Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/
+++BERN
Asylunterkunft in Wimmis wird geschlossen
Die Kollektivunterkunft in Wimmis schliesst – und das wird mit einem Sommerfest gebührend gefeiert. Klingt komisch, in Zeiten, in denen der Kanton Bern massive Engpässe hat und dringend auf der Suche nach neuen Asylunterkünften ist.
https://www.telebaern.tv/telebaern-news/asylunterkunft-in-wimmis-wird-geschlossen-153086267
-> https://www.baerntoday.ch/bern/kanton-bern/trotz-platzsuche-kollektivunterkunft-wimmis-schliesst-frueher-als-geplant-153080344?autoplay=true&mainAssetId=Asset:153086481
Regierungsrats-Antwort auf Motion M 124-2023 Die Mitte (Herren-Brauen, Rosshäusern) Ehemaliges Jugendheim Prêles endlich sinnvoll nutzen!
https://www.rr.be.ch/de/start/beschluesse/suche/geschaeftsdetail.html?guid=7472a49a32504578994c8b10b90d486a
+++SOLOTHURN
Bundesasylunterkunft? Kanton Solothurn macht kein Angebot
Diese Woche müssen die Kantone dem Bund weitere Standorte für mögliche Bundesasylunterkünfte vorschlagen. Im Aargau wäre Wettingen ein Standort für eine Unterkunft. Der Kanton Solothurn schickt jedoch keine Vorschläge nach Bern. Man verfüge über keine entsprechende Anlage, heisst es beim Kanton. (ab 07:57)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/bundesasylunterkunft-kanton-solothurn-macht-kein-angebot?id=12441946
+++SCHWEIZ
Steigende Asyl-Zahlen: Nur noch wenige Migranten kommen via Balkanroute
Die Zahl der Asylgesuche steigt. Die Migranten und Flüchtlinge gelangen vor allem über die Mittelmeerroute nach Europa. Der Weg über den Balkan hat derweil an Bedeutung verloren.
https://www.blick.ch/politik/steigende-asyl-zahlen-nur-noch-wenige-migranten-kommen-via-balkanroute-id18860961.html
+++ITALIEN
Flüchtlinge zwischen Italien und Frankreich Verloren in Ventimiglia
Ventimiglia in Italien ist Durchgangsort für Flüchtlinge, die es nach Frankreich zieht. Die Stadt will sie loswerden – nicht nur deshalb versuchen viele Migranten unermüdlich, die Grenze zu überqueren.
https://www.tagesschau.de/ausland/europa/italien-frankreich-migration-ventimiglia-100.html
Verstoß gegen Regierungsdekret: Deutsches Seenotrettungsschiff »Aurora« in Italien festgesetzt
Italienische Behörden hatten der »Aurora« einen Hafen auf Sizilien zugewiesen, wegen der Versorgungslage an Bord legte die Crew jedoch auf Lampedusa an. Nun zieht die Küstenwache das Seenotrettungsboot vorübergehend aus dem Verkehr.
https://www.spiegel.de/ausland/italien-deutsches-seenotrettungsschiff-aurora-festgesetzt-a-e3fd9007-b874-430c-8b87-61a96d8b6e1d
-> https://www.nau.ch/news/europa/deutsches-seenotrettungsschiff-aurora-in-italien-festgesetzt-66579618
-> https://www.zeit.de/politik/ausland/2023-08/italien-seenotrettung-sea-watch-aurora
+++MITTELMEER
Migration auf dem Mittelmeer: Doppelt so viele Bootsflüchtlinge wie vor einem Jahr
In Italien sind seit Januar bereits mehr als 100’000 Migrantinnen und Migranten angekommen – so viele, dass private Seeretter zur Hilfe gerufen werden. Die rechte Regierung wirkt sehr kleinlaut.
https://www.tagesanzeiger.ch/migration-auf-dem-mittelmeer-doppelt-so-viele-bootsfluechtlinge-wie-vor-einem-jahr-969950238921
+++SAUDI-ARABIEN
Human Rights Watch – Bericht: Saudi-Arabien lässt Migranten an Grenze erschiessen
Innerhalb eines Jahres soll es zu Hunderten Tötungen gekommen sei. Gemäss Augenzeugen gehen diese weiter.
Menschen sollen aus nächster Nähe erschossen worden sein, darunter auch Kinder, heisst es in dem Bericht. Demnach wurden ausserdem Sprengwaffen gegen Migranten eingesetzt. In dem Bericht wurde der Zeitraum zwischen März 2022 und Juni 2023 untersucht. Aktuelle Untersuchungen von HRW deuteten aber darauf hin, dass die Tötungen weiterhin stattfinden.
https://www.srf.ch/news/international/human-rights-watch-bericht-saudi-arabien-laesst-migranten-an-grenze-erschiessen
-> https://www.derbund.ch/auch-kinder-unter-opfern-saudische-grenzwaechter-toeten-laut-bericht-hunderte-migranten-an-jemenitischer-grenze-192418838058
-> https://www.20min.ch/story/migrationsroute-haben-saudische-grenzschutzbeamte-hunderte-migranten-erschossen-143299815892
-> https://www.spiegel.de/ausland/saudi-arabien-auswaertiges-amt-besorgt-ueber-bericht-ueber-mutmassliche-toetungen-an-grenze-zu-jemen-a-5147644c-dcd8-4ff8-a90d-bc4dd19fd63b?utm_source=dlvr.it&utm_medium=twitter#ref=rss
-> https://www.zeit.de/politik/ausland/2023-08/saudiarabien-jemen-grenze
-> https://www.srf.ch/audio/echo-der-zeit/scharfe-kritik-an-saudischem-grenzschutz?partId=12441961
-> https://taz.de/Saudi-Arabien-toetet-Fluechtlinge/!5950872/
-> https://www.nd-aktuell.de/artikel/1175678.saudi-arabien-saudi-arabien-kopf-ab-regime-toetet-hunderte-migranten.html
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nzz.ch 21.08.2023
Mit Granaten gegen Migranten: Saudiarabien ermordet an der Grenze angeblich gezielt Flüchtlinge
Ein neuer Bericht von Human Rights Watch wirft Riad vor, systematisch äthiopische Flüchtlinge und Migranten an der Grenze zu Jemen zu erschiessen. Für den Westen dürfte das den Umgang mit Saudiarabien noch schwieriger machen.
Daniel Böhm, Beirut
Das schroffe Bergland im äussersten Südwesten von Saudiarabien ist ein nahezu leeres Land. Touristen kommen nur bis nach Abha, eine friedliche Provinzstadt, die berühmt ist für ihre üppigen Blumen. Weiter südlich liegt die Grenze zum Bürgerkriegsland Jemen. Die Gegend ist seit langem eine Art Sperrzone. Was dort zurzeit angeblich vor sich geht, hat mit der friedlichen Stimmung in Abha allerdings wenig zu tun.
Laut der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) verüben saudische Grenzer in dem dünn besiedelten Land regelrechte Massaker an Migranten, die versuchen, illegal die Grenze von Jemen nach Saudiarabien zu überqueren. Die Flüchtlinge, die zumeist aus Äthiopien stammten, würden mit Granaten und Mörsern beschossen, ermordet, gefoltert und verprügelt.
Exekutionen und Artilleriebeschuss
Saudiarabien habe zwischen März 2022 und Juni 2023 möglicherweise Hunderte hilflose Menschen systematisch umgebracht, schreibt die Menschenrechtsorganisation in einem am Montag veröffentlichten Bericht unter Berufung auf Augenzeugen. Sollten die Fälle Teil einer bewussten Politik der saudischen Regierung sein, dann handle es sich dabei um ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
HRW hat mit Dutzenden von Flüchtlingen gesprochen sowie Videoaufnahmen und Satellitenbilder ausgewertet. Herausgekommen ist ein Bild des Grauens. So sollen an der saudisch-jemenitischen Grenze Migranten aus nächster Nähe exekutiert und grossflächig mit Artillerie beschossen worden sein. «Ich sah Menschen, die in zwei Teile gerissen wurden, Körperteile in Bäumen und Leute, die Gliedmassen verloren hatten», zitiert der Bericht einen jungen Mann aus Äthiopien.
Das Königreich ist der Endpunkt einer der gefährlichsten Flüchtlingsrouten der Welt. Sie führt von Ostafrika über das Rote Meer nach Jemen und weiter nach Saudiarabien. Migranten, die auf dieser Route unterwegs sind, haben bereits Schreckliches erlebt, bevor sie die saudische Grenze erreichen. Viele berichten von Misshandlungen und Erpressung durch Schmuggler und Kämpfer der Huthi-Miliz, die im von einem jahrelangen Bürgerkrieg zerrütteten Nordjemen das Sagen hat.
Die Migranten sind in Saudiarabien nicht willkommen
Saudiarabien ist seit langem Ziel ostafrikanischer Flüchtlinge. In dem reichen Wüstenland leben rund 750 000 Äthiopier, die oft als rechtlose Hausangestellte arbeiten. Angesichts des Bürgerkriegs in ihrer Heimat versuchten in den letzten Jahren immer mehr Äthiopier nach Saudiarabien zu gelangen. Allerdings sind die Ausländer im Königreich, das eine strenge Saudisierungspolitik verfolgt und Jobs vornehmlich an Einheimische vergibt, nicht willkommen.
An der Grenze zu Jemen soll es deshalb schon zuvor zu blutigen Angriffen auf Migranten gekommen sein. Saudiarabien und das auf der jemenitischen Seite herrschende Huthi-Regime sind zudem tief verfeindet und bekämpfen sich seit Jahren. Bei den jüngsten Vorkommnissen handele es sich aber um eine völlig neue Dimension der Brutalität, schreibt HRW. Gerade auch, weil es sich bei den Flüchtlingen in grosser Zahl um Frauen handle.
Die saudischen Behörden haben sich bisher nicht zu dem Bericht geäussert. Die Nachrichtenagentur AP zitiert jedoch einen anonymen Vertreter Riads, der die Vorwürfe als «völlig erfunden und haltlos» abtut. Lange wird Saudiarabien zu dem Bericht aber kaum schweigen können. Denn das Königreich versucht derzeit aggressiv, sich als ebenso vernünftiger wie verantwortungsbewusster internationaler Akteur zu positionieren.
Schon zuvor waren die Saudi durch brutale Aktionen aufgefallen
So organisierte Riad kürzlich eine Ukraine-Friedenskonferenz und versucht sich als Vermittler im Bürgerkrieg in Sudan. Die Bemühungen sind Teil der Strategie des mächtigen Kronprinzen Mohammed bin Salman, sein Land auf der Weltbühne in Zukunft als einflussreiche Macht zu präsentieren. Gleichzeitig umgarnt der Prinz, der Saudiarabien mit eiserner Faust modernisiert, Investoren und lockt Fussballstars mit Millionensummen in die Wüste.
Die entsetzlichen Zustände an der Grenze, die der HRW-Bericht beschreibt, werfen einmal mehr ein finsteres Licht auf bin Salmans Modernisierungsprojekt. Schon zuvor waren die Saudi immer wieder durch brutale Aktionen aufgefallen. So töteten Riads Agenten 2018 den kritischen Journalisten Jamal Khashoggi in Istanbul. Bis heute müssen Kritiker oder Frauenrechtlerinnen mit harten Gefängnisstrafen rechnen. Manchmal reicht dafür schon ein unliebsamer Post auf X (ehemals Twitter).
Auch deshalb galt der Kronprinz im Westen vielerorts über Jahre als Persona non grata. In den letzten anderthalb Jahren war der saudische Thronfolger dank seinen grossen Ölvorkommen in den westlichen Hauptstädten jedoch wieder zu einem gern gesehenen Gast geworden. Zu sehr sind die energiehungrigen Europäer infolge des Ukraine-Kriegs auf ihn angewiesen. Der HRW-Bericht dürfte den Umgang mit den Saudi für den Westen in Zukunft nicht einfacher machen.
(https://www.nzz.ch/international/saudiarabien-grenzwaechter-toeten-hunderte-von-migranten-ld.1752466)
+++FREIRÄUME
Petition gegen Verdrängung von Familien in Wollishofen – Schweiz aktuell
Mieterinnen und Mieter von 39 Wohnungen in 6 Häusern in Wollishofen kämpfen um ihren Wohnraum. Die Häuser werden verkauft, die Gefahr besteht, dass sie abgerissen und durch Luxuswohnungen ersetzt werden. Jetzt haben die Mietenden eine Petition an die Eigentümer und die Stadt Zürich lanciert.
https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/petition-gegen-verdraengung-von-familien-in-wollishofen?urn=urn:srf:video:1dea02e0-4b40-4cda-986e-c9068de2aeec
+++GASSE
nzz.ch 21.08.2023
Offener Crack-Konsum und Gewalt ängstigen das Quartier um die Zürcher Bäckeranlage. Ein Kebabverkäufer sagt: «Hier entsteht eine offene Drogenszene»
Zum Schulstart sollen eine erhöhte Polizeipräsenz und privates Security-Personal für Sicherheit sorgen.
Tobias Marti (Text), Valeriano Di Domenico (Bilder)
Der Mann torkelt mit entblösstem Oberkörper und sein Hemd am Boden herschleifend auf den Rand des Planschbeckens zu. Dort sackt er zusammen. Die Mittagssonne brennt ungnädig. Also schleppt er sich weiter, in den Schatten der Bäume, und lässt sich auf den Rasen fallen. Er wälzt sich hin und her, verdreht die Augen, beginnt zu singen und mit sich selber zu reden. Ein kleines Mädchen im Badekleid schaut dem Treiben vom Planschbecken aus zu.
Unter einer grossen Plantane döst ein anderer Mann auf einer Matratze, daneben schläft eine Frau, eingewickelt in ein weisses Leintuch. Mehrere Kartons zeugen davon, dass hier noch andere ihr Lager eingerichtet haben. Eine Gruppe sitzt eng beisammen, jemand präsentiert verstohlen etwas in seiner offenen Handfläche. Kurz sieht man etwas Weisses aufblitzen, womöglich ein Steinchen. Es könnten Drogen sein. Keine zehn Meter entfernt üben sich Kita-Kinder im Sackhüpfen.
In der Zürcher Bäckeranlage sind das alltägliche Szenen zur Mittagszeit. Sie zeigen, wie hier in den vergangenen Monaten etwas aus der Balance geraten ist. Die Parkanlage nahe der Langstrasse im Kreis 4 war zwar schon immer ein Treffpunkt verschiedenster Klientel. Aber es gab gewisse Arrangements. So wurden etwa Alkoholiker und Randständige auf den Bänken geduldet, solange sie das Kinderbecken mieden. An die ungeschriebenen Regeln halten sich offensichtlich nicht mehr alle.
Der NZZ liegen Videos vor, die Anwohner auf der Bäckeranlage gemacht haben. Darauf ist zu sehen, wie mehrere Männer auf einen Fremden einprügeln und nach dessen Velo treten. Wiederum andere rauchen hinter Büschen Pfeifen, vermutlich Crack.
Can Sahin, der zusammen mit seiner Partnerin Senem Sahin an der Hohlstrasse den Kebabladen und Kiosk «Mama’s Bäcki Lädeli» betreibt, sagt: «Seit dreissig Jahren habe ich so etwas nicht mehr erlebt. Hier entsteht gerade eine offene Drogenszene.»
Am Holztisch unter der Sonnenstore vor «Mama’s Bäcki Lädeli» trifft sich das halbe Quartier. Was Anwohner und Gewerbler zu berichten haben, ist wenig erbaulich. Vieles deutet darauf hin, dass hier eine offene Drogenszene entstehen könnte. Die Rede ist von bis zu 40 Drogensüchtigen, die im Park verkehren.
Vor einem Monat habe ihm ein Kunde einen Schlag ins Gesicht versetzt, sagt Can Sahin. Unvermittelt und wegen einer Lappalie. Dabei ist Sahin hier aufgewachsen, kennt seine Pappenheimer. Der Schläger habe zu dieser Gruppe gehört, erzählt Sahin. Darunter habe es viele ihm unbekannte Gesichter.
Längst begrenzt sich die Szene nicht mehr allein auf die Bäckeranlage. Bereits würden die Süchtigen auf die umliegenden Hauseingänge, Hinterhöfe und Tiefgaragen ausweichen, erzählen Anwohner. Dazu kommt das Problem der Beschaffungskriminalität. Der Kioskbetreiber Can Sahin sagt: «Die Leute haben Angst. Ein alter Herr wurde bereits überfallen.»
Ein Anwohner berichtet von einer Nachbarin, die in der Nacht ausgeraubt worden sei. Andere schildern, wie Kindergartenkinder durch die Verhaftung von Drogensüchtigen auf dem Schulweg regelrecht paralysiert worden seien. Manch Hündeler und Anwohner würden den Park mittlerweile meiden, gingen nachts nicht mehr der Hohlstrasse entlang. Can Sahin sagt, er kenne Familien, die bereits weggezogen seien, weil sie sich nicht mehr sicher fühlten.
Wenn Judith Funken Tan frühmorgens ihren Quartiertreff in der Bäckeranlage aufschliesst, muss sie zuerst Dutzende Leute wegweisen, die vor dem Treff auf den Bänken sitzen, wie sie erzählt: «Es herrscht eine unangenehme und aggressive Stimmung.» Danach sammle sie die Dosen ein, mit denen Süchtige ihr Crack konsumiert hätten. Die Misere habe bereits vor den Schulferien angefangen.
Ein Kellner, der in einem Lokal in der Nähe arbeitet und anonym bleiben will, sagt: «Man konnte zusehen, wie die Gruppe von Woche zu Woche anwuchs.» Auch er fische regelmässig Crackpfeifen aus den Blumentöpfen. Es werde offen konsumiert, sagt der junge Mann, trotz unübersehbarer Polizeipräsenz. Phasenweise fahren tatsächlich gleich mehrere Patrouillen nacheinander durch den Park. Polizisten kontrollieren die Anwesenden, suchen Boden und Gebüsch nach Drogen und Utensilien ab.
Dringend gesucht: ein neues «Fixerstübli»
Die Bäckeranlage ist nicht nur ein beliebter Treffpunkt für Randständige und Drogenabhängige, sie liegt auch mitten in einem Wohnquartier. Am Montag ist Schulanfang in der Stadt Zürich. In der direkten Nachbarschaft befinden sich mehrere Schulhäuser. Viele Kinder durchqueren den Park auf ihrem Schulweg.
Katrin Wüthrich, Präsidentin der zuständigen Kreisschulbehörde Limmattal, bezeichnet die Situation rund um die Bäckeranlage als «beunruhigend». Bereits vor den Sommerferien hätten sich deswegen verschiedene Abteilungen unter der Leitung des Sozialdepartements getroffen.
«Die Polizeikontrollen wurden erhöht», sagt Wüthrich. Während der Ferien habe man unbedingt verhindern wollen, dass sich eine Szene auf den Schulhausplätzen bilde. Dafür habe nebst dem Hausdienst eine Sicherheitsfirma «ihren Radar auf die Schulhausplätze ausgedehnt».
Dank diesen Massnahmen sollten laut Wüthrich die Kinder den Schulweg ohne die Eltern bewältigen können: «Gemeinsam mit der Polizei schauen wir, dass dies möglich ist.»
Die Szenen in der Bäckeranlage wecken ungute Erinnerungen. In den neunziger Jahren hatte sich in der Stadt Zürich rund um den Platzspitz und den Bahnhof Letten eine offene Drogenszene gebildet. Die Süchtigen konsumierten vor allem Heroin. Bilder des «Needle Park» gingen um die Welt.
Die Antwort war eine neue Drogenpolitik, basierend auf den vier Säulen Prävention, Therapie, Überlebenshilfe und Repression, die schweizweit und sogar international Schule machen sollte. Zu dem pragmatischen Zürcher Modell gehört unter anderem, dass Schwerstabhängigen auch heute noch Heroin abgegeben wird. Konsumieren müssen sie nicht mehr auf der Gasse, sondern können dies in «Fixerstübli» tun. Rund tausend Personen in Zürich nutzen dieses Angebot. Wenn sich irgendwo auch nur ansatzweise eine neue Szene bildet, wird diese umgehend von der Polizei aufgelöst.
Die Sozialdienste bestätigen, dass der Konsum im öffentlichen Raum gegenwärtig «verstärkter stattfindet als in den vergangenen Jahren». Ein Grund dafür sei, dass die Kontakt- und Anlaufstelle für Drogenabhängige (K&A) auf dem Kasernenareal vergangenen Herbst geschlossen worden sei. Mit der Eröffnung des neuen Polizei- und Justizzentrums Zürich verschoben Stadt und Kanton ihre Infrastruktur dorthin.
Der Ersatzstandort liegt in der Brunau, rund dreissig ÖV-Minuten vom Langstrassenquartier entfernt – und somit ausserhalb der Lebenswelt vieler Süchtiger. Das ist auch der Stadt bewusst. Der Ersatzstandort werde nicht im bisherigen Mass genutzt. Die Verlagerung in den öffentlichen Raum bringe wiederum das Problem des sogenannten Micro-Dealing mit sich, also des Drogenhandels mit Kleinstmengen. Man sei darum mit Hochdruck daran, einen neuen Standort zu finden, teilt das Sozialdepartement mit.
Bereits seien regulierende Massnahmen ergriffen worden. So etwa seien die uniformierten und zivilen Polizeipatrouillen im Kreis 4 verstärkt worden. Dazu kämen die Sozialarbeiter der SIP Zürich, welche Konsumenten auf geschützte Angebote hinweisen und Dealer «mit den Auswirkungen ihres Tuns konfrontieren» würden. Diese Massnahmen blieben erhalten, bis sich die Lage im Kreis 4 wieder entspanne.
Bei den Kontrollen in der Bäckeranlage haben die Behörden sämtliche gängigen Betäubungsmittel festgestellt, vor allem Crack, also mit Backpulver vermengtes und aufgekochtes Kokain, sowie Freebase, die mit Ammoniak gestreckte Form von Kokain. Sehr selten sei Heroin gefunden worden. Die Konsumierenden stammten aus Stadt und Kanton Zürich, den umliegenden Kantonen, aber auch aus dem Ausland.
Seit Monaten warnen Suchtexperten davor, dass sich Crack, die schnell süchtig machende Billigdroge, in europäischen Grossstädten ausbreitet. Eine Drogenschwemme aus Frankreich führte in Genf dazu, dass die Auffangstrukturen je länger, je mehr überfordert waren. Jüngst verboten die Genfer Behörden innerhalb des «Fixerstübli» den Konsum von Crack. Dessen Konsumenten agieren überaus impulsiv. Das High kommt schnell, dauert aber nur kurz. Deshalb konsumieren die Süchtigen in kurzen Abständen.
«Eine beunruhigende Phase», sagt der Psychiater
Thilo Beck ist Psychiater und Co-Chefarzt der Arud, eines Zentrums für Suchtmedizin. Es wurde 1990 als Reaktion auf die offene Drogenszene am Letten gegründet. Beck sagt: «Aus unserer Sicht hätte man mit der Schliessung der Kaserne zuwarten müssen, bis eine Übergangslösung in dem Gebiet gefunden worden wäre.»
Man sehe nun, wie fragil das Gleichgewicht der verschiedenen Säulen sei. Repression ergebe nur Sinn, wenn die Betroffenen auch Angebote hätten. Genau diese fehlen nun aber. «Wenn man die Leute nur herumjagt, erhöht sich der Stress, werden die Lebensumstände schlechter, verelenden die Menschen», sagt Beck. Es sei eine beunruhigende Phase. «Wir können nicht über Nacht eine neue K&A aus dem Boden stampfen.»
Der Crack-Konsum in der Stadt beunruhigt Beck aber nicht übermässig. In Zürich sei bei einer relativ kleinen Gruppe desintegrierter Kokainkonsumenten ein solcher Trend zu beobachten, und solange die entsprechenden Konsumräume vorhanden seien, sei dies relativ gut zu bewältigen. Genf hingegen habe ein Infrastrukturproblem, die dortige K&A sei schlicht zu klein.
Doch wollen sich die Süchtigen überhaupt behandeln lassen? Es gebe beides, sagt Beck, motivierte und weniger motivierte Menschen mit einer Kokainabhängigkeit. Aber auch wer nicht in Behandlung sei, müsse in einem geschützten Rahmen konsumieren können. Oft könne in den K&A für diese Personen der Weg in eine Behandlung oder die Inanspruchnahme anderer unterstützender Angebote angestossen werden.
Der Arzt plädiert ausserdem für die Prüfung einer kontrollierten Kokainabgabe an Schwerstsüchtige, ein entsprechendes Pilotprojekt soll etwa in Bern starten. Die Schwelle zu solchen Ansätzen schätzt Beck in Zürich aber als hoch ein, der Problemdruck sei wohl noch nicht genügend stark.
«Ist die Szene da, geht die Gegend verloren», sagt der «Mr. Langstrasse»
Anruf bei Rolf Vieli, dem Mann, der vor zwanzig Jahren im «Chreis Cheib» Tag und Nacht unterwegs war. Er kannte Sucht und Süchtige unter anderem von der Drogenszene am Letten. Als «Mr. Langstrasse» prägte er das Quartier. Auch an der Bäckeranlage existierte bis 2001 eine weitherum bekannte Drogenszene.
Vieli sagt: «Sobald sich eine Szene etabliert hat, geht die Gegend verloren.» Man müsse darum verhindern, dass auch nur im Ansatz eine offene Drogenszene entstehe. Zwei Dinge brauche es dafür: Die Sicherheit müsse durch die Polizei hergestellt und bewahrt, die soziale Kontrolle verstärkt werden.
Zu Vielis Zeiten glich die Hohlstrasse einem regelrechten «Drogen-Drive-in, wo Dealer aus ganz Europa anreisten», sagt er. Die Mischung aus einem offenen Areal mit vielen Fluchtwegen und einer Gegend mit einer Bevölkerung, die zunächst toleranter war als anderswo, beschreibt er als fatal. «Die Sogwirkung war extrem.» Zunehmend habe die Bevölkerung das Gefühl gehabt, im Stich gelassen zu werden. «Abscheulich» fand Vieli, dass die Dealer nicht davor zurückgeschreckt seien, sogar Kinder der umliegenden Schulen zu Drogenkurieren zu machen.
Vielis Lösung damals: Zuerst mussten die Dealer wegbleiben. Die Süchtigen folgten dann automatisch. «Wir hatten einen mobilen Polizeiposten. Und die Fusspatrouillen mussten sehr aktiv sein. Die Dealer mussten merken: Hier ist es schwierig», sagt er. So ein anpassungsfähiges Konzept und genügend Leute für dessen Umsetzung seien das A und O.
Frühmorgens um sechs Uhr in der Bäckeranlage. Wer jetzt noch hier ist, ist nicht mehr wirklich zurechnungsfähig. Immer wieder fahren Polizeipatrouillen in den Park, kontrollieren Leute, suchen unter Bänken und im Gebüsch nach Stoff, der schnell, schnell weggeworfen wurde. Es ist das alte Katz-und-Maus-Spiel. In den kommenden Wochen wird sich zeigen, ob die Massnahmen nützen.
(https://www.nzz.ch/zuerich/offener-crack-konsum-und-gewalt-aengstigen-das-quartier-um-die-zuercher-baeckeranlage-ein-kebabverkaeufer-sagt-hier-entsteht-eine-offene-drogenszene-ld.1751813)
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Angst vor einer neuen offenen Drogenszene in der Zürcher Bäckeranlage (ab 03:08)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/filippo-leutenegger-zum-schulstart-die-erste-woche-wird-hart?id=12441259
+++BIG BROTHER
Grenzwachtkorps will aufrüsten – Rendez-vous
In der Polizeiarbeit sind intelligente Kameras immer wichtiger. Das Grenzwachtkorps hat derzeit über 400 davon zur automatisierten Erkennung von Nummernschildern in Betrieb. Das sind doppelt so viele als noch 2014. Aktuell wird ausserdem geprüft, diese Kameras mit dem europäischen Fahndungssystem SIS zu verknüpfen.
https://www.srf.ch/audio/rendez-vous/grenzwachtkorps-will-aufruesten?partId=12441715
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/ueberwachung-per-kamera-bund-prueft-automatisierten-kamera-abgleich-mit-schengen-datenbank
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nzz.ch 21.08.2023
Wie der Bund die Überwachung auf den Strassen ausbaut: Die Zahl der intelligenten Kameras hat sich in weniger als zehn Jahren verdoppelt
Moderne Kameras scannen Nummernschilder in Sekundenbruchteilen und gleichen sie mit Polizeidatenbanken ab. Nun forciert der Bund die Verknüpfung der Anlagen mit dem Schengener Informationssystem.
Daniel Gerny
Intelligente Kameras werden in der Polizeiarbeit in unterschiedlichen Bereichen immer wichtiger. So bauen die Sicherheitsbehörden auch die automatisierte Erkennung von Fahrzeugen aus, um die Fahndung zu erleichtern oder Verstösse gegen die Verkehrsregeln zu ahnden. Zahlreiche Kantone haben automatische Fahrzeugerkennungs- und Verkehrsüberwachungssysteme (AFV) eingeführt, so zum Beispiel Basel-Landschaft, Bern, Graubünden, der Jura, Obwalden, Solothurn, der Thurgau oder das Wallis.
Doch der grösste Player ist der Bund – konkret: das Grenzwachtkorps (GWK). Es hat derzeit mehr als 400 Kameras in Betrieb. Das geht aus der Beantwortung einer Interpellation hervor, die der Bundesrat am Mittwoch behandelt hat. Beachtlich ist dabei nicht nur die absolute Zahl der Kameras, sondern insbesondere die Steigerung in den letzten Jahren: Noch 2014 verfügte das GWK über 200 und 2019 über 300 Kameras. Laut Bundesrat sind «an wenigen Standorten» weitere Kameras geplant.
Kameras mit hochpräzisen Sensoren
AFV-Kameras sind mit hochpräzisen Sensoren ausgerüstet, die Kennzeichen in Sekundenbruchteilen scannen. Die Informationen können automatisch mit Datenbanken abgeglichen werden. Auch die Erkennung des Fahrzeugs selbst oder der Insassinnen und Insassen ist technologisch kein Problem.
Beim Grenzwachtkorps werde das AFV als taktisches Mittel genutzt, schreibt der Bundesrat. Er nennt in seiner Antwort auf den Vorstoss den Kampf gegen die grenzüberschreitende Kriminalität oder die Verhinderung von Kindesentführungen durch einen Elternteil ins Ausland als Beispiele. Das System erlaube «eine effiziente und ressourcenschonende Überwachung des Verkehrs an neuralgischen Punkten».
Doch so praktisch die Anlagen sind, so gross sind die Befürchtungen wegen grenzenloser Überwachung. Verschiedene Gerichte haben die Kantone in den letzten Jahren deswegen zurückgepfiffen. So zum Beispiel den Kanton Aargau: Dort wurde eine intelligente Kamera installiert, um zu verhindern, dass eine kleine, nur für Anwohner zugangsberechtigte Quartierstrasse als Schleichweg von anderen Automobilisten benutzt wird. Bei Fahrzeugen ohne Berechtigung fertigte das System automatisch ein Bild an, und die Lenkerinnen und Lenker wurden gebüsst. Ein Gericht stoppte diese Praxis.
Bundesgericht sieht schweren Grundrechtseingriff
In anderen Fällen hob das Bundesgericht Gesetze zum Einsatz von AFV auf, weil sie zu unbestimmt waren. Die Begründungen zu den Entscheiden sind teilweise bemerkenswert: Im Unterschied zur Arbeit durch Polizeipatrouillen ermögliche «das System die massenhafte und praktisch unbegrenzte Erhebung und Auswertung von Daten», heisst es in einem Entscheid vom letzten Jahr. Die höchsten Richter bezeichneten die AFV deshalb als «schweren Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung».
Um die neuen Möglichkeiten dennoch gut nutzen zu können, wurden und werden in vielen Kantonen die Polizeigesetze präzisiert und angepasst. Auch der Bund strebt eine Gesetzesänderung an, um von den Informationen stärker profitieren zu können. Auch dies geht aus der Antwort des Bundesrates hervor.
System soll mit Schengener Datenbank verknüpft werden
Heute ist das AFV-System des Grenzwachtkorps nämlich nicht mit dem Schengener Informationssystem verknüpft, weil dazu die gesetzliche Grundlage fehlt. Das Schengener Informationssystem (SIS) ist eine europaweit zugängliche Datenbank für polizeiliche Fahndungen und alle dazugehörigen Informationen.
Wird ein gesuchtes Fahrzeug irgendwo in einem der betreffenden Länder von den Behörden registriert, gleicht das System die Daten augenblicklich ab. Ein automatisierter Abgleich von AFV-Daten mit dem SIS hätte aus operativer Sicht einen grossen Nutzen und würde zu einer effektiveren Kriminalitätsbekämpfung beitragen, so der Bundesrat.
Noch vor wenigen Jahren befürchtete er eine Unmenge von falschen Treffern, weil andere Länder bei den Nummernschildern teilweise die gleichen Buchstaben- und Zahlenfolgen nutzen wie die Schweiz. Seit Frühling dieses Jahres ist jedoch das weiterentwickelte SIS in Betrieb. Nun wird die Schaffung einer rechtlichen Grundlage für den automatisierten Datenabgleich erneut geprüft.
(https://www.nzz.ch/schweiz/die-zahl-der-ueberwachungskameras-im-strassenverkehr-explodiert-doch-im-kampf-gegen-die-kriminalitaet-nuetzen-sie-kaum-ld.1752166)
+++POLICE BE
derbund.ch 21.08.2023
Personaldaten erbeutet: Cyberexperte kritisiert Polizei nach dem Hackerangriff
Die Gefahr des Hackerangriffs auf die Kantonspolizei ist laut Cyberexperte noch nicht vorbei. Viel Handlungsbedarf sehen die Behörden aber nicht.
Jana Kehl
Es ist eine unangenehme Situation für die Kantonspolizei Bern: Bei einem Hackerangriff haben sich Unbekannte Zugriff auf Namen, Vornamen und Telefonnummern aller 2800 Mitarbeitenden verschafft.
Nach dem Vorfall kommt jetzt Kritik an der Cybersicherheit der Kapo auf. So sagt etwa der ehemalige Hacker und heutige IT-Experte Nicolas Mayencourt: «Wäre das Monitoring bei der Kantonspolizei optimal verlaufen, hätte der Cyberangriff aus meiner Sicht verhindert werden können.» Wie kommt er zu dieser Aussage?
Zum Cyberangriff kam es aufgrund einer Sicherheitslücke in der App MobileIron. Mit dieser können die Kapo-Mitarbeitenden ihr Smartphone oder ihren Laptop mit den Servern ihres Arbeitgebers verbinden. Während die Kantonspolizei sagt, dass die Sicherheitslücke mittlerweile geschlossen worden sei, ist für den Experten klar: Das Problem ist damit keineswegs behoben.
Ein «Super-GAU» für die Geheimhaltung
Sicherheitslücken würden immer wieder gefunden, betont Nicolas Mayencourt. Bis diese geschlossen werden, vergeht Zeit, die sich Hackerinnen und Hacker zunutze machen. Deshalb sei es wichtig, den IT-Betrieb genau zu überwachen, um die Lücken zu erkennen und möglicherweise Massnahmen zu ergreifen.
Unbekannte haben nun Zugriff auf das Telefonverzeichnis der Mitarbeitenden. «Für das Geheimhaltungsprinzip der Polizei ist das ein Super-GAU», sagt der Berner Cyberexperte. Die abgeflossenen Daten könnten für unterschiedliche Zwecke wie beispielsweise für Betrugsanrufe verwendet werden. Zudem könnten erneute Hackerangriffe dank einem solchen Datenzugang zielgerichteter erfolgen.
Staatliche Hacker?
Hinweise darauf, dass die Namen und Telefonnummern im Internet veröffentlicht worden sind, gibt es nicht. Nicolas Mayencourt betont aber: «Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass früher oder später Auszüge oder gar die ganzen Daten irgendwo auftauchen.» Es scheine sich aber nicht um das klassische Muster zu handeln, bei dem Daten zur Erpressung verwendet würden. Vielmehr vermutet er einen staatlichen Hackerangriff hinter dem Datenabfluss.
Cyberkriminalität wächst fast exponentiell. Die von ihr verursachten Schäden haben jene der Naturkatastrophen bereits um ein 50-Faches überholt. Zusammengerechnet entspricht dieses Business der drittgrössten «Volkswirtschaft» der Welt. Zwar klingen diese Zahlen bedrohlich, Auswege gibt es laut dem Experten dennoch: «Es müssen Anreize geschaffen werden, damit in die Cybersicherheit investiert wird.» Diese müsse als Wettbewerbsvorteil gedacht werden.
«Umfassende Massnahmen» getroffen
Adrian Wüthrich, Präsident des Berner Polizeiverbandes, hält trotz transparenter Kommunikation fest: «Ein gewisser Ärger darüber, dass die persönlichen Daten über den Arbeitgeber abfliessen konnten, ist da.» Glücklicherweise seien die wichtigsten Personaldaten auf anderen Servern gespeichert. Trotzdem erwarte der Verband nun aber, dass man den Vorfall zum Anlass nehme, die Sicherheit der IT-Infrastruktur nochmals in die Tiefe zu prüfen.
Aus Sicht der Kantonspolizei gibt es wenig Handlungsbedarf: «Die Kantonspolizei hat umfassende Massnahmen etabliert, um Sicherheitslücken sowie mögliche Angriffe rasch und effektiv zu erkennen und abzuwehren», heisst es bei der Medienstelle auf Anfrage. In Bezug auf den erwähnten Hackerangriff hätten «weitergehende Auswirkungen» verhindert werden können. Doch wie steht es um zukünftige ICT-Beschaffungen im Kanton Bern?
Kein Warnsignal
Direkten Einfluss auf zukünftige ICT-Beschaffungen habe der Hackerangriff auf die Kantonspolizei nicht, sagt Reto Burn, stellvertretender Generalsekretär der Finanzdirektion. «Schon vor dem Angriff haben wir aber beschlossen, die Software MobileIron ab 2024 durch eine andere Software zu ersetzen.»
Weiter will der Kanton auf sogenannte Cloud-Lösungen setzen. Der Umstand, dass dabei Daten im Ausland bearbeitet und gespeichert werden, wird derzeit vehement diskutiert. Doch auch diesbezüglich habe der Hackerangriff auf die Kantonspolizei keinen Einfluss auf die Risikobeurteilung, da es keinen Zusammenhang gebe.
(https://www.derbund.ch/personaldaten-erbeutet-cyberexperte-kritisiert-polizei-nach-dem-hackerangriff-164601854597)
+++RASSISMUS
ANTIRA-WOCHENSCHAU: Tod auf dem Mittelmeer, Rassismus im Gericht, Gewalt in Zusammenarbeit
https://antira.org/2023/08/21/tod-auf-dem-mittelmeer-rassismus-im-gericht-gewalt-in-zusammenarbeit/
+++RECHTSPOPULISMUS
Grosses Wahl-Interview: SVP-Chef Marco Chiesa gibt Ausländern Schuld an Prämienschock
Im Interview spricht SVP-Präsident Marco Chiesa über die Posse um den Wahlkampfsong, seine Beziehung zur Familie Blocher, seine drohende Abwahl und den Prämienschock.
https://www.20min.ch/story/grosses-wahl-interview-svp-chef-marco-chiesa-gibt-auslaendern-schuld-an-praemienschock-119568929132
«Bitte löscht all eure Posts» SVP-Mitglieder müssen Wahlvideo-Spuren vom Netz tilgen
Weniger als einen Tag war der SVP-Wahlkampfsong auf Youtube verfügbar. Nun ruft die SVP sogar ihre Sympathisanten dazu auf, alle Posts im Zusammenhang mit dem Video zu löschen. Sie scheint juristische Konsequenzen zu fürchten.
https://www.blick.ch/politik/bitte-loescht-all-eure-posts-svp-mitglieder-muessen-wahlvideo-spuren-vom-netz-tilgen-id18862332.html
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tagblatt.ch 21.08.2023
«Ich halte es nicht für problematisch»: Thurgauer SVP-Nationalräte verbreiten gesperrtes Wahlkampfvideo auf Social Media
Die beiden SVP-Nationalräte Diana Gutjahr und Manuel Strupler tanzen im neusten Wahlkampfvideo der Sünneli-Partei. Sie verbreiten das auf Youtube gesperrte Video auch in den Sozialen Medien.
Sabrina Bächi
«Das isch dSVP» heisst der Wahlkampfsong der Sünneli-Partei. Doch Wolken sind am bürgerlichen Himmel aufgezogen. Sony Music wie auch der Komponist des Songs «We Are Family» wehren sich gegen die Veröffentlichung des Wahlkampfvideos. Der Grund: Es sei kein Originallied, sondern abgekupfert. Der Refrain sei als Melodie von «We Are Family» zu erkennen. Youtube sperrte daraufhin das SVP-Lied. Wegen möglicher Urheberrechtsverletzung.
In diesem Video – natürlich ist es immer noch im Internet zu finden – tanzen auch die Thurgauer Nationalräte Diana Gutjahr und Manuel Strupler über den Bildschirm. Und: trotz Sperrung von Youtube wird das Video auf Social-Media-Kanälen geteilt. Etwa auf dem Instagram-Kanal von Manuel Strupler sowie auf der Facebook-Seite von Diana Gutjahr. Sie schreibt: «Sony intervenierte bei Youtube – der Song ist jetzt auf der Videoplattform nicht mehr auffindbar. Deshalb hier gepostet – wer diesen gerne weiterhin hören, teilen und versenden möchte.»
Sie hält die Vorwürfe für gesucht
Darauf angesprochen sagt Diana Gutjahr: «Ich halte es nicht für problematisch. Das Lied wird ja nicht kommerziell verwendet.» Sie selbst höre viel Musik und ihr sei eine Ähnlichkeit zu «We Are Family» erst beim dritten Mal hinhören aufgefallen. Sie halte die Vorwürfe jedoch für gesucht.
«Sollte dies mit der Verbreitung auf Social Media tatsächlich ein Problem sein, so wäre es das bei jedem Video, auf dem jemand ein Lied singt und dann postet. Man dürfte kein Happy Birthday mehr singen, aufnehmen und posten», meint sie. Eine Weisung der SVP, wie man nun mit dem Song umgehen will, gebe es nicht. «Ich finde das Video einfach toll, weil es nahbar ist, Leute abholt, die sich nicht mit politischen Inhalten auseinandersetzen. Das finde ich sehr wichtig.»
Schliesslich würden 60 Prozent der Bevölkerung nicht abstimmen. Dieser Song sei ein Versuch, genau diese Zielgruppe niederschwellig zu erreichen. Sollte sie eine Urheberrechtsverletzung mit der Verbreitung des Videos begehen, würde sie dies in Kauf nehmen. Stand jetzt gibt es noch keine Anzeige, ob das je der Fall sein wird, ist ungewiss.
Rechtsexperte glaubt nicht an Anzeige
Auch ein renommierter Rechtsexperte, der in diesem politischen Kontext anonym bleiben will, hält es nicht für problematisch, wenn Personen das Video auf ihren eigenen Social-Media-Kanälen verbreiten. «Grosse Plattformen wie Youtube sind sehr vorsichtig, wenn es um Urheberrechte geht. Sie neigen zu schneller Sperrung als Vorsichtsmassnahme. Darüber, ob tatsächlich eine Verletzung vorliegt, entscheiden nicht Private, sondern Behörden», erklärt er.
Ein Gericht müsste also entscheiden, ob die SVP mit ihrem Lied tatsächlich die Urheberrechte von Sony und dem Komponisten verletzt hätte. Solange dies nicht entschieden sei, ist es keine. «Und selbst wenn es denn als eine Urheberrechtsverletzung gilt, bin ich nicht sicher, ob das Auswirkungen hat auf alle Einzelpersonen, die das Video teilen.» Im schlimmsten Fall jedoch könnten die Nationalräte dafür belangt werden.
Wie am Montagnachmittag bekannt wird, hat die SVP mittlerweilen doch eine Weisung rausgegeben. Wie der «Blick» schreibt, soll die Partei Mitglieder und Sympathisanten dazu aufgerufen haben, das Video von sämtlichen Kanälen zu löschen. Auch alle Posts, die in Zusammenhang mit dem Video stehen sollen gelöscht werden. Wie ein Blick auf die Kanäle der beiden Thurgauer SVP-Nationalräte zeigt, sind sowohl Manuel Strupler als auch Diana Gutjahr dieser Aufforderung bereits nachgekommen.
Nationalrat Manuel Strupler war während Tagen für eine Stellungnahme zum Video nicht erreichbar.
(https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/kanton-thurgau/wahlkampf-ich-halte-es-nicht-fuer-problematisch-thurgauer-svp-nationalraete-verbreiten-gesperrtes-wahlkampfvideo-auf-social-media-ld.2502014)
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Regieurungsrats-Antwort auf Motion M 091-2023 Knutti (Weissenburg, SVP) Mehr Schutz für Mieterinnen und Mieter aufgrund der angespannten Asylsituation
https://www.rr.be.ch/de/start/beschluesse/suche/geschaeftsdetail.html?guid=2964ca82488e458aa85969bba5b4e9a1
Regierungsrats-Antwort auf Interpellation I 107-2023 Fuchs (Bern, SVP) Umgehung des Ausländerrechts durch die Stadt Bern – Wie stellt sich der Regierungsrat dazu?
https://www.rr.be.ch/de/start/beschluesse/suche/geschaeftsdetail.html?guid=dcdb09f667b24489963ea8c52991f979
Regierungsrats-Antwort auf I 108-2023 Fuchs (Bern, SVP) Sozialhilfeähnliche Unterstützungsangebote für Ausländerinnen und Ausländer zulasten der Zentrumslasten?
https://www.rr.be.ch/de/start/beschluesse/suche/geschaeftsdetail.html?guid=ecd59775a347485eaf2c1455381b73b2
Früherer FDP-Präsident als Spitzenkandidat: Rimoldis «Mass-Voll» tritt in Luzern zu Nationalratswahlen an
Nicolas Rimoldi will mit seiner Bewegung «Mass-Voll» in den Nationalrat. Nun hat er auch im Kanton Luzern eine Liste eingereicht. Darauf steht ein ehemaliger FDP-Präsident.
https://www.zentralplus.ch/politik/__trashed-112-2561375/
+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
„Woher kommt‘s dass ein ranghoher Offizier des Schweizer Miltärs beim vergangenen rechtsoffenen Freedomfestival an einem Podiumgespräch teilnahm? Eine kurze Einordnung.“
Mehr: https://twitter.com/farbundbeton/status/1693589228821598697
Österreichischer Sender «Auf1» – Gegen das «böse System»: Verschwörungssender kommt in die Schweiz
Dem Online-Sender Auf1 wird vorgeworfen, Desinformation, Verschwörungstheorien und rechtsextreme Inhalte zu verbreiten. Wie kann eine demokratische Gesellschaft mit solchen Inhalten umgehen?
https://www.srf.ch/kultur/gesellschaft-religion/oesterreichischer-sender-auf1-gegen-das-boese-system-verschwoerungssender-kommt-in-die-schweiz
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nzz.ch 20.08.2023
«Gecancelte» Freiheitsfreunde treffen sich in Volketswil. Und beweisen: In diesem Land kann jeder alles sagen
Angeblich ist in der Schweiz die Freiheit in Gefahr. Warum, darüber gab es beim Freedom Festival keinen Konsens.
Oliver Camenzind (Text und Bild)
Am Rand des Volketswiler Industriequartiers finden sich am Samstag zur Mittagszeit um die hundert Personen in einem Klub namens Pasadena ein, um die Lage der Nation zu besprechen. Freedom Festival nennt sich der Anlass. Es ist eine ganze Reihe von teilweise umstrittenen Gästen aufgeboten, um ihre Voten abzugeben. Alles «gecancelte» Stimmen, wie der Veranstalter Daniel Stricker das gegenüber dem «Zürcher Oberländer» formulierte. Stricker ist Blogger und hat während der Corona-Pandemie mit allerlei Verschwörungstheorien auf sich aufmerksam gemacht.
Strickers Festival beginnt mit einer tosenden Einlage: Ein Dutzend Freiheitstrychler sind aus dem Landesinneren angereist, um ihre Kuhglocken zu läuten. Sehr zur Begeisterung des anwesenden Publikums, das zum grössten Teil aus Männern jenseits ihrer Fünfziger besteht, schultert jeder von ihnen sein Joch. Dann zieht der Trupp eine Schlaufe, um daraufhin im Festsaal des Klubhauses zu verschwinden. Das Geläut gilt hier schon als politisches Statement und erntet reichlichen Applaus.
Drinnen ist es finster, es herrscht betriebsame Konferenzstimmung. Mikrofone werden getestet, mit dem Licht wird noch rasch geprobt. Dann tritt der Eröffnungsredner Markus Krall ans Podium. Krall ist Ökonom und war bis vor kurzem Geschäftsführer beim Edelmetallhändler Degussa. Er unterhielt Kontakte in die Szene der rechtsesoterischen deutschen Reichsbürger.
Kurz bevor Kralls Wohnung im Rahmen einer Grossrazzia gegen die Reichsbürger von der deutschen Polizei durchsucht worden war, wurde er fristlos aus seiner Position entlassen. Er ist in Volketswil so etwas wie ein Star, weil er sagt, was offenbar viele denken. Und das ist, nebenbei gesagt, gar nicht so viel Konkretes.
Krall sieht die hier Versammelten als letzte Getreuen freiheitlicher Ideale, die Schweiz bezeichnet er als «belagerte Burg der Freiheit». Von überall her sieht er die Freiheit bedroht: von Linken, von Migrantinnen und Migranten, von der parlamentarischen Politik und von dem, was er die «Linkspresse» nennt. Nur noch ausserparlamentarische Splittergruppen und die AfD hält er für integer genug, um das zu verteidigen, was ihm am Herzen liegt. Was das ist, sagt er indessen nicht. Man scheint sich gleichwohl zu verstehen, seine Rede wird leidenschaftlich beklatscht.
Volketswil hielt den Anlass für ungefährlich
Das Freedom Festival fand am Samstag und am Sonntag, nach monatelangen Debatten, in Volketswil statt. Wo die Versammlung würde stattfinden können, hat seit Mai zur Diskussion gestanden. Die Festivalplanung war von vielen öffentlichen Kommentaren begleitet worden.
In Münsingen BE hatte ein Landwirt seine zunächst versprochene Gastfreundschaft zurückgenommen, weil er sicherheitstechnische und inhaltliche Bedenken hatte. So mussten sich die Organisatoren nach einem neuen Ort für ihr Freedom Festival umsehen. Man fand schliesslich diesen Klub am Rande des Volketswiler Industriequartiers.
Dass sich die Libertäre Partei, Anhänger von Nicolas Rimoldis «Mass-Voll»-Bewegung und weitere Exponenten teils zweifelhafter Bewegungen nun im Kanton Zürich versammeln würden, rief die hiesigen Jungsozialisten auf den Plan. Sie schrieben einen Brief an den Besitzer des Klubs und drängten ihn, das Festival abzusagen. Zudem gab es am Freitag eine Kundgebung von ein paar versprengten Jungsozialisten. «Kampf dem Faschismus» stand auf ihrem Transparent.
Diese Bemühungen blieben allerdings erfolglos, weil sich der Volketswiler Gemeindepräsident Jean-Philippe Pinto (Mitte) hinter Daniel Stricker und sein Freedom Festival gestellt hatte. Pinto hielt den Anlass für ungefährlich und berief sich auf Einschätzungen der Kantonspolizei Zürich.
Gegen alles und jeden wettern
Und ungefährlich war die Veranstaltung am Samstag dann auch – beinahe langweilig. Einig schien man sich vor allem in einer Sache zu sein: Etwas läuft schief in diesem Staat, und dagegen muss etwas unternommen werden. Was, das sollte nun eben herausgefunden werden. Doch ein Konsens war bei der Vielzahl der anwesenden Gruppierungen und Personen nicht absehbar.
Bei einem Podiumsgespräch erörterten drei Vertreter von Aufrecht Schweiz und ein Mann der EDU zum Beispiel die Vorzüge des digitalen Zahlungsmittels Bitcoin. Ein paar Stunden später stimmte ein anderes Panel allerdings ein Loblied auf das bare Geld an. Zugleich schien Markus Krall in seiner Rede die Abschaffung der Zentralbanken zu befürworten. Die Ideen gingen in alle möglichen Richtungen.
Es gab an diesem Samstag offenbar keine klaren Vorstellungen davon, was denn nun das Problem mit der Freiheit sei und wie eine entsprechende Lösung aussehen könnte. Der Anlass glich vielmehr einem Kongress von Leuten mit lauter Minderheitsmeinungen. Vor allem das schien die Anwesenden miteinander zu verbinden: das Wissen um die eigene Bedeutungslosigkeit, das mit Gerede von angeblicher politischer Unterdrückung übertönt wurde.
Es wurde gegen alles und jeden gewettert, mal in sachlichem, mal in hasserfülltem Tonfall. Und das hätte ja ein Hinweis darauf sein können, dass es um die Meinungsfreiheit im Land nicht allzu schlecht bestellt sein kann.
(https://www.nzz.ch/zuerich/freedom-festival-in-volketswil-um-die-freiheit-steht-es-so-schlecht-nicht-ld.1752354)
+++HISTORY
Rassistische Forschung in Kiel: Die Tradition der Schädel-Messer
Auch nach der Nazizeit wirkten NSDAPler am Kieler Institut für Anthropologie als Professoren. Ihr Denken war verwurzelt in der Rassen-Ideologie.
https://taz.de/Rassistische-Forschung-in-Kiel/!5950728/