Medienspiegel 27. August 2023

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/

+++ST. GALLEN
Steigende Asylzahlen: Kanton SG sucht händeringend nach Plätzen
Knapp 10`000 Geflüchtete sind aktuell im Kanton SG untergebracht – dies ist fast eine Verdoppelung der Zahlen in nur wenigen Monaten und der Bund rechnet im Herbst mit noch mehr Asylsuchenden, die in die Schweiz kommen. Im Kanton SG suchen die Behörden darum nach mehr Plätzen.
https://www.tvo-online.ch/aktuell/steigende-asylzahlen-kanton-sg-sucht-haenderingend-nach-plaetzen-153197306


+++NIEDERLANDE
Niederlande: Neue Wege in der Flüchtlingspolitik mit einem ukrainischen Dorf
Flüchtlinge unterzubringen ist eine Herausforderung in ganz Europa. In den Niederlanden, wo Wohnraum notorisch knapp ist, besonders. Über die Migrationspolitik ist zuletzt sogar die niederländische Regierung zerbrochen. Umso erstaunlicher ist das neue Modellprojekt unserer Nachbarn. Eine ganze Siedlung nur für Ukrainer:innen, mit soliden, hochwertigen Wohnräumen und eigener Schule – in wenigen Monaten aus dem Boden gestampft. Nach drei Jahren sollen die flexiblen, neuartigen Gebäude für die Allgemeinheit zur Verfügung stehen.
https://www.ardmediathek.de/video/europamagazin/niederlande-neue-wege-in-der-fluechtlingspolitik-mit-einem-ukrainischen-dorf/das-erste/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL2V1cm9wYW1hZ2F6aW4vNzk5MTNmMzYtOGUzOS00MmRiLTgzNGUtMjUyODk0ZDA5YmU4


+++GROSSBRITANNIEN
Großbritannien: Knallharter Asylkurs
Die britische Regierung geht immer härter gegen Asylsuchende vor. Durch ein neues Gesetz soll es möglich sein, Geflüchtete rigoros abzuschieben. Doch rechtlich ist diese harte Linie nicht ganz einwandfrei. | mehr
https://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/weltspiegel/sendung/england-knallharter-asylkurs-100.html


+++ITALIEN
Italienische Mittelmeerinsel : Flüchtlingslager Lampedusa stark überfüllt
Derzeit wagen sehr viele Menschen den gefährlichen Weg übers Mittelmeer. Das Lager auf Lampedusa ist deshalb erneut überfüllt – aktuell gibt es zehnmal mehr Migranten als Plätze.
https://www.zdf.de/nachrichten/politik/lampedusa-migranten-lager-ueberfuellt-100.html
-> Podcast: https://www.youtube.com/watch?v=HTFgm0Z87uo

Tagesschau: https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/migranten-lager-auf-lampedusa-wieder-ueberfuellt?urn=urn:srf:video:cff32547-bd3a-4637-8293-1ff003583953
-> https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2023-08/lampedusa-lager-ueberfuellt-hunderte-migranten
-> https://www.srf.ch/news/international/lager-ueberfuellt-tausende-mittelmeer-migranten-haben-lampedusa-erreicht


++++EUROPA
Zweite Frontex-Drohne bei Kreta abgestürzt
Airbus durfte »Heron 1« im Luftraum neben zivilen Flugzeugen fliegen
Die Drohnen von Frontex in Malta und Griechenland werden von Airbus gesteuert. Der deutsche Rüstungskonzern stellt dafür die Satellitenkommunikation. Die soll nun versagt haben.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1175822.eu-grenzagentur-zweite-frontex-drohne-bei-kreta-abgestuerzt.html


Was macht Frontex im Senegal?
Am afrikanischen Netzwerk von »Risikoanalysezellen« nehmen auch Geheimdienste teil
Seit 2016 darf Frontex Stationierungsabkommen mit Drittstaaten schließen. Die Regierung in Dakar will aber derzeit keine EU-Grenzpolizei ins Land lassen. Trotzdem ist Frontex dort seit 2006 aktiv.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1175827.festungeuropa-was-macht-frontex-im-senegal.html
-> https://www.nd-aktuell.de/artikel/1175819.protest-im-senegal-ihr-beobachtet-die-grenzen-wir-beobachten-euch.html


+++SAUDI-ARABIEN
«Der Migrationsdruck auf die Golfstaaten wird extrem zunehmen» – Echo der Zeit
In Saudi-Arabien sollen Grenzschutzbeamte hunderte Migrantinnen und Migranten aus Äthiopien erschossen haben, die versuchten, via Jemen in das Land einzureisen. Warum geht Saudi-Arabien mit aller Härte gegen Geflüchtete vor? Das Gespräch mit Toby Matthiesen, er forscht an der Universität Bristol zu den Golfstaaten.
https://www.srf.ch/audio/echo-der-zeit/der-migrationsdruck-auf-die-golfstaaten-wird-extrem-zunehmen?partId=12444547
-> https://www.srf.ch/news/international/vorwuerfe-an-saudi-arabien-die-saudis-haben-sich-ins-eigene-fleisch-geschnitten


+++GASSE
Zürcher Sozialvorsteher über Crack-Szene: «Das macht mir Sorgen»
Wochengast Raphael Golta: In der Bäckeranlage im Zürcher Stadtkreis 4 droht sich eine neue offene Drogenszene zu bilden. Für den Zürcher Sozialvorsteher Raphael Golta (SP) ist klar: Es braucht eine rasche Lösung für das Problem. Aber Polizei-Repression allein bringe nichts. (sb 04:10)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/zuercher-sozialvorsteher-ueber-crack-szene-das-macht-mir-sorgen?id=12444562


Zu wenig Guides – soziale Stadtführungen werden eingestellt
Ende Jahr stellt der Verein Abseits Luzern seine Tätigkeit ein. Es sei zunehmend schwieriger geworden, genügend Guides für die Stadttouren zu finden.
https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/stadt-region-luzern/stadt-luzern-zu-wenig-guides-soziale-stadtfuehrungen-werden-eingestellt-ld.2504914
-> https://www.zentralplus.ch/gesellschaft/verein-abseits-luzern-ende-jahr-ist-schluss-2574100/


+++DROGENPOLITIK
Niederlande: Cannabis-Legalisierung – Was Deutschland lernen kann
Deutschland bereitet derzeit ein Gesetz zur teilweisen Legalisierung von Cannabis vor. Andere europäische Länder haben ihre Gesetze schon länger gelockert, wie zum Beispiel die Niederlande. Wie haben die Menschen die Legalisierung damals erlebt? Und was kann Deutschland von seinem Nachbarn lernen?
https://www.ardmediathek.de/video/europamagazin/niederlande-cannabis-legalisierung-was-deutschland-lernen-kann/das-erste/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL2V1cm9wYW1hZ2F6aW4vN2ViZjBmZTYtNzM3MC00MTg5LTgzNWMtN2NlZGJkOWYyMDVl


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
300 Menschen fordern ein Tierparlament
Tier im Fokus (TIF) will die Stimme der Tiere in der Politik aufnehmen. Dafür ging die Tierrechtsorganisation am Samstag in der Hauptstadt auf die Strasse. An der bewilligten Demo auf dem Bahnhofplatz nahmen über 300 Demonstrierende teil.
https://www.jungfrauzeitung.ch/artikel/213085/


+++POLICE BE
Polizei greift am Europaplatz zum Taser
Ein 22-jähriger bedrohte die Angestellten im Einkaufszentrum am Europaplatz. Die ausgerückte Polizei-Patrouille konnte den Aggressor erst mit dem Einsatz eines Tasers bändigen.
https://www.telebaern.tv/telebaern-news/polizei-greift-am-europaplatz-zum-taser-153198597


+++RECHTSPOPULISMUS
Sonntagszeitung 27.08.2023

Justiz ermittelt wegen Hetze: Andreas Glarner will nicht als Rechtsextremer gelten

Der SVP-Nationalrat kündigt eine Anzeige gegen die «Wochenzeitung» an, weil diese ihn als «rechtsextrem» bezeichnet hat. In einem ähnlichen Fall hat Glarner kürzlich einen Teilsieg errungen.

Adrian Schmid

Manchmal liest sogar SVP-Nationalrat Andreas Glarner, was die linke «Wochenzeitung» schreibt. «Wer FDP wählt, hilft Glarner», titelte die WOZ Anfang August auf der Frontseite. Glarner stolperte bei der Lektüre aber nicht über die Schlagzeile, sondern über einen Satz im zweiten Abschnitt. Dort heisst es, dass sich im Aargau die FDP nicht davor scheue, «mittels Listenverbindung den rechtsextremen Nationalrat Andreas Glarner zu unterstützen».

Glarner gefällt das gar nicht. «Mich als rechtsextrem zu bezeichnen, ist eine Sauerei», sagt er. «Ich werde die WOZ wegen Beschimpfung und übler Nachrede anzeigen. Die Klage geht in den nächsten Tagen raus.»

Bei der WOZ zeigt man sich unbeeindruckt. «Bis jetzt sind uns keine juristischen Schritte von Andreas Glarner bekannt», sagt Co-Redaktionsleiter Kaspar Surber. «Einer allfälligen Klage sehen wir gelassen entgegen: Die Politik von Andreas Glarner ist öffentlich sehr gut dokumentiert.»

«Gaga-Rechtsextremist»: Glarner streitet mit Hansi Voigt

In einem ähnlich gelagerten Fall konnte Glarner kürzlich einen Teilsieg erringen. Der Medienunternehmer Hansi Voigt hatte Glarner auf X, vormals Twitter, als «Gaga-Rechtsextremisten» bezeichnet. Der SVP-Politiker zeigte ihn in der Folge an. Nun wurde Voigt von der Staatsanwaltschaft Muri-Bremgarten per Strafbefehl zu einer Busse von 1000 Franken verurteilt – wegen Beschimpfung und übler Nachrede.

Im Strafbefehl heisst es, dass Glarner durch diese Äusserung «in seinem Ansehen diskreditiert» worden sei. Und weil die Aussage auf X für Dritte lesbar gewesen sei, sei auch sein Leumund geschädigt worden. Gemäss Angaben der Aargauer Staatsanwaltschaft wurde der Fall mittlerweile an die nächste Instanz weitergezogen.

Voigt ist der Meinung, dass Glarner «ein Rechtsextremist ist», wie er sagt. Er suche jedoch keinen Streit mit ihm und es tue ihm leid, dass sich Glarner beleidigt fühle. «Für das Gaga möchte ich mich entschuldigen.»

Politiker müssen sich mehr gefallen lassen

Fakt ist: Eine Person, die eine andere beleidigt, kann sich strafbar machen. Mögliche Delikte sind Beschimpfung, Verleumdung oder üble Nachrede. Eine Beschimpfung liegt etwa vor, wenn jemand durch beleidigende Worte, das Zeigen des Stinkefingers, Karikaturen oder Ohrfeigen in seiner Ehre verletzt wird. «Wenn eine Person als Arschloch oder Sauhund bezeichnet wird, kann das von der Justiz bereits als Beschimpfung taxiert werden», sagt Lukas Gschwend, Strafrechtsprofessor an der Universität St. Gallen.

Das Gesetz schützt auch Politikerinnen und Politiker. «Als Personen des öffentlichen Lebens müssen sie sich aber etwas mehr gefallen lassen als der Durchschnittsbürger», sagt Gschwend. Auch sehr kritische Bemerkungen, welche den Ruf schädigten, seien erlaubt – «sofern deren Richtigkeit sich nachweisen lässt».

Rechts- und linksextrem: Vorsicht!

Wie ordnet der Experte den Fall Glarner ein? «Ich würde die Politik von Nationalrat Glarner durchaus als rechtspopulistisch bezeichnen, aber nicht als rechtsextrem», sagt Gschwend. Wer etwa für eine restriktive Anwendung des Asylrechts einstehe und die Migration systematisch bekämpfen wolle, gelte noch nicht als rechtsextrem – solange dies mit rechtsstaatlichen Mitteln erfolge.

Gschwend plädiert dafür, Begriffe wie rechts- oder linksextrem zurückhaltend zu verwenden. Im historischen Kontext werde Rechtsextremismus vor allem mit Nationalsozialismus und Faschismus assoziiert, Linksextremismus mit terroristischen Aktivitäten wie der RAF oder dem Stalinismus. «Wenn wir akzentuierte politische Meinungen leichtfertig als Extremismus bezeichnen, besteht die Gefahr der Verharmlosung von Terror und Vernichtung.»

«Sauhund» lässt Glarner durchgehen

Glarner reicht nach eigenen Angaben pro Jahr rund 20 Anzeigen ein. «Ich setze allen, die mich in den sozialen Medien beleidigen, eine Frist, um ihre Äusserungen zu löschen», sagt er. «Wenn dies nicht passiert, reiche ich Strafanzeige ein.»

Glarner betont aber auch: «Ich bin keine Mimose.» Bei einem dummen Spruch schalte er nicht gleich die Justiz ein. Er wolle diese nicht überbelasten. «Wenn ich jeden verklagen würde, der mich Arschloch oder Sauhund nennt, würde ich nur noch Anzeigen schreiben.» In krassen Fällen kenne er aber kein Pardon. So wurde vor ein paar Jahren schon ein Lehrling verurteilt, der Glarner auf Instagram mit Kraftausdrücken eingedeckt und mit Gewalt gedroht hatte.

Derweil ist aber auch Glarner immer wieder das Ziel von Anzeigen. Etliche gabs nach dem Klimastreik auf dem Bundesplatz 2020, als Glarner über die grüne Nationalrätin Sibel Arslan hergezogen ist. Die Klagen verliefen jedoch im Sand. Mit der Lehrerin, deren Telefonnummer Glarner vor ein paar Jahren veröffentlicht hatte, einigte er sich aussergerichtlich.

Kürzlich wurde Glarner wegen ein paar Tweets angezeigt – von einem ETH-Mitarbeiter. Die Aargauer Staatsanwaltschaft sah jedoch keine strafrechtliche Relevanz. Glarner hatte unter anderem dazu aufgerufen, nicht mehr in der Migros einzukaufen – weil diese in einem Post einen schönen Ramadan gewünscht hatte.
(https://www.derbund.ch/justiz-ermittelt-wegen-hetze-andreas-glarner-will-nicht-als-rechtsextremer-gelten-320965198709)



Ex-Kantonsrat Claudio Schmid neu bei Rimoldis Mass-Voll: «Ich teile die unerschrockenen Freiheitspositionen»
Nach 30 Jahren in der SVP hat der Bülacher seine Aktivmitgliedschaft bei der Partei sistiert – und ist den Corona-Skeptikern von Mass-Voll beigetreten.
https://www.blick.ch/politik/ex-kantonsrat-claudio-schmid-neu-bei-rimoldis-mass-voll-ich-teile-die-unerschrockenen-freiheitspositionen-id18880230.html
-> https://www.tagesanzeiger.ch/abgang-mit-kritik-ex-svp-chefstratege-claudio-schmid-wechselt-zu-mass-voll-531502019540


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
beobachter.ch 25.08.2023

Opferberatungsstelle Castagna: Krude Theorien im Vereins-Beirat

In der Castagna-Führung fehle es an Abgrenzung zur umstrittenen Theorie satanistischer «Mind Control»: Von diesem Vorwurf wurde die Beratungsstelle eigentlich entlastet. Nach Recherchen des Beobachters wird nun neu untersucht.

Von  Andrea Haefely

Die Aussagen der Co-Leiterin der Zürcher Beratungsstelle Castagna warfen Ende 2021 hohe Wellen. Auf die Frage, ob es «satanischen rituellen Missbrauch in der Schweiz» gebe, antwortete Regula Schwager in der SRF-Reportage «Der Teufel mitten unter uns»: «Die Realität ist, dass sehr, sehr, sehr viele Menschen von genau diesen Formen von Gewalt, die sie im frühen Kindesalter erlebt haben sollen, erzählen und dass sie Traumafolgestörungen haben, die darauf hinweisen, dass diese Erzählungen stimmen.» Castagna ist eine Beratungs- und Informationsstelle «für sexuell ausgebeutete Kinder, Jugendliche und in der Kindheit ausgebeutete Frauen und Männer».

Berichtet werde von Tieropfern, sogar von «menschlichen Wesen», die geopfert würden, von Tätern in Masken, von Feuern und verbrannten Katzen. Sie habe keine Veranlassung, an diesen Schilderungen zu zweifeln. Die Täterkreise hätten Kunden, die an diesen Ritualen teilnehmen würden – Kunden mit viel Geld, die «nicht unbedingt der untersten Gesellschaftsschicht angehören».

Bereits 2005 hatte sich Regula Schwager in einem Artikel im «Tages-Anzeiger» ähnlich geäussert: «Wir betreuen Frauen, die tatsächlich Opfer von schlimmen Ritualen in satanistischen Zirkeln geworden sind.» Die wenigsten würden es wagen, sich bei einer Zeitung zu melden. Zudem, so Schwager, seien oft gut situierte, angesehene Personen in solchen Zirkeln aktiv.

Nach Erscheinen des SRF-Beitrags Ende 2021 gingen 70 Beschwerden bei der Ombudsstelle von SRF ein. Auch Regula Schwager beschwerte sich, ihre Aussagen seien aus dem Zusammenhang gerissen worden. Auch heute hält sie weiterhin fest: «Leider wurden in der Vergangenheit das eine und andere Mal kontextualisierte Aussagen von Exponenten des Vereins Castagna fragmentiert wiedergegeben. So auf Websites oder in Sendungen. Deren Verwendung war so nie autorisiert.»

Die Ombudsstelle von SRF kam nach ihrer Analyse zu einem anderen Urteil: Die Journalistinnen und Journalisten seien «mit Sorgfalt ans Werk gegangen» und «haben sich fair und korrekt verhalten». Die «Dynamik von Verschwörungserzählungen» werde «treffend analysiert». Und es sei sinnvoll, vor «false memory» zu warnen. Kurz: «Das Sachgerechtigkeitsgebot gemäss RTVG ist erfüllt.»

Castagna, allein im Jahr 2022 vom Kanton Zürich mit 862’210 Franken subventioniert, berief aufgrund des SRG-Beitrags eine ausserordentliche Vorstandssitzung ein, engagierte eine Medienanwältin und einen Krisenkommunikationsexperten.

Bei der Zürcher Opferhilfe wiederum, die die Aufsicht über Castagna hat und für deren Finanzierung zuständig ist, gingen kritische Fragen zur Verwendung von Steuergeldern ein. Man gab eine externe Untersuchung in Auftrag. Analysiert wurde, ob Castagna die gesetzlichen Bestimmungen und kantonalen Vorgaben einhält, insbesondere in Fällen sexueller Ausbeutung von Kindern durch mehrere Täter.

Der Mitte 2022 abgeschlossene Bericht liegt dem Beobachter vor. Er stellt Castagna und ihren Mitarbeiterinnen ein «sehr gutes Zeugnis» aus. Doch wie Recherchen des Beobachters nun zeigen, wurden wichtige Aspekte gar nicht untersucht. So pflegt Castagna bis heute eine enge Beziehung zu Michaela Huber. Die umstrittene deutsche Psychotherapeutin, die seit rund 20 Jahren als Expertin für Traumafolgestörungen gilt und der «Rituellen Gewalt Mind Control»-Theorie anhängt, sitzt seit über zehn Jahren im Beirat von Castagna. Sie schrieb auch eine Lobrede zum 20-Jahre-Jubiläum 2012 – «Liebe Castagnetten, …» – und spendete eine selbst besungene CD. Castagna organisierte zudem wiederholt Fachtagungen mit der deutschen Psychotherapeutin.

Michaela Huber glaubt etwa, dass es Opfer ritueller Gewalt und von «Mind Control» gebe, die übersinnliche Kräfte haben – oder die Augenfarbe wechseln, je nachdem, welcher Bewusstseinsanteil gerade die Oberhand hat. Bei der sogenannten «Rituellen Gewalt Mind Control»-Theorie sollen geheime Täterkreise bei ihren Opfern Bewusstseinsanteile abspalten und so eine sogenannte dissoziative Identitätsstörung auslösen. Über diese quasi gekaperten Bewusstseinsanteile sollen sie ihre Opfer kontrollieren, um sie zu kultischen Zwecken schreckliche Dinge tun zu lassen. Fachleute wie der Psychotraumatologe Thomas Maier und der forensische Psychiater Frank Urbaniok sehen in dieser Theorie, der in der Schweiz zahlreiche Therapeuten und Psychiater folgen, eine Verschwörungserzählung (siehe «Die wichtigsten Begriffe rund um ‹Rituelle Gewalt Mind Control›»). Und Erich Seifritz, Präsident der gesamtschweizerischen Vereinigung der psychiatrischen Kliniken und Dienste Swiss Mental Health Care (SMHC), spricht in diesem Zusammenhang von «hochproblematischen Nebenwirkungen», die «in gewissen Fällen sogar Kunstfehler» sein können.

Bei der externen Untersuchung, die die Zürcher Opferhilfestelle nach Ausstrahlung der SRF-Reportage in Auftrag gegeben hatte und die allfällige Missstände aufdecken sollte, wurden Interviews mit den Angestellten geführt. Zudem wurden 35 Dossiers – von insgesamt über 6000 Dossiers der letzten fünf Jahre – ausgewählt und davon wiederum 25 evaluiert. Die Auswahl sei laut Bericht durch eine «zufällige Stichprobenziehung» erfolgt, wobei man «auf Dossiers mit sexueller und organisierter Gewaltanwendung fokussiert» habe.

«Unser Auftrag und unsere Erhebungen hatten einen klaren sozialarbeiterischen Approach. Damit waren andere Themen ausgeschlossen», sagt Andreas Dvorak, Mitinhaber und Mitglied der Geschäftsleitung bei der Beratungsfirma Socialdesign, die den Bericht erstellt hat. Pikantes Detail: Die Liste der passenden Fälle hat Castagna in Eigendeklaration erstellt, wie Dvorak bestätigt. Darin enthalten seien auch die von der Auftraggeberin, also von der Opferhilfe Zürich, gemeldeten «Bauchwehfälle», gewesen.

«Eine Personenüberprüfung war nicht Teil unseres Auftrags», sagt Andreas Dvorak. Man sei auch kein Expertenteam betreffend sexualisierte/ritualisierte Gewalt. «Leider lag uns der Jahresbericht nicht gänzlich vor. So wussten wir nichts vom Beirat. Sonst wäre uns Michaela Huber aufgefallen.» Man habe überdies die unzureichende Transparenz der Jahresberichte bemängelt.

Tatsächlich ist es gemäss Opferhilfegesetz nicht die Aufgabe von kantonalen Opferhilfestellen, die Beratungsarbeit der einzelnen Beratungsstellen zu kontrollieren. «Sie müssen unabhängig beraten können, insbesondere sollen sie nicht der fachlichen Weisungsgewalt einer Verwaltungsbehörde unterstehen», sagt Sandra Müller, die Geschäftsführerin der Opferhilfe Zürich, dazu. «Der Prüfauftrag musste sich auf die im kantonalen Leistungsvertrag festgehaltenen Punkte beschränken.»

Wie problematisch die enge Beziehung der Beratungsstelle Castagna zur umstrittenen Psychotherapeutin Michaela Huber ist, zeigt ein Bericht von Bianca Liebrand. Die Sektenexpertin von Sekten-Info Nordrhein-Westfalen hat 2020 in ihrem Aufsatz «Zersplitterung nach Therapie» die «Rituelle Gewalt Mind Control»-Theorie unter die Lupe genommen. Ihr Fazit: «Bei der ‹Rituellen Gewalt Mind Control›-Theorie handelt es sich um eine Ideologie. Denn nach dem wissenschaftlichen Anspruch können die Annahmen dieser Theorie nicht verifiziert werden. Es handelt sich lediglich um Spekulationen, für die es in Teilen durchaus nachvollziehbare Argumente gibt. Nicht der Glaube an diese Ideologie ist allerdings der bedenkliche Aspekt. Kritisch ist zu sehen, dass daraus eine Therapieform für psychisch instabile Menschen entwickelt wurde, die auf vielen Spekulationen basiert.»

Liebrand zitiert auch aus Hubers Publikationen, darunter aus dem Buch «Multiple Persönlichkeiten. Seelische Zersplitterung nach Gewalt» von 2010. So soll nach Hubers Ansicht allein das Aufrufen eines Codewortes dafür sorgen, dass ein «Mind Control»-Opfer anderen Lebewesen körperliche und seelische Gewalt antut, lächelnd um Sex bittet oder sich selbst tötet. Die Täter würden in ihren Opfern «Therapiestörprogramme» anlegen, die eine erfolgreiche Therapie verhindern sollen. Huber listet ganze elf Programme auf, die als Verhaltensanweisungen für Therapiesitzungen zu verstehen sind.

Falls die Patientin an der Therapie zweifelt, wird das als Beweis für die Programmierung gewertet. Zudem glaubt Psychotherapeutin Huber, dass frühere Misshandlungen «plötzlich als ‹Male› auf der Haut auftauchen wie Narben, Brandblasen, Schnitte, Schürfwunden, Brandstellen, Würgemale» und Patientinnen mit einer dissoziativen Identitätsstörung übersinnliche Fähigkeiten hätten. Schliesslich empfiehlt sie, keine Traumaarbeit am Geburtstag der Patientin oder an (satanistischen Kult-)Feiertagen abzuhalten.

Die Anfrage zur Stellungnahme zu diesen Therapieinhalten beantwortete nicht Michaela Huber selbst oder ihre Presseverantwortliche, sondern eine «Aushilfe fürs Housekeeping und Notfälle»: Frau Huber und die Geschäftsleitung seien wie immer um diese Zeit im Jahresurlaub. Es sei jetzt leider niemand da, um die Fragen zu beantworten.

Castagna besteht aus zwei Vereinen, einem für das Tagesgeschäft zuständigen Beratungsverein und dem Förderverein, dessen Aufgabe die «ideelle und finanzielle Unterstützung der Beratungsstelle» ist. In beiden Vereinsvorständen haben nicht nur die beiden Co-Leiterinnen Regula Schwager und Nadia Beier Einsitz – was der externe Bericht wegen mangelnder Corporate Governance bemängelt –, sondern auch weitere Therapeutinnen, die auf ihren Websites Michaela Huber als ihre Weiterbildungsdozentin aufführen.

Von den fünf Frauen im Beratungsverein hat nur eine einzige nicht nachweislich eine Weiterbildung bei Michaela Huber besucht. Im Vorstand des Fördervereins trifft das auf zwei von fünf Mitgliedern zu.

«Im Laufe der jahrelangen beruflichen Arbeit lernt man viele Berufskolleginnen und Berufskollegen kennen. Daraus kann keine Nähe zu Theorie und Lehre einzelner Fachexperten abgeleitet werden», sagen die beiden Co-Leiterinnen Schwager und Beier, stellvertretend auch für die beiden Vorstandspräsidentinnen. Im Rahmen der durch Mitarbeiterinnen von Castagna durchgeführten Fallbehandlungen werde von «sexueller Ausbeutung» gesprochen, ganz vereinzelt von sexueller Gewalt durch Gruppen. Das Wort «satanistisch» komme im Sprachgebrauch der Mitarbeiterinnen von Castagna nicht vor.

Und was sagt Sandra Müller, Geschäftsführerin der Opferhilfe Zürich? «Wir nehmen die Resultate der Beobachter-Recherche zum Anlass für eigene Nachforschungen, insbesondere bezüglich der Rolle und des Profils von einzelnen Vorstands- und Beiratsmitgliedern. Dazu benötigen wir die Unterstützung von externen Fachpersonen aus den Bereichen Psychologie/Psychiatrie.» Man sei aktuell daran zu evaluieren, wer dafür in Frage komme.



Die wichtigsten Begriffe rund um «rituelle Gewalt Mind Control»

«Rituelle Gewalt Mind Control»-Theorie

Die Anhänger der Theorie glauben, dass geheime Täterkreise bei ihren Opfern eine dissoziative Störung (DIS) hervorrufen können, landläufig bekannt als multiple Persönlichkeitsstörung. Sie sollen Bewusstseinsanteile abspalten, über die sie ihre Opfer fernsteuern und sie zu grauenhaften rituellen Taten anstiften, etwa zum Töten von Föten oder zu abartigen Sexualpraktiken. Diese «täterloyalen» Anteile würden zudem Therapieversuche stören. Therapeutinnen und Therapeuten reden darum auch von einem «Ausstieg», zu dem man den Opfern verhelfen müsse. Die Opfer wiederum hätten keine Erinnerung an das Geschehene, weil die «täterloyalen Bewusstseinsanteile» das verhindern würden. Allein in einem therapeutischen Setting könnten die schrecklichen Erlebnisse hervorgeholt werden. Gemäss Fachleuten gibt es keinerlei Belege oder Beweise, dass so etwas möglich ist.

Dissoziative Identitätsstörung

Darunter versteht man die Aufspaltung des Bewusstseins in verschiedene Anteile. Die Störung ist in der WHO-Klassifikation der Krankheiten und verwandten Gesundheitsprobleme ICD-11 verankert, gilt aber als höchst selten, wird teils gar kontrovers diskutiert.

False-Memory-Syndrom

Unter dem False-Memory-Syndrom versteht die Psychiatrie das Problem der durch eine Therapie entstandenen falschen (Missbrauchs-)Erinnerungen. Das bedeutet, dass Therapeuten beim Patienten durch Suggestivfragen Erinnerungen quasi «einpflanzen» können.

Satanic Panic

Der Begriff stammt aus den USA. Er bezieht sich unter anderem auf zwei spektakuläre Fälle aus den 1980er- und 1990er-Jahren, die zu einer regelrechten landesweiten Hysterie führten. Der Fall einer Vorschule in Manhattan Beach wurde zum teuersten Gerichtsfall der USA. Er kostete 13 Millionen Dollar und dauerte sieben Jahre. Es stellte sich heraus, dass die Mutter, die Angestellte der Schule wegen angeblichen satanistischen Missbrauchs angezeigt hatte, an paranoider Schizophrenie litt.

In einem anderen Fall sass das Leiter-Ehepaar einer Kinderkrippe wegen satanistischen und sexuellen Kindesmissbrauchs mehr als 20 Jahre im Gefängnis. Das Paar erhielt nach der Freilassung aufgrund des Justizirrtums eine Haftentschädigung von 3,4 Millionen Dollar zugesprochen.

Statistiken zu satanistisch-rituellem Missbrauch unter Einbezug von Mind Control stützen sich ausschliesslich auf die Erzählungen der angeblichen Opfer und ihrer Therapeuten. Seit den 1980er-Jahren wurden weltweit über 12’000 Fälle untersucht. Kein einziger konnte bislang bewiesen werden.

Anhänger der Theorie sehen gerade in der Tatsache, dass kein Fall je bewiesen werden konnte, den Beweis dafür, dass die Erzählungen stimmen. Die Täterschaften seien so mächtig, dass sie alles vertuschen könnten. Der forensische Psychiater Frank Urbaniok sagt dazu: «Damit entsteht ein geschlossener Argumentationskreis, der sich jeder Realitätskontrolle entzieht. Es handelt sich nicht mehr um eine andere Fachmeinung, sondern um eine Verschwörungstheorie.»



In eigener Sache

Der Beobachter will in keiner Art und Weise Missbrauchsopfer, Patientinnen und Patienten mit dissoziativer Identitätsstörung oder Traumatherapeutinnen und -therapeuten generell in Frage stellen. Dem Beobachter geht es in der Berichterstattung darum, problematische Ideologien wie «rituelle Gewalt Mind Control», Satanic-Panic-Verschwörungserzählungen im Umfeld der Traumatherapie und die Verflechtungen deren Vertreter mit Beratungs- und Therapieangeboten öffentlich zu machen. Zum Schutz der Opfer von Missbräuchen und zum Schutz wissenschaftlich orientierter Traumatherapeutinnen und -therapeuten.
(https://www.beobachter.ch/gesellschaft/krude-theorien-im-vereins-beirat-631202)


+++FUNDIS
Gegen die Systemschulen
Zwischen Staatsablehnung, braun-esoterischem Gedankengut und dem Bedürfnis nach neuen Lernformen – problematische Pädagogik und Pop-up-Privatschulen in der Ostschweiz.
https://www.saiten.ch/gegen-die-systemschulen/


Ein Tierschützer auf esoterischen Abwegen
Er lässt sich und seine Tiere von ihm heilen: Toni Kathriner verehrt den umstrittenen Geistheiler Sananda.
https://www.watson.ch/blogs/sektenblog/675144983-toni-kathriner-ein-tierschuetzer-auf-esoterischen-abwegen


+++HISTORY
Auch die Schweiz hat eine Kolonialgeschichte
Georg Kreis zeigt im Überblick, was jüngere Geschichtsforschung über schweizerische Teilnahme am Kolonialismus herausgefunden hat.
https://www.infosperber.ch/politik/schweiz/auch-die-schweiz-hat-eine-kolonialgeschichte/


Die Chronik eines Skandals: Aufmüpfiger Bauer wurde 20 Jahre in der Psychiatrie versorgt
Behörden und Ärzte stuften einen Mann gegen besseres Wissen als gemeingefährlich ein. Ein Gutachten der Waldau gab ihm die Freiheit zurück.
https://www.derbund.ch/die-chronik-eines-skandals-aufmuepfiger-bauer-wurde-20-jahre-in-der-psychiatrie-versorgt-103790094082