Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/
+++BERN
Erstmaliger Einblick ins Asylwesen: «Da draussen ist die Schweiz», sagen die Kinder im Asyl
Wie geht es den Mädchen und Buben, die mit Angehörigen in kantonalen Asylcamps leben? Eine Berner Forscherin erzählt von überlasteten Kindern und Eltern – und übt scharfe Kritik.
https://www.derbund.ch/kinder-im-schweizer-asylwesen-ich-hasse-das-camp-987120943603
+++BASEL
Inhaftierter Marokkaner: Basler Justiz kassiert Rüge vom Bundesgericht
Das Bundesgericht hat sich mit dem Fall eines in Basel inhaftierten Marokkaners befasst. Letzlich gab es für die Basler Justiz eine Rüge.
https://www.blick.ch/schweiz/basel/das-ist-der-grund-basler-justiz-kassiert-ruege-vom-bundesgericht-id19103812.html
Baselbieter Regierung kritisiert Basel-Stadt wegen Asylunterkunft
Der Baselbieter Regierungsrat Anton Lauber (Mitte) wie auch Stimmen aus dem Landrat haben am Donnerstag den Kanton Basel-Stadt kritisiert. Sie werfen der Basler Regierung vor, den Nachbarn ungenügend über die neue Asylunterkunft beim Gelände der Grün 80 informiert zu haben.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/baselbieter-regierung-kritisiert-basel-stadt-wegen-asylunterkunft?id=12482055
-> https://www.baseljetzt.ch/zoff-an-der-kantonsgrenze-baselbieter-regierung-kritisiert-basel-stadt/142595
-> https://www.bzbasel.ch/basel/basel-stadt/asylwesen-konsternierter-landrat-basel-stadt-will-in-muenchenstein-ein-asylzentrum-einrichten-ld.2536671
+++GRAUBÜNDEN
Kaserne in Chur wird vorübergehend zur Asylunterkunft
Die Kaserne in Chur soll Anfang November zur Asylunterkunft werden. 300 Personen sollen dort vorübergehend Platz finden.
https://www.nau.ch/news/schweiz/kaserne-in-chur-wird-vorubergehend-zur-asylunterkunft-66642160
-> https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-98444.html
+++OBWALDEN
Einsatz Glaubenberg vom 01.11.2023
Am Mittwochabend kam es im Bundesasylzentrum Glaubenberg zu einer tätlichen Auseinandersetzung unter Asylsuchenden
https://www.ow.ch/amtsmitteilungen/107845
-> https://www.watson.ch/schweiz/polizeirapport/924363074-verletzte-und-festnahmen-im-bundesasylzentrum-glaubenberg-ow (ab 01:23)
-> https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/obwalden/glaubenberg-sechs-verletzte-nach-streit-unter-asylbewerbern-polizei-nimmt-fuenf-personen-fest-ld.2536405
-> https://www.pilatustoday.ch/zentralschweiz/obwalden/auseinandersetzung-zwischen-asylsuchenden-verletzte-und-festnahmen-in-sarnen-154618363
-> https://www.zentralplus.ch/news/polizeieinsatz-beim-bundesasylzentrum-glaubenberg-2593418/
+++ZUG
Der Kanton Zug rüstet sich für einen möglichen Anstieg der Asylzahlen und zieht eine unterirdische Unterbringung in Betracht. (ab 01.44)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zentralschweiz/lockerung-bei-wolfsabschuss-betrifft-uri-vorerst-nicht?id=12481929
-> https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/zug/asylwesen-plaetze-fuer-asylsuchende-der-kanton-zug-bereitet-sich-auf-einen-anstieg-vor-und-will-dafuer-unterirdische-anlagen-nutzen-ld.2536510
+++SCHWEIZ
Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider vertieft Migrationszusammenarbeit mit Griechenland
Am 1. und 2. November 2023 hat Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider Griechenland besucht. Die Migration stellt das Land durch seine Lage an der Schengen-Aussengrenze vor anhaltende Herausforderungen, die sich auf den ganzen Schengen-Raum und damit auch auf die Schweiz auswirken. Mit dem Arbeitsbesuch bekräftigte die Vorsteherin des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD) das Engagement der Schweiz bei deren Bewältigung unter Einhaltung der Menschenrechte. Gemeinsam mit dem griechischen Asyl- und Migrationsminister Dimitris Kairidis lancierte Elisabeth Baume-Schneider in Athen ein von der Schweiz finanziertes Projekt für Asylsuchende und Flüchtlinge. Zum Abschluss der Reise besuchte sie verschiedene Einrichtungen auf der Insel Lesbos.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-98446.html
-> https://www.derbund.ch/justizministerin-in-griechenland-baume-schneider-bekraeftigt-engagement-fuer-eu-asylreform-615566279588
Asylsuchende in Griechenland: Gefesselt, geschlagen und ins Meer zurückgeschickt
Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneiders aktueller Besuch in Griechenland beweist erneut die strategische Bedeutung der externen Grenzen des Schengen-Raums für die Schweiz. «Wir haben wiederholt Berichte darüber erhalten, dass Menschen, die in Europa Sicherheit suchen, auf den griechischen Ägäisinseln erniedrigender Behandlung und körperlicher Gewalt ausgesetzt werden. Das muss enden», sagt Stephen Cornish, Generaldirektor von Ärzte ohne Grenzen Schweiz. «Wir fordern die Schweiz auf, gemeinsam mit den anderen europäischen Ländern des Schengen-Raums und den Unterzeichnerstaaten der Dublin-Verordnung der EU der Straflosigkeit ein Ende zu setzen und dafür zu sorgen, dass Menschen, die an der europäischen Schengen-Grenze Schutz suchen, Zugang zu fairen und würdigen Asylverfahren im Einklang mit dem europäischen und internationalen Recht haben.»
https://www.msf.ch/de/neueste-beitraege/pressemitteilung/asylsuchende-griechenland-gefesselt-geschlagen-und-ins-meer
+++MITTELMEER
Seenotrettung: Rom auf Kollisionskurs
Statt libyscher Küstenwache werden wieder Seenotretter bestraft
Italien hat das Schiff »Sea-Eye 4« sanktioniert, weil es sich Anweisungen der Küstenwache aus Libyen widersetzt habe. Beide Länder verstoßen damit gegen das Völkerrecht.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1177418.mittelmeer-seenotrettung-rom-auf-kollisionskurs.html
Migrationsabwehr: Pullbacks mit Eskorte
Die Regierung in Nikosia will ein Schiff zur Migrationsabwehr in Beirut stationieren
Zypern will dem Libanon Schiffe und Boote zur Migrationsabwehr schenken und gemeinsame Seepatrouillen durchführen. Auch Gehälter von libanesischen Soldaten könnten für diesen Zweck von dem EU-Inselstaat gezahlt werden.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1177457.zypern-und-libanon-migrationsabwehr-pullbacks-mit-eskorte.html
+++EUROPA
Migration – Wie erpressbar ist die EU?
Die Europäische Union verwandelt sich in eine „Festung“, die Migrant*innen abwehrt: Illegale Pushbacks, unmenschliche Bedingungen in Internierungslagern, Tote auf der Fluchtroute. Um Geflüchtete an der Einreise zu hindern, hat die EU in den letzten Jahrzehnten eine neue Strategie entwickelt und ihre Grenzen nach außen verschoben. Diese Politik trägt einen Namen: Externalisierung.
https://www.arte.tv/de/videos/108969-000-A/migration-wie-erpressbar-ist-die-eu/
+++GASSE
Drogenszene: Windisch verlangt Hilfe vom Kanton
Die offene Drogenszene beim Bahnhof Brugg-Windisch soll verschwinden. Der Einwohnerrat Windisch hat einstimmig entschieden, dass nun etwas gehen muss. Er sieht den Kanton in der Pflicht, Konsumationsräume für Drogensüchtige zu schaffen. Diese gibt es im Aargau nicht.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/drogenszene-windisch-verlangt-hilfe-vom-kanton?id=12482163
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/waldbrand-bei-der-wolfsschlucht-bleibt-ungeklaert?id=12481941 (ab 04:03)
-> Schweiz Aktuell: https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/brugg-windisch-massnahmen-gegen-offene-drogenszene?urn=urn:srf:video:9a31f820-0913-4a97-ba8b-f611899b6d4c
Kessler fordert mehr Polizei gegen Dealer
https://telebasel.ch/sendungen/punkt6/212124
+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Podcast «Artikel Sieben» – #2: Der Staat muss das Recht auf Demonstration schützen
Das Recht auf politische Kundgebung (Demonstration) ist in der Schweiz durch die Meinungsäusserungsfreiheit und Versammlungsfreiheit geschützt. Die Europäische Menschenrechtskonvention und der UNO-Menschenrechtspakt, die auch für die Schweiz gelten, sichern diese Rechte ebenfalls zu. Diese Rechte sind zum einen wichtig für die einzelnen Menschen und für Gruppen von Menschen, die sich einer breiteren Öffentlichkeit mitteilen und so am gesellschaftlichen Dialog partizipieren möchten. Zum andern sind sie wichtig für eine lebendige Demokratie, in der Kritik formuliert und Meinungen und politische Überzeugungen ausgetauscht werden sollen, auch im öffentlichen Raum. Es liegt in der Natur politischer Kundgebungen und von Protestaktionen, dass sie den Gang des Alltagslebens stören können und vielleicht jene verärgern, die das politische Anliegen nicht teilen.
https://www.humanrights.ch/de/news/podcast-artikel-2
Attaque à la peinture du consulat français de Zurich et d’une gendarmerie en Alsace
Par le trashage d’une caserne de gendarmerie en Alsace, ainsi que du consulat français, nous envoyons nos salutations aux camarades en France et au Kurdistan.
https://renverse.co/infos-locales/article/attaque-a-la-peinture-du-consulat-francais-de-zurich-et-d-une-gendarmerie-en-4217
Kundgebungen in Zürich: Zwei Israel-Demos, die sich nur auf den ersten Blick ähnlich sind
In Zürich wird am Donnerstagabend gleich an zwei Orten demonstriert. Dass dies gleichzeitig passiert, ist ein Zufall.
https://www.tagesanzeiger.ch/kundgebungen-in-zuerich-zwei-israel-demos-die-nur-auf-den-ersten-blick-aehnlich-toenen-195884478545
-> https://www.watson.ch/schweiz/israel/740904403-offenbar-zufall-zwei-israel-demonstrationen-heute-abend-in-zuerich
-> https://www.20min.ch/story/zuerich-hunderte-nehmen-an-demos-gegen-antisemitismus-und-fuer-frieden-in-gaza-teil-498397194932
-> https://www.blick.ch/schweiz/zuerich/zwei-demos-in-zuerich-gegen-antisemitismus-und-fuer-frieden-protestiert-id19105770.html
-> https://www.tagesanzeiger.ch/kundgebungen-in-zuerich-ein-gelber-schutzschirm-fuer-die-juedische-bevoelkerung-812184831253
-> https://www.zueritoday.ch/videos/antisemitismus-hat-keinen-platz-friedliche-nahost-demo-auf-dem-muensterhof-154638149?autoplay=true&mainAssetId=Asset:154638144
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nzz.ch 02.11.2023
«Auf diese Art beginnt die Ausradierung der jüdischen Identität»: Politprominenz in Zürich setzt ein Zeichen gegen den zunehmenden Antisemitismus
Gleichzeitig zur Kundgebung auf dem Münsterhof demonstrieren Friedensbewegte am Bürkliplatz für ein Ende der Kämpfe in Nahost.
Stefan Hotz
Es kommt nicht oft vor, dass eine Handvoll Privatpersonen ohne Organisation im Rücken eine grosse Kundgebung auf die Beine stellt. Doch der aufkommende Antisemitismus, der seit dem Terrorüberfall auf israelische Zivilisten am 7. Oktober an die Oberfläche tritt, setzt auch Gegenkräfte frei.
Vier Mitglieder der jüdischen Gemeinschaft hatten zur Zusammenkunft auf dem Zürcher Münsterhof aufgerufen. Es hätte ursprünglich eine stille Kundgebung sein sollen, unter dem Aufruf «Never again is now»: Nie wieder gilt jetzt. Er bezieht sich auf die seit dem Zweiten Weltkrieg gebetsmühlenartig wiederholte Versicherung, dass sich so etwas wie der Holocaust nie mehr wiederholen dürfe.
Die Ereignisse seit dem brutalen Terrorüberfall der Hamas auf Zivilisten in Israel vor bald einem Monat haben diese lange gehegte Gewissheit erschüttert. Die jüdischen Organisationen in der Schweiz registrieren eine spürbare Zunahme von Übergriffen auf jüdische Mitmenschen und antisemitischen Hassparolen.
Ablehnung statt Empathie
In der Folge setzte eine Welle der Solidarität eine Eigendynamik in Gang, die den Anlass auf dem Münsterhof viel grösser werden liess als vorgesehen. In einer Mitteilung schreiben die drei Organisatorinnen und der Organisator der Kundgebung, statt Unterstützung und Empathie zu erfahren, erlebten viele Juden in Europa und auch in der Schweiz Ablehnung und würden bedroht.
Das Erschrecken über das jüdische Leid sei rasch abgeebbt, weil Israel sich verteidige. Das ruchlose Morden der Hamas und das Opfern der eigenen Zivilbevölkerung seien «kein politischer Kampf, sondern pure Menschenverachtung, Judenhass und bestialischer Vernichtungswille».
Um 18 Uhr hatten sich etwa tausend Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf dem Münsterplatz versammelt. Viele trugen gelbe Schirme mit dem Schriftzug «Never again is now». Eine Reihe von Politikern gab ein kurzes Statement ab. Gemeinsam war allen, dass es für Antisemitismus in der Schweiz keinen Platz gebe und es jetzt gelte, dagegen zusammenzustehen.
Der Zürcher Stadtrat Filippo Leutenegger (FDP) sagte, es dürfe nicht sein, dass sich Juden in der Schweiz nicht mehr wohl fühlten. Für Gerhard Pfister, Präsident von Die Mitte Schweiz, ist die jüdische Gemeinschaft fester Teil unserer Gesellschaft.
«Wenn Terroristen der Hamas in Israel unschuldige Menschen ermorden und hier verirrte Seelen das zum Anlass für Antisemitismus nehmen, dann ist das krank, und wir müssen etwas dagegen tun», stellte SP-Ständerat Daniel Jositsch fest. Eher im Politiker-Modus war SVP-Nationalrat Alfred Heer, der forderte, im Aussendepartement von Bundesrat Ignazio Cassis müsse aufgeräumt werden. Laut GLP-Kantonsrätin Chantal Galladé lässt sich Antisemitismus nie relativieren.
Ein Vertreter der israelischen Botschaft erklärte, er habe daran geglaubt, dass die Juden mit Israel eine sichere Heimat hätten. Leider habe er sich getäuscht. Er habe den Traum, dass jüdische Männer und Knaben ohne Angst mit der Kippa durch das Niederdorf gehen könnten, sagte der Grossmünsterpfarrer Christoph Siegrist. Ein weiterer Pfarrer erinnerte daran, dass die christlichen Kirchen einst zum Antisemitismus beitrugen.
Kriegsverbrechen der Hamas
Zur gleichen Zeit wie die Demonstration auf dem Münsterhof fand auf dem nahen Bürkliplatz eine ebenfalls bewilligte Kundgebung der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) statt, und zwar für einen «gerechten Frieden in Israel und Palästina». Beteiligt waren mehrere weitere, kleine Friedensorganisationen, zum Teil haben sie einen jüdischen Hintergrund. Die Kundgebung hätte ursprünglich bereits am 19. Oktober stattfinden sollen, fiel aber dem damaligen Demonstrationsverbot des Stadtrates zum Opfer.
Mehrere hundert Teilnehmer waren dem Aufruf gefolgt, ebenso der expliziten Aufforderung, nur Friedensflaggen mitzubringen. Statt Schirme trugen hier viele eine Kerze mit sich. An diesem Anlass lag der Fokus auf dem Krieg zwischen der Hamas und Israel, ohne dass man dabei für eine Seite Partei ergriffen hätte, auch ohne die geringste Spur von Verständnis für die Hamas.
So wird in einer ausführlichen Mitteilung die wahllose Ermordung von Zivilisten in Israel durch die Hamas am 7. Oktober ohne Wenn und Aber als Kriegsverbrechen bezeichnet, das in jedem Fall zu verurteilen und durch nichts zu rechtfertigen sei.
Gleichzeitig wird Israel eine Mitverantwortung an der seit Jahren eskalierenden Gewalt im Nahen Osten zugewiesen. Die Abriegelung von Gaza und die massiven militärischen Schläge, die zu einer humanitären Katastrophe führten, werden verurteilt. Den Preis für die Kriegsverbrechen der Hamas und den Vergeltungsschlag zahle die Zivilbevölkerung.
Juden müssen sich verleugnen
Das Klima ist vergiftet, der Hass greift um sich. Bereits am Mittwochabend erläuterte der grünliberale Gemeinderat Ronny Siev im Zürcher Stadtparlament, wie ungemütlich die Situation für die jüdische Bevölkerung in Zürich derzeit sei. Es bestehe in der Community eine grosse Angst, in der Öffentlichkeit Hebräisch zu reden oder mit der Kippa durch die Strassen zu gehen.
Siev erwähnte verschiedene Vorfälle aus den letzten Tagen, von denen er erfahren hat und die über antisemitische Hetzparolen hinausgehen, wie sie etwa am letzten Wochenende an einer Demonstration zu hören und zu lesen waren. Aber schon verbale Aggression greift in das Leben ein: Er erwähnte eine Bekannte, die ihre Stelle gekündigt habe, als sie realisiert habe, dass am Arbeitsplatz mehrere Kolleginnen und Kollegen das Massaker der Hamas in Israel befürworteten.
Der GLP-Politiker hat aus seinem Umfeld ebenso Kenntnis davon, wie ein Mann im Alter zwischen 25 und 30 Jahren eine Gruppe Jugendliche drohend angeschrien habe, ob sie für Israel oder für Palästina seien. In der konkreten Situation sei klar gewesen, dass alles andere als die Parteinahme für Palästina Konsequenzen hätte haben können.
Für Teenager und für junge Erwachsene sei das Aufkommen von Antisemitismus noch schlimmer, ergänzte Ronny Siev auf Nachfrage. Einige kämen in eine Lage, in der sie verleugnen müssten, dass sie Juden seien. «Auf diese Art beginnt die Ausradierung der jüdischen Identität», stellt er fest.
Es gebe sogar Menschen, die das Gefühl hätten, sie müssten vielleicht bald auswandern. Mit seiner Erklärung im Parlament will Siev ein Bewusstsein dafür schaffen, wie sich viele in der jüdischen Gemeinschaft derzeit fühlen.
Hakenkreuze an der Goldküste
Auch eine gepflegte Gemeinde wie Küsnacht ist betroffen. Vielleicht ist es ja nur ein völlig fehlgeleiteter Halloween-Streich. Aber in der Nacht auf Mittwoch wurden auf einen Fussweg Hakenkreuze und judenfeindliche Graffiti gesprayt. Ein Tweet einer Zürcher Nutzerin des Kurznachrichtendienstes X dazu war nach kurzer Zeit wegen laufender Ermittlungen wieder gelöscht worden.
Tatsächlich hat nach Kenntnisnahme dieser Vorfälle die Gemeinde umgehend reagiert und die Polizei eingeschaltet. Inzwischen sind alle Sprayereien entfernt worden. «Küsnacht verurteilt antisemitische Handlungen und somit auch die in der Halloween-Nacht gesprayten Hakenkreuze und weiteren Schmierereien aufs Schärfste», teilt der Gemeindepräsident Markus Ernst (FDP) auf Anfrage mit.
(https://www.nzz.ch/zuerich/krieg-in-nahost-zuerich-setzt-mit-kundgebung-ein-zeichen-gegen-antisemitismus-ld.1763789)
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Pro-Palästinensische Parole: Die Geschichte des Slogans «From the River to the Sea …»
Auf der ganzen Welt an Kundgebungen gerufen, in Berlin nun verboten: Eine Pro-Palästina-Parole sorgt für Kontroversen. Woher der Slogan kommt und was er bedeutet.
https://www.tagesanzeiger.ch/from-the-river-to-the-sea-was-bedeutet-der-palaestinensische-slogan-323651698347
Erreicht Palästina-Gross-Demo in Bern neue Dimensionen?
Sicherheitsdirektor Reto Nause äusserte Bedenken – die Palästina-Kundgebung am Samstag in Bern wurde dennoch bewilligt. Es werden viele Teilnehmer erwartet.
https://www.nau.ch/news/schweiz/erreicht-palastina-gross-demo-in-bern-neue-dimensionen-66641998
+++BIG BROTHER
«Blick», TX Group und NZZ schickten Leserdaten nach Moskau
Schweizer Medienverlage haben Personendaten an das russische Big-Tech-Unternehmen Yandex gesendet, das vom Kreml kontrolliert wird. Nach der Republik-Anfrage haben die NZZ und Ringier die umstrittenen Tracker entfernt. Ein Lehrstück über das Datenbusiness der Medien.
https://www.republik.ch/2023/11/02/blick-tx-group-und-nzz-schickten-leserdaten-nach-moskau
Zürcher Stadtparlament will Videoüberwachung zurückbinden
Die Videoüberwachung in der Stadt Zürich soll deutlich eingeschränke werden. Dieser Meinung war am Mittwochabend eine Mehrheit des Zürcher Stadtparlaments. In Zukunft soll es nur noch in Ausnahmefällen erlaubt sein, mit einer Kamera den öffentlichen Raum zu überwachen.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/zuercher-stadtparlament-will-videoueberwachung-zurueckbinden?id=12481752
-> https://tsri.ch/a/cloec5xr62550122s935v67ilrj/dank-linker-paranoia-weniger-videoueberwachung-in-zuerich
Einreise-/Ausreisesystem: EU will drohendes Grenzchaos mit Biometrie und App verhindern
Die EU will im kommenden Jahr die Einreisekontrolle an den europäischen Grenzen grundlegend verändern. Helfen sollen biometrische Daten, automatische Kontrollsysteme und eine App, die Frontex und Bundespolizei entwickeln. Dennoch droht ein Chaos.
https://netzpolitik.org/2023/einreise-ausreisesystem-eu-will-drohendes-grenzchaos-mit-biometrie-und-app-verhindern/
+++POLIZEI BS
Gegen das Filmen von Polizeibeamten: Basler Polizei lanciert neue Kampagne (ab 09:04)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/baselbieter-regierung-kritisiert-basel-stadt-wegen-asylunterkunft?id=12482055
-> https://www.polizei.bs.ch/nm/2023-neue-sensibilisierungskampagne-der-kantonspolizei-basel-stadt-filmen-kann-stoeren-jsd.html
+++POLIZEI CH
Polizei – Dossier
Unverhältnismässige Gewaltanwendung, diskriminierende Praktiken, abschreckende Vorschriften und Verhaltensweisen, Mangel an unabhängigen Beschwerdeinstanzen… Einerseits stellt die Polizei eine Bedrohung für die Menschen- und Grundrechte dar, andererseits ist aber gerade sie ein wichtiges Organ des Staates zum Schutz ebendieser Rechte. In diesem Themendossier finden Sie allgemeine Informationen und rechtliche Grundlagen, die insbesondere die Menschenrechtsverpflichtungen der Polizei auf schweizerischer und internationaler Ebene betreffen.
https://www.humanrights.ch/de/ipf/menschenrechte/polizei/dossier-polizei/
+++RASSISMUS
Antisemitismus nimmt zu
Der Krieg zwischen Israel und der Hamas polarisiert – auch in unserer Region. In der Stadt Bern beispielsweise kommt es in den letzten Wochen zu mehreren Demonstrationen und Gedenkveranstaltungen von beiden Seiten. Während diese friedlich bleiben, wird an anderen Orten Hass verbreitet: Seit dem Terror-Angriff der Hamas auf Israel anfangs Oktober kommt es schweizweit zu immer mehr anti-semitischen Vorfällen.
https://www.telebaern.tv/telebaern-news/antisemitismus-nimmt-zu-154636555
Schweizer Jüdin trägt Davidstern nicht mehr in der Öffentlichkeit
Wegen der Eskalation im Israel-Krieg fühlen sich Schweizer Jüdinnen und Juden nicht mehr sicher. Ein Paar verzichtet deshalb sogar auf Davidstern und Kippa.
https://www.nau.ch/news/schweiz/schweizer-judin-tragt-davidstern-nicht-mehr-in-der-offentlichkeit-66641833
+++RECHTSEXTREMISMUS
tagesanzeiger.ch 02.11.2023
Vorfall in Küsnacht: Antisemitische Sprayereien beunruhigen jüdische Einwohner
Unbekannte haben im Dorf mehrere Hakenkreuze und judenfeindliche Botschaften gesprayt. Nun hat sich die Polizei eingeschaltet.
Mirjam Bättig, Michel Wenzler
Für viele Küsnachterinnen und Küsnachter gab es nach Halloween ein böses Erwachen. Unbekannte hatten ein gutes Dutzend Sprayereien mit Hakenkreuzen sowie anderen antisemitischen Botschaften im Dorf hinterlassen: bei der Seeanlage am Küsnachter Horn, am Thomas-Mann-Weg oberhalb des Zentrums sowie in der Nähe des Küsnachter Tobels.
Die Schmierereien in weisser und roter Farbe tragen alle die gleiche Handschrift, die Hakenkreuze wurden teils verkehrt herum gesprayt. Jüdische Einwohnerinnen und Einwohner zeigen sich entsetzt über den Vorfall. «Ich wohne seit bald 50 Jahren in Küsnacht», erzählt eine Frau. «Doch so etwas habe ich hier noch nie erlebt.»
Die Küsnachterin stammt aus Deutschland, ihre Familie war Opfer des Holocaust. Die Frau vermutet, dass die antisemitischen Botschaften in Zusammenhang mit den kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen der Terrororganisation Hamas und Israel stehen.
In den vergangenen Wochen sind auch andernorts antisemitische Sprayereien aufgetaucht. Überdies waren an Demonstrationen in Zürich teils judenfeindliche Parolen zu hören.
«Ich dachte, wir hätten diese Zeiten hinter uns gelassen», sagt die Küsnachterin. Der Vorfall sei erschreckend und mache Angst – auch wenn sie sich selbst nicht direkt bedroht fühle.
Verunsicherung im Dorf
Ähnlich ergeht es Mirjam Rosenstein. Sie ist in Küsnacht aufgewachsen und lebt mit ihrer Familie seit rund fünf Jahren wieder in der Zürichseegemeinde. Am Mittwochabend ist sie von Privatpersonen auf die Schmierereien aufmerksam gemacht worden.
«Am gleichen Abend um elf Uhr verschaffte ich mir bei einem Abendspaziergang mit dem Hund selber einen Überblick», erzählt sie am Telefon. Das Ausmass der antisemitischen Beschimpfungen habe sie erschreckt. «An so vielen Stellen waren Hakenkreuze aufgesprayt, an einem Ort sogar noch zusätzlich ein Davidstern.»
Rosenstein sagt, dass sie bis anhin stolz war, in Küsnacht in einer wohlbehüteten Umgebung leben zu dürfen, in der man sich gegenseitig kenne, schätze und respektvoll miteinander umgehe. Im Unterschied zu Deutschland, wo die Geschäftsführerin der deutschen Interessenorganisation Nahostfriedensforum eine Zeit lang lebte, «ist die Welt hier noch in Ordnung». Dies habe sich nun möglicherweise als Illusion entpuppt. «Ich bin enttäuscht, aber auch wütend», sagt sie. Zwar habe sie nicht direkt Angst, aber sie mache sich dennoch Gedanken um ihre Familie.
Geschmackloser Halloween-Streich?
Dass den Sprayereien ein tiefsitzender Antisemitismus zugrunde liegt, glaubt die Küsnachterin eher nicht. Da diese am 31. Oktober, also an Halloween, passierten, kann sie sich vorstellen, dass jemand auf den politischen Zug aufgesprungen ist, der gerade aktuell ist, und sich nichts dabei überlegt hat. «Ich hoffe, dass es so ist, weil ich ans Gute glauben will.»
Rosenstein betont aber: «Mitläufertum ist genauso gefährlich, besonders, wenn viele sich anschliessen.» Dass es sich in diesem Fall womöglich um blindes Übernehmen von Botschaften auf Social Media handle, sieht sie als grosse Gefahr.
Die 42-Jährige wünscht sich nun ein klares Statement der Gemeinde. «Sie soll erklären, dass Antisemitismus, Hass und Hetze keinen Platz haben in unserem Küsnacht.»
Der Küsnachter Gemeindepräsident Markus Ernst (FDP) sagt denn auch auf Anfrage: «Die Gemeinde Küsnacht verurteilt antisemitische Handlungen und somit auch die in der Halloween-Nacht gesprayten Hakenkreuze und weiteren Schmierereien aufs Schärfste.»
Inzwischen seien alle Sprayereien entfernt worden. Nach Kenntnisnahme der Vorfälle habe die Gemeinde Küsnacht zudem umgehend reagiert und die Polizei eingeschaltet.
Polizei ermittelt
Alexander Renner, Mediensprecher der Kantonspolizei, bestätigt: «Uns sind die Sprayereien bekannt, und entsprechende Ermittlungen sind am Laufen.» Weiter äussert sich die Kantonspolizei nicht dazu.
Belangt werden könnten die Täter im vorliegenden Fall wegen Sachbeschädigung, nicht aber wegen der Hakenkreuze – sie sind in der Schweiz nicht strafbar.
Die langjährige Küsnachter Einwohnerin, deren Familie Opfer des Holocaust war, befürchtet, dass die Ermittlungen nicht viel bringen. Bedeutender ist für sie etwas anders: «Es ist wichtig, dass man darüber spricht.» Und sie fügt an: «Ich habe mich bis jetzt noch nicht beruhigt.»
(https://www.tagesanzeiger.ch/vorfall-in-kuesnacht-antisemitische-sprayereien-beunruhigen-juedische-einwohner-628494910579)
++++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Pfadi reagiert umgehend – Verschwörungstheoretiker wollen sich in Luzern treffen: Der Verein Familienlandsitze Schweiz steht im Verdacht, antisemitisches und nationalistisches Gedankengut zu teilen. Mitglieder wollten sich am Wochenende im Raum Luzern versammeln – doch das Treffen wird wohl ins Wasser fallen.
https://www.zentralplus.ch/gesellschaft/verschwoerungstheoretiker-wollen-sich-in-luzern-treffen-2593460/
+++HISTORY
Neu konzipierte Bührle-Sammlung bleibt umstritten
Seit sie vor zwei Jahren eröffnet worden ist, sorgt sie für Kritik: Die Ausstellung des Waffenhändlers und Sammlers Emil Bührle im Zürcher Kunsthaus. Auch die neu konzipierte Sammlung würdige die Opfer zu wenig, monieren Kritiker. (ab 01:28)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/neu-konzipierte-buehrle-sammlung-bleibt-umstritten?id=12482073
-> Echo der Zeit: https://www.srf.ch/audio/echo-der-zeit/neue-buehrle-ausstellung-bleibt-kontrovers?partId=12482154
-> Schweiz Aktuell: https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/buehrle-ausstellung-kritik-trotz-neuauflage?urn=urn:srf:video:c33841b9-b3c4-48a8-accb-3e978e1bc045
-> https://tv.telezueri.ch/zuerinews/wiedereroeffnung-der-buehrle-sammlung-im-zuercher-kunsthaus-154636190
-> Tagesschau: https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/zweiter-anlauf-ausstellung-sammlung-buehrle-im-kunsthaus-zuerich?urn=urn:srf:video:42c13736-1425-4774-ac76-d76298a7e8d7
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tagblatt.ch 02.11.2023
St.Gallen am Rand des Nervenzusammenbruchs: Als illegale Drogen in der Stadt ein Dauerthema waren
Heute vor 30 Jahren wurde in St.Gallen die offene Drogenszene auf dem Schellenacker aufgelöst. Der 2. November 1993 markiert einen Wendepunkt in der Drogenpolitik der Stadt St.Gallen. Ein pragmatisches Konzept ersetzte das zuvor geltende, vor allem mit repressiven Mitteln verfolgte Ziel der Suchtfreiheit. Dafür wurde damals der «Werkzeugkasten» der Suchthilfe stark ausgebaut.
Reto Voneschen
Ab und zu ist die Drogenszene den Medien in St.Gallen bis heute eine Meldung wert. Berichtet wird meist nüchtern und distanziert. Aktuell beschäftigt das Entstehen neuer offener Szenen in Städten wie Genf oder Chur. In St.Gallen tauchten 2017 gebrauchte Spritzen auf einem Kinderspielplatz im Linsebühl auf, 2019 gab’s aus dem Museumsquartier Kritik an Drogenkriminalität im Stadtpark. Beides löste Diskussionen aus. Sie waren heftig, aber nur kurz. Von Mitte der 1980er- bis Ende der 1990er-Jahre war das anders: Illegale Drogen waren ein Dauerthema.
Der Streit über illegale Drogen, über Dealer, über offene Szenen und über die Verelendung jener, die «auf der Gasse» gelandet waren, war allgegenwärtig und blockierte zeitweise gar den Politikbetrieb. Die Probleme mit der offenen Szene schienen unlösbar. Die «Drogenhölle» (wie Medien schrieben) löste lange und emotionale Kontroversen aus. Jene, die absolute Suchtfreiheit postulierten, prallten mit jenen zusammen, die die Sucht als Krankheit sahen und den Betroffenen helfen wollten. Die Räumung der offenen Drogenszene auf dem Schellenacker am 2. November 1993 markiert den Wendepunkt dieses Kapitels der St.Galler Stadtgeschichte.
Rebellion gegen gesellschaftliche Enge
Auch in St.Gallen fasste in den späten 1960er- und frühen 1970er-Jahre die Gegenkultur zur bürgerlichen Leistungs- und Konsumgesellschaft Fuss. Drogen wie Cannabis oder LSD und ab Mitte der 1970er-Jahre auch Heroin und Kokain gehörten für einen kleinen Teil der Jugend zur Rebellion gegen Spiessbürgertum und gesellschaftliche Enge. Schon 1970 stellten die Kantonsbehörden fest, dass «die Rauschgiftwelle» St.Gallen erreicht habe.
Die Reaktion auf den illegalen Drogenkonsum waren damals in erster Linie repressiv. Das Ideal von Politik, Behörden und einem Grossteil der Bevölkerung war die Abstinenz von illegalen Substanzen. Wer Drogen nahm, galt als kriminell. In Zürich tauchte Heroin 1972 auf; in St.Gallen gab es da noch keine offene Heroinszene. Konsumiert wurde vor allem privat. Mit den Jugendunruhen spitze sich das Problem ab 1980 zu.
1980 wurde geschätzt, dass es im Kanton St.Gallen 800 bis 1000 Heroinabhängige gab. Im Laufe der 1980er-Jahre spitzte sich die Situation zu: Auf der einen Seite wuchs die Szene und wurde in der Öffentlichkeit immer sichtbarer. Auf der anderen Seite versuchten die Behörden, ihr mit immer härteren Massnahmen Herr zu werden. Was zu einem Katz-und-Maus-Spiel von Polizei und Süchtigen auch in der St.Galler Innenstadt führte. Die Politik schaute dem Treiben vorerst nur zu.
Ängste und Vorurteile gegen Süchtige
Am Ideal der Abstinenz wurde in den frühen 1980er-Jahren nicht gerüttelt. Dies obwohl offensichtlich war, dass Repression allein das Problem nicht lösen konnte, sondern das Elend nur verschärfte. Das Auftreten von Aids veränderte die Situation vollständig; die Politik musste handeln. 1978 hatte der Kanton fünf mit dem HI-Virus Infizierte gezählt, 1985 waren es 1400. So betraf die Drogenthematik plötzlich nicht mehr nur Abhängige. Für alle bestand die Möglichkeit, sich anzustecken. Das löste in der Bevölkerung Ängste und Vorurteile gegenüber Süchtigen aus. Von 1989 bis 1994 stand das «Drogenproblem» an der Spitze des Sorgenbarometers der Schweizer Bevölkerung.
In der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre nahm sich eine «Zweckgemeinschaft» aus Medizin, Sozialarbeit, Politik, Kirche und Angehörigen sowie Polizei und Justiz des Heroinproblems in St.Gallen an. Zu den ersten Massnahmen gehörte die Abgabe von sauberen Spritzen in einem Bus. Ab 1987 kam die Gassenküche als warmer Winteraufenthaltsort für Randständige dazu: Zuerst war sie in einem Zirkuswagen hinter dem Waaghaus und auf dem Spelteriniplatz, später in Abbruchhäusern untergebracht, und seit 2001 im Hotel Walfisch im Linsebühl.
Der «Hecht» verändert alles
St.Galler Drogenkonsumierenden hatten schon 1977 ohne viel Erfolg auf ihre Probleme aufmerksam gemacht. Gefordert wurde unter anderem die Entkriminalisierung von Süchtigen. Endlich Bewegung ins Thema brachte an der Jahreswende 1988/89 die Besetzung des leerstehenden Hotel Hecht am Bohl. Der damalige St.Galler Stadtrat und Polizeivorstand Peter Schorer (FDP) sieht darin im Rückblick die eigentliche Initialzündung zur Neuorientierung der Stadtsanktgaller Drogenpolitik.
Der erste Anlauf erwies sich als Fehlstart: 1989 wurde im Abbruchhaus Unterer Graben 55 ein Fixerraum in Betrieb genommen. Das Umfeld des «Bienenhüsli» entwickelte sich rasch zu einem rechtsfreien Raum, in dem gedealt und für alle sichtbar harte Drogen konsumiert wurde. Das rief Kritiker aus Stadtpolitik und Bevölkerung auf den Plan. In einer Referendumsabstimmung wurde am 3. März 1991 der Kredit für einen definitiven Fixerraum an der Steinachstrasse 43 knapp abgelehnt.
Daraufhin schloss die Stadt das «Bienenhüsli», was zur Verlagerung der offenen Drogenszene unters Waaghaus führte. Von dort wanderte sie zuerst in den Stadtpark, um dann von den Behörden auf den Schellenacker, eine Freifläche zwischen Olma-Areal und Kantonsspital, abgeschoben zu werden. Dort hielten sich pro Tag gleichzeitig 20 bis 100 Personen auf, über den Tag verteilt kamen bis zu 500 Personen hierhin. Einzelne Obdachlose lebten in Holzhütten auf den Platz. Die Zustände seien nicht menschenwürdig, die Szene verelende sichtlich, kritisierten Fachleute.
3. November 1993: Die offene Szene wird geräumt
Schon 1990 hatten Stadt, Kanton, Kirchgemeinden und andere die Stiftung Hilfe für Drogenabhängige (seit 1998 Stiftung Suchthilfe) gegründet. Diese hatte hinter dem Pilotprojekt des «Bienenhüsli» gestanden. Nach dessen Aus waren neue Lösungen gefragt. Sie wurden mit einem Drogenkonzept gefunden, das auf vier Säulen basierte: Neben Prävention, Therapie und Repression sollte neu auch Überlebenshilfe angeboten werden. Am 2. November 1993 wurde im Rahmen dieser Neuausrichtung die offene Szene im Schellenacker durch die Polizei geräumt.
Im «Treff 68» an der Leonhardsbrücke wurde provisorisch eine Stelle für die Methadonabgabe installiert. Sie wurde 1994 definitiv als Medizinisch-Soziale Hilfsstelle (MSH) 1 an der Rorschacher Strasse beim Singenberg untergebracht. 1995 folgte die kontrollierte Heroinabgabe in der MSH2 am Blumenbergplatz. Diese Institutionen entspannten die Situation sehr rasch. Sie sind bis heute tätig und eine Erfolgsgeschichte.
Für die Betroffenen machte das neue Drogenkonzept, das als «St.Galler Weg» bekannt wurde, die Situation erträglicher: Beschaffungsstress und Verfolgung durch die Polizei fielen weitgehend weg, die Situation verbesserte sich hygienisch und gesundheitlich. Für die Bevölkerung entfielen die negativen Randerscheinungen der offenen Szene. Das Suchtproblem sei so zwar nicht grundsätzlich gelöst, sondern im Stadtbild nur nicht mehr sichtbar, aber man könne mit der Situation leben, zieht sogar ein ehemaliger Gegner des Fixerraums im «Bienenhüsli» heute Bilanz.
(https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/stgallen/offene-drogenszene-als-die-drogendiskussion-stgallen-vor-dreissig-jahren-aufwuehlte-eine-stadt-am-rand-des-nervenzusammenbruchs-ld.2535623)