Medienspiegel 28. Oktober 2023

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+++SCHWEIZ
nzz.ch 28.10.2023

Wer stoppt die Schlepperbanden? Der helvetische Föderalismus tut sich schwer damit

Alles klagt über illegale Migration. In Österreich ermittelt ein Spezialteam aus 50 mehrsprachigen Fachleuten. In der Schweiz sind 26 Kantonspolizeien am Anschlag.

Irène Troxler

Kürzlich hat die Luzerner Kantonspolizei gemeldet, sie habe bei einer Verkehrskontrolle zwei mutmassliche Schlepper festgenommen. Die Polizisten zogen auf der A 2 drei Autos aus dem Verkehr. Die sieben Passagiere hielten sich illegal in der Schweiz auf. Sie stammten aus der Türkei und Côte d’Ivoire. Zwei Fahrer aus Mali und Italien wurden festgenommen. Das Amt für Migration wies sie weg und verfügte eine Einreisesperre. Dann wurden sie wieder freigelassen. Die Staatsanwaltschaft Emmen führe nun eine Untersuchung durch, heisst es im Polizeicommuniqué. Die Schlepper dürften aber längst über alle Berge sein.

Das klingt nach Sisyphusarbeit.

Niemand fühlt sich zuständig

Fasst die Schweiz nur kleine Fische und lässt sie wieder laufen? Oder bekämpft sie auch die Schlepperorganisationen dahinter? Im Gespräch mit diversen Stellen wird klar: So richtig zuständig fühlt sich niemand.

Die erste Adresse für Informationen zum Schlepperwesen ist das Bundesamt für Polizei (Fedpol). Es hat im Jahr 2014 in einem Bericht festgehalten, dass die Bekämpfung des gewerbsmässigen Menschenschmuggels in der Schweiz unzureichend sei. Welche Massnahmen ergriffen wurden und wie die Lage heute ist, lässt sich nicht feststellen. Auf eine entsprechende Anfrage antwortet das Fedpol mit einer kurzen E-Mail. Man stehe den Kantonen bloss beratend zur Seite. «Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an das Staatssekretariat für Migration (SEM).» Die Frage nach einem Update des fast zehn Jahre alten Berichts lässt das Amt unbeantwortet.

Beim SEM wurde Urs von Arb im Jahr 2021 vom Bundesrat zum Beauftragten für Migration und innere Sicherheit ernannt. In dieser Funktion ist er für Terrorismusbekämpfung zuständig sowie für die Bekämpfung von Menschenhandel und Menschenschmuggel. Aber auch von Arb will keine Fragen beantworten. «Ich denke, das Beste wäre in diesem Zusammenhang ein Gespräch mit dem Fedpol oder einem (Grenz-)Kanton oder allenfalls dem Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG)», richtet er aus.

Aber auch beim nächsten Bundesamt, dem BAZG, will niemand etwas Konkretes über den Kampf gegen Schlepper sagen. Das Amt schreibt: «Personen, die das BAZG mit Verdacht auf Schleppertätigkeit aufgreift, werden an die zuständige Kantonspolizei übergeben oder bei der zuständigen Staatsanwaltschaft zur Anzeige gebracht.»

Anfragen bei Grenzkantonen liefern ebenfalls kaum substanzielle Antworten. Die Kantonspolizei Tessin schreibt, sie könne keine Auskünfte geben, da das BAZG zuständig sei. Die Kantonspolizei Zürich hat keine Kapazität für ein Hintergrundgespräch und verweist aufs Fedpol und aufs BAZG. Die Kapo Basel bittet, sich an die Staatsanwaltschaft zu wenden. Beim Kanton St. Gallen heisst es, die Ressourcen würden knapp ausreichen, um jene Fälle zu bearbeiten, die der Kantonspolizei von der Grenzwache übergeben würden.

Niemand fühlt sich zuständig, internationale Schlepperbanden zu verfolgen.

So gehen die meisten Verhaftungen von Schleppern auf das Konto von Kommissar Zufall, wie im erwähnten Fall im Kanton Luzern. Oder wie beim berüchtigten Fall von Nidwalden. Dort starben 23 Personen beinahe in einem Transporter, weil sie kaum noch Luft bekamen. Die Nidwalder Polizei hatte das Schlepperfahrzeug ohne konkreten Verdacht angehalten.

An der Passivität der Behörden stört sich kaum jemand, denn im Gegensatz zu Einbrüchen oder Enkeltrickbetrügereien tut Menschenschmuggel niemandem weh. Manche Leute haben auch Sympathien für die illegal Eingereisten, selbst wenn sie keine Asylgründe geltend machen können. Aber die meisten Schlepper sind keine freundlichen Flüchtlingshelfer. Bei diesem Business geht es um sehr viel Geld. Und oft auch um andere kriminelle Aktivitäten.

Alexander Ott, der Co-Leiter des Polizeiinspektorats und Chef der Fremdenpolizei der Stadt Bern, ist einer der wenigen, die sich bereit erklären, zum Thema Auskunft zu geben. Er nennt drei Arten von Schleppern. Es gebe die Schleuser, die die Transporte durchführten. Die Köpfe hinter dem Ganzen seien aber andere, die teilweise von der Schweiz aus alles organisierten und Safe Houses für die illegal eingereisten Migranten betrieben. Auf solche Wohnungen, die meist überbelegt seien, stiessen die Behörden manchmal bei Kontrollen. Schliesslich gebe es eine dritte Personengruppe, die gefälschte Aufenthaltsbewilligungen und Dokumente besorge.

Niemand sieht sich als Opfer

Ott spricht von «polyvalenter Kriminalität». Aber da bei Schleuserkriminalität die Personen, die für ihre Schleusung bezahlten, sich oft nicht als Opfer sähen und in Abhängigkeit zu den Schleusern stünden, komme es selten zu Anzeigen.

Andere Insider, die nicht zitiert werden wollen, sprechen von einem «Holdelikt»: Solange man nicht so genau hinschaue, finde man auch nichts. Und da die meisten Polizeikorps Ressourcenprobleme hätten, kümmere man sich prioritär um anderes. Das bedeute aber nicht, dass die Schlepperkriminalität kein Problem sei. Im Gegenteil: Sie reiche von der Beschaffung gefälschter Ausweispapiere über Transporte in Autos, Bussen, Zügen oder über die grüne Grenze bis zur Erschleichung von Visa mit falschen Papieren.

Für das Jahr 2022 listet das Bundesamt für Statistik gut 1000 Fälle unter dem Straftatbestand «Förderung der rechtswidrigen Ein- oder Ausreise oder des rechtswidrigen Aufenthalts» auf. Aber für Insider ist klar: Hier werden nicht die grossen Schlepperorganisationen ausgehoben. Bei den meisten Fällen dürfte es sich um an der Grenze gestoppte Fahrzeuge handeln, bei denen ein Fahrer aus dem Verkehr gezogen wird. Oder um Zufallstreffer, wie bei der Autobahnkontrolle der Luzerner Polizei. Genau weiss man es aber nicht.

Seit die Schweiz Teil des Schengenraums ist, finden an der Grenze keine systematischen Kontrollen mehr statt. So habe sich die Problematik ins Landesinnere verschoben, sagt Ott. Hier seien die Behörden der Kantone und der Gemeinden zuständig. Die Stadt Bern führe seit Jahren engmaschige Verbundkontrollen mit Partnerbehörden wie der Kantonspolizei Bern und dem Bundesamt für Zoll- und Grenzsicherheit durch. Aber jeder Kanton und jede Stadt hat ihren eigenen Umgang mit dem Thema.

Mehr Ressourcen und Know-how in Österreich

Ganz andere Zahlen vermeldet Österreich. Dort wurden im Jahr 2022 gemäss einem Lagebericht des Bundesministeriums für Inneres 100 000 Personen im Zusammenhang mit Schlepperei und irregulärer Migration aufgegriffen. Das ist ein neuer Höchststand für Österreich und das Fünffache der Schweiz, die im gleichen Jahr 10 000 Fälle von rechtswidriger Einreise oder rechtswidrigem Aufenthalt registriert hat, was etwa den gleichen Tatbeständen entspricht. Dieser Unterschied hat Gründe.

Um den immer professioneller vorgehenden Schlepperorganisationen beizukommen, hat das österreichische Bundeskriminalamt im Jahr 2021 eine Spezialabteilung mit 50 Fachleuten gegründet. Oft gehe es nicht nur um Schlepperei oder Menschenhandel, sondern auch um Sozialleistungsbetrug, Visaerschleichung und Delikte wie illegales Glücksspiel, Rauschgifthandel und Korruption, schreibt das Bundesministerium. Das sogenannte Joint Operational Office fungiere als verlängerter Arm von Europol und arbeite vielsprachig.

Einige der Mitarbeiter sprechen auch Rumänisch, Serbisch, Türkisch oder Kurdisch und arbeiten mit diversen Behörden entlang der Balkanroute zusammen. Im Gegensatz zur Schweiz hat Österreich auch den Überblick über die Herkunftsländer der Schlepper: Die meisten sind syrische Staatsangehörige, vor Türken, Ukrainern, Rumänen und Österreichern.

Österreich sei das Vorzeigebeispiel, was den Kampf gegen Schlepperbanden angehe, sagen Insider. Aber Österreich habe wegen seiner geografischen Lage auch grössere Probleme mit der Schlepperei als die Schweiz.

Wie stark die Schweiz betroffen ist, weiss allerdings niemand genau. «Insbesondere international agierende Schleusernetzwerke stellen die Strafverfolgungsbehörden vor grosse Herausforderungen», schrieb das Fedpol im Jahr 2014. Die Schlepperbanden waren seither wiederholt Thema von parlamentarischen Vorstössen. Unter anderem wurde eine Übertragung der Kompetenzen an die Bundesanwaltschaft gefordert. Der Bundesrat antwortete im Jahr 2015, so etwas solle nicht «leichthin» beschlossen werden, und verwies auf einen Aktionsplan «Integrierte Grenzverwaltung» aus dem Jahr 2014. Dass das Problem seither kleiner geworden ist, glaubt niemand.
(https://www.nzz.ch/schweiz/wer-stoppt-die-schlepperbanden-der-helvetische-foederalismus-tut-sich-schwer-ld.1762780)


+++DEUTSCHLAND
Repression und Abschreckung senken die Zahlen nicht
Der europäische Krieg gegen Flüchtlinge
Deutsche Politiker versprechen ein härteres Durchgreifen gegen illegale Migration. Tatsächlich kommen nach Deutschland vor allem Asylbewerber, deren Aufenthalt und Antragstellung rechtlich verbrieft sind.
https://jungle.world/artikel/2023/43/der-europaeische-krieg-gegen-fluechtlinge


+++GASSE
In Solothurn wird Rösti zugunsten der Gassenküche serviert
Eine feine Rösti für einen guten Zweck – das ist quasi der Fünfer und das Weggli. Heute kochten in Solothurn Promis das Nationalgericht. Tele M1 war vor Ort.
https://www.telem1.ch/aktuell/in-solothurn-wird-roesti-zugunsten-der-gassenkueche-serviert-154519139



solothurnerzeitung.ch 28.10.2023

Weder richtige Crack-Welle noch Entwarnung in Olten: «Vielleicht erleben wir gerade nur die Ruhe vor dem Sturm»

Städte wie Genf oder Zürich kämpfen mit der Droge Crack, die nun auch in Kleinstädten wie Olten angekommen ist. Die Behörden registrieren allerdings bisher keine grosse Zunahme des Konsums. Suchthilfe Ost und die Szene beobachten jedoch Veränderungen.

André Albrecht, Maximilian Jacobi und Fabian Muster

Die geschützten Plätze für Drogensüchtige füllen sich. Konsumierende aus dem Aargau werden deswegen bereits abgewiesen. Aggressivität und Kriminalität der Klientel nehmen zu. Anfang Oktober musste ein Sicherheitsdienst engagiert werden.

Das erzählt Patrizia Twellmann, Leiterin des Konsumraums und der Stadtküche der Suchthilfe Ost in Olten, vor einer Woche gegenüber dieser Zeitung. Damit Süchtige die Räume nutzen dürfen, müssen sie ihre Substanzen vorzeigen. Das dient in erster Linie ihrer Sicherheit: Nehmen sie eine Überdosis, können die Sozialarbeitenden den Notärzten wichtige Hinweise geben. Deswegen liegen der Suchthilfe genaue Daten darüber vor, welche Drogen konsumiert werden.

Hier registriert Abteilungsleiterin Twellmann eine grosse Veränderung: Es wird immer mehr Crack geraucht. Die Konsumierenden seien oft abgemagert und körperlich in einem schlechten Zustand, die wachsende Verwahrlosung sei offensichtlich.

Die Ruhe vor dem Sturm

Twellmann sieht auch die Gefahr, dass bei einer weiteren Steigerung des Crack-Konsums sich in Olten wieder eine offene Szene auf der Gasse entwickeln könnte. Zurzeit sei das noch nicht so, man könne die meisten Konsumierenden dazu bringen, die kontrollierten Räume bei der Suchthilfe zu nützen.

Schwappt die Crack-Welle gerade aus Genf und Zürich nach Olten? «Auf der Strasse merken wir noch nichts», sagt Stadtrat Raphael Schär-Sommer. Die von ihm geleitete Direktion Soziales steht mit der Suchthilfe Ost in Kontakt. Der Blick nach Genf und Zürich bereitet ihm allerdings Sorgen: «Vielleicht erleben wir gerade nur die Ruhe vor dem Sturm.» Die Kantonspolizei Solothurn gibt ebenfalls an, bei Kontrollen noch keine Steigerung des Crack-Konsums festgestellt zu haben.

Potenzielles Platzproblem bei der Suchthilfe

Stephanie Beutler, Projektleiterin der Gruppe Sicherheit Intervention Prävention Region Langenthal Olten, kurz SIP, sieht bis anhin keine dramatischen Veränderungen im Zusammenhang mit der Droge Crack. Auch nicht an den Hotspots wie bei der Stadtkirche in der Innenstadt. Die Mitarbeitenden der SIP, die jeweils zu zweit uniformiert im öffentlichen Raum in Olten zirkulieren, sind unterwegs an den bekannten Aufenthaltsorten der Szene.

«Bei uns fallen viele Akteure wie Anwohner, Passantinnen, die Kirche, das Gewerbe und natürlich die Menschen auf der Gasse zusammen», erklärt die 40-jährige Sozialarbeiterin die Hauptaufgabe der SIP. Sie versuchen zu vermitteln und den öffentlichen Raum für alle benutzbar zu halten.

Sie merkten, dass eine gewisse Hektik herrsche. Aber nach wie vor gelinge es, viele an die Suchthilfe zu vermitteln, sagt Beutler. Sollte sich die Lage wie in Genf oder Zürich verschlechtern, sieht sie ein Platzproblem bei der Anlaufstelle für Drogen. «Es ist nun wichtig, darauf zu achten, dass genügend Kapazität und Ressourcen vorhanden sind.» Nur so könne ein möglicher Anstieg abgefedert werden. Die Angebote der Suchthilfe wie die Konsumräume und die Stadtküche seien sehr wichtig.

Es gibt kaum noch Ärzte für Abhängige

Auch Urs Widmer geht als Sozialarbeiter der SIP in Oltens Gassen auf Patrouille. Er sieht im Moment ebenfalls noch keine dramatische Veränderung. «Wir kennen die Konsumenten. Bis auf eine leicht gesteigerte Hektik bei der Drogenbeschaffung ist es eigentlich noch ruhig», erklärt der Gassenarbeiter.

Ähnliches beobachtet der Arzt Cyrill Jeger. Er übergab vor kurzem die Ringpraxis in Olten an seinen Nachfolger. Im Umgang mit Drogensüchtigen hat er jahrzehntelange Erfahrung. Allzu dramatische Veränderungen sieht er im Moment noch nicht. Er ist sich aber ziemlich sicher, dass die Crack-Welle aus Genf via Zürich auch in Olten zu negativen Veränderungen führen wird.

«Ein Problem ist, dass viele Hausärzte mit Abhängigen nichts mehr zu tun haben wollen», sagt Jeger. Dieses Problem ist auch den Spitälern in Olten und Solothurn bekannt. Das zeigt sich an einer Vortragsreihe für Hausärzte, welche die Spitäler zu diesem Problem halten werden.

Erste Fälle in der Öffentlichkeit

«So wie sich die Gesellschaft verändert, ändern sich auch der Drogenkonsum und die Umstände rundherum», sagt Jeger. In Sachen Crack und andere Drogen dieser Art müsse man neue Formen finden, wie man damit umgehe. «Bei Crack geht der körperliche und psychische Abbau bei den Konsumierenden so rasant, dass man sie so schnell wie möglich auffangen muss», so der langjährige Hausarzt.

Dass in Olten aber durchaus etwas im Gange ist, zeigt die Beobachtung eines Besuchers des Einkaufszentrum Sälipark, die er gegenüber dem Journalisten schilderte. «Als ich die Toilette aufsuchte, sah ich dort drei junge Männer am Rauchen einer kleinen Pfeife, die wohl nicht nur mit harmlosem Tabak gefüllt war», sagt der Mann. Offenbar suchten die drei Schutz vor dem garstigen Wetter.

Und auch eine Person aus der Szene rund um die Stadtkirche sagt, dass sie diesen Sommer vermehrt Crack in Olten wahrgenommen hat. In seinen Augen gibt es viele junge Konsumentinnen und Konsumenten. Er kenne sicher zehn Personen, die es schon geraucht hätten.

Von einer regelrechten Crack-Welle kann also noch nicht die Rede sein. Entwarnung kann aber ebenfalls nicht gegeben werden.
(https://www.solothurnerzeitung.ch/solothurn/olten/drogen-weder-richtige-crack-welle-noch-entwarnung-in-olten-vielleicht-erleben-wir-gerade-nur-die-ruhe-vor-dem-sturm-ld.2534340)


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Antifa-Spaziergang in Bern: Auf die Strasse gegen den Rechtsrutsch
Heute Abend um 18.30 Uhr soll vom Bahnhofplatz aus ein «antifaschistischer Abendspaziergang» losziehen. Die Kundgebung ist nicht bewilligt.
https://www.derbund.ch/antifa-spaziergang-in-bern-auf-die-strasse-gegen-den-rechtsrutsch-340419069232
-> https://twitter.com/PoliceBern
-> https://twitter.com/RaimondLueppken
-> https://www.baerntoday.ch/bern/stadt-bern/mehrere-hundert-personen-an-antifa-spaziergang-durch-bern-154519791
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/hunderte-ziehen-bei-antifa-abendspaziergang-durch-bern-66639078
-> https://twitter.com/ag_bern/status/1718378805176217795
-> https://twitter.com/gegen_oben/status/1718389712111407213
-> Demo-Aufruf: https://barrikade.info/article/6158



BE:
Pro-Palästina Demo in Bern: Rund 2000 Personen demonstrierten vor dem Bundeshaus für Palästina
In Bern gingen am Samstagnachmittag Palästina-Sympathisierende für ein Ende der Gewalt, den Schutz der Menschenrechte und humanitäre Hilfe für Gaza auf die Strasse.
https://www.derbund.ch/pro-palaestina-demo-in-bern-nach-der-schuetz-wird-heute-vor-dem-bundeshaus-demonstriert-628664906415
-> https://twitter.com/gegen_oben/status/1718246659732177375
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/hunderte-demonstrieren-in-zurich-fur-freies-palastina-66638916
-> https://www.blick.ch/ausland/kundgebungen-in-staedten-hunderte-demonstrieren-schweizweit-fuer-palaestina-und-israel-id19087888.html
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/ausstellung-fuer-plakatkuenstler-claude-kuhn?id=12478839
-> https://twitter.com/gegen_oben/status/1718293305467797641
-> https://www.watson.ch/schweiz/international/177370742-schweiz-tausende-demonstrieren-in-bern-und-zuerich-fuer-palaestina
-> https://www.telebaern.tv/telebaern-news/pro-palaestina-demo-bern-154518799
-> https://www.blick.ch/schweiz/bern/mehrere-hundert-vermummte-sachbeschaedigungen-und-scharmuetzel-an-antifa-umzug-durch-bern-id19088812.html
-> https://www.watson.ch/schweiz/bern/820451693-antifa-zieht-ohne-bewilligung-durch-bern-polizei-mit-grossaufgebot


BS:
Unbewilligte Pro-Palästina Demonstration in Basel (ab 06:44)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/552-herbstmesse-gestartet-mit-dem-traditionellen-einlaeuten?id=12478848
-> https://www.baseljetzt.ch/300-personen-demonstrierten-an-unbewilligter-palaestina-kundgebung/139866


SG:
Strafrechtliche Abklärungen nach Nahost-Demo in St.Gallen
Nach der Kundgebung in St.Gallen zum Nahost-Konflikt prüft die Polizei gewisse Parolen strafrechtlich. Laut Polizei verlief die Demo insgesamt friedlich, es kam jedoch zu mehreren Personenkontrollen.
https://www.tvo-online.ch/aktuell/strafrechtliche-abklaerungen-nach-nahost-demo-in-st-gallen-154518720


ZH:
Pro-Palästina-Demo in Zürich: Tausende liefen an der bewilligten Kundgebung mit
Die Demonstration hat mehr Menschen angezogen als erwartet. Dass sie amtlich bewilligt wurde, sorgte im Vorfeld für Kritik.
https://www.tagesanzeiger.ch/pro-palaestina-demo-in-zuerich-die-bewilligte-kundgebung-ist-gestartet-800967922352
-> https://twitter.com/RaimondLueppken
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/hunderte-demonstrieren-in-zurich-fur-freies-palastina-66638916
-> https://www.blick.ch/ausland/kundgebungen-in-staedten-hunderte-demonstrieren-schweizweit-fuer-palaestina-und-israel-id19087888.html
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/pro-palaestina-kundgebung-ohne-zwischenfaelle?id=12478851
-> https://www.20min.ch/story/zuerich-pro-palaestina-demo-in-zuerich-setzt-sich-in-bewegung-968294995010
-> https://www.watson.ch/schweiz/international/177370742-schweiz-tausende-demonstrieren-in-bern-und-zuerich-fuer-palaestina
-> https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/zuerich/nahostkonflikt-pro-palaestina-demo-in-zuerich-wir-sind-nicht-der-terror-sondern-zivilisten-ld.2534684
-> https://tv.telezueri.ch/zuerinews/pro-palaestina-demo-in-zuerich-154518952
-> https://tv.telezueri.ch/zuerinews/empoerung-ueber-pro-palaestina-demo-in-zuerich-154518982



Mario Della Giacoma – Fahr ab!
In der Nacht von Montag auf Dienstag haben Einige dem Laden von Mario Della Giacoma in der Maulbeerstrasse 19 in Basel einen Besuch abgestattet.
Giacoma ist Teil von Mass-Voll Basel und Organisator der trinationalen Demo am vergangenen Samstag, 21.10. Für die Demo wurde insbesondere der rechte Flügel der Bewegung um Mass-Voll und Co. mobilisiert – Giacoma ist hierfür als Organisator verantwortlich!
https://barrikade.info/article/6172


+++SPORT
Basler Fussballfans marschieren vor dem Cupspiel durch Kriens
Am 1. November findet in Kriens ein episches Duell statt, wenn der SC Kriens im Schweizer Cup auf den FC Basel trifft – ein wahres David-gegen-Goliath-Szenario. Für dieses fussballerische Treffen hat die Stadt Kriens einen Fanmarsch für die Gästefans aus Basel bewilligt.
https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/kanton-luzern/schweizercup-basler-fussballfans-marschieren-vor-dem-cupspiel-durch-kriens-ld.2534695


+++POLIZEI BS
In Frankreich kostete sie Menschenleben: Basler Polizei setzt umstrittene Munition ein
Was in Frankreich schon Menschenleben gekostet haben soll, setzt jetzt auch die Basler Kantonspolizei bei Demonstrationen ein.
https://www.blick.ch/politik/in-frankreich-kostete-sie-menschenleben-basler-polizei-setzt-umstrittene-munition-ein-id19088122.html
-> https://www.beobachter.ch/gesetze-recht/burger-verwaltung/polizei-setzt-umstrittene-munition-ein-651102


+++RASSISMUS
Israel-Krieg: So verbreitet sind Judenhass-Verschwörungstheorien
Der Israel-Krieg heizt den Antisemitismus an – auch in der Schweiz. Hierzulande kursieren antisemitische Verschwörungstheorien seit Jahren.
https://www.nau.ch/news/schweiz/israel-krieg-so-verbreitet-sind-judenhass-verschworungstheorien-66636022


+++RECHTSEXTREMISMUS
Reichsbürger geben sich als Juden aus und betreiben Antisemitismus der groben Art
Die antisemitische Bewegung gründet jüdische Gemeinschaften als Tarnung und behaupten, es sei ein Holocaust am deutschen Volk im Gang.
https://www.watson.ch/blogs/sektenblog/537489543-reichsbuerger-geben-sich-als-juden-aus-und-betreiben-antisemitismus


Blick undercover bei Seminaren für Staatsverweigerer: Querulanten üben den Aufstand gegen die Schweiz
Staatsverweigerer zahlen keine Steuern. Manche denken, die Schweiz ist eine Firma. Und: Sie sind in der ganzen Schweiz auf Werbetour, geben Kurse. Blick hat undercover zwei solcher Veranstaltungen besucht.
https://www.blick.ch/schweiz/blick-undercover-bei-seminaren-fuer-staatsverweigerer-querulanten-ueben-den-aufstand-gegen-die-schweiz-id18587880.html
-> https://www.blick.ch/schweiz/extremismus-forscher-ueber-staatsverweigerer-und-den-fall-stefan-oschmann-43-sind-sie-mit-dem-ruecken-zur-wand-wird-es-gefaehrlich-id19085975.html



blick.ch 28.10.2023

Jetzt bekommt Staatsverweigerer Stefan Oschmann (43) die Quittung: «Dass der Staat so reagiert, zeigt nur, wie korrupt er ist»

Stefan Oschmann (43) aus dem Kanton Basel-Landschaft wurde während der Pandemie zum Staatsverweigerer. Er zahlt keine Steuern und Krankenkassenprämien. Der Preis dafür ist aber hoch: Seine Firma ist konkurs, der Deutsche ruiniert.

Michael Sahli

Staatsverweigerer lassen sich von Polizei und Behörden nichts sagen, zahlen keine Steuern, öffnen keine Briefe. Sie sind überzeugt, sich von Staat und Gesetz losgesagt zu haben. Und sorgen damit für Sorgenfalten in Schweizer Amtsstuben. Stefan Oschmann (43) aus dem Kanton Basel-Landschaft wurde wegen Corona zum Staatsverweigerer: «Ich habe ab 2021 aufgehört, Steuern, Krankenkasse und TV-Gebühr zu bezahlen», sagt er. «Dieser Staat bekommt von mir nichts mehr!» Für sein Verhalten zahlt Oschmann einen hohen Preis: Der selbstständige Handwerker wurde gepfändet und in den Konkurs geschickt, ist mittlerweile privat und geschäftlich ruiniert. Kurz: «Ich habe alles verloren.»

Im Mai deckte Blick auf, dass Staatsverweigerer in der ganzen Schweiz Seminare abhalten. Dort können angehende Staatsverweigerer lernen, wie man angeblich Rechnungen und Steuerforderungen verschwinden lassen kann. «Ich konnte soeben einen Zahlungsbefehl löschen lassen», triumphierte zum Beispiel ein Kursleiter aus Affoltern am Albis ZH. Gegen 250 Franken «Ausgleich» bot er sein Wissen an, wie man Rechnungen nicht bezahlen muss.

Der Trick: Viele Staatsverweigerer definieren sich als «Menschen». Und distanzieren sich damit vom Wort «Person», das gerne von Behörden verwendet wird. Sie glauben, sich mit der Trennung von der «Person» auch gleich von sämtlichen Verpflichtungen lossagen zu können. Die Kurse waren gut gebucht. Immerhin wird die Szene in der Schweiz auf mehrere Tausend Anhänger geschätzt. Einziges Problem: Beim angeblichen Geheimwissen handelt es sich nur um Schall und Rauch.

«Ich trug keine Maske und bin nicht geimpft»

Oschmann fühlt sich von den Behörden ungerecht behandelt, hat sich darum an den Blick gewandt. «Die Schweiz soll sehen, wie korrupt das System ist», erklärt er seine Beweggründe für den Schritt an die Öffentlichkeit. Beim Treffen erzählt er die Geschichte einer schrittweisen Eskalation.

Der 43-Jährige kam 2007 aus Thüringen in die Schweiz, machte sich als Klimatechniker in einem Ein-Mann-Betrieb selbstständig. «Ich hatte keine Probleme, weder finanziell noch mit den Behörden», beteuert er. Ein Betreibungsregister-Auszug aus dem Jahr 2019 zeigt keine Einträge. Dann kam die Pandemie.

«Ich trug keine Maske und bin nicht geimpft. Man hat mich darum vom öffentlichen Leben quasi ausgeschlossen», empört sich Oschmann. «Also habe ich aufgehört, dieses System finanziell zu unterstützen.»

Auf Telegram, wo sich Verschwörungstheoretiker tummeln, informierte er sich. Und stiess dort auf die Staatsverweigerer-Ideologie: Er nannte sich fortan «Mensch :stefan» und schickte Briefe, die nicht (inklusive Doppelpunkt) genau so beschriftet sind, zurück oder ignorierte sie. Staat, Polizei und Betreibungsamt: Für Oschmann handelt es sich nur um Firmen, mit denen er nie einen Vertrag abgeschlossen hat.

Nur: Der Staat spielt das Spiel von «Mensch :stefan» nicht mit.

Rechnungen, Mahnungen, Zahlungsbefehle

Aus Rechnungen wurden mit den Monaten Mahnungen, dann Zahlungsbefehle und Betreibungsandrohungen. Statt dem Pöstler standen irgendwann Polizisten mit amtlichen Schreiben vor der Tür. Der Preis wurde für den Handwerker immer höher. Und der Weg zurück in die Gesellschaft und in ein normales Leben immer steiniger. Am 2. Februar 2023 kreuzten zwei Polizeiautos bei ihm auf, erzählt Oschmann. «Sie haben meinen Anhänger gepfändet, den ich für meine Arbeit brauche!»

Im August wurde die Klimatechnik-Firma, eine Einzelfirma, in den Konkurs geschickt. «Ich wurde von der Polizei aufs Konkursamt begleitet, unter Androhung von Gewalt», sagt Oschmann. Auch sein Privatkonto sei gesperrt worden. Die Briefe mit Reklamationen, die der Deutsche ans Betreibungsamt schickt, werden immer schriller: «Sie haben mir mein Leben geraubt», schreibt er. «Sie sind nicht befugt, die Person Oschmann Stefan in den Konkurs zu treiben, da Sie kein Beamter mehr sind!» Und: «Die Firma Betreibungsamt hat keine Legitimation.»
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Was das Betreibungsamt Baselland aber definitiv hat wegen Leuten wie Oschmann: «Mehr Arbeit», wie es auf Blick-Anfrage sagt. «Seit Mitte 2021 stellen wir bei uns einen Mehraufwand wegen Staatsverweigerern fest.» Konkret gehe es um etwa 40 Stellenprozent, die durch Staatsverweigerer dazugekommen seien. «Es ist aber nicht so, dass wir deswegen kurz vor der Überlastung stehen. Personen mit speziellen Rechtsauffassungen gab es natürlich schon früher, aber was wir jetzt erleben, ist ein neues Level.» Zum Einzelfall Oschmann sagt das Amt aus Datenschutzgründen nichts.

Für den Handwerker wiederum stellt sich die Frage: Wo soll das alles enden? «Ich habe noch ein paar Freunde von früher, die sagen mir: ‹Du spinnst doch›.» Oschmann muss zugeben: Die Telegram-Anleitungen, wie mit dem Betreibungsamt umzugehen sei, haben nicht wirklich funktioniert. «Ich bin aus den meisten Gruppen ausgetreten», sagt er. Er sei viel in der Natur, zieht sich zurück. Mit der zusätzlichen Zeit baut er Möbel aus Paletten oder schiesst Armbrust.

Er bleibt trotz allem auf seiner Linie: «Dass der Staat so reagiert, zeigt nur, wie korrupt er ist.» Dass sein Telegram-Wissen in der Realität nicht funktioniert, bestärkt ihn darin nur noch mehr. Er ist überzeugt: «Ich bin sturer als die Schweiz. Und ich habe mehr Ausdauer, denn dieses System wird bald zusammenbrechen, davon bin ich überzeugt.» Es scheint, als gäbe es für Stefan Oschmann keinen Weg zurück.
(https://www.blick.ch/schweiz/jetzt-bekommt-staatsverweigerer-stefan-oschmann-43-die-quittung-dass-der-staat-so-reagiert-zeigt-nur-wie-korrupt-er-ist-id19085911.html)


+++HISTORY
hauptstadt.be 28.10.2023

Geld und Geist, made in Bern (I)

Die Burgergemeinde ist in der rot-grünen Stadt Bern unangetastet. Weil sie sich seit ihrer Gründung vor 190 Jahren immer wieder clever in die Stadt integriert. Die Bernburger-Saga, Teil I.

Von Jürg Steiner (Text) und Manuel Lopez (Bilder)

Das Burgerspittel neben dem Hauptbahnhof ist ein offenes Haus. Die Burgergemeinde hat aus dem barocken Prunkbau 2014 ein schweizweit pionierhaftes soziales Projekt gemacht. Sie hat ihn in ein Generationenhaus umgewandelt. In einen «Ort der Begegnung und des gesellschaftlichen Dialogs».

An urbaner Vorzugslage, wo in anderen Städten höchste Renditen erwirtschaftet würden, stellt die Burgergemeinde Bern ein Non-Profit-Haus zur Verfügung. Man kann sich dort ohne Konsumzwang aufhalten, im Sommer werden im lauschigen, öffentlich zugänglichen Innenhof unentgeltliche Konzerte organisiert. Es beherbergt Alterswohnungen und soziale Institutionen, wo sich Alte und Junge, Familien und Einzelgänger*innen, Migrant*innen und Einheimische, Angepasste und Aussenseiter*innen treffen.

Im gleichen progressiven Haus befindet sich der Hauptsitz der Bernburger*innen, die in der Öffentlichkeit als konservativer Machtfaktor wahrgenommen wird. Hier beraten die diskreten Spitzen der Burgergemeinde Renditeoptionen für ihr milliardenschweres Vermögen. Und hier entscheiden sie, wen und was sie mit den rund 30 Millionen Franken, die sie jedes Jahr vor allem aus ihrem Bodenbesitz erwirtschaften, unterstützen.

Macht und Grosszügigkeit. Diskretion und Offenheit. Innovation und Konservatismus. Geld und Geist. Die Gegensätze, die sich im innovativen Generationenhaus verschränken, prägen die Geschichte der Burgergemeinde Bern.

Sie wird hier in zwei Teilen in Kürzestform erzählt. Denn sie zeigt, dass der Einfluss, den die Burgergemeinde bis heute hat, kein Zufall ist. Sondern das Resultat flexibler burgerlicher Strategien mit der Wirkung, in sich wandelnden politischen Umfeldern die eigene Legitimation zu sichern.

Burgergemeinden (auch Ortsgemeinden, Korporationsgemeinden, Borgeoisies oder Patriziati) gibt es in fast allen Kantonen, es sind Hunderte schweizweit. Wenige haben eine dominante Rolle wie die Burgergemeinde Bern. Sie erzielt mit der Bewirtschaftung ihres Vermögens grosse Erträge. So gross, dass sie allein mit deren Verteilung «zum Wohl der Allgemeinheit» eine subtile Form der Einflussnahme auf das Leben in der Stadt Bern ausübt. Ob sie will oder nicht.

Offiziell beginnt die Geschichte der Burgergemeinde Bern gleichzeitig mit der Einwohnergemeinde im Jahr 1833. Verständlich wird sie jedoch nur, wenn man sich vergewissert, was vorher war.

Der Zusammenbruch des Alten Bern

Bevor Napoleon 1798 in der Schweiz den demokratischen Wandel anstösst, ist das Alte Bern über Jahrhunderte eine Macht in Europa. Bern reicht vom Aargau bis an den Genfersee und ist der grösste Stadtstaat nördlich der Alpen.

Man nennt es Ancien Régime: Stadt und Kanton sind eins, und der extrem schlanke Staat besteht ausschliesslich aus der Burgerschaft. Ein erlauchter Kreis von 75 Patrizierfamilien regiert aus dem noblen Machtzentrum der unteren Altstadt das riesige Territorium. Neben den Gnädigen Herren gibt es in der Stadt die einfache Burgerschaft (Handwerker, Beamte, Geistliche), welche die alte Stadtgemeinde bildet, sowie die Hintersassen (Gesellen, Knechte und Tagelöhner).

Wirtschaftlich setzt die Stadtberner Aristokratie auf die Landwirtschaft. Sie baut Reichtum auf, indem sie der Bauernschaft den Zehnten abverlangt, der jedoch im europäischen Vergleich tief ist. Parallel dazu verdient die Herrschaftsschicht an Berner Söldnern in ausländischen Kriegsdiensten sowie an internationalen Geldgeschäften. Zum Beispiel investiert das Alte Bern im 18. Jahrhundert in die britische South Sea Company. Diese importiert aus südamerikanischen Kolonien Nahrungsmittel und Edelmetall, die unter Einsatz von Sklaven hergestellt oder abgebaut werden.

Fremdeln mit dem «Krämer-Geist»

Mit der Industrialisierung kommt unternehmerisches Denken auf. Damit fremdeln die Berner Patrizier. Sie erlassen 1747 gar ein Gesetz, das es den herrschenden Geschlechtern verbietet, sich an kaufmännischen oder industriellen Unternehmen zu beteiligen. Als zu riskant beurteilen sie solches Geschäften und blicken auf Unternehmer und Handwerker herab, weil diese dem «Krämer-Geist» frönen.

Als der legendäre Regierungskritiker Samuel Henzi die verweigerte Beteiligung von Unternehmern und Handwerkern an der Macht offen kritisiert, lässt ihn der Schultheiss – das Stadtoberhaupt – 1749 köpfen. Die brutale Geste unterstreicht, wie erstarrt und weltfremd Berns Machtelite geworden ist. Napoleons Truppen fegen sie 1798 weg – und nehmen bei dieser Gelegenheit neben dem Berner Staatsschatz auch die Bären aus dem Bärengraben nach Paris mit.

Genossenschaftlicher Grundgedanke

In den turbulenten Jahren der Demokratisierung nach Napoleons Einfall entstehen sowohl der Kanton wie die Einwohnergemeinde als staatliche Institutionen. In den Genen der Burgergemeinde steckt jedoch nicht nur die Vergangenheit der aristokratischen Machtausübung. Sondern auch das Prinzip der mittelalterlichen Allmendgenossenschaft. Also die schon fast sozialistische Idee, mit gemeinsamem Besitz und kollektiver Bewirtschaftung des Bodens die Grundversorgung sicherzustellen.

Anfang des 19. Jahrhunderts stellt sich die grosse Frage, wie man die Burgerschaft, der ja der alte, zerschlagene Staat Bern quasi im Privatbesitz gehört hat, entschädigen soll. Wie man sie in die junge Demokratie integrieren soll. Bern findet den Kompromiss im Dualismus zweier Gemeinden, die nebeneinander bestehen: die territoriale Gemeinde aller Einwohner*innen und die Burgergemeinde der Besitzer*innen der Nutzungsgüter (Boden, Wälder, Liegenschaften).

1833 werden die beiden Gemeinden offiziell gegründet. Burger*innen gehören beiden an.

Weil die Einwohnergemeinde mittellos ist, tritt sie der Burgergemeinde als Bittstellerin entgegen, um zu Geld zu kommen und ihre öffentlichen Aufgaben erfüllen zu können.

Als Bern 1848 zur Bundesstadt gekürt wird, spitzt sich dieses finanzielle Abhängigkeitsverhältnis zu: Die Stadt muss den Bau des eidgenössischen Regierungsgebäudes – das heutige Bundeshaus West – aus eigenen Mitteln finanzieren. Deshalb einigen sich Einwohner- und Burgergemeinde 1852 darauf, ihre Besitzverhältnisse in einem Ausscheidungsvertrag zu entflechten.

Das lukrative Feldwesen

Für die prägende Rolle der Burgergemeinde von heute ist das ein entscheidender Moment:  die Aushandlung des Ausscheidungsvertrags.  Über ihre Interessenvertretung muss sie sich keine Sorgen machen – auch die Verhandlungsdelegation der Einwohnergemeinde besteht zu dieser Zeit noch mehrheitlich aus Burgern.

Das Ergebnis knapp zusammengefasst: Die Burger treten der Einwohnergemeinde Stadtliegenschaften ab. Sie sind im Unterhalt aufwändig. Dafür gestehen sie der Einwohnergemeinde  das Privileg zu, zwecks Eigenfinanzierung Steuern zu erheben. Sie selber übernehmen die Waisenhäuser, das Burgerspital sowie die musealen Sammlungen, namentlich das Naturhistorische Museum. Dieses erlangt später dank der aus Afrika importierten Hinterlassenschaft des Grosswildjägers Bernhard von Wattenwyl, einem ausgewanderten Bernburger, internationales Renommée.

Vor allem aber: Die Burger behalten die noch unüberbauten Stadtfelder ausserhalb der Aareschleife sowie die Wälder in ihrem Exklusivbesitz. Auf den ersten Blick sieht es aus, als hätten sich die Burger 1852 mit staubigen Kartoffeläckern begnügt. Aber es ist, wie sich schon 30 Jahre später zu zeigen beginnt, wirtschaftlich ein absoluter Glücksgriff. Die Stadt fängt an, explosionsartig zu wachsen, die Äcker – etwa im Kirchenfeld oder im Breitenrain – werden zu lukrativem Bauland.

So spült das «Feldwesen» der Burgergemeinde bis heute Millionenerträge in die Kasse.

Herz für Wohlhabende

War es Kalkül? Hatten die Burger diese vorteilhafte Entwicklung bei den Bodenpreisen kommen sehen?

«Dafür habe ich keine Hinweise gefunden», sagt Martin Stuber, Historiker an der Universität Bern, der «Hauptstadt». Er hat sich intensiv mit der Geschichte des burgerlichen Grundeigentums befasst.

Im Vordergrund sieht er zu diesem Zeitpunkt einerseits die historischen Rechte der alten Stadtgemeinde. Sie wurden bereits in der Dotationsurkunde von 1803 festgehalten und leiten das Grundeigentum der heutigen Burgergemeinde aus der jahrhundertelangen gemeinschaftlichen Nutzung der Stadtfelder und –wälder ab.

Andererseits suchten die Bernburger laut Stuber ihren Einfluss auf die Stadtentwicklung zu erhalten. Explizit zielten sie darauf ab, die soziale Zusammensetzung der wachsenden Stadtbevölkerung zugunsten der Wohlhabenden zu beeinflussen.

Der wilde Burgersturm

Bevor sich der Bodenbesitz zu rechnen beginnt, schlittert die Burgergemeinde in eine schwere Krise. Liberale Köpfe stellen die Existenzberechtigung der exklusiven Institution in Frage – besonders heftig aus dem Inneren der Burgergemeinde.

Die materiellen und sozialen Burger-Privilegien seien mit dem demokratischen Staatsverständnis nicht vereinbar, kritisieren interne und externe Oppositionelle. Nie wird die Burgergemeinde in aller Öffentlichkeit so entschlossen in Frage gestellt wie in der wilden Phase des Burgersturms.  Neuzeitliche Vorstösse linker Politiker*innen zur Abschaffung der Burgergemeinde sind dagegen laue Lüftchen.

Die Burgergemeinde zieht den Kopf aus der Schlinge. Bei der Volksabstimmung über eine neue Kantonsverfassung 1885 stimmt nur – aber immerhin – der Amtsbezirk Bern für ihre Abschaffung. Die kantonsweite Mehrheit lehnt sie deutlich ab.

Ein erstes Mal erkennen die Berner Burger, dass sie ihre Strategie anpassen und sich integrieren müssen, wenn sie nicht ständig in Frage gestellt werden wollen.

Zum «Wohl der Allgemeinheit»

Sie entschliessen sich, die Hürden für die Einburgerung zu senken, um die Burgergemeinde gesellschaftlich breiter abzustützen. Und den Vorwurf zu entkräften, sie sei bloss ein Relikt der altbernischen Feudalgesellschaft.

Zudem schafft die Burgergemeinde 1888 den Burgernutzen ab: die exklusive Gewinnausschüttung aus dem Bodenbesitz zu Gunsten der Burger. Die Erträge kommen fortan der Allgemeinheit zu.

Damit ist Ende des 19. Jahrhunderts das dreibeinige Fundament gelegt, auf das die Burgergemeinde ihre Legitimation bis heute stützt.

Erstens: Die Existenz der Burgergemeinde ist seit der Abstimmung von 1885 demokratisch abgesichert.

Zweitens: Ihre individuellen materiellen Privilegien sind seit 1888 abgeschafft, was so auch in der Kantonsverfassung verankert wird.

Drittens: Durch die erleichterte Einburgerung versteht sie sich explizit nicht als konservativer Interessenverband alter Berner Patriziergeschlechter. Sondern als «Abbild der modernen, vielfältigen Gesellschaft», wie es Christophe von Werdt, Vizepräsident der heutigen Exekutive der Burgergemeinde, in einem Text formuliert.

In der Tat ist die Burgergemeinde Bern laut Gemeindegesetz eine Gemeinde wie jede andere auch. Sie legt ihre Rechnung offen, ihre Parlamentssitzungen, die im burgereigenen Casino stattfinden, sind öffentlich. Ihre Erträge setzt die Burgergemeinde gemäss Kantonsverfassung «nach Massgabe ihrer Mittel zum Wohl der Allgemeinheit» ein.

Exklusiv an ihr ist aber das: Was das Wohl der Allgemeinheit ist, bestimmt sie ganz alleine.

Lies am Dienstag den zweiten Teil unserer Burger-Geschichte: Wie die Burgergemeinde ihren Bodenbesitz erblühen lässt.

Verwendete Literatur:

Birgit Stalder, Martin Stuber, Sibylle Meyrat, Arlette Schnyder, Georg Kreis: Von Bernern und Burgern. Tradition und Neuerfindung einer Burgergemeinde. Hier und Jetzt. 2015

Katrin Rieder: Netzwerke des Konservatismus. Berner Burgergemeinde und Patriziat im 19. und 20. Jahrhundert. Chronos. 2008.

Stefan von Bergen/Jürg Steiner: Wie viel Bern braucht die Schweiz? Stämpfli. 2012.

Jürg Steiner: Bern – eine Wohlfühloase? Der Weg zur rot-grünen Hauptstadt. Stämpfli. 2020.

Die Artikelserie zur Burgergemeinde wurde mit Unterstützung von JournaFONDS recherchiert und umgesetzt.



Inside Burgergemeinde

Man kann Bern nicht verstehen, wenn man die Rolle der Burgergemeinde nicht versteht. Mit ihren 18’000 Mitgliedern ist sie eine der grössten und wohlhabendsten Burgergemeinden der Schweiz, die ein Drittel des städtischen Bodens besitzt. Und das ausgerechnet in der linken Stadt Bern, der sie jedoch als grosszügige Kulturmäzenin beisteht. Wie entstand die Burgergemeinde und wie wurde sie reich? Wie funktioniert sie? Wie viel Macht übt sie aus? Und: Was wäre Bern ohne die Burgergemeinde?

Diese Fragen arbeitet die «Hauptstadt» in den nächsten Wochen aus diversen Blickwinkeln in einem mehrteiligen Schwerpunkt auf. Dieser erste Text über die burgerliche Entstehungs-Saga ist der Auftakt dazu. Zudem hast du Gelegenheit, am «Hauptsachen»-Talk vom 7. November im Progr (19.30 Uhr) live über die Burgergemeinde mitzudiskutieren – mit Burgerrats-Präsident Bruno Wild und SP-Stadtrat Halua Pinto de Magalhães, der die Burgergemeinde in Frage stellt.
(https://www.hauptstadt.be/a/geld-und-geist-one)



«Zeichen der Erinnerung» eingeweiht
In Münsterlingen und auf dem Areal des Massnahmenzentrums Kalchrain im Kanton Thurgau wurden heute Samstagvormittag drei «Zeichen der Erinnerung» eingeweiht. Dies als Mahnmal gegen die Medikamententests und fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen im Kanton Thurgau vor 1981. (ab 05:03)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-ostschweiz/zeichen-der-erinnerung-eingeweiht?id=12478860
-> https://www.toponline.ch/tele-top/detail/news/der-kanton-thurgau-setzt-ein-zeichen-der-erinnerung-00224250/
-> https://www.tvo-online.ch/aktuell/denkmal-gegen-das-vergessen-154518785