Medienspiegel 10. September 2023

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/

+++SCHWEIZ
Studie zu Bezeichnungen für Migranten: Flüchtlinge sind unerwünschter
Macht es einen Unterschied für die Einstellungen gegenüber Migrant:innen, mit welchen Begriffen sie bezeichnet werden? Eine Studie hat das untersucht.
https://taz.de/Studie-zu-Bezeichnungen-fuer-Migranten/!5956374/



Angestellte von Asylzentren erzählen in neuem Podcast von ihrer Arbeit
Die Schweizer Bundesasylzentren (Baz) sind in den Medien schon fast ein Dauerthema. Ihr Innenleben aber kennen die wenigsten.
So sieht es zumindest das Staatssekretariat für Migration (Sem), das mit einem neuen Podcast über den Alltag in den Zentren aufklären will.
https://www.kleinreport.ch/news/bund-lanciert-podcast-kampagne-uber-bundesasylzentren-102585/
-> SEM-Podcast: https://www.sem.admin.ch/sem/de/home/publiservice/podcast.html



NZZ am Sonntag 10.09.2023

Der importierte Konflikt: Die Gewalt zwischen verfeindeten Eritreern eskaliert

Ob beim Einkaufen, Heiraten oder beim Sprachkurs der Kinder: Gegner und Anhänger des eritreischen Regimes leben streng separiert. Einblick in eine Parallelwelt mitten in der Schweiz.

Georg Humbel und Mirko Plüss (Text), Mischa Christen (Bilder)

Gedruckte Flyer gab es keine, der Veranstaltungsort wurde bis zuletzt geheim gehalten: Am Samstagnachmittag haben sich rund 400 Eritreerinnen und Eritreer in der Innerschweiz versammelt. Es sind Oppositionelle aus dem ganzen Land, die sich in der schmucklosen und brütend heissen Mehrzweckhalle versammelt haben. Die «NZZ am Sonntag» hat exklusiv Zugang zu dem Treffen.

Viele Männer tragen himmelblaue T-Shirts, die Farbe der Opposition. Es werden Reden gehalten. Und Pläne geschmiedet, wie man gegen die Feinde – also die Anhänger des eritreischen Langzeitherrschers Isayas Afewerki – vorgehen könnte. Viel Zuspruch erhält Mario Fehr, der Zürcher Sicherheitsdirektor, der Regime-Anhängern den Schutzstatus entziehen will.

Das klandestine Treffen findet in einer aufgeheizten Atmosphäre statt. Erst wenige Tage zuvor hatte die eritreische Diaspora unrühmliche Schlagzeilen gemacht. In Opfikon (ZH) waren Regimegegner und Regimefreunde aufeinandergeprallt. Bei der Massenschlägerei wurden zwölf Personen verletzt – mit Fäusten und Schlagstöcken. Die Polizei griff mit einem Grossaufgebot durch. Die Schlägerei wirkt in den sozialen Netzwerken nach, wo Regime-Anhänger auch schon einmal mit einer Waffe posieren.

    Nach der Massenschlägerei in Opfikon sagt der Zürcher Sicherheitsdirektor Mario Fehr: «Es gibt keinen Grund, weshalb regimetreue Eritreer in der Schweiz weiterhin Schutzstatus geniessen sollen» https://t.co/lA2yt5Ud43
    — Daniel Fritzsche (@Blitzsche) September 4, 2023

Zwischen den beiden Migrantengruppen eskaliert gerade die Gewalt – in Schweden, Toronto, Tel Aviv, im deutschen Giessen oder eben in Opfikon. Doch die Gewalteruptionen sind nur die Spitze des Eisbergs. Darunter schwelt ein Konflikt, der für die Schweizer Mehrheitsbevölkerung meist unsichtbar bleibt. Ein Konflikt, der fast alle Lebensbereiche der eritreischen Diaspora bestimmt.

Häufige Schlägereien

Sackweise Hirsemehl für das traditionelle Sauerteig-Fladenbrot, Beutel mit Kaffeebohnen und auf tigrinisch angeschriebene Süssigkeiten. Das Verkäufer-Pärchen des eritreischen Ladens gibt gerne Auskunft, aus Angst vor Repressalien aber nur anonym. «Die Pro-Regime-Leute kaufen bei uns nicht ein und wir nie bei ihnen», sagen sie. «Und wenn man trotzdem etwas braucht, schweigt man und geht schnell wieder.»

Die beiden Gruppen würden in Zürich streng nebeneinanderher leben. Und immer wieder komme es auch zu offenem Streit oder gar kleineren Schlägereien. «Die Polizei bekommt davon meistens nichts mit.»

Über 30 000 Eritreer leben im Land. Mit ihnen kam auch die eritreische Politik hierher. Bei den Pro-Regime-Eritreern handelt es sich meist um Personen, die bereits während des Befreiungskrieges in den 1980er Jahren flüchteten. Das ostafrikanische Land hat sich seine Unabhängigkeit von Äthiopien mit einem blutigen Bürgerkrieg erkämpft. Eritrea gibt es als unabhängigen Staat erst seit 1993. Angeführt wurde der Befreiungskampf von Isayas Afewerki. Er und eine Clique ehemaliger Kämpfer führen das Land bis heute mit eiserner Hand.

Die «NZZ am Sonntag» telefoniert mit einem jungen Regimegegner. Er will unerkannt bleiben, fürchtet Repressalien. «Die Diktatur ist überall, sogar in den Familien», sagt er. Die Polarisierung nehme zu. Er erzählt von einer kürzlichen Hochzeit. «Die Freunde und Verwandten, die pro Regime sind, zeigten sich nur ganz kurz und gingen wortlos wieder.» Das sei typisch für den Umgang. «Ich weiss von Ehepaaren, die sich wegen der Politik scheiden liessen.»

In jeder grösseren Stadt gebe es zwei orthodoxe Kirchgemeinden. «Sogar die Pfarrer sind politisch, deshalb besucht man nur den Gottesdienst des eigenen Lagers.» Dasselbe gelte für Restaurants und Partys. Die Spaltung dringt auch schon bis zu den Kleinsten vor. Das zeigt sich bei den Lektionen in heimatlicher Sprache und Kultur. Eritreische Eltern schicken ihren Nachwuchs entweder in jene Kurse, die von der Botschaft organisiert werden, oder in private Angebote. Zu gross ist die Angst, die Kinder könnten von der Gegenseite beeinflusst werden.

Kriegsspiele vor Kinderaugen

Wie konnte sich mitten unter uns eine derart segregierte Bevölkerungsgruppe ausbilden? Die Schuld sieht Yohannes Measho beim Regime, wie der 45-Jährige bei einem Treffen vor einigen Tagen sagt. Es findet in der Mensa der Fachhochschule in Brugg-Windisch statt, wo Measho nach seiner Flucht aus Eritrea zum Elektroingenieur ausgebildet wurde. Als junger Mann habe er Diktator Afewerki angehimmelt, erzählt er. Mittlerweile ist er ein Gegner.

«Ab 2010 begannen die Pro-Regime-Kräfte in der Schweiz immer aggressiver aufzutreten», sagt Measho. Die Anhänger des Diktators hätten versucht, alle Eritreervereine zu unterwandern. «Mit Geld des Regimes führen sie bis heute ihre Festivals und Anlässe durch und verbreiten Propaganda und Angst.»

Auf Youtube-Videos sind die Festivals dokumentiert. Bei einer kürzlichen «Märtyrer-Feier» in Genf führten Erwachsene ein militärisches Rollenspiel auf, mit Maschinengewehr-Attrappen in der Hand. Unter den Zuschauern: zahlreiche Kinder. «Die Schweiz müsste diese Festivals verbieten und die Pro-Regime-Leute viel härter anfassen», fordert Measho. «Man stelle sich vor, Putin-Anhänger würden solche Events auf Schweizer Boden durchführen.»

Measho berichtet ebenfalls davon, dass es auch abseits der Festivals immer wieder zu Gewalt komme. Er ist heute nur noch einfaches Mitglied bei der Opposition, dennoch fürchtet er Vergeltungsakte. «Durch Unterführungen laufe ich nie gerne alleine, und auch sonst schaue ich immer, ob eine verdächtige Gruppe eritreischer Männer rumsteht.»

In einem Restaurant in Genf trifft diese Zeitung schliesslich Omer Zeynu. Geschickt faltet er das Fladenbrot zu kleinen Taschen und tunkt sie in die scharfe Sauce. Bei einer grossen Platte Injeera – dem eritreischen Nationalgericht – erzählt er von sich. Zeynu ist 2013 als Flüchtling in die Schweiz gekommen. Er arbeitet heute als Altenpfleger und studiert Psychologie. Doch was für viele erstaunlich sein mag: Er redet nicht schlecht über das Regime. Im Gegenteil: Zeynu ist aktiv in der Jugendbewegung der Regierungspartei YPFDJ und macht beim Schweizer Ableger mit.

Er kann die Aufregung um die Eritrea-Festivals nicht verstehen. «Es handelt sich um absolut friedliche Veranstaltungen», betont Zeynu. Er habe schon viele besucht. Er gehe darum, die eritreische Kultur zu pflegen und Landsleute zu treffen. Die Gewalt vom letzten Wochenende verurteilt er scharf. «Das war die Gegenseite. Sie haben mit Stangen und Steinen bewaffnet angegriffen.» Auch er selber werde dauernd verbal angegriffen. 2020 sei er sogar am Bahnhof Neuenburg zusammengeschlagen worden. Zeynu ist überzeugt, dass viele der gewalttätigen Angreifer gar nicht Eritreer sind. Sondern Personen aus Äthiopien oder sogar äthiopische Agenten. Diese würden versuchen, den Ruf Eritreas zu zerstören.

Wer mit Omer Zeynu redet, hört ganz andere Geschichten als auf der Seite der Opposition. Vieles sei ganz anders als in den Mainstream-Medien dargestellt. Fast hat man das Gefühl, er spreche von einem anderen Land. Die Situation in Eritrea sei nicht so schlecht, wie sie immer dargestellt werde: «In vielen afrikanischen Ländern ist das Leben schlechter», so Zeynu. Obwohl er sein Land verlassen hat, ist er ein glühender Patriot.

Warum ist er denn 2013 aus Eritrea geflohen? Äthiopien habe Eritrea damals stark bedroht, so seine Antwort. Das Land habe sich in einer Art Kriegszustand befunden. «Ich konnte mir nicht vorstellen, mit einer Waffe an der Grenze zu stehen.» Die Bedrohung durch das Nachbarland habe ihn in die Flucht getrieben.

Beim geheimen Treffen der Opposition in der Innerschweiz tönt es ganz anders. Im heissen Saal hat man sich inzwischen auf ein Forderungspapier geeinigt. Das eritreische Regime sei eine ständige Bedrohung, auch für die Diaspora in der Schweiz, führt ein Mediensprecher aus, der nur mit seinem Vornamen Hermon genannt werden will.

«Anhänger des Regimes sollen das Land verlassen müssen», sagt Hermon. «Zudem muss die eritreische Botschaft in Genf von den Schweizer Behörden geschlossen werden.» Die Botschaft bedrohe die Leute und setze in der Schweiz die eritreische Zwangssteuer von zwei Prozent des Einkommens durch. Und sie zwinge die Leute beim Vorsprechen zu einer Reueerklärung.

Eine weitere brisante Forderung der Oppositionellen: Die Schweizer Sicherheitsbehörden sollen damit beginnen, politische Aktivitäten innerhalb der eritreischen Gemeinschaft zu überwachen und bei Bedarf Ermittlungen durchführen. Ein Aktivist sagt: «Wir haben Daten, Fotos und Videos von Dutzenden Pro-Regime-Leuten in allen Kantonen. Wir möchten dieses Material der Polizei und dem Bund übergeben.»
(https://magazin.nzz.ch/nzz-am-sonntag/schweiz/spannungen-zwischen-eritreern-nehmen-zu-fedpol-warnt-ld.1755322)



NZZ am Sonntag 10.09.2023

Eritrea – eine Diktatur der Gerüchte

Die «NZZ am Sonntag» hat den angeblich verschwundenen und untergetauchten eritreischen Botschafter in Genf aufgespürt. Die Intransparenz und die dubiose Informationspolitik des Regimes führen immer wieder zu Falschmeldungen und Gerüchten.

Georg Humbel

Und plötzlich steht er da. Adem Osman, Botschafter von Eritrea in Genf. Tagelang fehlte vom Diplomaten jede Spur, sein Verschwinden beschäftigte die Medien im ganzen Land. Doch an diesem prächtigen Freitagnachmittag ist von der Aufregung wenig zu spüren. Osman schlendert entspannt durch das Paquis-Quartier Richtung Genfersee. Auf Zuruf des Journalisten stoppt der Mann, grüsst mit festem Händedruck und stellt sich vor, als «chargé d’affaires» des Staates Eritrea.

Wie kann das sein? Verschiedene Zeitungen haben diese Woche berichtet, Adem Osman habe die Botschaft verlassen und sei verschwunden. Als erstes hatte ein eritreisches Exil-Radio diese Nachricht verbreitet. Adem Osman ist ein international bekanntes Aushängeschild des Regimes in Asmara. Er ist mehrmals vor der Uno aufgetreten. Umso spektakulärer die Meldung, er habe quasi desertiert. Die Nachricht verbreitete sich in der eritreischen Exilgemeinde wie ein Lauffeuer. Sofort sprangen Blogger und später auch Schweizer Medien auf und verbreiteten die News.

    Adem Osman has disappeared! Eritrean ambassador is said to have applied for asylum in Switzerland https://t.co/yMc1TpJHuv
    — Martin Plaut (@martinplaut) September 7, 2023

Unter den Eritreern machten sofort wilde Geschichten die Runde: Osman habe einen gutbezahlten Job bei der Uno angenommen, lautete eine Version. Ganz falsch, meinten andere: Er habe ein Asylgesuch gestellt und lebe nun anonym in einem Flüchtlingsheim im Tessin. Oder eine dritte Version: Osman habe sich mit dem Regime überworfen. Er habe untertauchen müssen und sei in panischer Angst auf der Flucht.

Osman ist weiterhin Botschafter

Das ist er ganz offensichtlich nicht. Er steht am Freitagmittag im Genfer Paquis-Quartier auf dem Trottoir und redet entspannt mit dem Reporter dieser Zeitung. «Ich bin weiterhin auf der Botschaft tätig», sagt Osman. Es habe sich nichts geändert, alles sei normal, betont der eritreische Diplomat. Für ein Selfie reicht die Zeit nicht, Osman verabschiedet sich freundlich und spaziert mit seinem Begleiter weiter Richtung Genfersee.

Es ist nicht das erste Mal, dass es rund um die eritreische Botschaft in Genf Gerüchte gibt. Was genau passiert an der Rue de Lausanne? Treibt die Botschaft Gelder ein? Spioniert sie die Diaspora in der Schweiz aus? Immer wieder ploppen solche Fragen auf. Dass sie unbeantwortet bleiben, liegt an der eritreischen Informationspolitik.

Die Botschaft spricht kaum mit Schweizer Medien. Telefonanrufe sind sinnlos, sie führen immer ins Leere. Nachfragen per Mail bleiben unbeantwortet. Damit steht die Botschaft in bester Tradition des Regimes in Asmara. Das staatliche Handeln im ostafrikanischen Land ist maximal intransparent. Es gibt keine gültige Verfassung. Es gibt zwar geschriebene Gesetze – doch diese gelten nur bedingt. Genauso wichtig sind ungeschriebene Vorgaben. Es herrscht ein Dauerzustand der Unsicherheit.

Die Politologin Mirjam van Reisen forscht an der niederländischen Universität Tilburg zum Thema Eritrea. Sie gilt als eine der besten Kennerinnen des Landes. Sie sagt: «In Eritrea gibt es immer extrem viele Gerüchte. Niemand weiss etwas Gesichertes, und deshalb sind alle am Spekulieren.» Das sei typisch für eine intransparente Diktatur. Angeheizt werde das Ganze dadurch, dass Eritrea eine stark oral geprägte Gesellschaft sei und es eine Tradition des Kaffeetrinkens und Redens gebe. Das führe dazu, dass sich Gerüchte extrem rasch verbreiteten. So seien zum Beispiel dauernd Gerüchte über den Gesundheitszustand des Alleinherrschers Afewerki im Umlauf. Mal sei er todkrank und dem Sterbebett nahe, dann wieder bei bester Gesundheit.

Desinformation als Strategie

Van Reisen geht aber noch einen Schritt weiter. «Das Regime setzt bewusst auf eine Strategie der Desinformation», sagt die Professorin. Die Regierung arbeite daran, einen «Graubereich» zu konstruieren. Es sei durchaus im Interesse des Regimes, dass unklar bleibe, was wahr und was falsch sei. «Auch Gerüchte und Falschmeldungen haben einen Einfluss, wenn sie lange genug verbreitet werden», so van Reisen.

Dieser Graubereich umgibt Eritrea als Ganzes. Seitdem die Flüchtlingszahlen aus dem ostafrikanischen Land 2006 in die Höhe geschossen sind, rätselt Bundesbern darüber, wie schlimm die Situation im Land wirklich ist. Geflüchtete beschreiben das Land als Hölle auf Erden. Als eine Art «Nordkorea Afrikas». Bürgerliche Asylpolitiker vermuten seit längerem, dass die Lage im Land gar nicht so schlecht sei.

Was stimmt? Wie immer im Fall von Eritrea ist das nur schwer herauszufinden. Das Land ist abgeschottet, und es dringen kaum verlässliche Informationen nach draussen – dafür umso mehr Gerüchte.
(https://magazin.nzz.ch/nzz-am-sonntag/schweiz/eritrea-eine-diktatur-der-geruechte-ld.1755393)



nzz.ch 09.09.2023

Die Geldeintreiber des Diktators – wie Gelder aus der Schweiz zum eritreischen Regime geschleust werden

Der Langzeitherrscher Afewerki finanziert sich über Gelder aus dem Ausland. Der lange Arm des Regimes reicht bis zu Ladenbesitzern in Zürich.

Tobias Marti, Fabian Baumgartner (Text) Anja Lemcke (Illustration)

Habteab Yemane hat Angst vor der eritreischen Regierung, obwohl er seine Heimat vor sieben Jahren verlassen hat. Der ehemalige Richter, der als anerkannter Flüchtling in der Schweiz lebt, sagt: «Ich lebe in Unsicherheit. Bekannte Oppositionelle wie ich müssen auch in der Schweiz um ihr Leben fürchten.»

Die Männer, vor denen sich Yemane fürchtet, haben viele Namen. «Vierte Front» nennen sie sich, oder auch «Eri Blood». Es sind paramilitärische Schlägertrupps, viele davon trainiert und ausgebildet in der Heimat am Horn von Afrika. Sie sind militärisch organisiert, verfügen über eine zentrale Kommandostruktur und sollen auch in Europa gezielt Angst und Schrecken unter Oppositionellen verbreiten.

Überall dort, wo Exil-Eritreer leben, wie die Ausschreitungen in Stockholm, Giessen oder Tel Aviv zeigen.

Auch an der Massenschlägerei im Glattpark in Opfikon am vergangenen Wochenende sollen Mitglieder von Diktator Isaias Afewerkis Schlägertrupps beteiligt gewesen sein. Mehrere hundert Personen gingen dabei aufeinander los. Mit Fäusten und Stöcken, wie im Internet kursierende Videos zeigen.

Zu Gewalttaten zwischen Eritreern kam es zwar schon in der Vergangenheit. Aber dieses Mal waren die Krawalle grösser und sichtbarer als sonst.

Die Kantonspolizei musste mit einem Grossaufgebot die verfeindeten Gruppen voneinander trennen. Erst nach zwei Stunden beruhigte sich die Lage, insgesamt zwölf Personen wurden laut Polizeiangaben bei der Schlägerei verletzt.

Ein Anwesender erzählt, zwar seien die Schläger des Regimes nicht offen als «Eri Blood»-Mitglieder aufgetreten. «Aber sie waren sehr organisiert, hatten sich versteckt und waren bewaffnet.» Für einen Hinterhalt spreche ausserdem, dass die Regimeanhänger ohne Familien angereist seien, anders als sonst üblich an Kulturfestivals.

Inzwischen ermittelt die Zürcher Staatsanwaltschaft in dem Fall. Gegen fünfzehn an den Ausschreitungen beteiligte Personen hat sie ein Verfahren eröffnet – wegen Raufhandels und Landfriedensbruchs. Zudem würden in jedem Einzelfall weitere Straftatbestände geprüft, schreibt die Oberstaatsanwaltschaft auf Anfrage. Weitere Angaben will sie derzeit nicht machen.

Das Regime in Asmara erklärte in einer am Dienstag verbreiteten Botschaft, schuld an den Zusammenstössen seien fremde Mächte. Die Gewalt werde «im Wesentlichen von grossen Geheimdiensten» finanziert. Belege für die Behauptung lieferte das eritreische Informationsministerium nicht.

Ein Verdacht hält sich hartnäckig

Auslöser für den Gewaltausbruch in Opfikon war ein im Kanton St. Gallen geplantes Festival. Anhänger Afewerkis wollten dort an den Unabhängigkeitskrieg gegen Äthiopien erinnern, der am 1. September 1961 begann. Das geplante Fest zum Jahrestag mussten die Veranstalter allerdings absagen, nachdem mehrere hundert Oppositionelle angekündigt hatten, den Anlass zu stören. Schliesslich trafen die Gruppen in Opfikon aufeinander.

Die Vorgänge in Opfikon sind Ausdruck der tiefen Spaltung der eritreischen Diaspora: in jene, die Afewerkis Regime unterstützen, und jene, die es verabscheuen. Für die einen ist der Langzeitherrscher ein Freiheitsheld, für die anderen ein despotischer Unterdrücker.

Es geht in dem Konflikt aber auch um Geld. Geld, ohne das die Regierung in Eritrea nicht überleben würde. Es ist Geld, das das Regime von Exil-Eritreern eintreibt, mit Abgaben, Spenden und einer Zwei-Prozent-Steuer auf Einkommen. Schon lange steht dabei auch ein Verdacht im Raum: dass die Gelder unter Zwang erhoben werden.

Die Fäden in der Schweiz, sagen Regimekritiker, liefen bei der eritreischen Botschaft in Genf zusammen. Sie ist Herrin über ein eng gespanntes und gut organisiertes Netzwerk aus Regimeanhängern, das die über 30 000 Exil-Eritreer unter Kontrolle halten soll.

Eine Spur führt dabei zu einem Geschäft mitten in der Stadt Zürich.

Shop-Besitzer und glühender Anhänger des Diktators

Im unauffälligen Laden dudelt Singsang, neben Perücken für Damen und Ledersandalen für Herren finden sich in den Regalen Hirsemehlsäcke für die ganze Familie und Kaugummis mit Bananengeschmack, im Kühlregal wird Asmara-Bier angeboten. «Halal! Halal!», so preist der Mann hinter der Fleischtheke seine Lammchops an.

Der Besitzer des Ladens bietet Geldtransfers an Angehörige in Eritrea an. Bloss: Er ist auch glühender Anhänger des Diktators Isaias Afewerki. Auf Facebook postet der Mann, dessen Unternehmen laut Handelsregister Warenhandel, Geldtransfers sowie Aktivitäten im Sicherheits- und im Tourismusbereich betreibt, eifrig Propaganda für das Regime am Horn von Afrika.

Angepriesen wird in den Posts nicht nur der Kampf des eritreischen Militärs. Es finden sich auch Videos von Awel Said. Der Dichter und Propagandist zeigt sich gerne zusammen mit dem Staatsoberhaupt Afewerki. In seinen Reden wettert er gegen die Gegner Afewerkis, gegen den Westen, gegen die USA und das Volk der Tigray.

Der Laden in Zürich ist nicht der einzige: Ähnliche Shops finden sich in der ganzen Schweiz, unter anderem in Bern oder Genf. Am Ende des Monats, wenn Zahltag war oder die Sozialhilfe ausbezahlt wurde, bilden sich laut Angaben von Dissidenten lange Schlangen vor den Geschäften. Die Shops haben alle etwas gemeinsam: Sie sind meist der einzige Zugang für Transaktionen in die Heimat. Und die Inhaber brauchen das Einverständnis der eritreischen Regierung für ihre Tätigkeit. Regimetreue ist Pflicht.

Aussagen aus Schweizer Ermittlerkreisen, der eritreischen Gemeinschaft und von Experten zeigen, wie das System funktioniert. Und wie wichtig es ist. Habteab Yemane formuliert es so: «Ohne diese Gelder würde das Regime zusammenbrechen.»

Devisen und Kontrolle

Laut Angaben von Oppositionellen koordiniert ein Agent des Wirtschaftsflügels der eritreischen Einheitspartei, offiziell geführt als Public-Affairs-Attaché, die Shops von Genf aus. Von Wucher zu reden, wäre bei den aufgezwungenen Wechselkursen noch untertrieben: Zwei Drittel des überwiesenen Geldes soll das Regime demnach für sich behalten, ein Drittel erhält der eigentliche Empfänger. Von 300 Franken für die kranke Mutter in Asmara erhält diese am Ende also nur 100.

Der Berner Flüchtlingshelfer Jürg Schneider, der sich seit langem mit Eritrea beschäftigt, sagt: «Sobald sich irgendeine Möglichkeit bietet, werden Exil-Eritreer erpresst. Und eine solche Möglichkeit bietet sich immer.»

Geld wird laut Schneider abgepresst, wenn jemand einen Pass aus der Heimat braucht, weil er reisen, heiraten oder seine Familienmitglieder zu sich holen möchte. Aber auch dann, wenn jemand der kranken Mutter in der Heimat Geld schicken möchte oder für den betagten Vater Behördengänge übernehme.

«All dies lässt sich nur regeln, wenn man dem Regime jedes Jahr die Zwei-Prozent-Steuer bezahlt, auch wenn man es hasst», sagt Schneider. Wer nicht bezahle, müsse um die Sicherheit der Verwandten in der Heimat fürchten. Die Steuer lohne sich für Asmara doppelt. Sie bringe Devisen und diene als Loyalitätskontrolle.

Auch wenn eritreische Asylbewerber in der Schweiz ein Härtefallgesuch stellen, müssen sie für die Prüfung ihrer Identität in der Botschaft des Regimes erscheinen. Mit dieser Pflicht spielten die Schweizer Behörden dem Regime in die Hände, kritisiert Schneider.

Versteckt hat das Regime die Erhebung lange nicht. Bis Anfang 2015 war es gar möglich, die Diaspora-Steuer über das eritreische Konsulat in Genf auf ein Konto bei der UBS einzuzahlen. Inzwischen erfolgt der Geldtransfer aber nicht mehr über diesen Kanal. Es gibt stattdessen zwei Wege: über arabische Hawala-Händler oder über tamilische Geldkuriere. Über sie gelangt das Geld nach Dubai. Dort wandern die Devisen zu regimetreuen eritreischen Händlern. Diese wiederum tauschen das Geld in Waren um, die sie anschliessend nach Eritrea importieren.

Das Geld aus dem Verkauf der Waren landet schliesslich bei den Familienangehörigen. Allerdings muss, wer die Dienstleistungen in Anspruch nimmt, eine Abgabe leisten, die mutmasslich wieder beim eritreischen Staat landet.

Auch mit den regelmässig stattfindenden «Kulturfestivals» sammelt das Regime fleissig Devisen ein, etwa durch Spenden für seine «Märtyrer». Längst sind an den Festivals nicht nur stramme Regimeanhänger zugegen. Es gebe auch viele Exil-Eritreerinnen und Exil-Eritreer, die bloss dorthin gingen, um sich mit anderen auszutauschen. Andere erhofften sich, auf die Art einfacher den Angehörigen in der Heimat helfen zu können.

Besucher würden aber auch durch Drohungen zur Teilnahme gezwungen. Dazu komme der Gruppendruck, doch auch einmal vorbeizukommen. An den Festivals selber werde dann in gewohnter Manier Druck aufgebaut, berichten Oppositionelle.

Lukrativ scheinen die Partys zu sein, wenn man den Aufwand betrachtet, der für derlei Feste betrieben wird. Vergangenes Wochenende wurden Lokalitäten in drei verschiedenen Kantonen gemietet: in Neuenburg, im bernischen Rüfenacht und im sankt-gallischen Oberuzwil.

Verdächtige Geldflüsse, versandete Ermittlungen

An dem System beissen sich die Ermittler seit Jahren die Zähne aus. Es gibt zwar dubiose Zahlungen und verdächtige Finanzströme, doch illegale Handlungen konnten die Behörden bisher nie nachweisen.

Im September 2015 reicht die Bundeskriminalpolizei wegen der Diaspora-Steuer eine Strafanzeige ein. Der Verdacht: verbotene Handlungen für einen fremden Staat. Doch schon zwei Monate später schliesst die Bundesanwaltschaft die Akte wieder.

In ihrer Nichtanhandnahmeverfügung hält die Bundesanwaltschaft im November 2015 fest, es gebe keine konkreten Anhaltspunkte für eine Steuereintreibung in der Schweiz, weder durch Regierungsvertreter noch durch den Honorarkonsul in Genf. Einen Hinweis auf Zwang findet der Staatsanwalt des Bundes ebenfalls nicht.

Aufmerksam auf die Geldströme sind auch die Strafverfolger in Zürich und in Genf geworden, doch den Nachweis, dass Gelder aus Zwang oder krimineller Herkunft stammten, können auch sie nicht erbringen. Denn die Ermittler haben ein Problem: Sie brauchen Zeugen. Doch diese schweigen aus Angst vor dem Regime.

Habteab Yemane und seine Mitstreiter wollen das ändern. Man habe mittlerweile Zeugen, die aussagen wollten, sagt er. Auch in Bern sind die Oppositionellen vorstellig geworden, um für eine Untersuchungskommission zu werben. «Ohne Hilfe der Schweizer Politik fühlen wir uns auch hier verfolgt wie in Eritrea», sagt Yemane.

Wo ist der Botschafter?

Nach der Schlägerei im Glattpark überschlagen sich die Ereignisse. Adem Osman, der eritreische Botschafter in der Schweiz, soll untergetaucht sein, wie die Zeitungen von CH Media vermelden. Der Mann, der noch im vergangenen Jahr an einem Festival im Wallis fleissig die Werbetrommel für das Regime rührte, soll internen Machtkämpfen zum Opfer gefallen sein.

Von Geldern, die in der Botschaft versteckt wurden, ist die Rede und davon, dass der Diplomat nach Asmara zurückbeordert worden sei. Deshalb befinde sich der Mann auf der Flucht, gesucht von Regime wie Regimegegnern.

Bundesbern hat von den Eritreern bisher noch keine Meldung über einen Postenwechsel in Genf erhalten, wie das Aussendepartement mitteilt. Die Frage, ob Osman für sich und seine Familie in der Schweiz Asyl beantragt habe, lassen die Schweizer Behörden aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes unbeantwortet.

Klarheit könnte die eritreische Botschaft schaffen. Doch sie schweigt.
(https://www.nzz.ch/zuerich/eritrea-der-arm-von-diktator-afewerki-reicht-bis-nach-zuerich-ld.1755158)


+++MITTELMEER
Flucht über das Mittelmeer: „Ocean Viking“ rettet 68 Migranten
Das Schiff der Hilfsorganisation SOS Méditerranée rettet 68 Migranten. Seit Jahresanfang sind mehr als 2.000 Menschen auf dem Mittelmeer gestorben.
https://taz.de/Flucht-ueber-das-Mittelmeer/!5959128/


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Retour d’expérience autour du livre « Comment la police interroge et comment s’en défendre »
En juillet 2022, nous avons auto-édité 2 000 exemplaires du livre « Comment la police interroge et comment s’en défendre » en français. Un an plus tard, notre stock est presque vide et nous arrêtons donc les envois, tout en réfléchissant à une ré-impression. À cette occasion, nous avons souhaité revenir sur l’expérience qu’a été ce projet et transmettre nos réflexions à d’autres.
https://renverse.co/analyses/article/retour-d-experience-autour-du-livre-comment-la-police-interroge-et-comment-s-en-4134


+++FRAUEN/QUEER
Trans Frau Heidi Brenner lebte 68 Jahre als Mann: «Für mich ist es das Wichtigste, endlich zu mir zu stehen»
Heidi Brenner gibt es offiziell seit Februar 2023. Sie ist 68 Jahre alt. Hier erzählt die trans Frau über ihr früheres Leben als Mann, ihr Coming-out, neue Freundschaften und ihren Wunsch, anderen Mut zu machen.
https://www.blick.ch/gesellschaft/trans-frau-heidi-brenner-lebte-68-jahre-als-mann-fuer-mich-ist-es-das-wichtigste-endlich-zu-mir-zu-stehen-id18923943.html