Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/
+++GRAUBÜNDEN
Asylsuchende in Churer Kaserne
https://www.suedostschweiz.ch/sendungen/rondo-news/rondo-news-asylsuchende-in-churer-kaserne-31-10-23
+++THURGAU
Was ist dran an der Befürchtung, die Bewohner der Nothilfezentren würden die Umgebung Amriswil zum Brennpunkt machen? Nachfrage bei der Betreiberin der Unterkünfte. (ab 09:42)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-ostschweiz/st-gallen-soll-zur-schwammstadt-werden?id=12481146
+++SCHWEIZ
augenauf-Bulletin Nr. 115 Oktober 2023
Hintergrundberichte über die repressive Menschenrechtswüste Schweiz seit 1995
INHALT:
– Erneut Gummigeschosse auf Kopfhöhe
– Gummischrot in Luzern: ein weiterer «Einzelfall»
– Strittige Videoüberwachung
– Maulkorb für die Medien?
– Antreten zum Unterschreiben oder kein Geld
– Geraubte Lebenszeit
– Flug ins Elend
Mehr dazu: https://publish.barrikade.info/IMG/pdf/bulletin_115_juni_2023-2.pdf
Wie sich der Asyldiskurs zusehends verschärfte
Ein restriktiver Asyl-Kurs scheint in Europa Grundtenor geworden zu sein. Begrenzung von Migration und die Abschottung von Europa – einst eine rechtspopulistische Haltung – ist mittlerweile weitverbreitete Antwort auf die Mehrfachkrise unserer Zeit.
Diese Haltung ist längst bis in linksliberale Kreise vorgedrungen. Das jüngste Beispiel dafür liefert der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz letzte Woche im Interview mit der Zeitschrift «Der Spiegel», wo er sagte: «Wir müssen endlich in großem Stil abschieben.»
Aber auch in der Schweiz verschärft sich der Ton in der Asyldebatte weit über die Mitte hinaus. So übte etwa der GLP-Präsident Jürg Grossen noch am Wahlsonntag harsche Kritik an der Asylpolitik von Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider.
Wie sich der die Asyldebatte seit den 90er-Jahren kontinuierlich verschärfte, zeigt der Beitrag von Radio Corax aus Halle.
https://rabe.ch/2023/10/31/101095/
Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider auf Arbeitsbesuch in Griechenland
Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider reist am 1. und 2. November 2023 für einen Arbeitsbesuch nach Griechenland. Im Zentrum der Reise stehen die mit der Migration verbundenen Herausforderungen, bei deren Bewältigung die Schweiz das Land an der Schengen-Aussengrenze finanziell unterstützt. Auf dem Programm stehen bilaterale Gespräche mit dem griechischen Asyl- und Migrationsminister Dimitris Kairidis sowie der Besuch verschiedener Einrichtungen in Athen und auf Lesbos.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-98404.html
Kampf gegen illegale Migration: Deutsche Bundespolizei fängt Asylsuchende in Basel ab
Allein dieses Jahr sind bereits über 7000 Migranten in die Schweiz zurückgewiesen worden. Ein Abkommen aus dem Jahr 1961 machts möglich.
https://www.derbund.ch/kampf-gegen-illegale-migration-deutsche-bundespolizei-faengt-asylsuchende-in-basel-ab-701095150020
+++DEUTSCHLAND
Bundesregierung forciert heimlich Abschiebungen in den Irak
Mit großer Sorge beobachten wir, dass sich die verschärfte Abschiebepolitik der Bundesregierung auch auf den Personenkreis der ausreisepflichtigen Iraker*innen ausgeweitet hat. Grund dafür scheint vor allem eine in den letzten Monaten gesteigerte Rücknahmebereitschaft des Irak zu sein.
https://www.proasyl.de/news/bundesregierung-forciert-heimlich-abschiebungen-in-den-irak/
Asylverfahren in Drittstaaten: Scholz und Faeser skeptisch
Christian Dürr (FDP) und Hendrik Wüst (CDU) wollen Asylverfahren an die EU-Außengrenze zu verlagern. Auch NGOs sind empört.
https://taz.de/Asylverfahren-in-Drittstaaten/!5966853/
Nancy Faeser: Abschiebetourismus in Rabat
Nancy Faeser kommt aus Marokko mit fast leeren Händen zurück
Die EU-Staaten wollen verstärkt nach Marokko abschieben, das Land kooperiert jedoch nicht. Viel mehr als ein unverbindliches »Sicherheitsabkommen« war auch nach einem Besuch der Bundesinnenministerin nicht drin.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1177391.besuch-der-bundesinnenministerin-nancy-faeser-abschiebetourismus-in-rabat.html
+++MITTELMEER
Sea-Eye: Italiens Behörden setzen erneut deutsches Rettungsschiff fest
Nicht zum ersten Mal ist das „Sea-Eye“-Rettungsboot aus dem Verkehr gezogen worden. Italien wirft der Organisation vor, Anweisungen der Küstenwache missachtet zu haben.
https://www.zeit.de/politik/ausland/2023-10/sea-eye-seenotrettungsschiff-italien-festsetzung
Trotamar III: Hilfsaktion im Mittelmeer
Segelboot aus dem Wendland rettet 20 Geflüchtete
Die Trotamar III kreuzt vor allem zur Aufdeckung von Rechtsverstößen der EU-Grenzagentur Frontex und anderer Akteure auf dem Mittelmeer. Nun nahm sie selbst Menschen in Seenot an Bord.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1177398.seenotrettung-trotamar-iii-hilfsaktion-im-mittelmeer.html
+++GASSE
Die Arbeit der Suchtprävention Winterthur hat sich verändert
Die Winterthurer Suchtpräventionsstelle ist vor 30 Jahren eröffnet worden. Damals, zu Zeiten des Zürcher Platzspitzes, beschäftigte sich die Stelle vor allem mit Fragen rund um Drogenkonsum. Mittlerweile hat sich ihr Fokus gewandelt. Sie beschäftigt sich vermehrt mit Internetsucht.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/die-arbeit-der-suchtpraevention-winterthur-hat-sich-veraendert?id=12480744
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/wie-die-glatttalbahn-verlaengert-werden-soll?id=12481182 (ab
Verlängerung der Videoüberwachung des Dreirosenareals
Die Kantonspolizei Basel-Stadt verlängert die Videoüberwachung des Dreirosenareals bis 31. Dezember 2024. Das aktualisierte Reglement enthält ausserdem einige Anpassungen, welche die Effektivität des Systems erhöhen sollen.
https://www.bs.ch/nm/2023-verlaengerung-der-videoueberwachung-des-dreirosenareals-jsd.html
-> https://www.bzbasel.ch/basel/basel-stadt/kleinbasel-videoueberwachung-dreirosenanlage-ld.2535120
-> https://www.bazonline.ch/basler-kriminalitaets-hotspot-polizei-verlaengert-videoueberwachung-auf-dreirosenanlage-375797693412
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/der-fcb-entlaesst-heiko-vogel-neuer-trainer-ist-fabio-celestini?id=12480732 (ab 03:13)
-> https://www.blick.ch/schweiz/basel/erfolgreiche-bilanz-videoueberwachung-des-basler-dreirosenareals-wird-verlaengert-id19095719.html
-> https://www.baseljetzt.ch/videoueberwachung-auf-der-dreirosenanlage-wird-verlaengert-und-ausgeweitet/140969
-> https://primenews.ch/articles/2023/10/dreirosen-ueberwachung-wird-verlaengert-und-ausgeweitet
-> https://telebasel.ch/sendungen/punkt6/212042
-> https://www.baseljetzt.ch/videoueberwachung-auf-der-dreirosenanlage-wird-verlaengert-und-ausgeweitet/140969
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Basler Zeitung 31.10.2023
Trotz Videoüberwachung: Doppelt so viele Meldungen über Delikte auf Dreirosenanlage
Seit der Montage von Überwachungskameras auf der Dreirosenanlage haben Meldungen über schwere Delikte abgenommen. Daher sollen die Kameras voraussichtlich bis Ende 2024 stehen bleiben.
Martin Regenass
Bis Ende 2024 solle die Überwachung der Dreirosenanlage mittels Videokameras fortgeführt werden. Dies teilt die Kantonspolizei Basel-Stadt in einem Schreiben vom Dienstag mit. Zudem sind zu den zwölf bisherigen Kameras drei neue in Betrieb genommen worden. Eine davon überwacht neu einen Perimeter am Unteren Rheinweg, etwa dort, wo die Buvette Dreirosen im Sommer jeweils positioniert ist. Eine weitere installierte Kamera, so die Polizei in der Mitteilung, überblicke jetzt einen toten Winkel, der zuvor nicht einsehbar gewesen sei. Wie Polizeisprecher Adrian Plachesi gegenüber der BaZ erklärt, ist damit die ganze Dreirosenanlage für die Polizei einsehbar.
Drei Stunden «Rückspulen» möglich
Eine weitere Neuerung betrifft die Dauer, während derer die Polizei ein Video «zurückspulen» darf. Das vom Datenschutzbeauftragten erlaubte Zeitfenster betrug bis anhin eine Stunde. Das heisst, vom Zeitpunkt der Verübung eines Delikts und dessen Meldung bei der Einsatzzentrale durften die zuständigen Polizisten die Videos während einer Stunde rückwärts anschauen. Zu wenig Zeit, wie sich gezeigt habe. Plachesi: «Wird einer Frau am Unteren Rheinweg die Handtasche entrissen, dauert es eine gewisse Zeit, bis die Meldung mit Zeitpunkt und Sachverhalt bei der Polizei ankommt. Oft reicht eine Stunde Rückschau dann nicht aus, um den Täter auf dem Video aufgrund der notwendigen Angaben zu identifizieren.» Daher sei nun die erlaubte Rückschau auf drei Stunden erhöht worden, was die Wahrscheinlichkeit für eine erfolgreiche sofortige Fahndung erhöhe.
Weiterhin sieben Tage lang kann die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt auf die Daten zurückgreifen. Dieses Zeitfenster, so Plachesi, nütze bei der direkten Fahndung durch die Polizei allerdings nichts. Immerhin könnten dank der Videoüberwachung Verstecke von Drogen gezielt ausgehoben werden. Und mutmassliche Täter könnten «direkt» identifiziert werden, auch wenn sie die Kleidung wechselten oder das Deliktsgut weitergegeben werde. «Die Effizienz der Strafverfolgung haben wir mit der Videoüberwachung eindeutig steigern können», sagt Plachesi.
Statistik nur schwer herstellbar
Insgesamt zieht die Polizei eine positive Bilanz zur seit August dieses Jahres in Betrieb stehenden Überwachung. So sei die Zahl der «schweren Gewaltdelikte» gesunken. Absolute Zahlen nach juristischer Qualifizierung für die Monate Juni, Juli und August und dieselbe Periode des Vorjahres kann Plachesi nicht angeben und verweist auf die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt, die für die jährliche Kriminalstatistik des Kantons Basel-Stadt verantwortlich zeichnet.
Dort gibt Mediensprecher Martin Schütz zur Auskunft, dass sich eine Statistik für die Dreirosenanlage nicht einfach per Mausklick herstellen lasse. Grund: Die geografische Bezeichnung eines Tatorts «Dreirosenanlage» wäre je nach konkreter Örtlichkeit unzuverlässig. So müssten auch sämtliche anliegenden Strassenzüge «von Hand» ausgewertet werden. Zudem müsste abgeklärt werden, ob ein Bezug zwischen der zur Anzeige gebrachten Straftat und der Dreirosenanlage bestehe oder ob sich ein mutmassliches Delikt in einer Liegenschaft nahe der Dreirosenanlage abgespielt habe. Schütz: «Diesen Aufwand können wir nicht leisten.»
Für die Bilanzierung des Versuchs sei dies allerdings nicht notwendig. Gemäss Schütz dient der Kantonspolizei dazu die Anzahl Meldungen an die Einsatzzentrale oder an eine Polizeiwache zu mutmasslich schweren Delikten. Und auf solchen habe die Kantonspolizei dann auch ihre Aussagen gegründet, dass die mutmasslich schweren Straftaten seit der Videoüberwachung zurückgegangen seien. Allerdings gibt Plachesi auch zu bedenken, dass sich leichtere Delikte im Mehrjahresvergleich weiterhin auf einem hohen Niveau bewegten. «Gegenüber dem Vorjahr sind im Sommer 2023 trotz Videoüberwachung fast doppelt so viele Meldungen eingegangen», sagt Plachesi. Wie viele dieser Meldungen sich am Schluss juristisch als leichte Delikte qualifizieren liessen, müsse offenbleiben.
SVP sieht Forderung erfüllt
Basta-Co-Präsidentin Sina Deiss erachtet die Überwachung nicht als zielführend. Dass die schweren Gewalttaten gemäss Kantonspolizei dank der Kameras zurückgegangen seien, ist laut Deiss positiv zu werten. «Die Überwachung ist aber nicht hauptzielführend. Es braucht einen ganzheitlichen Ansatz mit Sozial- und Jugendarbeit sowie den Einbezug der Anwohnerschaft, um aus der Dreirosenanlage einen sicheren Ort der Begegnung zu machen.» Auch Gefängnisse würden potenzielle Straftäter nicht vor Delinquenz bewahren. Dies gelte auch für die Videoüberwachung. Deiss: «Kameras sind nicht die letzte Konsequenz, um Straftaten zu verhindern.»
Die SVP sieht sich hingegen mit der Verlängerung der Kameraüberwachung bis Ende 2024 in ihrer Sicherheitspolitik bestärkt. In einer Medienmitteilung schreibt die Partei, dass die Reduktion der Zahl der schweren Gewaltdelikte aufzeige, dass Videoüberwachung ein wichtiges «Puzzleteil zur Verbesserung und Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit» sei. SVP-Grossrat Joël Thüring werde nun seinen parlamentarischen Vorstoss zur Verlängerung der Videoüberwachung auf der Dreirosenanlage zurückziehen. Die Forderung sei erfüllt.
(https://www.bazonline.ch/trotz-videoueberwachung-doppelt-so-viele-meldungen-ueber-delikte-auf-dreirosenanlage-291244996142)
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Neues Angebot wegen vielen Flüchtlingen
Im Soup&Chill nahe beim Bahnhof SBB gibt es für Obdachlose eine wärmende Suppe – ausser an zwei Abenden pro Woche. Diese hat der Verein umfunktioniert zur reinen Lebensmittelabgabe. Dies entspreche einem Bedürfnis der stark zunehmenden Flüchtlingen.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/neues-angebot-wegen-vielen-fluechtlingen?partId=12481077
+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Rekurs gegen Demoverbot
https://telebasel.ch/sendungen/punkt6/212042
-> https://www.watson.ch/schweiz/basel/690221907-rekurs-gegen-das-demonstrationsverbot-in-basel-eingereicht
-> https://www.baseljetzt.ch/jurist-sp-gruene-und-basta-reichen-rekurs-gegen-demonstrationsverbot-ein/141404
-> https://www.bzbasel.ch/basel/basel-stadt/nachspiel-nach-demoverbot-in-basel-demokratische-juristen-und-linke-parteien-legen-rekurs-ein-ld.2535876
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Basler Zeitung 31.10.2023
Nachwehen der Mass-voll-Kundgebung: Regierung soll Demonstrationsverbote absegnen müssen
Eine Gruppierung um linke Parteien und Juristen geht mit einem Rekurs gegen ein im Oktober erlassenes Verbot von Standkundgebungen, Mahnwachen und Demos in Basel vor.
Martin Regenass
Am Mittwoch, 18. Oktober, hatte die Kantonspolizei Basel-Stadt ein Demonstrationsverbot für das darauffolgende Wochenende von Freitagabend bis Sonntag um Mitternacht verhängt. Angekündigt war für den Samstag ein von der Kantonspolizei bewilligter, später aber verbotener Marsch der rechtsorientierten Mass-voll-Bewegung vom Horburgpark via den Zoll Weil-Friedlingen und die Dreiländerbrücke hinüber nach Frankreich. An diesem Marsch der Massnahmengegner sollten sich auch Freiheitstrychler beteiligen. Dagegen formierte sich ein antifaschistischer Widerstand um die Gruppierung «Basel Nazifrei», was ein erhebliches Konfliktpotenzial in sich barg und zu wüsten Auseinandersetzungen auf der Strasse hätte führen können – was zu einem Teil dann auch eintraf. Rund 200 Antifaschisten lieferten sich mit der Polizei ein Katz-und-Maus-Spiel.
Die Kantonspolizei verfügte und begründete das allgemeine Demonstrationsverbot im Zuge des sich ausdehnenden Konflikts in Nahost und der Terroranschläge in Belgien und Frankreich. Sie könne die Sicherheit von Demonstrierenden und Passanten nicht garantieren. Vom Verbot betroffen waren allerdings auch Standkundgebungen und Mahnwachen.
Passung mit Bundesverfassung überprüfen
Eine Gruppe um SP, Grüne, Basta und die Demokratischen Juristinnen und Juristen (DJS) legt nun gegen dieses Verbot sämtlicher Kundgebungen an besagtem Wochenende einen Rekurs ein. Die Gruppierung verlangt vom Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons Basel-Stadt, ob dieses am 18. Oktober ausgesprochenen und generelle Kundgebungsverbot mit der Bundesverfassung und internationalen Abkommen übereinstimme. Weiter soll geklärt werden, ob nicht die Gesamtregierung über das Verbot hätte entscheiden müssen.
Wie Ada Mohler von den DJS erklärt, hätte die Kantonspolizei die Bewilligung für die Mass-voll-Kundgebung zurückziehen und das zeitliche Verbot in einem kleineren Rahmen halten können. «Das hat die Kantonspolizei aber nicht gemacht. Sie hat das allgemeine Demonstrationsverbot nicht damit begründet, dass zwischen der Mass-voll-Demonstration und der Basel-Nazifrei-Gegendemonstration ein hohes Eskalationspotenzial herrsche. Vielmehr wurde die Allgemeinverfügung mit der Gewalt im Nahostkonflikt begründet.» Das internationale Recht untersage ein Verbot von Demonstrationen wegen Krisen und Konflikten, sagt Mohler.
«Gesamtregierung hat höhere Legitimierung»
Den Parteien und den DJS gehe es nicht um den Inhalt der beiden Demonstrationen, sondern darum, dass sämtliche Kundgebungen an besagtem Wochenende verboten worden seien. Zwar sehen auch die DJS die Kantonspolizei für die Bewilligung oder Nichtbewilligung von Demonstrationen in der Verantwortung. «Wenn es aber um eine derart einschneidende und langandauernde Allgemeinverfügung geht, sehen wir den Regierungsrat in der Verantwortung, einen solchen Entscheid abzusegnen, wobei sich auch dann noch die Frage der Verhältnismässigkeit der Grundrechtseinschränkung stellt», sagt Mohler. So sei während der Corona-Welle auch die Regierung für die Absage der Fasnacht verantwortlich gewesen. Mohler: «Die Gesamtregierung hat eine andere demokratische Legitimierung als die Kantonspolizei Basel-Stadt.»
In erster Instanz muss die Gruppierung nun ans Justiz- und Sicherheitsdepartement von Stephanie Eymann (LDP) gelangen, wo der Rekurs überprüft wird. Die Chance, dass das Departement seine eigene Praxis stützt und den Rekurs ablehnt, ist relativ gross. In weiteren Instanzen werden die DJS dann an die Verwaltungsgerichte gelangen müssen. Es zeichnet sich ein längeres Verfahren ab.
(https://www.bazonline.ch/nachwehen-der-mass-voll-kundgebung-regierung-soll-demonstrationsverbote-absegnen-muessen-436896305621)
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Appartmenthäuser im Kreis 4 besucht – Aufwertung ist angreifbar!
Ganze Häuser werden in der Stadt Zürich für befristete Appartmentwohnungen gebraucht, wo sich Businessleute und wohlhabende Touris für eine begrenzte Zeit einquartieren. Dies geschieht auf Kosten jener, die sich nun in der immer teurer werdenden Stadt keine Wohnung mehr leisten können und gezwungen sind, wegzuziehen.
Höchste Zeit also, diesen Firmen einen Besuch abzustatten.
https://barrikade.info/article/6183
Unbewilligte Demos in Bern: Eingreifen oder nicht?
Am Wochenende kam es beim antifaschistischen Abendspaziergang zu kaputten Scheiben, Sprayereien und Steinwürfen. Wieso ging die Polizei nicht aktiver gegen die Teilnehmenden vor?
https://www.derbund.ch/antifa-in-bern-warum-hat-die-polizei-nicht-aktiver-eingegriffen-497075399864
Rund 500 Personen an bewilligter Pro-Palästina-Demo auf dem Marktplatz
Auf dem Marktplatz in Basel fand am Dienstagabend eine Pro-Palästina-Demonstration statt. Die Basler Polizei bestätigte auf Anfrage, dass es sich um eine bewilligte Standkundgebung gehandelt habe.
https://www.bazonline.ch/newsticker-region-basel-297230329650
+++JUSTIZ
Bundesgericht: Zufallsfunde bei Hausdurchsuchung unzulässig
Manchmal stösst die Polizei eher zufällig auf Beweise für eine Straftat. Etwa bei Hausdurchsuchungen. Aber sind dabei getätigte Zufallsfunde für die Aufklärung einer Straftat zulässig? Nein, sagt das Bundesgericht im Fall eines Motorrad-Rasers.
https://www.srf.ch/audio/rendez-vous/bundesgericht-zufallsfunde-bei-hausdurchsuchung-unzulaessig?partId=12480759
-> Medienmitteilung Bundesgericht: https://www.bger.ch/files/live/sites/bger/files/pdf/de/6b_0821_2021_2023_10_31_T_d_10_38_58.pdf
-> Urteil Bundesgericht: https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/aza/http/index.php?highlight_docid=aza://06-09-2023-6B_821-2021&lang=de&zoom=&type=show_document
+++KNAST
nzz.ch 31.10.2023
Ist Brian gefährlich – oder ist der Staat gefährlich für ihn? Das ist die grundlegende Frage hinter dem Prozess
Der bekannteste Häftling der Schweiz steht in Dielsdorf vor Gericht. Was der Fall Brian über den Umgang mit schwierigen Gefangenen aussagt.
Giorgio Scherrer, Fabian Baumgartner (Text), Anja Lemcke (Illustrationen)
Die Überraschung kommt in Form eines unscheinbaren Mannes, eines Juristen mit Anzug, dunkler Brille – und explosiven Ansichten.
Er ist es, der am Prozess gegen den bekanntesten Häftling der Schweiz jene Worte wählen wird, die alle Vorwürfe auf den Kopf stellen könnten. Jonas Weber, Strafrechtsprofessor an der Universität Bern, sagt: Was dem Insassen im grössten Gefängnis des Landes passiert sei, müsse man als «menschenrechtlich verbotene Langzeit-Einzelhaft» bezeichnen. Während Jahren sei er 23 Stunden am Tag eingesperrt gewesen, fast ohne Aussenkontakt. «Die zulässige Dauer war bei weitem überschritten.»
Der Häftling, um den es hier geht, ist Brian, ehemals bekannt unter dem Pseudonym «Carlos». Der 28-Jährige steht wegen 32 Vorfällen in der Justizvollzugsanstalt Pöschwies vor dem Bezirksgericht Dielsdorf. Oder besser: Er sollte stehen. Denn Brian weigert sich, zu kommen.
Versuchte schwere Körperverletzung, mehrfache einfache Körperverletzung, Gewalt gegen Behörden und Beamte, Drohung, Sachbeschädigung: Viel wird Brian vorgeworfen.
Brian soll zwischen 2018 und 2021 seine Aufseher gebissen, sich Rempeleien mit ihnen geliefert, ihnen Becher mit Urin entgegengeschleudert und sie mit dem Tod bedroht haben. Seine Zelle soll er mehrfach demoliert haben. Und einmal soll er ein Stück Sicherheitsglas in ihre Richtung geworfen haben, wodurch er einen Aufseher am Kopf verletzte.
Die Frage ist: Tat er dies aus krimineller Energie – oder aus purer Verzweiflung über die jahrelange Einzelhaft, während deren er 23 Stunden am Tag in der Zelle verbrachte? Ist Brian gefährlich – oder hat er sich gegen unmenschliche Haftbedingungen zur Wehr gesetzt?
Diese Fragen führen zu jenem Thema, das den Fall Brian über sein Schicksal hinaus relevant und zum Politikum macht, zu dem sich prominente Anwälte, Ärzte und Beamte äussern – und im entscheidenden Moment dann auch der Gutachter Weber. Denn es geht dabei letztlich darum, wie hart der Staat schwierige Gefangene behandeln darf.
Der wütende Hausarzt
Einer, der den Justizbehörden bei diesem Balanceakt ein Scheitern vorwirft, ist Brians Hausarzt. André Seidenberg – bekannt für sein Engagement in der Behandlung von Süchtigen – ist wütend. Die Einzelhaft, der mangelnde soziale Kontakt, die ständigen Konflikte: Brians Gesundheit sei in der Pöschwies in Gefahr gewesen, sagt er.
«Kunstfehlerhaft» nennt er die medizinische Behandlung dort. Statt den Menschen habe man nur den gefährlichen Straftäter gesehen.
«Es wurde ein Bild von Brian konstruiert, das seine harte Behandlung rechtfertigen sollte», sagt Seidenberg. Dabei seien jedoch Ursache und Wirkung verdreht worden. «Wer Brian ein Monster nennt, sollte sich lieber fragen: Warum ist er so geworden?»
Nie, findet Seidenberg, hätten die Justizbehörden sich so von Brian provozieren lassen dürfen, dass es zu jener Gewalteskalation kommen konnte, die nun vor Gericht verhandelt wird. «Klar hat er auch mitgespielt», sagt Seidenberg. «Klar gefällt er sich in der Rolle des Angegriffenen.» Aber der Staat, so Seidenbergs Argument, befinde sich im Gefängnis in einer beispiellosen Machtposition.
«Die Justizbehörden haben sich auf den Konflikt eingelassen. Sie sind auf die gleiche Ebene gegangen», sagt er. So erst habe die verfahrene Situation entstehen können, in der sich der Fall Brian derzeit befinde: eine Situation, in der ein juristischer Konflikt mit geradezu epischen Dimensionen entstanden ist, aus etlichen Verfahren und Gegenverfahren. Und eine Situation, in der sich zwei komplett gegensätzliche Sichtweisen auf den Fall gegenüberstehen: diejenige auf Brian, den Gefährlichen, und diejenige auf Brian, das Justizopfer.
«Es hilft nicht, wenn wir in Lagern erstarren», sagt Seidenberg. «Weder die Dämonisierung noch die Opfer-Stilisierung sind hilfreich. Wir müssen weg von den Narrativen über Brian und zurück zum Menschen.»
Wobei er, der bekannte Drogenarzt, mit seiner scharfen Kritik an den Behörden letztlich selbst ein solches Narrativ bedient. Im Fall Brian, so scheint es, landen am Ende selbst die in einem Lager, die das Lagerdenken eigentlich ablehnen. Auch das ist eine Folge des jahrelangen Konflikts in der Pöschwies.
Der nachdenkliche Justizchef
Gegen das Lagerdenken und doch in einem Lager ist auch Jérôme Endrass, stellvertretender Leiter des Zürcher Justizvollzugs – jener Behörde, die die Oberaufsicht über die Zürcher Gefängnisse innehat.
Zum Fall Brian will er direkt nichts sagen. Wohl jedoch zum Vorwurf, dass die Zürcher Gefängnisse zu viel Härte im Umgang mit schwierigen Häftlingen zeigten. Er sagt: «Wir wollen keinen Kleinkrieg. Und wir tun alles, damit es im Gefängnis nicht zur Eskalation kommt.»
Der Zürcher Justizvollzug komme gemessen an der Anzahl Häftlinge und am damit verbundenen Betreuungsaufwand mit wenig Personal aus, und auch zu Gewalt gegen Mitarbeitende komme es selten, sagt Endrass. «Und zwar, weil das mit dem respektvollen Umgang eben meist funktioniert.»
Tiefe Inhaftierungsquote, tiefe Rückfallrate: Mit Deeskalation und Wiedereingliederung fahre man in Zürich gut. «Wir wollen niemanden, der bei uns einsitzt, unnötig vor den Kopf stossen.»
Doch hinter Gittern kämen eben auch auf engem Raum schwierige Menschen zusammen – «solche mit problematischer Persönlichkeit, psychischen Auffälligkeiten und gewaltgeprägter Vorgeschichte». Da könne das Zusammenleben nur funktionieren, wenn es klare Regeln gebe und deren Einhaltung auch durchgesetzt werde.
«Wir müssen alle fair behandeln», sagt Endrass. «Das ist auch den Insassen sehr wichtig.»
Auch die härtestmögliche Massnahme – die lang andauernde Einzelhaft – verteidigt er: Sie sei zwar die «absolute Ultima Ratio», aber zum Schutz von Personal oder anderen Insassen manchmal unerlässlich. Es werde sie deshalb in Einzelfällen weiterhin geben.
Zur Kritik des Gutachters Weber an der menschenrechtlich nicht haltbaren Einzelhaft Brians sagt Endrass allgemein: «Wir nehmen solche Befunde immer ernst und gehen ihnen nach.»
Endrass, der nachdenkliche Chefbeamte, ist spürbar um Deeskalation bemüht. Und doch zeigen seine Ausführungen klar: Die vielen Verfahren gegen Brian und der harte Alltag in der Pöschwies kann man auch ganz anders sehen. Nicht als Schikane, sondern als zwingender Ausfluss jener Regeln, die für ein funktionierendes Gefängniswesen sorgen.
Der Gutachterstreit
Schützt eine harte Hand das Gefängniswesen vor gefährlichen Insassen? Oder führt sie zu Gewalt und einem Staat, der sich eigenmächtig über das Recht hinwegsetzt? Diese Frage wurde auch im Prozess gegen Brian im Kleinen verhandelt. Und zwar in Form eines Gutachterstreits.
Da war zum einen die überraschend deutliche Einschätzung des Strafrechtlers Jonas Weber, der Brians Haftbedingungen als menschenrechtswidrig taxierte – und damit die These stützte, dass die Haftbedingungen Brians Verhalten entscheidend geprägt haben.
Weber sagte vor Gericht: «Der Beschuldigte war während dreieinhalb Jahren unter Hochsicherheitsbedingungen inhaftiert. Ein wirklicher zwischenmenschlicher Kontakt war nur unzureichend gewährleistet.»
Auch bei der medizinischen Versorgung seien die menschenrechtlichen Vorgaben nicht eingehalten worden. Brian hätte «regelmässig durch externe ärztliche Fachpersonen untersucht werden müssen», so Weber. Das sei jedoch nicht geschehen.
Vor Gericht in Dielsdorf zu Wort kam auch ein anderer Gutachter: der forensische Psychiater Henning Hachtel, Chefarzt der Uniklinik Basel. Er sollte jenen Faktor ärztlich beurteilen, der für die harte Hand gegenüber Gefangenen seit Jahrzehnten immer wichtiger wird: die Gefährlichkeit.
Hachtel war von der Staatsanwaltschaft mit einer sogenannten Risikobeurteilung beauftragt worden, wobei er sich nur auf Akten stützen konnte, weil Brian eine Begutachtung verweigert hatte. Sein Verdikt fiel dennoch klar aus: Es gebe «viele ungünstige Risikofaktoren» und was Straftaten angehe «eine stark erhöhte Rückfallgefahr».
Bei Brian gebe es Anzeichen für eine dissoziale Persönlichkeitsstörung mit ausgeprägten psychopathischen Wesenszügen, ein Erwachsenen-ADHS und depressive Tendenzen, so Hachtel. Auch seine momentane Situation – er befindet sich ohne grössere Probleme unter gelockerten Bedingungen im Gefängnis Zürich – sei kein Grund zur Entwarnung. Das Gewaltpotenzial bleibe, Konflikte mit ihm könnten noch immer rasch eskalieren.
In anderen Worten: Gefährlich bleibt gefährlich, Natur bleibt Natur. Hachtel sagte vor Gericht: «Wenn sich der Beschuldigte nicht auf eine therapeutische Begleitung einlässt, wird sich nichts Grundlegendes ändern. Eine Freilassung wäre ein grosses Experiment.»
Natur oder Notlage?
Natur oder Umstände, Gefährder oder Opfer: Die grossen Fragen, die im Dielsdorfer Gerichtssaal im Raum standen, wird auch dieser Prozess bezüglich Brian nicht abschliessend beantworten können.
Zu verworren sind die Einflüsse, zu gegensätzlich die Meinungen. Brians Biografie ist denn auch – wie die vieler, die schon in Jugendjahren mit der Justiz in Konflikt geraten – von zweierlei geprägt: gewalttätigen Ausbrüchen einerseits und harter Behandlung in staatlichen Institutionen andererseits.
Der Fall zeigt deshalb auch stets von neuem, wie schwierig es für Behörden, Gerichte und Experten ist, den Einfluss von Charakter und jenen von Umständen auf die Gefährlichkeit eines Straftäters auseinanderzuhalten. Und welch weitreichende Folgen eine solche Beurteilung für den Umgang mit Häftlingen hat.
Brian, der als Jugendlicher und Erwachsener wiederholt straffällig wurde, sitzt nun seit rund sechs Jahren ohne gültiges Urteil hinter Gittern – und zwar ausschliesslich wegen Vorfällen, die sich ebenfalls hinter Gittern abgespielt haben.
Dass das System bei ihm versagt hat, ist unbestritten. Es bleibt die Frage, ob er dennoch eine Schuld trägt für seine Handlungen oder nicht. Das Bezirksgericht Dielsdorf wird nun darüber entscheiden müssen. In einer Woche wollen die Richter ihr Urteil verkünden.
(https://www.nzz.ch/zuerich/fall-brian-wie-hart-darf-der-staat-gegen-haeftlinge-vorgehen-ld.1762608)
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-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/die-arbeit-der-suchtpraevention-winterthur-hat-sich-veraendert?id=12480744 (ab 04:33)
-> https://www.republik.ch/2023/10/30/brian-keller-der-prozess
-> https://twitter.com/FreeBrianK
-> https://www.blick.ch/schweiz/zuerich/muskelprotz-soll-30-delikte-in-zuercher-strafanstalt-poeschwies-begangen-haben-brian-28-steht-mal-wieder-vor-gericht-id19091807.html
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tagesanzeiger.ch 31.10.2023
Zweiter Prozesstag gegen Brian: «Brian kämpfte ständig dagegen, dem Wahnsinn anheimzufallen»
Er rastete nicht nur aus, er sang auch nächtelang und führte Selbstgespräche: So schilderte Anwalt Philipp Stolkin, wie sein Mandant auf die Einzelhaft reagierte.
Liliane Minor
«Ich verwese bei lebendigem Leib.»
«Isolation ist die Verdammung in die Sprachlosigkeit.»
Diese Zitate stammen von namentlich nicht bekannten Häftlingen, die in Einzelhaft sassen. Der Zürcher Forscher Reto Volkart, der mehrere Studien zum Thema verfasst hat, hat die Aussagen aufgezeichnet. Aber sie könnten genauso gut von Brian stammen, dem 28-Jährigen, dessen Zukunft zurzeit am Bezirksgericht Dielsdorf verhandelt wird.
Philipp Stolkin, einer von Brians Anwälten, las die Zitate am zweiten Prozesstag zu Beginn seines Plädoyers vor. Stolkins Mission: zu erklären, warum Brian — anders als von Staatsanwalt Ulrich Krättli am ersten Prozesstag dargestellt – sehr wohl das Recht gehabt hat, sich auch mit Gewalt gegen die dreieinhalb Jahre dauernde Einzelhaft in der Justizvollzugsanstalt Pöschwies zu wehren. Oder, juristisch ausgedrückt, warum ein «rechtfertigender Notstand» vorlag.
Verheerende seelische und körperliche Auswirkungen
Die verheerenden Auswirkungen von Einzelhaft seien seit Jahrzehnten bekannt, sagte Stolkin. Zahlreiche Studien listen die Folgen auf: Stimmungsschwankungen, Gewalt- und andere emotionale Ausbrüche, Angstzustände, Depressionen, Denkstörungen, aber auch Herzrasen, Bluthochdruck und Verdauungsschwierigkeiten.
«Das ist auch der Grund, warum die mehr als 15 Tage dauernde Einzelhaft gemäss internationalen Konventionen verboten ist», sagte Stolkin. Und zwar absolut verboten. Was im Umkehrschluss heisst, dass es keine Rechtfertigung für diese Haftform gibt. Sie gilt als Folter. «Bei einem Verstoss gegen das Folterverbot gibt es keine Interessenabwägung. Nie.»
Die seelische und körperliche Unversehrtheit sei das höchste Rechtsgut des Menschen, so Stolkin, und dieses dürfe der Mensch verteidigen – auch auf Kosten von anderen. Brian habe keine Wahl gehabt. All die juristischen Eingaben, all die Strafanzeigen, die seine Anwälte eingereicht hätten, seien folgenlos geblieben oder auf die lange Bank geschoben worden: «Aber Brian brauchte Hilfe. Jeden Tag.»
Brian reagierte mit fast jedem beschriebenen Symptom
Deshalb habe er auf die einzige Weise reagiert, die ihm geblieben sei. Er habe verzweifelt versucht, sich die Reize selbst zu verschaffen, die der Mensch zum Leben brauche wie die Luft zum Atmen. «Er kämpfte ständig dagegen, dem Wahnsinn anheimzufallen», so Stolkin.
Seine Symptome würden sich wie aus dem Lehrbuch lesen: Er habe nächtelang unmotiviert gesungen, frühmorgens Selbstgespräche geführt, er habe an Bluthochdruck, Schmerzen und beginnender Fettleibigkeit gelitten.
Dass seine Ausbrüche eindeutig auf die Haftsituation zurückzuführen seien, zeige sich auch daran, dass sich Brian im Untersuchungsgefängnis Zürich seit bald zwei Jahren kooperativ verhalte. Dort verbringt er die Tage wie alle anderen Häftlinge ausserhalb der Zelle, arbeitet als Fitnessinstruktor.
Nur ein einziges Mal gab es bisher eine brenzlige Situation: Als bei einer Zellendurchsuchung ein Handy gefunden wurde, mit welchem Brian unzählige Videos und Fotos in den sozialen Medien gepostet hatte. Doch den Aufsehern gelang es, die Lage zu entschärfen – Brian entschuldigte sich schliesslich. Die Zelle, die er vor Wut verschmutzt hatte, reinigte er unaufgefordert.
«Und nun soll er nochmals bestraft werden? Dafür, dass er sich gegen unrechtmässige Haftbedingungen gewehrt hat?», fragte Stolkin. Das dürfe in einem Rechtsstaat nicht sein. «Geben Sie ihm eine Chance. Er wird sie nutzen.»
Das Urteil wird am kommenden Mittwoch, 8. November, erwartet.
Die Justizdirektion von Jacqueline Fehr (SP) wollte sich auf Anfrage nicht zum Prozess äussern – auch nicht zu den Erkenntnissen des amtlichen Gutachters Jonas Weber. Weber hatte Brians Einzelhaft am Vortag als «eindeutig verboten» bezeichnet. Das Verfahren laufe; was rechtswidrig sei, das würden die Gerichte entscheiden, teilte die Justizdirektion mit. Danach werde man sich selbstverständlich richten.
(https://www.tagesanzeiger.ch/zweiter-prozesstag-gegen-brian-brian-kaempfte-staendig-dagegen-dem-wahnsinn-anheimzufallen-434385892215)
+++POLIZEI AG
Einheitspolizei im Aargau?
Geht es nach der Aargauer Regierung, soll es in Zukunft keine Stadt- oder Regionalpolizeien mehr geben. Doch was würde eine Einheitspolizei im Aargau bedeuten? Könnte man damit die Polizeiarbeit wirklich vereinfachen? Oder führt dies nur zu Mehrkosten, weil gewisse Aufgaben der Gemeinden von der Polizei nicht mehr übernommen würden?
https://www.telem1.ch/talktaeglich/einheitspolizei-im-aargau-154289831
+++RASSISMUS
Antisemitischer Vorfall an Muttenzer Freien Mittelschule
Am Freitagmorgen hat ein 16-Jähriger einen 18-Jährigen jüdischen Mitschüler antisemitisch beleidigt. Wegen seinen Äusserungen wurde der Jugendliche vom Unterricht dispensiert.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/antisemitischer-vorfall-an-muttenzer-freien-mittelschule?id=12480546
-> https://www.20min.ch/story/muttenz-bl-antisemitischer-vorfall-an-privatschule-140595006755?version=1698736999660
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/basler-16-beleidigt-mitschuler-18-antisemitisch-dispensiert-66640436
-> https://www.bazonline.ch/schueler-dispensiert-antisemitischer-vorfall-an-schule-in-muttenz-516783364768
-> https://www.bzbasel.ch/basel/baselland/antisemitismus-mann-im-baselbiet-wegen-rassendiskriminierung-angezeigt-ld.2535695
Israel-Krieg: Attacken gegen Juden nehmen in der Schweiz zu
Seit der Israel-Krieg ausgebrochen ist, erlebt die Schweiz einen rasanten Anstieg antisemitischer Vorfälle. Jüdinnen und Juden befürchten weitere Eskalationen.
https://www.nau.ch/news/schweiz/israel-krieg-attacken-gegen-juden-nehmen-in-der-schweiz-zu-66640446
-> https://www.20min.ch/story/basel-kinder-sollen-alles-verstecken-was-juedisch-aussieht-528260599933
«Free Palestine»: Darum übersprayt die Stadtpolizei Zürich dieses Graffiti
Kurz nach der Entstehung übermalen Stadtpolizisten ein «Free Palestine»-Graffiti in Wiedikon. Das Graffiti verunsicherte die jüdische Gemeinde, sagt Gemeinderat Jehuda Spielman.
https://www.20min.ch/story/zuerich-wiedikon-stadtpolizei-uebermalt-free-palestine-graffiti-488393048377
+++RECHTSEXTREMISMUS
Bekannter Basler Neonazi hetzte gegen Juden – angeklagt
Die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft hat gegen den ehemaligen Pnos-Sektionschef Anklage erhoben. Sie wirft dem Beschuldigten unter anderem vor, zur Diskriminierung gegen jüdische Menschen aufgerufen und Verschwörungstheorien verbreitet zu haben.
https://www.20min.ch/story/muttenz-bl-ex-pnos-chef-wegen-rassendiskriminierung-angeklagt-934607605399?version=1698748868854
-> https://www.bazonline.ch/newsticker-region-basel-297230329650
-> https://www.bzbasel.ch/basel/baselland/antisemitismus-mann-im-baselbiet-wegen-rassendiskriminierung-angezeigt-ld.2535695
-> https://www.baseljetzt.ch/48-jaehriger-wegen-antisemitischen-hassaufrufen-vor-gericht/141107
-> https://primenews.ch/news/2023/10/48-jaehriger-wegen-mutmasslicher-rassendiskriminierung-angeklagt
+++HISTORY
Dolderhaus Beromünster: Indigene Gäste aus Kanada
Das Haus zum Dolder in Beromünster zeigt die Ausstellung «Aski – Land. Indigene Stimmen aus Kanada». Das Besondere daran ist, dass Indigene aus Kanada während der ganzen Ausstellungsdauer zu Gast sind.
https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/dolderhaus-beromuenster-indigene-gaeste-aus-kanada?urn=urn:srf:video:93af3933-e689-4130-ad50-cbd75ffc8fff
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hauptstadt.be 31.10.2023
Geld und Geist, made in Bern (II)
Die Burgergemeinde ist vermögend und freigebig, weil sie ihren Bodenbesitz weitsichtig bewirtschaftet. Heisst das auch, dass sie die Stadtentwicklung in ihrem Sinn beeinflusst? Die Bernburger-Saga, Teil II.
Von Jürg Steiner (Text), Mathias Born (Grafik), Manuel Lopez (Bilder)
Kürzlich hat die Stadt Bern die neue 50-Meter-Schwimmhalle im Neufeld in Betrieb genommen. Sie steht auf dem Boden der Burgergemeinde, den diese der Stadt gegen Zins im Baurecht abgibt.
Vor einer Woche erlebten die Young Boys einen denkwürdigen Champions-League-Fussball-Abend gegen Manchester City im Wankdorfstadion. Das Stadion befindet sich auf dem Boden der Burgergemeinde, den diese den drei Investoren Coop, Suva und Axa Winterthur bis 2081 im Baurecht überlassen hat.
Auf dem Messegelände der Berner Allmend wird derzeit die neue Festhalle gebaut. Sie entsteht auf einem Grundstück der Burgergemeinde. Die Messeveranstalterin Bernexpo, Erbauerin der Festhalle, ist eine der grössten Baurechtsnehmerinnen der Burgergemeinde.
In den nächsten Jahren soll westlich des Freibads Weyermannshaus ein neues Quartier mit 1000 Wohnungen entstehen. Der Boden, auf dem diese Stadtverdichtung stattfinden wird, gehört der Burgergemeinde und der Post.
Wachstumsgewinnerin
Diese vier Beispiele zeigen: Die Burgergemeinde ist als Bodenbesitzerin eine zentrale Playerin der Berner Stadtentwicklung. Omnipräsent. Doch oft ohne dass die breite Öffentlichkeit ihre Bedeutung wahrnimmt.
Kaum ein grösseres Bauvorhaben, in das die Burgergemeinde nicht involviert ist. Allerdings auch kaum eine Kulturinstitution, eine Kunstproduktion oder eine Buchpublikation, die ohne Unterstützung der Burgergemeinde entsteht.
Das ist die Doppelrolle, die sich die Burgergemeinde in den letzten 150 Jahren auf den Leib geschrieben hat.
Ausgangspunkt der heutigen Schlüsselfunktion der Burgergemeinde für die Stadtentwicklung ist das Jahr 1852, als sie mit der Einwohnergemeinde im Ausscheidungsvertrag den Besitz aufteilt. Die Burger überlassen der Stadt die meisten zu unterhaltenden Gebäude und das Recht, Steuern zu erheben. Selber behalten sie Wälder sowie Äcker und Felder ausserhalb der Aareschleife in ihrem Exklusivbesitz. Zudem übernehmen sie soziale Aufgaben wie die Waisenhäuser.
Damals konzentriert sich der historische städtische Baukörper zwar noch auf die Aarehalbinsel. Aber schon kurze Zeit später setzt ein starkes Bevölkerungswachstum ein. Die Stadt platzt aus allen Nähten und wächst hinaus auf die burgerlichen Felder. Beundenfeld, Kirchenfeld, Murifeld werden bebaut – der Wert der ehemaligen Kartoffeläcker schiesst in ungeahnte Höhen. Und die Burgergemeinde trägt dazu bei, dass diese Entwicklung in für sie günstige Bahnen gelenkt wird.
Lukrative Bodenrente
Wenn man es ökonomisch ausdrücken will: Die Burgergemeinde schöpft die Bodenrente ab, die ihr die Nutzer*innen dafür entrichten, dass sie auf Burger-Grundstücken arbeiten, wohnen oder die Freizeit verbringen.
Darauf basiert das bis heute wichtigste Standbein des burgerlichen Geschäftsmodells: Den lukrativen Grundbesitz so zu bewirtschaften, dass langfristig stabile Erträge anfallen. Diese Gewinne lässt sie gemäss der Kantonsverfassung, der sie als Gemeinde untersteht, «zum Wohl der Allgemeinheit» an die Öffentlichkeit zurückfliessen.
Aktuell besitzt die Burgergemeinde – inklusive Wäldern – gut 30 Prozent des Bodens in der Stadt Bern. Sie ist die grösste Grundbesitzerin. Mit von der Burgergemeinde zur Verfügung gestellten Daten hat die «Hauptstadt» eine zoombare Übersichtsgrafik erstellt, die zeigt, wie sich der heutige Burgerbesitz auf dem Stadtboden verteilt.
Das Bild, das sich ergibt: Quantitativ der grösste Teil des burgerlichen Besitzes in der Stadt ist Wald (grün), rund 26 Prozent des städtischen Bodens. Die bebauten Grundstücke, die der Burgergemeinde gehören (und um die sich dieser Text hauptsächlich dreht), machen vier Prozent der städtischen Bodens aus
Das ist allerdings nur ein Teil des ursprünglichen Eigentums. Mehrere grosse städtische Grundstücke hatte die Burgergemeinde seit der Mitte des 19. Jahrhunderts verkauft.
Den Erlös investierte sie meist in günstigen Boden ausserhalb der Stadt, dem die Baureife und die Wertsteigerung erst bevorstand. Deshalb ist sie auch in Agglomerationsgemeinden ein Faktor für die Entwicklung – so etwa in Köniz (Zentrum Bläuacker), Kehrsatz (Breitenacker), Muri (Multengut) oder Worb (Sunnebode). Wald besitzt die Burgergemeinde Bern beispielsweise auch im Kiental oder in Saanen.
Doppelrolle im Monopoly
Doch zurück in die Stadt. Die Frage ist: Wie stark nimmt die Burgergemeinde, die weniger als zehn Prozent der Stadtbevölkerung repräsentiert, Einfluss? Und steuert sie die Stadtentwicklung zu ihren Gunsten?
Kritik begegnen die Burger*innen meistens so: Ihr ausgedehnter Grundbesitz habe diesen Boden der Spekulation entzogen, weil die Burgergemeinde nicht auf kurzfristige Gewinne aus sei. Das wäre anders gekommen, so die Argumentation weiter, hätte man bei der Güterausscheidung 1852 den Boden an private Investoren verhökert.
Auf dem Bodenmarkt Rendite erwirtschaften, aber gleichzeitig der Allgemeinheit verpflichtet sein: In dieser Doppelrolle bewegt sich die Burgergemeinde seit je auf schmalem Grat. Exemplarisch zeigt sich das beim Bau der Hochbrücken über die Aare im 19. Jahrhundert, dem «Berner Brückenmonopoly», wie es der Historiker und Journalist Stefan von Bergen einmal bezeichnet hat.
Die Burger werfen ihr Gewicht entschlossen in die Waagschale, damit ihnen die von Kanton und Einwohnergemeinde verantworteten Brückenbauten möglichst optimal in die Karten spielen. Die hohen Aareübergänge sind entscheidend dafür, dass die burgerlichen Stadtfelder am anderen Ufer zu einträglichem Bauland werden.
Der unverstellte Blick in die Alpen
Beim Bau von Berns erster Eisenbahnbrücke, die das Wylerfeld mit dem künftigen Hauptbahnhof verbindet, wird das Monopoly zum ersten Mal gespielt. Die finanzschwache Stadt ist auf Investitionsbeihilfe der Burger angewiesen.
Diese sagen zu, verlangen aber von der Stadt, dass man die Bahnbrücke um einen Fahrweg ergänzt. Damit wird der ihnen gehörende, brachliegende Boden in der Lorraine erschlossen und aufgewertet. Finanziell praktiziert die Burgergemeinde saubere Risikominimierung. Sie zahlt den vollen Beitrag erst, als der erste Brückenpfeiler steht.
Die Rechnung geht auf. Die Lorraine erblüht. In die neuen Häuser ziehen jedoch vor allem Arbeiter*innen ein, was der Burgergemeinde suspekt ist. Beim Bau der Kirchenfeldbrücke (1881) wählen die Burger eine andere Strategie. Sie verkaufen ihren Boden im Kirchenfeld vorgängig an die britische Berne Land Company.
Sie knüpfen den Verkauf an die englische Beteiligungsgesellschaft an die Bedingung, dass die Land Company die Brücke bezahlt und ein mondänes Villenviertel anlegt. Dieses soll betuchtere Bewohner*innen anziehen – was allerdings nur teilweise gelingt. Zudem legen die Burger fest, dass im Kirchenfeld keine hohen Häuser gebaut werden. Damit die burgerliche Sicht von der Münsterplattform auf die Alpenkette «unverkümmert bleibt».
Deal bei der Kornhausbrücke
Weit aus dem Fenster lehnen sich die Burger bei der Kornhausbrücke. Für diese gibt es ein weniger teures Alternativprojekt, das vom Waisenhausplatz hinüber in den Altenberg führt. Dieses hat aber aus Burgersicht den Nachteil, dass ihr Bodenbesitz im Breitenrain nicht erschlossen wird.
Die Burger überlegen sich einen Schachzug. Sie bieten der Stadt gewinnträchtiges Bauland oben im Breitfeld günstig an, damit diese sich vor der Volksabstimmung für die Kornhausbrücke (und damit für die Burgerinteressen) stark macht. Der Poker geht auf. Die männlichen Stimmberechtigten segnen den Deal an der Urne ab. Aber auf die Burgemeinde hagelt es angesichts des Beeinflussungsversuchs in der noch jungen Berner Demokratie Kritik: «Wer befiehlt eigentlich in Bern?»
Martin Stuber, Historiker an der Universität Bern, hat die Geschichte des burgerlichen Grundeigentums in der Langzeitperspektive untersucht. Er hat dabei auch mehrere heftige Konflikte rekonstruiert.
Bestimmender, so Stubers Bilanz, sei die integrative Wirkung der Burgergemeinde. Sein Fazit: Die burgerliche Bodenpolitik war immer dann erfolgreich, wenn sie ihre Eigeninteressen nicht absolut setzte, sondern sich um gesellschaftliche und politische Anschlussfähigkeit bemühte.
Neue Profilierung mit Baurechten
Konform mit den Interessen der Einwohnergemeinde verhält sich die Burgergemeinde in der Wachstumsphase in Berns Westen ab den 1950er-Jahren. In der anlaufenden Hochkonjunktur wachsen industrielle Hochhaussiedlungen in die Höhe. Die Burgergemeinde, die in Bümpliz über grossflächigen Bodenbesitz verfügt, ist deshalb ein wichtiger Faktor, der die zu dieser Zeit für die ganze Schweiz innovativen Grossüberbauungen in Bern West ermöglicht.
Die Burger ändern den Umgang mit ihrem Grundbesitz: Sie verkaufen den lukrativen Boden nicht mehr, sondern geben ihn im Baurecht gegen Zinszahlungen ab.
Mustergültig exerzieren sie das in der Siedlung Schwabgut in Bümpliz durch. Auf burgerlichem Boden entstehen 1000 preisgünstige Wohnungen, die von der ebenfalls in Burgerbesitz stehenden Schwabgut AG realisiert werden.
Der Historiker Moritz Gutjahr hat den Bau des Schwabguts untersucht. In seiner Arbeit zieht er einen interessanten Schluss: Die neue Praxis der Baurechtsvergabe habe auch die Aussenwahrnehmung der Burger verbessert. Zwar behält die Burgergemeinde ihre Machtposition auf dem Bodenmarkt und sichert sich eine kontinuierliche und konstante Rendite. Gleichzeitig profiliert sie sich «durch den Bau von preiswertem Wohnraum als engagierte Wohnraumentwicklerin».
Virtuos hält die Burgergemeinde ihre Bodenpolitik von öffentlicher Kritik fern, indem sie ihre Leistungen betont. Das gelingt fast immer. Sie trägt zur Rettung des Botanischen Gartens bei. Oder zur Realisierung des Bärenparks.
In den 1990er-Jahren widerfährt ihr allerdings ein spektakulärer Sündenfall. Aus Renditeerwägungen setzt sie den Abbruch der historischen, denkmalgeschützten Kocherhäuser an der Laupenstrasse durch, die sie via den Kocher-Fonds verwaltet. Heute stehen dort Bürohochhäuser, in denen sich unter anderem die Finanzmarktaufsicht befindet.
Die Burger, die sich auch als Bewahrer der Berner Altstadt gebärden, geraten heftig in die Kritik.
Burgerliche Offenheit
«Wie kann eine Institution, die, getragen von altbernischen Familien, sorgsam um die Wahrung bernischer Geschichte bemüht ist, ein historisches Gebäude von nationaler Schutzwürdigkeit zerstören?» Das fragt die Berner Historikerin Katrin Rieder in ihrer fulminanten Doktorarbeit, die sie 2008 als 500-seitiges Buch veröffentlicht. Sie kritisiert die Burgergemeinde als undurchsichtiges konservatives Netzwerk, das unter dem Deckmantel des Diensts an der Allgemeinheit aristokratische Machtausübung betreibe. Rieder stellt die Existenzberechtigung der Burgergemeinde in Frage.
Die diskreten Bernburger gehen in die Offensive und stellen sich der Debatte. Sie beauftragen ein unabhängiges Historiker*innenteam mit der kritischen Aufarbeitung ihrer Geschichte. Heraus kommt 2015 ein zweibändiger Wälzer, der auch dunkle Kapitel ausleuchtet – etwa die Nazifreundlichkeit einzelner Burger.
Parallel dazu modernisiert die Burgergemeinde ihre Öffentlichkeitsarbeit. Einst wurden Journalist*innen, die kritische Artikel zur Burgergemeinde verfasst hatten, zu Einzelgesprächen mit der Burger-Spitze aufgeboten. Inzwischen beantwortet die Burgergemeinde kritische Anfragen professionell und bringt sich mitunter auch proaktiv ins Gespräch.
Ab und zu lassen sich die Burger auf gewagte Projekte ein. Ab 2005 wird die Idee einer Waldstadt im schmalen Streifen des Bremgartenwalds zwischen Länggasse und Autobahn hitzig diskutiert. Die vermeintlich konservative Burgergemeinde zeigt sich offen für das Experiment, Wald zu roden und Häuser zu bauen. Es wird allerdings 2016 von ihren Initiant*innen sistiert.
Kein Problem mit Rot-Grün
Als smart könnte man den Umgang der Burger mit der rot-grünen politischen Mehrheit bezeichnen, die früher von Berührungsängsten geprägt war. Schliesslich gehört es zur DNA kämpferischer Linker, die Abschaffung einer als elitär wahrgenommenen Nachfolge-Organisation der Bernern Patrizier zu fordern. Aber anders als etwa die Zürcher Zünfte hat sich die Burgergemeinde mit ihrer Förderpolitik nach links geöffnet
Letztmals kommt eine zaghafte Abschaffungsdiskussion bei der Revision der Kantonsverfassung 2009 auf. Dass allfällige Interessenkonflikte zwischen Einwohner- und Burgergemeinde etwa in stadtplanerischen Fragen – wie etwa beim Konflikt um die Kornhausbrücke – offen debattiert würden, ist fast unvorstellbar geworden. In der linken Stadtregierung sitzen mit Stadtpräsident Alec von Graffenried (GFL) und Finanzdirektor Michael Aebersold (SP) zwei Burger.
Im Stadtrat hängig ist ein einziger burgerkritischer Vorstoss. Er stammt von SP-Politiker Halua Pinto de Magalhães und fordert eine Strategie zur Vereinigung von Burger- und Einwohnergemeinde sowie Reparationszahlungen für Profite aus der Kolonialzeit. Der Vorstoss wird in einer der nächsten Stadtratssitzungen behandelt. Dass er etwas bewirken wird: eher nicht.
Berner*innen und Burger*innen, sie sind sich sehr nahe.
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Lies am Donnerstag in der «Hauptstadt»: Wie die frühere Stadt- und Grossrätin Barbara Mühlheim nun in der Burgergemeinde Politik macht.
Verwendete Literatur:
Birgit Stalder, Martin Stuber, Sibylle Meyrat, Arlette Schnyder, Georg Kreis. Von Bernern und Burgern. Tradition und Neuerfindung einer Burgergemeinde. Hier und Jetzt. 2015
Katrin Rieder: Netzwerke des Konservatismus. Berner Burgergemeinde und Patriziat im 19. und 20. Jahrhundert. Chronos. 2008.
Stefan von Bergen: Brückenschläge in die Zukunft. Die Schlüsselrolle der Hochbrücken in Berns Urbanisierung, in: Christian Lüthi; Bernhard Meier (Hrsg.): Bern eine Stadt bricht auf. 1998
Moritz Gutjahr. Die Überbauung des Schwabguts 1957–1971. Die Burgergemeinde Bern als Akteurin in der städtischen Wohnraumpolitik. In: Berner Zeitschrift für Geschichte BEZG. 2018
Jürg Steiner: Bern – eine Wohlfühloase? Der Weg zur rot-grünen Hauptstadt. Stämpfli Verlag. 2020.
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Die Artikelserie zur Burgergemeinde wurde mit Unterstützung von JournaFONDS recherchiert und umgesetzt.
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Inside Burgergemeinde
Man kann Bern nicht verstehen, wenn man die Rolle der Burgergemeinde nicht versteht. Mit ihren 18’000 Mitgliedern ist sie eine der grössten und wohlhabendsten Burgergemeinden der Schweiz, die ein Drittel des städtischen Bodens besitzt. Und das ausgerechnet in der linken Stadt Bern, der sie jedoch als grosszügige Kulturmäzenin beisteht. Wie entstand die Burgergemeinde und wie wurde sie reich? Wie funktioniert sie? Wie viel Macht übt sie aus? Und: Was wäre Bern ohne die Burgergemeinde?
Diese Fragen arbeitet die «Hauptstadt» in den nächsten Wochen aus diversen Blickwinkeln in einem mehrteiligen Schwerpunkt auf. Dieser erste Text über die burgerliche Entstehungs-Saga ist der Auftakt dazu. Zudem hast du Gelegenheit, am «Hauptsachen»-Talk vom 7. November im Progr (19.30 Uhr) live über die Burgergemeinde mitzudiskutieren – mit Burgerrats-Präsident Bruno Wild und SP-Stadtrat Halua Pinto de Magalhães, der die Burgergemeinde in Frage stellt.
(https://www.hauptstadt.be/a/geld-und-geist-two)