Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/
+++AARGAU
Psychosoziale Beratung von Geflüchteten für Geflüchtete : Weiterbildung für Transkulturelle Psychosoziale Counselors startet
Das Projekt ComPaxion beginnt am 4. September 2023 mit der ersten Weiterbildung für transkulturelle psychosoziale Counselors. Nach erfolgreicher Weiterbildung sollen die Counselors Geflüchtete nach ihrer Ankunft im Kanton Aargau bei Bedarf unterstützen und so deren psychische Belastung reduzieren. Die Weiterbildung richtet sich an vorläufig aufgenommene und anerkannte Flüchtlinge sowie andere Personen mit Migrationshintergrund, die über eine fachliche Vorqualifikation verfügen.
https://www.ag.ch/de/aktuell/medien/medienmitteilungen?mm=psychosoziale-beratung-von-gefluechteten-fuer-gefluechtete-6cd3771c-6fc4-4be4-b777-bdfeb0d5ba0b_de
-> https://www.telem1.ch/aktuell/in-zukunft-sollen-im-aargau-asylbewerber-anderen-asylbewerbern-mit-psychischen-problemen-helfen-153601700
-> https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/aarau/aarau-in-zukunft-sollen-im-aargau-asylbewerber-anderen-asylbewerbern-mit-psychischen-problemen-helfen-ld.2516779
https://www.argoviatoday.ch/videos/pilotprojekt-compaxion-soll-asylsuchenden-helfen-fluchttrauma-zu-ueberwinden-153602721?autoplay=true&mainAssetId=Asset:153602707
+++ZUG
Psychosoziale Beratung von Geflüchteten für Geflüchtete
Das Projekt «ComPaxion» läuft seit dem 4. September 2023 mit der ersten Weiterbildung für transkulturelle psychosoziale Counselors. Nach erfolgreicher Weiterbildung sollen die Counselors Geflüchtete nach ihrer Ankunft im Kanton Zug bei Bedarf unterstützen und so deren psychische Belastung reduzieren. Die Weiterbildung richtet sich an vorläufig aufgenommene und anerkannte Flüchtlinge sowie andere Personen mit Migrationshintergrund, die über eine fachliche Vorqualifikation verfügen.
https://zg.ch/de/news/news~_2023_9_psychosoziale-beratung-von-gefluechteten-fuer-gefluechtete~
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zentralschweiz/luzerner-kantonsrat-sucht-loesungen-gegen-lehrkraeftemangel?id=12456165 (ab 03:08)
+++SCHWEIZ
Asylstatistik August 2023
Im August 2023 wurden in der Schweiz 3001 Asylgesuche registriert, 832 mehr als im Vormonat (+38,4 %). Gegenüber August 2022 ist die Zahl der Asylgesuche um 955 gestiegen. Wichtigste Herkunftsländer waren die Türkei und Afghanistan. Im August wurde zudem 1966 aus der Ukraine geflüchteten Personen der Schutzstatus S erteilt, in 1821 Fällen wurde er beendet.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-97764.html
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/im-august-sind-rund-3000-asylgesuche-eingereicht-worden-66603990
Gewalt unter Eritreern: Nun reagiert das SEM – Rendez-vous
In der Schweiz und in Deutschland häufen sich gewaltsame Zusammenstösse zwischen eritreischen Regimebefürwortern und Regimegegnern. Nun will das Staatssekretariat für Migration (SEM), dass heikle Veranstaltungen von regierungstreuen Eritreern nicht mehr bewilligt werden.
https://www.srf.ch/audio/rendez-vous/gewalt-unter-eritreern-nun-reagiert-das-sem?partId=12456354
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/gewalt-unter-eritreern-christine-schraner-burgener-eine-rote-linie-ist-ueberschritten
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/krawall-eritreern-droht-wohl-kein-nachspiel-in-schweiz-66603857
-> https://www.20min.ch/story/grenze-ueberschritten-sogar-linke-wollen-eritrea-festivals-verbieten-953459716309
-> https://www.blick.ch/politik/asyl-chefin-will-durchgreifen-keine-bewilligung-fuer-eritrea-festivals-mit-gewalt-risiko-id18953980.html
Baume-Schneider erklärt sich: Asyl trotz Sympathien für Eritreas Machthaber
Justizministerin Elisabeth Baume-Schneider stellt klar, dass das Asyl erst bei schweren Delikten aberkennt werden kann. Eine Teilnahme von Eritreern an regimefreundlichen Anlässen reiche nicht aus, so die Justizministerin.
https://www.blick.ch/politik/baume-schneider-erklaert-sich-asyl-trotz-sympathien-fuer-eritreas-machthaber-id18955223.html
Migranten-Ausnahmezustand: Härtere Gangart oder mehr Menschlichkeit?
Auf Lampedusa kommen innerhalb weniger Tage Tausende Flüchtlinge an, die kleine italienische Insel ist im Ausnahmezustand. Auch die Schweiz und weitere Nachbarländer stehen vor Herausforderungen: Offen ausgetragene Konflikte unter eritreischen Migranten in Zürich und Stuttgart sorgen für Aufsehen, die vereinfachte Aufnahmepraxis der Eidgenossenschaft für Afghaninnen sorgt für Proteste bürgerlicher Politikerinnen und Politiker. Braucht es nun eine härtere Gangart in der Migrationspolitik? Oder im Gegenteil ein stärkeres humanitäres Engagement für Menschen auf der Flucht? Die kontroverse Diskussion, heute im «TalkTäglich».
https://tv.telezueri.ch/talktaeglich/migranten-ausnahmezustand-haertere-gangart-oder-mehr-menschlichkeit-152975520
+++ITALIEN
Flüchtlinge auf Lampedusa: Meloni kündigt „außergewöhnliche Maßnahmen“ gegen Migration an
Die italienische Regierungschefin steht angesichts hoher Migrationszahlen innenpolitisch unter Druck. Nun will sie mit ihrem Kabinett über weitere Gegenmittel beraten.
https://www.zeit.de/politik/ausland/2023-09/italien-lampedusa-fluechtlinge-giorgia-meloni-eu
-> https://www.tagesschau.de/ausland/europa/italien-migration-beschluss-100.html
-> Tagesschau: https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/italien-setzt-bei-migrationskrise-auf-haerte?urn=urn:srf:video:da552be6-8818-4260-bda7-b856a1d23e80
-> https://www.srf.ch/news/international/erstaufnahmelager-ueberlastet-migrationskrise-auf-lampedusa-das-muessen-sie-wissen
-> https://www.20min.ch/story/italien-lampedusa-migration-giorgia-meloni-abschiebung-mittelmeer-121-122683017708
-> https://www.20min.ch/story/lampedusa-die-lage-ist-sehr-kritisch-unsere-ganze-insel-ist-vermuellt-929500076783
-> https://www.zeit.de/politik/ausland/2023-09/irregulaere-migration-italien-abschiebehaft-giorgia-meloni
Lampedusa-Flüchtling würde Weg «nie wieder nehmen»
Die Insel Lampedusa verzeichnet derzeit Rekordzahlen von ankommenden Migranten. Diese haben eine extrem gefährliche Reise hinter sich. Ein Flüchtender erzählt.
https://www.nau.ch/news/europa/lampedusa-fluchtling-wurde-weg-nie-wieder-nehmen-66603843
-> https://www.20min.ch/video/fluechtlingskrise-allez-vite-so-grob-ist-der-umgang-im-fluechtlingscamp-auf-lampedusa-537936157077?version=1695027473815
-> https://www.20min.ch/video/fluechtlingskrise-hier-kommen-gefluechtete-auf-lampedusa-an-195156890564?version=1695032775268&utm_source=twitter&utm_medium=social
-> https://www.20min.ch/story/lampedusa-bub-wueste-migration-drama-italien-1213-904349901631
Eskalation auf Lampedusa: So kam es zur Migrationskrise
Die Ankunft tausender Bootsmigranten hat die kleine Mittelmeerinsel Lampedusa ans Limit gebracht. Die italienische Regierung setzt auf mehr Härte, doch das Problem ist komplex.
https://www.watson.ch/international/analyse/670487583-fluechtlinge-auf-lampedusa-italien-setzt-in-migrationskrise-auf-haerte
Sizilien: Migranten verlassen Lager auf der Suche nach Essen und Wasser
In der sizilianischen Hafenstadt Porto Empedocle haben Geflüchtete auf der Suche nach Essen und Wasser massenweise das Aufnahmelager verlassen. Wie die italienische Nachrichtenagentur Ansa berichtet, kletterten hunderte Menschen über Zäune und durchbrachen Absperrungen. Einsatzkräfte konnten sie nicht aufhalten.
https://www.deutschlandfunk.de/migranten-verlassen-lager-auf-der-suche-nach-essen-und-wasser-100.html
+++EUROPA
Neuer Anlauf für eine gemeinsame EU-Asylpolitik?
Derzeit erreichen wieder mehr Migrantinnen und Migranten die EU. Dies befeuert die Debatte nicht nur in Deutschland. Könnte eine gemeinsame EU-Asylpolitik nun vorankommen? Wichtige Antworten zum Thema.
https://www.tagesschau.de/ausland/europa/flucht-migration-europa-faq-100.html
EU-MigrationspolitikGrünen-Politiker spricht sich für legale Fluchtwege aus
Migrationsabkommen als Abschottungsabkommen zu initiieren, funktioniere nicht, sagt Marcel Emmerich (Grüne). Dabei könnten solche Abkommen ein wichtiger Baustein bei legaler Zuwanderung sein. Dafür brauche es jedoch Humanität und Ordnung.
https://www.deutschlandfunk.de/interview-mit-marcel-emmerich-mdb-gruene-mitglied-im-innenausschuss-dlf-2ee3249f-100.html
+++TUNESIEN
Tunesien vertreibt wieder Geflüchtete
EU-Kommission für Zusammenarbeit des Landes mit Europol und Frontex
Zur Umsetzung eines »Migrationsabkommens« will die EU-Kommission die Lieferung von Ausrüstung nach Tunesien beschleunigen. In einem offenen Brief üben 80 Organisationen daran Kritik.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1176376.zehn-punkte-plan-der-eu-tunesien-vertreibt-wieder-gefluechtete.html
+++FLUCHT
Klimakrise gilt nicht als Fluchtgrund
Die Klimakrise ist kein Zukunftsszenario mehr, sondern eine Realität in der wir schon jetzt leben, wie die letzten Wochen gezeigt haben. Überschwemmungen, Waldbrände, Dürren: Die Klimakrise zerstört Lebensgrundlagen weltweit und immer mehr Menschen werden deswegen ihre Heimat verlassen müssen. Doch der Begriff «Klimaflucht» ist politisch und wissenschaftlich umstritten. Es besteht keine internationale rechtliche Regelung, auf die sich Betroffene stützen könnten.
https://rabe.ch/2023/09/18/klimakrise-gilt-nicht-als-fluchtgrund/
+++GASSE
tagesanzeiger.ch 18.09.2023
«Wir verwalten ein Elend»: Nach der Aufregung um öffentlichen Crack-Konsum fordert ein Drogenpionier legales Kokain
Für den Psychiater Thilo Beck ist die Drogenszene auf der Zürcher Bäckeranlage ein Weckruf. Die Süchtigen seien in Zürich unsichtbar geworden – mit fatalen Folgen.
Tobias Marti, Giorgio Scherrer
Thilo Beck, in Zürich wurde eine einzige Anlaufstelle für Süchtige geschlossen – und schon gibt es bei der Bäckeranlage wieder Konsum im öffentlichen Raum. Warum ist unsere Drogenpolitik so fragil?
Wo sollen die Abhängigen denn sonst hingehen? Die Kontakt- und Anlaufstellen besuchen marginalisierte Leute, die kaum Ressourcen haben und gezeichnet sind vom Konsum. Die brauchen einen geschützten Raum, wo sie sich aufhalten, wo sie ihren Stoff kaufen und konsumieren können. Wenn man ihnen den entzieht, dann passiert das, was wir jetzt gesehen haben: Sie suchen sich draussen einen Ort.
Es ist also ein Zeichen, dass es in den Anlaufstellen zu wenig Plätze für sie gibt?
Die Kapazität würde schon reichen, aber der Ersatz für die geschlossene Anlaufstelle ist am falschen Ort. Sie müssen sich das so vorstellen: Es gibt eine Art Zug durch die Stadt, in dem die Schwerstabhängigen von Abgabeort zu Abgabeort ziehen. Wenn da eine Station plötzlich an den Stadtrand verlegt wird, machen das halt manche nicht mit. Die Leute an der Basis, an der Front, haben übrigens von Anfang an befürchtet, dass das passieren könnte.
Aber die Stadt hat es nicht realisiert.
Die Verwaltung hatte das zu wenig auf dem Schirm. Sie hatte andere Prioritäten. Ich will da niemandem die Schuld dafür geben. Aber: Wir haben jetzt ein Problem, das wir lösen müssen.
Nun hat es in der Bäckeranlage aber nicht nur die Süchtigen aus den Anlaufstellen, sondern auch solche, mit denen niemand gerechnet hat.
Die klassischen Crack-User in den Anlaufstellen sind zwischen 40 und 50 oder sogar noch älter. Zum Teil ist das noch die Platzspitzgeneration aus der offenen Drogenszene der 1990er. Das sind meist Heroin- oder Opiatabhängige, die zusätzlich noch Kokain in Form von Crack konsumieren. Nun sehen wir aber, dass es in der Bäckeranlage auch viele Jüngere hat, die primär mit Kokain angefangen haben und das nun als Crack rauchen. Das ist ein neues Phänomen.
Wie konnten diese Leute unter dem Radar der Drogenarbeit bleiben?
Sie konsumieren offensichtlich ausserhalb unseres Kontrollsystems. Und jetzt sind sie an diesem Kristallisationspunkt sichtbar geworden. Viel mehr wissen wir noch nicht: Waren sie vorher einfach über die Stadt verstreut? Haben sie vor der Bäckeranlage überhaupt konsumiert? Das müssen wir jetzt herausfinden, und zwar schnell. In Genf hat mit dem Crack-Phänomen vor zwei, drei Jahren nämlich eine heikle Entwicklung begonnen: der Verkauf von konsumfertigen Crack-Steinchen. Das Crack, das wir in den Anlaufstellen haben, kochen die Leute heute ja meist noch selbst.
Der Konsum wird durch die Steinchen einfacher – und nimmt entsprechend zu. Schwappt diese Entwicklung nun von Genf nach Zürich über?
Die konsumfertigen Steinchen gibt es in Zürich bereits, im Rotlichtmilieu an der Langstrasse. Aber die breite Masse haben sie noch nicht erreicht. In Genf sind es vor allem afrikanische Dealer aus Paris, die damit ein Riesenbusiness aufgebaut haben. Das ist quasi ein Franchisebetrieb, mit dem sie ihr Geschäftsmodell ausweiten. Dealer in Genf sind allerdings frankofon – allein schon wegen der Sprache gibt es beim Sprung nach Zürich also eine Barriere.
Und wenn andere Player auf die Idee kommen?
Die Zeit drängt. In Genf gab es eine Art Kipppunkt, danach hat der Crack-Konsum exponentiell zugenommen. Wir müssen darum an Brennpunkten wie der Bäckeranlage so präsent wie möglich sein.
Reden wir hier auch von Repression?
Repression ist wichtig, um den Drogenhandel zu unterbinden. Aber Druck auf die Abhängigen hat nur negative Konsequenzen. Wer süchtig ist, konsumiert nämlich trotzdem weiter – einfach mit mehr Stress, mehr Risiko. Mehr Repression bedeutet auch, dass die Leute schneller konsumieren müssen. Und dann werden wiederum die Steinchen attraktiver. Zudem wird der europäische Markt von den südamerikanischen Kartellen gerade mit Kokain überflutet.
Wie muss man sich das Leben mit Crack-Sucht vorstellen?
Die Leute schlafen zum Teil vier, fünf Tage nicht, sind kaum ansprechbar. Das ist eine völlig andere Art von Süchtigen, nicht vergleichbar mit den Heroin-Konsumenten vom Platzspitz. Man kann richtiggehend bei der Verwahrlosung zuschauen. Essen ist nicht mehr wichtig, Trinken und Körperpflege auch nicht. Einfach weil die Leute nur noch den Konsum im Kopf haben. Sie sind erschöpft, aber auch ständig aufgeputscht.
Und wie lösen wir das neue Zürcher Drogenproblem?
Man muss den Suchtkranken wieder einen geschützten Ort an geeigneter Lage zum Konsumieren bieten. Das Konzept der Kontakt- und Anlaufstellen erlaubt eine Art Legalisierung, einfach auf begrenztem Raum: Der Deal wird toleriert. Der Konsum kann stattfinden. Die Abhängigen werden nicht verfolgt. Sie müssen sich nicht mehr in Parks oder Hauseingängen verstecken. Wie wirksam dieser Ansatz ist, merkt man daran, wie überrascht viele in Zürich sind, wenn plötzlich wieder Konsumenten im öffentlichen Raum auftauchen. Man ist diesen Anblick nicht mehr gewohnt. Die Süchtigen sind in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend unsichtbar geworden.
Was heisst es für die Drogenpolitik, wenn die Stadtbevölkerung vergisst, dass es diese Leute gibt?
Es ist zum Beispiel schwierig, einen gut gelegenen Standort für eine Anlaufstelle zu finden. Das Prinzip «Not in my backyard» gilt auch in der Drogenpolitik. Das ist eine stigmatisierte, marginalisierte Gruppe – die hat niemand gern in der Nachbarschaft.
Viele Süchtige befürchten nun mehr Stigmatisierung. Sie auch?
Fatal wäre ein Rückfall in eine repressive Ideologie: Einfach mehr Druck machen, und dann verschwinden sie schon. Wir haben in den 1990ern gelernt, dass das nicht funktioniert.
Müsste das Fernziel nicht eine drogenfreie Gesellschaft sein?
Menschen hatten immer schon das Bedürfnis, psychoaktive Substanzen zu konsumieren. Und sie werden es auch immer haben. Es gibt praktisch keine Kultur, in der das nicht stattfindet. Diese Tatsache zu negieren, ist schlicht unrealistisch. Dazu kommt: Der Mensch hat ein Recht auf Selbstbestimmung – und damit auch auf Selbstschädigung. Wenn Sie anfangen, die Leute vor sich selbst zu schützen, müssen Sie auch Skifahren verbieten. Und Rauchen. Und Trinken.
Sie sind für das Gegenteil: den legalen Konsum und Verkauf von Drogen.
Momentan haben wir eine absurde Situation: Da draussen konsumieren Tausende diese Substanzen, jeden Tag. Die Verbote nützen offensichtlich nichts. Gleichzeitig wird weniger vernünftig konsumiert, weil die Leute es im Versteckten tun und oft keine Ahnung haben von den Risiken. Die Dealer machen dazu nämlich keine Beratung. Statt dass man den Konsum verleugnet, sollte man ihn lieber in vernünftigem Rahmen ermöglichen.
Sie würden also auch Kokain an Süchtige abgeben oder verkaufen, einfach so?
Achtung, wir müssen unterscheiden: Der grösste Teil der Konsumenten – etwa 80 Prozent – konsumiert nämlich nicht problematisch. Die nehmen gelegentlich Drogen, ohne dass es Probleme gibt, egal ob das jetzt Alkohol, Cannabis oder Kokain ist.
. . . und diese Gruppe soll Drogen Ihrer Ansicht nach legal in einem Geschäft kaufen können?
Ja. Unter welchen Bedingungen und mit welchen Einschränkungen das geschieht, muss man für jede Substanz neu festlegen. Wir haben aus der Cannabis-Regulierung in den USA und Kanada gelernt, dass man am besten vorsichtig anfängt, mit hohen Hürden, Mengenbeschränkungen und Werbeverboten. Lockern kann man immer. Aber wenn man den legalen Verkauf zu wenig reguliert, entsteht eine schwierige Dynamik: Die Industrie beginnt den Konsum zu pushen, er nimmt zu, und man kann ihn nicht mehr zurückfahren. Dabei muss das Ziel auch bei der Legalisierung sein: niemanden zu den Substanzen bringen, der sie nicht ohnehin nehmen würde.
Man verkauft das Kokain legal, zum Beispiel in der Apotheke – und glaubt, damit keine neuen Konsumenten anzulocken. Ist das nicht naiv?
Schauen Sie sich an, was in den Niederlanden mit Cannabis passiert ist: Der Konsum in der Bevölkerung hat nach der Legalisierung nicht zu-, sondern abgenommen. Ich glaube, dass es beim Kokain ähnlich wäre: Wer es konsumieren will, tut das jetzt schon und kann sich den Stoff auch problemlos besorgen.
Aber die Schwelle ist doch höher, wenn ich einen Dealer auftreiben muss, als wenn ich einfach in die Apotheke gehe?
Meine Klienten machen einen Anruf, und in 10 Minuten ist ihr Kokain da. Auch Otto Normalbürger findet das schnell heraus. Wir dürfen uns da wirklich keine Illusionen machen. Wenn ein legaler Kauf möglich ist, steigert das zudem nicht zwingend die Attraktivität. Im Gegenteil: Der Nimbus des Illegalen fällt weg.
Aber kann ein Risiko nicht auch abschrecken?
Das war auch das Argument bei der Todesstrafe. Hat es funktioniert? Ich glaube nicht.
Und wie steht es um die andere Gruppe der Drogensüchtigen: die 20 Prozent mit dem problematischen Konsum in hohen Mengen?
Das sind meist Leute, die ohne eigene Schuld ein höheres Risiko für einen problematischen Konsum aufweisen – etwa weil sie unter traumatisierenden Bedingungen aufgewachsen sind, psychisch krank oder genetisch entsprechend veranlagt sind. Für sie funktioniert eine Apothekenlösung nicht, sie brauchen vor allem ein gutes Behandlungsangebot.
Wenn es ähnlich laufen würde wie momentan beim Heroin, würde das aber auch heissen: eine Gratis-Kokain-Abgabe für Schwerstsüchtige.
Es wäre tatsächlich ein möglicher Schritt, dass wir schwer Suchtbetroffenen das Kokain zur Verfügung stellen. Sie müssten dieses dann in den Anlaufstellen kontrolliert einnehmen, im Rahmen eines wissenschaftlich begleiteten Versuchs. Die Idee unserer Drogenpolitik ist ja, die Leute weg von einem gefährlichen, hin zu einem sichereren Konsum zu bringen.
Der Platzspitz-Arzt André Seidenberg – wie Sie ein Pionier der Zürcher Drogenpolitik – warnt nun aber davor, dass eine solche Abgabe gefährlich sei. Es fehlten für solche Versuche die wissenschaftlichen Grundlagen.
Medizinisch stimmt das. Mir geht es schlicht darum, die Gefahr für die schwer Suchtkranken zu minimieren. De facto konsumieren sie nämlich jetzt schon, und zwar unter den schlechtesten Bedingungen. Wir müssen uns deshalb fragen, was man ihnen anbieten kann, um sie aus der Szene herauszubringen und hinein in ein sicheres, kontrolliertes Umfeld. Das ist dann weniger eine medizinische als eine technische Massnahme.
Also quasi das kleinere von zwei Übeln.
Es ist sicher nicht die endgültige Lösung. Das Grundproblem liegt in der Wirkung der Substanz selbst. Den Strudel der Abhängigkeit kann man auch mit einer regulierten Abgabe nicht verhindern. Es ist auch anders als beim Heroin: Dort können die Leute dank der legalen Abgabe ganz normal arbeiten, Auto fahren und so weiter. Aber einem Schwerstbetroffenen kann man nicht einfach Kokain abgeben und glauben, er könne damit ein normales Leben führen. Für diese Menschen braucht es weiterführende Massnahmen.
Welche denn?
Das müssen wir jetzt herausfinden. Es gibt kein Patentrezept – man muss das Modell bei jeder Substanz neu austarieren, angepasst an die regionalen Bedingungen. Dafür braucht es aber den Willen und den Mut, etwas auszuprobieren. Klar ist einzig, dass Prohibition für alle Konsumierenden die schlechteste Lösung ist – die, bei der wir am wenigsten Kontrolle haben. Der Schwarzmarkt hört nämlich nicht auf uns. Da kann man keine Massnahmen durchsetzen. Das sehen wir ja im Moment bei den Crack-Steinchen.
Wenn Sie sagen, der Staat müsse Substanzen legalisieren: Was ist da Ihr Zeithorizont?
Vor zehn Jahren dachten wir alle noch: Bis Cannabis reguliert wird, geht es drei Generationen. Und dann ging es plötzlich schnell. Diese Überlegungen muss man nun weiterführen. Im Prinzip ist es ja schon verrückt, was wir da bei den Schwerstabhängigen für ein Elend verwalten. Wir tendieren dazu, das zu verdrängen. Lieber nichts machen – die Substanz ist ja verboten.
Wo würde man das legale Kokain denn hernehmen? Von den Dealern?
In Peru gibt es bereits eine grosse legale Produktion für medizinische Zwecke. Das meiste davon wird momentan in die USA und nach England exportiert. Übrigens ist das ein weiterer Grund, über eine Regulierung nachzudenken: die globale Ungerechtigkeit und das Elend, das der illegale Drogenmarkt nach sich zieht. Ganz Südamerika ist dadurch destabilisiert. Da gibt es Kartelle, die Kokain produzieren, Millionen machen und ganze Staaten im Griff haben.
Sie behandeln seit der Platzspitz-Zeit vor dreissig Jahren Suchtkranke. Was hat Sie dazu gebracht, dieser Arbeit Ihr Berufsleben zu widmen?
Meine Kollegen und ich haben in den 1990ern die Folgen einer falschen Drogenpolitik ausgebadet. Wir merkten damals: Die Leute, die dem Heroin-Junkie-Klischee entsprechen, sind nicht so geschädigt, weil die Substanz so gefährlich ist. Sondern weil sie so lange in der Illegalität gelebt haben. Weil sie verfolgt wurden. Weil sie sich schlechte Ware gespritzt und Infektionen aufgelesen haben. Als junger Arzt hat es mich sehr geprägt, als ich sah: Das wäre alles anders gewesen, wenn wir das Heroin früher reguliert hätten. Dann hätte es all dieses Elend nicht gegeben.
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Der Arzt, der seit dreissig Jahren mit Süchtigen arbeitet
tma./sgi. Thilo Beck wurde zum Psychiater, während Zürich in den 1990ern mit dem Drogenelend kämpfte. 1997 kam er zur Arbeitsgemeinschaft für risikoarmen Umgang mit Drogen (Arud), die 1991 als medizinische Antwort auf die offene Drogenszene gegründet wurde. 1995 wurde die offene Drogenszene am Letten aufgelöst. Die ärztlich kontrollierte Heroinabgabe war dafür ein entscheidender Faktor. Bei der neu entwickelten Vier-Säulen-Politik nahm die Arud eine zentrale Rolle ein. Seit 2007 ist Beck dort Chefarzt für Psychiatrie. Er ist ausserdem Vorstandsmitglied der Schweizerischen Gesellschaft für Suchtmedizin.
(https://www.nzz.ch/zuerich/crack-in-zuerich-drogenpionier-thilo-beck-fordert-legalisierung-von-kokain-ld.1756114)
-> https://www.20min.ch/story/zuerich-drogenpionier-fordert-regulierten-kokain-verkauf-261993733521
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Drogenszene im Kleinbasel
«Codes werden geschrien, dann fliegen Päckchen aus dem Fenster»
Aus der Kleinbasler Bevölkerung ertönt wegen der Drogenszene im Quartier dieses Wochenende ein weiterer Hilferuf: Mit einer Petition soll eine Art Duldungszone für Dealer*innen ausserhalb des Wohnviertels geschaffen werden.
https://bajour.ch/a/clmgcp3hz7985722sgaokn0y01k/kriminalitaet-und-drogenkonsum-an-der-efringerstrasse
-> https://telebasel.ch/sendungen/punkt6/210925
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Basler Zeitung 18.09.2023
Gewalt, Lärm und Drogen: Ein Hilferuf aus dem unteren Kleinbasel
Die Anwohner sind zunehmend frustriert über die Zustände auf ihren Strassen. Nun haben sie eine Petition gestartet. Auch die Politik hat reagiert.
Oliver Sterchi
Die Wortwahl ist dramatisch, ja alarmierend: «Personen, namentlich jüngere Frauen, werden belästigt, Kinder sind verunsichert, werden auf dem Schulweg bestohlen, und nicht nur ältere Menschen fühlen sich nicht mehr sicher im öffentlichen Raum», heisst es in einer Petition, die am Freitag aufgeschaltet und – Stand Montagnachmittag – schon von über tausend Personen unterschrieben wurde.
Es ist ein Hilferuf. Die Menschen im unteren Kleinbasel sind zunehmend frustriert über die Zustände auf ihren Strassen, wo sich im Dreieck Claraplatz, Dreirosenbrücke und Matthäuskirchplatz die Drogenszene immer mehr ausbreitet – so zumindest empfinden es die Leute vor Ort.
Das Thema ist schon länger akut, auch die BaZ hat die Sorgen der Anwohnerschaft in den letzten Monaten schon mehrmals beschrieben. Die Menschen klagen über gebrauchte Spritzen in Hauseingängen, gestohlene Velos und ein zunehmend mulmiges Gefühl auf dem Nachhauseweg, vor allem spätabends. Nun hat die Lage offenbar ein unerträgliches Ausmass erreicht.
Aggressionen als Alltag
Noch vor wenigen Monaten sei es den Anwohnenden möglich gewesen, Dealer und Konsumenten in den Vorgärten einfach wegzuweisen. Doch dies sei inzwischen vorbei. «Die Aggressivität hat massiv zugenommen», heisst es in der Petition zuhanden des Grossen Rats.
Die Petitionäre, die auf Anfrage der BaZ nicht namentlich genannt werden möchten, schildern in dem Schreiben die «Nebeneffekte», die mit der offenen Drogenszene einhergehen: «In Hauseingängen, auf Schulwegen, auf dem Matthäusplatz, in Vorgärten werden Drogen konsumiert, zurück bleiben die entsprechenden Abfälle, blutverschmierte Taschentücher, Scherben und anderer Unrat.»
Streit und Aggressionen – auch zwischen einzelnen Dealerbanden – mitten im Wohnumfeld seien «alltäglich» geworden. Aus der Tonalität der Petition lässt sich herauslesen, dass sich die Anwohnenden von den Behörden ein Stück weit im Stich gelassen fühlen. Sie formulieren deshalb klare Forderungen an die Politik: Unter anderem wird die Einrichtung einer «Duldungszone» für den Drogenhandel ausserhalb der Wohnquartiere vorgeschlagen. Dies dürfte indes wenig realistisch sein.
Das sagt die Polizei
Die Kantonspolizei Basel-Stadt teilt ihrerseits auf Anfrage der BaZ mit, dass man «grundsätzlich keine zunehmende Aggressivität von Drogendealern oder -konsumenten» bestätigen könne. Sie schreibt aber auch: «Allerdings haben wir in den letzten Monaten punktuell eine Zunahme von Konsumentinnen und Konsumenten verzeichnet, die sich gemeinsam im öffentlichen Raum aufhalten.» Dies führe «vermehrt zu Lärm- und Abfallemissionen, insbesondere am Matthäuskirchplatz».
Anders die Lage im Bereich der Dreirosenanlage: Dort habe man zuletzt tatsächlich eine «Häufung von Gewalttaten und weiteren Delikten» feststellen können, so Polizei-Sprecher Rooven Brucker. Dagegen seien diverse Massnahmen ergriffen worden, unter anderem die Installation von mehreren Videokameras. Eine Zwischenbilanz zu den Kameras wolle man bis Mitte dieser Woche veröffentlichen.
Auch sei es so, dass «solche geografisch begrenzten Häufungen» wie bei der Dreirosenanlage das «subjektive Sicherheitsgefühl» der Bevölkerung auch ausserhalb des betroffenen Gebiets beeinflussten. Dies sei «bedauerlich», so Brucker. Aber: «In Zusammenarbeit mit verschiedenen Interessengruppen wird dieses Problem angegangen.» Zum Beispiel in regelmässig stattfindenden «runden Tischen».
Wird die SP zur «Law-and-Order»-Partei?
Die Situation im unteren Kleinbasel beschäftigt auch die Politik – und zwar nicht nur die SVP, sondern zunehmend auch die SP. Grossrätin Michela Seggiani hat dazu am Freitag einen Vorstoss im Parlament eingereicht, in dem sie die Regierung anfragt, welche Strategie sie in Sachen «offene Drogenszene» verfolge. Auch SP-Grossrat Mahir Kabakci hat sich des Themas Sicherheitspolitik in einem aktuellen Vorstoss angenommen.
Man wolle das Thema «nicht der SVP überlassen», sagt Seggiani gegenüber der BaZ. Sie wohnt selber im Kleinbasel und sei in den letzten Wochen von mehreren Menschen auf die Problematik angesprochen worden. Wird die SP nun etwa zur «Law-and-Order»-Partei?
Seggiani streitet dies vehement ab. Im Gegensatz zur SVP setze man nicht auf Repression, sondern auf eine Gesamtstrategie, betont sie. «Wir wollen keine Menschen stigmatisieren, sondern Wege finden, damit sich die Lage entspannt und den Betroffenen, etwa Menschen ohne Schlafplatz, geholfen wird.»
Von der Einrichtung einer «Duldungszone», wie in der Petition vorgeschlagen, hält Seggiani indes nichts. «Die Szene einfach auszulagern, fände ich gefährlich. Ausserdem wäre das wahrscheinlich gar nicht umsetzbar.»
Vielmehr brauche es nun zunächst einmal eine «grundsätzliche Auslegeordnung» der Situation. Ob das ausreicht, wird sich weisen. Den Anwohnenden im Kleinbasel jedenfalls kann es nicht schnell genug gehen.
(https://www.bazonline.ch/gewalt-laerm-und-drogen-ein-hilferuf-aus-dem-unteren-kleinbasel-140468738634)
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Olten: Die Notschlafstelle ist einen Schritt weiter. Das Verwaltungsgericht hat eine Beschwerde von Anwohnerinnen und Anwohnern abgelehnt. Der Trägerverein kann bauen, sofern die Beschwerde nicht an das Bundesgericht weitergezogen wird. (ab 05:55)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/kath-kirche-und-missbrauch-wut-auch-in-den-kantonen-ag-und-so?id=12456462
+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Umstrittene Party-Demo: Politische Kundgebung mit Bier, Bass und Techno
War es nur eine spontane Technoparty mit rund 1000 Teilnehmenden oder steckt mehr hinter dem «Squat the City»-Umzug vom vergangenen Wochenende?
https://www.bernerzeitung.ch/umstrittene-party-demo-politische-kundgebung-mit-bier-bass-und-techno-377476630723
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tagesanzeiger.ch 18.09.2023
Nach Telefonüberwachung und Observation: Bezirksgericht verurteilt Linksaktivisten
Zwei Zürcher, die am 1. Mai 2020 an einem Farbanschlag auf eine Credit-Suisse-Filiale beteiligt waren, kassieren Geldstrafen. Der Staatsanwalt betrieb dafür einen ungewöhnlich grossen Aufwand.
Thomas Hasler
Der 1. Mai 2020 begann in Zürich kurz nach 10 Uhr. Nicht im Kreis 4, sondern im Kreis 6. Dort klirren Gläser und Scheiben. Fünf Personen werfen mehrere mit roter und schwarzer Farbe gefüllte Flaschen an die Hausfassade und die Fensterscheiben der (inzwischen geschlossenen) Credit-Suisse-Filiale bei der Seilbahn Rigiblick.
Die Bank wird später einen Schaden von gut 48’000 Franken geltend machen. Das Bezirksgericht Zürich wird knapp dreieinhalb Jahre später den Schaden auf 25’000 bis 30’000 Franken reduzieren und die Bank mit ihrer Forderung nach Ersatz des Schadens an den Zivilrichter verweisen. Ausgang: offen.
Staatsanwaltschaft bemüht das ganze Arsenal an Zwangsmassnahmen
Wenig später nach den Farbanschlägen verhaftet die Polizei in der Nähe des Tatorts einen 20- und einen 21-jährigen Zürcher. Sie werden die folgenden drei Wochen in Untersuchungshaft verbringen – schweigend. Um ihnen eine Tatbeteiligung nachzuweisen, greift die Staatsanwaltschaft zu einem ganzen Arsenal an Zwangsmassnahmen. Mit magerem Erfolg.
Die Erstellung eines DNA-Profils bringt keine Indizien oder Beweise. Eine erste Hausdurchsuchung führt zur Erkenntnis, dass die Männer mit der linken Szene sympathisieren. Bei der zweiten Hausdurchsuchung holen die Behörden unter anderem vier Mobiltelefone und drei externe Harddisks. Die Auswertung ergibt keinen Bezug zum Farbanschlag.
Video des Anschlags analysiert
Selbst die Zwangsmassnahmen, die nur mit richterlicher Genehmigung angeordnet werden dürfen, verlaufen im Sande: Eine rückwirkende Identifikation der Telefonate bestätigt lediglich, dass sich die beiden Verhafteten schon vor dem 1. Mai kannten. Auch die Echtzeit-Telefonüberwachung und die Observation spielen den Strafverfolgern nichts Verwertbares in die Hände.
Möglicherweise half die Gruppierung, die für den Anschlag verantwortlich war, den Strafverfolgern unfreiwillig aus der Patsche: Auf Twitter veröffentlichten sie ein Video vom Farbanschlag. Darauf waren zwei vermummte Farbflaschen-Werfer zu erkennen, von denen der eine eine blaue, der andere eine rote Jacke trug. Es waren just jene Jacken, die bei den beiden Verhafteten sichergestellt wurden, wie ein Gutachten des Forensischen Instituts ergab.
Hohe Freiheitsstrafen beantragt
Dass auf Plastikhandschuhen und einem Plastiksack Farbpartikel gefunden wurden, die identisch mit der beim Anschlag verwendeten Farbe waren, tat ein Übriges. So konnte der Staatsanwalt vor Gericht sagen, dass ein einzelnes Indiz für einen Schuldspruch zwar nicht ausreicht. Aber alle zusammengenommen würden «keine andere realistische Möglichkeit» zulassen.
Für den «Akt sinnloser Sachbeschädigung» durch Exponenten einer links- beziehungsweise gewaltextremistischen Gruppierung sei eine bedingte Freiheitsstrafe von 16 Monaten angemessen. Und natürlich die Übernahme der Kosten von 18’000 und 19’000 Franken.
Strafverfahren kritisiert
Die beiden Verteidiger griffen das intransparente Strafverfahren an. Erst nach zweieinhalb Jahren hätten sie Akteneinsicht erhalten. Geheime Untersuchungsmassnahmen seien nicht vollständig offengelegt worden, die Observation habe länger als angegeben gedauert. Es stünde auch der Verdacht im Raum, dass das Telefon zwischen Beschuldigten und Verteidigern abgehört worden sei.
Sie forderten Freisprüche. Der Tatverdacht habe sich trotz aller «übertriebenen Massnahmen» nicht erhärten lassen. Die Staatsanwaltschaft habe mit einem Aufwand, der für schwere Sexual- und Gewaltdelikte angemessen sei, den Prozess «politisiert» und ihre Glaubwürdigkeit verspielt. Es sei «völlig absurd, was hier abgelaufen ist».
«Geldstrafe genügt»
Das Bezirksgericht sah in der Summe der Indizien den Tatvorwurf als erstellt an. Für die jungen, nicht vorbestraften Ersttäter genüge aber eine Geldstrafe, die das Gericht auf 180 Tagessätze à 30 Franken festlegte. Es reduzierte auch die Kosten um insgesamt über 10’000 Franken. Die Echtzeit-Überwachung waren «unnötige Kosten für dieses Verfahren».
In einer gemeinsamen Erklärung sagten die beiden Beschuldigten, das Strafverfahren richte sich nicht nur gegen sie, sondern gegen eine «ganze Bewegung, welche sich für eine ökologische und soziale Welt einsetzt». Sie würden abgestraft, während «der bürgerliche Staat» die für den CS-Niedergang Verantwortlichen nie abstrafe. Das im Gerichtssaal anwesende Solidaritätskomitee mit etwa 50 Personen klatschte heftig.
(https://www.tagesanzeiger.ch/nach-telefonueberwachung-und-observation-bezirksgericht-verurteilt-linksaktivisten-805665894011)
+++SPORT
Champions-League-Auftakt: Leipzig-Fans planen Marsch durch Bern zum Feierabend
Am Dienstag empfängt YB zum ersten Gruppenspiel RB Leipzig. Ein Fanmarsch und der zeitgleiche SCB-Match könnten für Verkehrschaos sorgen.
https://www.derbund.ch/champions-league-auftakt-leipzig-fans-planen-marsch-durch-bern-zum-feierabend-346832093468
+++MENSCHENRECHTE
Werden die Menschenrechte eingehalten? – Folterkommission nimmt Zuger Alterszentrum unter die Lupe
Die nationale Kommission gegen Folter hat eine Kontrolle beim Alterszentrum Frauensteinmatt in Zug durchgeführt. Im Grossen und Ganzen war sie zufrieden – hatte aber trotzdem einiges zu beanstanden.
https://www.zentralplus.ch/gesundheit-fitness/folterkommission-nimmt-zuger-alterszentrum-unter-die-lupe-2579662/
+++BIG BROTHER
EU-Datei für Fingerabdrücke muss erweitert werden
Eurodac, die biometrische EU-Datei zur Migrationskontrolle, kommt an ihre Kapazitätsgrenze. Eine politische Einigung zum Ausbau kommt seit 2016 aber nicht voran. Nun überraschen immens viele Abfragen durch die Polizei aus Deutschland.
https://netzpolitik.org/2023/asylsuchende-eu-datei-fuer-fingerabdruecke-muss-erweitert-werden/
+++POLIZEI SG
St.Galler Polizeigesetz macht weitere Extrarunde
In der Sommersession hat der St.Galler Kantonsrat das neue Polizeigesetz zurückgewiesen, dies weil es teilweise rechtlich in einer Grauzone war. Nun geht die Regierung nicht nur über die Bücher, sie macht auch eine neue Vernehmlassung. Das Ziel bleibt, mehr präventiver Schutz.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-ostschweiz/st-galler-polizeigesetz-macht-weitere-extrarunde?id=12456189
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-ostschweiz/keine-haerteren-strafen-fuer-umweltdelikte?id=12456450 (ab 04:59)
++++FRAUEN/QUEER
Viva la Vulva
Der Teufel soll bei ihrem Anblick das Fürchten gelernt haben: Die Vulva. Kein anderer Körperteil wurde im Zuge der Jahrtausende zu einem größeren Schauplatz von Lust, Ideologie und Tabuisierung. Kulturgeschichte der Vulva, von ihrer Anbetung als Freuden- und Fruchtbarkeitsspendende in der griechischen Mythologie über ihre Dämonisierung bis hin zur Frauenbewegung der 1960er Jahre.
https://www.arte.tv/de/videos/079452-000-A/viva-la-vulva/
+++RECHTSEXTREMISMUS
Nach Insta-Post: Rechtsextreme bringen Schwyzer Veranstalter in Erklärungsnot
Ein rauschendes Fest im Kanton Schwyz. Die Stimmung ist friedlich und der Anlass verläuft ohne Zwischenfälle. Die Veranstalter ziehen grundsätzlich ein positives Fazit. Doch der Nachgang hat einen faden Beigeschmack.
https://www.pilatustoday.ch/zentralschweiz/rechtsextreme-bringen-schwyzer-veranstalter-in-erklaerungsnot-153404822
+++HISTORY
Die Hexe muss sterben
Die Schweiz, insbesondere die Westschweiz, erlebte eine der grausamsten Hexenverfolgungen Europas. Der Film «Die Hexe muss sterben» zeigt die Mechanismen einer höllischen Justiz auf, die Tausende von Männern, Frauen und Kindern auf den Scheiterhaufen brachte.
Warum wurden in der Schweiz zehnmal mehr angebliche Hexen und Hexer verbrannt als in Frankreich und hundertmal mehr als in Italien? Meist wurden die Angeklagten von einer weltlichen Justiz verurteilt, die unter protestantischer Herrschaft stand.
https://www.srf.ch/play/tv/chfilmszene/video/die-hexe-muss-sterben?urn=urn:srf:video:65540096-5882-47e5-a778-ac3cf5459118
Listenverbindungen 1933: Die Wahlschlacht von Zürich
Nach der Machtergreifung durch die Nazis im Januar 1933 paktieren die bürgerlichen Parteien in Zürich mit der faschistischen Nationalen Front. Im städtischen Wahlkampf flirten sie mit dem faschistischen Gedankengut – doch dank der Linken scheitert der Testlauf für künftige Bündnisse.
https://www.woz.ch/2337/listenverbindungen-1933/die-wahlschlacht-von-zuerich/!BARD1JSGBHGR
Fabrikmädchen: Ein dunkles Kapitel Schweizer Geschichte – Rendez-vous
Die Geschichte der Schweizer Verdingbuben ist unterdessen weithin bekannt. Weniger jene der Fabrikmädchen, die der Industrie noch bis in die 1970er-Jahre als billige Arbeitskräfte dienten. Der Journalist Yves Demuth hat sich mit diesem dunklen Kapitel stark auseinandergesetzt.
https://www.srf.ch/audio/rendez-vous/fabrikmaedchen-ein-dunkles-kapitel-schweizer-geschichte?partId=12456357
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spiegel.de 18.09.2023
Rassismus: »Schwarze Deutsche scheinen für weiße Deutsche noch immer ein Paradox zu sein«
Bereits in den Achtzigerjahren thematisierten schwarze Aktivisten Rassismus und die koloniale deutsche Vergangenheit. Historikerin Tiffany Florvil sagt, warum die Bewegung bis heute dennoch kaum bekannt ist.
Ein Interview von Jasmin Lörchner
SPIEGEL: Frau Florvil, Sie arbeiten an der ersten Biografie über die schwarze deutsche Dichterin May Ayim. Der Name wird nur wenigen etwas sagen: Warum sollte man sie kennen?
Florvil: May Ayim formte mit anderen Aktivistinnen und Aktivisten in den Achtzigerjahren eine schwarze deutsche Bürgerrechtsorganisation. Sie wollten Sichtbarkeit und Anerkennung vorantreiben und Zugehörigkeit fördern. Ayim wurde mit ihrer Poesie, ihren Essays und Vorträgen die Stimme dieser Bewegung. Sie setzte sich aber nicht nur für schwarze Menschen ein, sondern war eine transnationale Aktivistin für marginalisierte Personen.
SPIEGEL: Worum ging es der schwarzen deutschen Bewegung?
Florvil: Ayim und die Bewegung hinterfragten die Normalisierung des weißen Deutschen. Diese Normalisierung ist der Grund, weshalb schwarze Deutsche bis heute ständig gefragt werden: Wo kommst du her, warum kannst du so gut deutsch sprechen, woher kommen deine Eltern? Die schwarze Bewegung zeigte auf, dass Rassismus schon vor der NS-Zeit verbreitet war, und machte deutlich, wie der deutsche Kolonialismus die Wahrnehmung schwarzer Menschen und die deutsche Gesellschaft geprägt hat. Die Aktivisten zeigten, dass Schwarz und Deutsch kein Widerspruch ist.
SPIEGEL: Schon im Mittelalter kamen erste schwarze Menschen nach Deutschland ; in der Frühen Neuzeit schmückten sich weiße Adlige gern mit schwarzen Bediensteten, denen sie bisweilen Bildung ermöglichten und die dann als »kultivierte Exoten« Berühmtheit erlangten. Bekannt ist zum Beispiel Anton Wilhelm Amo , der Ende des 18. Jahrhunderts an verschiedenen Universitäten Philosophie lehrte.
Florvil: In West-Deutschland beschäftigte sich May Ayim als eine der ersten mit Anton Wilhelm Amo. Sie recherchierte auch zum Ashanti-Prinzen Kwasi Boachi, der im 19. Jahrhundert einige Zeit in den Niederlanden und in Deutschland verbracht hatte und an der Bergakademie Freiberg studierte. Durch Aktionen wie den Black History Month machte die Bewegung diese Biografien in West-Deutschland bekannter.
SPIEGEL: Gab es aber nicht schon vor der schwarzen Bewegung der Achtzigerjahre politisches Engagement schwarzer Menschen in Deutschland? 1918 etwa formierten sich rund 30 überwiegend aus Kamerun stammende schwarze Menschen um Martin Dibobe in Hamburg zum Afrikanischen Hilfsverein. Der Verein bot Rechtsberatung und einen Anlaufpunkt für schwarze Menschen.
Florvil: Ja, der Afrikanische Hilfsverein war eines der ersten Beispiele für antirassistische und menschenrechtliche Aktivitäten in Deutschland. Die panafrikanische Organisation wurde größtenteils von Männern mit Wurzeln in den ehemaligen deutschen Kolonien Kamerun, Togo und Ostafrika organisiert. Die westdeutsche schwarze Bewegung war Erbe dieser Tradition.
SPIEGEL: Warum dauerte es bis zu den Achtzigerjahren, bis sich die Initiative Schwarzer Deutscher (ISD) und Afrodeutsche Frauen (Adefra) gründeten?
Florvil: Die linken Bewegungen der Achtziger machten es schwarzen Deutschen leichter, aktiv zu werden. Es war damals die Zeit der neuen sozialen Bewegungen, viele Graswurzelbewegungen entstanden in der Bundesrepublik, etwa Bürgerinitiativen oder auch die Grünen. Viele schwarze Frauen engagierten sich auch in feministischen und lesbischen Gruppen. Außerdem kamen in den Achtzigern Expats aus den USA, aus Nigeria, Südafrika und Kenia nach Berlin. Die Szene, die in Berlin gegen die Apartheid in Südafrika protestierte, wurde sehr lebendig. Die afrokaribische Schriftstellerin und Feministin Audre Lorde unterrichtete damals an der Freien Universität und spielte eine wichtige Rolle. Sie ermutigte die schwarzen deutschen Frauen um May Ayim zum Austausch mit ihren Schwestern. In der Szene entwickelte sich das Gefühl, dass man gemeinsam etwas erreichen kann.
SPIEGEL: Welche Rolle spielte Berlin für die schwarze Bewegung weltweit?
Florvil: In den Achtzigern war Berlin das, was Paris in der späten Zwischenkriegszeit war: ein Ort schwarzer politischer Kultur. In Westdeutschland entwickelte sich in den Achtzigern und Neunzigern eine neue Form des schwarzen politischen Aktivismus. Die schwarze deutsche Bewegung knüpfte Verbindungen zu schwarzen britischen Aktivisten, nach Neuseeland, Simbabwe, Kolumbien. Sie machten Anti-Apartheid-Arbeit. Es ging ihnen nicht allein darum, nur Deutschland in den Blick zu nehmen. Sie wollten Aufmerksamkeit auf diskriminierende Dynamiken auf der ganzen Welt lenken.
SPIEGEL: Gab es eine ähnliche Entwicklung in Ostdeutschland?
Florvil: Es gab eine Ost-Berliner ISD-Gruppe, die in engem Kontakt mit der Ortsgruppe in West-Berlin stand. Als die Mauer fiel, konnten sie sich zusammenschließen.
SPIEGEL: In den »Baseballschlägerjahren« nach dem Mauerfall nahmen rassistisch motivierte Gewalttaten stark zu. Wie reagierte die Bewegung darauf?
Florvil: Sie versuchte, sich zu wehren. Schwarze Deutsche gründeten in Berlin das antirassistische Netzwerk Black Unity Committee, in dem sich Vertreter unterschiedlicher Gruppen zusammenschlossen. Das Committee sammelte Daten zu rassistisch motivierter Gewalt bundesweit aus Zeitungen, Radioberichten oder Mundpropaganda. Mit dem gesammelten Material setzten sie sich für eine effektivere Politik für Migranten und marginalisierte Gruppen in Deutschland ein. Schon damals betonten die Aktivistinnen und Aktivisten, dass man sich auch mit strukturellem Rassismus bei der Polizei auseinandersetzen müsse.
Poesie gegen Rassismus: May Ayims Gedicht »Am anderen Ende der Revolution« hängt im Treppenhaus der Alice-Salomon-Hochschule Berlin, wo sie einst lehrte.
SPIEGEL: Heute diskutiert Deutschland wieder über strukturellen Rassismus bei der Polizei.
Florvil: Ja, und ich glaube, es ist wenigen bewusst, welche Vorarbeiten die schwarze deutsche Bewegung dabei geleistet hat. Auch bei der Aufarbeitung der kolonialen Geschichte Deutschlands leistete die Bewegung wichtige Vorarbeit. Sie diskutierte schon in den Achtzigern darüber, dass der deutsche Genozid in Deutsch-Ostafrika, heute Namibia , und der Holocaust zusammen in den Blick genommen werden müssten. Sie sprach über den Prozess der Ausgrenzung und die Konstruktion angeblicher »Rassen« in den deutschen Kolonien und während des Nationalsozialismus. Selbst wenn wir heute über die AfD diskutieren, gibt es Parallelen zu den Beobachtungen, die die Bewegung damals anstellte.
SPIEGEL: Welche zum Beispiel?
Florvil: Die Rhetorik ist sehr vertraut, vor allem jene im Zusammenhang mit Migration: In den Achtzigerjahren hieß es: »Das Boot ist voll«. Die ostdeutsche Pegida-Bewegung, ein wichtiger Vorläufer der heutigen AfD, schlug ab 2014 ähnliche Töne an und war stark antiislamisch eingestellt. Das Argument lautete: Wenn zu viele dieser Menschen nach Deutschland kommen, verliert das Land seine deutsche Essenz. Diese ethno-nationalistische Rhetorik ist absurd, aber sie hat eine lange Geschichte. May Ayims Werke thematisieren diese Themen bereits: Identität, Zugehörigkeit, Staatsbürgerschaft. Die Frage, wer dazugehört, wer heute deutsch ist.
SPIEGEL: Warum ist ihr Wirken heute noch immer nur wenigen bekannt?
Florvil: Leider kennt die breite deutsche Öffentlichkeit Ayims Gedichte und Essays nicht, weil ihr Vermächtnis totgeschwiegen wird. Das hat auch damit zu tun, dass Ayim keine Ausländerin war – schwarze Deutsche scheinen für weiße Deutsche noch immer ein Paradox zu sein. Schwarze Frauen wie Josephine Baker oder Angela Davis bekamen in Deutschland im Vergleich viel mehr Aufmerksamkeit, weil sie nicht Deutschland kritisierten, sondern die Vereinigten Staaten. Ayims Poesie stand nicht in der hochtrabenden deutschen Tradition von Heine oder Goethe. Sie stellte das Schwarzsein, die schwarze Diaspora und Themen wie Aids, den Bosnienkrieg, afroamerikanische Geschichte in den Mittelpunkt ihrer Arbeit. Sie schuf Poesie nach ihren eigenen Vorstellungen. In der schwarzen deutschen Gemeinde ist sie durchaus bekannt.
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Zur Person
Tiffany N. Florvil (Jahrgang 1980) lehrt an der University New Mexico und forscht zur Geschichte Europas im 20. Jahrhundert, vor allem zu Sozialen Bewegungen, Geschlechtergeschichte und zur afrikanischen Diaspora. 2023 erschien ihr Buch »Schwarz, deutsch, feministisch – die Geschichte einer Bewegung« als deutsche Übersetzung. Florvil forscht nun mit dem Radcliffe-Stipendium an der Universität Harvard.
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May Ayim, 1960 in Hamburg als Tochter einer Deutschen und eines Medizinstudenten aus Ghana geboren, wurde nach eineinhalb Jahren im Kinderheim von einer weißen Pflegefamilie aufgenommen und erlebte Rassismus und Gewalt. Ihre Emotionen verarbeitete sie später in Gedichten wie »Afro-deutsch«, »Meine Hände«, »Ich bin schwarz«. Als eine der ersten recherchierte Ayim zur Geschichte schwarzer Menschen in Deutschland vor 1945 und zum Nachkriegs-Rassismus gegen Schwarze, dazu erschien 1986 ihr Buch »Farbe bekennen. Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte«. In ihrer Abschlussarbeit als Logopädin klassifizierte Ayim 1989 Bezeichnungen wie das N-Wort und M-Worte als Rassismen. In Vorträgen und Gedichten wie »Grenzenlos und unverschämt – ein Gedicht über die deutsche Sch-Einheit« kritisierte sie nach dem Mauerfall die rassistische Gewalt im wiedervereinten Deutschland. Nach mentalen Krisen starb May Ayim im August 1996 durch Suizid.
(https://www.spiegel.de/geschichte/rassismus-schwarze-deutsche-scheinen-fuer-weisse-deutsche-noch-immer-ein-paradox-zu-sein-a-eab98561-6f16-448c-9182-53e9fba6549a)