? Und dadurch seinen Grundauftrag vernachlässigt, der eben darin besteht, die Bürger zu schützen? Glauben Sie, dass meine 400 Mitarbeiter ihre Rechte überschreiten, um 9 Millionen Schweizer auszuspionieren – und dass sie dazu auch noch die Mittel hätten?
Sagen Sie es uns.
Ich sage es noch einmal klar und deutlich: Der NDB betrachtet nicht jeden Schweizer Bürger als potenziellen Terroristen, Spion oder gewaltbereiten Extremisten. Die Kabelaufklärung ist ein Mittel zur Beschaffung von Informationen über Vorgänge im Ausland und wird gezielt und gesetzeskonform eingesetzt, was im Übrigen auch die regelmässigen Kontrollen bestätigen, denen wir uns durch unsere Aufsichtsorgane unterziehen. Diese Anschuldigungen, die sich auf keinerlei Beweise stützen, sind sehr schlimm, da sie das Vertrauen der Bürger in ihre Institutionen auf unbegründete Weise untergraben und ein Klima der Unruhe und des Misstrauens schaffen.
Wenn ein Bürger in der Schweiz eine E-Mail via Gmail oder den deutschen Mailanbieter GMX schreibt oder die Website der amerikanischen Regierung ansteuert, um ein US-Visum zu beantragen, wird dann dessen Traffic im Rahmen der Kabelaufklärung mit ausgeleitet?
Es ist von grösster Wichtigkeit, klar zwischen den Aufgaben und Verantwortlichkeiten des Dienstes Cyber- und elektromagnetische Aktionen (CEA, früher Zentrum für elektronische Operationen ZEO) und denen des NDB zu unterscheiden. Ich bin nicht der Chef des Dienstes CEA, welcher der Armee untersteht, und seine Aktivitäten sind nicht die eines Nachrichtendienstes.
Die Kabelaufklärung ist ein Mittel, um Informationen über das Ausland zu erhalten. Befinden sich Sender und Empfänger in der Schweiz, ist die Nutzung der Signale nicht erlaubt. Die Übermittlung der Daten an den NDB ist daher nicht zulässig, und die Daten werden folglich vernichtet. Das Gesetz verbietet es, Angaben zu Schweizer Personen oder Organisationen als Suchbegriffe im Kabelnetz zu verwenden.
Der Dienst CEA analysiert und filtert die Signale mit seinen eigenen technischen Einrichtungen, um daraus die Informationen zu extrahieren, die dem Aufklärungsauftrag entsprechen. Zur Erinnerung: Diese Aufträge müssen vom Bundesverwaltungsgericht und anschliessend von der Vorsteherin des VBS nach Rücksprache mit den Vorstehern des EDA und des EJPD genehmigt werden. Die unabhängige Kontrollinstanz für die Funk- und Kabelaufklärung (UKI) bildet noch eine weitere Leitplanke, indem sie die Ausführung der Aufklärungsaufträge überwacht.
Allgemein gefragt: Welcher Teil des Traffics eines normalen Bürgers wird vom CEA erfasst? Stimmt die Feststellung der Digitalen Gesellschaft, dass auch «gewöhnlicher» Traffic von Schweizer Akteuren über ausländische Zwischenstationen führt und so zumindest ans CEA weitergeleitet wird?
Aus Sicherheits- und Kompetenzgründen äussere ich mich nicht zu den operativen Tätigkeiten des Dienstes CEA. Signale zu verwenden, die Kommunikationen betreffen, bei denen sich sowohl der Sender als auch der Empfänger in der Schweiz befinden – und zwar selbst dann, wenn das von zwei in der Schweiz ansässigen Personen genutzte Netzwerk über das Ausland verläuft –, ist untersagt.
Wie lange ist dieser Traffic im Datenspeicher des CEA vorrätig?
Die Aufbewahrungsfristen für die Kabelaufklärung sind in Artikel 28 der Verordnung über den Nachrichtendienst (NDV) geregelt: Der Dienst CEA vernichtet Resultate, Kommunikationen und Verbindungsdaten spätestens zum Zeitpunkt der Beendigung eines Kabelauftrags.
Bei laufenden Aufträgen werden erfasste Kommunikationen spätestens nach 18 Monaten und die Verbindungsdaten spätestens nach 5 Jahren vernichtet.
Die Aktivisten der Digitalen Gesellschaft kritisieren, nur schon das Anlegen und «Aufstauen» dieses Datenspeichers durch die Kabelaufklärung begründe die kritisierte «Massenüberwachung», und zwar, weil das Fernmeldegeheimnis gebrochen werde. Wie stellen Sie sich dazu?
Noch einmal: Der NDB handelt gesetzeskonform und betreibt keinesfalls eine allgemeine Überwachung der Bevölkerung oder eine Massenüberwachung. Die Argumente der Digitalen Gesellschaft sind angesichts der gesetzlichen und konkreten Anforderungen, denen der NDB bei der Kabelaufklärung unterliegt, nicht zutreffend.
Warum braucht die Schweiz eigentlich die Kabelaufklärung?
In den letzten Jahrzehnten hat die Kabelaufklärung auf internationaler Ebene an Bedeutung gewonnen. Bei der Einführung des Bundesgesetzes über den Nachrichtendienst erwies es sich als unerlässlich, dass unser Land diese Art der Informationsbeschaffung ausbaut, um nicht von anderen Staaten abhängig zu sein, die dies an seiner Stelle tun könnten. Die Kabelaufklärung hat sich als potentes Mittel zur Aufklärung von Vorgängen im Ausland mit sicherheitspolitischer Bedeutung für die Schweiz erwiesen. Sie wird insbesondere dort eingesetzt, wo sie sich im Vergleich zu anderen Beschaffungsdisziplinen besonders lohnt.
In Zimmerwald, etwa zehn Kilometer südlich von Bern, befindet sich das Zentrum, in dem Analysten den digitalen Datenverkehr auswerten.
In Zimmerwald, etwa zehn Kilometer südlich von Bern, befindet sich das Zentrum, in dem Analysten den digitalen Datenverkehr auswerten.
Foto: Peter Schneider (Keystone)
Gemäss den NDB-Lageberichten laufen pro Jahr circa ein bis drei konkrete Aufträge des NDB im Bereich der Kabelaufklärung. Angesichts der hohen Kosten, die durch das Aufbauen und Warten der Infrastruktur entstehen, sowie des Widerstands in der Zivilgesellschaft: Wäre es nicht zielführender, diese Mittel in andere Massnahmen der Beschaffung zu investieren?
Die Kabelaufklärung nutzt bestehende Strukturen, insbesondere die Einrichtungen des Dienstes CEA, der Teil der Armee ist und dessen Aufgaben sich daher nicht auf Aufklärungsaufträge des NDB beschränken. Und zur Erinnerung: Das Bundesgesetz über den Nachrichtendienst – das auch die Kabelaufklärung beinhaltet – wurde 2016 mit 65,5 Prozent Ja-Stimmen angenommen. Die Bevölkerung ist sich bewusst, dass Sicherheit ihren Preis hat. Wir setzen uns dafür ein, dass dieser so angemessen wie möglich ist.
Können Sie ein Update geben, wo die Revision des NDG steht?
Sämtliche im Rahmen der Vernehmlassung zur Änderung des Nachrichtendienstgesetzes eingegangenen Stellungnahmen sind seit September 2022 wie üblich auf der Homepage der Bundeskanzlei aufgeschaltet und für die Öffentlichkeit einsehbar: Abgeschlossene Vernehmlassungen – 2022. Dies ist die aktuellste Vorlage. Der Bundesrat wird sich voraussichtlich in der ersten Jahreshälfte 2024 mit der NDG-Revision befassen.
Kritisiert wird vor allem, dass der NDB neu auch Personen im Kontext von «gewalttätigem Extremismus» überwachen könnte. Namentlich linke NGOs kritisieren dies – sie fürchten, im Rahmen dieser neuen Befugnisse fichiert zu werden. Was antworten Sie?
Ich brauche Klarheit und genaue rechtliche Parameter, um handeln zu können, und meine Hauptaufgabe besteht gerade darin, die Grauzonen zu beseitigen, die dem Ruf des NDB schaden, wie die Fichenaffäre, die wir immer noch ausbaden müssen, obwohl sie sich vor über 30 Jahren ereignet hat.
Die Ausweitung von genehmigungspflichtigen Beschaffungsmassnahmen auf den gewalttätigen Extremismus ist angesichts der immer grösseren Bedrohung, die dieser in der Schweiz und in allen westlichen Demokratien darstellt, gerechtfertigt. Seit dem Inkrafttreten des NDG haben die Aggressivität von Links- und Rechtsextremisten gegenüber den Sicherheitskräften und das allgemeine Gewaltpotenzial dieser Gruppen zugenommen.
Bei der Verabschiedung des Bundesgesetzes über den Nachrichtendienst war der gewalttätige Extremismus zwar von den genehmigungspflichtigen Beschaffungsmassnahmen ausgenommen worden, doch haben einige Ereignisse im Ausland gezeigt, dass auch solche Aktivitäten ein Ausmass annehmen können, das die innere oder äussere Sicherheit ernsthaft gefährdet.
Die betreffenden Kreise greifen dabei zunehmend auf verdeckte Methoden zurück, die der NDB mit den ihm derzeit zur Verfügung stehenden Beschaffungsmassnahmen nur unzureichend untersuchen kann. Deshalb soll bei schweren Formen gewalttätiger extremistischer Aktivitäten, die gegen Leib und Leben gerichtet sein können, auch der Einsatz von genehmigungspflichtigen Massnahmen erlaubt sein. Erweisen sich die Präventionsinstrumente als lückenhaft, besteht für die Schweiz die erhebliche Gefahr, dass sie zu einem Rückzugsort oder Treffpunkt für ausländische Gewaltextremisten wird.
Die bisherigen Erfahrungen mit genehmigungspflichtigen Beschaffungsmassnahmen zeigen, dass der NDB diese sparsam einsetzt, um in Fällen akuter Bedrohung gezielte und präzise Abklärungen zu treffen.
Finden Sie, man sollte die Anbieter verschlüsselter Dienste wie Threema oder Protonmail in der Schweiz zwingen, ihre Verschlüsselung zu entfernen?
Verschlüsselte E-Mail-Dienste haben gewisse Vorteile, das ist klar, aber sie stellen unter Sicherheitsaspekten auch eine Herausforderung dar, zum Beispiel, wenn sie von Kriminellen oder Terroristen genutzt werden. In der Schweiz hat der Bundesrat bislang darauf verzichtet, die Anbieter solcher Dienste zu verpflichten, die Daten zugänglich zu machen. Er ist unter anderem der Ansicht, dass den Bürgern oder der Wirtschaft wirksame Technologien zum Schutz ihrer Daten zur Verfügung stehen müssen.
Ganz allgemein: Finden Sie, Bürgerinnen und Bürger sollten über nicht überwachbare digitale Kommunikation verfügen – oder sollte jegliches Datensystem überwachbar sein?
Historisch gesehen, war das Dilemma zwischen Sicherheit und Freiheit schon immer umstritten. Auf philosophischer Ebene sind diese Fragen wichtig und spannend, aber die politischen Behörden haben die moralische Verpflichtung, die Bevölkerung zu schützen. Daher müssen sie konkrete Massnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger festlegen. Wir haben das Glück, in einer Demokratie zu leben und eine öffentliche Debatte über diese Herausforderungen führen zu können. Das ist zu begrüssen, denn so kann die Bevölkerung für bestimmte Aspekte – von denen sie nicht unbedingt Kenntnis hat – der Technologien sensibilisiert werden, die sie täglich nutzt. Unter nachrichtendienstlichen Gesichtspunkten sind wir uns natürlich bewusst, dass es dieses Spannungsfeld gibt, und handeln aus diesem Grund strikt im Rahmen unseres gesetzlichen Auftrags.
Hinter der Kritik an Überwachungsmassnahmen des NDB steht in vielen Fällen die Befürchtung, dass der NDB ein neues Fichensystem aufbauen könnte, wie es bis 1990 bestand. Viele Kritiker sind «gebrannte Kinder» – sie können sich an die Fichierung in früheren Zeiten erinnern oder haben sich darüber informiert. Was antworten Sie diesen Kritikern?
Der Fichenskandal hat sich in das Bewusstsein der Schweizer eingeprägt, aber glauben Sie mir, er hat auch den Nachrichtendienst in der Schweiz geprägt. Das Nachrichtendienstgesetz wurde so konzipiert, dass es die Sicherheit der Bevölkerung unter Wahrung ihrer Grundrechte gewährleistet. Die Rechtmässigkeit, Zweckmässigkeit und Wirksamkeit der Aktivitäten des NDB werden auf verschiedenen politischen und administrativen Ebenen überwacht. Heute haben wir dank der Leitplanken des Gesetzes alle Chancen auf unserer Seite, um die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen.
Was macht Ihnen im nachrichtendienstlichen Lagebild aktuell am meisten Sorgen?
Wenn man die Welt heute durch die nachrichtendienstliche Brille betrachtet, gibt das leider keinen Anlass zu Optimismus. In den letzten Jahren hat sich das strategische Umfeld der Schweiz negativ verändert, und es ist zu befürchten, dass sich dieser Trend als dauerhaft erweisen wird.
Wir befinden uns in einer Zeit des intensiven geopolitischen Wettbewerbs und der Unsicherheit. Die Schockwellen des Kriegs in der Ukraine und des Nahostkonflikts haben auch die Wahrnehmungen, das politische Kalkül und die militärischen Haltungen erschüttert. Die Reichweite, Geschwindigkeit, Vernetzung und Unmittelbarkeit der geopolitischen und sicherheitspolitischen Herausforderungen machen es schwierig, diese zu bewältigen und zu lösen. Wir leben auch in einer Welt der «Polykrisen»: Mehrfachkrisen, die sich gegenseitig verstärken. Betreffend Nahost verfolgt der NDB die Lageentwicklung und allfällige Konsequenzen auf die Schweiz laufend. Die Bedrohungen der Sicherheit der Schweiz bleiben bestehen. Sie haben sich teils akzentuiert. Leider sieht der NDB praktisch in keinem Bereich eine Entspannung der Lage.
Welche neue Art von Bedrohung sehen Sie?
Die hybride Kriegsführung: Ein hybrider Krieg entwickelt sich auf mehreren Ebenen. Dazu gehört auch der Kampf um das Narrativ, oder die Desinformation, der heute durch die sozialen Netzwerke, die wir vorher nicht kannten, beschleunigt und verstärkt wird. Das ist ein Thema, das den Westen zunehmend beschäftigt. Um diese neuen Herausforderungen zu bewältigen, muss sich der NDB transformieren. Diese Transformation wird ab dem 1. März 2024 zu einer neuen Organisationsstruktur des Dienstes führen. Sie soll uns in die Lage versetzen, noch leistungsfähiger zu sein und effizienter und agiler zu arbeiten. Sie sieht die Schaffung von «Wirkungszentren», eine Netzwerkorganisation («Team of Teams») und eine Stärkung unserer Forschungs- und Entwicklungskapazitäten vor, um den künftigen Herausforderungen gerecht zu werden.
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Karrierediplomat wurde zum Nachrichtendienstler
Moskau, Teheran, Washington, Prag: Der 55-jährige Christian Dussey hat einen grossen Teil seiner Karriere im Ausland absolviert. Aber angefangen hatte er beim Nachrichtendienst, wohin er 2022 zurückberufen wurde: Der Bundesrat ernannte den Walliser Sozialwissenschaftler zum neuen Direktor des Nachrichtendienstes.
Dussey hat ein Interview mit dieser Redaktion zu den Überwachungsprogrammen seines Dienstes zuerst abgelehnt, dann schliesslich aber doch zugestimmt, per E-Mail auf die eingereichten Fragen zu antworten. Wir publizieren hier die teilweise technischen Antworten in voller Länge, weil Dussey zum ersten Mal detailliert zum Thema Auskunft gibt. Die wichtigsten Aussagen sind in der Recherche zur digitalen Überwachung zusammengefasst, die wir gleichzeitig veröffentlicht haben. (ms)
(https://www.derbund.ch/nachrichtendienst-chef-glauben-sie-wirklich-dass-wir-in-einem-totalitaeren-staat-leben-813033303023)
-> https://www.blick.ch/politik/ueberwachung-in-der-schweiz-geheimdienstchef-wehrt-sich-nicht-jeder-schweizer-buerger-ist-ein-potenzieller-terrorist-id19370101.html
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Kommentar zur digitalen Spionage: Auch der Geheimdienst schuldet der Öffentlichkeit Rechenschaft
Der Staatsschutz hat mit der Kabelaufklärung ein gefährliches Werkzeug in die Hand bekommen. Er muss belegen, dass er es verantwortungsvoll nutzt.
https://www.derbund.ch/spionage-in-der-schweiz-geheimdienst-soll-sich-erklaeren-563473804990