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+++LUZERN
luzernerzeitung.ch 10.11.2023
Angebliche Hungerstreiks und eingeschlossene Personen: Luzerner Gruppierung verlangt Schliessung aller Bundesasylzentren
Die Luzerner Gruppierung Resolut behauptet, es gebe Hungerstreiks auf dem Glaubenberg und es würden Personen in den Zimmern eingeschlossen. Der Bund dementiert energisch.
Philipp Unterschütz
«Menschen, die vor Krieg, Armut, Klimakatastrophen und anderem Elend fliehen, muss eine Perspektive geboten werden. Sie dürfen nicht fernab der Gesellschaft abgeschottet werden. Wir fordern die Möglichkeit zur Integration statt Isolation!» Deshalb müssten die Bundesasylzentren jetzt geschlossen werden. Nicht nur auf dem Glaubenberg. Diese Forderung stellt die Luzerner Gruppe Resolut auf ihrer Website und hat den Text dazu auch als Medienmitteilung verschickt. Die Gruppe behauptet, dass im Bundesasylzentrum (BAZ) auf dem Glaubenberg die Bewohnerinnen und Bewohner in den Zimmern eingeschlossen würden und nichts zu essen bekämen. «Viele von ihnen sind verängstigt. Sie sagen, dass das Bundesasylzentrum Glaubenberg kein sicherer Ort ist. Mehrere befinden sich in einem Hungerstreik», behauptet Resolut.
Das Staatssekretariat für Migration (SEM) schreibt auf Anfrage zu diesen Aussagen, es stimme schlicht und einfach nicht, dass Asylsuchende ohne Essen in ihren Zimmern eingeschlossen würden. «Es gibt auch keinen Hungerstreik auf dem Glaubenberg. Es war tatsächlich und verständlicherweise so, dass einige Familien nach den Auseinandersetzungen verunsichert waren. Sie haben eine Mahlzeit ausgelassen. Nach einem Gespräch mit dem Betreuungsdienst haben sie sich aber wieder beruhigt und ernähren sich seither wieder völlig normal.»
Resolut will den Text auf ihrer Website trotzdem nicht anpassen. Adrian Muheim (33), Mitglied der Gruppe, sagt, man habe die Informationen direkt von Bewohnenden via SMS erhalten. «Wir vertrauen ihnen mehr als dem SEM.» Aus welchen Ländern die Informanten stammen, weiss er nicht, sie hätten den Kontakt «über gemeinsame Freunde». Im BAZ selber war die Gruppe noch nie, sie kritisiert, keinen Zutritt zu bekommen.
Unterbringung nach Bedürfnis und Wünschen
«Wir stehen den Bundesasylzentren schon lange kritisch gegenüber», hält Resolut in ihrer Mitteilung fest. Die neusten Ausschreitungen und die Berichte, dass die Kapazität sogar noch erhöht werden soll, hätten das Fass zum Überlaufen gebracht. «Wir fordern deshalb die sofortige Schliessung der Bundesasylzentren. Schutzsuchende sollen nach ihren Bedürfnissen und Wünschen untergebracht werden.» Adrian Muheim ist sich im Klaren, dass eine solche Forderung nicht mehrheitsfähig ist. «Das heisst aber nicht, dass sie falsch ist.» Nach ihren «Bedürfnissen und Wünschen» meine nicht, dass sich die Leute eine Unterkunft aussuchen dürften. «Es geht darum, dass sie sich beispielsweise die Unterbringung in einer Region wünschen können, wo sie schon Kontakte wie Freunde oder Familie haben.» Es brauche verschiedene Einrichtungen, für viele Menschen sei es schädlich, keinen Zugang zur Gesellschaft zu haben, weil sie in abgelegenen Gebieten untergebracht seien. Viele hätten aufgrund von Flucht und Vertreibung psychische Probleme.
Das «inhumane Gettoisieren von Menschen in abgelegenen Gegenden» habe schon lange versagt, heisst es weiter in der Mitteilung. «Immer wieder kommt es zu Spannungen oder Auseinandersetzungen in den Bundesasylzentren.» Es würden zu viele Leute aus zu vielen Teilen der Welt auf zu wenig Platz untergebracht, ist Adrian Muheim überzeugt. «Man sollte nicht Volksgruppen, die sowieso schon Konflikte haben, zusammenpferchen.» Wenn die Schweiz guten Willen zeigen würde, seien bessere Lösungen möglich. «Die ukrainischen Flüchtlinge hat man ja auch in den Städten unterbringen können. Wir wünschen uns, dass alle Asylsuchenden wie die Ukrainer behandelt werden und den Schutzstatus S erhalten. Die jetzige Aufteilung ist ungerecht.»
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Wer ist Resolut?
Auf ihrer Website beschreibt sich Resolut als Gruppe von Personen, die wollen, dass in der Region Zentralschweiz wieder mehr politische Aktionen stattfinden. «Unser gemeinsames Ziel ist es, einen revolutionären Prozess loszutreten und eine solidarische, emanzipierte Gesellschaft mit aufzubauen, welche zurzeit durch die herrschenden Umstände – sprich den Kapitalismus und die nationalstaatliche Ordnung – verunmöglicht wird.» Laut Adrian Muheim hat Resolut Luzern derzeit 15 bis 20 aktive Mitglieder.
(https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/obwalden/obwaldenluzern-resolut-verlangt-die-bundesasylzentren-muessen-geschlossen-werden-ld.2538738)
+++SCHWEIZ
Rückführungs- und Ausweisungsbestrebungen müssen verstärkt werden
Die Staatspolitische Kommission des Nationalrates (SPK-N) hat Anhörungen durchgeführt zu vier Motionen des Ständerates, die sich alle mit der Ausweisung und Rückführung von Asylsuchenden befassen, insbesondere mit den Schwierigkeiten aufgrund der mangelnden Kooperationsbereitschaft bestimmter Herkunftsländer bei der Rücknahme ihrer Staatsangehörigen. Die Kommission beantragt die Annahme der Motion, welche von Italien die Einhaltung des Dublin-Abkommens verlangt, die Anpassung der Motion, welche eine «Rückführungsoffensive» fordert, und die Ablehnung der beiden Motionen zu Algerien und Eritrea.
https://www.parlament.ch/press-releases/Pages/mm-spk-n-2023-11-10.aspx
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/abgewiesene-asylbewerber-sollen-besser-ausgeschafft-werden-konnen-66647582
Umstrittene Asylideen: Eritreer sollen nicht nach Ruanda ausgeschafft werden
Das Parlament diskutiert über Asyl-Deals mit Drittstaaten. Nun dürfte ein Vorschlag der FDP im Nationalrat durchfallen. Gute Chancen hat dagegen ein Anliegen der SVP.
https://www.derbund.ch/eritrea-nationalraete-halten-nichts-von-asyl-deals-933559765612
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nzz.ch 10.11.2023
Brennpunkt Bundesasylzentren: Politiker streiten über härteres Vorgehen gegen renitente Asylsuchende
Gewalt, Delikte und Randale nehmen zu in den Asylzentren des Bundes. Nun sollen sie mehr Kompetenzen bekommen.
Irène Troxler
Die Bilder von der Mittelmeerinsel Lampedusa, auf der viele Flüchtlinge nach der Fahrt übers Mittelmeer landen, sind noch präsent. Auch die Schweiz bekommt die Folgen der hohen Migrationszahlen zu spüren. In Basel hat jüngst sogar die traditionell migrationsfreundliche SP dem Regierungsrat kritische Fragen zum Thema Sicherheit gestellt. Der dortige Brennpunkt ist die Dreirosenanlage in Kleinbasel. Häufig seien junge Männer aus den Maghreb-Staaten polizeilich auffällig, die im benachbarten Bundesasylzentrum wohnten, schreibt der Regierungsrat in seiner am 1. November publizierten Antwort und ergänzt, er habe grosses Verständnis für die Sorgen der Bevölkerung. Diese ist mit Gewalttaten, Eigentumsdelikten und Drogenhandel konfrontiert.
Noch exponierter als Basel ist die Grenzstadt Chiasso, da die meisten Migranten derzeit von Süden her in die Schweiz einreisen. Das dortige Bundesasylzentrum beherbergt heute fast doppelt so viele Flüchtlinge wie ursprünglich vorgesehen. Bruno Arrigoni, der Gemeindepräsident von Chiasso, sagt, seit Anfang Jahr sei die Polizei 570 Mal ausgerückt – das entspricht rund zwei Einsätzen pro Tag.
Ratlose Bundesrätin
Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider hat Chiasso kürzlich einen lange ersehnten Besuch abgestattet. Konkrete Lösungsvorschläge für die Probleme der Grenzstadt konnte die Justizministerin allerdings nicht präsentieren. Zwar kündigte sie intensivere Sicherheitsmassnahmen an. Bei der Frage, was mit Asylsuchenden geschehen solle, die wegen eines Delikts kurz im Untersuchungsgefängnis waren und danach ins Bundesasylzentrum zurückkehrten, wirkte sie dann aber etwas ratlos. Man müsse ihnen klarmachen, dass sie eine Grenze überschritten hätten, sagte die Bundesrätin. Wie das gehen soll, liess sie offen.
Prompt griff die FDP die Justizministerin auf der Plattform X frontal an: Man habe ein Instrument vorgeschlagen, das Bundeszentren Administrativhaft für abgewiesene Asylbewerber ermöglichen würde. «Das EJPD hat es abgelehnt!», schrieb die Partei. Sie bezog sich auf einen Vorstoss, den der Ständerat kürzlich gutgeheissen hat – entgegen der Empfehlung des Bundesrats und des Departements von Baume-Schneider. Abweichende Meinungen wurden im Rat nicht geäussert. Der Vorstoss fand mit 26 zu 12 Stimmen eine deutliche Mehrheit.
Eine klare Botschaft an die Unruhestifter
Es geht dabei um ein Postulat des FDP-Ständerats Damian Müller. Er will den Leitungen der Bundesasylzentren künftig die Kompetenz geben, eine Administrativhaft anzuordnen. Diese Art der Haft ist gemäss Asylgesetz beispielsweise dann möglich, wenn jemand droht, sich einer Wegweisung zu entziehen.
Müller hält fest, es gehe ihm darum, die Position der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundesasylzentren zu stärken. Wenn die Zentrumsleitung die Macht habe, eine Administrativhaft, also beispielsweise eine Ausschaffungshaft, anzuordnen, werde sie von den Asylsuchenden, insbesondere den Unruhestiftern, mehr respektiert. Zwar handle es sich dabei um eine kleine Gruppe. Doch genau bei dieser sei es wichtig, klare Botschaften aussenden zu können, sagt Müller. Bei seinem Besuch im Zentrum Chiasso hätten Mitarbeitende den Wunsch nach mehr Kompetenzen im Umgang mit Problemfällen geäussert. Zudem könne man so die Rückführungen effizienter gestalten.
Heute sind die Kantone zuständig für die Anordnung einer Administrativhaft. Die Bundesasylzentren hingegen werden vom Bund betrieben, genauer vom Staatssekretariat für Migration (SEM). Vor dem Jahr 2019 besass auch das SEM diese Kompetenz. Im Rahmen einer Asylgesetzrevision wurde sie dann vom SEM zu den Kantonen verschoben. Es ginge also um eine Rückverlagerung.
Im Vorfeld dieser Revision habe das SEM die Zuständigkeiten mit den Städten, Kantonen und Gemeinden geprüft, schreibt der Bundesrat in seiner Stellungnahme zu Müllers Vorstoss. Alle hätten sich damals für die Kantonslösung ausgesprochen, weil die Kantone auch für den Vollzug der Wegweisungen zuständig seien. Baume-Schneider argumentierte vor dem Ständerat auch, es drohe Rechtsunsicherheit, wenn Bund und Kantone Administrativhaft anordnen könnten und dagegen bei unterschiedlichen Instanzen Berufung eingelegt werden könne. Müller entgegnete darauf, die letzte Rekursinstanz sei in beiden Fällen das Bundesgericht. Damit sei für Rechtssicherheit gesorgt.
Die Migrationsströme seien gross und die Rückführung von Wirtschaftsmigranten müssten schnell erfolgen, findet Müller. Daher wolle er den Bundesasylzentren ermöglichen, abgewiesene Asylsuchende direkt von den Zentren aus in Ausschaffungshaft zu nehmen. Er verlange nicht, zur gleichen Regelung wie vor 2019 zurückzukehren. Aber der Bundesrat solle eine zielführende Lösung erarbeiten.
Da der Ständerat das Postulat überwiesen hat, muss der Bundesrat den Vorschlag nun genauer prüfen. So hat Baume-Schneider nochmals eine Chance, eine klare Antwort auf die Sorgen der Einwohner im Städtchen Chiasso zu liefern.
(https://www.nzz.ch/schweiz/brennpunkt-bundesasylzentren-politiker-streiten-ueber-haerteres-vorgehen-gegen-renitente-asylsuchende-ld.1764917)
+++GRIECHENLAND
»Wenn die Behörden Rettungsmaßnahmen ergriffen hätten, wären die Menschen noch am Leben«
Seit dem Schiffsunglück von Pylos mit mehr als 600 Toten ist bei unserer griechischen Partnerorganisation »Refugee Support Aegean« (RSA) vieles anders. Natassa Strachini von RSA erklärt, wie die Kolleg*innen vor Ort Überlebende und Hinterbliebene unterstützen und an ihrer Seite für die Aufklärung des Unglücks kämpfen.
https://www.proasyl.de/news/wenn-die-behoerden-rettungsmassnahmen-ergriffen-haetten-waeren-die-menschen-noch-am-leben/
++++GASSE
Immer mehr Menschen besuchen die Gassenküche in St.Gallen
Mit der anhaltenden Teuerung besuchen deutlich mehr Menschen die Gassenküche in der Stadt St.Gallen. Bereits letzten Winter haben sich viele neu von Armut betroffene Menschen dort verflegt, nun werde man erneut regelrecht überrennt, sagen die Verantwortlichen. (ab 02:16)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-ostschweiz/immer-mehr-menschen-besuchen-die-gassenkueche-in-st-gallen?id=12485286
+++DEMO/AKTION/REPRESSION
BE:
Medienmitteilung:
Samstag, 18.November 2023 – 14 Uhr Umzug mit Redebeiträgen durch die Innenstadt (noch nicht bewilligt, Gesuch eingereicht)
Demo gegen das Demoverbot in der Stadt Bern – für Frieden, Gerechtigkeit und Meinungsäusserungsfreiheit!
Besammlung: Schützenmatte, Bern
Gegen die Beschneidung der Grundrechte!
Der Gemeinderat der Stadt Bern hat beschlossen, vom 17. November bis 24. Dezember ein Verbot von Umzügen und Grosskundgebungen für die Berner Innenstadt auszusprechen. Die Alternative Linke ist empört über diese Beschneidung unserer Grundrechte. Die Begründung des RGM-dominierten Gemeinderats ist skandalös: weil «mit der Adventszeit verschiedene bewilligte Weihnachtsmärkte sowie andere Winteranlässe bevorstehen», sollen sichtbare Kundgebungen – für eine lebendige Demokratie elementare Grundrechte – pauschal verboten werden.
Für Frieden, Gerechtigkeit und Meinungsäusserungsfreiheit!
Gerade in Zeiten, in denen vieles im Umbruch ist und die Weltlage Grund zu Sorge, Trauer und Verzweiflung gibt, ist es umso wichtiger, dass diese Gefühle auch kollektiv und öffentlich ausgedrückt werden können.
Insbesondere Bevölkerungsgruppen, die aufgrund ihrer Herkunft von kriegerischen Auseinandersetzungen direkt betroffen sind, müssen die Möglichkeit haben ihre politischen Haltungen öffentlich kundzutun. Die freie Meinungsäusserung ist einer der Grundpfeiler einer freien Gesellschaft. Wenn dieses Recht beschnitten wird, können sich nur noch privilegierte Menschen in der Öffentlichkeit politisch zu Wort melden. Diese autoritären Tendenzen gilt es zu bekämpfen.
Darum wollen wir am 18. November gemeinsam auf die Strasse gehen. Weil das Streben nach Frieden und Gerechtigkeit universell ist, wünschen wir uns, dass an der Demo identitäre Symbole (zum Beispiel Nationalfahnen oder ähnliches) zu Hause gelassen werden und stattdessen Banner und Schilder mitgebracht werden, die den Wunsch nach Frieden und Gerechtigkeit ausdrücken.
Alternative Linke Bern, 10. November 2023
-> https://www.telebaern.tv/telebaern-news/demo-gegen-das-demoverbot-154817752
-> https://www.baerntoday.ch/bern/stadt-bern/alternative-linke-bern-man-muss-politische-meinungen-aeussern-duerfen-154817790?autoplay=true&mainAssetId=Asset:154817773
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nzz.ch 10.11.2023
«Sollen wir Herrn Macron mit der Begründung, es finde eine Demo statt, wieder ausladen?»
Die Stadt Bern will nach der Palästina-Kundgebung vom vergangenen Samstag bis Weihnachten keine weiteren Demonstrationen mehr in der Innenstadt. Reto Nause, der städtische Sicherheitsdirektor, stellt sich der Kritik, dadurch die Grundrechte einzuschränken.
Georg Häsler, Bern
Herr Nause, Bern ist die Stadt mit der grössten Demo-Erfahrung der Schweiz. Was ist passiert, dass ausgerechnet Bern alle Kundgebungen in der Innenstadt bis Weihnachten verbieten will?
Wir haben kein Verbot, jedoch vorübergehende Einschränkungen in der Innenstadt beschlossen. Mit bereits drei Pro-Palästina-Kundgebungen sowie zwei Pro-Israel-Mahnwachen hat die Stadt Bern die Meinungsäusserungsfreiheit hochgehalten. Es gibt aber kein Recht, im Wochenrhythmus zum gleichen Thema Kundgebungen abzuhalten.
Der Staatsrechtsprofessor Andreas Stöckli sagte in der NZZ, es seien belastbare Hinweise auf eine konkrete Gefahr notwendig, wenn die Behörden das Grundrecht auf Demonstrationen einschränken wollten. Hat die Stadt Bern solche Hinweise?
Wir erwarten einen Staatsbesuch, dazu kommt ein Hochrisikospiel gegen Belgrad, die Weihnachtsmärkte werden eröffnet, und der Zibelemärit zieht über die Landesgrenzen hinweg grosse Menschenmassen an. Aufgrund dieser ausserordentlichen Belastung steht die Innenstadt schlichtweg nicht mehr zur Verfügung. Ausserdem haben wir anlässlich der letzten Pro-Palästina-Kundgebung diverse Personen mit radikalen Emblemen gesehen. Da droht die Stimmung schnell zu kippen.
Sie haben die Demonstration am vergangenen Samstag beobachtet. Es wurde Französisch, Arabisch, aber kaum Deutsch gesprochen. Wie haben Sie die Kundgebung erlebt?
Sehr emotional, die Stimmung war aufgeladen. Als die Polizei in der Menge eingreifen musste, kam es zu heiklen Szenen.
Was wäre denn das schlimmste Szenario? Ein Terroranschlag auf einen Weihnachtsmarkt?
Darüber mag ich nicht spekulieren.
Zürich verbietet die Demonstrationen zum Nahen Osten nicht.
Wir können keine Grosskundgebungen im Innenstadtperimeter für einen absehbaren Zeitraum bewilligen. Für kleinere Aktionen wie Mahnwachen oder Aktionen auf anderen Plätzen können Gesuche eingereicht werden.
Kritiker in Bern sagen, der Weihnachtsverkauf sei der Stadt wichtiger als ein Grundrecht.
Es geht darum, dass wir die Innenstadt mit Weihnachtsmärkten, Hochrisikofans, seit langem bewilligten Veranstaltungen und einem Staatsbesuch belegt haben. Sollen wir Herrn Macron mit der Begründung, es finde eine Demo statt, wieder ausladen? Zudem ist auch die Wirtschaftsfreiheit ein Grundrecht. Bei so vielen Kundgebungen wird sie massiv eingeschränkt.
Ein Argument des Kundgebungsverbots lautet, die Polizei sei an ihrer Belastungsgrenze. Die Absage von Fussballmatchs, die regelmässig ein hohes Aufgebot auslösen, wurde aber nie diskutiert.
Bislang konnten wir die Fülle an Ereignissen bewältigen. Wenn aber im Wochenrhythmus Grossaufgebote auf absehbare Zeit nötig würden, stossen wir an die Grenze unserer Belastbarkeit.
Bern hatte auch während der Corona-Pandemie über eine gewisse Zeit ein Demo-Verbot, das damals mit den Distanzregeln begründet worden ist. Dennoch wurde der Kanton zurückgepfiffen. Riskieren Sie bewusst eine juristische Auseinandersetzung?
Danach suche ich nicht. Mir liegen die Sicherheit der Berner Bevölkerung und die Nutzung des öffentlichen Raums für alle am Herzen.
(https://www.nzz.ch/schweiz/zitat-reto-nause-ld.1765137)
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ZH:
Zürcher City Vereinigung kritisiert, dass die Stadt Zürich am Samstag gleich zwei Demonstrationen im Zusammenhang mit dem Krieg im Nahen Osten bewilligt. (ab 02:47)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/vier-von-fuenf-einbuergerungsgesuche-werden-digital-eingereicht?id=12485256
Lockerung der Bewilligungspflicht: Karin Rykart will nicht mehr über «Demonstratiönchen» entscheiden müssen
Die Zürcher Stadträtin reagiert auf die an sie gerichtete Kritik, die wegfallende Bewilligungspflicht für kleine Demonstrationen führe zu Problemen.
https://www.tagesanzeiger.ch/lockerung-der-bewilligungspflicht-in-zuerich-karin-rykart-will-nicht-mehr-ueber-demonstratioenchen-entscheiden-muessen-567837864489
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nzz.ch 10.11.2023
Weshalb sich die Staatsanwaltschaften mit Verfahren gegen aggressive Anti-Israel-Parolen schwertun: «Antisemitismus ist nicht automatisch strafbar»
«Free Palestine from the river to the sea» – dieser Slogan ist bei Anti-Israel-Demos regelmässig zu sehen. Weil die Parole die Auslöschung Israels impliziert, gilt sie als antisemitisch. Doch ist sie auch strafbar?
Daniel Gerny
Die antiisraelischen Demonstrationen in den Schweizer Städten werden zum Politikum. So will die Stadt Bern bis Weihnachten keine Grosskundgebungen mehr bewilligen. Bereits unmittelbar nach dem Hamas-Überfall vom 7. Oktober hatten verschiedene Städte aus Sicherheitsgründen ein Demo-Verbot ausgesprochen. Die Lage ist angespannt. Auch der Zürcher Sicherheitsdirektor Mario Fehr unterstützt solche Verbote.
Zum Unmut tragen nicht zuletzt antisemitische und antisemitisch konnotierte Vorfälle bei. So wurde im Vorfeld einer Demo in Zürich ein Flyer verteilt, der Israel als Teil eines palästinensischen Staates zeigte, kombiniert mit einem Slogan für ein «freies Palästina». Eine darauf eingegangene Strafanzeige wird derzeit geprüft, wie die Staatsanwaltschaft mitteilte. In Bern und in Basel gingen ebenfalls Strafanzeigen ein, wegen der Parole «Free Palestine from the river to the sea», die als antisemitisch gilt.
Die PLO hatte diese Formulierung in den 1960er Jahren in Umlauf gebracht. Umschrieben wird damit die territoriale Forderung nach einem palästinensischen Staat vom Fluss Jordan bis zum Mittelmeer. Das Gebiet umfasst auch das heutige Israel und kann damit implizit als Aufruf zu dessen Auslöschung und zur Vertreibung von Jüdinnen und Juden aus ihrem Land verstanden werden. Im Kontext mit dem Terrorangriff der Hamas schwingt in der Forderung «From the river to the sea» zudem eine Drohung mit.
Basler Staatsanwaltschaft prüft Verfahren
In Berlin wollen Polizei und Staatsanwaltschaft diese Parole deshalb als strafbar einordnen. Gefordert wird zudem ein ausdrückliches Verbot der Formulierung. In der Schweiz halten sich die Behörden dagegen bis anhin zurück. Zwar hat auch die Berner Polizei am Samstag Transparente mit antisemitischen Parolen beschlagnahmt. Und die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt will ausserdem abklären, «ob einzelne gezeigte oder skandierte Parolen strafbar sind». Dies bestätigt Martin Schütz, Informationschef der Basler Staatsanwaltschaft, auf Anfrage.
Die juristischen Abklärungen seien allerdings nicht einfach, erklärt Schütz. Die Basler Staatsanwaltschaft will in den nächsten Tagen informieren. Tatsächlich scheint nicht einmal klar, welcher Straftatbestand überhaupt zur Anwendung kommen könnte. Auf den ersten Blick drängt sich die Antirassismus-Strafnorm in Artikel 261bis des Strafgesetzbuches auf. Sie wurde vor bald zwanzig Jahren nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Judenverfolgung vor dem und im Zweiten Weltkrieg eingeführt und soll der Diskriminierung und dem Aufruf zum Hass entgegenwirken.
Doch es ist mehr als fraglich, ob Anti-Israel-Parolen ebenfalls unter die Strafnorm fallen. Die Bestimmung wurde mit Rücksicht auf die Meinungsäusserungsfreiheit bewusst eng gefasst. So ist in der Schweiz sogar das Tragen des Hakenkreuzes nicht strafbar, sofern damit nicht die Absicht verbunden ist, für eine entsprechende Ideologie zu werben oder Angehörige einer Ethnie, Rasse oder Religion herabzusetzen. Seit Jahren streiten die eidgenössischen Räte darüber, ob dies korrigiert werden soll.
«Existenzrecht eines Landes darf bestritten werden»
Der Freiburger Strafrechtsprofessor Marcel Niggli, Autor eines Kommentars zum Thema, geht deshalb vorsichtig davon aus, dass die Formulierung «From the river to the sea» von der Antirassismus-Strafnorm nicht erfasst wird. Die Parole sei zwar als deutlich antisemitisch zu qualifizieren, erklärt er gegenüber der NZZ. Dennoch sei die Parole für sich allein strafrechtlich wohl eher nicht relevant, meint Niggli – auch wenn damit de facto das Existenzrecht Israels bestritten werde. Es sei strafrechtlich zulässig, das Existenzrecht eines Staates zu bestreiten – auch jenes der Schweiz.
Zwar bestehe bei Israel ein enger Konnex zur Ethnie und insofern zu einer durch Art. 261bis StGB geschützten Gruppe. Aber selbst in Israel seien nur etwa 80 Prozent der Bevölkerung jüdischer Ethnie oder jüdischen Glaubens. Das bedeutet laut Niggli, dass jede Behauptung, die Parole richte sich gegen den Staat und nicht gegen seine Bevölkerung, schwer zu widerlegen ist. «Antisemitismus ist eben ebenso wie Fremdenfeindlichkeit nicht strafbar, solange nicht die Minderwertigkeit einer Gruppe oder deren Minderberechtigung behauptet wird», bilanziert Niggli.
Doch es gibt eine zweite Strafnorm, die von der Basler Staatsanwaltschaft geprüft wird – jene gegen die öffentliche Aufforderung zu Verbrechen oder zur Gewalttätigkeit (Art. 259 StGB). Die Bestimmung soll den öffentlichen Frieden schützen, der durch einen Aufruf zu Verbrechen oder Gewalt gefährdet wird. Tatsächlich kann der Slogan «Free Palestine from the river to the sea» so verstanden werden, dass der Staat Israel mit Gewalt ausgelöscht und die Bevölkerung vertrieben werden solle.
«Gewaltaufruf muss eindeutig sein»
Nach Ansicht von Felix Bommer, Strafrechtsprofessor an der Uni Zürich, fehlt es dabei allerdings an Eindeutigkeit. «In der betreffenden Aussage wird ein Ziel formuliert, nicht aber beschrieben, wie dieses erreicht werden soll», erklärt er. Von Eindeutigkeit könne nicht ausgegangen werden, wenn man eine Äusserung objektiv auch anders denn als Aufforderung zu Verbrechen oder Gewalt verstehen könne. Der Slogan könne theoretisch auch als Wunsch nach einer Einstaatlösung verstanden werden, sagt Bommer: «Eine solche Forderung ist politisch zwar kaum realistisch, aber dennoch erlaubt.»
Zudem müsse einem Beschuldigten ein Vorsatz nachgewiesen werden können, so Bommer. Also dass die Person mit einem «From the river to the sea»-Transparent wissentlich zur Gewalt aufrufen und diese auch tatsächlich anwenden wolle. Auch dieser Nachweis dürfte nach Ansicht von Bommer nicht einfach zu erbringen sein. Viele Demonstranten hätten zumindest zu Beginn der Demos wohl nicht einmal die Tragweite solcher Parolen gekannt. Bommer bezweifelt deshalb, dass ein Verfahren im Zusammenhang mit der Parole vor Gericht Erfolg hätte.
Es ist dennoch nicht ausgeschlossen, dass die Gerichte darüber befinden müssen, wo die Grenze zu strafbarem Antisemitismus liegt. Sollten die Staatsanwaltschaften zu dem Schluss kommen, dass eine Verurteilung denkbar ist, sind sie zu Ermittlungen von sich aus verpflichtet: Sowohl bei Art. 259 als auch bei Art. 261bis StGB handelt es sich um Offizialdelikte.
(https://www.nzz.ch/schweiz/antsemitismus-nicht-automatisch-strafbar-ld.1764700)
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Demo-Verbot: Was bringen Demonstrationen eigentlich?
Was bringt es eigentlich, zu demonstrieren? Wann ist eine Demonstration erfolgreich, was braucht es, um die Massen zu bewegen? News Plus geht den grundsätzlichen Fragen nach – in einer Woche, in der grundsätzliche Fragen zur Meinungs- und Versammlungsfreiheit diskutiert worden sind.
https://www.srf.ch/audio/news-plus/demo-verbot-was-bringen-demonstrationen-eigentlich?id=12485601#autoplay
++REPRESSION DE
»Schwerer Angriff auf die Versammlungsfreiheit«
Neuer Rondenbarg-Prozess gegen G20-Gegner. Bloße Teilnahme an der Demonstration im Mittelpunkt. Gespräch mit Gesine Schwarz
https://www.jungewelt.de/artikel/462929.repression-nach-g20-gipfel-schwerer-angriff-auf-die-versammlungsfreiheit.html
+++KNAST
solothurnerzeitung.ch 10.11.2023
Chronisch überbelegt, zu kleine Zellen, wenig Tageslicht: Nirgendwo im Kanton ist das Haftregime härter als dort, wo (noch) Unschuldige sitzen
Im Untersuchungsgefängnis Olten leben 36 Gefangene auf engem Raum. Die Zustände wurden schon von der Anti-Folter-Kommission kritisiert. Ein Blick hinter die Zellentüren zeigt, dass es Kuscheljustiz hier gewiss nicht gibt.
Denise Donatsch
Ein plastifiziertes Bett und eine stählerne Toilette mit Lavabo sind alles, was es gibt. Der Boden und die Wände sind mit Kacheln ausgestattet wie in einem Badezimmer. Fällt der Blick dann noch von der Zelle aus auf die Türe, welche auf der Innenseite keine Falle hat, können einen durchaus klaustrophobische Panikgefühle überkommen. Es wird klar: Wer hier drinsitzt, hat jegliches Recht auf Selbstbestimmung verloren und ist von nun an zu 100 Prozent von den Entscheidungen anderer abhängig.
Eng und bedrückend ist die Atmosphäre im Untersuchungsgefängnis Olten. Kein Wunder – das 1964 erbaute Gebäude bietet heute noch gleich viel Platz wie vor 60 Jahren. Dabei haben sich die gesellschaftlichen Parameter signifikant geändert: Die Schweizer Bevölkerung hat – auch im Kanton Solothurn – deutlich zugenommen, was zur Folge hat, dass absolut gesehen auch mehr straffällige Personen hierzulande leben.
Diese müssen in einem ersten Schritt im Untersuchungsgefängnis untergebracht werden können. «Nicht eine Zelle mehr haben wir als vor 60 Jahren», weiss Gefängnisleiter Hans Portner. Nämlich 10 Doppelzellen und 16 Einzelzellen. «Es ist Tag für Tag eine Übung, die Gefangenen unterzubringen.»
Auf viele Faktoren müsse Rücksicht genommen werden. Im Gefängnis habe es Jugendliche, die man nicht gleich behandeln könne wie Erwachsene. Dann müsse man Frauen von Männern trennen. Auch gebe es Kulturen, die nicht zusammen in einer Zelle einquartiert werden können, da es sonst zu Auseinandersetzungen käme. Überhaupt sei die Deeskalation eine Hauptaufgabe der Mitarbeitenden.
Trennung der Gefangenen ist erschwert
«Bei uns gibt es einige Haftformen, die eigentlich voneinander getrennt werden müssten», sagt Urs Rötheli, Abteilungsleiter Untersuchungsgefängnisse im Kanton Solothurn. Da wäre die 24-stündige Polizeihaft, in deren «Genuss» beispielsweise aufgegriffene Betrunkene kommen. In der karg eingerichteten Ausnüchterungszelle mit Sichtfenster – zum Schutz der Insassen vor Selbstverletzung – können sie ihren Rausch ausschlafen.
Aber auch Häftlinge im Strafvollzug gibt es im Untersuchungsgefängnis, also solche, die vom Gericht bereits verurteilt worden sind. Die chronische Überbelegung sei ein weiterer Punkt, welcher die vorgeschriebene Trennung der Gefangenen voneinander erschwert, erklärt Portner. Im Oktober war das Untersuchungsgefängnis phasenweise auch zu über 100 Prozent belegt. «Insgesamt hat es 55 Eintritte und 56 Austritte gegeben, es ist ein ständiges Kommen und Gehen», sagt Rötheli.
Und die Probleme beginnen bereits im Eingangsbereich. Dieser ist extrem schmal und alle – von den Verhafteten über die Mitarbeitenden bis zu den Besuchenden – müssen da durch. Dabei sollte ein Gefangener aus Datenschutzgründen nicht auf andere Personen treffen. Eine Bedingung also, die so nicht gewährleistet werden kann.
Das Platzproblem zeigt sich aber auch an anderen Orten. Für die Effekten der 36 Gefangenen gibt es ein winziges Räumchen, nicht grösser als ein Reduit. Die Küche ist gleichzeitig der Pausenraum für das Personal wie auch Ort für den täglichen Rapport. Manche Büros der Mitarbeitenden sind gleichzeitig Einvernehmungsräume.
Handys mit Drohnen reingeschmuggelt
«Die vorgeschriebene Grösse der Zellen können wir knapp nicht einhalten», so Portner. Mehr zu denken gebe das ungenügende Tageslicht in den Zellen. «Vorgeschrieben wäre eigentlich, dass eine inhaftierte Person bei Tag ohne künstliches Licht Zeitung lesen kann», erklärt Rötheli. Ein Ding der Unmöglichkeit. Die Fenster in Olten sind zwar gross genug, die Gitter sowie die viel feineren Schmuggelgitter machen die Räume aber düster.
Wenigstens gibt es in den Zellen einigermassen gemütlich aussehende Betten, Nachttischchen und Fernseher. Darüber hinaus ist das Angebot für die Gefangenen aber bedenklich mager. Ausserhalb der Zellen gibt es bloss den schmalen Gang. Dort dürfen sich jene Insassen, die sich vernünftig benehmen, in gewissen Zeitgefässen aufhalten. Zur Verfügung stehen ihnen gepolsterte Gewichte, um den Körper fit zu halten, oder eine kleine Bibliothek mit Büchern in 15 Sprachen.
Wer sich hingegen nicht an die Regeln hält oder neu ins Gefängnis eingetreten ist, darf die Zelle nur für eine Stunde am Tag verlassen, um auf dem Gefängnishof frische Luft zu schnappen. Darunter darf man sich aber keinen gemütlichen Spaziergang an der Sonne vorstellen: Der Hof misst in etwa 35 Quadratmeter, liegt auf dem Dach des sechsstöckigen Gebäudes und ist ummauert.
Manchmal halten sich dort bis zu sechs Personen auf. Die Sicht zum Himmel ist versperrt durch winzige Gitter. «Wir mussten das feine Gitter anbringen, da bereits versucht wurde, mittels Drohnen Handys hineinzuschmuggeln», erklärt Portner. Überhaupt müssten sie ständig an Sicherheitsmassnahmen nachrüsten.
Keine einfache Aufgabe, wenn man bedenkt, dass das Gefängnis am Rande eines Wohnquartiers direkt an einer viel befahrenen Strasse steht und jeden Morgen Kinder auf dem Weg zur Schule vorbeispazieren.
Ein Widerspruch in sich
Zusätzlich zu den 36 offiziellen Plätzen in den 26 Zellen gibt es drei Aufnahmezellen. Allein die Vorstellung, dort eingesperrt zu werden, lässt einen erschaudern. Hier gibt es keine Spur von der viel gescholtenen Schweizer Kuscheljustiz. Dabei gilt bis zur Verurteilung die Unschuldsvermutung. Dennoch gibt es in keiner anderen Institution ein härteres Regime als in der Untersuchungshaft – ein Widerspruch in sich. Immerhin: länger als drei Tage sollte kein Gefangener in einer Aufnahmezelle platziert werden.
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Neues Zentralgefängnis 2029
Dank dem Ja zum neuen Zentralgefängnis, über welches das Volk des Kantons Solothurn im Oktober abgestimmt hat, soll bis im Jahr 2029 in Deitingen ein zeitgemässer, wesentlich besser ausgestatteter Neubau entstehen. Doch bis dahin geht es noch sechs Jahre. Wie überbrücken? Denn Tatsache ist, dass sich weder Olten noch Solothurn an die heute geforderten Standards, welche Inhaftierten geboten werden müssten, halten können.
«In Olten und Solothurn sind die Platzreserven restlos ausgeschöpft», sagt Abteilungsleiter Urs Rötheli. Im Untersuchungsgefängnis Solothurn wären zwar noch kleinere Verbesserungen möglich. In Olten hoffe man darauf, Räume der Motorfahrzeugkontrolle übernehmen zu können, welche nach Wangen zieht. «Wir bleiben jedenfalls am Ball, um die Situation nach Möglichkeit zu verbessern.» (ddo)
(https://www.solothurnerzeitung.ch/solothurn/kanton-solothurn/besuch-hinter-gittern-chronisch-ueberbelegt-zu-kleine-zellen-wenig-tageslicht-nirgendwo-im-kanton-ist-das-haftregime-haerter-als-dort-wo-noch-unschuldige-sitzen-ld.2540058)
+++POLIZEI LU
Unterwegs mit der Nachtpatrouille der Luzerner Polizei
Die Luzerner Polizei ist Tag und Nacht im ganzen Kanton im Einsatz. Die Arbeit ist dabei sehr vielfältig. Vor allem im Nachtdienst erleben Polizistinnen und Polizisten einiges. Wir begleiteten im Rahmen unserer Polizeiserie ein Team in der Stadt Luzern.
https://www.tele1.ch/nachrichten/unterwegs-mit-der-nachtpatrouille-der-luzerner-polizei-154817569
+++POLICE VD
Unabhängige Kommission und Border Forensics kritisieren Staatsanwaltschaft im Fall der Tötung von Roger Nzoy Wilhelm und veröffentlichen unbeachtete Beweise
Der 38-jährige Zürcher Roger Wilhelm wurde am 30.8.2021 am Bahnhof Morges von einem Polizisten erschossen. Wilhelm wurde sechseinhalb Minuten lang auf dem Bauch liegengelassen, ohne dass die weiteren involvierten Polizist:innen Erste Hilfe leisteten. Trotzdem hat die Staatsanwaltschaft Kanton Waadt am 10. Oktober 2023 angekündigt, weder Tötung noch unterlassene Hilfeleistung zur Anklage zu bringen.
Mehr: https://nzoycommission.org/de/publikationen/pressemitteilung/
-> Pressemappe: https://nzoycommission.org/site/assets/files/1085/pressemappe_2023-11-10_fr_dt-1.pdf
-> https://www.toponline.ch/news/schweiz/detail/news/kritik-an-waadtlaender-staatsanwaltschaft-in-fall-von-polizeigewalt-00225157/
-> https://renverse.co/infos-locales/article/affaire-nzoy-dernieres-nouvelles-et-conference-de-presse-4235
-> Echo der Zeit: https://www.srf.ch/audio/echo-der-zeit/staatsanwaltschaft-erntet-kritik-im-fall-morges?partId=12485676
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/polizist-toetete-mann-in-morges-kritik-an-staatsanwaltschaft-wegen-verfahrenseinstellung
-> 10vor10: https://www.srf.ch/play/tv/10-vor-10/video/angehoerige-fordern-prozess-im-fall-nzoy?urn=urn:srf:video:a9f993cc-b442-44aa-8c90-535df4cbbfcd
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nzz.ch 10.11.2023
Kollektiv veröffentlicht Videomaterial von Nzoys Tod auf dem Perron – weil die Staatsanwaltschaft das Verfahren einstellen will
Der Fall ist politisch aufgeladen: 2021 griff der schwarze Zürcher in Morges einen Polizisten an und wurde niedergestreckt. Für Kritik sorgt insbesondere, dass ihm minutenlang keine Hilfe geleistet wurde.
Antonio Fumagalli, Lausanne
Es ist ein ungewöhnliches Dispositiv: Nicht weniger als elf Personen – unter anderem Anwälte, Mediziner, Angehörige – haben am Freitag in Lausanne zur Pressekonferenz geladen. Sie wollen die Ergebnisse ihrer eigenen Untersuchung zum Tod von Nzoy bekanntgeben. Dass die Waadtländer Staatsanwaltschaft das Verfahren einstellen will, ist für sie nicht hinnehmbar.
Es geht um einen Fall, der sich am frühen Abend des 30. August 2021 am Bahnhof Morges ereignet hat und in der Folge über die Kantons- und gar Landesgrenzen hinaus für Aufsehen sorgte. Der gebürtige Zürcher Roger Wilhelm, bekannt als Nzoy, trieb sich zur Stosszeit zwischen den Gleisen herum, psychisch sichtlich angeschlagen. Ein Bahnarbeiter konnte ihn kurz in ein Gespräch verwickeln – er fürchtete wohl, dass sich der 37-Jährige das Leben nehmen wollte.
Als die herbeigerufenen Polizisten aufs Perron kamen, eskalierte die Situation. Nzoy bedrohte die Polizisten mit einem Messer und rannte auf einen zu, obwohl dieser die Dienstwaffe gezückt hatte. Der Polizist drückte zweimal ab, doch Nzoy stand wieder auf und ging nochmals auf ihn zu. Der Polizist schoss ein drittes Mal. Nun blieb der Mann, den man im Zürcher Kreis 4 gut kannte, liegen.
Der Oberkörper bewegte sich
Für die «unabhängige Kommission zur Aufklärung der Wahrheit», wie sich das Kollektiv nennt, ist insbesondere stossend, was danach geschah. An der Pressekonferenz haben sie deshalb umfangreiches Video- und Audiomaterial, das aus den Akten der Staatsanwaltschaft stammt, veröffentlicht und «neu ausgewertet». Auf den Amateuraufnahmen – der Vorfall spielte sich vor einem gut gefüllten, stehenden Intercity-Zug ab – sieht man, wie Nzoy minutenlang am Boden lag und sich scheinbar nicht regte. Mit der Zoomfunktion erkennt man jedoch, dass sich sein Oberkörper viermal kurz bewegte.
Die vier Polizisten standen um ihn herum, zuerst noch mit gezückter Waffe. Der eine hatte sogleich die Ambulanz gerufen. Nach ungefähr zwei Minuten näherte sich ein anderer und zog Nzoy das Messer unter dem Körper hervor. Eine Polizistin legte ihm Handschellen an. Erste Hilfe leistete – anders, als es die Staatsanwaltschaft in ihrem ersten Communiqué schrieb – keiner der Beamten.
Nach fast fünf Minuten tauchte ein Passant auf, gab sich als Fachperson aus und begann mit einer Herz-Kreislauf-Massage. Ein Polizist untersuchte Nzoy auf weitere Waffen und entfernte danach die Handschellen. Blut ist auf keiner der Aufnahmen sichtbar. Danach endet das Videomaterial.
Aus Notwehr geschossen
Aus juristischer Warte ist der Fall gewissermassen zweigeteilt: Die Ermittler müssen auf der einen Seite beurteilen, ob die Schussabgabe des Polizisten rechtmässig war. Auf der anderen Seite haben sie zu prüfen, ob sich die Polizisten danach der Unterlassung der Nothilfe schuldig gemacht haben.
Auf Anfrage teilt die Waadtländer Staatsanwaltschaft mit, dass sie das Verfahren einzustellen gedenke. Dies habe sie den Parteien am 10. Oktober mitgeteilt und ihnen einen Monat Zeit gegeben, um Beweisanträge zu stellen.
Eine Einstellung des Verfahrens ist möglich, wenn der untersuchte strafrechtliche Tatbestand nicht erfüllt ist oder Rechtfertigungsgründe einen strafrechtlichen Tatbestand unanwendbar machen. Über die Gründe ihres (Vor-)Entscheids äussert sich die Staatsanwaltschaft nicht. Es ist jedoch davon auszugehen, dass sie in Bezug auf die Schussabgabe die Bedingungen für die rechtfertigende Notwehr als erfüllt erachtet.
Fall von Polizeigewalt gegen Schwarze?
Zur gegebenenfalls unterlassenen Nothilfe haben gemäss Angaben des Kollektivs hingegen gar nie vertiefte Untersuchungen stattgefunden. Für die Staatsanwaltschaft gibt es demnach keinen Grund zur Annahme, dass die Polizisten zur Hilfeleistung verpflichtet gewesen wären. «Unsere Arbeit beweist jedoch das Gegenteil», sagt Ludovic Tirelli, der Anwalt der Opferfamilie, und verweist auf die langen Minuten, in denen die Polizisten anscheinend tatenlos neben Nzoy stehen.
Die Mitglieder der Kommission sind der Ansicht, dass sowohl das Verhalten der Beamten vor Ort als auch die andauernde Aufarbeitung des Falles stereotypisch geprägt waren. «Wir haben den drängenden und fürchterlichen Verdacht, dass die Hautfarbe des Verstorbenen bei der Strafuntersuchung eine Rolle spielte», sagt der Zürcher Anwalt Philip Stolkin, der wie die anderen Mitglieder den Fall ehrenamtlich betreut. Sie stellen Nzoys Tod in eine Reihe mit anderen Tötungen von schwarzen Personen durch Polizisten.
Keine entlastenden Elemente
Das prominent dotierte Kollektiv gibt sich zwar als unabhängig, es ergreift in dieser Sache aber klar Partei. Es versteht sich daher von selbst, dass es an der Pressekonferenz keine entlastenden Elemente für die betroffenen Polizisten präsentiert hat.
So blieb der Autopsiebericht etwa unerwähnt. Gemäss Recherchen zeigt dieser aber, dass Nzoy innert kurzer Zeit an inneren Verletzungen gestorben ist. Früher erbrachte Wiederbelebungsmassnahmen wären also mutmasslich wirkungslos geblieben. Auch ist zu beachten, dass sich die im Waffengebrauch ungeübten Regionalpolizisten nicht sicher sein konnten, dass der dritte Schuss Nzoy getroffen hatte – und ob er sich allenfalls, wie nach dem zweiten, nochmals hätte erheben können.
Die Waadtländer Staatsanwaltschaft wird nun die von der Kommission eingereichten Beweisanträge prüfen und danach einen Entscheid treffen. Stellt sie das Verfahren – wovon auszugehen ist – ein, wird das Kollektiv dabei nicht tatenlos zusehen. Es kündigt an, gegebenenfalls Beschwerde einzureichen und den Fall weiterzuziehen – nötigenfalls bis nach Strassburg.
(https://www.nzz.ch/schweiz/nzoys-tod-durch-polizist-in-morges-kollektiv-kaempft-gegen-verfahrenseinstellung-ld.1765108)
+++FRAUEN/QUEER
Es braucht mehr qualitative Forschung zur Situation von LGBTQI Personen
Die Kommission hat der Petition der Jugendsession 19.2002 («Queere Jugendliche») Folge geben und ein Kommissionspostulat (23.4337 «Kenntnisstand über Mehrfachdiskriminierungen erweitern» ) eingereicht. Mit 11 zu 11 Stimmen und dem Stichentscheid des Präsidenten beauftragt sie den Bundesrat, gestützt auf qualitative Daten, einen Bericht auszuarbeiten, um den Kenntnisstand über Mehrfachdiskriminierungen aufgrund der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität zu erweitern.
Die Kommissionsmehrheit zeigt sich besorgt über die hohe Suizidrate von queeren Jugendlichen und über die dünne Datenlage zu der Situation von LGBTQI Personen. Die Kommissionsminderheit stellt sich gegen das Postulat. Sie ist der Meinung, dass es andere gesellschaftliche Ansätze braucht, um Jugendliche in ihrer Entwicklung zu unterstützen.
https://www.parlament.ch/press-releases/Pages/mm-wbk-n-2023-11-10.aspx
+++RASSISMUS
Motion für eine Strategie und einen Aktionsplan gegen Rassismus und Antisemitismus
Die Kommission hat mit 15 zu 7 Stimmen bei 2 Enthaltungen eine Motion (23.4335) angenommen, die den Bundesrat beauftragt, gemeinsam mit den Kantonen eine Strategie und einen Aktionsplan gegen Rassismus und Antisemitismus auszuarbeiten. Die SPK-N ist der Ansicht, dass die antisemitischen Äusserungen und Handlungen, die seit den jüngsten Ereignissen im Nahen Osten in der Schweiz zu beobachten sind, Anlass zu grosser Sorge geben. Angesichts dieser Entwicklung ist es umso wichtiger, dass der Bundesrat seine Strategie überarbeitet, den aktuellen Rahmen überprüft und für die Zukunft strategische Schwerpunkte zur Bekämpfung solcher Vorkommnisse, die in einer demokratischen Gesellschaft keinen Platz haben, setzt.
Die Minderheit lehnt die Motion ab.
https://www.parlament.ch/press-releases/Pages/mm-spk-n-2023-11-10.aspx
+++RECHTSEXTREMISMUS
Problematische SS-Rune: SVPler liken auf Facebook Nazi-Symbol
Zwei welsche SVP-Mitglieder haben das Profilbild eines verurteilten Rechtsextremen gelikt. Darauf ist eine Odal-Rune zu sehen, ein Symbol, das von der 7. SS-Division verwendet wurde. Einer der beiden hat die Rune sogar tätowiert.
https://www.blick.ch/politik/problematische-ss-rune-svpler-liken-auf-facebook-nazi-symbol-id19128856.html
+++HISTORY
Neuer Stadtrundgang in Bern soll Schauplätze zum Thema Verdingkinder beleuchten. (ab 09:43)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/bkw-zum-geschaeft-mit-e-ladestationen-fuer-lastwagen?id=12485625
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nzz.ch 09.11.2023
Maurice Bavaud wollte Hitler töten. Die Nazis richteten den 22-jährigen Schweizer hin – und statt ihn zu würdigen, diffamierte man ihn später
Vor 85 Jahren plante der Neuenburger Theologiestudent ein Attentat auf den Führer. Nach seiner Festnahme durch die Gestapo liessen die Schweizer Behörden Maurice Bavaud völlig im Stich. Bis heute tut man sich schwer mit einer Rehabilitierung.
Martin Steinacher
Am 9. November 1938 unternahm Maurice Bavaud, 22-jährig, aus Neuenburg den Versuch eines Attentats auf Adolf Hitler, als dieser seinen alljährlichen Gedenkmarsch zur Münchner Feldherrnhalle abhielt. Dort war fünfzehn Jahre zuvor sein gewaltsam begonnener Putsch im Abwehrfeuer der bayrischen Landespolizei zum Erliegen gekommen.
Das versuchte Pistolenattentat des jungen Theologiestudenten Bavaud scheiterte aus für ihn kaum vorhersehbaren Gründen: Der Diktator war trotz der mit Bedacht gewählten Engstelle gegenüber der Heilig-Geist-Kirche für einen kleinkalibrigen Distanzschuss einerseits noch immer zu weit weg. Anderseits konnte er aber auch nicht mit einem Nahangriff attackiert werden, da er durch ein undurchdringliches SA-Spalier am Strassenrand geschützt wurde.
Wie richtig der grundsätzliche Gedanke eines Attentats auf Hitler war, zeigte sich Bavaud nur wenige Stunden nach seinem Anschlagsversuch, als auch in München der Terrorakt der Reichspogromnacht über die Stadt hereinbrach. Tod, Hass und Zerstörung in den Strassen bestärkten den jungen Schweizer in seiner Auffassung, den Hauptverantwortlichen für diese Verbrechen beseitigen zu müssen.
Letztlich blieb Maurice Bavaud jedoch erfolglos. Er wurde am Abend des 12. November wegen einer fehlenden Zugfahrkarte am Bahnhof in Augsburg festgenommen und als Ausländer der Gestapo überstellt. Diese fand die Pistole, Munition sowie eine Postkarte des Obersalzbergs bei ihm und unterzog Maurice Bavaud aufgrund dieser Anhaltspunkte einer verschärften Vernehmung, welcher der pazifistisch veranlagte und kunstsinnige Literaturliebhaber nicht gewachsen war.
Niklaus Meienberg setzte sich ein
Bavaud wurde als Ältester von acht Geschwistern in eine sehr katholische Familie geboren. Nach einer Berufslehre als technischer Zeichner studierte er ab 1935 drei Jahre an einem Seminar der Kongregation vom Heiligen Geist in Saint-Ilan in der Bretagne, um Priester und Missionar zu werden.
Sein versuchtes Attentat auf Hitler und vor allen Dingen die Frage nach dem Motiv hatte schon vor gut vierzig Jahren zu einer erbittert ausgetragenen Kontroverse zwischen dem Historiker Klaus Urner einerseits sowie dem Journalisten Niklaus Meienberg und dem deutschen Schriftsteller Rolf Hochhuth auf der anderen Seite geführt. Ein Disput, dessen jeweilige Deutungen bis heute in der Schweiz fortwirken und auch in Deutschland nach wie vor für Berührungsängste mit der Thematik sorgen.
Denn während Urner 1980 in seinem Buch «Der Schweizer Hitler-Attentäter» Maurice Bavaud pathologisiert und für einen antisemitischen, rechtsradikalen sowie restlos fremdgesteuerten Handlanger eines allgewaltigen und wahnübertragenden Mitverschwörers hält – eine These, die er 1998 in der NZZ noch einmal bekräftigte –, vertraten Meienberg («Es ist kalt in Brandenburg», 1980) und Hochhuth («Tell 38», 1979) den völlig konträren Standpunkt: Bei Bavaud habe es sich um einen klarsichtigen, charakterfesten, vor allem aber opferbereiten jungen Mann gehandelt, der mit seiner versuchten Tat lediglich seiner christlich-pazifistischen Grundüberzeugung gefolgt sei.
Analog hierzu bewerten beide Parteien auch jene entscheidenden Aussagen, die – laut der erhalten gebliebenen Urteilsschrift – von Maurice Bavaud während seiner Verhandlung vor dem Volksgerichtshof in Berlin gemacht worden sind: «Er habe die Persönlichkeit des Führers und Reichskanzlers für eine Gefahr für die Menschheit gehalten, vor allem auch für die Schweiz, deren Unabhängigkeit der Führer bedrohe. Zuvorderst aber seien kirchliche Gründe für seine Tat bestimmend gewesen; denn in Deutschland würden die katholische Kirche und die katholischen Organisationen unterdrückt, und er habe daher geglaubt, mit seiner geplanten Tat der Menschheit und der gesamten Christenheit einen Dienst zu erweisen.»
Niklaus Meienberg und Rolf Hochhuth schätzen diese Äusserungen als vollkommen authentisch ein und sehen sie als passgenaue Quintessenz der von ihnen vertretenen Thesen. Klaus Urner hingegen hält die gesamte Urteilsschrift für ein Machwerk der Gestapo, mittels welchem sie Maurice Bavaud einem sicheren Todesverdikt ausliefern wollte.
Bewegt sich Urner in seiner Beweisführung spätestens hier in schwierigem Gelände, so konnten in der jüngeren Vergangenheit noch zusätzliche Erkenntnisse zutage gefördert werden, die seine Position schwächen. Denn im Vorfeld der Anschlagsversuche ergeben sich für einen angehenden Priester und aus seinem Glauben heraus agierenden Attentäter nicht nur in der Enzyklika «Mit brennender Sorge» vom Palmsonntag des Jahres 1937 bisher unbeachtete Anhaltspunkte für eine christliche Legitimation des versuchten Tyrannenmords.
Auch im Verhalten von Papst Pius XI., der frühzeitig die durch Nazi-Deutschland heraufbeschworene bedrohliche Lage erkannt hatte, lassen sich gerade für einen selbstlosen Seminaristen Bestärkungen der eigenen Motivlage finden. Noch am Abend des berüchtigten Münchner Abkommens vom 29. September 1938 hatte Papst Pius XI. nämlich eine äusserst eindringliche Radioansprache gehalten, in der er sein eigenes Leben für den Erhalt des Friedens anbot. Damit überzeugte er den wohl ohnehin schon auf dem Sprung befindlichen Maurice Bavaud endgültig von der Richtigkeit seiner geplanten Tat.
Kaum öffentliches Bewusstsein für die Tat
«Ich sterbe also im Schosse der römisch-katholischen Kirche» – so lautet einer der zentralen Sätze aus dem bewegenden, vor allem aber auch sehr reifen und klarsichtigen Abschiedsbrief, den Maurice Bavaud am 12. Mai 1941, zwei Tage vor seiner Hinrichtung in Berlin-Plötzensee, an seine Eltern verfasste.
Die Schweizer Behörden hatten sich nicht um die Freilassung ihres Staatsbürgers bemüht. Zwar wurde Maurice Bavaud 1956 vom Landgericht Berlin-Moabit nachträglich rehabilitiert und den Hinterbliebenen in der Schweiz eine Entschädigung von 40 000 Franken zugesprochen. Viel wichtiger wäre diesen jedoch – und dies gilt insbesondere für Adrien, den noch immer lebenden Bruder von Maurice –, dass in der schweizerischen Öffentlichkeit, ausgehend von Bundespräsident Couchepins Rehabilitierungsvotum 2008, endlich ein angemessenes Bewusstsein für die versuchte Tat entstünde.
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Martin Steinacher gehört dem Comité Maurice Bavaud an, das am 9. November an der Universität München einen Gedenkanlass zu Ehren von Maurice Bavaud veranstaltet.
(https://www.nzz.ch/feuilleton/der-junge-schweizer-maurice-bavaud-wollte-hitler-toeten-wurde-hingerichtet-und-spaeter-statt-gewuerdigt-als-antisemit-ld.1764593)
+++BRIAN
Brian spricht nach Freilassung: «Das Gefängnis hat mich auch stärker gemacht»
Nach sieben Jahren hinter Gittern hat der 28-Jährige am Freitagmorgen das Bezirksgefängnis Zürich verlassen. Doch mit dieser neuen Freiheit muss er sich auch erst zurechtfinden.
https://www.tagesanzeiger.ch/aus-dem-gefaengnis-brian-k-ist-in-diesen-minuten-ein-freier-mann-144778335033
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/brian-ist-aus-der-haft-entlassen-worden?id=12485511
-> Rendez-vous-Tagesgesprach: https://www.srf.ch/audio/tagesgespraech/frank-urbaniok-auf-brian-kommen-grosse-herausforderungen-zu?id=12485400
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/nach-der-freilassung-frank-urbaniok-wie-gross-ist-das-rueckfallrisiko-bei-brian
-> https://www.20min.ch/story/brian-ist-frei-das-sagt-der-28-jaehrige-zu-seiner-entlassung-897435789283
-> https://www.watson.ch/schweiz/justiz/602792968-jetzt-beginnt-das-leben-brian-wurde-heute-freigelassen
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/brian-wird-feiern-und-konzerte-besuchen-66645815
-> https://www.blick.ch/schweiz/zuerich/nach-sieben-jahren-ein-freier-mann-heute-kommt-brian-aus-dem-gefaengnis-id19129620.html
-> https://www.zueritoday.ch/zuerich/ich-freue-mich-sehr-frei-zu-sein-werde-spaghetti-mit-scampi-essen-154806834?autoplay=true&mainAssetId=Asset:154807689
-> https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/auf-freien-fuss-bekanntester-straftaeter-der-schweiz-wird-heute-entlassen-00225138/
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/brian-keller-kommt-heute-frei-der-steinige-weg-in-die-freiheit
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/nach-siebeneinhalb-jahren-haft-brian-keller-in-freiheit-man-muss-weiterkaempfen
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/zuercher-obergericht-erneut-wegen-bombendrohung-geraeumt?id=12485700 (ab 01:32)
-> https://www.toponline.ch/tele-top/detail/news/auf-freien-fuss-bekanntester-straftaeter-der-schweiz-wird-heute-entlassen-00225138/
-> Schweiz Aktuell: https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/brian-keller-kommt-frei?urn=urn:srf:video:71049280-cf7e-45fc-a71c-5f1bf40b1d22
-> Schweiz Aktuell: https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/zuercher-justiz-in-der-kritik-wegen-einzelhaft?urn=urn:srf:video:83b7a4bf-edf0-4287-b3cb-4647df71375f
-> https://tv.telezueri.ch/zuerinews/brian-ist-frei-und-freut-sich-auf-spaghetti-mit-scampi-154817763
-> https://www.telem1.ch/aktuell/brian-ist-frei-und-freut-sich-auf-spaghetti-mit-scampi-154817491
-> https://www.tele1.ch/nachrichten/freitag-10-november-2023-153845357
-> https://www.tvo-online.ch/aktuell/tickende-zeitbombe-freilassung-von-brian-keller-bewegt-die-ostschweiz-154817617
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/brian-wird-feiern-und-konzerte-besuchen-66645815
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/sogar-brian-teilt-den-zitterfinger-von-nauch-wir-erklaren-66647526
-> https://www.blick.ch/schweiz/zuerich/nach-sieben-jahren-ein-freier-mann-heute-kommt-brian-aus-dem-gefaengnis-id19129620.html
-> 10vor10: https://www.srf.ch/play/tv/10-vor-10/video/brian-will-neu-anfangen?urn=urn:srf:video:9717e5c4-be0f-4f5a-ad84-1dc85e554e28
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-> Die Brian-Chronik: https://www.humanrights.ch/de/beratungsstelle-freiheitsentzug/falldokumentation/brian/brian-chronik/