Medienspiegel 1. November 2023

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+++BERN
woz.ch 02.11.2023

Rückschaffungen: Vom Spital der Polizei ausgeliefert

Schweizer Migrationsbehörden schaffen schwer kranke Menschen direkt aus stationären psychiatrischen Kliniken aus, wie ein Fall aus dem Kanton Bern zeigt.

Von Basil Weingartner

Die Polizist:innen kommen mitten in der Nacht. Am 21. März um halb vier dringen sie ins Patientenzimmer von Mursal Haidari in den Universitären Psychiatrischen Diensten Bern (UPD) ein. So steht es im Polizeibericht. Die Behörden nehmen die junge Frau mit, die dort seit über drei Monaten in stationärer Behandlung ist.

Haidari, die in Wirklichkeit anders heisst, leidet an einer «schweren unverarbeiteten Posttraumatischen Belastungsstörung, begleitet von schwerer Depression, Angst und sozialem Rückzugsverhalten», wie in den medizinischen Akten der UPD notiert wird, die der WOZ ebenfalls vorliegen. Zuvor hatte sie einen Suizidversuch unternommen. Der behandelnde Arzt der UPD schrieb dazu im Februar an die kantonale Migrationsbehörde, dass «jede zusätzliche psychische Belastung das Risiko einer Selbstgefährdung erhöhen kann».

Doch darauf nimmt die Migrationsbehörde keine Rücksicht. Sie will Mursal Haidari zusammen mit ihren beiden schulpflichtigen Kindern sowie ihrer ebenfalls kranken Mutter unbedingt nach Spanien «rückschaffen». Dorthin war die afghanische Familie 2022 mit einem spanischen Visum geflüchtet. Wenige Jahre zuvor war Mursal Haidaris Mann – ein hochrangiger Funktionär im Sicherheitsdepartement der später von den Taliban gestürzten Regierung – in der Wohnung der Familie ermordet worden. Nach der Machtübernahme der Taliban fühlte sich die Familie erneut bedroht – und flüchtete nach Europa.

Nach eigenen Aussagen wurde die Familie in Spanien nach zwei Tagen auf die Strasse gestellt, zudem haben sie Gründe, sich dort vor Gewalt aus dem engeren Umfeld zu fürchten. Deshalb stellte die Familie ihren Asylantrag erst in Österreich und anschliessend am 15. August 2022 einen zweiten in der Schweiz. Wie Österreich prüfte die Schweiz das Gesuch erst gar nicht, weil gemäss dem Dublin-Abkommen die spanischen Asylbehörden für die Familie zuständig seien. Spanien stimmte am 7. Oktober 2022 dem Rückübernahmegesuch der Schweiz zu. Den Schweizer Behörden blieben daraufhin sechs Monate, diese «Dublin-Rückschaffung» zu vollziehen.

Suizid in der Klinik

Dass sowohl Mursal Haidari als auch ihre Mutter erkrankt sind und Spitalpflege benötigen, passte nicht in die Ausschaffungspläne der Behörden. Aufhalten liessen sie sich davon aber nicht. Am 21. März um 7.10 Uhr wird die ganze Familie – Kinder und Grossmutter sind zuvor in der Nacht in der Asylunterkunft in Langnau im Emmental aus den Betten geholt worden – in Zürich in ein Flugzeug nach Spanien gesetzt. Die Kinder sind immer noch im Pyjama. Die wenigen Habseligkeiten muss die Familie zurücklassen.

«Bei Rückschaffungen nehmen die Behörden Tote in Kauf», sagt Jürg Schneider, der sich im Kanton Bern für die Rechte von Geflüchteten einsetzt und auch die Familie Haidari begleitet. Die Familie hat ihm die Einwilligung gegeben, mit der WOZ über den Fall zu sprechen. Schneider hat Kenntnis von fünf weiteren Fällen, in denen Menschen im Kanton Bern direkt aus psychiatrischen Kliniken rückgeschafft wurden. In einem dieser Fälle beging ein afghanischer Mann in einer anderen Berner Klinik Suizid, nachdem er erfahren hatte, dass ihn die Polizei abholen wird, wie die NZZ berichtete.

«Dass Menschen direkt aus psychiatrischen Kliniken zwangsausgeschafft werden, kommt leider regelmässig vor», sagt Lea Hungerbühler, Präsidentin der Rechtsberatungsstelle Asylex. «Der Kanton Bern ist dabei nach unserer Erfahrung am krassesten, aber auch der Kanton Zürich macht dies oft.» Der Kanton Bern schreibt in seiner Stellungnahme, in Bern seien es «pro Jahr – wenn überhaupt – eine Handvoll Fälle». Und weiter: «Solange keine Kontraindikation – sprich ein medizinischer und vollzugsverhindernder Umstand – vorliegt, kann die Rückführung vollzogen werden.»

Was aber sagt der Kanton dazu, dass es aufgrund der Praxis zu mindestens einem Suizid sowie Suizidversuchen gekommen ist? «Insbesondere Personen mit Wegweisungsentscheid sind grossen psychischen Belastungen ausgesetzt.» Zu Einzelfällen äussere man sich aus «Pietätsgründen» aber nicht. «Wir lehnen es auch klar ab, Einzelfälle in einen Zusammenhang mit der gesetzmässigen Praxis des Kantons Bern zu stellen.» Eine Änderung der Praxis sei nicht geplant.

Unseriöse medizinische Abklärungen

Dass bei den Rückschaffungen «die vorgeschriebene Reisefähigkeit gegeben» ist, wird von der «medizinischen Leistungserbringerin» des Staatssekretariats für Migration (SEM) abschliessend attestiert: der Oseara AG. Dass Letztere dabei oft nicht mit der nötigen Sorgfalt vorgeht, zeigt eine vom SEM selbst in Auftrag gegebene Untersuchung, die Westschweizer Medien rund um «Le Temps» und «La Liberté» vorletzte Woche publik gemacht haben. Von 138 untersuchten Wegweisungsfällen wiesen demnach 94 «relevante» oder «sehr relevante» Fehler der eingesetzten Medizinalfirma auf.

Im Sommer kritisierte UPD-Chefarzt Werner Strik in der NZZ die Ausschaffungspraxis der Behörden. Alle Menschen hätten das Anrecht auf medizinische Behandlung. Die UPD gäben denn gegenüber den Behörden auch keine Auskunft zu Patient:innen und kooperierten nur, wenn ein Durchsuchungsbefehl vorliege. Für Jürg Schneider reicht das nicht. «Die Kliniken nützen ihren Spielraum beim Schutz der Betroffenen nicht aus», ist er überzeugt. Gegenüber der WOZ schreiben die UPD, sie richteten sich «bei Zusammenarbeit mit den Behörden nach den gesetzlichen Vorgaben». Zum konkreten Fall wollen sich die UPD gegenüber der WOZ «aus Gründen des Berufsgeheimnisses und des Persönlichkeitsschutzes» nicht äussern.

Klar ist: Die Klinik wurde vorgängig über die Nachtaktion der Behörden informiert. Mursal Haidari wurde am Vortag eigens aus dem Mehrbettzimmer in ein Einzelzimmer verlegt, aber nicht über die Gründe informiert. In einer Nachricht an Schneider schreibt Haidari, es beschäftige sie bis heute, dass die gleichen Ärzt:innen, die sie über Monate gepflegt hätten, sie anschliessend ausgeliefert hätten. Nicht einmal in einer Klinik erhalten die Menschen minimalen Schutz, sagt Schneider.

Als die Polizei am 21. März ins Zimmer von Mursal Haidari kommt, erleidet diese einen Schock, so steht es im Protokoll der UPD. Der WOZ vorliegende Bilder, die anschliessend in Spanien gemacht werden, zeigen zudem Blutergüsse an beiden Händen, die gemäss der Familie von selbstverletzendem Verhalten während der Rückschaffung stammen.

Aus Madrid erreicht Jürg Schneider im Oktober die Nachricht, dass Mursal Haidari in Spanien einen weiteren Suizidversuch unternommen hat.



Das Crowdfunding

Unterstützer:innen der nach Spanien rückgeschafften Familie Haidari haben Beschwerde gegen die Berner Migrationsbehörden und das Kantonale Zwangsmassnahmengericht eingereicht. Diese hätten bei der Rückschaffung widerrechtlich gehandelt. Mit der Beschwerde soll auch grundsätzlich überprüft werden, inwiefern Ausschaffungen aus Kliniken überhaupt legal sind. Zur Finanzierung der Beschwerde läuft aktuell ein Crowdfunding. Mit diesem soll zudem auch die Familie Haidari unterstützt werden.
crowdify.net/bei-nacht-und-nebel
(https://www.woz.ch/2344/rueckschaffungen/vom-spital-der-polizei-ausgeliefert/!3KERP9WVSDTX)


+++OBWALDEN
Bund erweitert Asylzentrum auf dem Glaubenberg
Von heute bis im April kann der Bund fast doppelt so viele Asylsuchende im Bundesasylzentrum auf dem Glaubenberg unterbringen. In Absprache mit dem Kanton Obwalden hat er in der Truppenunterkunft vorübergehend 300 weitere Plätze bereitgestellt. Die dürften allerdings kaum alle gebraucht werden.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zentralschweiz/bund-erweitert-asylzentrum-auf-dem-glaubenberg?id=12481416
-> https://www.ow.ch/aktuellesinformationen/107752
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zentralschweiz/mein-requiem-wirft-einen-versoehnlichen-blick-auf-den-tod?id=12481590
-> https://www.pilatustoday.ch/zentralschweiz/obwalden/im-asylzentrum-glaubenberg-koennen-neu-ueber-600-asylsuchende-leben-154581487
-> https://www.blick.ch/schweiz/zentralschweiz/obwalden/bundesasylzentrum-glaubenberg-ow-schlaegerei-unter-asylsuchenden-drei-verletzte-id19102510.html?utm_campaign=blick-page-post&utm_content=article-fresh&utm_medium=social&utm_source=twitter&utm_term=cde-twitter-fresh-articles-1045



luzernerzeitung.ch 01.11.2023

640 Plätze stehen zur Verfügung: Leben bald doppelt so viele Asylsuchende im Asylzentrum auf dem Glaubenberg?

Bund, Kanton und die Gemeinde Sarnen haben informiert, dass auf dem Glaubenberg neu befristet bis am 30. April 2024 640 Plätze zur Verfügung stehen. Der Kanton sagt, man habe die Lage im Asylwesen unter Kontrolle. Eine Interpellation verlangt derweilen mehr Transparenz, die Gerüchteküche brodle.

Philipp Unterschütz

Die Armee überlässt dem Staatssekretariat für Migration (SEM) ein weiteres Gebäude auf dem Areal des Bundesasylzentrums (BAZ) Glaubenberg. Es handelt sich dabei um die Kaserne, die das SEM bereits bis Ende Juni 2023 in Betrieb hatte. Das teilte das SEM Ende September mit. Total würde das BAZ damit auf dem Glaubenberg ab Anfang November bis spätestens Ende April 2024 über 640 Plätze verfügen. Der Kanton Obwalden und die Gemeinde Sarnen teilten am Dienstag mit, dass sie der Vereinbarung zur befristeten Nutzung unter den gleichen Bedingungen wie bei der letzten temporären Nutzungserweiterung Ende 2022 zugestimmt haben. Anfang Oktober hielten sich im BAZ auf dem Glaubenberg 270 Personen aus 39 Nationen auf. Grössere Gruppen kommen aus Afghanistan und der Türkei sowie aus diversen afrikanischen Ländern.

Auf die Frage, wie realistisch eine Vollbelegung der 640 Plätze sein könnte, schreibt das SEM, aufgrund der hohen Gesuchseingänge steige die Belegung der Bundesasylzentren. «Wie hoch genau die Belegung eines einzelnen Zentrums zu einem bestimmten Zeitpunkt sein wird, kann nicht genau vorhergesagt werden. Eine hohe Belegung des BAZ Glaubenberg ist durchaus möglich.»

Für das SEM ist auf nationaler Ebene weiterhin die Prognose «mittel» am wahrscheinlichsten. «Wir gehen von 28’000 (+/- 2000) Flüchtlingen bis Ende 2023 aus, mit einer Eintrittswahrscheinlichkeit von 55 bis 60 Prozent. Die Variante «hoch» (35’000, +/- 5000) hat eine Wahrscheinlichkeit von 35 bis 40 Prozent.» Im Verlaufe des Winters gehen die Asylgesuche in der Regel zurück und erreichen im Frühjahr den saisonalen Tiefstand, wobei zwischen April und Juni ein Wiederanstieg erfolgt. Das SEM geht davon aus, dass dies auch in den Wintern 2023 und 2024 so sein wird.

Mehr Polizei wegen höherer Belegung

Ganz neu ist diese Situation nicht. Die zusätzlichen 300 Plätze wurden dem SEM schon im vergangenen Jahr von Oktober 2022 bis Ende Juni 2023 zur Verfügung gestellt. Eine Belegung von mehr als 340 Plätzen war damals nur während weniger Wochen im Oktober/November 2022 und Januar/Februar 2023 notwendig. Und auch in dieser Zeit waren es höchstens 400 Plätze, die belegt waren. Aufgrund der Prognosen des SEM erwartet der Kanton Obwalden aus heutiger Sicht, dass sich die Belegung im gleichen Rahmen halten wird, wie letztes Jahr.

Das SEM passt bei einer höheren Belegung seinen Personaleinsatz im Bereich Betreuung und Sicherheit entsprechend an. Dazu gehört auch die Verstärkung der Aussenpatrouillen. Die Belegung im BAZ hat natürlich auch einen Einfluss auf die Kantonspolizei Obwalden. «Mit höheren Belegungen steigt auch die Anzahl polizeilicher Interventionen auf dem Glaubenberg und im ganzen Sarneraatal, was in der Bevölkerung teilweise wahrgenommen wird», erklärt Sicherheits- und Sozialdirektor Christoph Amstad. «Die Ereignisdichte im Zusammenhang mit dem BAZ ist hoch, oft konzentriert auf ein paar wenige Asylsuchende. Erfahrungsgemäss sind es zwischen 3 bis 5 Prozent der Asylsuchenden, welche Probleme machen.» Diese könnten vom SEM in ein anderes BAZ umplatziert werden.

Die Kantonspolizei müsse also bereit sein, jederzeit Ereignisse im Zusammenhang mit dem BAZ bewältigen zu können. Je nach Situation müssten dabei Prioritäten gesetzt oder Lücken in anderen Bereichen in Kauf genommen werden, so Amstad weiter. «Aufgrund der vollen Auslastung der 340 Plätze im BAZ ab Oktober 2022 und der damaligen befristeten Erweiterung um 300 Plätze, hat der Regierungsrat im November 2022 als Massnahme die Besetzung einer zusätzlichen Polizeistelle befristet bis Mitte 2025 bewilligt.» Es ist jedoch auch zu beachten, dass während des Betriebs des Bundesasylzentrums der Kanton Obwalden eine Standortkompensation erhält, das heisst, es werden ihm vom Bund weniger Asylsuchende zugewiesen, die er selber unterbringen und betreuen muss.

Das SEM bezahlt dem Kanton eine Sicherheitspauschale auf Basis der Anzahl Plätze im BAZ. Bei Erweiterung des BAZ fällt die Entschädigung entsprechend höher aus. Ausserdem entschädigt das SEM den Grundschulunterricht mit einem Pauschalbeitrag pro Klasse. Der Kanton stellt die Grundschule in Zusammenarbeit mit der Gemeinde Sarnen sicher. Wenn mehr Kinder im BAZ platziert werden, werden weitere Klassen eröffnet. «Je nach Entwicklung der Schülerzahlen und aufgrund des Fachkräftemangels kann unter Umständen nicht allen Kindern jederzeit ein adäquater Grundschulunterricht angeboten werden», räumt Christoph Amstad ein.

Schwierige Rekrutierung von Betreuungspersonal

Neben den Asylsuchenden in der Obhut des Bundes auf dem Glaubenberg, muss Obwalden zurzeit 236 Personen aus der Ukraine mit Schutzstatus S und 152 dem Kanton zugewiesene Asylbewerber betreuen. Es gibt neben den privaten Unterbringungsangeboten eine Kollektivunterkunft für die Ukraine mit 170 Plätzen in Giswil, wovon noch 70 Plätze frei sind. Beim angemieteten Wohnraum und den Gastfamilien sind zudem noch 20 Plätze für Personen aus der Ukraine mit Schutzstatus S und 41 Plätze für Asylsuchende frei. Der Krieg im Nahen Osten und Erdbeben haben die Lage im Asylbereich weiter verschärft. Christoph Amstad ist trotzdem zuversichtlich: «Wir haben genügend Reserveplätze geschaffen und sollten auch eine höhere Zahl an Zuweisungen bewältigen können.

61 Personen aus der Ukraine konnten eine Erwerbstätigkeit aufnehmen (Festanstellung, Vollzeit, Teilzeit, Arbeit auf Abruf, Stundenlohn oder Praktika, Stand 30. Juni 2023). «Die Zahl der Beschäftigten mit S-Status im Verhältnis zur Bevölkerung ist im Kanton Obwalden mit einer Beschäftigungsrate von fast 40 Prozent vergleichsweise hoch», hält Christoph Amstad fest. Nur Appenzell Innerrhoden weise eine noch höhere Beschäftigungsrate auf. Eine weitere grosse Herausforderung, die sich durch die hohen Zuweisungen auch 2023 und die Aussichten auf weitere Krisen ergeben, sind neben der Wohnraumsuche insbesondere die Suche nach geeignetem Fach- und Betreuungspersonal, welches zur Zeit schwierig zu rekrutieren ist, beispielsweise für soziale Arbeit oder Sozialpädagogik. Bei den Ukrainerinnen und Ukrainern ist auch die Fluktuation eine Herausforderung. Es kommen immer noch viele, aber es gehen auch wieder einige, was den Verwaltungsaufwand erhöht.

Auf die Frage nach den Kosten für den Kanton hält Christoph Amstad fest: «Die Kosten im Asylwesen waren in den letzten Jahren durch die Beiträge des Bundes gedeckt.»

Interpellation fordert mehr Transparenz

Mehr Informationen zum Thema will auch der Alpnacher SVP-Kantonsrat und Fraktionschef Ivo Herzog, Er hat vergangene Woche eine Interpellation mit dem Titel «Kartell des Schweigens» eingereicht. «Die Gerüchteküche läuft heiss und mit Gerüchten macht man selbstverständlich keine Politik», heisst es darin einleitend. Vieles sei intransparent. «Deshalb wollen wir Licht ins Dunkel bringen. Informationen dazu und auch ehrlich allfällige Probleme auf den Tisch zu legen, ist unserer Ansicht nach dringend nötig. Die Bevölkerung hat ein Recht darauf», sagt Ivo Herzog auf Anfrage. «Es gibt sehr viele Gerüchte, wo ich einfach das Öffentlichkeitsprinzip leben und die echte Wahrheit kennen möchte. Ich denke, man muss auch Schwierigkeiten kommunizieren. Nur dann finden wir Lösungen und allenfalls notwendige flankierende Massnahmen. Und die Thematik brennt den Leuten unter den Nägeln.»

So will Ivo Herzog in 19 Punkten mit rund 50 Fragen unter anderem wissen, warum der Kanton nicht offensiver informiere, beispielsweise über die Änderungen auf dem Glaubenberg und die Konsequenzen. Er möchte aufgrund von Gerüchten auch Informationen über Sachbeschädigungen oder Gewalt- und Straftaten durch die Asylanten vom Glaubenberg, sowie die Belastung der Staatsanwaltschaft, respektive der Folgekosten zulasten der Steuerzahler. Fragen gibt es auch zur gesundheitlichen Grundversorgung oder den Transporten der Flüchtlinge. Ob sich der Kanton eigentlich all der Problematiken bewusst sei? «Was unternimmt die Regierung im Sinne der Wahrnehmung der Obwaldner Interessen in dieser Krise?», fragt Ivo Herzog. Dabei spricht er auch die Nichtumsetzung von Ausschaffungen abgewiesener oder krimineller Flüchtlinge durch den Bund an. «Kann die Regierung dazu konkrete Auskünfte geben, wie Sie sich gegebenenfalls wehrt und gewehrt hat?»



Messerstecherei mit Verletzten

Durch einen Hinweis hat unsere Redaktion am Mittwoch erfahren, dass es am Dienstagabend zu einer Messerstecherei im Bundesasylzentrum gekommen sei. Unsere Fragen zum Ereignis per Mail ans Staatssekretariat für Migration (SEM) wurden folgendermassen beantwortet: «Das SEM bestätigt, dass es gestern zu einer Auseinandersetzung zwischen Asylsuchenden im Bundesasylzentrum auf dem Glaubenberg gekommen ist. Die Kantonspolizei war vor Ort. Für weitere Informationen bitten wir Sie, sich direkt mit den dafür zuständigen Strafverfolgungsbehörden in Verbindung zu setzen.» Gemeint wir damit die Kantonspolizei. Diese gab jedoch keinerlei Informationen preis, sondern bestätigte nur, dass es zu einem Einsatz auf dem Glaubenberg gekommen sei. Nur das SEM dürfe Auskunft geben. Erst nach hartnäckigem Nachfragen gab das SEM dann wenigstens noch an, dass es Verletzte gegeben habe, aber keine Toten. (unp)
(https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/obwalden/fluechtlingspolitik-asylsituation-ow-nw-ld.2530638)


+++SCHWEIZ
Schutzstatus S wird nicht aufgehoben
Eine nachhaltige Stabilisierung der Lage in der Ukraine ist nicht absehbar. Der Schutzstatus S für Schutzsuchende aus der Ukraine wird deshalb nicht vor dem 4. März 2025 aufgehoben. Das hat der Bundesrat an seiner Sitzung vom 1. November 2023 entschieden. Erstmals hat er zudem ein Ziel für die Arbeitsmarktintegration definiert: Bis Ende 2024 sollen 40 Prozent der erwerbsfähigen Personen mit Status S einer Arbeit nachgehen.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-98405.html
-> https://www.blick.ch/politik/bund-verlaengert-schutzstatus-s-bis-2025-ukrainer-duerfen-laenger-bleiben-id19099975.html
-> https://www.fluechtlingshilfe.ch/medienmitteilungen/sfh-begruesst-weiterfuehrung-schutzstatus-s-und-die-foerderung-der-erwerbsintegration
-> https://www.watson.ch/schweiz/migration/327886957-schutzstatus-s-fuer-ukrainische-gefluechtete-wird-nicht-aufgehoben
-> https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/schutzstatus-s-wird-vor-marz-2025-nicht-aufgehoben-66641315
-> https://www.20min.ch/story/krieg-dauert-an-schweiz-verlaengert-schutzstatus-s-fuer-ukrainer-bis-maerz-2025-190381917413
-> https://www.tagesanzeiger.ch/schutzstatus-s-mehr-ukrainerinnen-sollen-arbeiten-und-sprache-lernen-953627552641


Migranten-Rückweisungen im Ausland: Sollte die Schweiz nachziehen?
Deutsche Polizeikräfte versuchen vermehrt, illegale Grenzübertritte mit Kontrollen in der Schweiz zu verhindern: Politiker aus Basel ordnen die Praxis ein.
https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/migranten-ruckweisungen-im-ausland-sollte-die-schweiz-nachziehen-66639777


+++FREIRÄUME
Autonome Druckerei: Ein 25 Tonnen schweres Problem
Eigentlich wollte das Druckkollektiv der Reitschule Bern einfach eine Druckmaschine kaufen. Bezahlen muss es diese nun doppelt. Eine Geschichte von dreckigen Druckwalzen in Reykjavík und einem insolventen Zwischenhändler in Hamburg.
https://www.woz.ch/2344/autonome-druckerei/ein-25-tonnen-schweres-problem/!B5FB7FFJFJSR
-> Drucki: https://reitschule.ch/reitschule/drucki/?p=556


+++DEMO
Rekurs gegen Demo-Verbot
Die Demokratischen Juristinnen haben gemeinsam mit den Parteien SP, Grüne und Basta Rekurs gegen das von der Kantonspolizei verhängte Demonstrationsverbot am Wochenende vom 20. bis 22. Oktober eingereicht. Es hätte zumindest eine Einzelfall-Abwägung stattfinden müssen, so die Rekurrenten.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/rekurs-gegen-demo-verbot?id=12481311


Bewilligungspflicht für Demos bis 100 Personen fällt
Kleine und mittelgrosse politische Kundgebungen und Demonstrationen müssen in der Stadt Zürich künftig nur noch gemeldet werden. Es braucht keine Bewilligung mehr. Der Stadtrat beantragt dem Gemeinderat, die Allgemeine Polizeiverordnung entsprechend zu ändern.
https://www.stadt-zuerich.ch/pd/de/index/das_departement/medien/medienmitteilung/2023/november/231101a.html
ABO https://www.nzz.ch/zuerich/zuerich-eine-bewilligung-braucht-es-nur-noch-fuer-demos-ab-100-personen-ld.1763583
-> https://www.20min.ch/story/stadt-zuerich-demo-bewilligungspflicht-soll-fallen-critical-mass-erfreut-292695404611
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/in-zuerich-soll-die-bewilligungspflicht-fuer-kleine-demos-fallen?id=12481572
-> https://www.tagesanzeiger.ch/alle-demos-bis-100-personen-in-zuerich-erlaubt-stadtrat-will-bewilligungs-praxis-lockern-617539178175
-> https://tv.telezueri.ch/zuerinews/stadt-zuerich-will-regime-fuer-demos-lockern-154613928
-> https://www.zueritoday.ch/zuerich/zuercher-stadtrat-eckt-mit-plaenen-zu-neuem-demo-regime-an-154614591?autoplay=true&mainAssetId=Asset:154614580
-> https://www.zueritoday.ch/zuerich/stadt-zuerich/zuercher-stadtrat-will-bewilligungspflicht-fuer-demos-bis-100-personen-abschaffen-154607582?autoplay=true&mainAssetId=Asset:154515116


Geri Müller sagt Sorry: Unia-Securitys schützen Palästina-Demo – Gewerkschaft stinksauer
Die Palästina-Demo in Bern am Samstag wurde auch von Personen in Unia-Westen überwacht. Die Gewerkschaft hat mit der heiklen Kundgebung aber nichts zu tun. Jetzt ist klar, dass Geri Müller eine zentrale Rolle spielte.
https://www.20min.ch/story/geri-mueller-sagt-sorry-unia-securitys-schuetzen-palaestina-demo-553511186390?version=1698816589078&utm_source=twitter&utm_medium=social


Demo: Sofortiges Ende der Iranausschaffungen, geregelten Aufenthalt für alle geflüchteten Iraner*innen
Auf dem Bundesplatz protestierten gestern abgewiesene Iraner*innen und Unterstützer*innen gegen die aktuelle Praxis des Staatssekretariat für Migration (SEM). Trotz der desolaten Lage im Iran weist das SEM weiterhin mehr als die Hälfte der Asylgesuche von Iraner*innen ab. Auch die Ausschaffungen gehen weiter, obwohl das Mullah-Regime Flucht aus dem Iran als Verrat betrachtet.
https://migrant-solidarity-network.ch/2023/11/01/demo-sofortiges-ende-der-iranausschaffungen-geregelten-aufenthalt-fuer-alle-gefluechteten-iranerinnen/



derbund.ch 01.11.2023

Bern ächzt unter Demo-Dichte: Mehrere Organisationen rufen zur nationalen Palästina-Demo auf

Von Kommunisten bis zu Klimastreikenden: Für das nächste Wochenende wird breiter mobilisiert als bisher. Die Polizei setzt auf Deeskalation.

Kaspar Keller, Christoph Albrecht

Der Demo-Kalender in der Stadt Bern ist in diesen Tagen eng getaktet. Nach einer ersten Palästina-Demo und einer Israel-Mahnwache folgte letztes Wochenende ein Demo-Samstag mit gleich zwei Kundgebungen – einer Palästina-Demo auf dem Bundesplatz und einem antifaschistischen Abendspaziergang durch die Stadt. Die jeweilige Stimmung: hitzig. Das Polizeiaufgebot: beträchtlich.

Und die nächsten Kundgebungen stehen bereits an. Am Mittwoch ist auf dem Bundesplatz erneut eine Israel-Mahnwache geplant. Mit einer Kinderwagen-Installation wollen die Organisatoren auf die nach wie vor verschleppten israelischen Geiseln aufmerksam machen, darunter auch Kinder und Babys.

Nause: Keine Demos im Zweitagesrhythmus

Eine grössere Demonstration dürfte wiederum am Samstag auf Bern zukommen. Dann ist auf dem Bundesplatz abermals eine Palästina-Demo geplant – diesmal jedoch eine nationale. «Es sind verschiedene Gesuche von unterschiedlichen Gruppierungen hängig, und wir bemühen uns derzeit, diese zu einer Kundgebung zu bündeln. Es laufen Gespräche», sagt Sicherheitsdirektor Reto Nause (Mitte) auf Anfrage.

Noch steht die Bewilligung für die Kundgebung aus – die Demo-Anfragen werden derzeit noch beurteilt. So oder so lässt Nause durchblicken, dass die aktuelle Demo-Dichte das erträgliche Mass bald übersteigt. «Irgendwann ist Schluss», sagt er. «Wir können in Bern nicht im Zweitagesrhythmus solche Kundgebungen haben.»

Denn einerseits gebe es zwar das Recht auf Meinungsäusserung, aber es gebe auch die Bevölkerung, die am Samstag in der Innenstadt ungestört bummeln und einkaufen möchte. Was passiere, wenn die Kundgebungen sich zu sehr häuften, habe man während der Covid-Pandemie gesehen: «90 Prozent der Leute waren nur noch genervt», sagt der Sicherheitsdirektor.

Die Szene ist geteilt

Dazu kommt, dass die für Samstag vorgesehene Kundgebung nicht nur von der Grösse her, sondern auch von der Breite der beteiligten Gruppierungen eine neue Dimension annehmen könnte. Der Aufruf kommt von einem Kollektiv aus Genf und wird von über einem Dutzend Gruppierungen unterstützt.

Dazu gehören unter anderem die Partei der Arbeit Schweiz, die Kommunistische Jugend Bern, Der Funke Schweiz oder Bern for Palestine. Auch die BDS-Bewegung – BDS steht für Boykott, Desinvestition und Sanktionen gegen Israel – unterstützt den Aufruf. «Auch in Kreisen der Klimabewegung wird für die Demonstration mobilisiert», so Nause.

Innerhalb der Klimabewegung scheint es unterschiedliche Meinungen zu geben, ob und welche Position man rund um die jüngste Eskalation im Nahen Osten einnehmen will. Nachdem auf den internationalen Social-Media-Accounts der Fridays-for-Future-Bewegung – diese habe laut Recherchen der «Jüdischen Allgemeinen» keine Legitimation, im Namen der gesamten Klimabewegung zu posten – klar Position für Palästina ergriffen worden war, distanzierten sich diverse nationale Accounts.

Neben dem deutschen Ableger tat dies auch die Schweizer Klimabewegung – zumindest die Deutschschweizer Sektion. Auf den Accounts von «Grève du Climat Suisse» ist eine Positionierung gegen den Hamas-Terror und eine Reaktion auf die Antisemitismusvorwürfe nicht auffindbar. Im Gegenteil. In gewissen Telegram-Kanälen der Klimastreik-Bewegung wurde zu Pro-Palästina-Demos aufgerufen.

Jonas Kampus, der sich im Klimastreik aktiv engagiert, bestätigt, dass in den Kanälen teilweise auch problematische Inhalte geteilt würden. Diese seien jedoch öffentlich, die Posts der einzelnen Mitglieder würden nicht automatisch die Position des Klimastreiks widerspiegeln. Problematische Posts würden durch die Administratoren jeweils gelöscht.

Dass der französischsprachige Kanal bisher keine Mitteilung zur Situation im Nahen Osten abgesetzt hat, habe eher etwas mit dem Zeitbedarf denn mit unterschiedlichen Perspektiven zu tun. «Die Position des Klimastreiks haben wir zusammen erarbeitet, sie gilt für alle Sprachregionen», sagt Kampus.

Der Klimastreik ist eine von zahlreichen Organisationen wie Extinction Rebellion oder Letzte Generation, die alle der Klimabewegung zugerechnet werden können. Es gibt unterschiedliche Positionen innerhalb der Klimabewegung, und es gibt Personen, die auch in der Pro-Palästina-Bewegung aktiv sind.

Doch nicht nur innerhalb der Klimabewegung scheint man geteilter Meinung zu sein, auch die linksextreme Szene ist gespalten. So kritisierte etwa Der Funke, die Schweizer Sektion der International Marxist Tendency (IMT), nach der jüngsten Antifa-Demo vom vergangenen Wochenende, dass beim Demo-Zug vom Samstagabend keine Palästina-Flaggen erlaubt waren.

Anders zeigte sich das Flaggen-Regime einige Stunden zuvor während der Palästina-Demo. Dort wurde eine ältere Frau zurechtgewiesen, die eine Friedensfahne entrollen wollte – anscheinend waren nur Palästina-Flaggen erwünscht. Ein Mann, der während der Kundgebung mit einer Israel-Fahne auftauchte, sei von der Polizei wegeskortiert worden.

Doch wie wird die Polizei bei heiklen Situationen vorgehen, etwa wenn bei der nächsten Demonstration antisemitische Sprüche skandiert werden oder verfeindete Gruppen aneinandergeraten? «Wir greifen dort ein, wo es zu Straftaten kommt», sagt Manuel Willi, Chef der Regionalpolizei Bern. Bei heiklen Situationen versuche man, vor Ort beruhigend einzuwirken. «Wir wollen verhindern, dass die Situation eskaliert.»
(https://www.derbund.ch/palaestina-demo-bern-mehrere-organisationen-rufen-erneut-auf-817656171996)

-> https://www.nau.ch/news/schweiz/israel-krieg-geplante-palastina-gross-demo-sorgt-in-bern-fur-arger-66641176
-> https://www.baerntoday.ch/bern/stadt-bern/nationale-pro-palaestina-demonstration-in-bern-ist-bewilligt-154610697



nzz.ch 01.11.2023

Antisemitische Parolen bei Pro-Palästina-Demos in Zürich dürften straffrei bleiben

Bei den Pro-Palästina-Demonstrationen der letzten beiden Wochen kam es zu diversen antisemitischen Vorfällen. Die Stadtpolizei wird diesen nicht nachgehen.

Oliver Camenzind

An zwei Wochenenden in Folge sind Menschen in der Stadt Zürich für Palästina auf die Strasse gegangen. Eine der beiden Demonstrationen fand unter dem Motto «Stoppt den Genozid in Palästina» und ohne Bewilligung statt. Dies, weil die Stadt zu der Zeit keine Bewilligungen für Demonstrationen im Zusammenhang mit dem Krieg im Gazastreifen erteilte. Am vergangenen Samstag brachten bei einer bewilligten Demo weit über tausend Personen ihre Solidarität mit den Palästinensern in Gaza zum Ausdruck.

Bei beiden Demonstrationsumzügen waren antiisraelische und teilweise auch antisemitische Botschaften zu sehen und zu hören gewesen. Im Vorfeld der zweiten Demonstration waren ausserdem Flyer in Umlauf gebracht worden, auf denen eine Landkarte abgedruckt war, die Israel als Teil eines palästinensischen Staates zeigte. Daneben stand «freies Palästina». Letzte Woche hiess es vonseiten der Staatsanwaltschaft, dass in diesem Zusammenhang eine Anzeige eingegangen sei.

Doch nun ist unklar, ob die Vorfälle weiterhin verfolgt werden. Auf Anfrage der NZZ teilte die Stadtpolizei Zürich am Dienstag mit, dass hinsichtlich der beiden Demonstrationen «keine weiteren Ermittlungen» getätigt würden. Dies sei «nach Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft» und nach Prüfung der gegenwärtig verfügbaren Informationen entschieden worden.

Antisemitische Slogans wie «Intifada bis zum Sieg», die Parole «From the river to the sea, Palestine will be free» oder Vergleiche mit der Vernichtungspolitik Adolf Hitlers dürften demnach nicht weiterverfolgt werden – und folglich straffrei bleiben. Die Staatsanwaltschaft war am Dienstag bis Redaktionsschluss nicht für Rückfragen erreichbar.

Schwammige Rechtslage

Der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) betreibt eine Meldestelle, bei der antisemitische Vorfälle gemeldet werden können. Dort seien in den letzten Wochen viele Meldungen eingegangen, sagt Jonathan Kreutner, der Generalsekretär des SIG. Bei den gemeldeten Vorfällen handle es sich um ähnliche Botschaften wie bei den Demonstrationen in Zürich.

Gelegentlich erstatte der SIG nach antisemitischen Vorfällen selbst Anzeige. Allerdings nur, wenn Aussicht auf Erfolg bestehe, wie Kreutner sagt. «Sonst würden wir nicht mehr aus der Arbeit herauskommen.»

Die Rechtslage ist in solchen Fällen nicht eindeutig. Die geltende Antirassismusstrafnorm verbietet zwar das Werben für extremistische Ideologien und stellt Äusserungen und Handlungen unter Strafe, die Menschen aufgrund ihrer Ethnie, Rasse oder Religion herabsetzen. Wird allerdings «bloss» eine Meinung kundgetan, kann selbst das Tragen eines Hakenkreuzes straffrei bleiben.

Weitere Kundgebungen am Donnerstag

Nachdem die propalästinensischen Demonstrationen so grossen Zulauf gehabt haben, ist für diese Woche nun eine Kundgebung angekündigt worden, die sich ausdrücklich mit Israel solidarisieren und ein Zeichen gegen den aufflammenden Antisemitismus setzen will. Die Initiative dazu ist von vier jüdischen Personen ausgegangen. Es steht also keine spezifische Organisation dahinter.

«Es geht hier um mehr als um Juden und Israeli. Es geht darum, dass wir für eine offene und demokratische Gesellschaftsordnung einstehen», sagt eine Sprecherin des Organisationskomitees. Das seien die Grundwerte des Westens, die derzeit in Gefahr seien.

Die Kundgebung findet am Donnerstag um 18 Uhr auf dem Münsterhof statt. Alfred Heer (SVP) und Daniel Jositsch (SP) werden vor Ort sein und kurze Ansprachen halten. Von den Reden abgesehen wird es eine stille Kundgebung sein.

Ebenfalls für kommenden Donnerstag haben verschiedenen Organisationen zu einer Kundgebung «für einen gerechten Frieden in Israel/Palästina» aufgerufen. Zu den Organisatoren gehören die Gesellschaft für eine Schweiz ohne Armee (GSoA), Amnesty International Schweiz, die Jüdische Stimme für Demokratie und Gerechtigkeit in Israel/Palästina JVJP und weitere.

Um Störungen und politische Parteinahme zu verhindern, werden dort ausschliesslich Flaggen mit Friedenszeichen wie der Taube toleriert. Diese Kundgebung wird am Donnerstag um 18 Uhr auf dem Bürkliplatz, also unweit der anderen Kundgebung, stattfinden. Teilnehmende sollen statt politischer Botschaften eine Kerze mitbringen. Es wird eine Gedenkminute für alle Opfer der kriegerischen Auseinandersetzung im Gazastreifen geben.
(https://www.nzz.ch/zuerich/zuerich-staatsanwaltschaft-verzichtet-auf-verfahren-wegen-antisemitismus-an-demos-ld.1763404)


+++BIG BROTHER
Bekämpfung von Terrorismus: Schweiz will Daten von Flugpassagieren mit der EU austauschen
Die Schweiz soll künftig die Namen, Kontaktdaten und Reiseroute der Flugpassagiere mit EU-Ländern austauschen. Der Bundesrat hat am Mittwoch ein Verhandlungsmandat für ein Abkommen verabschiedet.
https://www.derbund.ch/bekaempfung-von-terrorismus-schweiz-will-daten-von-flugpassagieren-mit-der-eu-austauschen-656036684806


Zürcher Parlament will Videoüberwachung zurückbinden
Der Zürcher Gemeinderat hat sich für Videoüberwachung nur in Ausnahmefällen ausgesprochen. Die linke Ratsseite verschärfte den Vorschlag des Stadtrats noch.
https://www.zueritoday.ch/zuerich/stadt-zuerich/zuercher-parlament-will-videoueberwachung-zurueckbinden-154615191



derbund.ch 01.11.2023

Kameras in der Stadt Zürich: Links-Grün schränkt Videoüberwachung stark ein

Private brauchen künftig eine Bewilligung, wenn sie mit Überwachungskameras das Trottoir mitfilmen. Die Bürgerlichen wehrten sich im Gemeinderat vergebens.

Beat Metzler

Künftig soll es deutlich einfacher werden, ungefilmt durch Zürich zu spazieren.

Die links-grüne Mehrheit im Gemeinderat hat den Einsatz von Überwachungskameras auf Stadtgebiet deutlich eingeschränkt. Die neuen Regeln treffen auch private Besitzerinnen und Besitzer von Überwachungskameras, was am Mittwochabend für Widerstand von bürgerlicher Seite sorgte.

Vertreterinnen von AL, Grünen, SP und GLP wollen den Einsatz von Videokameras auf Stadtgebiet schon länger besser kontrollieren. Dazu hatten sie fünf Vorstösse eingereicht. Um den Forderungen aus diesen Vorstössen gerecht zu werden, hat der Stadtrat die Datenschutzverordnung grundlegend angepasst. Im Gemeinderat hat die links-grüne Mehrheit nun einige weitere Verschärfungen hinzugefügt.

Keine Gesichtserkennung

Weniger kontrovers diskutiert wurden die neuen Regeln, die für Überwachungskameras der Stadt Zürich gelten sollen. Davon ausgenommen ist allerdings die Stadtpolizei, deren Umgang mit Überwachungsmaterial ein kantonales Gesetz regelt. Einsetzen dürfen städtische Abteilungen Überwachungskameras künftig nur, wenn eine «Gefahr für Leib und Leben» besteht oder ein grosser Sachschaden entstehen könnte. Zudem muss die Stadt künftig Kameramodelle benutzen, welche die Bilder verschlüsselt abspeichern und verschicken. Software zur automatischen Gesichtserkennung, wie sie zum Beispiel in China verwendet` wird, darf die Stadt Zürich hingegen nicht brauchen. Diese Einschränkungen gingen FDP, SVP und Mitte/EVP zu weit.

Umstrittener war der Umgang mit den Kameras von Hauseigentümerinnen oder Gewerbetreibenden, die neben dem eigenen Hauseingang oder dem eigenen Schaufenster auch das Trottoir oder die Strasse mitfilmen.

Die Bürgerlichen und die GLP sagten, dass das Bundesrecht das Aufzeichnen des öffentlichen Raumes bereits eindeutig verbiete. Das reiche. Daher brauche es keine zusätzlichen Regeln. Diese würden zu einem «Bürokratiemonster» führen und die Polizei mit sehr viel Mehrarbeit belasten. Ausserdem fehle der Stadt Zürich das Recht, solche Vorschriften zu erlassen. Karin Weyermann (Mitte) warf den Linken «Paranoia» vor.

Darf die Stadt private Kameras verbieten?

Rednerinnen von SP, Grünen und AL betonten, dass bei den privaten Kameras ein riesiger «Wildwuchs» herrsche. Hunderte, wenn nicht Tausende solcher Kameras würden die Zürcher Trottoirs filmen, etwa an der Lang- oder an der Bahnhofstrasse. Niemand wisse, was mit den Aufnahmen geschehe. Folgen habe diese illegale Praxis keine, weil sich keine Behörde zuständig fühle, die Übertretungen zu ahnden. Daher müsse die Stadt einschreiten.

«Wir wollen  auf keinen Fall, dass unser öffentlicher Raum gefilmt wird», sagte Matthias Probst (Grüne). Dies verletze die Grundrechte aller Passantinnen und Passanten.

Die links-grüne Seite argumentierte, dass das Filmen von öffentlichem Raum einen «gesteigerten Gemeingebrauch» darstelle. Darum habe die Stadt die Kompetenz, den Einsatz von privaten Kameras zusätzlich zu regulieren. SP, Grüne und AL beschlossen unter anderem eine Bewilligungspflicht. Wenn eine Überwachungskamera mehr als die eigene Fassade filmt, müssen die privaten Betreiberinnen die Erlaubnis dafür bei der Stadt einholen. Diese darf eine solche «partielle Mitüberwachung des öffentlichen Grundes» nur in gut begründeten Ausnahmefällen gutheissen. Die Bewilligung muss alle sechs Jahre erneuert werden, ausserdem müssen Eigentümer ihre Kameras vor Ort deutlich kennzeichnen. Bei all diesen Verschärfungen setzte sich die links-grüne Seite jeweils mit einer Mehrheit von 62 zu 57 Stimmen durch.

Der gesamten, überarbeiteten Datenschutz-Vorlage stimmte dann auch die GLP zu. Denn diese bringe deutlich mehr Verbesserungen als Verschlechterungen.
(https://www.tagesanzeiger.ch/kameras-in-der-stadt-zuerich-links-gruen-schraenkt-videoueberwachung-stark-ein-110832690167)



nzz.ch 01.11.2023

Überwachung im öffentlichen Raum: Linke wollen dem «Wildwuchs Einhalt gebieten», «ihr seid paranoid», finden die Bürgerlichen

Wie viele Regeln braucht es für Videoaufnahmen im öffentlichen Raum? An dieser Frage scheiden sich im Stadtparlament die Geister.

Francesca Prader

Videoüberwachung gehört mittlerweile auch in Schweizer Städten zum Alltag. Nicht nur in der Bank oder beim Self-Check-out im Supermarkt, sondern auch im öffentlichen Raum, beispielsweise an Bahnhöfen oder in Bus und Tram.

Aber auch Private nehmen mit ihren Überwachungskameras den öffentlichen Raum auf. Der Juwelier etwa, der sein Schaufenster mit Kameras sichert, hat nicht zwingend nur das Schaufenster im Fokus, sondern auch Teile des Trottoirs.

Die Meinungen über solche Videoaufnahmen im öffentlichen Raum gehen bekanntlich auseinander. Die einen vertreten das Motto «Wer nichts zu verbergen hat, hat nichts zu befürchten», die anderen sagen sich: «Wehret den Anfängen.»

Entsprechend verlief auch die Diskussion im Zürcher Stadtparlament, das sich am Mittwoch mit einer Teilrevision der Datenschutzverordnung befasste. Man war sich einzig darin einig, dass Zürich nicht zu einer Big-Brother-Stadt verkommen dürfe, in der man auf Schritt und Tritt gefilmt werde und möglicherweise sogar erkannt werden könne.

Auch darüber, dass Videoüberwachung durch öffentliche Organe erlaubt sein soll, wenn sie für die Erfüllung der öffentlichen Aufgaben erforderlich und geeignet ist, bestand ein Konsens.

Die linken Parteien forderten aber den Zusatz, dass erhebliche Gefahr für Leib und Leben oder für grosse Sachbeschädigungen bestehen müsse. Hier war es dann vorbei mit der Einigkeit.

Denn der Zusatz bedeutet, dass Bagatellen, wie beispielsweise Sprayereien, nicht als Begründung für eine Überwachung reichen sollen. Matthias Probst (Grüne) sprach von einer Präzisierung. Der Protest der Bürgerlichen gegen diese «Verschärfung» blieb chancenlos.

Handhabe von privaten Kameras

Das Herzstück der Verordnung war allerdings die Handhabe von privaten Videokameras, die auch den öffentlichen Raum einfangen. Diesem «Wildwuchs» von Videoaufnahmen durch Private im öffentlichen Raum gelte es dringend Einhalt zu gebieten, sagte Matthias Probst (Grüne).

Michael Schmid (FDP) argumentierte derweil, dass die Stadt in diesem Bereich überhaupt keine Weisungsbefugnisse habe. «Videoaufnahmen vom öffentlichen Raum durch Private sind auf Bundesebene klar geregelt. Sie sind nämlich verboten.»

Niemand wolle eine komplette Überwachung, sagte Schmid. Aber die Verordnung in ihrer jetzigen Form «schiesst über die Kompetenzen des Stadtparlaments hinaus».

Dem widersprach Luca Maggi (Grüne) vehement. Die Überwachung durch Private sei in der Tat auf Bundesebene geregelt. Bei der Teilüberwachung, die quasi als Beifang durch Schaufensterkameras und dergleichen passiere, handle es sich aber um einen Graubereich, den es zu reglementieren gelte.

Und zwar so, dass schon das kleinste bisschen an mitgefilmtem öffentlichem Raum eine Bewilligung nötig macht. Das ging Stadträtin Karin Rykart (Grüne) zu weit. Es brauche eine Toleranzgrenze, «sonst ufert der Mehraufwand für alle Beteiligten aus». Ihr Appell verhallte ungehört.

Wie bei der FDP stiess die Verordnung auch bei der Mitte/EVP-Fraktion auf wenig Gegenliebe. Sie verstosse gegen übergeordnetes Recht und zeige, «wie paranoid die Linken sind».

Nichts von Paranoia wollte die SP wissen. Hier gehe es um einen erheblich wichtigen Bereich, sagte Rahel Habegger.

Auch Bernhard im Oberdorf (SVP) fand es falsch, von Paranoia zu reden, obwohl er einige der gestellten Anträge fragwürdig fand. Am Ende der Debatte verliess ihn dann aber, wohl auch angesichts der Menge an Anträgen von linker Seite, zusehends die Geduld, und er warf den linken Parteien «Kompetenzanmassung» und eine «unterdrückerische Mentalität» vor.

Der AL war es derweil einerlei, ob die Verordnung in der Kompetenz der Stadt liegt. Das zu entscheiden, liege an den Gerichten. «Wir sind aber der Meinung, dass es sehr wohl in unserer Kompetenz ist», sagte Moritz Bögli (AL), dem die Verordnung insgesamt zu wenig weit ging.

Die rechte Ratsseite mit EVP, Mitte, FDP und SVP blieb am Mittwoch chancenlos. Fast ausnahmslos wurde sie von den vereinten Kräften von GLP, SP, AL und Grünen überstimmt.

Die Verordnung geht nun mit den verabschiedeten Anpassungen an die Redaktionskommission. Die Schlussabstimmung findet in einer der nächsten Parlamentssitzungen statt.
(https://www.nzz.ch/zuerich/zuerich-parlament-setzt-strenge-regeln-fuer-videoueberwachung-ld.1763684)


+++POLIZEI ZH
Umstrittene Video-Überwachung: Stadtpolizei Zürich setzt ab 2024 Bodycams ein
Nach langem Hin und Her hat der Stadtrat den Einsatz von Video-Polizistinnen und -Polizisten reglementiert. Aber 2024 kommen sie zum Einsatz – klar gekennzeichnet.
https://www.tagesanzeiger.ch/bodycams-bei-der-zuercher-stadtpolizei-ab-2024-kommen-die-video-polizisten-zum-einsatz-310021655913
-> https://www.stadt-zuerich.ch/pd/de/index/das_departement/medien/medienmitteilung/2023/november/231101b.html
->  https://www.blick.ch/schweiz/kontroll-und-schutzfunktion-stadtpolizei-zuerich-setzt-ab-2024-bodycams-ein-id19100312.html
-> https://www.zueritoday.ch/zuerich/kanton-zuerich/stadtpolizei-zuerich-setzt-ab-2024-bodycams-ein-154607980?autoplay=true&mainAssetId=Asset:154608382


+++RASSISMUS
Antisemitische Vorfälle beschäftigen Basel – Rendez-vous
Seit der Eskalation im Nahen Osten kommt es weltweit zu Anfeindungen zwischen Palästinensern und Juden. Auch in der Schweiz haben antisemitische Vorfälle aufgrund des Konflikts zugenommen. In Basel etwa fühlen sich die Kinder in der jüdischen Schule nicht mehr sicher.
https://www.srf.ch/audio/rendez-vous/antisemitische-vorfaelle-beschaeftigen-basel?partId=12481476
-> https://www.tachles.ch/artikel/news/juedische-gemeinden-erpresst
-> https://www.srf.ch/news/gesellschaft/antisemitismus-mehr-hass-auf-juden-in-der-schweiz
-> https://telebasel.ch/sendungen/punkt6/212083
-> https://www.watson.ch/schweiz/international/184262254-antisemitismus-in-der-schweiz-seit-dem-hamas-angriff-gestiegen
-> https://www.bzbasel.ch/basel/basel-stadt/verfahren-drohung-gegen-juedische-einrichtung-in-basel-staatsanwaltschaft-ermittelt-ld.2536242


+++RECHTSPOPULISMUS
Ausserordentliche Generalversammlung: Wegelin gibt ihr Amt als Winterthurer SVP-Präsidentin ab
Maria Wegelin hat am Dienstag ihr Amt als Präsidentin der SVP Winterthur abgegeben. Ihr Nachfolger bis zur ordentlichen Generalversammlung der Partei wird Marco Graf, wie die SVP mitteilte.
https://www.blick.ch/politik/ausserordentliche-generalversammlung-wegelin-gibt-ihr-amt-als-winterthurer-svp-praesidentin-ab-id19098938.html
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/fuer-jugendliche-in-schaffhausen-werden-bus-jahresabos-guenstiger?id=12481329 (ab 03:05)
-> https://www.svp-winterthur.ch/aktuell/medienmitteilungen/marco-graf-wird-interims-praesident-der-svp-winterthur/
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/die-zuercher-svp-fuerchtet-keinen-schaden-wegen-maria-wegelin?id=12481449
-> https://www.20min.ch/story/naehe-zu-rechtsextremen-wegelin-tritt-zurueck-marco-graf-folgt-als-interims-praesident-569660382460
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/verbindungen-zu-rechtsextremen-winterthurer-svp-praesidentin-wegelin-tritt-zurueck
-> https://www.landbote.ch/rechtsextreme-wahlkampfhelfer-maria-wegelin-gibt-amt-als-winterthurer-svp-praesidentin-ab-217617461668
-> https://www.tagesanzeiger.ch/rechtsextreme-wahlkampfhelfer-maria-wegelin-gibt-amt-als-winterthurer-svp-praesidentin-ab-217617461668
-> https://www.toponline.ch/news/winterthur/detail/news/maria-wegelin-gibt-amt-als-winterthurer-svp-praesidentin-ab-1-00224491/



nzz.ch 01.11.2023

Nach dem Rücktritt der Winterthurer SVP-Präsidentin wegen Verbindungen zu Rechtsextremen: Die Parteiführung sagt, sie habe keinen Druck auf Wegelin ausgeübt

An einem Sonderparteitag ist Maria Wegelin als SVP-Präsidentin zurückgetreten. Erst tags zuvor hatte sie im Parlament noch jede Kritik lautstark zurückgewiesen.

Tobias Marti, Jan Hudec

Der Fall kam für die SVP zur Unzeit. Wenige Wochen vor den nationalen Wahlen wurde bekannt, dass sich Maria Wegelin – Präsidentin der SVP Winterthur und Nationalratskandidatin – von zwei Anführern der rechtsextremen Gruppe Junge Tat im Wahlkampf helfen liess. Die beiden betrieben ihre Social-Media-Kanäle und produzierten Videos mit politischen Inhalten.

Die Junge Tat – eine Gruppe aus dem Kanton Zürich – wird vom Nachrichtendienst des Bundes und von der Polizeiagentur Europol der rechtsextremen Szene zugerechnet. Ihre Mitglieder fielen in der Vergangenheit durch «Heil Hitler»-Rufe, enge Verbindungen zu anderen Neonazi-Gruppierungen und das Horten von Waffen auf.

Im Gespräch mit der NZZ Ende September hielt Wegelin an der Zusammenarbeit mit der Gruppe fest und stellte in Zweifel, ob diese rechtsextrem sei. «Die beiden Jungs haben mir versichert, dass sie nicht gewalttätig seien und auch nicht rechtsextrem.» Von ihren «Jugendsünden» hätten sich die beiden inzwischen distanziert.

Wegelins mangelnde Einsicht sorgte für heftige Kritik.

Die SVP Winterthur teilte Anfang Oktober mit, dass man die Angelegenheit an einem Sonderparteitag besprechen wolle. Bis dahin hat Wegelin ihr Parteiamt ruhenlassen.

Wegelin wehrte sich bis zum Schluss

Am Dienstagabend war es nun so weit. Und der Sonderparteitag in Winterthur hatte es in sich. Wegelin trat nicht nur als SVP-Präsidentin zurück, sondern gab auch ihr Amt als Stadtparlamentarierin ab.

Noch am Montagabend hatte nichts darauf hingedeutet, dass Wegelin sich freiwillig zurückziehen würde. Wie die Tamedia-Zeitungen berichteten, wies sie in einer persönlichen Erklärung im Stadtparlament sämtliche Vorwürfe von sich. Die Anschuldigungen gegen sie seien haltlos und Teil der Kampagnen der «Mainstream-Medien». Es sei widerlich, was über sie geschrieben worden sei.

Andere Parteien kritisierten sie dafür heftig. Die SP forderte sie zum Rücktritt auf und vonseiten der FDP hiess es, sie solle endlich einmal zur Einsicht gelangen: «Du hast dich nie distanziert und redaktionelle Inhalte Mitgliedern der Jungen Tat überlassen», sagte Urs Hofer.

Mit diesen Reaktionen hatte Wegelin wohl gerechnet. Schmerzhafter war für sie, dass die Vertreter ihrer eigenen Partei dazu schwiegen. Niemand aus der SVP-Fraktion stärkte ihr den Rücken. Augenzeugen berichten, dass sie am Abend entnervt den Ratssaal verlassen habe. Nur wenige Stunden später, am Dienstagvormittag, reichte sie ihren Rücktritt aus dem Gemeinderat ein. Am Abend folgte dann der Rücktritt als Parteipräsidentin.

Wegelin selbst war am Dienstag für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

«Mandatsträger müssen Vorsicht walten lassen»

Der Sonderparteitag sei ruhig und sachlich vonstattengegangen, sagt der SVP-Kantonsrat René Isler. Als Vorstandsmitglied der Winterthurer SVP war er am Dienstagabend zugegen. «Ich hatte im Vorfeld befürchtet, dass es zu einem heftigen Schlagabtausch kommen würde», sagt er. Dieser sei aber ausgeblieben. Wegelin habe noch einmal ihre Sicht der Dinge geschildert und dabei auch gewisse Versäumnisse eingeräumt. Sie sei zur Einsicht gekommen, dass der Rücktritt aus Sicht der Partei und auch für sie selbst der richtige Schritt sei.

Isler sagt, es habe sich dabei um einen persönlichen Entscheid gehandelt, der Vorstand habe keinen Druck auf sie ausgeübt. Am sehr gutbesuchten Sonderparteitag seien viele Personen zu Wort gekommen. Kritisiert worden sei, dass Wegelin sich zu wenig bewusst gewesen sei, welche Rolle sie als Parteipräsidentin spiele. Dass sie mit ihren Äusserungen und Handlungen nicht nur sich selbst, sondern auch die Partei vertrete.

Isler selbst sagt: «Ich hätte an ihrer Stelle sicher nie die Junge Tat engagiert.» Umgekehrt müsse er aber auch sagen, er habe nie erlebt, dass Maria Wegelin «eine rechtsextreme Gesinnung an den Tag gelegt hat».

Es sei aber gut, dass man nun einen Neuanfang mit jungen Leuten im Vorstand machen könne.

Auch für den Präsidenten der kantonalen SVP, Domenik Ledergerber, ist die Angelegenheit mit dem Rücktritt nun erledigt. Druck auf Wegelin habe er keinen ausgeübt. Ihm sei aber wichtig zu betonen: «Wir wollen in der SVP nichts mit Extremisten zu tun haben, ob sie nun rechts oder links stehen.» Gerade die Mandatsträger der Partei müssten besondere Vorsicht walten lassen, auch im privaten Bereich. Das sei schon immer die Devise der SVP gewesen.

Ihm sei wichtig gewesen, dass die Winterthurer Sektion sich über die ganze Sache am Sonderparteitag austausche und sich danach gestärkt wieder der Parteiarbeit widmen könne.

«Herzlichen Dank für den Einsatz»

Verantworten muss die Parteiarbeit neu Marco Graf aus Stadel (Winterthur). Er wurde einstimmig zum Interimspräsidenten gewählt. Er soll die SVP nun bis zur ordentlichen Generalversammlung 2024 führen. Der 40-jährige Inhaber eines Maschinenbaubetriebs ist Vorstandsmitglied der SVP-Sektion Oberwinterthur.

In der SVP hatten die Vorkommnisse um Wegelin eine alte Debatte neu aufflammen lassen: darüber, wie die Partei mit Verbindungen ins rechtsextreme Spektrum umgehen soll. Wiederholt gab es in der jüngeren Parteigeschichte Fälle von Mitgliedern, die sich entsprechend äusserten. Etwa 2019 («Das Einzige, was wieder nach Deutschland gehörte, ist ein neuer Onkel Dolf», schrieb ein Schwyzer SVP-Politiker), 2016 («Heil Hitler»-Parolen in Schaffhausen) oder 2012 (der sogenannte «Kristallnacht»-Twitterer).

Bisher wurde solchen Äusserungen in der SVP meist mit der Aberkennung von Parteiämtern oder der Mitgliedschaft begegnet.

In der Nacht auf Mittwoch endete nun das Kapitel Wegelin. Per Pressemitteilung dankte die SVP Winterthur ihrer scheidenden Präsidentin «herzlich für ihren jahrelangen erfolgreichen Einsatz» als Präsidentin.
(https://www.nzz.ch/zuerich/winterthurer-svp-praesidentin-wegelin-tritt-zurueck-ld.1763377)