Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/
+++GENF
Schule für unbegleitete minderjährige Asylsuchende – Schweiz Aktuell
Alleine im Kanton Genf hat sich die Zahl der minderjährigen Jugendlichen, die ohne Begleitung Erwachsener auf der Flucht sind, in den letzten Jahren vervierfacht. Diesen Sommer starten 14 neue Klassen für junge Geflüchtete, die teilweise noch nie eine Schule besuchen konnten. Ein seltener Einblick in eine Alphabetisierungsklasse.
https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/schule-fuer-unbegleitete-minderjaehrige-asylsuchende?urn=urn:srf:video:873d8216-69c9-4f82-8604-bf6082e00402
+++SCHWEIZ
Eritreische Community: Warum die Schweiz mitschuldig ist
In Opfikon kam es zu gewaltsamen Zusammenstössen innerhalb der eritreischen Community. Dahinter steckt ein seit langem schwelender Konflikt – den der Bund noch befeuert.
https://www.woz.ch/2336/eritreische-community/warum-die-schweiz-mitschuldig-ist/!C4Q7RZAJ7TEK
+++EUROPA
EU-Urteil zu illegaler Abschiebung: Frontex muss nicht zahlen
Das Europäische Gericht lehnt die Klage einer syrischen Familie ab. Sie war unter Frontex-Beteiligung illegal aus Griechenland abgeschoben wor¬de¬n.
https://taz.de/EU-Urteil-zu-illegaler-Abschiebung/!5955306/
-> https://twitter.com/seawatchcrew/status/1699402743138439548
-> https://www.jungewelt.de/artikel/458487.festung-europa-klage-gegen-frontex-abgewiesen.html
-> https://www.zeit.de/politik/ausland/2023-09/eu-grenzschutzbehoerde-frontex-schadensersatz-familie-pushback
+++GASSE
tagesanzeiger.ch 06.09.2023
Crack, Kokain, Heroin: Das Drogenelend in Schweizer Städten wird sichtbar
Zürich, Bern, Lausanne, Genf: In der Schweiz werden Drogen in aller Öffentlichkeit konsumiert. Der Stoff ist so rein wie nie zuvor, die Verwahrlosung von Süchtigen nimmt zu. Wie die Städte jetzt reagieren.
Philippe Reichenaus Lausanne
Süchtige, die sich auf öffentlichen Plätzen Kokain in die Venen spritzen. Weggetretene, die mit nach vorne gekipptem Oberkörper an Bushaltestellen sitzen. Verwahrloste, die in den Büschen vor der Kantonsbibliothek Crack rauchen. Andere liegen wenige Meter entfernt benommen auf dem Asphalt und vor Geschäftseingängen, während mutmassliche Drogenhändler daneben auf neue Kundschaft warten.
Solche Szenen sahen die Lausannerinnen und Lausanner in diesem Sommer mitten im Stadtzentrum. Die Drogenszene beherrscht den öffentlichen Raum bis weit in die Nacht hinein. Selbst am Tag sieht man Süchtige ihre Notdurft in Hauseingängen verrichten. Obwohl sich Marginalisierte in Lausanne seit jeher auf dem Place de la Riponne tummeln und dort von der Stadtregierung auch toleriert werden, stieg diesen Sommer die Furcht, die Drogenszene könnte definitiv ausser Kontrolle geraten sein.
Die Entwicklung der letzten Monate hat die Stadtbevölkerung in Lausanne aufgeschreckt und verunsichert. Seit dem Schulbeginn vor zwei Wochen drängt die Polizei Süchtige und Händler von Strassen und Plätzen. Das Problem ist nicht nur in Lausanne zu beobachten. Auch in Städten wie Genf und Zürich hat sich die Drogensituation in den letzten Wochen zugespitzt – auch da vor den Augen der Bevölkerung.
Die Jahreszeit mag ein Grund sein. Im Sommer sind auch Drogensüchtige mobiler, halten sich vermehrt im öffentlichen Raum auf und schlafen teilweise gar im Freien. Doch für Frank Zobel, den Vize-Direktor der Stiftung Sucht Schweiz, ist vor allem etwas entscheidend: «Noch nie war hierzulande so reines Kokain in so grossen Mengen zu derart tiefen Preisen auf dem Markt.» In Lausanne könne man für zehn Franken Kokain kaufen, das einen Reinheitsgrad von 70 bis 90 Prozent aufweise. Eine der analysierten Kokainproben habe gar 95 Prozent reines Kokain enthalten. «So etwas habe ich noch nie gesehen. Das ist, als würde man Kokain direkt in einem kolumbianischen Drogenlabor kaufen», sagt Frank Zobel. Gemäss dem neusten Weltdrogenbericht der UNO wird immer mehr Kokain produziert. 2021 kamen aus den Ländern Kolumbien, Peru und Bolivien über 2000 Tonnen reines Kokain, wobei in Europa auch die sichergestellten Mengen steigen (siehe Box).
Die Drogensüchtigen konsumieren gemäss Drogenexperte Zobel immer mehr Kokain und vor allem Kokain mit extrem starker Wirkung. Und doch lässt sich die Situation in Genf nicht mit jener in Lausanne vergleichen. Und auch die Situation in Zürich und Bern ist nochmals eine andere.
Von allen städtischen Drogenszenen ist jene in Genf derzeit wohl am besten erforscht. Genfs Gesundheitsdirektion beauftragte 2022 die Stiftung Sucht Schweiz mit einer Studie, weil immer mehr Drogensüchtige und auch Händler in Quartieren beim Bahnhof und rund um Schulhäuser aufgetaucht waren.
Die Studie liegt seit Juni vor. Sie zeigt, dass Genf von billigen Crackprodukten überschwemmt worden ist. Senegalesische Händler, die zunächst in Paris und Lyon anzutreffen waren und heute auch in Brüssel tätig sind, haben das Crack während der Covid-Pandemie nach Genf gebracht.
Crack besteht aus Kokain und Natron, wird geraucht und betäubt sofort. Fatal ist: Wer eine Portion geraucht hat, fühlt sich derart schlecht, dass er direkt eine neue Dosis benötigt. Der Zyklus ist kaum zu durchbrechen. Dadurch verschlechtert sich die Gesundheit von Drogenabhängigen extrem rasch. In Genf bieten es Händler in einer fertigen, mit Amphetaminen und Benzodiazepinen gestreckten Mischung in Steinchenform an. In Lausanne müssten Süchtige das Kokainpulver vor dem Konsum verarbeiten, was Zeit beansprucht und das Intervall zwischen den Dosen verlängert.
Wer intensiv Crack raucht, kann fast nicht mehr schlafen, vernachlässigt das Essen und Trinken und kümmert sich auch nicht mehr um seine Körperhygiene. Rund 220 Crackkonsumenten zählt die Stadt Genf derzeit. Das tönt nach einer kleinen Zahl, ist für Quai 9, die Genfer Anlaufstelle für Drogensüchtige, aber ein enormes Problem. Zunächst, weil die Cracksüchtigen in den Räumlichkeiten permanent am Rauchen waren und weil es zwischen den Süchtigen zu Streitereien und Gewalt kam.
Weil die Sicherheit der Anlaufstelle bedroht war, wurde das Crackrauchen im Quai 9 in diesem Sommer verboten. Damit Drogensüchtige zur Ruhe kommen können, wurden Schlafplätze eingerichtet und die Öffnungszeiten erweitert, damit Süchtige nicht den ganzen Tag in der Stadt anzutreffen sind. Für Genf werden derzeit weitere Massnahmen, auch Therapieformen, geplant, namentlich im Departement von Gesundheitsdirektor Pierre Maudet.
In Genf habe man wohl nicht rasch genug auf die Crackverkäufe reagiert, stellt Frank Zobel fest. Strafrechtlich sei das aber auch schwierig, wenn Händler jeweils nur Kleinstmengen in ihren Taschen hätten. Zudem sei ein Teil der Kokainkonsumenten sehr jung und den Sozialarbeitern in den Strassen kaum bekannt.
Während Genf eine funktionierende Anlauf- und Beratungsstelle mit einem Konsumraum hat, muss Lausanne ein solches Angebot erst noch schaffen. Die jetzige Anlaufstelle liegt einige Hundert Meter vom Place de la Riponne entfernt. Die künftige wird direkt neben den Drogensüchtigen platziert sein.
In der Deutschschweiz, namentlich in Zürich, zirkuliert das Crack gemäss Sucht Schweiz schon viel länger als in der Romandie. Trotzdem hat die Droge nicht einmal im Ansatz dazu geführt, dass sich Drogenszenen wie einst auf dem Zürcher Platzspitz oder dem Berner Kocherpark bildeten. Und doch tauchte gerade in Zürich in diesem Sommer die Befürchtung auf, Drogensüchtige können im öffentlichen Raum wieder mehr Platz als erwünscht einnehmen.
Polizisten und Sozialarbeiter
In Zürich ist die Drogenszene vor allem auf der Bäckeranlage gewachsen, einem Park in der Nähe der Langstrasse im Kreis 4. Hier treffen sich seit Jahrzehnten Abhängige, ab diesem Frühling sind es aber deutlich mehr geworden. Anwohnende befürchten eine neue offene Drogenszene, die immer mehr Abhängige anlockt und ausser Kontrolle gerät. Um eine Ausbreitung zu verhindern, schickt die Stadt vermehrt Polizistinnen auf die Bäckeranlage, gleichzeitig kümmern sich Sozialarbeiter um die Abhängigen.
Im Vergleich zu Lausanne sind die Süchtigen auf den Zürcher Strassen aber bisher deutlich weniger präsent. Auf der Bäckeranlage ist die Szene laut einem Anwohner vor allem während der zweiten Nachthälfte aktiv.
Ein wichtiger Grund für die jetzige Situation ist eine Kontakt- und Anlaufstelle (K & A) im Kreis 4, die letztes Jahr wegen Bauarbeiten schliessen musste. Dort konnten Drogenabhängige Crack rauchen und Heroin spritzen, das Dealen von kleinen Mengen war erlaubt. Die Stadt hatte nach der Schliessung bereits einen Ersatzstandort im Kreis 4 organisiert. Doch in der früheren Polizeikaserne brachte der Kanton im Winter kurzfristig minderjährige Geflüchtete unter. Seither sucht die Stadt Zürich dringend nach neuen, zentral gelegenen Räumen. Eine Wiedereröffnung der K & A im Kreis 4, so die Hoffnung, würde die Situation rund um die Bäckeranlage wieder beruhigen.
Auch in Bern ist das Crack angekommen. Doch anders als in Genf, Lausanne und Zürich hat die Schwemme von günstigem Kokain das Konsumverhalten in der Berner Drogenszene nicht verändert. Das beobachtet Simone Schär, die für die Stiftung Contact für die Anlaufstellen und Konsumationsräume in Bern und Biel zuständig ist. Sie sagt aber auch: «Was wir heute nicht feststellen, kann sich rasch ändern.»
Dass sich in der Deutschschweiz wieder grössere Drogenszenen bilden und eine Eskalation wie in der Romandie zu befürchten ist, glaubt Drogenexperte Zobel nicht. «Für die Deutschschweiz waren der Platzspitz und der Kocherpark Traumata, entsprechend professionell geht man heute mit dem Drogenkonsum im öffentlichen Raum um», sagt er. Sozialarbeiter, Polizisten und Leute aus Pflegeberufen arbeiten seit Jahren gut zusammen, was gemäss Zobel in der Romandie noch verbessert werden muss.
Drogenkongress der Städte
Der veränderte Drogenkonsum in urbanen Zentren beschäftigt auch den Schweizerischen Städteverband. Die städtischen Sicherheitsdirektoren widmen ihren (öffentlich zugänglichen) Herbstkongress in Zürich vom 3. November dem Thema Drogen.
Gemäss Geschäftsführer Christoph Lienhard wird am Kongress aber nicht nur über Crack diskutiert, sondern auch über Partydrogen, den Alkoholkonsum im öffentlichen Raum und die schweizweit angelaufenen Pilotversuche zur Abgabe von Cannabis. Der Austausch zum Thema Drogen kommt zum genau richtigen Zeitpunkt», sagt Lienhard. Das Thema beschäftige aber nicht nur die Schweiz, sondern auch Deutschland, Frankreich, ja sogar halb Europa.
Mitarbeit: Beat Metzler
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Drogenfänge nehmen zu
Welche Mengen Kokain jährlich von Lateinamerika nach Europa und am Ende in die Schweiz gelangt, lässt sich nicht genau beziffern. Was hingegen klar ist: Die beschlagnahmten Mengen sind massiv gestiegen. Im Jahr 2021 wurden im EU-Raum insgesamt 303 Tonnen Kokain beschlagnahmt, drei Viertel davon in Belgien, den Niederlanden und Spanien. Allein 2022 wurden im Hafen von Antwerpen 110 Tonnen konfisziert, 2021 waren es noch 91 Tonnen gewesen. (phr)
(https://www.tagesanzeiger.ch/crack-in-der-schweiz-das-drogenelend-wird-sichtbar-558319021738)
-> https://www.blick.ch/schweiz/gemeinderat-ist-beunruhigt-crack-szene-in-zuercher-park-ruft-politik-auf-den-plan-id18917077.html
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Besorgnis über Zürcher Drogenszene: Gemeinderat will Crack-Szene in Bäckeranlage verhindern
Die SVP fordert, dass der Zürcher Stadtrat wegen der entstandenen Drogenszene im Kreis 4 sofort handelt. Das Postulat ist problemlos überwiesen worden.
https://www.tagesanzeiger.ch/besorgnis-ueber-drogenszene-gemeinderat-will-crack-szene-in-baeckeranlage-verhindern-914815137362
-> https://www.zueritoday.ch/zuerich/zuercher-gemeinderat-will-crack-szene-in-der-baeckeranlage-verhindern-153393012
«BaZ direkt» – der tägliche PodcastSchweizer Städte werden zu Drogenhöllen – auch Basel?
Immer mehr, immer reiner: Drogen verbreiten sich ungehemmt. Erinnerungen an den Platzspitz werden wach.
https://www.bazonline.ch/baz-direkt-der-taegliche-podcast-schweizer-staedte-werden-zu-drogenhoellen-auch-basel-333543994208
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Basler Zeitung 06.09.2023
«Besetzung» des Basler Hammerplätzli: Statt Dealer treffen sich jetzt Anwohner
Einst war die Kreuzung Hammerstrasse-Bläsiring ein Drogenumschlagplatz. Kinder hatten Angst, zur Schule zu gehen. Doch dann reagierten die Eltern.
Dina Sambar
Mitten im Kleinbasel treffen sich auf der Kreuzung Hammerstrasse/Bläsiring bei schönem Wetter jeden Freitagabend bis zu 60 Anwohner und grillieren, spielen und singen gemeinsam.
Sie nehmen den Platz ganz bewusst in Anspruch, damit er nicht zu dem verkommt, was er noch vor wenigen Jahren war: ein vom Durchgangsverkehr dominierter Unort, an dem, kaum war er verkehrsberuhigt, junge Männer die ganze Nacht ihre getunten Autos präsentierten, grölten, kifften und Alkohol tranken. Und an dem Dealer ihre Drogen anboten.
Anziehungspunkt waren zwei Bars und ein Spielsalon. «Es wurden Razzien durchgeführt. Doch die polizeilichen Interventionen nützten nichts», sagt Anwohner Markus Knöpfli. Abfall blieb einfach liegen: «Selbst die Pflanzen in den Kübeln erhielten keine Pflege.»
Der 61-Jährige stellt den Grill auf und erinnert sich. Vor achtzehn Jahren waren seine Söhne im nahe gelegenen Bläsi-Schulhaus und er in einer Elterngruppe: «Andere Eltern sind auf uns zugekommen. Sie hatten Angst, weil ihre Kinder auf dem Weg zur Schule an den Männern vorbeigehen mussten.» So entstand, unterstützt vom Stadtteilsekretariat Kleinbasel, 2005 die Idee, das Plätzli wöchentlich mit einem Picknick zu «besetzen».
Diese regelmässigen Treffen änderten etwas, sagt Knöpfli: «Die jungen Männer nutzten den Grill mit, man redete miteinander, wir erhielten Einblick in ihre teils schwierigen Lebenssituationen.» Frauen und Kinder hätten danach weniger Angst gehabt, man grüsste sich sogar, sagt seine Frau Cornelia Knöpfli.
2011 drohte dem Hammerplätzli fast das Aus. Zwei Immobiliengesellschaften beklagten, dass der Ort zu laut sei. Die Stadt solle die Sitzgelegenheiten und den Mergelplatz wieder entfernen. Das Baudepartement gab nach. Doch das Picknick-Team, die Leitung des anliegenden Pflege- und Altersheims und mehrere Anwohner wehrten sich: «Niemand wollte zurück zu dem unwirtlichen Platz», schrieb Knöpfli vor einem Jahr in einem Flyer, in dem er die Geschichte des Hammerplätzli in Erinnerung ruft.
Nach einer gemeinsamen Baueinsprache mit 30 Unterschriften erhielt der Platz sogar neue Sitzgelegenheiten. Lärm, Drogen und Abfall waren aber immer noch ein Problem. Richtig ruhig wurde es erst 2014, als die beiden Bars und der Spielsalon schlossen.
Es ist 19 Uhr. Die anderen Anwohner sind noch nicht aufgetaucht. Auf den Bänken sitzen acht portugiesische Arbeiter. Sie trinken hier regelmässig ihr Feierabendbier. «Das ist genau so eine Situation», sagt Knöpfli. Die Männer seien nett und harmlos, doch manchmal tränken sie doch ordentlich: «Das hat einige Leute gestört.» Aber auch die Arbeiter wurden zum Grill eingeladen: «Das entspannt die Situation.» Generell dürfe jeder kommen. Das Treffen sei sehr niederschwellig.
Mittlerweile sind rund 40 Anwohner für das Picknick aufgetaucht. Der Grill wird rege genutzt, an den aufgestellten Festbänken sitzen die Erwachsenen, und die Kinder malen mit Strassenkreide oder spielen Verstecken.
«Ich kann es nie erwarten, bis Freitag ist», sagt die 11-jährige Leonita. Auch Jonis (14), Lejla (8), Tijara (6) freuen sich schon Tage im Voraus auf den Freitagabend. Vor allem, wenn Markus Knöpfli beim Eindunkeln jeweils seine Gitarre herausholt und alle gemeinsam singen, finden es die Kinder toll. «Ich will, dass es jeden Tag Markus gibt!», sagt Leonita.
Mustafa Selimi (37) ist mit seinen zwei Kindern hier und hat einen Ventilator mitgebracht, damit der Grill schneller angefeuert werden kann. Er kommt bereits seit elf Jahren an das Picknick. Der Zusammenhalt, der durch die Picknicks entstanden ist, sei für die Eltern eine grosse Unterstützung: «Wir haben einen Gruppenchat. Wenn ich irgendwo unerwartet stecken bleibe, schreibe ich dort rein, und es hilft mir jemand und schaut kurz auf die Kinder.»
Als Markus und Cornelia Knöpflis Kinder noch klein waren, ging mal die Angst vor einem Pädophilen im Quartier um. «Ich habe meinen Kindern die Wohnungen aller Familien gezeigt, die wir kannten. Es gab an jeder Ecke auf ihrem Schulweg Leute, bei denen sie hätten klingeln können, falls sie Angst gehabt hätten», erzählt Markus Knöpfli. Es war wichtig und wertvoll, dass wir die anderen Familien kennen lernten – auch jene mit einer anderen Nationalität.
Man helfe sich gegenseitig – auch mit Dingen wie dem Aufsetzen von Briefen für Mietreduktionen oder Prämienverbilligungen. Oder als moralische Stütze: «Ich hatte ein Problem mit einem meiner Kinder. Ich war an einem Punkt, wo es für mich wirklich schwer war. Doch ich wusste, ich kann mit Markus und Cornelia sprechen. Das hat mir geholfen», erzählt Mustafa Selimi. Den Knöpflis kommt dabei auch ihre Erfahrung zu Hilfe. Er ist Primarlehrer, sie ist Sozialpädagogin.
Nach dem gemeinsamen Singen ist um 22 Uhr Schluss – aus Rücksicht auf die restlichen Anwohner. Denn dass Kinder, die Spass hätten, manchmal laut würden, lasse sich nicht verhindern, sagt Knöpfli. Es habe diesbezüglich auch schon Reklamationen gegeben: «Wir haben darauf in der Nachbarschaft einen Flyer verteilt, auf dem steht, um was es uns geht. Damit konnten wir Verständnis schaffen. Seither haben wir keine Reklamationen mehr», sagt Markus Knöpfli.
2018 haben Anwohner den Kleinbasler Elternverein «Let’s go» gegründet. Die Initianten stammen aus allen möglichen Kulturkreisen. Das Hammerplätzli-Picknick ist nur ein Teil der Vereinsaktivitäten. Einmal im Monat wird ein gemeinsamer Ausflug organisiert. Und in den Herbstferien bieten sie ein einwöchiges Familienlager an.
Die Kinder der Knöpflis sind mittlerweile ausgeflogen – trotzdem engagiert sich das Paar weiter. Er fühle sich so selber mehr zu Hause, sagt Markus Knöpfli: «So wird die nähere Umgebung zu einem Dorf.»
(https://www.bazonline.ch/besetzung-des-basler-hammerplaetzli-statt-dealer-treffen-sich-jetzt-anwohner-777577093649)
+++STRAFRECHT
Stellungnahme zur Anpassung des Jugendstrafrechts
humanrights.ch unterstützt die Stellungnahme der Organisation Kinderanwaltschaft Schweiz im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens zur Änderung des Strafgesetzbuches und des Jugendstrafgesetzes.
Zusammen mit anderen Organisationen spricht sich humanrights.ch gegen die Verwahrung von jugendlichen Straftäter*innen aus und fordert, den neuen Artikel 19c des Strafgesetzbuches aus dem Gesetzesentwurf zu streichen, da dieser dem Grundgedanken des Jugendstrafrechts und der UN-Kinderrechtskonvention widerspricht.
Stellungnahme Kinderanwaltschaft Schweiz, 2023: https://www.humanrights.ch/cms/upload/pdf/2023/230906_Begleitbrief_Argumentarium_KACH.pdf
(https://www.humanrights.ch/de/stellungnahmen/stellungnahme-anpassung-jugendstrafrechts)
+++SICHERHEITSFIRMEN
Thun BE: Er wollte nur einen Burger kaufen, da bodycheckten ihn die Securitys
Ein Mann versuchte während des Thunfestes einen Burger zu kaufen und wurde von Sicherheitsleuten zu Boden geworfen. Der Polizei ist der Vorfall bekannt.
https://www.20min.ch/story/thun-be-er-wollte-nur-einen-burger-kaufen-da-bodycheckten-ihn-die-securitys-476355249034
+++POLICE BE
Leitartikel zur Presseschelte: Es ist Aufgabe der Medien, kritisch hinzuschauen
Polizeidirektor Philippe Müller attackiert die Redaktion für die Berichterstattung zu einem umstrittenen Einsatz. Wir weisen die Anschuldigungen entschieden zurück.
https://www.derbund.ch/leitartikel-zur-presseschelte-es-ist-aufgabe-der-medien-kritisch-hinzuschauen-870279541058
Unvollständige Berichterstattung der Medien nach Anhaltung
Gestern hat das Regionalgericht Bern-Mittelland den Entscheid im Fall eines Polizeieinsatzes vor der Heiliggeistkirche gefällt. Der Mitarbeiter der Kantonspolizei, der den Mann anhielt, ist freigesprochen worden. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Aus Sicht des Sicherheitsdirektors Philippe Müller war die mediale Berichterstattung kurz nach der Anhaltung im Juni 2021 voreingenommen und unvollständig und nahm damit eine öffentliche Vorverurteilung des Mitarbeitenden der Kantonspolizei in Kauf.
https://www.be.ch/de/start/dienstleistungen/medien/medienmitteilungen.html?newsID=48bdadb2-e3b8-43e7-bddf-fe5677f6317c
-> https://www.persoenlich.com/medien/philippe-muller-im-clinch-mit-bz-und-bund
-> https://www.jungfrauzeitung.ch/artikel/213406/
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derbund.ch 06.09.2023
Berner Polizisten vor Gericht: Nach diesem seltenen Urteil gehen die Wogen hoch
Ein Polizist wird verurteilt, ein anderer freigesprochen. Und vom Sicherheitsdirektor gibt es eine Medienschelte. Was ist passiert?
Michael Bucher
Polizisten auf der Anklagebank – es ist ein Bild, das es in der Schweiz selten gibt. Dass sie verurteilt werden, ist noch seltener. Dazu kam es aber am Dienstag am Regionalgericht Bern-Mittelland. Die Einzelrichterin verurteilte einen 42-jährigen Polizisten wegen Amtsmissbrauch und Tätlichkeit zu einer bedingten Geldstrafe. «Das Handeln war verwerflich und inakzeptabel», meinte die Richterin. Der Mann soll einen in Handschellen gelegten Mann unsanft in einen Polizeiwagen gestossen und dadurch verletzt haben. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, ein allfälliger Weiterzug offen.
Ein weiterer angeklagter Polizist wurde hingegen von denselben Anschuldigungen freigesprochen. Er war es, der zusammen mit einer Dienstkollegin den Mann festgenommen hatte. Die Festnahme an sich bemängelte die Richterin nicht. Der Betroffene – ein 28-jähriger Marokkaner ohne Ausweispapiere und mit diversen Rauschmitteln intus – habe sich schliesslich renitent verhalten.
Der Vorfall, der sich im Juni 2021 auf dem Berner Bahnhofplatz ereignete, wurde von Beginn weg von einer aufgeheizten Debatte begleitet. Nicht zuletzt, weil es diese Zeitung war, welche den Vorfall publik machte. Vier Journalistinnen und Journalisten hatten die Festnahme beobachtet und darüber berichtet, was schliesslich zum Strafverfahren führte.
Müllers Medienkritik
Lange hatte der kantonale Sicherheitsdirektor Philippe Müller (FDP) zum Fall geschwiegen. Am Mittwoch – am Tag nach dem Urteil – bricht er nun dieses Schweigen. Er verschickt eine ausführliche schriftliche Stellungnahme inklusive Videostatement an die Medien.
Zu den Urteilen äussert er sich allerdings nicht. Vielmehr übt er scharfe Kritik an der Berichterstattung dieser Zeitung. Der nun freigesprochene Polizist sei in schwerem Masse vorverurteilt worden, findet er. Gleichentags folgen die Sektion Bern-Gemeinden des Verbands Schweizerischer Polizei-Beamten und die Fraktionen der bürgerlichen Parteien in Bern mit einer ähnlich lautenden Medienmitteilung. Die Chefredaktion dieser Zeitung weist die Vorwürfe einer voreingenommenen Berichterstattung vehement zurück.
Was Müller meint: Der Polizeibeamte verharrte während der Fesselung mit dem Knie im Nacken- und Halsbereich des Festgenommenen. Dass in der Berichterstattung Bezug auf den Fall George Floyd genommen worden sei, findet er stossend.
Der Afroamerikaner Floyd verstarb 2020 in den USA, nachdem ihm ein mittlerweile verurteilter Polizist während rund neun Minuten sein Knie auf den Hals gedrückt hatte. Beim Berner Fall geht das Gericht davon aus, dass die Fixierung mit dem Knie etwas mehr als eine Minute dauerte. Interessant dabei: Die Richterin bezeichnete den Einsatz des Knies eigentlich als unverhältnismässig. Da jedoch weder erwiesen ist, ob der Polizist dabei Druck ausübte noch ob er vorsätzlich handelte, kam es zum Freispruch.
Die Rolle der Zeugen
Die Verurteilung des zweiten Polizisten wiederum erwähnt Sicherheitsdirektor Müller in der Mitteilung nicht. Diese ist – wie erwähnt – ein aussergewöhnliches Ereignis. Zwar gibt es keine Statistik, wie oft Polizisten verurteilt werden. Doch man kann sich anschauen, wie oft der Vorwurf des Amtsmissbrauchs erhoben wird – laut Rechtsexperten betrifft ein Grossteil davon Polizeibeamte.
Im Zeitraum von 2010 bis 2019 wurden im Kanton Bern 70 Beamte beschuldigt, diese Straftat begangen zu haben. Verurteilt wurden bloss 8, was einer Quote von rund 11 Prozent entspricht. Die tiefe Quote kann man auf zwei Arten interpretieren. Die Polizeiverbände sehen es als Beweis, dass Polizeigewalt hierzulande kein Problem darstelle.
Für Jonas Weber, Professor für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Bern, ist die tiefe Verurteilungsquote hingegen «ein Indiz dafür, dass sich der Polizeiapparat selber schützt». Er spricht von einem starken Korpsgeist, der dazu führe, dass man sich nicht gegenseitig anschwärze.
Diese Vermutung steht auch im aktuellen Berner Fall im Raum. So behauptete der verurteilte Polizist, der Festgenommene sei beim Verladen in den Polizeiwagen gestolpert. Ein weiterer Polizist, der als Zeuge auftrat, sagte dasselbe aus. Der Staatsanwalt hielt dies jedoch für eine Schutzbehauptung. Sein Verdacht: Die beiden Polizisten haben sich abgesprochen. So sah es offenbar auch die Richterin, als sie den Angeklagten schuldig sprach. «Es ist kein Grund ersichtlich, warum die Journalisten lügen sollten», hielt sie fest.
Die Rolle der Journalisten als Zeugen war für Strafrechtsprofessor Jonas Weber denn auch entscheidend für das Urteil. Laut ihm ist dies der wesentliche Unterschied zu anderen Fällen, bei denen neutrale Drittpersonen fehlen und sich bloss der Verhaftete über mutmasslich überhartes Verhalten beklagt. Dass bei einer solchen Konstellation das Verfahren in der Regel eingestellt werde, hat für Weber damit zu tun, «dass den Aussagen von Polizisten de facto mehr Glaubwürdigkeit geschenkt wird als Privaten».
Der letzte bekannte Berner Fall, bei dem Polizisten verurteilt wurden, ereignete sich 2014. Ein polizeilich bekannter Mann urinierte damals auf einer Stadtberner Polizeiwache in den Warteraum. Zwei Polizisten verlangten von ihm, den Boden zu reinigen. Weil der Mann sich weigerte, drückte ihm einer der Polizisten den Kopf in den Urin. Schliesslich schleifte ihn der andere Polizist auch noch an den Beinen durch die Urin-Pfütze.
Nach dem Schuldspruch vor Obergericht wurden die beiden freigestellt. Auch hier spielte eine Zeugin die zentrale Rolle. Interessanterweise handelte es ich dabei um eine Polizeiaspirantin, die gegen ihre Kollegen aussagte.
Das Fazit des Rechtsexperten
Zurück zum aktuellen Fall. Als Fazit meint Strafrechtsprofessor Weber: «Es braucht ein Verständnis dafür, dass bei Festnahmen manchmal physische Gewalt angewendet werden muss.» Auf der anderen Seite müsse die Polizei bestrebt sein, das notwendige Mass an Gewalt so tief wie möglich zu halten. «Es ist zu hoffen, dass die Kantonspolizei die Verurteilung eines ihrer Polizisten auch als Chance sieht, aus dem Fehlverhalten zu lernen», sagt er.
Was mit dem verurteilten Polizisten geschieht, ist laut Sicherheitsdirektor Müller noch offen. Man wolle erst die schriftliche Urteilsbegründung abwarten. Das kann mehrere Wochen dauern. Adrian Wüthrich, Präsident des bernischen Polizeiverbandes und Alt-Nationalrat der SP, verweist auf Anfrage auf das Personalgesetz.
Bei einem rechtskräftigen Urteil reichen die Massnahmen demnach von einem Verweis über eine interne Versetzung bis zur Entlassung. «Am Ende ist es der Polizeikommandant, der entscheidet», so Wüthrich. Das Urteil will auch er nicht kommentieren. Er sagt lediglich: «Es zeigt, dass die demokratische Kontrolle der Polizeiarbeit funktioniert.»
(https://www.derbund.ch/berner-polizisten-vor-gericht-ein-seltenes-urteil-das-die-wogen-hochgehen-laesst-739912293953)
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nzz.ch 06.09.2023
Der Berner Sicherheitsdirektor holt zur Medienschelte aus – Philippe Müller wirft dem «Bund» und der «Berner Zeitung» vor, einen Polizisten vorverurteilt zu haben
Nach einem ruppigen Polizeieinsatz entfachte sich eine Berner «George Floyd»-Polemik. Das Regionalgericht hat den hauptbetroffenen Polizisten freigesprochen. Die Redaktion und der Sicherheitsdirektor liefern sich nun eine öffentliche Kontroverse.
Georg Häsler, Bern
Ein torkelnder Marokkaner leistet Widerstand, als ihn die Polizei vor der Heiliggeistkirche anhalten will. Er wird zu Boden geworfen und fixiert. Eine Reihe Berner Medienschaffende ist zufällig dabei, die Szene wird fotografiert, eine Journalistin und ein Journalist schreiben gemeinsam – ganz betroffen – einen Augenzeugenbericht im «Bund» und in der «Berner Zeitung» (BZ).
Über dem Bild, das einen Beamten kniend über dem Mann zeigt, steht der Titel: «Das Knie auf dem Hals – verstörende Aktion der Berner Polizei». Der Text spannt den Bogen von Bern nach Minneapolis in die USA zum Fall George Floyd, der 2020 nach massiver Polizeigewalt gestorben ist. Der Täter sitzt im Gefängnis, verurteilt unter anderem wegen fahrlässiger Tötung.
Im Berner Fall hat das Regionalgericht Bern-Mittelland am Dienstag den hauptbeteiligten Polizisten freigesprochen. Ein Kollege dagegen, der später dazugekommen war, wurde verurteilt, weil er den Marokkaner später unsanft in den Polizeibus geworfen hatte. Er muss eine Busse und die Gerichtskosten bezahlen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Müller verurteilt Berichterstattung
In einem ungewöhnlich scharf formulierten Communiqué macht nun der Berner Sicherheitsdirektor Philippe Müller (FDP) seinem Ärger über die – aus seiner Sicht – unvollständige und voreingenommene Berichterstattung so richtig Luft: Zwei seiner Leute seien mit dem verurteilten Polizisten aus Minneapolis auf die gleiche Stufe gestellt worden.
Dieser drückte sein Knie während zehn Minuten auf den Hals seines Opfers, was zum Tod von George Floyd führte. Die Fixierung des Marokkaners dauerte jedoch bloss 1 Minute und 13 Sekunden, was auf den Metadaten der digitalen Pressefotos klar ersichtlich war. Die Leserschaft habe keine Information erhalten, wie lange die Fixierung gedauert habe, kritisiert die Sicherheitsdirektion die Berichterstattung.
Weiter hält das Communiqué fest: «Die zuständige Redaktion wurde gleichentags durch einen Fachmann auf diese Unterlassung sowie die unglückliche Bildauswahl hingewiesen.» Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätten die Medienschaffenden gewusst, dass die Fixierung ungefährlich gewesen sei und dass die Situation deshalb nicht vergleichbar gewesen sei mit dem Fall Floyd.
Müller verurteilt «diese Unterlassung in der Berichterstattung». Er habe nichts gegen Kritik an den zuweilen schwierigen Einsätzen der Polizei in der Öffentlichkeit: «Aber ich möchte die Medienschaffenden auch in aller Öffentlichkeit auffordern, dass dies fair, ausgewogen und unvoreingenommen geschieht.»
«Von einer Vorverurteilung kann keine Rede sein»
Auf die Nachfrage der NZZ und einer Nachrichtenagentur bei «Bund» und «Berner Zeitung» antworteten die Chefs der beiden Titel mit einem Leitartikel, der am Mittwochnachmittag auch per Push-Nachricht unter dem geneigten Berner Publikum verbreitet wurde. Simon Bärtschi («BZ») und Isabelle Jacobi («Bund») titeln: «Es ist die Aufgabe der Medien, kritisch hinzuschauen».
Der Polizeidirektor attackiere die Redaktion für die Berichterstattung zu einem umstrittenen Einsatz, schreiben sie im Vorspann und weisen alle Anschuldigungen entschieden zurück. Die konkrete Berichterstattung über den Vorfall bei der Heiliggeistkirche basiere auf subjektiven Beobachtungen der Medienschaffenden, was im Text klar und mehrfach deklariert werde.
Im Beitrag finde zudem kein direkter Vergleich mit dem Fall Floyd statt, schreiben Bärtschi und Jacobi und zirkeln so am schwerwiegendsten Vorwurf des Sicherheitsdirektors vorbei. Eine Woche nach dem Augenzeugenbericht habe ein Leitartikel darüber hinaus explizit erwähnt, dass der Fall vor der Heiliggeistkirche nicht mit dem Fall Floyd verglichen werden könne: «Deswegen ist selbst dieser Vorwurf von Regierungsrat Müller falsch. Von einer Vorverurteilung kann keine Rede sein.»
Am Mittwochabend hat Müller in den sozialen Netzwerken bereits nachgedoppelt: «Bund/BZ antworten auf eine ‹Medienschelte›, die sie bis jetzt nicht publiziert haben . . .», schreibt er beim Kurznachrichtendienst X: «Fakt ist: Die Journalisten wurden frühzeitig von einer Fachperson auf ihre Unterlassungen aufmerksam gemacht – und haben nicht reagiert!» Der Marokkaner, um den es eigentlich geht, wurde inzwischen ausgeschafft.
(https://www.nzz.ch/schweiz/dem-berner-sicherheitsdirektor-platzt-der-kragen-ld.1754949)
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Das Polizeigesetz sorgte für Diskussionen
Nach der Totalrevision 2019 wird das Polizeigesetz des Kantons Bern derzeit einer Teilrevision unterzogen. Der Regierungsrat verabschiedete einen entsprechenden Vorschlag im Mai. Anfang Woche beriet nun das Kantonsparlament die Gesetzesänderungen in einer ersten Lesung. Bereits in der vorberatenden Sicherheitskommission (SiK) waren einzelne Neuerungen umstritten. Für grosse Diskussionen führten vor allem zwei Punkte.
https://rabe.ch/2023/09/06/das-polizeigesetz-sorgte-fuer-diskussionen/
+++POLIZEI DE
»Das grundlegende Problem deutscher Polizeien«
Handbuch zu Anwendung von Schmerzgriffen bei Berliner Polizei entdeckt. Ein Gespräch mit Philipp Krüger
https://www.jungewelt.de/artikel/458485.repression-das-grundlegende-problem-deutscher-polizeien.html
+++JENISCHE/SINTI/ROMA
derbund.ch 06.09.2023
Bieler Transitplatz: Wo Fahrende einen Sommer lang stehen können
Im Bözingenfeld verbringen Fahrende seit vier Monaten einen ruhigen Sommer. Ein Augenschein vor Ort mit Biels Sicherheitschef André Glauser.
Mengia Spahr (BT)
Im Bözingenfeld, im Dreieck zwischen A5 und A16, umzäunt ein Gitter einen Kiesplatz. Der schwarze Sichtschutz fehlt an vielen Stellen. Dahinter knurren kleine Hunde.
Es ist im Seeland ruhig geworden um die Fahrenden, seit sie legal auf dem Bieler Transitplatz halten. Am rechten Rand des Eingangs steht einer der überdimensionierten Legosteine aus Beton, die in den letzten Jahren immer mehr brachliegende Flächen abriegelten. Biels Sicherheitschef André Glauser zeigt auf einen Balken aus Metall, der verhindert, dass Fahrzeuge, die höher sind als 2,2 Meter, einfach so auf den Platz fahren. Er sei erst vor einer Woche installiert worden.
Zwei Männer rufen Glauser zu. Ob er wisse, wo der zuständige Mitarbeiter des Polizeiinspektorats bleibt. Er komme sicher bald, sagt der Sicherheitschef.
Einer von rund 40 Wohnwagen auf dem Platz.
Wer mit seinem Wohnwagen auf den Bieler Transitplatz fahren will, gibt seine Identität an und zahlt für den Aufenthalt. Die Telefonnummer des Mitarbeiters ist nirgends angeschlagen – nicht nötig, sagt Glauser. Sie zirkuliere.
Vergleichsweise wenig Aufwand
Fünf- bis sechsmal pro Woche sei der Zuständige vor Ort und schaue, dass nie mehr als 40 Wagen auf dem Platz stehen.
Der Aufwand scheint vergleichsweise gering: In den Jahren zuvor beschäftigte der Umgang mit ausländischen Fahrenden jeweils eine Vielzahl von Gemeindeangestellten, Grundstückeigentümern und Polizistinnen. 2018 und 2019 entspannte sich die Lage, weil Brügg und Gampelen provisorische Transitplätze betrieben. Dann begann es von vorne: Von Brügg weggewiesen, gingen die Fahrenden weiter, etwa nach Pieterlen, Ipsach oder auf die VIP-Parkplätze vor der Tissot Arena.
Sie kamen immer früher im Jahr, zuletzt traf eine Gruppe Anfang März ein. Nirgends gab es eine legale Haltemöglichkeit, bis Biel im Mai ankündigte, einen provisorischen Transitplatz zu eröffnen. Kaum wurde es bekannt, standen die ersten Fahrenden auf dem Bözingenfeld. Und die Gruppe ist immer noch da, wie Glauser sagt. Es handle sich um drei Clans, deren Chefs miteinander verwandt seien. Glauser schätzt, dass zurzeit etwa 100 Menschen auf dem Platz leben. Immer wieder seien einige während ein paar Wochen woanders und kämen dann wieder.
Eigentlich sollten richtige WCs aufgestellt werden
Vor einem der grossen weissen Wohnwagen schütteln zwei Frauen Duvets aus. Dort, wo die zwei, drei Stufen auf den Platz hinuntergehen, liegt bei manchen Karawanen ein Stück Kunstrasen.
Neben einem Container ist ein Kindervelo hingeworfen, die rostige Kette ausgehängt. Die Kinder kommen auf E-Trottinetts angefahren und versammeln sich um den Fotografen. An diesem Nachmittag ist wenig los. Gearbeitet werde nicht auf dem Platz, sagt Glauser. Entsprechend gebe es auch keine Probleme mit Beizmitteln oder anderen Chemikalien, die den Boden verseuchen.
Der Transitplatz ist rudimentär eingerichtet: Strom und Wasserleitungen, ein Container für Treffen und Gottesdienste, Toi-Toi-WCs. Bezahlt vom Kanton.
Eigentlich sollte es richtige WCs geben und Duschen, denn die Parzelle auf dem Bözingenfeld war schon einmal an die Kanalisation angeschlossen. Bis vor einem Jahr waren auf dem Areal abgewiesene Asylsuchende untergebracht.
Die Infrastruktur könne also für den Transitplatz wieder verwendet werde, dachte die Stadt Biel. Doch wie Glauser sagt, musste man feststellen, dass die Kanalisation mittlerweile abgebaut wurde.
Keine Reklamationen
Da der Platz nicht so eingerichtet ist wie angekündigt, bezahlen die Fahrenden einen reduzierten Preis: Statt 20 sind es 15 Franken pro Tag und Wohnwagen.
Es habe sich indes niemand über zu wenig Komfort beklagt, sagt Biels Sicherheitschef. Nur den Boden hätten sie noch einmal neu aufgeschüttet. Statt grobkörniger Kies war da zuvor Mergel, in dem das Wasser nicht versickerte und der den Boden matschig machte. «So kommt Dreck in den Wohnwagen, und das mögen sie natürlich nicht», sagt Glauser.
Während er spricht, hält ab und zu ein Auto neben ihm an. «Bonjour, ça va?»
Man kennt sich fast seit Jahrzehnten. Die Familienclans auf dem Platz kommen aus Frankreich. Laut Glauser haben dort einige eine Wohnung oder ein Haus, andere würden auf dafür vorgesehenen Plätzen überwintern.
Viele Autos haben jedoch Schweizer Nummern. Es sind Firmenautos, wie André Glauser erklärt. Einige der Fahrenden gründen eine Einzelfirma oder eine GmbH und versichern die Autos darüber. Die Zeiten, in denen sie Messer schliffen, Teppiche verkauften und Wahrsagerei betrieben, sind vorbei. Heute verdienen die ausländischen Fahrenden ihr Geld mit Renovationen, Gartenarbeiten oder auf Baustellen.
Problem hat sich in Romandie verlagert
Die Gruppe auf dem Bieler Transitplatz hat im Seeland eine Stammkundschaft. Dass es in den letzten Jahren keine legale Haltemöglichkeit für sie gab, sei für alle anstrengend gewesen, auch für die Fahrenden, sagt Glauser: «Sie besetzen nicht aus lauter Freude fremdes Terrain, sie haben lieber einen Platz, wo sie legal absteigen können.»
Mit dem provisorischen Transitplatz habe man nun eine Lösung, die «verhebt», sagt Biels Sicherheitschef. Ihm zufolge kam es in diesem Sommer zu keiner illegalen Besetzung.
Nur eine Reklamation sei zu ihm vorgedrungen, als im Bözingenfeld bei einer Firma die Parkplätze mit Autos zugestellt waren. «Da hatte es gestürmt und die Fahrenden wollten ihre Autos unterstellen, damit sie nicht kaputtgehen», sagt Glauser. Jemand vom Polizeiinspektorat habe mit dem Chef gesprochen, und dieser habe geschaut, dass die Fahrzeuge dort wegkommen.
Laut Glauser sprechen sich die Fahrenden untereinander ab und achten darauf, dass keine weiteren Karawanen ins Seeland kommen, wenn die 40 Plätze inBiel besetzt sind. Sie wollen die legale Haltemöglichkeit nicht gefährden. Schliesslich hat die Stadt angekündigt, bei illegalen Besetzungen hart durchzugreifen – und falls es gar nicht geht, den Platz wieder zu schliessen.Während im Seeland Diskussionen um ausländische Fahrende verhallt sind, sorgen dafür illegale Landnahmen in der Romandie für Schlagzeilen. Der Waadtländer Regierungsrat Vassilis Venizelos spricht gegenüber Radio RTS von einer noch nie da gewesenen Situation. Um den vielen illegalen Besetzungen entgegenzuwirken, wolle der Kanton Waadt nächstes Jahr mehrere kleine provisorische Transitplätze eröffnen.
In Biel müssen die Fahrenden den provisorischen Platz Ende Oktober verlassen, bis er im März wieder öffnet. Unklar ist, wie es nach 2024 weitergeht. Ursprünglich war der Bieler Transitplatz als Überbrückung gedacht, bis der offizielle Transitplatz in Wileroltigen in Betrieb geht. Es ist indes fraglich, ob dieser überhaupt einen Effekt auf die Situation im Seeland haben wird, da die Fahrenden sich dort niederlassen, wo sie Arbeit haben und nicht eine halbe Stunde entfernt. André Glauser lässt durchblicken, dass die Möglichkeit besteht, ihn weiterzubetreiben: Der Kanton habe für mindestens zwei Jahre grünes Licht gegeben – ohne Endtermin.
(https://www.derbund.ch/bieler-transitplatz-wo-fahrende-einen-sommer-lang-stehen-koennen-100578454700)
+++RASSISMUS
Ärger mit orthodoxen Juden: Jetzt soll eine extra Taskforce für Frieden in Davos sorgen
Der Streit um das angebliche Benehmen einiger orthodoxer Juden in Davos eskalierte in den vergangenen Wochen. Nun soll sich eine Taskforce dem Problem annehmen – und Lösungen für alle schaffen.
https://www.blick.ch/schweiz/graubuenden/aerger-mit-orthodoxen-juden-jetzt-soll-eine-extra-taskforce-fuer-frieden-in-davos-sorgen-id18915188.html
+++RECHTSPOPULISMUS
Stadtrat winkt ab, SVP hakt nach: Gibt es Übersetzer an Zuger Schulen? Es herrscht Verwirrung
Die SVP wollte vom Zuger Stadtrat wissen, ob an den öffentlichen Schulen Übersetzer engagiert werden. Die Stadtregierung antwortet nun. Trotzdem ist laut der SVP nicht alles geklärt.
https://www.zentralplus.ch/beruf-bildung/gibt-es-uebersetzer-an-zuger-schulen-es-herrscht-verwirrung-2576581/
+++ANTI-GENDER-POPULISMUS
tagblatt.ch 06.09.2023
Sie hielt in Wil eine Brandrede gegen das Gendern – nun wird die SVPlerin Susanne Brunner für ihre Ansprache kritisiert
Das Zentralfest des Schweizer Studentenvereins in Wil sorgt für Nachwehen. Einer der Organisatoren kritisiert die «Brandrede» von Susanne Brunner, die vor einer Spaltung der Schweiz durch das Gendern warnte.
Michael Nittnaus / Nina Steiner
Das Zentralfest des Schweizerischen Studentenvereins (StV) in Wil vom vergangenen Wochenende wird noch lange in Erinnerung bleiben. Einerseits, weil rund 1500 aktive und ehemalige Studierende aus der ganzen Schweiz die Altstadt in Beschlag nahmen und ihre Generalversammlung traditionell zu einem riesigen Fest werden liessen, wie es Wil nur alle zehn Jahre erlebt. Andererseits aber auch, weil die versammelte akademische Intelligenz am Samstagabend auf dem Hofplatz einer Rede lauschen durfte, die einiges Kopfschütteln auslöste.
Der Zürcher SVP-Kantonsrätin Susanne Brunner kam als gebürtiger Wilerin die Ehre zuteil, die diesjährige «Brandrede» zu halten. Das StV-Mitglied wählte dabei ein Thema, das ganz zuoberst auf ihrer politischen Agenda steht: der Kampf gegen das Gendern. So hielt Brunner fest, dass die Spaltung der Schweiz drohe, weil die «vielen Fräulein Rottenmeiers» die Schweizer Bevölkerung in immer mehr kleine Gruppen aufteilten, indem sie die Sprache genderten und biologische Tatsachen leugneten. Da müssten die StV-Mitglieder als «das grösste Netzwerk intelligenter Leute in der Schweiz» dagegenhalten, so die 51-jährige Unternehmerin.
Studentenverbindungen nicht parteipolitisch
Nun ist es das Wesen einer Brandrede, dass sie angriffig ist. Laut Definition werden darin gesellschaftliche Missstände beschrieben und deren Beseitigung gefordert. Doch nicht allen Zuhörenden gefiel der verbale Zweihänder Brunners. Der Präsident der Wiler Mittelschul- und Studentenverbindung Abbatia Wilensis, Patrick Meyenberger, war Teil des Organisationskomitees (OK) des Zentralfests. Zur Ansprache von Susanne Brunner sagt er gegenüber dieser Zeitung: «Mir persönlich war sie etwas zu stark parteipolitisch gefärbt.»
Studentenverbindungen seien nicht parteipolitisch orientiert. Durch ihre Neutralität und Weltoffenheit aber förderten sie den Diskurs und dadurch auch die freie Meinungsbildung. Durch ihre Mitgliedschaft in einer Studentenverbindung lernten die Jugendlichen, sich für etwas zu engagieren und als Teil einer Gemeinschaft zu funktionieren. Man lade bewusst Vertreterinnen und Vertreter unterschiedlicher politischer Ausrichtungen wie zum Beispiel die Kombination SP und SVP zu Podiumsdiskussionen ein, so Meyenberger.
Brunner geht auf Tauchstation
Das betont auch der Präsident des Zentralfest-OK, Erwin Scherrer. Nicht nur SVP-Politikerinnen wie Susanne Brunner seien Mitglied des Studentenvereins, sondern auch Sozialdemokraten wie der Zürcher Ständerat Daniel Jositsch. Scherrer hält fest: «Im StV herrscht Meinungsäusserungsfreiheit. Wir sind ein Verein der Einheit in der Vielfalt.» Doch hat Brunner diese Vielfalt nicht gerade angegriffen, indem sie auf «biologische Tatsachen» poche? «Für die Brandrede hat die Rednerin Narrenfreiheit», sagt Scherrer, nur um nachzuschieben: «Aber ein Redner muss die Inhalte selber verantworten und sich danach auch der Debatte stellen.»
Gerne hätte diese Zeitung mit Susanne Brunner über ihre Rede gesprochen. Nachdem sie zuerst ein Gespräch für Dienstagnachmittag in Aussicht gestellt hatte, war sie schliesslich für die Redaktion doch nicht zu erreichen. Bekannt ist, dass sie sich als Politikerin den Kampf gegen den Genderstern auf die Flaggen geschrieben hat. So hat sie erst diesen Frühling eine Initiative eingereicht, um den Genderstern aus den Dokumenten der Zürcher Stadtverwaltung zu verbannen.
Bundesrätin gab Gegensteuer
Scherrer verteidigt die Entscheidung des OK, Brunner als Brandrednerin eingeladen zu haben. Er findet, dass sie keine Grenzen überschritten habe und nicht diskriminierend gewesen sei. Und er ist überzeugt: «Die aktiven und ehemaligen Studentinnen und Studenten können die Rede sicher richtig einordnen.»
Scherrer und Meyenberger verweisen beide zudem auf die Festrede von FDP-Bundesrätin Karin Keller-Sutter vom Sonntag. Meyenberger fand diese «treffender», Scherrer hielt sie für ein «gutes Gegengewicht» zu Brunner. Tatsächlich konnte man es fast als Replik lesen, wenn Keller-Sutter betonte, dass die Schweiz eben nicht gespalten, sondern eine Einheit sei.
(https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/wil/kontroverse-sie-hielt-in-wil-eine-brandrede-gegen-das-gendern-nun-wird-die-svplerin-susanne-brunner-fuer-ihre-ansprache-kritisiert-ld.2508382)
+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
«Mass-Voll»-Chef Nicolas A. Rimoldi vor Gericht: «Aus einer toten Zigarillo lässt sich kein Rauch ausblasen»
Am Mittwoch stand Nicolas A. Rimoldi vor dem Luzerner Kantonsgericht – weil er überzeugt ist, zu Unrecht von Bezirksgericht verurteilt worden zu sein. Er habe sich immer massvoll verhalten.
https://www.zentralplus.ch/justiz/aus-einer-toten-zigarillo-laesst-sich-kein-rauch-ausblasen-2576902/
«Der Thurgau ist kritisch was Politik anbelangt»
Robin Spiri von der Gruppierung Aufrecht möchte für den Kanton Thurgau in den Ständerat. Er möchte dabei wegkommen vom Ruf als reiner Massnahmenkritiker. Seine politischen Forderungen: Gratis-ÖV, tiefere Steuern für den Mittelstand, weniger Lobbyismus in Bundesbern. Im Portrait spricht Robin Spiri über seine Ambitionen und die Gründe, warum er überhaupt in die Politik will.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-ostschweiz/der-thurgau-ist-kritisch-was-politik-anbelangt?partId=12449703
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aargauerzeitung.ch 06.09.2023
«Ich habe einen guten Draht zu meinem Gewissen»: Massnahmen-Kritiker Robin Grey möchte in den Nationalrat
Der 25-jährige Robin Grey kandidiert für die Bewegung «Mass-Voll» für den Nationalrat. Er ist überzeugt: Die vielen Opportunisten und Lobbyisten würden der Schweiz schaden. Der umtriebige Wallbacher setzt sich für Freiheit und Bürgerrechte ein. Durch die Corona-Demonstrationen 2021 kam er zur umstrittenen Bewegung.
Mira Güntert
Eigentlich war er eher im linken Spektrum unterwegs. Damals mit 17 hat er noch die Mitgliederversammlung der Juso Basel besucht und allgemein eine eher linke Haltung vertreten. Heute lässt sich Robin Grey aus Wallbach keinem politischen Spektrum mehr zuordnen. «Das sind total überholte Konzepte. Bürgerrechte, Souveränität und Selbstverantwortung sind weder links noch rechts», findet er. Als Mitglied der umstrittenen Bürgerrechtsbewegung «Mass-Voll» kandidiert er für den Nationalrat.
Grey wählt seine Worte mit Bedacht. Er scheint zu wissen, was er sagen «darf» und was nicht. Dies verwundert nicht. Hat sich doch «Mass-Voll» – teils auch als Corona-Demonstranten und Massnahmen-Kritiker verschrien – in den letzten zwei Jahren nicht nur Freunde gemacht.
«Die Corona-Massnahmen im Lockdown waren unwissenschaftlich, verfassungswidrig und unverhältnismässig. Ich wurde kritisch und wollte mich einsetzen», findet er. Grey ist sich der Kritik an «Mass-Voll» bewusst. «Ich habe damals gelesen, dass die Skeptiker mit Rechtsextremen sympathisieren würden und Nazis seien», erinnert er sich.
Die Demonstration erlebte er als Volksfest
Er wurde vorsichtig, doch irgendwann packte ihn der Mut und er wollte sich ein eigenes Bild machen. Was er an seiner ersten Demonstration erlebte, lässt ihn heute noch euphorisch erzählen: «Ich hatte totale Gänsehaut. Die rohe Kraft der Liebe war in der Luft. Die Leute haben sich getroffen, gelacht und getanzt – entgegen dem ganzen Coronawahnsinn.» Nach einigen Teilnahmen an den «Volksfesten», wie er sie nennt, wird er im Frühling 2021 schliesslich offizielles «Mass-Voll»-Mitglied.
Für Grey sieht es um das politische System in der Schweiz gar nicht gut aus. «Es versagt. Wir haben viele Opportunisten und Lobbyisten im Parlament, die Macht und Geld über Menschenwürde, Grundrechte, Natur und Volkswillen stellen und die Verfassung mehr und mehr aushebeln», sagt er. Auch wenn die Bewegung im Februar 2021 mitten in den strengen Corona-Massnahmen aus dem Boden gestampft wird und fortan landesweit an Demonstrationen auffällt, soll das Coronavirus nie im Zentrum von «Mass-Voll» gestanden haben. «Wir haben uns immer für Bürger- und Menschenrechte eingesetzt», sagt Grey.
So kommt es, dass die Bewegung 2023 erstmals mit einer eigenen Liste bei den Nationalratswahlen antritt. Sieben Kandidierende stehen auf der Liste 11, «Mass-Voll! Bewegung für Freiheit, Souveränität & Grundrechte». Für Robin Grey ist es seine moralische Pflicht, bei den Wahlen anzutreten. «Ich habe einen guten Draht mit meinem Gewissen und fühle mich fast berufen, mich für unsere Grundrechte und die Souveränität des schweizerischen Staats, des Volkes und seiner Individuen einzusetzen», sagt er.
Fast wäre er Arzt geworden
Noch vor wenigen Jahren stand Grey kurz vor dem Medizinstudium. Lehre zum Biologielaboranten, Berufsmatur und Passerelle hätten ihm den Zugang zur Universität geebnet. Doch sein Interesse für ganzheitliche Behandlungsmethoden – die sich seiner Ansicht nach nicht mit den Interessen der grossen Pharmafirmen vertragen würden – haben ihn schliesslich vom herkömmlichen Weg abgebracht.
Der mittlerweile 25-Jährige hat sich seither verschiedene Standbeine aufgebaut. Einerseits im Teilzeitpensum als «Büezer» im Gartenbau und im Forst, andererseits auf einer eher spirituellen Ebene mit seinem Start-up «Zenergetics». «Ich bin psychotransformativer Berater und arbeite in der Persönlichkeitsentwicklung», sagt er.
«Ich gebe den Menschen Werkzeuge an die Hand, wie sie sich selber gesund erhalten können. Dies geht über die Harmonie zwischen Körper und positivem Mindset, wodurch man seelischen Zugang schafft und Frieden erlangt», erklärt er. Auch wenn für Zuhörende das Geschäftsmodell des Unternehmens vielleicht nicht ganz klar sein mag, spürt man doch die Leidenschaft, die den jungen Mann antreibt. Passend dazu lässt sich Grey zurzeit zum diplomierten Naturheilpraktiker für Traditionelle Chinesische Medizin ausbilden.
Kein Wahlbudget vorhanden
Seine zeit- und geldaufwendige Ausbildung ist auch ein Grund, warum Greys Wahlkampf etwas eingeschränkt ist. «Ich habe gar kein Wahlbudget», sagt er. Er versuche trotzdem, auf seinen Social-Media-Kanälen für seine Kandidatur zu werben, und hoffe, von der Parteileitung doch noch Wahlplakate zugesprochen zu bekommen.
Immer wieder fällt das Wort Freiheit, wenn Grey von seinen Ambitionen spricht. Einerseits im beruflichen Aspekt, andererseits in Bezug auf «Mass-Voll». Diese Freiheit ist es, die für Grey die «Mass-Voll»-Mitglieder verbindet. «Wir haben Leute von unterschiedlichen Nationen, politischen Lagern, Religionen und Sexualitäten», sagt er. Sie seien ein «wildgemischter Haufen» – und eben alle sehr freiheitsorientiert.
(https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/fricktal/wallbach-ich-habe-einen-guten-draht-zu-meinem-gewissen-massnahmen-kritiker-robin-grey-moechte-in-den-nationalrat-ld.2506170)