Medienspiegel 21. Juli 2023

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/

+++AARGAU
In Brugg entsteht eine Schule für minderjährige Asylsuchende
In einem Gewerbegebiet in Brugg AG richtet der Kanton Aargau eine neue Schule für unbegleitete minderjährige Asylsuchende (UMA) ein. Starten wird das Einschulungsprogramm, das für Jugendliche bis 16 Jahre offensteht, mit Beginn des neuen Schuljahres Mitte August, wie der Kantonale Sozialdienst (KSD) mitteilte.
https://www.baerntoday.ch/welt/in-brugg-entsteht-eine-schule-fuer-minderjaehrige-asylsuchende-152634399
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/neue-integrationsschule-fuer-fluechtlinge-in-brugg?id=12425491
-> https://www.32today.ch/mittelland/in-brugg-entsteht-eine-schule-fuer-minderjaehrige-asylsuchende-152634399


Sitzstreik vor dem Bundesasylzentrum in Brugg
Am Freitag, 21. Juli, ging um 13.30 Uhr bei der Kantonspolizei (Kapo) Aargau eine Meldung ein, wonach Bewohner vom Bundesasylzentrum auf der Ländistrasse in Brugg vor der Unterkunft sitzen und sich so gegen die Verlegung von anderen Personen wehren. Laut Kapo-Sprecher Daniel Wächter wurde der Streik um https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/brugg/region-brugg-ticker-moenthal-zu-sprayereien-sind-hinweise-erbeten-villnachern-bau-des-spielplatzes-bei-schule-startet-ld.2116475


+++MITTELMEER
Ein Hoch auf die Schleuser
Nach dem Kentern des Flüchtlingsbootes vor Pylos wurden neun Menschen von Bord verhaftet und als Schleuser kriminalisiert – so wie Tausende andere Geflüchtete in europäischen Gefängnissen. Dabei sind sie Held:innen.
https://www.medico.de/blog/ein-hoch-auf-die-schleuser-19153


+++EUROPA
Pro-Asyl-Juristin über neue EU-Verordnung: „Ein ständiger Ausnahmezustand“
Die EU-Staaten haben sich auf einen harten Kurs in der Asylpolitik geeinigt. Nun könnte es noch schlimmer kommen, befürchtet Wiebke Judith von Pro Asyl.
https://taz.de/Pro-Asyl-Juristin-ueber-neue-EU-Verordnung/!5948775/


+++FREIRÄUME
Post-Besetzung hat das Potenzial, langfristig zu bestehen
Seit der Räumung des Koch-Areals steigt der Druck, Freiräume zu finden. In den meisten Fällen räumt die Polizei besetzte Häuser umgehend. Doch die Zeichen stehen günstig, dass die Post-Besetzung in Wipkingen längerfristig als unkommerzieller Kulturraum bestehen bleibt.
https://tsri.ch/zh/besetzung-des-alten-postgebaeudes-in-wipkingen-koennte-bestehen.dsOQ14ARWDplNRz3


++++GASSE
Eine Sprachnachricht der Polizei vertreibt die Betteltouristen
Wer zum Betteln in die Schweiz einreist, kann weggewiesen werden, hat das Bundesgericht entschieden. Unterwegs mit dem Basler Community-Policing zu den letzten verbliebenen Bettlern in der Stadt.
https://www.20min.ch/story/eine-sprachnachricht-der-polizei-vertreibt-die-bettelbanden-165566161350


+++SEXWORK
Preiszerfall im Sexgewerbe – Der Strassenstrich in der Schweiz hat ein Internet-Problem
Auf der Strasse bieten Prostituierte ihre Dienste teilweise für die Hälfte des üblichen Betrags an. Mit üblen Folgen.
https://www.srf.ch/news/schweiz/preiszerfall-im-sexgewerbe-der-strassenstrich-in-der-schweiz-hat-ein-internet-problem


Gastbeitrag zur Prostitutionsdebatte: Wir müssen die Ursachen, nicht die Symptome bekämpfen
Die Debatte über ein Sexkaufverbot ist neu lanciert. Aber stimmt die Annahme überhaupt, dass gekaufter Sex in jedem Fall Gewalt ist?
https://www.bernerzeitung.ch/wir-muessen-die-ursachen-nicht-die-symptome-bekaempfen-101797652515


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Anarchistenkongress in Saint-Imier – Rendez-vous
Im Berner Jura treffen sich bis am Sonntagabend mehrere Tausend Anarchistinnen und Anarchisten. Sie feiern den 150. Jahrestag des Kongresses von Saint-Imier. Dieser gilt als die Geburtsstunde der Antiautoritären Internationalen. Eine Begegnung mit den heutigen Anarchisten.
https://www.srf.ch/audio/rendez-vous/anarchistenkongress-in-saint-imier?partId=12425743


Sie schlafen im Zelt und essen Ratatouille – was die Anarchisten im Jura sonst noch machen
Hunderte, vielleicht Tausende Anarchistinnen und Anarchisten strömen dieser Tage nach St-Imier. Eine kleine Bestandsaufnahme über den Zustand der Revolution.
https://www.watson.ch/schweiz/leben/507376470-anarchisten-treff-in-st-imier-augenschein-im-berner-jura


«Critical Mass» gilt in Zürich als Demonstration – Echo der Zeit
Die Zürcher Stadtregierung hat entschieden, die monatliche «Velodemo» der «Critical Mass» als Demonstration einzustufen. Die Bewegung selbst bezeichnet ihr gemeinsames Radeln explizit nicht als Demonstration, sondern als spontane Versammlung. Nach dem Regierungsentscheid muss für die «Critical Mass» künftig eine Bewilligung eingeholt werden.
https://www.srf.ch/audio/echo-der-zeit/critical-mass-gilt-in-zuerich-als-demonstration?partId=12425995



tagblatt.ch 21.07.2023

«Das ist eine Vorverurteilung»: St.Galler Juso-Stadtparlamentarierin Miriam Rizvi erneut mit dem Gesetz in Konflikt – Jungfreisinnige fordern ihren Rücktritt

Die 22-jährige Juso-Stadtparlamentarierin Miriam Rizvi ist Anfang Woche in der Stadt St.Gallen festgenommen worden. Der Grund: Spurensicherung in Zusammenhang mit Sachbeschädigungen.

Daniel Wirth

«Ja, ich wurde vorübergehend festgenommen für eine Spurensicherung», sagt Miriam Rizvi am Freitag am Telefon. Die 22-Jährige ist gerade im Kanton Bern in Saint-Imier; sie nimmt am «Anarchy 2023» teil, einem grossen internationalen Anarchistentreffen. Der «Blick» berichtete schon am Donnerstagabend online, die Juso-Stadtparlamentarierin sei Anfang Woche wegen Graffiti-Schmierereien in St.Gallen festgenommen worden.

Dass die Kantonspolizei gegenüber dem «Blick» ihre Festnahme bestätigt hat, ist für Miriam Rizvi eine Vorverurteilung, wie sie sagt. Als Parlamentarierin sei sie zwar eine Person von öffentlichem Interesse, aber auch für sie gelte in einem laufenden Verfahren die Unschuldsvermutung. Denn sie sei im Fall der Sachbeschädigungen in der Nacht auf Montag weder angeklagt noch verurteilt worden.

Eine Person von öffentlichem Interesse

Hanspeter Krüsi, Leiter Kommunikation bei der St.Galler Kantonspolizei, sagt, es stimme, dass der Name der 22-Jährigen gegenüber dem «Blick» bestätigt worden sei. Zum einen, weil der «Blick»-Journalist via anderer Kanäle über den Sachverhalt bestens Bescheid wusste, zum anderen, weil Miriam Rizvi als gewählte Kommunalpolitikerin durchaus eine Person des öffentlichen Lebens sei.

Was sagt die Spitze der städtischen SP zum «Fall Rizvi»? «Wir werden nach den Sommerferien mit ihr das Gespräch suchen», sagt Jenny Heeb, Co-Präsidentin der SP der Stadt St.Gallen. Für Rizvi gelte gegenwärtig die Unschuldsvermutung. Zudem stünden die Sprayereien in keinem Zusammenhang mit der SP, sagt Heeb. Ein allfälliger Ausschluss Rizvis aus der Partei sei derzeit kein Thema innerhalb der SP. Jenny Heeb sagt aber auch deutlich, Sachbeschädigungen gehörten nicht zur politischen Arbeit der SP. «Wir unterstützen das nicht», sagt Heeb. Politische Statements sollten sichtbar und laut sein, jedoch nicht mit Straftaten verbunden.

Die Jungfreisinnigen fordern Rizvis Rücktritt

Weniger zurückhaltend als die städtische SP reagieren die Jungfreisinnigen St.Gallen-Gossau auf die Festnahme von Miriam Rizvi. Am Freitagabend schreibt Co-Präsident Leon Amno in einer Mitteilung: «Statt den Dialog zu suchen, will Miriam Rizvi mit illegalen Guerilla-Aktionen und Vandalismus auffallen.»

In der Mitteilung mit dem Titel «Jungfreisinnige St.Gallen-Gossau fordern Rücktritt von Miriam Rizvi» heisst es weiter: «Als Teil der gewählten Legislative der Stadt St.Gallen entscheidet Frau Rizvi über Gesetzesänderungen, trotzdem verstösst Sie mutmasslich selbst gegen geltendes Recht.»

Es stelle sich die Frage, ob eine Person, die «auf Krawall statt Dialog setzt», überhaupt im Stadtparlament sitzen sollte. Bei der von Rizvi an den Tag gelegten «Verhöhnung des Parlamentarismus» solle sie sich den Rücktritt überlegen, so die Jungfreisinnigen.

Das geschah in der Nacht auf den Montag

Was war geschehen in der Nacht auf Montag? Ein aufmerksamer Bürger meldete der Stadtpolizei St.Gallen um 1.30 Uhr zwei Personen, welche Fassaden und Schaufenster von diversen Gebäuden an der Engelgasse mit Farbe besprühen würden. Im Zuge einer Fahndung konnten Patrouillen der Stadtpolizei St.Gallen eine Frau und einen Mann, welche auf das Signalement des Anrufers passten, angehalten und festgenommen werden, wie die Kantonspolizei mitteilte.

Kurz darauf konnte noch ein weiterer Mann angehalten und festgenommen werden, welcher mutmasslich ebenso mit den Sprayereien in Verbindung stehen könnte. Bei den Festgenommenen handelt es sich um zwei Schweizer im Alter von 18 und 24 Jahren sowie eine Schweizerin im Alter von 22 Jahren.

Sie werden beschuldigt, neben dem Sachschaden an der Engelgasse für weitere Sprayereien am Marktplatz sowie der Augustinergasse verantwortlich zu sein. An den Beschuldigten wie auch an den Tatorten wurden durch den kriminaltechnischen Dienst der Kantonspolizei St.Gallen Spuren gesichert. Die weiteren Ermittlungen werden durch die Kantonspolizei St.Gallen geführt.

An unbewilligter Demonstration teilgenommen

Es ist nicht das erste Mal, dass Miriam Rizvi mit der Justiz in Konflikt geraten ist. 2021 wurde sie von der St.Galler Staatsanwaltschaft wegen Widerhandlung gegen das Epidemiengesetz und Widerhandlung gegen das Polizeireglement der Stadt St.Gallen schuldig gesprochen. Rizvi hatte im November 2020 auf dem Gallusplatz in St.Gallen an einer unbewilligten Demonstration teilgenommen, einer Protestaktion gegen einen bewilligten Protestmarsch von Gegnern der Coronamassnahmen. Sie wurde dafür mit einer Busse von 300 Franken bestraft; auch die Verfahrenskosten musste sie übernehmen. Der Strafbefehl liegt dem «St.Galler Tagblatt» vor.

Miriam Rizvi wurde in St.Gallen bekannt als Sprecherin der Klimaaktivistinnen und -aktivisten, als 2019 Klimastreiks durchgeführt wurden. 2020 bei den Gesamterneuerungswahlen ins Stadtparlament kandidierte sie auf der Liste der Jungsozialisten. Im August 2021 rückte Rizvi als Ersatz ins Stadtparlament nach.
(https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/stgallen/sachbeschaedigung-das-ist-eine-vorverurteilung-stgaller-juso-stadtparlamentarierin-miriam-rizvi-erneut-mit-dem-gesetz-in-konflikt-jungfreisinnige-fordern-ihren-ruecktritt-ld.2490661)
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-ostschweiz/der-verlorene-sohn-ist-zurueck?id=12425938 (ab 03:47)
-> https://www.tvo-online.ch/aktuell/juso-stadtparlamentarierin-miriam-rizvi-wurde-festgenommen-152641922


+++KNAST
derbund.ch 21.07.2023

Landwirtschaft im Gefängnis: Wo Häftlinge Pferde pflegen und Kälber tränken

In Witzwil arbeiten die Insassen in Ställen und auf Äckern. Das soll sie fitmachen für die Aussenwelt. Ein Besuch auf dem grössten Berner Bauernhof.

Regina Schneeberger

Die faustgrosse Fleischwunde am Bein des Pferdes braucht Pflege. Doch das Tier ist scheu, könnte bocken. Diese Aufgabe kann nur einer übernehmen, darin sind sich die Gefängnisangestellten einig. Keiner kann so gut mit Pferden wie Jeffrey G. Gelassen geht der Häftling auf das Tier zu, nimmt es am Halfter, führt es von der Weide zum Stall und bindet es an. Dann kühlt er die Wunde mit Wasser, desinfiziert sie, während die Stute eine Mischung aus Hafer, Stroh und Zucker frisst.

Jeffrey G., ruhige Stimme, wacher Blick, reflektierte Worte. Kaum etwas lässt erahnen, dass es auch turbulente Zeiten in seinem Leben gab. Verurteilt wurde er wegen Raub, Fahrerflucht, Rauschmittelbesitz – vieles beging er getrieben von seiner Drogensucht. Mittlerweile ist der 37-Jährige clean. «Die Pferde sind die besten Therapeuten», sagt er.

Wenn er entspannt sei, seien sie es auch, wenn er nervös sei, übertrage sich das genauso. «Sie halten einem den Spiegel vor.» Ein Tier hat Jeffrey G. besonders ins Herz geschlossen: Lewis. Ein gutes Pferd, ein fleissiges. «Auch wenn er nicht alle Tassen im Schrank hat.» Darin seien sie sich ähnlich, sagt Jeffrey G. Er lächelt. Mit ihm habe er einiges durchgestanden. Lewis habe immer wieder unter Koliken gelitten, er sei für ihn da gewesen. «Man wird gebraucht, selbst hier drin.»

Hier drin, das ist in der Justizvollzugsanstalt Witzwil. Rund 170 Häftlinge verbüssen im Gefängnis im Berner Seeland ihre Strafe. Die meisten sind nur für eine kurze Dauer hier – sieben Monate im Schnitt. Manche bleiben aber auch für Jahre. Zwei Drittel der Insassen wurden wegen Drogendelikten verurteilt. Andere haben schwerere Verbrechen begangen, sitzen in Witzwil lediglich die letzte Zeit ihrer Strafe ab. Es handelt sich um einen offenen Vollzug. Die Männer werden zwar nachts in ihren Zimmern eingeschlossen. Tagsüber aber können sie sich auf dem Anstaltsgelände mehr oder weniger frei bewegen, können nach einer gewissen Zeit hin und wieder ein Wochenende Urlaub zu Hause machen.

Nur mit einem offenen Vollzug funktioniert das, was Witzwil einzigartig macht: Die Strafanstalt ist mit Abstand der grösste Landwirtschaftsbetrieb im Kanton Bern und zählt auch schweizweit zu den Spitzenreitern. Der Hof ist so gross, dass die Insassen mit dem Velo von einem Feld zum anderen fahren müssen.

Allein im Seeland sind es über 700 Hektaren. Dazu kommt noch ein Alpbetrieb auf dem Chasseral von 110 Hektaren, wo einige Tiere bei einer Hirtin übersömmern. Zum Vergleich: Ein durchschnittlicher Schweizer Bauernbetrieb umfasst rund 21 Hektaren Land. Mais, Zuckerrüben und Raps werden in Witzwil beispielsweise angebaut – und Exotischeres wie Reis. Zudem werden 550 Kühe, Rinder und Mastmunis, 350 Schweine, 180 Hühner und 90 Pferde gehalten.

So gleicht auch die Belegschaft jener eines KMU. 25 Mitarbeitende und 40 Häftlinge arbeiten auf den Äckern und in den Ställen. Milch, Fleisch und was die Felder hergeben, dient zuerst der Selbstversorgung. Der Rest wird verkauft – über den Hofladen neben der Anstalt oder unter anderem über die Landi. Jährlich wird damit ein Umsatz in einstelliger Millionenhöhe erzielt. Das Geld fliesst in die Finanzierung der Justizvollzugsanstalt.

Weniger Kontrolle, mehr Verantwortung

In den meisten Schweizer Gefängnissen gilt für die Insassen eine Arbeitspflicht. In Witzwil kommen sie unter anderem in der Küche, der Schreinerei oder der Metzgerei zum Einsatz. Und eben in der Landwirtschaft.

Alfred Burri hat den Überblick über die Arbeiten auf dem grössten Bauernhof. Er ist Betriebsleiter Landwirtschaft in Witzwil. «Wir machen die Leute fit für ein Leben draussen», sagt er. Die Arbeit gebe ihnen eine Struktur. Gerade mit den Tieren würden sie wieder lernen, Beziehungen aufzubauen, müssten Verantwortung übernehmen. So werden die Gefangenen nicht ständig kontrolliert, sind nicht von begrenzenden Mauern und Stacheldraht umgeben. Mindestens alle zwei Stunden schaut allerdings ein Mitarbeiter vorbei.

Grundvoraussetzung für den offenen Vollzug sei, dass die Leute weder gemeingefährlich seien noch dass eine Fluchtgefahr bestehe. Zu «Entweichungen», wie es Burri nennt, könne es hin und wieder kommen. Am häufigsten nach Urlauben. Meist würden die Häftlinge schnell wieder aufgegriffen – kehrten dann aber, falls die Fluchtgefahr eben doch gegeben sei, nicht mehr zurück nach Witzwil. Manche müssen ihre Haftstrafe in einem geschlossenen Vollzug hinter Gittern fortsetzen.

Wie kam es überhaupt dazu, dass ein Gefängnis und ein derart grosser Hof zusammenfanden? Alles begann 1895 mit Otto Kellerhals. Der Bauernsohn aus Aarwangen war der erste Gefängnisdirektor in Witzwil. Er beackerte mit den Gefangenen das Land. Der Kanton hatte die riesige Fläche nahe dem Neuenburgersee einige Jahre zuvor günstig gekauft. Der Betrieb florierte, warf gar Gewinn ab, nicht zuletzt wegen der zahlreichen kostenlosen Arbeitskräfte – zeitweise waren 600 Sträflinge im Einsatz.

Kellerhals galt als Reformator des Justizvollzugs, setzte früh auf die ausgleichende Wirkung von Natur und Arbeit. Doch es gab auch eine Kehrseite der Medaille. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden «Zigeuner», wie man damals sagte, festgenommen, sobald sie in die Schweiz kamen. Familien wurden auseinandergerissen, die Kinder in Heime gesteckt, und die Väter und heranwachsenden Söhne wurden in Witzwil interniert.

Zurück in die Gegenwart: Ein älterer Mann tränkt gerade die Kälber. Auf den ersten Blick könnte man meinen, er gehöre zu den Angestellten, so fachmännisch geht er vor. Doch der rote Streifen an der Werkhose markiert, dass es sich um einen Häftling handelt. Er sei Landwirt, sagt der Mann, habe einst einen eigenen Hof geführt. «Wenn ich arbeiten kann, bin ich zufrieden.» Bei den Kälbern sei er besonders gern. «Die Tiere geben einem viel.»

Noch zeitgemäss?

Wie lange in Witzwil so weitergearbeitet wird wie heute, ist ungewiss. Momentan steht zur Diskussion, ob ein derart grosser Bauernbetrieb im Strafvollzug noch zeitgemäss ist. Der Kanton geht diesbezüglich über die Bücher, prüft nicht nur den Betrieb in Witzwil, sondern auch den deutlich kleineren in St. Johannsen. Der Auslöser: Die Stallungen sind in die Jahre gekommen, bald einmal stehen Investitionen an.

Alfred Burri, Betriebsleiter Landwirtschaft, sagt dazu lediglich: «Es ist ein politischer Entscheid.» Die Insassen könnte man auf einem kleineren Betrieb beschäftigen, das wäre kein Problem. Allerdings erlaubt die grosse Fläche gewisse Besonderheiten. Etwa die Förderung der Biodiversität oder die Freilandhaltung der Schweine. Sie sind das ganze Jahr draussen, haben viel Auslauf – das braucht Platz.

Und die Fütterung ist zeitintensiv, erfordert viel Handarbeit. Solche gibt es in Witzwil noch mehr als auf herkömmlichen Bauernhöfen. Denn: Viele der Insassen dürfen wegen der begangenen Straftat nicht fahren, auch nicht mit Landwirtschaftsmaschinen. Ausserdem sind in den wenigen Monaten, die sie in der Regel hier sind, nur einfachere Arbeiten lernbar.

So kommen Insassen mit Vorwissen gelegen. Würde er nichts tun, sagt der Häftling, der einst Bauer war, würden sich die Gedanken ständig drehen. Nun werde er bald entlassen. Wie seine Zukunft aussehe, wisse er nicht. «Nach Hause kann ich nicht mehr.» Zu schwer wiegt sein Delikt. Und in keinem der angefragten Heime hätten sie ihn gewollt. Seine Stimme wird brüchig, die Augen röten sich. Jetzt müsse er weitermachen, sagt er nach einer Weile. «Es gibt noch viel zu tun.»
(https://www.derbund.ch/wo-haeftlinge-pferde-pflegen-und-kaelber-traenken-999076519150)


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
«Es eilt!» – Mass-Voll fehlen noch Unterschriften: Kann Rimoldi gar nicht zu den Wahlen antreten?
In den sozialen Medien kursiert ein Aufruf im Namen von Mass-Voll, damit die Bewegung die nötigen Unterstützungsunterschriften für die Nationalratswahlen im Kanton Zürich zusammenkriegt. Woher der kommt, weiss Mass-Voll-Chef Nicolas Rimoldi allerdings nicht.
https://www.blick.ch/politik/es-eilt-mass-voll-fehlen-noch-unterschriften-kann-rimoldi-gar-nicht-zu-den-wahlen-antreten-id18770030.html


+++HISTORY
Berner Showdown zwischen Juden und «Drittem Reich»
Vor 90 Jahren erhoben Juden in Bern Klage und erreichten damit, dass die antisemitischen «Protokolle der Weisen von Zion» zur Fälschung erklärt wurden.
https://www.tachles.ch/artikel/schweiz/berner-showdown-zwischen-juden-und-drittem-reich