Themen
Was ist neu?
Zypern: Gewaltvolle Hetze gegen Migrant*innen
Zypern erlebte am letzten Wochenende einen massiven Ausbruch an rassistischer Gewalt: Hunderte Neonazis griffen migrantische Personen an und zerstörten deren Geschäfte. Die Medien verfehlten dabei einmal mehr, die Ursache zu benennen: Rassismus.
Ausgelöst seien die rassistischen Angriffe von der Räumung eines Squats, bzw. eines verlassenen Gebäudekomplexes im Dorf Chloraka, in dem migrantische Personen untergekommen sind. Nach der Räumung durch die Polizei seien die Bewohnenden von Zyprer:innen angegriffen worden. Am vergangenen Freitag (1. September) versammelten sich dann bis zu 500 Neonazis und griffen migrantische Menschen und deren Geschäfte an.
In ihrer Berichterstattung zeichneten die Medien das Bild eines Krieges: Sie betonten die «pogromartigen Zuständen» und sprachen von «Schlachtfeldern». Und während die rassistisch motivierten Angriffe in Zypern selbstverständlich massiv und äusserst brutal waren, darf trotzdem nicht vergessen werden, dass sie Resultat einer rassistischen Kontinuität sind. Zu Angriffen gegen migrantische Menschen kommt es auf der Insel immer wieder: In den vergangenen 16 Jahren seien 413 rassistische Angriffe vor Gericht gebracht worden, berichtet die zypriotische Tageszeitung «Politis». Rassistishe Politiker*innen, einen rassistischen Diskurs, eine rassistische Gesellschaft schaffen den Boden für diese massive Gewalt. Gleichzeitig wird in praktisch jedem Artikel über die rassistischen Angriffe in Zypern über die hohe Anzahl an Asylanträge in Zypern berichtet – als könnte hier einen Zusammenhang festgestellt werden, ohne über Rassismus zu reden.
Als Reaktion auf die rassistischen Angriffe fand am Samstagabend eine Demonstration gegen Rassismus und Faschismus statt.
https://www.watson.ch/international/gesellschaft%20&%20politik/650327378-rechte-gewalt-in-zypern-die-hintergruende-der-eskalation?utm_source=twitter&utm_medium=social-auto&utm_campaign=auto-share
https://www.deutschlandfunk.de/demonstration-gegen-rassismus-nach-angriffen-auf-migranten-100.html
Was geht ab beim Staat?
Ausschaffungsdialog der Schweiz mit Marokko
Nach einem erneuten Migrationsdialog Anfang September könnte die Schweiz zusammen mit Marokko den Weg zu einer noch konsequenteren und unmenschlicheren Ausschaffungspolitik ebnen.
Die Schweiz und Marokko haben am Dienstag, 5. September, in Rabat einen Migrationsdialog eingeleitet. Die beiden Staaten möchten hiermit die «gute bilaterale Zusammenarbeit im Migrationsberreich weiter ausbauen und vertiefen». Staatssekretärin Christine Schraner Burgener und Khalid Zerouali, Direktor für Migration und Grenzüberwachung von Marokko, haben in Rabat die ‚Ständige gemischte Arbeitsgruppe für Migrationsfragen‘ (Groupe permanent migratoire mixte, GPMM) ins Leben gerufen. In der Mitteilung schreibt das SEM, dass sich künftig die Schweiz und Marokko im Rahmen eines umfassenden Dialogs regelmässig zu verschiedenen migrationsspezifischen Themen austauschen werden. Schwerpunktthemen seien die Prävention ‚irregulärer Migration‘, die ‚Rückkehr und Reintegration‘, die Bekämpfung des Menschenhandels, die reguläre Migration sowie die Stärkung der sozialen und beruflichen Perspektiven vor Ort.
Die Schweiz möchte die Zusammenarbeit nicht etwa stärken, um sichere Fluchtwege zu schaffen und den Menschen eine würdige Perspektive zu bieten. Vielmehr soll der Weg bereitet werden, um Migration künftig noch stärker zu bekämpfen und Ausschaffungen nach Marokko zu vereinfachen. Bisher waren Ausschaffungen aus der Schweiz nach Marokko noch nicht so häufig, wie beispielsweise nach Algerien. Wie lange dies noch so bleiben wird, wird mit diesem Migrationsdialog in Frage gestellt.
Solche Dialoge zwischen Regierungen von Staaten und Staatenbündnissen sind ein wichtiger Teil der europäischen Abschottungs- und Ausschaffungspolitik. Auch die EU hält mit Marokko, wie auch mit anderen Staaten regelmässig solche Dialoge ab. Aus diesen Treffen entstehen Instrumente wie der European Trust Fund (EUTF), mit dem die EU zwischen 2015 und 2021 den marokkanischen Staat mit rund 234 Millionen Euro unterstützt hat. Gestärkt wurden dadurch «die integrierte Grenzverwaltung und Bekämpfung von Schmuggel und Menschenhandel, Schutz und Stabilisierung von Gemeinschaften, Unterstützung der Arbeitsmigration und einer verbesserten Migrationssteuerung und Unterstützung der freiwilligen Rückkehr.» Die Erfolge dieses EUTF preist die EU auch gross an. Von 2017-2022 konnten 2,908 «freiwillige Rückführungen» nach Marokko unterstützt werden.
Auch das SEM kündigte in ihrer Mitteilung eine ähnliche Stossrichtung an. «Der in der GPMM geführte Dialog dürfte eine sichere und geregelte Migration unterstützen und dazu beitragen, die Zahl der ausreisepflichtigen Personen in der Schweiz weiter zu reduzieren.»
https://www.focus.de/politik/ultrarechts-ist-fuer-immer-mehr-europaeer-das-neue-normal_id_198800481.html
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-97621.html
https://neighbourhood-enlargement.ec.europa.eu/system/files/2023-03/EU_support_migration_morocco.pdf
Was ist aufgefallen?
Ultrarechte: Gekommen, um zu bleiben
Im Oktober stehen in der Schweiz Parlamentswahlen an und einmal mehr stehen die Chancen der Schweizerischen Volkspartei (SVP) sehr gut. Damit ist die SVP leider keine Ausnahme. Sie entwickelt sich somit ähnlich wie andere ultrarechte Parteien. Europaweit machen sie sich im Zentrum der Macht bequem.
Die Ultrarechten sind je nach Land zwar ungleich stark, doch nirgends in Europa gibt es sie nicht. In der Schweiz heissen SVP, in Polen PiS, in Frankreich Rassemblement National, in Österreich FPÖ, in Ungarn Fidesz, in Italien Fratelli d’Italia, in Deutschland AfD, in Spanien Vox, in Schweden Schwedendemokraten, in Griechenland Nea Dimokratia (ND).
Ohne wirklich faschistische Parteien zu sein, haben sie auf die Dominanzgesellschaft eine stark faschistisierende Wirkung. Ihr Diskurs enthemmt den autoritären Charakter und fördert in vielen Menschen eine menschenverachtende Seite. Dank der Ultrarechten haben es zudem auch die Kräfte rechts von ihnen leichter. Militante Faschos, Neonazis bis hin zu Staatsverweiger*innen surfen erfolgreich auf deren Welle. Trotzdem grenzt sich die Ultrarechte bisher aktiv vom (historischen) Faschismus ab. Zudem verzichtet sie (bisher) darauf, aus entfesselter Gewalt einen Fetisch und ein Prinzip gesellschaftlicher Ordnung zu machen. So lässt die SVP beispielweise (bisher) ihre Gegner*innen nicht umbringen.
Die Gewalt, die die Ultrarechten suchen, ist jene des Staates. Eine strukturelle Gewalt, die in der Dominanzgesellschaft keine grösseren Skandale auslöst, da sie vom sogenannten Rechtsstaat ausgeübt wird. Entsprechend zündet die SVP keine Asylcamps an, sondern lässt unterirdische isolierte Asylbunker in Betrieb nehmen, um systematischer abzuschieben und gleichzeitig linke Anwält*innen feststellen zu lassen, dass alles rechtsstaatlich abläuft.
So zerren die Ultrarechten den demokratisch-rechtsstaatlichen Rahmen immer mehr nach rechts. Das Unsagbare wird plötzlich sagbar, das Verteufelte plötzlich wählbar und das Unvorstellbare plötzlich entschieden. Nicht nur im Migrations- und Asylbereich sondern allgemein wird so der Rechtsstaat und seine Institutionen ausgehölt. Diese Machtstrategie geht bisher auf. Wohl deshalb verlassen die Ultrarechten den Rahmen der bürgerlichen Demokratie bisher nicht in Richtung Diktatur. Sogar Orban, der einiges von einem Diktator hat, lässt sich wählen und schafft die Gerichte nicht ab.
Eine wichtige Ursache für den Erfolg der Ultrarechten sind die anderen. Zum Einen die anderen rechten Parteien, die sich immer mehr anpassen und als schlechte Kopien des Originals bei den Wahlen stagnieren oder gar verlieren. Zum Anderen zählt in der Schweiz auch die institutionelle Linke zu diesen „Anderen“, die der Ultrarechten zu Aufwind verhilft. Statt grundsätzlich mit mit der Ultrarechten zu brechen und um Raum und Praxis für eine alternative, soziale, globale Perspektive zu schaffen, regiert die institutionelle Linke seit Jahren kollegial Seite an Seite mit den Ultrarechten.
Die Ultrarechten sind längst im Zentrum der Macht angelangt und haben eine Stellung der kulturellen Hegemonie (s. Glossar) erlangt. Im Parlament, in den Medien oder beim Feierabendgetränk kommen kaum Diskussion darum herum, einen Bezug zu ultrarechten Kernthemen aufzubauen: ausgeprägter Nationalismus, rhetorische EU-Skepsis, konservative und anti-woke Werte,Verurteilung von Migration, Kritik des Multikulturalismus einer offenen Gesellschaft oder populistischer Antiintellektualismus. All diese Punkte sind omnipräsent, während Umverteilung, soziale Sicherheit, Gleichheit, Solidarität, Befreiung, Kollektivität ins Reich der Utopien versandt wurden.
Trotz iher Macht gelingt es den Ultrarechten nach wie vor, von vielen als die Stimme wahrgenommen zu werden, die gegen das vermeintlich linke Establishment antritt. Genau als diese Rebellin wird die SVP gewählt. Sie ist die Partei jener, die vom Fernsehsessel aus der Gesellschaft den Stinkefinger hinstrecken wollen.
Der Grund warum, die Ultrarechte auf europäischer Ebene weniger Macht hat als auf nationaler, liegt daran, dass sich die Parteien bisher in wirtschaftspolitischen Fragen – Neoliberalismus oder Protektionismus? – oder hinsichtlich Fragen der internationalen Staatenordnung – pro oder kontra EU, pro oder kontra Putin – nicht einig wurden. Wenn es den Ultrarechten jedoch gelingen sollte, sich stärker zu einen und die „anderen“ weiterhin in Geiselhaft zu nehmen, dann hätten sie nicht nur eine diskursive sondern eine allgemeine Übermacht.
https://blogs.mediapart.fr/heimbergch/blog/110823/en-suisse-comment-l-udc-est-desormais-un-parti-d-extreme-droite
https://legrandcontinent.eu/fr/2022/06/14/extreme-droite-2-0-de-la-normalisation-a-la-lutte-pour-lhegemonie/
Wo gabs Widerstand?
enough. – Aktionstage zu Migrationskämpfen und antirassistischem Widerstand
In der Woche vom 4. bis 9. September fanden in Zürich die Aktionstage enough. auf dem Park Platz und in der Autonomen Schule (ASZ) statt. Unter dem Überthema ‚Racist State Violence and Resistance against it‘ gab es Workshops, Inputs und Panels von und mit verschiedenen aktivistischen Gruppierungen, wie z.B. Women in Exile, Justice4Nzoy, Border Forensics oder #StopDublinCroatie.
Es ging um die Verbindungen von Kapitalismus, Ausbeutung und Rassismus, um möglichen Widerstand gegen Ausschaffungen, um praktische Solidarität, um Erinnerungskultur und selbstorganisierte Aufklärungsarbeit, um das Erforschen von Grenzgewalt und widerständige Perspektiven auf Krieg.
Es gab zudem viele Infostände und Möglichkeit zu Vernetzung, Austausch und Diskussion. Wie das enough. selber auf ihrer Homepage schreibt: „Wir schaffen Raum, um antirassistische Initiativen und den Widerstand gegen das Migrationsregime sichtbar zu machen.“
https://aktionstage-enough.ch/de
Swiss Life als Komplizin der SVP markiert
In der Swiss Life Arena fand am 26.08.2023 eine Wahlveranstaltung der SVP als Auftakt zu den diesjährigen Wahlen statt. Eine Gruppe hat dies nicht hingenommen und mit einer direkten Aktion reagiert und einen Swiss Life Standort im Seefeld in Zürich mit Farbe markiert.
Die Gruppe weist zudem darauf hin, dass in der Person von Rolf Dörig eine zweite Verbindung zwischen der Swiss Life und SVP besteht: „Rolf Dörig sitzt sowohl bei der Swiss Life wie auch beim Eishockeyclub der Stadt Zürich im Verwaltungsrat, bei Swiss Life hat er zusätzlich die Rolle des Verwaltungspräsidents“. Gleichzeitig sei Dörig „Mitglied der «Stiftung für bürgerliche Politik», welche als Zweck die finanzielle Unterstützung der SVP verfolgt. Seit 2022 ist er Mitglied der SVP Ortspartei in Küsnacht.
https://barrikade.info/article/6091
Was steht an?
Save the date: Heraus zum antifaschistischen Abendspaziergang am 28. 10. 2023!
https://anarchistisch.ch/Veranstaltung/antifaschistischer-abendspaziergang-2/
Lesens -/Hörens -/Sehenswert
EU-Urteil zu illegaler Abschiebung: Frontex muss nicht zahlen
Das Europäische Gericht lehnt die Klage einer syrischen Familie ab. Sie war unter Frontex-Beteiligung illegal aus Griechenland abgeschoben worden.
https://www.prakkendoliveira.nl/en/news/2023/judgment-in-court-case-against-eu-agency-frontex-about-illegal-pushbacks
Rassismus im Bildungssystem: Bildungsgerechtigkeit – von Repräsentation und Teilhabe
Seit einigen Jahren häufen sich die Meldungen von rassistischen Vorfällen im Bildungsbereich. Fundierte Studien mit rassismusrelevanten Daten dazu fehlen jedoch und die Erfahrungen von Betroffenen werden in der Schweiz (noch) nicht systematisch erhoben. In diesem Beitrag wird den Fragen nachgegangen, was genau das Etablieren einer rassismuskritischen Schulkultur bedeutet und was es für einen gerechteren Zugang im Schweizer Bildungssystem braucht.
https://www.humanrights.ch/de/news/rassismus-bildungssystem-bildungsgerechtigkeit-repraesentation-teilhabe
Rechte esotherische Szene in der Ostschweiz
Warum das rechtsextreme Milieu auf Familienlandsitzen und in esoterischen Aussteigerkommunen bestens gedeiht, welche Gefahr davon ausgeht und was linksalternative Kreise damit zu tun haben.
https://www.saiten.ch/heil-der-kommune/
Hintergrundbroschüre: https://www.saiten.ch/rechtsesoterik/