Medienspiegel 9. Dezember 2023

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/

+++AARGAU
Herausforderung: Ab Montag leben auf dem Berufsschul-Areal Asylsuchende
Anfangs Jahr hat der Kanton Aargau die Notlage im Asylwesen ausgerufen. 3 unterirdische Unterkünfte sind seither in Betrieb. Muri, Birmenstorf und Aarau. Ab Montag kommt mit Lenzburg die 4. hinzu. Das mitten auf dem Gelände der Berufsschule. Damit der Schulbetrieb nicht beeinträchtigt wird, wurden Massnahmen ergriffen.
https://www.telem1.ch/aktuell/herausforderung-ab-montag-leben-auf-dem-berufsschul-areal-asylsuchende-155629297
-> https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/lenzburg/lenzburg-besichtigung-notunterkunft-ld.2554097
-> https://www.argoviatoday.ch/aargau-solothurn/lenzburg-seetal/gibt-eine-no-go-zone-so-sieht-es-in-der-neuen-asylunterkunft-in-lenzburg-aus-155629854?autoplay=true&mainAssetId=Asset:155629759


+++BASEL
Illegal über die Grenze in Richtung Deutschland: «Sie haben nur einen Rucksack dabei»
In Deutschland suchen geflüchtete Menschen nach einem besseren Leben. Die meisten illegal und mit Durchreise durch die Schweiz. Wir haben zwei junge Bundespolizist:innen bei ihrer Arbeit begleitet.
https://www.baseljetzt.ch/grenzkontrolle-am-ende-schaffen-es-alle/159057


+++OBWALDEN
Seelsorge in Asylzentren – «Die Menschen kämpfen mit Heimweh, Trauer und Angst»
Sieben umzäunte Gebäude auf einer Passhöhe, rundherum eine menschenleere Moorlandschaft: Das ist das Truppenlager auf dem Glaubenberg im Kanton Obwalden, das seit 2015 als Asylzentrum gebraucht wird. Rund 320 Geflüchtete wohnen dort.
https://www.srf.ch/news/schweiz/seelsorge-in-asylzentren-die-menschen-kaempfen-mit-heimweh-trauer-und-angst


++++ITALIEN
Rama-Meloni-Vereinbarung – Italien will in Albanien Migrationszentren bauen
Italien will in Albanien Migrationszentren bauen und betreiben. Diese Ankündigung hat überrascht. Die Bewohnerinnen und Bewohner der betroffenen Ortschaften erfuhren davon nur aus den Medien und reagieren mit gemischten Gefühlen.
https://www.srf.ch/news/international/rama-meloni-vereinbarung-italien-will-in-albanien-migrationszentren-bauen


+++EUROPA
EU-Asylsystem GEAS: Sechsjährige ins Lager
In Brüssel läuft die letzte Verhandlungsrunde zur Reform des EU-Asylrechts. Der Rat will, dass auch Kinder für Schnellverfahren interniert werden.
https://taz.de/EU-Asylsystem-GEAS/!5978837/


+++GASSE
Basel: Gassenküche gefragt – manchmal fehlt genügend Essen
Immer mehr Menschen können sich keine Mahlzeit mehr leisten und suchen Gassenküchen auf. Trotz etwas entspannterer Lage sind die Zahlen auch in Basel hoch.
https://www.nau.ch/news/schweiz/basel-gassenkuche-gefragt-manchmal-fehlt-genugend-essen-66665772


Hotspot im Matthäusquartier: Deutlich mehr Interventionen wegen Drogenkonsums
Behörden und Sicherheitsdienste mussten im laufenden Jahr rund sechsmal öfter wegen Drogenkonsums im öffentlichen Raum einschreiten als noch vor zehn Jahren.
https://www.bazonline.ch/hotspot-im-matthaeusquartier-deutlich-mehr-interventionen-wegen-drogenkonsums-457895453668


Kein Einzelfall in Basel: Wie Schreiner Schaffner in die Obdachlosigkeit abrutschte
Michael Schaffner* lebte ein angenehmes Leben – bis seine Lebenspartnerin von einem anderen Mann schwanger wurde. Es war der Beginn einer Abwärtsspirale.
https://www.bazonline.ch/armut-in-basel-wie-schreiner-schaffner-in-die-obdachlosigkeit-abrutschte-543755682809


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Nicht alle befolgen Demo-Kodex: Tausend Menschen trotzen dem Regen und protestieren in Bern für Frieden
Bei der Friedensdemo auf der Berner Schützenmatte wurde am Samstag eine Waffenruhe in Nahost gefordert. Auch eine Alt-Bundesrätin war vor Ort.
https://www.derbund.ch/friedensdemo-in-bern-fuer-einen-gerechten-frieden-im-nahen-osten-334557030202
-> https://www.telebaern.tv/telebaern-news/samstag-09-dezember-2023-155134887 (ab 00:35)
-> Tagesschau: https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/kundgebung-fuer-einen-gerechten-frieden-in-bern?urn=urn:srf:video:05fa90dc-6fe1-4fbf-a3b4-c6cbf1776256
-> https://www.watson.ch/schweiz/international/384770880-hunderte-fordern-in-bern-einen-waffenstillstand-im-gazakrieg


Unbewilligte „Free Palestine“-Demo in Basel
https://telebasel.ch/sendungen/punkt6/213218
-> https://www.bazonline.ch/kurden-tamilen-linke-palaestinenser-gemeinsame-demo-fuer-palaestina-in-basel-verlaeuft-ruhig-964794894620
-> https://www.baseljetzt.ch/231118-2/149784


«Mega gefährlich»: 150 Personen demonstrieren gegen rechtsextreme Gruppierungen
Nachdem sich die «Junge Tat» vor rund drei Wochen auf der Solothurner St.-Ursen-Treppe traf, kam es am Samstag zur Gegendemonstration. Links-Autonome und die Juso formierten sich gegen Rechtsextremismus. Rund 150 Personen haben an der Kundgebung teilgenommen.
https://www.32today.ch/mittelland/kanton-solothurn/mega-gefaehrlich-150-personen-demonstrieren-gegen-rechtsextreme-gruppierungen-155629642?autoplay=true&mainAssetId=Asset:155629600
-> https://www.telem1.ch/aktuell/konfliktpotenzial-juso-und-linksautonome-demonstrieren-in-solothurn-155629331


+++MENSCHENRECHTE
Für eine starke Menschenrechtspolitik 2023-2027
Zum internationalen Tag der Menschenrechte, 10. Dezember 2023
Die NGO-Plattform Menschenrechte Schweiz setzt sich für den Schutz und die Förderung der Menschenrechte in der Schweiz ein. In der Plattform sind 100 schweizerische Nichtregierungsorganisationen aus der ganzen Schweiz zusammengeschlossen, die sich zum gemeinsamen Ziel gesetzt haben, dass die Menschenrechte in der Schweizer Innen- und Aussenpolitik an Stellenwert gewinnen. Den internationalen Tag der Menschenrechte nehmen wir zum Anlass, drei grundlegende Forderungen zur Schliessung von Lücken im Menschenrechtsschutz zu formulieren, die in der anstehenden Legislatur ernsthaft in Angriff genommen werden müssen. Die Forderungen betreffen namentlich Gesetze, die die Menschenrechte achten, schützen und gewährleisten; eine ausreichend dotierte Menschenrechtsstrategie; sowie zugängliche und effektive Beschwerdemechanismen.
https://www.humanrights.ch/de/ngo-plattform/starke-menschenrechtspolitik-2024-2027


«Alle Menschen sind frei…» – Von der Erklärung der Menschenrechte bis zur Rechtsprechung
Am 10. Dezember wird die Erklärung der Menschenrechte der UNO 75 Jahre alt. Ein denkwürdiger Geburtstag, der einlädt, mehr über diese Sammlung von Grundrechten, ihre Entwicklung und Bedeutung zu erfahren. forumKirche befragte dazu Marianne Aeberhard, Geschäftsleiterin des Vereins humanrights.ch, der sich für die Einhaltung der Menschenrechte in der Schweiz und von der Schweiz aus einsetzt.
https://www.humanrights.ch/de/news/menschen-erklaerung-menschenrechte-rechtsprechung


+++RASSISMUS
Interpellation Grüne: A Fragen zur Aufkündigung der Unterstützung von baba news
https://www.gr.be.ch/de/start/geschaefte/geschaeftssuche/geschaeftsdetail.html?guid=44dd821eb5a644b89338c32a3c4d24f7


+++RECHTSPOPULISMUS
Das Grobe überlässt er anderen
Mit Albert Rösti hat vor einem Jahr ein Anti-Klimaschützer, Anti-Naturschützer und Anti-SRGler das Infrastrukturdepartement übernommen. Er trimmt es behutsam, aber zielstrebig auf SVP-Kurs.
https://www.republik.ch/2023/12/08/das-grobe-ueberlaesst-er-anderen


Eritreischer Botschafter und Anhänger von «Eri Blood» versammeln sich in Grellingen und rufen zur Gewalt auf – Polizei: Gebiet grossräumig umfahren
In der Gemeinde Grellingen im Kanton Baselland versammeln sich am Samstag Vertreter des eritreischen Diktators um zur Gewalt gegen geflüchtete Menschen aufzurufen. Die Polizei ist mit Einsatzkräften vor Ort. Das Gebiet wurde grossräumig abgesperrt.
https://www.bzbasel.ch/basel/baselland/propaganda-eritreischer-botschafter-und-anhaenger-von-eri-blood-versammeln-sich-basler-gemeinde-und-rufen-zur-gewalt-auf-ld.2554205
-> https://www.20min.ch/story/bewaffnete-polizisten-schuetzen-eritreer-treffen-306299558282
-> https://www.bazonline.ch/newsticker-region-basel-297230329650
-> https://www.blick.ch/schweiz/eritrea-veranstaltung-in-grellingen-bl-sorgt-fuer-aufsehen-wie-koennen-diese-menschen-den-diktator-feiern-id19226975.html


+++RECHTSEXTREMISMUS
Rechtsextreme Graffitis in Freiburg
Rechtsextreme Graffitis sind seit Monaten in der Stadt zu sehen. Das Phänomen scheint zuzunehmen. Organisationen sind besorgt.
https://frapp.ch/de/articles/stories/rechtsextreme-graffitis-in-freiburg


+++HISTORY
aargauerzeitung.ch 09.12.2023

«Wir reden uns das Opfer-Täter-Bild schön: Benin war ein Volk von Sklavenjägern!» – Expertin verurteilt die «selbstzufriedene» Schweiz

Massgebende Stimmen in Europa fordern die Rückgabe der Benin-Bronzen. Auch der Bund beschleunigt das Tempo. Vehement stellt sich die profilierteste Expertin aus der Schweiz dagegen: Für sie ist die Restitutionsdebatte ein strategisches Ablenkungsmanöver.

Daniele Muscionico

Der Bundesrat tut, was alle erwarten: Er treibt die Restitutionsdebatte ab 2024 durch eine unabhängige Expertenkommission voran. Ist das der Schritt, auf den auch Sie gewartet haben?

Brigitte Hauser-Schäublin: Der Bundesrat hat damit einen parlamentarischen Auftrag erfüllt. Das Aufgabenspektrum der Kommission ist breit und wird von den Mitgliedern Differenzierungsvermögen verlangen.

Sie klingen nicht wirklich begeistert …

Bei NS-Raubkunst und Kulturgütern aus kolonialem Kontext handelt es sich um verschiedene Sachlagen. Es ist nur die äussere Klammer, der exklusive kapitalistische Eigentumsbegriff, hinter dem sich der auf den Kunstmarkt orientierte monetäre Wert der Objekte verbirgt, der beide zusammenbringt. Dies gilt es kritisch zu reflektieren. Ebenso wie die Täter-Opfer-Schablone, die, dem deutschen Vorbild nacheifernd, auch Schweizer Museen bei Provenienzforschung zu Objekten aus kolonialen Kontexten anwenden. Dabei sind die Resultate vorprogrammiert: Es kann und darf nur «weisse» Täter und «schwarze» wehrlose Opfer geben.

Sie sind die führende Expertin in der Geschichte des ehemaligen Königreichs Benin und wissen, wovon Sie sprechen. Dennoch, Ihr Vorwurf an Ihre Schweizer Wissenschaftskolleginnen und -kollegen ist heftig! Machen Sie ein Beispiel, bitte.

Das Museum Rietberg Zürich hat 2020 eine einzigartige Zeichnung des italienischen Reisenden Giovanni Belzoni von einem königlichen Ahnenaltar mit den berühmten Benin-Bronzeköpfen darauf erworben. Sie stammt von 1822/23, also 75 Jahre, bevor die Briten Benin unterwarfen, es stellt das früheste bildliche Dokument dar. Es ist in der aktuellen Ausstellung des Museums zur Provenienzforschung zu sehen, «Wege der Kunst. Wie die Objekte ins Museum kommen». Und es hat auch eine aufschlussreiche Rückseite: die Erläuterungen Belzonis. Aber das Museum hat deren Inhalt bis jetzt verschwiegen.

Weil sie eben doch nicht so aufschlussreich ist?

Doch das ist sie, sehr sogar! Belzoni hat auf ihr nüchtern festgehalten, wie viele Menschen zu Ehren dieser in den Benin-Köpfen verehrten Ahnen ermordet wurden: Jeweils zwischen Juni und Oktober wurden alle drei bis vier Tage zwischen fünf und zwanzig Sklaven sowie Tiere im Namen der verstorbenen Könige getötet. Er hat angefügt, dass es zwischen 20 bis 30 solcher Altar-Gedenkstätten gebe.

Das Museum verschweigt die Praxis der Menschenopfer in Benin, ein Königreich, das im 6. Jahrhundert gegründet und Ende des 19. Jahrhunderts von den Briten erobert und dem Kolonialreich Nigeria zugeschlagen wurde. Sie sehen in der Unterlassung des Museums eine ideologische Absicht. Ist das nicht Ihrerseits tendenziös?

Fakt ist, dass selbst die Benin-Initiative Schweiz im Ausstellungskatalog diese Information unterschlägt und nur die Vorderseite abbildet. Die Autorinnen interpretieren zudem Berichte über Benin-Menschenopfer als mehr oder weniger bösartige koloniale Konstruktion – und das, obwohl es auch lokale Augenzeugenberichte über Blutbäder gibt. Wie der 2023-Bericht der Benin-Initiative zeigt, blendet sie – ganz nach dem in Deutschland gängigen Muster – das aus, was nicht in ihr Schema passt: Menschenopfer sowie Sklavenjagden und -handel.

Blutbäder dieser Art gab es auch in Europa. Der Stamm der Germanen, unsere nördlichen Ahnen und die Gallier, Vorläufer der Franzosen waren in Bezug auf Menschenopfer führend. Das lernen wir im Geschichtsunterricht nicht. Ist das nun ein bösartiger oder vielleicht ein ganz natürlicher Reflex?

«Führend» im Sinne von Weltmeister im Töten? Wir leben im 21. Jahrhundert, ausgestattet mit Konventionen, die Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und der Menschenrechte ahnden. Da darf es keinen Raum für einen «natürlichen Reflex» der Unterschlagung geben, schon gar nicht von Akademikern und Akademikerinnen.

Sie werfen der Restitutionsdebatte vor, sie handle aufgrund eines naiven Täter-Opfer-Schemas. Hier die ausbeuterischen Kolonialherren, also wir, dort die ausgebeuteten Völker. In Tendenz waren die Rollen nun einmal so verteilt, einverstanden?

Wenn man so klischeehaft denkt, braucht es gar keine Forschung. Provenienzforschung gibt vor, Objektgeschichten wissenschaftlich zu untersuchen. Tatsächlich geht sie meistens mit einem Suchraster im Sinne der postkolonial üblichen Täter-Opfer-Schablone an komplexe historische Situationen heran. Das ist Politik, nicht Wissenschaft. Ein solches Suchraster kann gar nichts anderes hervorbringen als ein Schwarz-Weiss-Bild von brutalen weissen Tätern und friedfertigen, wehrlosen und moralisch unbefleckten schwarzen Opfern.

Wissend, dass die europäischen Kolonialmächte Schuld auf sich luden, ist man nun bewusst vorsichtig …

Schönreden würde ich dies nennen. Jede koloniale Interaktion verdient es, einzeln und differenziert untersucht zu werden. Dass es aussereuropäische Staaten mit Terrorherrschaft und dem Führen von Angriffskriegen über Jahrhunderte hinweg gab – wohlverstanden, nicht gegen «Weisse», sondern im Fall von Afrika gegen Mit-Afrikaner – passt nicht in dieses Täter-Opfer-Schema.

Was meinen Sie konkret?

Die Vorfahren von Millionen afrikanischstämmiger Bürgerinnen und Bürger der USA, Karibik oder Brasilien wurden nicht von Europäern auf Kriegszügen eingefangen und versklavt, sondern von Afrikanern – und dann an Europäer verkauft. Verkauft vor allem gegen Messingringe aus Deutschland und England, aus denen Benin-Künstler die sogenannten «Benin-Bronzen» für den Ahnenkult der Könige herstellten. «Blut-Metall» nennt die Organisation der ehemaligen Sklaven, die Restitution Study Group mit Sitz in New York, die Benin-Bronzen.

Aber wir müssen doch für uns sprechen, Europa war es, das Sklaven im grossen Stil nachgefragt hat …

Benin war bereits zu vorkolonialer Zeit eine Sklavenjäger-, -halter- und -händlergesellschaft im innerafrikanischen Handel. Die Nachfrage hat zweifellos das «Angebot» angekurbelt. Aber die grundlegende Idee, Menschen als Ware zu verkaufen oder sie im Königskult zu töten, war schon da.

Sie kritisieren, die Schweiz, ganz Europa würden die Rückgabe von Raubgut eilfertig behandeln, um davon abzulenken, dass unsere neoliberale Wirtschaft weiterhin auf Ausbeutung von Menschen und Ressourcen beruhe?

Aus meiner Sicht lenkt die selbstzufriedene sogenannte Restitutionsdiskussion davon ab, zu sehen, was gegenwärtig abläuft. Es sind weniger Staaten, die diese Ausbeutung heute fortführen, sondern multinationale Konzerne und Banken. Sie bleiben fast unsichtbar und sind kaum greifbar.

Sie sagen auch, Restitution sei verantwortungslos, weil in den meisten ehemaligen Kolonien keine sicheren Museen existierten. Das ist doch die Fortsetzung der Herrenmenschensicht!

Nein, das habe ich nie gesagt! Was ich geschrieben habe, ist das Resultat einer Recherche: Das Nationalmuseum in Lagos, der ehemaligen Hauptstadt Nigerias, besass bei der Unabhängigkeit, wie nigerianische und euroamerikanische Wissenschafter festhielten, die drittbeste und -grösste Benin-Sammlung weltweit – notabene von britischen Kolonialbeamten zusammengetragen und sorgfältig registriert. Das müssten ungefähr 400 Objekte gewesen sein. Inzwischen gibt es eine digitale Benin-Datenbank in Hamburg mit allen Benin-Objekten weltweit. In dieser Datenbank überprüfte ich den jetzigen Bestand des Nationalmuseums und stellte fest, dass dort nur noch 80 Objekte vorhanden sind – zudem äusserst mangelhaft erfasst und dargestellt.

Daraus ziehen Sie welche Schlüsse?

Nigeria pocht seit Jahrzehnten auf die Rückführung sämtlicher Benin-Bronzen und argumentiert unter anderem mit «gestohlener Geschichte» und «gestohlener Identität». Hätte denn Nigeria – die stärkste Ökonomie Afrikas – sich nicht zuerst um den Erhalt und die Pflege seiner eigenen Museumssammlungen kümmern müssen, wenn diese Objekte so wichtig sind? Wo sind denn diese Objekte geblieben? Zudem: Der vormalige Staatspräsident hat in einem autokratischen Akt sämtliche, auch die noch zu restituierenden Objekte dem «König» von Benin als Privateigentum übertragen.

Was schlagen Sie vor?

Die Benin-Bronzen sind Weltkulturerbe, denn sie verkörpern weltweite ökonomische, politische und kulturelle Verflechtungen seit dem 15. Jahrhundert. Es kann deshalb weder eine einzelne Institution, einen einzelnen Staat und schon gar nicht eine Privatperson als Eigentümer geben, sondern «shared heritage», gemeinsam getragene Vieleigentümerschaft und Verantwortung. Dazu müssen neue Wege beschritten werden. Hinzu kommt: Die heutige Benin-Elite leugnet Sklavenhandel und Menschenopfer. Es sei alles eine koloniale Lüge. Und die Benin-Initiative Schweiz schweigt dazu. Mehr noch: Sie hat beschlossen, alle von den Briten konfiszierten Objekte in Schweizer Museen dem «König» zurückzugeben, also am Staat vorbei.

Ihre Bilanz ist also: Die Schweizer Kulturpolitik ist zwar wohlmeinend, aber sie ist auch geschichtsblind?

Man hofiert mit den Nachfahren der Sklavenhändler, die mit den Reichtümern beschenkt werden sollen, die erst durch deren Menschenhandel möglich wurden. Soll die Schweiz Feudalismus in Nigeria fördern?

Museum Rietberg Zürich: «Wege der Kunst. Wie die Objekte ins Museum kommen», bis 24. März 24



Zur Person

Die Kritikerin der offiziellen Restitution
Brigitta Hauser-Schäublin (*1944 in Basel) gilt als massgebende Ethnologin im Bereich der Theorien über kulturelles Eigentum. Die emeritierte Schweizer Professorin der Universität Göttingen plädiert dafür, dass ethnologische Objekte in europäischen Museen mehr sind als Raub- oder Beutegut, sondern historische Archive, die der Menschheit gehörten. Hauser-Schäublin publiziert ihre Expertise in den führenden deutschen Medien. (M. D.)
(https://www.aargauerzeitung.ch/kultur/restitutionskritik-wir-reden-uns-das-opfer-taeter-bild-schoen-benin-war-ein-volk-von-sklavenjaegern-die-expertin-brigitta-hauser-schaeublin-verurteilt-die-selbstzufriedene-schweizer-restitutionspolitik-ld.2550282)