Medienspiegel 24. Juli 2023

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+++BERN
derbund.ch 24.07.2023

Kampf gegen Rückweisung: Asylbehörde weist schwerbehindertes Kind ab

Ammars Gesundheit sei in Pakistan gefährdet, sagt sein Arzt. Doch für die Asylbehörde in Bern besteht «keine medizinische Notlage». Ist eine Rückkehr zumutbar?

Damaris Hohler

Shazia Naeem schiebt ihren zweitjüngsten Sohn Ammar im Rollstuhl an den Tisch. Es ist noch früher Morgen, aber die Hitze des Tages ist bereits zu spüren. Die fünfköpfige Familie Naeem sitzt unter dem Nussbaum vor einer Kollektivunterkunft im Kanton Bern. Die vier Brüder tragen Sporthosen, der jüngste, Ibrahim, hat seinen Fussball unter dem Arm. Vor drei Jahren machte sich die pakistanische Familie Naeem auf den Weg in die Schweiz und ersuchte Asyl. Die Schweiz habe sie ausgesucht, weil sie dachte, dass sie in einem Land wie die Schweiz bestimmt Hilfe erhielten, sagt Shazia Naeem. «Weil hier die Menschenrechte respektiert werden.» Vor kurzem hat sie nun den dritten negativen Asylentscheid des Staatssekretariats für Migration (SEM) erhalten.

Die Familie hat in der Schweiz Asyl beantragt, weil sie in Pakistan von einer religiösen Gruppierung verfolgt worden sei: Auch wenn die Naeems wie die meisten Pakistaner den Sunniten angehören, sei ihnen vorgeworfen worden, schiitischen Glaubens zu sein. Sie seien deshalb mehrmals von der extremistischen sunnitischen Gruppierung Sipah-e-Sahaba Pakistan bedroht und angegriffen worden. Das SEM erhob in seiner Prüfung des Asylgesuchs allerdings Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Geschichte.

Die Familie Naeem muss somit das Land verlassen. Oder besser gesagt: Sie hätte dies bereits vergangenen Monat tun müssen. Der Grund, weshalb Shazia Naeem und ihre Söhne immer noch hier sind: der schwerbehinderte Ammar.

Petition mit über 1000 Unterschriften

Ammar ist seit Geburt am Sjögren-Larsson-Syndrom erkrankt. Der 14-Jährige ist dadurch geistig beeinträchtigt, seine Beine und teilweise die Arme sind gelähmt, und er leidet an einer schweren Hautkrankheit. Seit seinem Aufenthalt in der Schweiz hat sich Ammars Zustand deutlich gebessert, wie sein Arzt schreibt.

Er kann nun die Beine beugen, und seine Chance, laufen zu können, stieg von 20 auf 60 Prozent. Auch seine Haut wurde deutlich besser. Bei einer Rückkehr nach Pakistan würde diese medizinische Behandlung wegfallen – und seine Lebensqualität wohl «auf null sinken», wie Ammars Arzt schreibt. Die Naeems hoffen deshalb, dass Ammar aus humanitären Gründen vorläufig aufgenommen werden kann.

Eine Bekannte der Familie hat eine Onlinepetition gestartet, die bislang über 1000 Personen unterzeichnet haben. In dieser wird das SEM gebeten, der Familie eine humanitäre Aufnahme zu gewähren, anstatt sie wegzuweisen.

«Die Reichen gehen nach Dubai oder London»

Bei Ammars Asylgesuch geht es also um die Frage: Ist eine Rückkehr nach Pakistan aufgrund seiner medizinischen Versorgung zumutbar? Die Schweiz hat eines der besten Gesundheitssysteme der Welt; wer hat aber Anspruch darauf, von diesem zu profitieren?

Eine vorläufige Aufnahme aus medizinischen Gründen wäre zumindest nicht ausgeschlossen: Fehlende medizinische Versorgung im Heimatland sei ein häufiger Grund dafür, dass eine Rückkehr als unzumutbar eingestuft wird, sagt Rechtsprofessor und Asylexperte Alberto Achermann. In solchen Fällen werden Asylsuchende vorläufig aufgenommen. Beispiele sind asylsuchende Personen mit schwerer Krebserkrankung oder HIV-Infektion, deren Heimatland eine ungenügende medizinische Versorgung hat. Entscheidend ist dabei, wie das SEM die medizinische Versorgung im Herkunftsland allgemein und im konkreten Einzelfall einschätze.

In Ammars Fall kommt das SEM zu folgendem Schluss: Seine Situation sei «keine medizinische Notlage», heisst es im zweiten negativen Asylentscheid. Auch in Pakistan sei eine vielfältige medizinische Infrastruktur vorhanden, in der Ammar behandelt und operiert werden könne. Bloss weil diese nicht den hohen schweizerischen Standards entspreche, läge noch keine Unzumutbarkeit vor.

Ammars älterer Bruder Abdul Naeem sieht dafür allerdings schwarz: «In Pakistan gehen die Reichen für ihre Operationen nach Dubai oder London», sagt der 20-Jährige. Für alle anderen sei die medizinische Versorgung stark eingeschränkt, Krankenkassen gebe es nicht. «Schlussendlich geht es immer um Geld», meint sein Bruder Saad Naeem.

Ein ähnliches Fazit ergibt sich auch aus einer Recherche der Schweizerischen Flüchtlingshilfe zur psychiatrischen Versorgung in Pakistan: Das Angebot des öffentlichen Gesundheitssystems sei «unzureichend und unbefriedigend». Viele hätten dadurch keine andere Wahl, als private Leistungen in Anspruch zu nehmen. Die Preise dieser Leistungen seien allerdings so hoch, dass sie zu einer Verarmung von Teilen der Bevölkerung führten. Die Flüchtlingshilfe fordert die Schweizer Behörden denn auch dazu auf, bei Asylgesuchen nicht nur die Verfügbarkeit medizinischer Versorgung zu prüfen, sondern auch den konkreten Zugang dazu.

Beschwerde vor internationalem Gremium?

Der jüngste der vier Brüder, Ibrahim, hat sich mittlerweile mit seinem Fussball auf die Wiese verzogen, der Siebenjährige spielt im lokalen FC. Am liebsten würde er eines Tages für YB auf dem Rasen stehen. Abdul Naeem hat sich neben seinen Bruder Ammar gesetzt und streichelt ihm hin und wieder über den Kopf. Während des Gesprächs wechselt er zwischen Hochdeutsch und Berner Dialekt. Ammar verstehe mittlerweile viel Deutsch, auch wenn er nicht sprechen könne. Abdul Naeem hätte gerne eine Lehre als Detailhändler begonnen. Den Lehrvertrag hatte er bereits erhalten. Nach dem dritten negativen Asylentscheid kann er die Stelle nun aber nicht antreten. Eine letzte Möglichkeit für seine Familie und seinen Bruder sieht er allerdings noch: den Fall vor eine internationale Instanz bringen.

«Am liebsten würden wir eine Beschwerde beim Kinderrechtsausschuss der UNO einreichen», sagt Abdul Naeem. Kinder oder ihre Vertretenden können vor dem Ausschuss Beschwerde einreichen, wenn ihre Rechte verletzt werden gemäss der UNO-Kinderrechtskonvention. Auch die Schweiz hat diese unterzeichnet und sich zur Umsetzung verpflichtet.

Der Beschwerdemechanismus habe «durchaus Potenzial», um Kindern sofortige Hilfe zukommen zu lassen, sagt Sybille Gloor, Verantwortliche für Kinderrechte bei Unicef Schweiz und Lichtenstein. Seit 2017 habe der Ausschuss bei fünf Beschwerden von Kindern aus der Schweiz eine Rechtsverletzung festgestellt, worauf die Schweiz Massnahmen ergriffen habe. Für diesen Schritt bräuchte die Familie Naeem allerdings einen Anwalt. Asylexperte Alberto Achermann schätzt, dass eine Beschwerde zwischen 6000 und 8000 Franken kosten würde. «Dieses Geld haben wir schlicht nicht», sagt Abdul Naeem.

«Basteln ist sein Lieblingsfach»

Vorerst können die Naeems noch in der Kollektivunterkunft bleiben, da das Rückkehrzentrum nicht barrierefrei ist. Bis vor kurzem hat Ammar noch die Schule besucht, zum ersten Mal in seinem Leben. Basteln mochte er am liebsten, sagt seine Mutter. Ob er nach den Sommerferien die siebte Klasse besuchen kann, bleibt fraglich.
(https://www.derbund.ch/asylbehoerde-weist-schwerbehindertes-kind-ab-194785471666)


+++GROSSBRITANNIEN
Migration: London hebelt Asylrecht aus
Drastisches Gesetz zur Eindämmung der Migration nimmt letzte parlamentarische Hürde
Das neue Flüchtlingsgesetz der britischen Regierung trifft auf Kritik, ist aber nicht mehr zu stoppen. Dabei ist es ethisch verwerflich und kaum umsetzbar.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1174917.abschiebepolitik-migration-london-hebelt-asylrecht-aus.html


+++GRIECHENLAND
Griechenland: Seit zwei Jahren im Gefängnis
Mahtab Sabetara kämpft für die Freilassung ihres Vaters, der wie Tausende andere wegen »Schmuggels« verurteilt wurde
Viele Asylsuchende landen in Griechenland wegen fragwürdiger Anschuldigungen in Haft. Die Kampagne @freehomayou möchte dies ändern – ausgehend vom Iraner Homayoun Sabetara.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1174975.freehomayou-griechenland-seit-zwei-jahren-im-gefaengnis.html


Bootsunglück von Pylos: Kein Mitleid, keine Erlösung
Die Überlebenden des Bootsunglücks von Pylos sitzen weiterhin in Griechenland fest
Noch immer sitzen die Überlebenden des schweren Schiffsunglücks im Ionischen Meer in Griechenland fest – und hoffen darauf, dass die Schuldigen zur Rechenschaft gezogen werden – für 82 bestätigte Tote und Hunderte Vermisste.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1174969.griechenland-bootsunglueck-von-pylos-kein-mitleid-keine-erloesung.html


+++ITALIEN
[STATEMENT] Ocean Viking nach 10 Tagen fragwürdiger Festsetzung freigelassen
Die Ocean Viking ist wieder frei, Leben zu retten. Zehn Tage nach der Festsetzung der Ocean Viking in Civitavecchia haben die italienischen Behörden am Freitag, 21. Juli, anerkannt, dass das von SOS MEDITERRANEE gecharterte Schiff alle geltenden Vorschriften erfüllt, wie der norwegische Flaggenstaat und die Klassifikationsgesellschaft des Schiffs bereits bestätigten. Die Festsetzung wurde daher ohne wesentliche Änderungen an der Zertifizierung, der Besatzung oder den Rettungsvorrichtungen aufgehoben.
https://de.sosmediterranee.org/log/statement-ocean-viking-nach-10-tagen-fragwuerdiger-festsetzung-freigelassen/


+++EUROPA
Frauenrechtsorganisationen warnen vor den Konsequenzen der EU-Asylreform
Die Reformpläne zum europäischen Asylsystem (GEAS) bedrohen die Menschenrechte von ohnehin vulnerablen Personengruppen wie Frauen, Kinder, Menschen mit Behinderungen, LGBTQIA*-Personen und Gewaltopfer auf der Flucht. Ein NGO-Bündnis warnt nun vor dem völkerrechtlichen Bruch mit der Istanbul-Konvention gegen Gewalt an Frauen.
https://www.proasyl.de/news/frauenrechtsorganisationen-warnen-vor-den-konsequenzen-der-eu-asylreform/


Migrationsgipfel in Rom: «Wir können euch nicht vor den Milizen und Schmugglern schützen»
Während die Gewalt gegen Flüchtende in Tunesien und Libyen eskaliert, sucht Italien neue Wege im Kampf gegen illegale Migration.
https://www.derbund.ch/wir-koennen-euch-nicht-vor-den-milizen-und-schmugglern-schuetzen-873447687627


+++TUNESIEN
Zwei Jahre nach Machtergreifung des Präsidenten Saied: Weitere Aushöhlung der Menschenrechte
Im zweiten Jahr nach der Machtergreifung durch den tunesischen Präsidenten Kais Saied haben die tunesischen Behörden weitere Unterdrückungsmassnahmen eingeleitet. So werden Dutzende Oppositionelle und Regierungskritiker*innen ins Gefängnis gesteckt. Die Unabhängigkeit der Justiz wird laufend verletzt und institutionelle Menschenrechtsgarantien werden abgebaut. Ausserdem wird zu Gewalt gegen Migrant*innen angestachelt.
https://www.amnesty.ch/de/laender/naher-osten-nordafrika/tunesien/dok/2023/weitere-aushoehlung-der-menschenrechte/


+++LIBYEN
Libyen verbietet Frontex-Flüge
Flugzeuge ignorieren Anweisungen, Drohnen befolgen sie
Neben Sea-Watch erhielt auch Frontex im zentralen Mittelmeer Flugverbote durch libysche Behörden. Experten halten diese für rechtswidrig. Frontex und Airbus weisen sich gegenseitig Verantwortung zu.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1174978.zentrales-mittelmeer-libyen-verbietet-frontex-fluege.html


+++ATLANTIK
Mindestens 16 Migranten sterben bei Bootsunglück vor Senegals Küste
Ein Boot mit Migranten ist vor der Küste Senegals gesunken. Mindestens 16 Menschen kamen dabei ums Leben, zwei Personen konnten lebend geborgen werden.
https://www.nau.ch/news/ausland/mindestens-16-migranten-sterben-bei-bootsungluck-vor-senegals-kuste-66554120


+++GASSE
Kiffer dürfen ihr Cannabis behalten
Seit Jahren wird die Haltung von Polizei und Justiz zu Cannabis immer lockerer. Nun hat das Bundesgericht in einem Leiturteil entschieden, dass geringe Mengen Cannabis nicht eingezogen und vernichtet werden dürfen, sondern dem Besitzer zurückgegeben werden müssen.
https://www.srf.ch/audio/rendez-vous/kiffer-duerfen-ihr-cannabis-behalten?partId=12426973
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/leiturteil-des-bundesgerichts-cannabis-bis-10-gramm-eigenkonsum-keine-beschlagnahmung-moeglich
-> https://www.derbund.ch/polizei-darf-cannabis-kleinmengen-nicht-mehr-einziehen-787937463830
-> Medienmitteilung Bundesgericht: https://www.bger.ch/files/live/sites/bger/files/pdf/de/6b_0911_2021_2023_07_24_T_d_07_59_04.pdf
-> Urteil Bundesgericht: https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/aza/http/index.php?highlight_docid=aza://19-06-2023-6B_911-2021&lang=de&zoom=&type=show_document
-> https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/bundesgericht-cannabis-fur-eigenkonsum-darf-nicht-eingezogen-werden-66553882
-> https://www.tagblatt.ch/news-service/inland-schweiz/bundesurteil-zu-cannabis-konsum-cannabis-besitz-in-kleinen-mengen-darf-ohne-straftat-nicht-mehr-beschlagnahmt-nehmen-ld.2491488


Bern/Zeugenaufruf: Mann von vier Unbekannten ausgeraubt
In der Nacht auf Montag ist in Bern ein Mann von vier Unbekannten angegangen und ausgeraubt worden. Die Täter behändigten Bargeld und flüchteten in der Folge in Richtung Lorrainebrücke. Die Kantonspolizei Bern ermittelt und sucht Zeugen.
https://www.police.be.ch/de/start/themen/news/medienmitteilungen.html?newsID=38157ff0-028f-49ef-821d-6d611b8ad095
-> https://www.nau.ch/ort/bern/bern-vier-unbekannte-rauben-mann-bei-der-schutzenmatte-aus-66554030



tagesanzeiger.ch 24.07.2023

Billigdroge breitet sich in Zürich aus: «In Gedanken bin ich ständig beim Crack. Auch nachts, in meinen Träumen»

Es macht schnell süchtig, Abhängige verwahrlosen extrem: Crack breitet sich in europäischen Grossstädten aus. Im Zürcher Fixerstübli konsumieren Hunderte Süchtige die Droge.

Jigme Garne, Jonathan Labusch (Bilder)

Rico sitzt im Raucherzimmer und werkelt an seiner Pfeife. Ein Rauchschleier liegt in der Luft, der stechende Geruch von Ammoniak steigt in die Nase, ein Hauch von angeschmortem Plastik. Im Inhalationsraum der Zürcher Kontakt- und Anlaufstelle Selnau, zehn Gehminuten vom HB entfernt, ist die Luft so toxisch wie in keinem anderen Fumoir weit und breit. Rico ist parat – Coci-Pulver da, Ammoniak rein, aufkochen. Anzünden, inhalieren, high sein.

Es knirscht, knistert, knackt leise beim Rauchen. Daher der Name: Crack.

Crack entsteht, wenn Kokain mit Backpulver vermengt und aufgekocht wird. Greift man wie Rico zu Ammoniak statt Backpulver, entsteht Freebase. Suchtfachleute setzen die beiden Drogen in puncto Wirkung und Risiken gleich.

Die Wirkung von geschnupftem Kokain entfaltet sich erst nach einigen Minuten und hält bis zu einer Stunde an. Freebase hingegen gelangt über die Atemluft sofort ins Blut. Es wirkt augenblicklich und mit voller Wucht. Ricos Körper setzt Glückshormone frei, sein zentrales Nervensystem wird durchgeschüttelt. Freebase putscht auf, euphorisiert und baut Hemmungen ab.

Der Rausch hält zwei bis vier Minuten an und endet abrupt. Beim Crack dauert er nur unwesentlich länger. Von da an geht es für Schwerstabhängige oft nur 10, 15 Minuten, bis das unaufhörliche, alles in Besitz nehmende Verlangen nach dem nächsten Kick einsetzt.

Grosse Szenen von Paris bis Genf

Eine Crack-Epidemie erfasste die USA Mitte der 1980er-Jahre und dauerte bis Anfang der 1990er. Sie stürzte die Armenviertel vieler Grossstädte in ein beispielloses Elend. Millionen Menschen hingen an der Crack-Pfeife, die Mordrate unter jungen Afroamerikanern verdoppelte sich in kurzer Zeit. Die Folgen der Crack-Sucht sind fatal: Der Absturz ist laut Fachleuten radikaler und die Verwahrlosung grösser als bei anderen Drogen, weil Schwerstabhängige Grundbedürfnisse wie Essen, Schlafen und Körperhygiene vernachlässigen.

Dies etablierte den Ruf von Crack als günstige Ghettodroge. Die Befürchtung einer Crack-Welle in Europa kommt seit den 90er-Jahren in unregelmässigen Abständen auf. Aktuelle Entwicklungen in europäischen Grossstädten geben jetzt wieder Anlass zur Sorge. In Paris, Düsseldorf, Brüssel und weiteren Städten haben sich neue Crack-Szenen gebildet.

In Genf hat sich die Zahl der Crack-Konsumierenden zwischen 2021 und 2022 verdoppelt. Die Klagen aus den Quartieren über die offene Drogenszene häufen sich. «Es gibt jetzt viele Drogenabhängige, die wie Zombies durch das Viertel streifen», sagte ein Bewohner des Pâquisquartiers im Juni zur «Tribune de Genève».

Ein Genfer Ladenbesitzer sagt, im Viertel lägen überall Dosen vom Crack-Rauchen herum. Besonders stört die Anwohnenden, dass sich neben einer Primarschule eine offene Drogenszene gebildet hat.

Im Genfer Konsumraum Quai 9 wurden die Kapazitätsgrenzen schon vor längerem erreicht. Weil viele Crack-Abhängige äusserst aggressiv auftraten und es regelmässig zu Gewaltausbrüchen kam, kapitulierten die Verantwortlichen vor wenigen Tagen – und verbannten die Crack-Raucher aus dem Lokal.

Und in Zürich?

In der Kontakt- und Anlaufstelle (K&A) an der Selnaustrasse herrscht an diesem Montagmittag ein reges Kommen und Gehen. Die vielen Crack-Abhängigen gehen schnellen Schrittes, fast schon gehetzt. Ganz anders als im Injektionsraum nebenan, wo nur einzelne Süchtige ihre Nadeln setzen und sich danach reglos ihren Heroin-Träumen hingeben.

Eine Crack-Raucherin steckt den Kopf durch den Türspalt und guckt aus dem Raucherzimmer: «Maja, wie lange noch?» – «Acht Minuten.» Maja macht heute die Eingangskontrolle zu den Raucherräumen 2 und 3. Wie die Türsteherin eines Nachtclubs hat sie eine Einlassliste und ein Funkgerät. 22 Menschen können in den drei Raucherzimmern gleichzeitig Crack rauchen. Nach spätestens 30 Minuten müssen Konsumierende raus und Platz für den Nächsten machen. Wer die zeitliche Limite nicht einhält, kriegt ein Hausverbot für den Tag. Das komme bis zu zehnmal täglich vor, sagt Maja.

Jeden Tag kommt ein neuer Konsument dazu

Maja arbeitet seit 20 Jahren in der Kontakt- und Anlaufstelle und kennt die meisten Menschen, die regelmässig herkommen, beim Namen. Die ausgebildete Psychiatriepflegerin sagt: «Wir haben sie gerne» – und das scheinen die meisten Klientinnen und Klienten auch zu wissen. Der Umgangston ist höflich, manchmal herzlich. Jeden Tag komme mindestens eine neue Person, die sie noch nicht kenne, sagt Maja. «Es gibt einfach unglaublich viele Drogenkonsumenten…» Dann greift sie zum Funkgerät und signalisiert dem Kollegen draussen: Es gibt Platz, der Nächste aus der Warteschlange darf rein.

Wir treffen auf Dave, 41 Jahre alt. Er hat die Haare zum gepflegten Dutt gebunden und trägt eine Krawatte. Arbeitet er hier, oder kommt er zum Rauchen her? Er stellt klar: Er kommt zum Rauchen, jeden Tag, mehrmals am Tag.

Mit 16 Jahren sei er mit einem Joint in der Hand im Park gesessen, da habe ihm ein Fremder Crack angeboten. «Wenn du zum ersten Mal Crack rauchst, denkst du vielleicht: So krass ist das jetzt nicht. Aber irgendwann zieht es dir den Ärmel rein. Je mehr du rauchst, desto gieriger wirst du.»

Dave sagt, er habe damals bei einer Grossbank gearbeitet und jahrelang ein Doppelleben geführt: tagsüber der Job, abends die Drogen. Nachts dann Bier und Joints, um runterzukommen und es am nächsten Morgen ins Büro zu schaffen. Als sein Vater starb, habe er Geld geerbt und den Job gekündigt, dann kam Corona. Das Geld sei jetzt weg.

«Wenn du Crack rauchst, willst du immer mehr, immer mehr», sagt Dave. Er habe mehrmals alles verloren. Fernseher, Computer, Stereoanlagen verkauft für den Konsum. Er habe in Läden geklaut und das Zeug verhökert, sei nachts im Taxi herumgefahren, auf der Suche nach Stoff, ohne den Chauffeur bezahlen zu können.

«Crack bestimmt meinen Alltag. Ich bin in meinen Gedanken den ganzen Tag beim Crack. Und eigentlich auch nachts, in meinen Träumen. Ich träume von der Suche nach neuem Stoff, ich träume von der Vorfreude beim Aufkochen. Aber den Punkt, dass du das Zeug rauchst, den erreichst du im Traum eigentlich nie.» Dave wacht vorher auf.

Ein «Zwänzgi», das sind 0,1 Gramm Stoff für 20 Franken und reicht für ein bis drei Inhalationszüge. Er beziehe Sozialhilfe und könne manchmal als selbstständiger Softwareentwickler etwas dazuverdienen, sagt Dave. Um seinen Konsum zu decken, reiche das aber nicht. Darum gehe er «mischle», also betteln.

Zürcher Crack-Konsum nimmt stetig zu

Dass sich in Zürich bisher keine mit dem Ausland vergleichbare offene Drogenszenen bildete, hat viel mit den drei Kontakt- und Anlaufstellen in der Stadt – neben Selnau in Oerlikon und der Brunau – zu tun. Die Schadensminderung ist eine der vier Säulen der Schweizer Drogenpolitik und umfasst Massnahmen wie die Einrichtung von Konsumräumen mit dem Ziel, die Gesundheit und die soziale Situation von Konsumierenden zu stabilisieren. Die anderen Säulen heissen: Repression, Prävention, Therapie.

In der K&A dürfen Schwerstabhängige mit Stadtzürcher Wohnsitz unter Aufsicht illegale Substanzen konsumieren, ohne dafür gebüsst zu werden. Auch der sogenannte Mikrohandel unter Abhängigen wird hier toleriert, damit er nicht auf offener Strasse stattfindet. Dazu gibt es Lebensmittel zu günstigen Preisen, Rückzugsmöglichkeiten sowie Wasch- und Duschräume. Wer raus aus den Drogen will, bekommt hier eine erste Beratung.

Die drei K&A-Standorte zählen im Monat 28’000 Konsumationen. Gut 1000 Personen besuchen die Lokale regelmässig. Unter ihnen hat der Konsum von Crack und Freebase in den letzten Jahren zugenommen, anteilsmässig und in absoluten Zahlen, wie die Statistik der K&A zeigt. Drei Viertel aller Konsumationen machen Crack und Freebase aus. Das sind 650 Crack-Pfeifen jeden Tag.

Diese Zunahme habe die Stimmung und das Sozialverhalten in den K&A verändert, sagt der Abteilungsleiter Florian Meyer. Als die Leute früher vor allem Heroin injizierten, waren sie danach gesättigt, zumindest für eine Weile. Crack und Freebase dagegen treibe sie an, halte sie hungrig nach Drogen. «Es gibt mehr Konflikte, mehr Gewalt, viele sind schnell gereizt», sagt Meyer. Besonders wenn es zu langen Wartezeiten vor den Raucherräumen komme, drohe die Stimmung zu kippen.

Warum sich der Drogenkonsum von Heroin zu Crack verlagert hat, darüber lässt sich nur spekulieren. Eine Theorie von Fachpersonen: Leistungssteigernde Substanzen wie Kokain entsprechen dem gesellschaftlichen Trend, sie werden von Konsumierenden für weniger schädlich gehalten als Heroin – was insbesondere in Bezug auf Crack nicht stimmt. Eine andere These: Crack rauchen ist einfach; Heroin-Konsumenten müssen ihr Spritzbesteck hygienisch halten, sonst wird es schnell sehr gefährlich.

In Genf sehen Fachleute einen Grund darin, dass Dealer mittlerweile konsumfertige Crack-Steine handeln. Der Trend kommt aus Frankreich. «Wenn jetzt mehr Crack-Steine im Zürcher Strassenhandel auftauchen, wäre das schlecht, weil dann mehr Leute damit in Kontakt kommen», sagt der K&A-Abteilungsleiter Meyer.

Dafür gibt es gemäss der Stadtpolizei Zürich keine Anzeichen. Sie stellt selten und in kleinen Mengen fertige Crack-Steine sicher. Die Zahlen der letzten Jahre würden sich «konstant auf einem tiefen Niveau» bewegen, teilt die Polizei auf Anfrage mit.

Sorge um Benzo-Konsumentinnen

Crack-Steine sind in der lokalen Szene nicht neu. In der K&A erzählt ein Konsument, in Zürich gebe es seit Jahrzehnten Crack-Häuser, in denen Prostituierte – häufig seien es trans Frauen – neben sexuellen Dienstleistungen auch Crack-Steine anböten.

Florian Meyer von der K&A sagt, man verfolge die Entwicklungen in Genf mit Besorgnis – nicht spezifisch, weil es sich um Crack handelt, sondern «weil uns jede Zunahme von Drogenkonsum beunruhigt». Die Crack-Welle ist für Meyer derzeit denn auch nicht das Problem Nummer 1.

Ebenso beschäftigt ihn, dass junge Konsumenten von Benzodiazepinen, also Beruhigungsmitteln, den Kontakt zu Schwerstabhängigen suchen würden. Oder die Zunahme psychischer Krankheiten bei den Klientinnen und Klienten, was möglicherweise auf den chronischen Konsum von Kokain zurückzuführen ist. Oder dass Fentanyl im Schweizer Drogenmarkt Heroin ersetzen könnte, was verheerende Folgen mit sich bringen würde. In den USA sterben jedes Jahr über 100’000 Menschen an Fentanyl-Überdosen.

Silvia (Name geändert) sagt von sich, sie gebe kein eigenes Geld fürs «Basen» aus, wie sie es nennt. Sie habe auch gar keines, und betteln wolle sie nicht. Die 68-Jährige ist so etwas wie eine inoffizielle Dienstleisterin und gute Seele im Haus: Sie hat immer zwei saubere Wasserpfeifen dabei und bietet sie Leuten an, die selber keine haben und nicht zu den angebotenen Plastikröhrli oder zur Alufolie greifen wollen. Ausserdem bereitet das Aufkochen einigen Leuten Mühe; Silvia hilft. Im Gegenzug bekommt sie von ihnen immer mal wieder etwas Stoff.

Sie sagt, zum ersten Mal konsumiert habe sie mit 9 oder 10 Jahren. Ihr Stiefvater sei ein Fixer gewesen, Morphium. Später hätten ihr die Hippies auf der Strasse «das andere Zeug» gezeigt.

Silvia erzählt schnell und ausführlich aus ihrem Leben, manches wirft dabei Fragen auf. Sie sei als junge Frau clean geworden, habe geheiratet und Kinder grossgezogen. Erst mit der Scheidung vor ungefähr zehn Jahren sei sie rückfällig geworden. Sie behauptet, schuld sei der Richter. Der habe ihr Methadon als Ersatz für Heroin auferlegt, obwohl sie doch «sauber» gewesen sei. Über das Methadon sei sie beim Freebase gelandet, heute rauche sie es zwei-, dreimal am Tag. Sie vergleicht die Wirkung mit jener vom Kiffen. «Der Flash steigt vom Rücken in den Kopf und von da aus in den ganzen Körper.»

Die Zürcherin ist obdachlos. Ihr Hab und Gut trägt sie in zwei kleinen Rucksäcken mit sich. Die Nächte verbringt sie in der Notschlafstelle, die Tage in der K&A Selnau. «Ich habe keine anderen Kontakte als zu den Leuten hier, und irgendwo muss ich ja hin.» Sie bekomme keine Sozialhilfe, sie schlage sich so durch, indem sie den Stoff weiterverkaufe – für weniger, als es sonst koste, fügt sie an, sie sei ja keine Dealerin.

Ihre erwachsenen Kinder seien froh, dass sie inzwischen vom Methadon weg sei. «Ich habe ihnen versprochen, ganz mit den Drogen aufzuhören, wenn ich eine Wohnung habe. Ausser Kiffen, das werde ich wahrscheinlich weiterhin machen. Das ist ja etwas anderes.»

Um 18.45 Uhr wird in der K&A Selnau die «letzte Runde» ausgerufen, bevor sich die Schicht am Montag langsam ihrem Ende zuneigt. So etwas wie einen Wochenstart gibt es hier nicht, die K&A hat 365 Tage im Jahr geöffnet. Spitzentage sind jeweils um den 8. und den 26. im Monat herum. Dann kommt das Geld von IV und Sozialhilfe an.

Als die letzten Klientinnen und Klienten weg sind, räumen die Mitarbeitenden in den Raucherzimmern auf. Und lüften kräftig durch.


Hier finden Betroffene Hilfe

Haben Sie ein Anliegen betreffend Ihren Konsum, oder machen Sie sich Sorgen um einen Ihnen nahestehenden Menschen? Diese Fachstellen bieten Hilfe an:

– Suchtfachstelle Zürich, Josefstrasse 91, 8005 Zürich. Telefon 043 444 77 00. E-Mail: info@suchtfachstelle.zuerich
– Fachstellen Sucht Kanton Zürich, Brunnwiesenstrasse 8a, 8157 Dielsdorf. Telefon 043 543 25 99. E-Mail: info@suchtberatung-zh.ch
– Saferparty – Drogeninformationszentrum, Wasserwerkstrasse 17, 8006 Zürich. Telefon 044 415 76 40. E-Mail: info@saferparty.ch
(https://www.tagesanzeiger.ch/in-gedanken-bin-ich-staendig-beim-crack-auch-nachts-in-meinen-traeumen-493843352007)


+++ANARCHY 2023
Über 5000 Personen besuchen Anarchisten-Treffen
Das internationale antiautoritäre Treffen hat bis Sonntag über 5000 Besucherinnen und Besucher nach Saint-Imier BE gelockt. Grössere Zwischenfälle wurden keine gemeldet.
https://www.jungfrauzeitung.ch/artikel/212090/


+++SPORT
Auch Zentralschweizer Fans betroffen – Dieser Fussballfan landet wegen Fedpol-Hack im Darknet
Die Personaldaten eines Fussballfans, der in der Hoogan-Datenbank des Fedpol erfasst war, landeten nach einem Hackerangriff im Darknet. zentralplus hat sich mit dem Fussballfan und einem Datenschutzexperten über das Datenleck beim Fedpol unterhalten.
https://www.zentralplus.ch/sport/fc-luzern/dieser-fussballfan-landet-wegen-fedpol-hack-im-darknet-2564242/


+++POLICE BS
Basler Polizei will ein Filmverbot bei Einsätzen (ab 03.25)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/sbb-und-sncf-wollen-mit-neuer-firma-s-bahn-ausbau-voranbringen?id=12426799
-> https://telebasel.ch/sendungen/punkt6/209710?autoplay
-> https://primenews.ch/articles/2023/07/wir-haben-auch-unsere-persoenlichkeitsrechte
-> https://www.bazonline.ch/frau-eymann-soll-es-verboten-werden-polizisten-zu-filmen-135925449044
-> https://www.derbund.ch/schweizer-polizisten-brauchen-keine-filmverbote-622045162832
-> https://www.tvo-online.ch/aktuell/polizeieinsaetze-filmen-forderung-nach-verbot-152682877
-> https://www.tvo-online.ch/aktuell/umfrage-zum-polizei-filmverbot-152682834



Basler Zeitung 24.07.2023

Umstrittene Forderung: Basler Polizisten wollen nicht gefilmt werden – das sorgt für Kritik

Der Basler Polizeibeamten-Verband fordert ein Videoverbot. In der städtischen Politik stösst dies ausserhalb der SVP auf wenig Zuspruch.

Oliver Sterchi, Mirjam Kohler, Dina Sambar

Wer im öffentlichen Raum eine Uniform trägt, erregt unweigerlich Aufmerksamkeit. Die Leute sind neugierig, erst recht, wenn es zur Sache geht und die Polizistinnen und Polizisten ihres Amtes walten und beispielsweise eine Person anhalten und festnehmen. Da kann es schon mal vorkommen, dass Passanten ihre Handys zücken.

Nicht selten dient das Filmen von Polizeieinsätzen auch dazu, die Polizeiarbeit zu dokumentieren und allfälliges Fehlverhalten der Einsatzkräfte anzuprangern. Und letztlich sind es auch Journalistinnen und Journalisten, die Polizeieinsätze begleiten und fotografisch respektive filmisch festhalten, etwa an Demos.

Dem Basler Polizeibeamten-Verband geht das öffentliche Filmen mittlerweile zu weit – vor allem, wenn dieses Instrument benutzt wird, um in den sozialen Medien Vorwürfe gegen die Beamten zu erheben. Der Verband fordert deshalb ein Verbot von Videoaufnahmen bei Polizeieinsätzen. Die «NZZ am Sonntag» hat als Erste darüber berichtet. Demnach will der Walliser SVP-Nationalrat Jean-Luc Addor im Herbst einen entsprechenden Vorstoss im nationalen Parlament einreichen.

In der Basler Politik stösst diese Forderung grösstenteils auf Ablehnung. Die Polizei übe das staatliche Gewaltmonopol aus, entsprechend sei es wichtig, «dass die Öffentlichkeit die Möglichkeit hat, Polizeieinsätze kritisch zu begleiten», sagt etwa SP-Grossrat und Sicherheitspolitiker Mahir Kabakci.

Auch LDP ist skeptisch

Kabakci stellt sich auf den Standpunkt, dass die Polizistinnen und Polizisten, solange sie ihre Arbeit gemäss Gesetz erledigten, auch nichts zu befürchten hätten.

Er sagt aber auch: «Die Polizeiarbeit ist ein schwieriger Job, das ist unbestritten.» Allerdings müssten die Einsatzkräfte Kritik aushalten können. «Staatliches Handeln, nicht nur der Polizei, muss stets hinterfragt und kritisiert werden dürfen. Ansonsten bewegen wir uns in eine gefährliche Richtung.»

Skeptisch ist auch der Fraktionschef der LDP im Grossen Rat, Raoul Furlano: «Ein Verbot kommt für mich nicht infrage.» Zudem sei ein solches kaum durchsetzbar.

Danielle Kaufmann (SP), Ex-Präsidentin der Justiz-, Sicherheits- und Sportkommission und Vorstandsmitglied bei den Demokratischen Juristen Basel-Stadt, sagt: «Natürlich haben auch Polizisten Persönlichkeitsrechte, aber die sind nicht in jedem Fall höherrangig.»

Es dürfe bei der Ausgestaltung von Gesetzen nicht darum gehen, die Polizei «um jeden Preis vor Vorwürfen» zu schützen oder allfällige Gewalt zu vertuschen. «Die Haltung muss sein, dass Vorwürfe gegen die Polizei ernst genommen und untersucht werden», so Kaufmann. Auch sie zweifelt an der Umsetzbarkeit des Verbots.

Zuspruch erhält der Polizeibeamten-Verband von der SVP. Grossrat Felix Wehrli sagt: «Die Forderung ist absolut berechtigt.» Wehrli war selbst jahrzehntelang im Polizeidienst tätig. Inzwischen ist er pensioniert. Das Filmen von Polizeiaktionen habe in den letzten Jahren «krass zugenommen», sagt er. Er kenne Fälle von Kindern von Polizisten, die in der Schule gemobbt würden, weil der Vater auf einem Video zu sehen sei.

Bodycams werden wieder zum Thema

Dass ausgerechnet ein SVP-Vertreter ein Filmverbot begrüsst, ist bemerkenswert. Schliesslich ist es die Volkspartei, die regelmässig auf eine Law-and-Order-Politik im öffentlichen Raum pocht und dabei auch Videoüberwachung fordert. Die einfachen Bürgerinnen und Bürger sollen also auf der Strasse gefilmt werden können, die Polizeibeamten aber nicht?

Wehrli wehrt sich gegen eine solche Darstellung: «Das sind zwei verschiedene Dinge. Natürlich ist es wichtig, dass die Öffentlichkeit den Beamten auf die Finger schauen kann.» Nicht in Ordnung sei es, wenn lediglich einzelne Filmsequenzen ins Netz gestellt würden, «wodurch dann in der Öffentlichkeit ein verzerrter Eindruck vom Sachverhalt entstehen kann».

Allerdings räumt auch Wehrli ein, dass die Durchsetzung eines Aufnahmeverbots in der Praxis «höchst schwierig» sei. Der SVP-Grossrat bringt deshalb das Thema Bodycams ins Spiel. Dabei handelt es sich um kleine Kameras, welche die Polizistinnen und Polizisten am Körper tragen. Solche Bodycams würden sowohl die Beamten als auch die «potenziellen» Opfer von Polizeigewalt schützen, so Wehrli. «Es wäre also eine Win-win-Situation.»

Wehrli kündigt an, demnächst einen Vorstoss dazu im Grossen Rat einzureichen. Bodycams waren bereits 2018 ein Thema in Basel. Damals äusserte sich die Polizei gegenüber der BaZ noch kritisch zu diesem Instrument. Solche Kameras böten nur einen «beschränkten Mehrwert». Auch der kantonale Datenschützer meldete Bedenken an.

Verband präzisiert

Der Vizepräsident des Basler Polizeibeamten-Verbands, Harald Zsedényi, der die Videoverbot-Forderung in der «NZZ am Sonntag» lanciert hatte, präzisiert seinerseits am Montag gegenüber der BaZ, dass er ein «absolutes» Filmverbot «nicht zielführend» fände.

«Uns stören Filmsequenzen, die den Kontext aussen vor lassen und dann skandalisiert werden», sagt Zsedényi. Aber: «Wenn die Situation umfassend dargestellt wird und die gezeigten Personen gepixelt werden, ist das ja auch kein Problem.»

Und wie ist die Situation heute? Darf man Polizeibeamte ohne weiteres filmen? Der Basler Jurist Benjamin Stückelberger hat sich mit dieser Frage intensiv auseinandergesetzt. Es gehe immer um die Abwägung zwischen beispielsweise Persönlichkeitsrechten und öffentlichem Interesse, sagt er gegenüber der BaZ. «Das öffentliche Interesse wird dabei jeweils zu Recht als sehr wichtig gewertet. Ausnahmen wären beispielsweise, wenn sich Polizeiangehörige über Privates unterhalten. Das darf man natürlich weder aufnehmen noch veröffentlichen.»

Obwohl es gesetzlich derzeit kein Aufnahmeverbot gebe und in vielen Dienstreglementen explizit stehe, dass sich Polizeiangehörige das Filmen gefallen lassen müssten, komme es häufig vor, dass Polizistinnen und Polizisten die Aufnahmen verhindern wollten. Zum Beispiel, indem sie mit Anzeigen drohen oder die Aufnahmen beschlagnahmen. Zu Unrecht, sagt Stückelberger: «Mir ist kein Fall bekannt, in dem ein Gericht diese Einschränkungen gestützt hat.»


Beim Zoll ist Filmen heute schon verboten

Das Personal des Bundesamtes für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG) darf während der Arbeit nur mit einer Bewilligung gefilmt werden. Wer gegen dieses Verbot verstösst, begeht eine Ordnungswidrigkeit und kann mit einer Busse von bis zu 2000 Franken bestraft werden.

Bereits im Dezember 2020 wollte der Walliser SVP-Nationalrat Jean-Luc Addor dieses Verbot auch auf Polizistinnen und Polizisten ausweiten. In seiner Antwort befand der Bundesrat dies jedoch als unnötig. Behindere das Fotografieren oder Filmen die Arbeit der Polizei, könne bereits jetzt auf Begünstigung (Art. 305 des Schweizerischen Strafgesetzbuchs [StGB, SR 311.0]), Hinderung einer Amtshandlung (Art. 286 StGB) oder Ungehorsam gegen die Polizei nach der kantonalen Gesetzgebung Bezug genommen werden.

Zudem gilt das Zoll-Filmverbot gemäss der Mediensprecherin des BAZG sowieso einzig während der Tätigkeitsausübung auf dem Amtsplatz, nicht jedoch in der Öffentlichkeit. (dis)
(https://www.bazonline.ch/basler-polizisten-wollen-nicht-gefilmt-werden-das-sorgt-fuer-kritik-801355936143)


+++POLIZEI DE
Kritik an Polizeikategorie: Was heißt hier deutschfeindlich?
Das BKA erfasst „deutschfeindliche“ Straftaten, Tendenz steigend. Ein Großteil davon wurde in Cottbus notiert. Was ist da los?
https://taz.de/Kritik-an-Polizeikategorie/!5946106/


+++JENISCHE/SINTI/ROMA
Fahrende in Lausanne müssen Parkplatz verlassen
Die Stadt Lausanne fordert Fahrende mit knapp 130 Wohnwagen zum Verlassen eines Parkplatzes auf. Grund dafür sind geplante archäologische Ausgrabungen.
https://www.nau.ch/news/schweiz/fahrende-in-lausanne-mussen-parkplatz-verlassen-66554047


+++RASSISMUS
Rassendiskriminierung: Aargauer Rentner verschickte Nazi-Propaganda an tschechische Behörden
Ein pensionierter Maschinenmechaniker hat Briefe an diverse tschechische Behörden verschickt. In den Texten hetzte er gegen Roma und bediente sich übelster Nazi-Propaganda. Jetzt wurde er dafür bestraft.
https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/strafbefehl-rassendiskriminierung-rentner-verschickte-nazi-propaganda-an-tschechische-behoerden-ld.2486034


+++RECHTSPOPULISMUS
In der Heimat in den Knast: Aargauer Jungfreisinnige wollen härter gegen Kriminaltouristen vorgehen
Ja, genau: Gegen solche Kriminaltouristen wollen AG Jungfreisinnige härter vorgehen. Sie fordern, dass Verurteilte ihre Strafe im Heimatland absitzen, weil scheinbar CH-Gefängnisstrafen zu wenig abschrecken. Reaktionen im folgenden Beitrag.
https://www.telem1.ch/aktuell/in-der-heimat-in-den-knast-aargauer-jungfreisinnige-wollen-haerter-gegen-kriminaltouristen-vorgehen-152682281


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
ABO https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/ressort-ostschweiz/nationalratswahlen-die-stgaller-svp-ist-fuer-die-wahlen-im-herbst-noch-auf-partnersuche-flirtet-sie-mit-der-aufrecht-bewegung-ld.2489167?mktcid=smch&mktcval=twpost_2023-07-24


+++HISTORY
Genosse Bellettini
Das Leben von Franco Bellettini, dem einst gefährlichsten Mann Schaffhausens, und was aus seinem Kampf gegen die kapitalistische Verbrecherbande geworden ist.
https://www.shaz.ch/2023/07/24/genosse-bellettini/


Der Ku-Klux-Klan – Eine Geschichte des Hasses (1/2)
Der Ku Klux Klan ist die älteste terroristische Organisation der USA. Der 1865 gegründete Geheimbund hat viele Jahrzehnte überlebt und ging selbst aus Niederlagen noch gestärkt hervor. Seit über 150 Jahren macht der Klan immer wieder Schlagzeilen; sein von Hass, Rassismus, Ausgrenzung und Gewalt geprägtes Programm findet heute wieder Zulauf in ganz Amerika.
1865 gründet eine kleine Gruppe von Bürgerkriegsveteranen aus den Südstaaten einen Geheimbund: den Ku-Klux-Klan. Schon bald verbreitet der Klan Furcht und Schrecken unter der schwarzen Bevölkerung, die gerade erst aus der Sklaverei befreit wurde. Bluttaten und Lynchmorde nehmen zu. In Washington beginnt der Kongress, gegen den unsichtbaren Feind vorzugehen, was 1871 zur offiziellen Auflösung des Klans führt. 1915 wird der Ku-Klux-Klan, angestoßen von David W. Griffiths Film „Die Geburt einer Nation“, allerdings neu gegründet.
Unter seinen neuen Anführern passt sich der Klan an die gesellschaftlichen Veränderungen in den USA an und radikalisiert sein Programm: Der KKK wendet sich nun radikal gegen Einwanderung und Urbanisierung und wird antikommunistisch, antisemitisch und antikatholisch.
Fast vier Millionen Amerikaner schließen sich der Gruppe an, die mittlerweile zu einem riesigen, einflussreichen Lobbyverband geworden ist. Ende der 20er Jahre wird die Bewegung durch Skandale und die Wirtschaftskrise geschwächt und nach dem Zweiten Weltkrieg ein weiteres Mal aufgelöst. Doch das sollte nicht ihr Ende bedeuten …
https://www.arte.tv/de/videos/092135-001-A/der-ku-klux-klan-eine-geschichte-des-hasses-1-2/