Medienspiegel 8. September 2023

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+++BERN
ajour.ch 08.09.2023

Seeland sucht Platz für Flüchtlinge: «Wer Wohnraum zur Verfügung stellen kann, soll sich melden»

Noch bis Ende Monat haben Biel und andere Seeländer Orte Zeit, um Plätze für Flüchtlinge zu suchen: Viele schlagen ihre Zivilschutzanlage vor – das ist für den Kanton nur eine Notlösung.

Deborah Balmer

Zurzeit sucht eine hohe Zahl an Flüchtlingen die Schweiz und den Kanton Bern auf. 120 seien es laut Kanton jede Woche und man erwarte laufend mehr.

Bei der Unterbringung dieser Flüchtlinge ist die Region Biel und Seeland besonders gefragt, denn bisher stellte diese Gegend im Vergleich zu anderen Regionen im Kanton Bern weniger Plätze für Flüchtlinge zur Verfügung.

Bis Ende September haben die Gemeinden Zeit, mögliche Unterbringungsplätze zu melden. Die Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion (GSI) vom Kanton hat Anfang August die Regierungsstatthalter beauftragt, in den Gemeinden nach Unterkünften zu suchen. Total sind 1200 Plätze gesucht.

Wie weit sind die Gemeinden mit der Suche nach geeigneten Unterkünften? In der Stadt Biel heisst es, man sei im Gespräch mit dem Regierungsstatthalteramt. Es würden jedoch noch keine Entscheide vorliegen, die kommuniziert werden könnten. Die stellvertretende Generalsekretärin Babette Neukirchen der Bieler Sicherheitsdirektion sagt aber, dass der Gemeinderat dem Kanton bereits einen Vorschlag für eine mögliche Kollektivunterkunft unterbreitet habe. Wo, sagt sie nicht.

Derzeit gibt es in Biel kein Asylzentrum mehr. In der Vergangenheit wurden in der Stadt jedoch sowohl Kollektivunterkünfte für Asylsuchende und anerkannte Flüchtlinge als auch ein Rückkehrzentrum betrieben.

«In Biel ist der Anteil an Flüchtlingen und Migrantinnen und Migranten im Vergleich zu anderen Gemeinden hoch. Bei der Eröffnung von Kollektivunterkünften sollte deshalb nicht nur die absolute Bevölkerungszahl berücksichtigt werden, sondern auch, wie stark eine Gemeinde bereits belastet ist», sagt Neukirchen.

Bis zu 120 Flüchtlinge pro Woche

Auch in der Agglomeration hat man bereits Abklärungen getroffen. In Brügg sagt der Leiter der sozialen Dienste, Nicolas Möckli: «Wir prüfen zurzeit kurzfristig verfügbare Objekte aller Art, dabei handelt es sich um ober- oder unterirdische Anlagen, um Zimmer oder auch Hallen.»

Die meisten Flüchtenden stammen aus der Türkei, Syrien, Afghanistan und Eritrea. Die Zahl der Ukrainerinnen und Ukrainer, die vor dem russischen Angriffskrieg flüchten, hat aktuell wieder abgenommen. Diese Zahl ist allerdings schwankend und lässt sich nur schwer voraussagen.

Noch vor wenigen Wochen machten die Ukrainer den grössten Teil der Flüchtlinge aus, die im Kanton Bern ankamen, wie Gundekar Giebel vom GSI sagt.

Der Kanton sucht vor allem nach Kollektivunterkünften

Für den Kanton hat die oberirdische Unterbringung von Flüchtlingen Priorität. Und er sucht vor allem nach Kollektivunterkünften: Der Orpunder Gemeindepräsident Oliver Matti sagt dennoch: Man melde dem Kanton die Zivilschutzanlagen und frage nach, ob er diese für die Unterbringung für Asylsuchende schon registriert habe.

Schon vor längerer Zeit habe man in Orpund auf verschiedenen Kanälen nach Wohnungen und Studios für Flüchtlinge gesucht. «Es ist auch dieses Mal so, dass sich Bürgerinnen und Bürger, die etwas Privates zur Verfügung stellen könnten, sich bei der Gemeinde Orpund melden sollen», sagt Matti. Die Gemeinde schreibe zudem gezielt Besitzer von Vereinsliegenschaften und Heimen an. Mattis Schluss ist allerdings: «In Orpund gibt es nicht allzu viele geeignete Liegenschaften.»

Noch immer in der Agglomeration von Biel, konkret in Ipsach, beantwortet Gemeindepräsident Bernhard Bachmann eine BT-Anfrage so: «Die Gemeinde verfügt über keine leer stehenden Gebäude. Wir haben nur einen Sanitätsposten des Zivilschutzes, den man als Unterkunft für circa 20 Personen einrichten könnte. Allerdings liegt dieser unterirdisch und ist relativ klein.» Die Unterkunft wäre laut Bachmann nicht nur klein, sondern der Aufwand auch zu gross, um sie effizient betreiben zu können. Dennoch werde diese vom Kanton geprüft.

Bei grossen Notlagen müsste Ipsach laut Bachmann den Mehrzwecksaal und die Turnhalle zur Unterkunft umrüsten. «Dies hätte aber zur Folge, dass kein Turnunterricht in der Schule mehr stattfinden könnte. Auch das Vereinsleben käme praktisch zum Erliegen.»

Aegerten: «Die Turnhalle brauchen wir selbst»

In Aegerten sagt Gemeindepräsidentin Christine Rawyler, man sei mit dem Kanton daran abzuklären, ob sich die örtliche Zivilschutzanlage als Unterkunft für Flüchtende eignen würde. Allerdings sagt Rawyler schon jetzt: «Da es sich bei der Anlage um eine Kommandozentrale für die Region handelt, kommt sie wohl eher nicht infrage.» Sprich: Fielen in einem Notfall verschiedenste Kommunikationswege aus, würden sich Menschen aus der Region in dieser Zivilschutzanlage treffen. Rawyler sagt weiter: «Und die Turnhalle in Aegerten brauchen wir selbst.»

Vonseiten Kanton wurden bereits Unterkünfte in Nidau geprüft, sie seien allerdings nicht weiterverfolgt worden. Zudem habe Nidau im Zusammenhang mit der Ukrainekrise rasch Hand geboten. Das sagt Manuela Jennings von der Stadtkanzlei.

In Bellmund sagt Gemeindepräsident Matthias Gygax, man habe das Thema Suche von möglichen Asylunterkünften im Gemeinderat noch nicht diskutiert, werde dies aber demnächst tun. Noch bis Ende September hat die Gemeinde Zeit, dem Kanton eine Rückmeldung zu geben.



Zivilschutzanlage für abgewiesene Asylbewerber abgelehnt

Der Kanton Bern hatte am Nidauer Birkenweg eine ausgemusterte Zivilschutzanlage im Auge, in der er ein Rückkehrzentrum einrichten wollte. Dabei handelt es sich um einen Ort, an dem Menschen mit einem negativen Asylentscheid Nothilfe erhalten. Die Zivilschutzanlage, die in Nidau derzeit als Materiallager dient, ist zwar vom Kanton geprüft, am Ende allerdings abgelehnt worden. Die Begründung: Sie weise zu viele Infrastrukturdefizite auf.



Vor Jahren wurde die Aufgabe des Asylwesens kantonalisiert

Im Kanton Bern ist das Asylwesen vor einigen Jahren kantonalisiert worden. Sprich, es ist der Kanton, der für die Unterbringung von Asylsuchenden verantwortlich ist, und der nach Lösungen suchen muss. Die Gemeinden zahlen einen finanziellen Beitrag in den Lastenausgleich.
(https://ajour.ch/de/story/148638/seeland-sucht-platz-f%C3%BCr-fl%C3%BCchtlinge-wer-wohnraum-zur-verf%C3%BCgung-stellen-kann-soll-sich-melden)



ajour.ch 08.09.2023

Flüchtlinge in der Seeländer Landwirtschaft unterbringen? «Dafür fehlt der nötige Arbeitswille»

Beim Kanton kam die Idee aus, Flüchtlinge auf Bauernhöfe unterzubringen. Daniel Weber, der Präsident der landwirtschaftlichen Organisation Seeland, hält davon wenig.

Rachel Hämmerli

Daniel Weber, bei der Suche nach Unterkünften seien auch kreative Lösungen gefragt, eine davon könnte laut Regierungsstatthalterin Franziska Scheck so aussehen: Flüchtlinge auf Landwirtschaftsbetrieben unterbringen. Nämlich dort, wo während des Sommers die Erntehelfer wohnen. Wäre das denkbar?

Daniel Weber: Nicht wirklich. Das wäre ja nur eine Übergangslösung, während der Erntezeit brauchen die Landwirte die Unterkünfte wieder. Überhaupt stört mich der Gedanke, die Aufgabe der Landwirtschaft zu übertragen.

Die Landwirtschaft könnte dabei ja von Arbeitskräften profitieren.

Dafür fehlt den meisten Flüchtlingen meiner Erfahrung nach der nötige Arbeitswille. Ich hatte selbst zwei Ukrainer auf meinem Betrieb beschäftigt und erlebt, dass die Arbeiten nicht zuverlässig gemacht wurden. Auf einem Bauernhof ist die Arbeit hart und der Ton rau, damit kommen viele nicht zurecht und die Landwirte haben schlicht nicht die Zeit, auf die Bedürfnisse der Flüchtlinge einzugehen.

Und wenn man die Landwirte für die Betreuung entlohnen würde?

Eine solche Aufgabe ist für die meisten Betriebe nicht umsetzbar, weil für eine Betreuung eine zusätzliche Ausbildung im Bereich Arbeitsagogik nötig ist. Es gibt Landwirtschaftsbetriebe, die sich für solche Aktivitäten spezialisiert haben.

Sie haben ja auch Ukrainer beschäftigt

Ja, und das war nicht lohnend für uns. Dafür dauert auf den Verwaltungen einfach alles viel zu lange. Bei den ukrainischen Arbeitern dauerte es mehr als zwei Monate, bis wir Auskunft erhielten, wie wir Lohn und Versicherungen abrechnen müssen. Dieser Büroaufwand schreckt Landwirte eher ab.

Dann ist Ihnen in der Region niemand bekannt, der Flüchtlinge aufnehmen würde?

Es gibt Beispiele mit Flüchtlingen in der Landwirtschaft, die funktionieren. Aber auch solche, die nicht funktioniert haben. Es muss jeder Betriebsleiter selbst entscheiden, ob er Flüchtlinge auf seinem Betrieb einstellen will.

Daniel Weber ist Präsident der landwirtschaftlichen Organisation Seeland und Ansprechperson für die Anliegen der Landwirtinnen und Landwirte im Seeland. Er betreibt in Gerolfingen einen Obstbetrieb. Als der Krieg in der Ukraine begann, nahm er zwei Flüchtlinge als Arbeitskräfte bei sich auf.
(https://ajour.ch/de/story/155077/fl%C3%BCchtlinge-in-der-seel%C3%A4nder-landwirtschaft-unterbringen-daf%C3%BCr-fehlt-der-n%C3%B6tige-arbeitswille)


+++AARGAU
Oftringen will lieber eine kantonale Asylunterkunft
Die Gemeindeversammlung von Oftringen sagt Ja zu einer kantonalen Asylunterkunft im Ort. Der zuständige Gemeinderat zeigt sich erfreut, für Oftringen habe es finanziell und sicherheitstechnisch Vorteile, wenn die Gemeinde nicht selbst eine Unterkunft betreiben müsse. Die SVP wehrte sich vergebens.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/oftringen-will-lieber-eine-kantonale-asylunterkunft?id=12450363


Im Frühling sorgte die Kündigung von Mietern in Windisch für Schlagzeilen. Nun ist die Asylunterkunft bezugsbereit. Wie ist die Stimmung im Dorf? (ab 11:04)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/oltner-bevoelkerung-entscheidet-einmal-mehr-ueber-das-krematorium?id=12450660
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/nach-asylstreit-in-windisch-ziehen-die-ersten-jungen-asylsuchenden-ein


+++GENF
14 neue Klassen für minderjährige Geflüchtete in Genf
In Genf kommen derzeit deutlich mehr minderjährige Geflüchtete an, die ohne Begleitung unterwegs sind. Ein Grossteil von ihnen sind Afghaninnen und Afghanen. Per Juni zählte Genf von 256 unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten 210 aus Afghanistan. Der Kanton hat nun neue Schulklassen geschaffen.
https://www.srf.ch/play/tv/srf-news-videos/video/14-neue-klassen-fuer-minderjaehrige-gefluechtete-in-genf?urn=urn:srf:video:d57f50ee-fb6b-4dd0-bf5e-b0cae0ffefe7&aspectRatio=4_5&showUrn=urn%3Asrf%3Ashow%3Atv%3Ad57f50ee-fb6b-4dd0-bf5e-b0cae0ffefe7


+++NIDWALDEN
Laut Regierung: Asylgesetz wird konsequent umgesetzt
Nach negativen Asylentscheiden werden Wegweisungen schnellstmöglich vollzogen. Das sagt der Nidwaldner Regierungsrat in seiner Antwort auf eine Interpellation.
https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/nidwalden/nidwalden-laut-regierung-asylgesetz-wird-konsequent-umgesetzt-ld.2506721


+++SCHWEIZ
Humanitäre Visa – Gericht klopft SEM auf die Finger
Iran und Pakistan sind keine sicheren Drittstaaten für Flüchtlinge aus Afghanistan, sagt das Bundesverwaltungsgericht in mehreren neuen Urteilen. Es stellt sich damit gegen das Staatssekretariat für Migration.
https://www.srf.ch/news/schweiz/humanitaere-visa-gericht-klopft-sem-auf-die-finger
-> Rendez-vous SRF: https://www.srf.ch/audio/rendez-vous/schweiz-muss-afghanischen-fluechtlingen-visa-ausstellen?partId=12450531
-> Medienmitteilung BVGer: https://www.bvger.ch/de/newsroom/medienmitteilungen/humanitaeres-visum-fuer-gefaehrdete-afghanische-personen-1176
-> Urteil BVGer: https://www.bvger.ch/media-releases/a48eb9c6-3ae4-4a9e-a710-2c5c4ccd7a22/de/f_3406_2022_web.pdf


+++GRIECHENLAND
Drei Jahre nach dem Brand von Moria
#Moria – ein Fanal für die europäische Flüchtlingspolitik. Heute vor drei Jahren brannte das überfüllte Elendslager fast komplett ab, viele der tausenden Geflüchteten verloren auch noch ihre letzten Habseligkeiten. Mal wieder sollte sich alles ändern, hieß es danach in den Betroffenheitsreden vieler Politiker*innen. Aber was ist seither wirklich passiert?
https://www.youtube.com/watch?v=AX2G2F0Xg1I


+++FREIRÄUME
Die Reitschule in Bern will mehr Geld
Wegen den steigenden Energiekosten kommen sie in finanzielle Schwierigkeiten – das sagt die Berner Reitschule und fordert mehr Geld von der Stadt. Das Kultur- und Begegnungszentrum rechnet vor, dass es 60’000 Franken mehr braucht. Dies ist doppelt so viel wie es jetzt erhält. Der Berner SVP-Stadtrat Alexander Feuz findet, das geht gar nicht.
https://www.telebaern.tv/telebaern-news/die-reitschule-in-bern-will-mehr-geld-153426282


+++GASSE
Stadt St. Gallen muss Bettelverbot anpassen
In der Stadt St. Gallen ist das Betteln eigentlich verboten. So steht es auch im Polizeireglement. Wegen eines Gerichtfalls aus Basel muss die Stadt in diesem Zusammenhang nun aber über die Bücher.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-ostschweiz/stadt-st-gallen-muss-bettelverbot-anpassen?id=12450354
-> https://www.blick.ch/politik/bestehende-regel-problematisch-stadt-st-gallen-muss-bettelverbot-anpassen-id18922768.html
-> https://www.toponline.ch/news/stgallen/detail/news/stadt-st-gallen-muss-bettelverbot-anpassen-00220579/


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Waldbesetzer müssen mit saftiger Busse rechnen
In Rümlang besetzten im April Aktivistinnen ein Waldstück. Sie protestierten gegen die Fällung von bis zu 6000 Bäumen. Nun ist klar: sie müssen mit einer saftigen Busse rechnen. Die Zürcher Kantonsregierung will den Besetzerinnen und Besetzern mehrere zehntausend Franken in Rechnung stellen.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/waldbesetzer-muessen-mit-saftiger-busse-rechnen?id=12450498
-> Vorstossantwort: https://www.kantonsrat.zh.ch/geschaefte/geschaeft/?id=e9536ed7e9384a92871eaf5d1fee3767
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/atomendlager-stadel-ein-jahr-nach-dem-standortentscheid?id=12450654 (ab 06:00)
-> https://tv.telezueri.ch/zuerinews/waldbesetzer-von-ruemlang-muessen-zahlen-153425640


«Betroffene Mieter:innengruppen brauchen die Empathie der ganzen Stadt»
Man tauscht sich über ähnliche Fälle aus und spannt für Petitionen zusammen: Mieter:innen und Aktivist:innen unterstützen einander vermehrt. Can Deniz, Mieter aus Wollishofen, und Diana Krasovskaya, Mietaktivistin, sprechen über diese Vernetzung und darüber, wieso sich vor allem der urbane Mittelstand diese Form von Widerstand leisten kann.
https://tsri.ch/a/clm6stsw015815702scc26qg471r/wie-mieter-innen-und-aktivist-innen-in-zuerich-zusammenspannen-can-deniz-diana-krasovskaya-ig-wollishofen-scheideggstrasse-petitionen


+++SPORT
Verletzte Fans rund um Fussballspiele – Gummischrot: Die Luzerner Polizei schweigt, die Politik spricht
Nachdem ein FCL-Fan wegen seiner Verletzungen durch Gummischrot einseitig erblindet ist, zeigt sich die Luzerner Polizei gegenüber zentralplus wortkarg. Mehr Auskunft gibt die Luzerner Politik.
https://www.zentralplus.ch/sport/fc-luzern/gummischrot-die-luzerner-polizei-schweigt-die-politik-spricht-2576992/


+++AUSLÄNDER*INNEN-RECHT
solothurnerzeitung.ch 08.09.2023

Solothurner Migrationsamt gerüffelt: Aufenthaltsbewilligung einer Türkin nach 50 Jahren zu Unrecht entzogen

Ein demenzkranker Türke ging zurück in seine Heimat, seine Frau war oft mit ihm dort. Deshalb wollte ihr das Migrationsamt des Kantons Solothurn die Aufenthaltsbewilligung nach 50 Jahren entziehen. Damit hat es sich das Amt laut Gericht zu einfach gemacht.

Daniela Deck

50 Jahre ihres Lebens verbrachte die 72-jährige Türkin in der Schweiz. Zwei ihrer vier Kinder sind hier geboren. Drei der erwachsenen Kinder leben mit den Familien hier. Im Sommer letztes Jahr nahm das Migrationsamt das Dossier unter die Lupe. Es hatte den Hinweis erhalten, die Frau sei länger als sechs Monate im Ausland gewesen und habe zudem ihren Lebensmittelpunkt dorthin verschoben.

Die behördliche Abwicklung des Falles, die daraufhin folgte, wirft ein schlechtes Licht auf das Migrationsamt. Zwar gewährte das Amt der Frau das rechtliche Gehör, sie konnte Stellung zu nehmen zu den Kritikpunkten.

Fehler und Widersprüche

Doch dann unterliefen dem Migrationsamt Fehler bei der Begründung der Verfügung zum Erlöschen der Niederlassungsbewilligung im vergangenen Januar. Nicht nur wurden bei der Berechnung der gesetzlich vorgeschriebenen Aufenthaltsdauer in der Schweiz zwischen Sommer 2012 und Sommer 2022 volle 12 Monate übersehen.

Das Verwaltungsgericht rügt in seinem Urteil vom 25. August ausserdem Widersprüche im Verhalten des Migrationsamts. So «hat es der Beschwerdeführerin die Niederlassungsbewilligung doch im August 2018 noch ohne jegliche Prüfung bis 31. August 2023 verlängert; sogar im März 2022 erfolgte noch eine Verlängerung bis 31. August 2023». Zudem habe es das Amt versäumt, ein Schreiben der Tochter im Zusammenhang mit der Aufenthaltsbewilligung zu beantworten, obwohl diese um Kontaktaufnahme gebeten hatte.

Reisebeschränkung in der Pandemie zuungunsten ausgelegt

Der Verdacht, die Frau habe heimlich ihren Lebensmittelpunkt in die Türkei verlegt, entstand aus zwei Gründen: Nachdem der jüngste Sohn den Wohnsitz 2013 in die Türkei verlegt hatte, verbrachte die Frau dort mehrfach längere Zeit, um die Enkelin zu betreuen.

Zweitens zog ihr Mann, ebenfalls gebürtiger Türke, es nach dem Erwerbsleben in der Schweiz vor, 2017 aufgrund einer Demenzerkrankung in der Türkei in ein Pflegeheim einzutreten. Dort besuchte und betreute ihn die Frau bis zu seinem Tod vor drei Jahren immer wieder, wobei sie sich jeweils monatelang ausserhalb der Schweiz aufhielt.

In seiner Beweisführung stellte sich das Migrationsamt auf den Standpunkt, die Frau habe schon vor Jahren den Lebensmittelpunkt in die Türkei verlegt und sei jeweils nur kurz vor Ablauf der Sechsmonatsfrist zu einem Alibibesuch in den Kanton Solothurn gereist, wo sie ihre Mietwohnung behalten hatte.

Das Fass zum Überlaufen brachte die Tatsache, dass die Frau 2020 coronabedingt die erlaubte Zeit im Ausland um fast zwei Monate überzog. Spätestens damit sei ihre Niederlassungsbewilligung von Gesetzes wegen erloschen, argumentierte das Migrationsamt.

Brief der Tochter ist als Gesuch um Verlängerung zu werten

Das Verwaltungsgericht dagegen bezieht sich auf ein Schreiben der Familie vom 3. Juni 2020 hätte als Gesuch um Aufrechterhaltung der Niederlassungsbewilligung gewertet werden müssen, während die Frau covidbedingt im Ausland war. Tochter und Mutter seien klar der Auffassung gewesen, es sei rechtens, «die Rückreise aus wichtigen Gründen verschieben zu können». Was das Migrationsamt nicht in Abrede gestellt habe.

Für eine Verlegung des Lebensmittelpunktes in die Türkei gebe es überdies keine Anhaltspunkte. Die Frau sei nie straffällig geworden und nicht überschuldet. In früheren Jahren bezogene Sozialhilfegelder seien längst zurückbezahlt worden.

Deshalb wird die Beschwerde der Frau gutgeheissen, die Verfügung des Migrationsamtes aufgehoben und dieses angewiesen, der Frau eine neue Niederlassungsbewilligung auszustellen. Die Gerichts- und die Anwaltskosten, Letztere in der Höhe von 4366,80 Franken, gehen zulasten der Staatskasse. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
(https://www.solothurnerzeitung.ch/solothurn/kanton-solothurn/verwaltungsgericht-migrationsamt-gerueffelt-aufenthaltsbewilligung-einer-tuerkin-nach-50-jahren-zu-unrecht-entzogen-ld.2511287)


+++KNAST
Untersuchungshaft: Kanton Bern testet Lockerungen in Pilotversuch
23 Stunden alleine in einer Zelle, praktisch kein Kontakt zur Aussenwelt und je nachdem unschuldig. Die Bedingungen in der Untersuchungshaft sind streng. Das willl der Kanton Bern zusammen mit dem Kanton Zürich in einem Pilotversuch ändern – dieser wird wissenschaftlich begleitet.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/untersuchungshaft-kanton-bern-testet-lockerungen-in-pilotversuch?id=12450342


Untersuchungshaft: Pilotprojekt im Justizvollzug – 10vor10
Kleine Zelle, oft alleine: In der Untersuchungshaft ist man häufig von der Aussenwelt abgeschnitten, Bewegungsfreiheit fehlt. In einem Pilotversuch wollen die Kantone Bern und Zürich die Untersuchungshaft nun menschlicher machen.
https://www.srf.ch/play/tv/10-vor-10/video/untersuchungshaft-pilotprojekt-im-justizvollzug?urn=urn:srf:video:42912c2a-3ad5-4010-970c-b401030eb5e4


Bessere Haftbedingungen in der U-Haft
Der Kanton Bern will die Bedingungen in der U-Haft verbessern. Ein wichtiges Anliegen für den Direktor des Bieler Gefängnis.
https://web.telebielingue.ch/de/sendungen/info/2023-09-08



derbund.ch 08.09.2023

Interview mit Thorberg-Direktorin: «Manche glauben, wir würden einen Luxusvollzug bieten»

Seit einem Jahr leitet Regine Schneeberger Berns bekannteste Justizvollzugsanstalt. Sie spricht über fehlende Therapieplätze und Tricksereien der Insassen.

Bernhard Ott, Michael Bucher, Beat Mathys(Fotos)

Frau Schneeberger, Sie sind nun seit einem Jahr Direktorin der Justizvollzugsanstalt (JVA) Thorberg. Kennen Sie jeden Insassen?

Nein. Ich gehe zwar alle zwei Wochen mit den neu Eintretenden essen. Das ersetzt die früheren Eintrittsaudienzen beim Direktor, die für manche Eingewiesenen wohl mit etwas Stress verbunden waren. Es ist ein erster Kontakt, es bleibt beim Small Talk. Aber sie wissen wenigstens, wer die Einrichtung führt. Für Alltagsprobleme der Eingewiesenen sind die Mitarbeitenden zuständig.

Jemand hat sich bei uns gemeldet, sein TV sei seit einem Monat defekt.

Das stimmt sicher nicht. Vielleicht hat ihn der Eingewiesene selber kaputtgemacht. Das kam in letzter Zeit öfter vor, weil alle ein bestimmtes Modell haben wollten. Später haben wir realisiert, dass genau dieses Modell internetfähig war. Und den Gefangenen ist es gelungen, den vierstelligen Code zu knacken. Deshalb sind plötzlich so viele Fernseher kaputtgegangen.

Wie haben Sie diese Trickserei bemerkt?

Wir brauchten eine Weile, bis wir realisierten, was dahintersteckte. Auf einmal wollten alle in den dritten oder vierten Stock umziehen. Dies offenbar, weil dort der Internetempfang am besten war. Das internetfähige Teil in den Geräten ist inzwischen entfernt worden.

Sie haben gesagt, sie wollten mehr Frauen auf dem Thorberg. Warum?

Die meisten Eingewiesenen sind wegen Einbruchs, Drogenhandels und Gewaltdelikten hier. Der Grossteil kommt nach drei, vier Jahren in der JVA wieder raus. Dann ist der Umgang mit Frauen wieder Normalität. Weshalb sollte dies bei uns nicht so sein?

Sind die Sexualstraftäter für die weiblichen Mitarbeitenden nicht eine Gefahr?

Die ganz gefährlichen Eingewiesenen befinden sich im Sicherheitsvollzug. Da gibt es Einzelne, die keinen unüberwachten Kontakt mit Frauen haben dürfen. Sexualstraftäter gibt es aber auch im Normalvollzug, wo es Kontakt zu Frauen gibt – natürlich mit nötigen Vorsichtsmassnahmen. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen übrigens, dass Frauen in Männergefängnissen insgesamt eine positive Wirkung aufs soziale Klima haben. Zudem spricht der Fachkräftemangel ebenfalls für den vermehrten Einsatz von Frauen.

Haben Insassen aus patriarchalischen Ländern weniger Respekt vor Frauen?

Nicht generell. Wir beobachten in manchen Situationen eine genderspezifische Hilfsbereitschaft – dies unabhängig von der Herkunft. Wenn zum Beispiel eine Mitarbeiterin in der Küche ein Blech tragen will, erhält sie sofort Hilfe. Aber es gibt natürlich auch unangenehmere Vorfälle. Eine Mitarbeiterin hat mir erzählt, dass sich ein Eingewiesener geweigert habe, die Toilette zu putzen, weil das Sache von ihr als Frau sei. So etwas muss natürlich thematisiert werden.

Gibt es bei den vielen Nationalitäten auch Rassismus und Rivalitäten unter den Insassen?

Ja, die gibt es. Das hat oft mit den Dreierzellen zu tun, die es auf dem Thorberg nach wie vor gibt. Im Normalvollzug machen diese 40 Prozent der Plätze aus, was heute in modernen JVA nicht mehr Standard ist. In den Mehrbettzellen befinden sich drei Leute auf 25 Quadratmetern.

Worauf schauen Sie bei der Belegung dieser Zellen?

Wir haben bei uns Leute aus 45 Nationen. Zugleich ist die JVA stets zu 95 Prozent belegt, es sind also immer nur ganz wenige Zellen frei. Wir müssen zuerst Raucher und Nichtraucher trennen. Und dann schauen wir darauf, dass die sprachliche Verständigung klappt und wir nicht gerade Gefangene zusammen platzieren, deren Heimatländer gegeneinander Krieg führen.

Gibt es Suizidversuche?

Ja, die gibt es ab und zu, meistens sind sie appellativer oder drohender Natur. Aber wir nehmen alle Suizidversuche ernst.

Hat noch nie jemand eine Zelle angezündet?

Doch. Jemand hat einmal im Arrest die Bettwäsche mit einem eingeschmuggelten Feuerzeug in Brand gesetzt. Das gab eine enorme Rauchentwicklung. Innerhalb von drei Minuten wurde er von Mitarbeitenden geborgen. Der Mann war bereits ohnmächtig.

Was wäre denn der Worst Case?

Wenn bei einem Brand oder einem schweren Delikt Menschen zu Schaden kämen. Oder ein Ausbruch einer Person mit hohem Rückfallrisiko für schwere Gewalt- oder Sexualdelikte. Objektiv betrachtet ist es auf dem Thorberg allerdings wohl nicht gefährlicher als auf einer öffentlichen Verwaltungsstelle. Da besteht auch das geringe Risiko, dass ein wütender oder alkoholisierter Bürger auf die Anwesenden losgehen könnte.

In Witzwil soll eine neue Anstalt mit 50 Haft- und 150 Vollzugsplätzen gebaut werden. Was bleibt da für den Thorberg?

Aktuell ist geplant, den Thorberg mit etwas weniger Plätzen weiterzubetreiben, weil der Kanton die Haftplätze benötigt. Dadurch könnten einige Zellen oder Ateliers aufgehoben werden. Es wäre etwas weniger eng.

In Lenzburg gibt es die Abteilung 60+. Im Kanton Bern gibt es das nicht, auch keine Palliativabteilung. Warum nicht?

Welche JVA macht künftig Normalvollzug, und welche konzentriert sich auf Spezialitäten wie Alters- oder Krankenabteilungen? Diese Frage ist gemeinsam mit dem Strafvollzugskonkordat zu klären. Es gibt aber zum Glück nicht unendlich viele Spezialfälle wie Verwahrte und Kranke.

Ein letztes Jahr verstorbener Verwahrter wurde zwischen Thorberg und Bewachungsstation im Inselspital (Bewa) hin- und hergeschoben, je nach Gesundheitszustand. Ist das eine befriedigende Lösung?

Sie sagen das etwas salopp. Gestorben ist der Mann schliesslich auf einer Palliativabteilung, begleitet von seinen Angehörigen. Der Thorberg hat sich im Rahmen seiner Möglichkeiten sehr bemüht, dem Mann ein menschenwürdiges Leben bis zum Schluss zu ermöglichen. Natürlich wäre er lieber in Freiheit gestorben.

Er wäre lieber auf dem Thorberg als auf der Bewa gestorben. Warum kann man nicht auf dem Thorberg sterben?

Der Thorberg ist dafür personell und von der Infrastruktur her nicht eingerichtet. Das wäre unverantwortlich. Ich bin aber offen dafür, dass im Vollzug irgendwo in der Schweiz eine Palliativstation eingerichtet wird.

Eine Nationalfondsstudie der Universitäten Bern und Freiburg kam jüngst zum Schluss, dass niemand gegen seinen Willen im Justizvollzug sterben sollte.

Es sind für eine JVA zum Glück seltene Fälle. Wenn es einmal in zehn Jahren einen solchen Fall gibt, kann ich nicht rasch zusätzliche Mitarbeitende einstellen, um den Sterbenden palliativ zu pflegen. Die Fälle sind zudem sehr unterschiedlich, auch in Bezug auf die Gefährlichkeit für die Öffentlichkeit.

Das Bundesgericht hat bemängelt, dass der Schenkkreismörder keinen begleiteten Ausgang bekam, weil er mangels Personal keine Therapie machen konnte.

Wir konnten vorübergehend nicht genügend Therapieleistungen anbieten, weil der externe Therapieanbieter wechselte und der neu zuständige Dienst zuerst noch Mitarbeitende für unsere JVA einstellen musste. Es gibt in diesem Bereich einen extremen Fachkräftemangel, auch draussen in der Freiheit.

Wie sieht es denn heute aus?

Gut. Wir haben Psychotherapeuten im Umfang von 270 Stellenprozent sowie 40 Stellenprozent für Psychiater. Wir haben aktuell 22 laufende Therapien und fünf Eingewiesene, die in Abklärung sind. Acht Personen sind auf der Warteliste, von denen keine gerichtlich zu einer Therapie verpflichtet ist. Zudem: Es gibt auch ausserhalb der Gefängnismauern lange Wartezeiten.

Die Leserkommentare zu Artikeln über den Vollzug sind meist von Unverständnis geprägt. Wie erklären Sie sich das?

Ich bedaure das teilweise fehlende Verständnis dafür, dass im Vollzug das Möglichste getan wird, um die Rückfallgefahr der Eingewiesenen zu senken. Manche glauben, wir würden hier einen Luxusvollzug bieten, was nicht stimmt. Die Insassen provozieren dieses Bild aber auch, wenn sie sich mit auch für mich nicht nachvollziehbaren Klagen an die Medien wenden.

Strafvollzugexperte Benjamin Brägger hat analysiert, dass das Strafbedürfnis der Gesellschaft gestiegen sei. Das setzt Sie doch unter Druck?

Ich sehe es nicht so einseitig. In den 1990er-Jahren dauerte eine Verwahrung im Schnitt nur fünf, sechs Jahre. Seither hat die Professionalität im Vollzug stark zugenommen. Und es wird viel besser geschaut, wer entlassen werden darf. Die Bevölkerung hat ein Recht darauf, dass sie vor den wirklich gefährlichen Straftätern geschützt wird.

Heute herrscht eine Nullrisikostrategie vor. Kein Gericht will unnötige Risiken eingehen. Haben Gutachten einen derart grossen Stellenwert erhalten?

Es spricht aus meiner Sicht für die Gerichte, dass sie forensisch-psychiatrisches Fachwissen bei ihren Entscheiden mitberücksichtigen, über das sie selbst nicht verfügen.

Insassen berichten, dass man im Thorberg alle Arten von Drogen erhält. Wo liegt das Problem?

Wir setzen mit Kontrollen alles daran, dass dies nicht passiert. Aber ja, es ist so, dass hin und wieder Cannabis oder auch Kokain eingeschmuggelt und gefunden wird.

Wie sieht es mit Alkohol aus?

Es gibt Eingewiesene, die heimlich selber Alkohol herstellen. Das geschieht etwa durch das Gären von Früchten. Auch entwendete Hefe oder Brot wird dazu genutzt. Das grössere Problem ist jedoch der Medikamentenmissbrauch.

Inwiefern?

Es kommt vor, dass Insassen die abgegebenen Medikamente horten oder damit Handel treiben. Oder sie mörsern die Tabletten, um sie zu rauchen. Das wird natürlich diszipliniert, wenn wir es bemerken.

Neuerdings gibt es auch Erotikmagazine auf dem Thorberg. Vor ein paar Monaten haben Sie diese Anschaffung noch abgelehnt.

Ich habe damals gesagt, ich würde Abklärungen dazu treffen, weil wir hier auch Sexualstraftäter haben. Weil sich die Wissenschaft bei dem Thema jedoch uneinig ist, habe ich eine Umfrage bei anderen Anstalten gemacht. Es zeigte sich, dass es dieses Angebot vielerorts gibt. Die Insassen können nun die Magazine «Penthouse» und «Playboy» bestellen.

Das dürfte ein Renner sein.

Es hält sich in Grenzen, es ist wohl zu teuer. Aber ein Kiosk in Burgdorf reserviert ein paar Exemplare für uns, die wir bei Bestellungen dort abholen können.
(https://www.derbund.ch/interview-mit-thorberg-direktorin-manche-glauben-wir-wuerden-einen-luxusvollzug-bieten-347380536997)


+++BIG BROTHER
Videoüberwachung: «Es ist eine Illusion, dass Kameras Probleme bekämpfen»
Der öffentliche Raum wird immer stärker videoüberwacht. In Bern sorgt das gerade für Ärger. Grundrechtsanwalt Viktor Györffy nimmt Stellung.
https://www.beobachter.ch/digital/sicherheit/es-ist-eine-illusion-dass-kameras-probleme-bekampfen-635517


++FRAUEN/QUEER
Domenica Priore (55) und Tim V. (37) sind trans und stehen dazu
Wenn man als Kind spürt, dass man anders ist
Es trauen sich immer mehr Menschen, zu ihrer Sexualität und Geschlechtsidentität zu stehen. So auch Unia-Mitglied Domenica Priore und Dragqueen Tim V. Doch einfach sei es nicht, erzählen die beiden.
https://www.workzeitung.ch/2023/09/wenn-man-als-kind-spuert-dass-man-anders-ist/


+++RASSISMUS
Schluss mit dem Schönwetterprogramm
Der Dialog zwischen orthodoxen jüdischen Touristen und der einheimischen Bevölkerung ist vorerst gescheitert – wie es nach der Eskalation weiter geht.
https://www.tachles.ch/artikel/schweiz/schluss-mit-dem-schoenwetterprogramm


«Struktureller Rassismus ist in der Schweiz alltäglich»
Im aktuellen Wahlkampf wird erneut die Angst vor Ausländer*innen geschürt. Die Geschäftsleiterin der Gesellschaft gegen Rassismus und Antisemitismus GRA zeigt auf, wann Aussagen rassistisch sind und was die Zivilgesellschaft tun kann, um für Minderheiten einzustehen.
https://bajour.ch/a/clm90ng3a13513142sgaeyc8pro5/struktureller-rassismus


+++RECHTSPOPULISMUS
Schweizer Zeitung: »Weltwoche« legt Deutschland-Ausgabe auf
In der Schweiz erscheint die »Weltwoche« schon seit 1933; unter dem SVP-Politiker Roger Köppel fährt sie einen rechtspopulistischen Kurs. Nun will die Zeitung mit einer wöchentlichen digitalen Deutschland-Ausgabe expandieren.
https://www.spiegel.de/kultur/weltwoche-schweizer-zeitung-legt-deutschland-ausgabe-auf-a-f33dcbb7-fbe3-4916-9c01-122fc81fea02


+++SATANIC PANIC
Wenn man vom Teufel spricht
Heute geht es um rituelle Gewalt. Sie soll zum Beispiel von satanistischen Kulten ausgehen, die mit brutalen Ritualen die Persönlichkeiten ihrer Opfer kontrollieren. Nachweise dafür gibt es jedoch nicht. Oder weiß es eine Psychotherapeutin besser?
https://www.zdf.de/comedy/zdf-magazin-royale/zdf-magazin-royale-vom-8-september-2023-100.html



tagblatt.ch 08.09.2023

Satanic Panic: «Das Ausmass hat mich überrascht»: Das sagen der Thurgauer Gesundheitsdirektor und die Clienia zu Verschwörungserzählungen in Littenheid

Die Klinik Littenheid ist Ende 2021 wegen satanistischer Verschwörungstheorien ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Ein Gutachter hat in 43 von 422 überprüften Patientenakten «gravierende» Hinweise auf Verschwörungserzählungen gefunden. Die Klinik entschuldigt sich, der Kanton ist sich keiner Fehler bewusst.

Stephanie Martina und Stefan Marolf

«Alle Grausamkeiten, die Menschen ersinnen können, finden dort statt.» Ende 2021 strahlte das Schweizer Fernsehen eine Dokumentation zur «Satanic Panic» aus. Ein Oberarzt, damals Traumatherapeut in Littenheid, erzählte darin freimütig von angeblichem rituellem Missbrauch. Es gebe eine «Parallelwelt, die sich extrem gut zu schützen weiss», sagte er, sprach von Foltermethoden und anderen Gräueltaten.
-> https://youtu.be/dF7XJ5OZn44

Die Folgen davon: Der Oberarzt und später die ärztliche Direktorin wurden entlassen, die Aufnahme von Patientinnen und Patienten gestoppt. Der Kanton Thurgau leitete im Frühling 2022 eine Untersuchung ein und ordnete im Dezember Massnahmen an.

Daraufhin beauftragte die Clienia Littenheid einen externen Gutachter, der 422 Akten von Patientinnen und Patienten mit dissoziativen Identitätsstörungen überprüfte. Am Freitag gaben der Kanton Thurgau und die Clienia Littenheid die Resultate bekannt: Bei 43 der 422 Gutachten wurden «gravierende» Hinweise auf Verschwörungserzählungen festgestellt, bei weiteren 188 zumindest angedeutete Hinweise.

«Gravierende Hinweise» seien dann festgestellt worden, wenn die Themen satanistische Gewalt oder Mind Control mutmasslich vertieft, als Tatsachen angenommen oder durch Nachfragen etabliert worden seien, schreibt Clienia-Mediensprecherin Bettina Zimmermann auf Anfrage. Das Gutachten hat die Klinik zusammen mit der Mitteilung am Freitag veröffentlicht.

Überrascht vom Ausmass

Er habe Auffälligkeiten erwartet, sagt der Thurgauer Gesundheitsdirektor Urs Martin auf Anfrage, «das Ausmass hat mich aber überrascht.» Die Clienia Littenheid schreibt in ihrer Mitteilung vom Freitag ebenfalls: «Das Ausmass macht uns tief betroffen. Der Bericht bestätigt den Handlungsbedarf bezüglich der Organisations-, Führungs- und Fehlerkultur.»

Als Reaktion auf die Enthüllungen hat die Klinik unter anderem eine Ombudsstelle und eine externe Meldestelle errichtet, ihr Konzept überarbeitet, ein evidenzbasiertes Therapieverfahren eingeführt und Schulungen für die Mitarbeitenden angeordnet. In der Mitteilung heisst es: «Das neue Konzept trennt Ausbildung, Zertifizierung und Supervision vollständig voneinander. Es wird sichergestellt, dass die Grundlagen aller Schulungen wissenschaftlich fundiert sind.»

Der Thurgau sieht sich als Musterbeispiel der Aufklärung

Der Kanton Thurgau hat die Fortschritte Mitte Juli überprüft – mit positivem Fazit. Der Neustart sei in Littenheid «in vollem Gang», sagt Urs Martin, und der Kanton bleibe «eng dran». Ohnehin gelte der Thurgau als «Musterbeispiel der Aufklärung». Urs Martin sagt: «Wir erfahren internationales Lob, weil wir als öffentliche Hand erstmals solche Missstände belegt haben.»

Obwohl Urs Martins Departement in seinen Spitälern regelmässig Aufsichtsbesuche macht, kamen die Probleme in Littenheid erst ans Licht, als das Schweizer Fernsehen entscheidende Hinweise lieferte. Trotzdem sagt der Gesundheitsdirektor: «Ich gehe nicht davon aus, dass wir Fehler gemacht haben.» Solange der Kanton keine konkreten Hinweise habe, gebe es keinen Grund, einzelne Therapiekonzepte oder Behandlungen zu überprüfen. «Man konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass es so etwas wie rituelle Gewalt/Mind Control im Thurgau geben könnte.»

Die Klinik Littenheid gibt Fehler zu

Anders als der Kanton gibt die Clienia Littenheid Versäumnisse zu. Mediensprecherin Bettina Zimmermann schreibt: «Für die Fehler bitten wir um Entschuldigung. Wir haben in den letzten Monaten grosse Anstrengungen unternommen, die Ereignisse lückenlos aufzuarbeiten und entsprechende Konsequenzen zu ziehen.» Man werde alles daransetzen, den Menschen, die Hilfe suchen, die bestmögliche evidenzbasierte Therapie anzubieten.

Ob dazu auch weitere Entlassungen gehören, kann und will Urs Martin nicht beurteilen. «Ich weiss von mehreren Umstellungen», sagt er, «aber es ist nicht an mir, Personalentscheide der Klinik zu kommentieren.»

Die Clienia selbst hält sich ebenfalls bedeckt. Der neue Pflegedirektor Daniel Mark und der neue ärztliche Direktor Rafael Traber stünden für einen Neuanfang, schreibt Bettina Zimmermann, und: «Nach Aussage des Gutachters haben wir mit der Anpassung der neuen Therapiekonzepte sowie den personellen Neubesetzungen wichtige Voraussetzungen für eine erfolgreiche Zukunft geschaffen.» Eine Entlassung von Klinikdirektor Daniel Wild indes sei nie zur Debatte gestanden.

Der Schlussbericht lässt auf sich warten

Auch ohne weitere Entlassungen: Die Clienia Littenheid hat weiter zu tun. Die Kontroll- und Qualitätssicherungsmassnahmen der Klinik würden vom Amt für Gesundheit weiterhin begleitet, schreibt der Kanton: «Die Wirksamkeit der Massnahmen kann noch nicht abschliessend beurteilt werden, da diese erst nach einer gewissen Zeit messbar sind.»

Der Kanton kündigt für 2024 oder 2025 eine erneute Vor-Ort-Inspektion und einen darauf basierenden Schlussbericht an. Dass dieser so lange auf sich warten lasse, liege ausschliesslich an den hohen Auflagen, die der Kanton von der Klinik verlange, sagt Urs Martin. «Die Clienia Littenheid will so schnell wie möglich reinen Tisch machen – wir haben keine Veranlassung mehr, anzunehmen, dass sie irgendetwas beschönigen oder vertuschen will.»

Offiziell gibt es keine Geschädigten

Stand jetzt steht für die Clienia Littenheid erst fest: Mit der Implementierung des neuen Therapiekonzeptes können ab Oktober 2023 wieder Vorgespräche für Patientinnen und Patienten mit einer dissoziativen Identitätsstörung zur stationären Psychotherapie geführt werden. Die Aufnahme werde ab Januar 2024 wieder möglich sein.

Für jene Patientinnen und Patienten, die möglicherweise Opfer von Verschwörungserzählungen geworden sind, stehe die Clienia Littenheid «selbstverständlich» zur Verfügung, schreibt Bettina Zimmermann. Private Forderungen nach Schadenersatz oder gar Anzeigen seien bislang nicht eingegangen – und offiziell gibt es auch (noch) keine Opfer: «Der Gutachter hält fest, dass es zu keinen direkten Schädigungen von Patientinnen und Patienten gekommen ist.»



Dissoziative Identitätsstörung (DIS)

Die Dissoziative Identitätsstörung, kurz DIS, war früher als multiple Persönlichkeitsstörung bekannt. Im zweiten Teil der SRF-Dokumentation «Satanic Panic» bezeichnet der forensische Psychiater Frank Urbaniok die DIS als «Überlebensmechanismus, wenn man etwas Traumatisches erlebt». Alles Schlechte werde in einen Persönlichkeitsanteil abgespalten.

Franz Moggi, Chefpsychologe an der Berner Uniklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, sagt, betroffen sei «eine bis 50 auf 100’000» Personen. (ste)
(https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/kanton-thurgau/satanic-panic-das-ausmass-hat-mich-ueberrascht-das-sagen-der-thurgauer-gesundheitsdirektor-und-die-clienia-zu-verschwoerungserzaehlungen-in-littenheid-ld.2511482)

-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-ostschweiz/psychiatrie-littenheid-gutachten-bestaetigt-verschwoerungserzaehlungen?id=12450504
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/satanistische-verschwoerung-verschwoerungstheorien-waren-in-klinik-littenheid-weit-verbreitet
-> https://www.toponline.ch/news/thurgau/detail/news/neues-gutachten-bestaetigt-verschwoerungserzaehlungen-in-littenheid-tg-1-00220572/
-> https://www.blick.ch/schweiz/ostschweiz/thurgau/neues-gutachten-bestaetigt-gravierende-faelle-von-satanic-panic-in-der-psychiatrie-id18922235.html
-> https://www.blick.ch/politik/in-littenheid-tg-verschwoerungserzaehlungen-in-psychiatrie-bestaetigt-id18922141.html
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/satanistische-verschwoerung-gutachten-bestaetigt-verschwoerungstheorien-in-klinik-littenheid
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-ostschweiz/gebirgskantone-unterstuetzen-neue-wolfspolitik-des-bundes?id=12450612 (ab
-> https://www.watson.ch/schweiz/thurgau/173767227-gutachten-bestaetigt-verschwoerungserzaehlungen-in-thurgauer-psychiatrie
-> https://www.watson.ch/schweiz/thurgau/591345094-littenheid-tg-gutachten-bestaetigt-verschwoerungserzaehlungen


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
«Durchgeknallt» – das denken Andelfinger über die Staatsverweigerer
In Andelfingen bäumt sich eine kleine Gruppe gegen den Staat auf und weigert sich, ihre Steuern zu zahlen. Im Dorfzentrum sorgt das für Kopfschütteln und Verwunderung.
https://www.20min.ch/story/andelfingen-zh-durchgeknallt-das-denken-andelfinger-ueber-die-staatsverweigerer-862118495828
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/ambulatorium-an-der-zuercher-europa-allee-ist-gefragt?id=12450366 ß (ab 03:10)
-> https://www.20min.ch/story/extremismus-muessen-mit-gewalt-von-einzelnen-staatsverweigerern-rechnen-694744514915?version=1694149073867&utm_source=twitter&utm_medium=social


Verschwörungssender Auf1 erreicht die Schweiz – über Satellit
Der österreichische Sender «Auf1», der «alternative» Nachrichten verbreitet, ist neu über Satellit im Fernsehen empfangbar. Ob dies seine Reichweite steigert?
https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/verschworungssender-auf1-erreicht-die-schweiz-uber-satellit-66593708
-> https://taz.de/AUF1-im-deutschen-Fernsehen/!5958811/


The Princess of Disinformation – Alina Lipp und Putins Krieg
https://www.zdf.de/dokumentation/die-spur/thema-the-princess-of-disinformation-100.html


+++HISTORY
Lob des Widerstands
Dass die Sammlung Bührle nach nur zwei Jahren von Grund auf neu präsentiert werden soll, ist ein spektakulärer Triumph der beharrlichen Kritiker:innen.
https://www.woz.ch/2336/kommentar-von-daniela-janser/lob-des-widerstands/!4XQM0BT825VA