Medienspiegel 20. Juli 2023

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/

+++AARGAU
Wohnungen in Windisch AG: Im September ziehen die Flüchtlinge ein
Im September kommen die ersten Flüchtlinge nach Windisch. Der Fall hatte vor wenigen Wochen zu Schlagzeilen geführt, nachdem Mieter aus den Wohnungen die Kündigung erhalten hatten.
https://www.blick.ch/politik/wohnungen-in-windisch-ag-im-september-ziehen-die-fluechtlinge-ein-id18765958.html
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/weitere-kandidierende-bei-den-aargauer-nationalratswahlen?id=12425353
-> https://www.telem1.ch/aktuell/vorbereitungen-in-der-umstrittenen-asylunterkunft-laufen-auf-hochtouren-152624984
-> https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/asylwesen-asylunterkunft-in-windisch-wird-im-september-eroeffnet-warum-nicht-50-personen-aufs-mal-einquartiert-werden-ld.2490125
-> https://www.argoviatoday.ch/videos/vorbereitungen-in-der-umstrittenen-asylunterkunft-laufen-auf-hochtouren-152625602?autoplay=true&mainAssetId=Asset:152625476


+++ZÜRICH
Mitten in der Wohnungskrise und doch unsichtbar: Sans-Papiers in Zürich
Die Wohnungskrise prägt das Leben der etwa 10’000 Sans-Papiers in Zürich besonders stark. Dennoch bleiben sie als Betroffene weitgehend unsichtbar. Über die Wohnerfahrungen einer Sans-Papier und die erschwerten rechtlichen Bedingungen in der Schweiz.
https://tsri.ch/zh/sans-papiers-haben-es-auf-dem-zuercher-wohnungsmarkt-besonders-schwer-spaz-zuerich-city-card.qJSsxEOCRQcY7PTf



tagesanzeiger.ch 18.07.2023

Asylsuchende in der Region: Angstzustände und Einsamkeit – so leben Geflüchtete im Bunker

Seit vier Wochen wohnt die kurdische Familie Kaydi in einer Militäranlage in Seuzach. Das Leben im Bunker belastet die Familie stark.

Fabienne Grimm, Marc Dahinden (Fotos)

Zeynep Kaydi senkt ihren Blick und faltet ihre Hände. Gemeinsam mit ihrem Mann Seref Kaydi sitzt sie an einem Tisch, umgeben von gelben, fensterlosen Wänden. Es sieht aus, als wolle die junge Frau ein Gebet sprechen. «Ich will stark sein», sagt sie dann. «Für meine Kinder.» Auch wenn es ihr manchmal schwerfalle. Dann blickt sie ihrem Mann in die Augen, atmet ein und beginnt, ihre Geschichte zu erzählen.

Ursprünglich stamme sie aus Şanlıurfa, sagt Zeynep Kaydi in gebrochenem Deutsch. Die Stadt liegt im Südosten der Türkei, unweit der türkisch-syrischen Grenze. In Şanlıurfa habe sie als Primarlehrerin gearbeitet. Ihr Mann Seref unterrichtete Philosophie an einem Gymnasium. «Mein Mann wurde entlassen», sagt Zeynep Kaydi. «Weil wir Kurden sind.» Ihr Mann Seref Kaydi tippt in die Übersetzungs-App auf seinem Handy: «Man hat mich nicht mehr arbeiten lassen. Die Regierung in unserem Land reisst das Recht auf Leben von Menschen wie uns an sich.»

Aus Angst vor Verfolgung und Repressionen beschliessen die beiden, gemeinsam mit ihrer fünfjährigen Tochter Lorin und ihrem sechsjährigen Sohn Loran das Land zu verlassen. Sie fliehen in die Schweiz, werden dort zuerst kurz am Flughafen untergebracht, dann in Zürich. Sieben Monate verbringen sie anschliessend im Durchgangszentrum Sonnenbühl in Oberembrach. «Das waren schlechte Orte», sagt Seref Kaydi. Die beiden berichten von engen Platzverhältnissen, von fehlender Privatsphäre, von zu wenigen sanitären Anlagen für viele Menschen.

Vor vier Wochen brachte man die Familie nach Seuzach. Dort ist sie in der Militäranlage in Oberohringen untergebracht. Platz und Privatsphäre gibt es hier zur Genüge, denn die Familie bewohnt die Anlage allein. Und trotzdem findet sie auch hier keine Ruhe: «Das ist kein Ort für Kinder», sagt Zeynep Kaydi. «Wir machen uns grosse Sorgen, weil sich die Psyche unserer Kinder hier verschlechtert hat.»

Container statt Bunker

Rückblick: Im März diesen Jahres erhöhte die kantonale Sicherheitsdirektion die Asyl-Aufnahmequote für Zürcher Gemeinden per 1. Juni von 0,9 Prozent auf 1,3 Prozent. Für viele Gemeinden eine grosse Herausforderung: Innert kurzer Zeit mussten sie zusätzlichen Wohnraum schaffen. Seitens des Kantons wurde damals empfohlen, auch auf Zivilschutzanlagen zurückzugreifen.

Seuzach hatte andere Pläne: Vorgesehen war der Bau einer Containersiedlung neben dem Werkhof, in der die zusätzlichen Geflüchteten sobald als möglich hätten untergebracht werden sollen. Doch es kam anders: Das Baurekursgericht stoppte den Bau im Mai. Dies, nachdem Anwohnende rekurriert hatten. Sie bemängelten unter anderem die zu knappen Abstände zu angrenzenden Grundstücken.

Tatsächlich bestätigte das Verwaltungsgericht wenige Wochen später, dass das Projekt die durch die kommunale Bauordnung vorgegebenen Mindestabstände nicht einhält. Bereits vor dem Entscheid hatte die Gemeinde das Projekt überarbeitet. Anfang Juli einigte sie sich schliesslich aussergerichtlich mit den Anwohnerinnen und Anwohnern. Trotzdem verzögert sich der Bau, und die Notunterkunft wird wohl erst im Oktober bezugsbereit sein. Bis dahin muss die Gemeinde Geflüchtete auch in der Militäranlage in Oberohringen unterbringen. Ein Schritt, den sie eigentlich hatte verhindern wollen.

«Vergessen Sie mich nicht»

Plötzlich musste es schnell gehen: Innerhalb von eineinhalb Wochen rüstete die Gemeinde die Militäranlage so um, dass dort Flüchtlinge leben können. Jürg Flacher, der seit 2009 als Anlagewart für die Anlage zuständig ist, installierte einen Kochherd, einen Waschturm und einen Kühlschrank und sorgte dafür, dass alles rechtzeitig an die Wasser- und Stromzufuhr angeschlossen war.

Den Haupteingang funktionierte er mit Festbänken und Blachen, die den Eingang von der Strasse abschirmen, kurzerhand in einen Aussensitzplatz um. «Ohne den Effort von Jürg Flacher wäre das hier alles nicht möglich gewesen», sagt Felix Goldinger, der in Seuzach die Bereiche Soziales und Gesundheit leitet. Normalerweise beherbergt Flacher in der Anlage Militäreinheiten. Dass dort Flüchtlinge untergebracht werden, sei bisher noch nie vorgekommen.

Bis zum 13. Juni: An diesem Tag kam die Familie Kaydi nach Oberohringen. Erst vor Ort erfuhren die vier, dass sie in einen Bunker ziehen sollen. Das werde bei allen Geflüchteten im Kanton so gehandhabt, sagt Goldinger. So solle verhindert werden, dass es vor dem Transport zu Widerstand komme.

Auch Seref Kaydi sträubte sich, als er mit seiner Familie in Seuzach ankam. «Er wollte auf keinen Fall in die Militäranlage. Er hatte Angst, dass er hier nicht wieder rauskommt», erinnert sich Goldinger. Erst als Goldinger dem Vater mit einem Handschlag versprach, er werde sich dafür einsetzen, dass die Familie die Anlage so schnell wie möglich wieder verlassen kann, gab Seref Kaydi nach. Zu Goldinger sagte er aber noch: «Vergessen Sie mich nicht.»

Ständig in Angst

Wer sich durch den Eingang der Anlage in den Untergrund begibt, der begegnet auf dem Weg ins Innere vier Wappen: jenem der Schweiz, jenem des Kantons Zürich, jenem von Seuzach und jenem von Oberohringen. Eine Lehrtochter habe sie einst über die dicken Türen des Bunkers gemalt, erzählt Flacher. «Auf eine Art und Weise versinnbildlichen sie den Weg der Geflüchteten, den diese bis hierher gegangen sind.» Am Anfang steht der Flughafen Kloten, am Ende die Militäranlage in Oberohringen.

Die kunstvoll gefertigten Wappen wirken hier unten fast ein wenig wie ein Fremdkörper – ein kleines bisschen Kreativität, an einem Ort, an dem alles auf Funktionalität ausgelegt ist. Sonst sind die Wände – wenn auch teilweise gelb, grün oder weinrot gestrichen – kahl.

In den Schlafräumen stehen Stockbetten aus Metall, so auch in Zeynep Kaydis Zimmer. Sie teilt es gemeinsam mit ihrem Mann und ihrem Sohn. Ihre Tochter schläft in einem separaten Zimmer. Einem grösseren, das normalerweise Offizieren zur Verfügung steht. Nach einem Fenster sucht man in der ganzen Anlage vergebens. Ob es draussen stürmt oder die Sonne scheint – hier unten bekommt man nichts davon mit.

Das fehlende Tageslicht mache ihr und ihrer Familie zu schaffen, sagt Zeynep Kaydi. «Meine Kinder wissen, wenn sie aufwachen, nicht, ob es Tag oder Nacht ist. Das ist schlimm.» Hinzu komme die Einsamkeit. «Wir sind hier allein.» Zeynep erzählt, dass ihre Tochter Lorin, seit sie hier in der Militäranlage lebten, ständig Angstzustände habe. «Vor einigen Tagen wollten wir schwimmen gehen. Lorin hat es immer geliebt, zu schwimmen. Doch dieses Mal hat sie plötzlich Angst bekommen», sagt Zeynep. «Unsere Tochter weint oft und weicht fast nie von unserer Seite.» Seref Kaydi sagt: «Wir machen uns grosse Sorgen um sie.»

Auch ihr Sohn Loran leide unter der Situation. Er habe angefangen, zu stottern. «Wir hoffen, dass wir so schnell wie möglich hier rauskommen», sagt Zeynep. Immer wieder sage sie ihren Kindern, dass es besser werde. «Doch sie glauben mir nicht mehr.» Dann steht sie auf, holt ein Taschentuch und wischt sich die Tränen aus den Augen. Als sie zurückkommt, sagt sie: «Ich will einfach, dass es meinen Kindern gut geht.»

Die Ultima Ratio

Die Unterbringung von Geflüchteten unter der Erde sei die Ultima Ratio, sagt Felix Goldinger. Und auch die Seuzemer Sozialvorsteherin Laura Wissmann sagt, es handle sich dabei um eine Notlösung. «Das geht, aber nur, solange es absehbar ist.» Sie zieht den Vergleich zum Militär: «Wenn man ins Militär geht und für einige Wochen in einer solchen Anlage lebt, dann findet man das vielleicht noch spannend. Aber wenn man hierherkommt und nicht weiss, für wie lange man bleiben muss, dann ist das für die Menschen sehr schwierig.»

Ein Problem sei, dass man nicht wisse, mit welchem Rucksack die Menschen nach Seuzach kommen. «Wir wissen nicht, was die Menschen erlebt haben, und daher wissen wir auch nicht, was passiert, wenn man sie in einem Bunker unterbringt.»

Trotzdem sei die Militäranlage aktuell die einzige Möglichkeit, die Quote zu erfüllen, bis die Containersiedlung bezugsbereit sei. «Der Wohnraum in Seuzach ist extrem knapp.» Wo immer möglich, versuche man, Plätze zu finden und diese vollständig auszulasten.

Kehre zum Beispiel ein Teil einer Wohngemeinschaft aus Ukrainern zurück in ihr Heimatland, würden die Zurückgebliebenen wenn möglich in eine kleinere Wohnung umquartiert, sodass die grössere Wohnung durch eine grössere Gruppe von Menschen benützt werden könne. «Es ist wie Tetris», sagt Wissmann. «Jeder Platz zählt, und man muss immer darauf achten, dass die Konstellationen passen.»

Solange Menschen unter der Erde leben, wolle man das Beste daraus machen, sagt Wissmann. Dass will auch Jürg Flacher. «Wenn jemand kommt, dann soll es menschenwürdig sein.» Flacher geht zum Beispiel jetzt, wo die Tage heisser werden, auch noch spätabends zum Bunker, um die Lüftung anzustellen. So dringe kühlere Luft in die Anlage. Tagsüber wäre die Aussenluft dafür zu warm.

Und als die Kaydis nach Oberohringen kamen, hat Flacher kurzerhand das rosarote Velo der kleinen Lorin repariert. «Das Lachen der Kinder war für mich der beste Zahltag.» Ihn sporne es an, wenn er den Menschen eine Freude machen könne. «Vielleicht verschlägt es uns ja auch irgendwann mal irgendwo hin, und wir sind froh, wenn uns jemand freundlich aufnimmt.»

Für die Kaydis hat die Gemeinde Seuzach inzwischen eine andere Lösung gefunden. Bereits in wenigen Tagen sollen sie in ein altes Haus in Seuzach umziehen. «Solange wir hier sind, gehen wir wann immer möglich raus und versuchen, unsere Kinder diesen Ort vergessen zu lassen», tippt Seref Kaydi in seine Übersetzungs-App. «Wenn wir draussen sind, wollen wir die Sprache besser lernen und eine Arbeit finden.» Seine Frau ergänzt: «Wir wollen einfach ein normales Leben führen.» In der Militäranlage in Oberohringen sollen indes vier Männer einziehen. Kinder will die Gemeinde dort nicht mehr unterbringen.



Das unterscheidet eine Militäranlage von einer Zivilschutzanlage

Während eine Zivilschutzanlage dem Schutz der Bevölkerung dient, werden in einer Militäranlage Militäreinheiten untergebracht. Bei der Militäranlage in Seuzach handelt es sich um eine Anlage für Luftschutztruppen (Alst). Sie wurde in den 1970er-Jahren gebaut, damit die Armee im Falle eines Krieges der zivilen Bevölkerung Hilfe leisten kann. Heute werde die Anlage von allen möglichen Truppengattungen genutzt, sagt Anlagewart Jürg Flacher. Flacher fungiert als Bindeglied zwischen der Gemeinde und der Armee.

Während eine Zivilschutzanlage nur über das Nötigste verfügt, ist die Infrastruktur in sogenannten Alst deutlich ausgereifter. Sie verfügen über ein besseres Lüftungssystem, eine grosse Industrieküche, diverse Büroräume und einen grosszügigen Hygienebereich. (fgr)
(https://www.tagesanzeiger.ch/eine-kurdische-familie-lebt-allein-in-einem-bunker-und-leidet-379315600764)


+++SCHWEIZ
Steigende Asylgesuche – Mehr Menschen suchen Zuflucht in der Schweiz
Die Schweiz verzeichnet über ein Drittel mehr Asylgesuche als im letzten Halbjahr. Steuern wir auf ein Rekordjahr zu?
https://www.srf.ch/news/schweiz/steigende-asylgesuche-mehr-menschen-suchen-zuflucht-in-der-schweiz


Asylgesuche aus der Türkei nehmen stark zu – das sind die Gründe
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat die grösste Flüchtlingsbewegung in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg ausgelöst. In der Schweiz leben aktuell über 65’000 Personen, die einen Antrag auf den Schutzstatus S gestellt haben. Im Schatten dieser grossen Fluchtbewegung sind zuletzt auch die regulären Asylgesuche wieder angestiegen.
https://www.watson.ch/international/schweiz/646647687-die-asylgesuche-in-der-schweiz-steigen-besonders-aus-einem-land


+++ÖSTERREICH
Flüchtlingslager Lipa: Tödliches Österreich
Petar Rosandić gewinnt Prozess wegen Guantanamo-Vergleich
Der linke Rapper Kid Pex singt in Österreich gegen die Polizei und die Regierung. Als Aktivist legt er sich ebenfalls erfolgreich mit Autoritären und Autoritäten an. Vor Gericht unterlag zuletzt das Wiener ICMPD.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1174867.kid-pex-fluechtlingslager-lipa-toedliches-oesterreich.html
-> https://www.derstandard.at/story/3000000179663/umstrittene-hafteinheit-wird-nun-baulich-von-bosnischem-camp-lipa-getrennt?ref=rss


+++GROSSBRITANNIEN
Flüchtlingspolitik in Großbritannien: Asylsuchende auf Schiff gepfercht
Die britische Regierung möchte bei Geflüchteten Geld sparen. Das versucht sie nun mit der „Bibby Stockholm“.
https://taz.de/Fluechtlingspolitik-in-Grossbritannien/!5945106/
-> https://www.nd-aktuell.de/artikel/1174917.abschiebepolitik-london-hebelt-asylrecht-aus.html


++++MITTELMEER
spiegel.de 20.07.2023

Flüchtlingskatastrophe vor Griechenland: Der Warlord und seine Schlepper

Wer schickte das überfüllte Flüchtlingsboot aufs Mittelmeer? Griechische Behörden haben neun Ägypter inhaftiert. Doch die wahren Hintermänner gehören offenbar zu Khalifa Haftar – dem libyschen Kriegsherrn, den die EU umgarnt.

Von Mohannad al-Najjar, Sara Creta, Muriel Kalisch, Felix Keßler, Steffen Lüdke und Lina Verschwele

Dayyan Al-Numan musste lange auf die Abfahrt warten. Wochen seien es gewesen, erinnert sich der junge Syrer am Telefon. Al-Numan erzählt von einer Lagerhalle am Stadtrand von Tobruk, im Osten Libyens, in der er ausharren musste. Jeden Tag habe er ein Stück Brot und ein Stück Käse bekommen, dreckiges Wasser getrunken.

Al-Numan sagt, die Zeit des Wartens sei schlimm gewesen. Demütigungen, Drohungen und Schläge seien normal gewesen. Er habe still sein müssen, die Lagerhalle nicht verlassen dürfen. Schon die Bitte nach einem zweiten Stück Käse sei zu viel gewesen. »Wer vor den Lagerhallen Tobruks gräbt, wird viele Leichen finden.«

Dayyan Al-Numan, der seinen wahren Namen aus Angst vor Konsequenzen nicht veröffentlicht wissen will, ist Anfang Juni einer von rund 750 Flüchtlingen, die an Bord des maroden Fischkutters »Adriana« gehen. Sie wollen in Europa ein neues Leben beginnen. Italienische und griechische Behörden, auch die EU-Grenzschutzbehörde Frontex sichten das offensichtlich überfüllte Schiff früh. Die griechische Küstenwache begleitet das Schiff lange. Doch statt die Menschen zu retten, versucht die Küstenwache nach Aussagen von Flüchtlingen den Kutter mit einem Tau zu ziehen. Aus Sicht der Geflüchteten bringen sie das Schiff so zum Kentern. Die griechischen Behörden bestreiten das (lesen Sie hier mehr über die Katastrophe im Mittelmeer).

Das Boot sinkt am 14. Juni vor dem griechischen Peloponnes. Nur 104 Menschen werden gerettet. Es ist der tödlichste Schiffbruch eines Flüchtlingsboots seit Jahren. Eine Katastrophe, die Europa schockiert.

Schon kurz darauf legen Politikerinnen und Politiker sich auf einen Hauptverantwortlichen fest. »Wir müssen die Schlepper bekämpfen«, sagte EU-Innenkommissarin Ylva Johansson. Sie hätten den Menschen kein Ticket nach Europa verkauft – sondern sie in den Tod geschickt. Die griechischen Behörden nehmen neun Ägypter fest, die an Bord des Schiffes waren. Die Staatsanwaltschaft hält sie für die Schlepper. Den Männern drohen hohe Geld- und lebenslange Gefängnisstrafen.

Ihre Vorwürfe stützt die Staatsanwaltschaft auf die Aussagen anderer Überlebender. Die Männer sollen demnach an Bord Wasser und Essen verteilt, andere Passagiere misshandelt und Befehle vollstreckt haben. Familienmitglieder berichten hingegen, dass die Männer selbst für die Überfahrt bezahlt hätten, vier Familien können dafür Belege vorlegen. Zwei Überlebende stützen diese Version – und geben an, von griechischen Beamten dazu gedrängt worden zu sein, die Männer als Schlepper zu nennen.

Wer ist für die fatale Überfahrt also wirklich verantwortlich? Wer hat sich an den Flüchtlingen bereichert und sie auf einen Kutter gesteckt, der so überfüllt war, dass das Risiko offensichtlich war?

Die Spur führt zu General Haftar

Ein Team des SPIEGEL ist dieser Frage nachgegangen – gemeinsam mit dem Recherchenetzwerk Lighthouse Reports, den Medien »Reporters United«, »El País« und »Siraj«. Mithilfe von Ihab Al-Rawi und seiner Hilfsorganisation Consolidated Rescue Group, die viele Überlebende betreut, sprachen die Reporterinnen und Reporter mit Angehörigen von Verstorbenen und 17 Überlebenden, befragten Quellen in Libyen und analysierten Gerichtsdokumente.

Die Recherchen entlasten die Ägypter nicht vollständig. Aber sie legen nahe, dass die wahren Hintermänner, jene, die Überfahrt organisiert haben, nicht in einem griechischen Gefängnis sitzen – sondern im Osten Libyens zu finden sind.

Insgesamt drei Quellen – ein Überlebender des Schiffbruchs, der Handlanger eines Schleppers und ein anderer libyscher Insider – berichten unabhängig voneinander, dass es sich bei einem der Hauptverantwortlichen um einen Mann namens Muhammad A. handeln soll. Er arbeitet demnach für sie sogenannten frogmen, eine Kampfschwimmereinheit der libyschen Marine, die von General Khalifa Haftar kontrolliert wird. Eine detaillierte Anfrage des SPIEGEL zu allen Vorwürfen ließen er und ein Sprecher Haftars unbeantwortet.

Haftar ist ein gut vernetzter Kriegsherr, er beherrscht die Region im Osten Libyens, in der die »Adriana« ablegte. Seit anderthalb Jahren floriert dort das Schmugglergeschäft. Die Route hat sich vom Westen Libyens in den Osten verlagert – offensichtlich ohne, dass Haftar das groß stört. Vor allem Italien und Malta umwerben den Warlord deshalb seit Monaten, schon bald könnte sie mit ihm einen Deal schließen: Haftar und seine Milizen sollen Europas Türsteher spielen und die Flüchtlinge aufhalten. Im Gegenzug dürfte Haftar sie sich fürstlich bezahlen lassen.

Sollten sich die Hinweise bewahrheiten, wäre der Mann, den Europa gerade zum Partner erklärt, also selbst ein Schlepper. Die Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer legte dann die Schwachstellen der europäischen Migrationspolitik offen: Die EU setzt zunehmend auf fragwürdige Partner – und immer wieder auch auf kriminelle Kräfte, die doppelt abkassieren wollen.

Als Dayyan Al-Numan, der junge Syrer, im Osten Libyens landet, warten einige dieser Männer schon auf ihn. Angehörige der »Tariq bin Zeyad«-Brigade, Haftars Männer, hätten ihn vom Flughafen in Bengasi abgeholt, sagt er. Bengasi ist streng bewacht, doch der Fahrer soll die vielen Checkpoints ohne Probleme passiert haben. Al-Numan erinnert sich, dass er sogar Witze über seinen Gast gemacht habe: »Natürlich fährt er aufs Meer, was denkst du, dass die Syrer hier Urlaub machen?«

Al-Numan sagt, er habe 4500 Dollar für die Überfahrt gezahlt. Ein Komplettpaket, innerhalb weniger Tage sollte es nach Italien gehen. Von dort aus wollte er sich nach Deutschland durchschlagen. Andere Überlebende machen ähnliche Angaben. Bis vor Kurzem flog die syrische Fluglinie Cham Wings Tausende Syrerinnen und Syrer nach Bengasi – ganz offensichtlich mit Billigung Haftars.

Haftar werbe offensiv damit, dass er im Osten Libyens das Gewaltmonopol habe, sagt der Libyen-Experte Jalal Harchaoui. Kaum etwas passiere ohne sein Wissen. Der Warlord könne nicht behaupten, dass er in das Schleppergeschäft nicht involviert sei. Viele der Flüchtlinge, die überlebt haben, sehen das ähnlich. »Alle Trips werden von seinem Sohn Saddam Haftar beaufsichtigt«, sagt einer von ihnen.

Die »Adriana« legte nach Angaben der Überlebenden in den frühen Morgenstunden ab. In der Nacht zuvor mussten die Passagiere von der Lagerhalle zur Bucht östlich von Tobruk gefahren werden. Trotz der herrschenden Ausgangssperre habe sie niemand behelligt, berichten die Flüchtlinge.

Die Schlepper hätten die Erlaubnis von Haftars Miliz eingeholt, sagt ein Überlebender. Nur mit ihr habe man überhaupt ablegen dürfen. Muhammad A., das Mitglied der frogmen, habe die zuständigen Behörden bestochen, damit diese im richtigen Moment ihr Radar ausgeschalten würden.

Die EU hat Haftars mutmaßliche Schlepperaktivitäten schon lange durchschaut. Die Abfahrten der Flüchtlingsboote stellten eine »lukrative Einnahmequelle für die involvierten ostlibyschen Machthaber dar«, erzählten Uno-Mitarbeiter europäischen Diplomaten schon im Januar. Eine entsprechende Depesche liegt dem SPIEGEL vor.

Meloni lud Haftar nach Rom ein

Doch gerade die südlichen EU-Staaten hält das nicht davon ab, die Zusammenarbeit mit Haftar zu suchen. Im Mai lud Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni ihn nach Rom ein. Wenig später reiste eine maltesische Delegation nach Bengasi. »Wir werden Haftar um mehr Zusammenarbeit bitten, um die Abfahrten zu stoppen«, sagte Italiens Innenminister Matteo Piantedosi wenige Tage vor dem Schiffbruch. Der Warlord darf sich als Lösung für ein Problem präsentieren, das er womöglich erst geschaffen hat.

Auf Anfrage schrieb eine Sprecherin der EU-Kommission, die Kommission habe kein Mandat, um in diesem Fall Untersuchungen durchzuführen oder den Sachverhalt abschließend zu klären. Die Regierungen Maltas und Italiens antworteten nicht. Die griechische Küstenwache teilte mit, die Fragen nicht beantworten zu können, weil diese Teil vertraulicher Ermittlungsverfahren seien. Das Verfahren werde in jedem Fall unabhängig und gemäß der Strafprozessordnung durchgeführt.

Haftar sendet schon jetzt immer wieder Signale an die Europäer: Wenn er möchte, ist er in der Lage, die Migranten aufzuhalten. Um das Schicksal der Menschen geht es ihm dabei allerdings nicht.

Ein Vorfall am 25. Mai zeigt, welche fatale Folgen das Vorgehen seiner Männer haben kann. An diesem Tag fing offenbar ein Schiff der »Tariq bin Zeyad«-Miliz ein Flüchtlingsboot ab, das Kurs auf Europa genommen hatte. Ein Flugzeug der NGO »Sea Watch« filmte den Vorgang aus der Luft. Haftars Milizionäre, so berichten es zwei Flüchtlinge, schleppten sie zurück nach Libyen.

Diese sogenannten Pullbacks verstoßen gegen internationales Recht – Libyen gilt nicht als sicherer Hafen, in dem man Asylsuchende absetzen könnte. Leben retten sie auch nicht: Die meisten zurückgeschleppten Flüchtlinge wagen sich erneut aufs Meer. So soll es nach Aussagen von Angehörigen auch diesmal wieder gewesen sein. Ihnen zufolge gingen mindestens vier Flüchtlinge, die am 25. Mai zurückgebracht worden waren, später an Bord der »Adriana« – und wurden mit dem Schiff in die Tiefe gezogen.
(https://www.spiegel.de/ausland/fluechtlingskatastrophe-in-griechenland-wer-sind-die-wahren-schlepper-a-b1f1d5ce-2c3e-42e1-8bae-7b6bd9610976)


+++EUROPA
EU-Innenminister diskutieren über Krisenmechanismus im Asylwesen
Die EU-Innenministerinnen und -minister diskutieren am Donnerstag im spanischen Logrono über dem Umgang mit Flüchtlingen in Krisensituationen. Für Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider müssen trotz Krise die Grund- und Menschenrechte weiter respektiert werden.
https://www.toponline.ch/news/schweiz/detail/news/eu-innenminister-diskutieren-ueber-krisenmechanismus-im-asylwesen-00217038/
-> https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-96849.html


+++TUNESIEN
derbund.ch 20.07.2023

Reportage aus Nordafrika:  «Ich schäme mich als Tunesier für diese Gewaltorgie»

Die EU preist ihr Migrations­abkommen mit Tunesien als wegweisend. In der Hafenstadt Sfax macht aber ein Mob Jagd auf die Migranten. Und täglich kommen mehr von ihnen in die Stadt.

Mirco Keilberth aus Sfax

Noël Hounkpatin legt die Stirn in Falten und schweigt erst einmal lange. Die Ereignisse der letzten zwei Wochen in Sfax? «Es war wie ein Sturm, der über die Stadt hinweggefegt ist. Alles wurde mitgerissen, was wir uns in den letzten Jahren hier aufgebaut hatten. Aber nun machen wir weiter.» Die Luft über dem Beb-Jebli-Platz ist drückend. Hier, im Zentrum der Hafenstadt, steht das Thermometer auch abends um 10 Uhr noch auf 35 Grad. Gruppen von Tunesiern und Migranten aus Subsahara-Afrika sitzen friedlich nebeneinander auf der grossen Rasenfläche in der Mitte des Kreisverkehrs. Ein einzelner Polizeiwagen mit vergitterten Scheiben steht unter einer Palme, die Beamten schauen sich gelangweilt Videos auf ihren Mobiltelefonen an.

Beim letzten Treffen mit dem 25-Jährigen aus der Elfenbeinküste war Beb Jebli die Drehscheibe Afrikas für die Migration nach Europa. Verzweifelte sudanesische Kriegsflüchtlinge kamen über Algerien und Libyen in Bussen an. Arbeitsmigranten aus Westafrika diskutierten im Schatten der Verkaufsstände des kleinen Gemüsemarktes die aktuellen Preise der Überfahrt nach Lampedusa. An der mächtigen Mauer der Medina dahinter boten Sudanesen und Ghanaer dezent ihre Dienste als Kapitäne oder Navigatoren an für die Überfahrt.

Die Sicherheitskräfte schauten zu

Noël Hounkpatin arbeitete als Vermittler zwischen Migranten und tunesischen Fischern. Er trainierte die in Gruppen von bis zu 40 Passagieren zusammengeschlossenen Migranten in Überlebenstechniken und in der Navigation auf dem Mittelmeer. «Zwischen den Tunesiern und den Migranten gab es zwar wenig Kontakt. Aber man hat voneinander profitiert und ist zurechtgekommen», sagt Hounkpatin. So wie an diesem friedlichen Donnerstagabend auf dem Rasen von Beb Jebli.

Vor zwei Wochen kreisten dann Militärhelikopter über der Stadt, gepanzerte Mannschaftstransporter der Armee und Polizisten sicherten neuralgische Punkte. Die Sicherheitskräfte schauten von weitem zu, wie ein aufgehetzter Mob in der ganzen Stadt Migranten aus ihren Mietwohnungen zerrte und auf offener Strasse verprügelte. Aus Rache für einen angeblich von einem Kameruner getöteten 41-jährigen Tunesier überboten sich Jugendgangs in Gewalt. Videos von auf dem Boden kauernden und blutenden Migranten machten die Runde. Angestellte des Hedi-Chaker-Spitals weigerten sich, Migranten mit gebrochenen Beinen oder Schwangere zu behandeln.

Irgendwer liess mehrere Busse vorfahren, willkürlich zusammengetriebene Afrikaner wurden ohne Wasser oder Nahrung an der libyschen und algerischen Grenze ausgesetzt. «Ich schäme mich als Tunesier für diese Gewaltorgie», sagt Omar Ben Amor. Der Aktivist schaut sich ein auf sozialen Medien kursierendes Video an, man sieht libysche Grenzposten, die Migranten im Niemandsland beider Länder vor der tunesischen Nationalgarde schützen. Mittlerweile sind die meisten der bei 45 Grad in der Sahara ausgesetzten Menschen gerettet worden. Aber von tunesischen Bürgerinitiativen organisierte Suchtrupps fanden mehrere Tote.

«Es ist uns klar, dass jemand offenbar den Plan hat, Tunesien für die Migranten unsicher zu machen», glaubt Omar Ben Amor. Aktivisten wie er waren überrascht, dass EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am letzten Sonntag zusammen mit den Premierministern Italiens und der Niederlande nach Tunesien zurückkehrte. Noch als das Trio mit Präsident Kaïs Saïed ein Wirtschafts- und Migrationsabkommen abschloss, wurden Migranten in Sfax aus ihren Wohnungen vertrieben. Jetzt ist alles ruhig. «Nun bin ich allerdings extrem besorgt», sagt Ben Amor. Seit der Unterzeichnung des Abkommens hält die tunesische Küstenwache fast alle Boote auf, die nördlich von Sfax nach Italien ablegen. Gleichzeitig kommen täglich mehr Migranten in die Stadt, oft nach tagelangen Fussmärschen von der libyschen Grenze.

Viele vermieten Wohnungen an Migranten

Viele Tunesier fürchten, die derzeitige Ruhe könne wieder in Hass umschlagen. Das Partnerschaftsabkommen mit der EU habe doch schon drei Autostunden südlich von Tunis keine Auswirkungen mehr, glaubt der Kioskbesitzer Mohamed Issaoui. «Viele meiner Freunde haben trotz des Verbotes der Regierung wieder angefangen, Wohnungen an Migranten zu vermieten. Schon wegen des Anstiegs der Lebensmittelpreise kann sich hier niemand ein Ende der Migration leisten.»

Als drei Kameruner in Issaouis Laden in der Nähe des Beb-Jebli-Platzes kommen, ist die Stimmung gelöst. Mohamed diskutiert mit der Gruppe die neuesten Vorwürfe des Präsidenten. Eine Milliarde Dollar seien im ersten Halbjahr an die Migranten aus dem Ausland überwiesen worden, so Said – für ihn ein weiterer Beweis, dass Tunesien Ziel einer Verschwörung ist, die das Land destabilisieren soll. «Mein Leben ist höchstens von meinem Monatseinkommen destabilisiert», lacht der Kioskverkäufer, umgerechnet verdient er monatlich knapp 250 Franken. «Ich bin über jeden Kunden froh, egal wo er herkommt.» Ohne die Einkäufe der Migranten, sagt er schliesslich leise, sässe er bald selber in einem Boot nach Italien.

«Klimawandel, Verschmutzungen und Überfischung»

«Wenn die EU will, dass Migration über Tunesien oder die Nachbarländer gestoppt wird, muss sie denjenigen direkt helfen, die ohne die Migranten pleite wären. Und nicht der Regierung», sagt Aktivist Omar Ben Amor. Die Fahrt auf der verlassenen Landstrasse in Richtung Zarzis führt entlang einer endlosen Perlenkette von Fischerhütten. «Optimale Verstecke für die Migranten. Dunkle Schleppernetzwerke, die in dem EU-Abkommen erwähnt werden, gibt es hier nicht», sagt Omar Ben Amor. Was es gibt, sind durch Klimawandel, Verschmutzungen der chemischen Industrie und Überfischung verarmte Fischer. Sie überleben, indem sie Tunesier und Migranten nach Europa bringen.

«Investitionen in alternative Energie, schnelleres Internet, Zugang der Studenten zu dem Erasmus-Programm. Alles schön und gut», sagt Fathma Ben Mansour, die bei der Stadtverwaltung arbeitet. Sie erinnert sich an den Beginn der Unruhen. Der stadtbekannte Soziologe Zied Meluli hatte mehrere Hundert Menschen unter dem Motto «Rettet Sfax» vor dem Bürgermeisteramt versammelt. Die Menge forderte die Durchsetzung von Recht und Ordnung, weil sich angeblich Diebstähle der Migranten gehäuft hatten – doch in dem Gebäude war niemand, der ihren Forderungen Gehör schenkte: Seit der Absetzung des Bürgermeisters und des Gouverneurs durch Präsident Kaïs Saïed sind beide Positionen unbesetzt.
(https://www.derbund.ch/ich-schaeme-mich-als-tunesier-fuer-diese-gewaltorgie-493401825598)


+++GASSE
Mann in Spital eingeliefert: Streit zwischen Gasse Chuchi-Besuchern in Luzern eskaliert
Am Donnerstagnachmittag eskaliert ein Streit zwischen zwei Besuchern der Gasse Chuchi in Luzern. Ein Mann muss anschliessend ins Spital eingeliefert werden.
https://www.blick.ch/schweiz/zentralschweiz/luzern/mann-in-spital-eingeliefert-streit-zwischen-gasse-chuchi-besuchern-in-luzern-eskaliert-id18767096.html
-> https://www.zentralplus.ch/news/drogen-streit-bei-der-gasse-chuchi-in-luzern-endet-boese-2564041/


+++SEXWORK
Preiseinbruch auf dem Strassenstrich – Rendez-vous
Die Digitalisierung setzt Sexarbeiterinnen unter Druck: Die Preise für sexuelle Diensteistungen sind beinahe um die Hälfte tiefer. Der Strassenstrich leider unter einem Preiszerfall.
https://www.srf.ch/audio/rendez-vous/preiseinbruch-auf-dem-strassenstrich?partId=12425188


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Tausende an Anarchie-Treffen erwartet
Das internationale antiautoritäre Treffen hat am Mittwoch in Saint-Imier begonnen. Das Organisationsteam erwartete bis am Sonntag mehrere Tausend Anarchistinnen und Anarchisten aus der ganzen Welt. Die Gemeinde im Berner Jura galt als Wiege dieser Bewegung.
https://www.jungfrauzeitung.ch/artikel/211981/
-> https://twitter.com/dan_faulhaber/status/1681932367722676224
-> https://libradio.org/radio-ria-a-saint-imier/
-> https://web.telebielingue.ch/de/sendungen/info/2023-07-20


Riesiges Anarchisten-Treffen in St-Imier BE: Eine Geschichte der Anarchie in der Schweiz
Tausende Anarchisten treffen sich derzeit in Saint-Imier im Berner Jura. Was machen Anarchisten und was hat die Schweiz eigentlich mit der Anarchie zu tun?
https://www.watson.ch/wissen/schweiz/482934834-eine-kleine-geschichte-der-anarchie-in-der-schweiz



derbund.ch 20.07.2023

Weltrevolution oder Festivalspass? – Zu Besuch bei den Antiautoritären von St-Imier

Im Berner Jura treffen sich dieses Wochenende Anarchistinnen und Anarchisten aus der ganzen Welt zu einem viertägigen Kongress. Was treibt diese Menschen um?

Quentin Schlapbach, Manuel Lopez Fotos

Anjane, 26 Jahre alt, sitzt auf dem Vorplatz des Espace Noir in St-Imier und trinkt ein alkoholfreies Bier. Angekommen sei sie erst vor wenigen Stunden. «Ich fühle mich aber schon jetzt extrem wohl hier», sagt sie und blickt gut gelaunt in die Runde.

Im Espace Noir – eine Art Reitschule im Kleinformat mit Taverne, Kino, Theater und Bücherladen – kommen an diesem Mittwochnachmittag laufend neue Leute an. Die meisten tragen schwarze Kleidung, haben Tattoos und auffällige Frisuren; beladen sind sie mit schweren Rucksäcken, Zelten und Schlafmatten. Bereits am allerersten Tag des Antiautoritären Kongresses sind viel mehr Menschen nach St-Imier gekommen, als die Organisatoren erwartet haben. Dazu aber später mehr.

Anjane kannte bis vor kurzem noch keinen einzigen Menschen hier. Erst gegen Ende des Kongresses werde eine Freundin von ihr dazustossen. In dieser Szene sei das aber überhaupt kein Problem. «Du kommst hier mit allen sofort ins Gespräch.»

Ursprünglich kommt die angehende Zirkusartistin aus Berlin. «In meiner Jugend habe ich die anarchistische Szene idealisiert». Den Kampf für eine gerechtere Welt habe sie verinnerlicht, auch wenn sie heute nicht mehr so politisch unterwegs sei. Das Treffen hier in St-Imier fühle sich aber dennoch an wie ein «Heimkommen», sagt Anjane.

Dieses Gefühl ist hier weit verbreitet. Für viele ist der Besuch in St-Imier eine Art Pilgerfahrt, eine Rückkehr zu den Wurzeln ihrer politischen Gesinnung. Im 5000-Seelen-Dorf am Fusse des Chasseral ist Ende des 19. Jahrhunderts jene revolutionäre Idee geboren, um welche es beim Antiautoritären Kongress geht: der Anarchismus.

Bakunin und die Juraföderation

1870 war St-Imier ein Hotspot der Industrialisierung. Hier schlug das Herz der Schweizer Uhrenindustrie. Marken wie Longines, Breitling, TAG Heuer, Blancpain oder Chopard haben im Berner Jura ihren Ursprung.

Die Geschichte des Anarchismus hängt mit der Schweizer Uhrenindustrie unmittelbar zusammen. 1871 schlossen sich hiesige Fabrikarbeiter zur Fédération Jurassienne, der Juraföderation, zusammen. Bereits ein Jahr später, am 15. September 1872, fand im altehrwürdigen Hôtel de la Maison de Ville – eine Gehminute vom Espace Noir entfernt – der erste Antiautoritäre Kongress statt.

Michail Bakunin, damals ein Gegenspieler von Karl Marx, traf sich mit seinen Sinnesgenossen, allen voran der Juraföderation. Gemeinsam wollten sie die internationale Arbeiterbewegung neu aufstellen. Beim Treffen in St-Imier wurde der Grundstein für eine neue sozialistische Strömung gelegt: den kollektivistischen Anarchismus.

Abschaffung des Staates und des Privateigentums – das waren die Kernforderungen der anarchistischen Pioniere. Von St-Imier aus sollte die ganze Welt bekehrt werden.

Im Gegensatz zu Marx’ kommunistischem Ansatz wollten Bakunin und Co. jedoch nur die Produktionsmittel – also Maschinen, Fabriken und Liegenschaften – kollektivieren, nicht aber die hergestellten Güter. Diese sollten, je nach geleisteter Arbeit, unter der Arbeiterschaft verteilt werden. Man kann also sagen, dass dieser politischen Denkweise ein gewisser Leistungsgedanke innewohnt.

Kein Handy vonnöten

Ging es 1872 noch um nichts Geringeres als die Weltrevolution, zeigen sich viele Anarchistinnen und Anarchisten heutzutage etwas milder. Forderungen wie die Abschaffung aller Hierarchien und Herrschaftssysteme tauchen am diesjährigen Antiautoritären Kongress zwar immer noch auf. Der Aufruf zum Systemwechsel wirkt zuweilen aber etwas abgehalftert und antiquiert.

Menschen wie Anjane scheint es denn auch um viel profanere Dinge zu gehen als um die Weltrevolution. Sie erzählt von einem Workshop, den sie am Morgen besucht hat. Das Thema war «epistemische Verantwortung». Anhand von Skizzen rekapituliert sie, was sie dabei alles gelernt hat. Weil ihr Handy kein Internet habe, seien diese Notizen sehr wichtig für sie.

Diese – zumindest für die heutige Zeit – fast schon anachronistische Lebensweise findet man an vielen Orten in St-Imier. Ein Handy mit Internet braucht hier auch niemand. Alles Wichtige für den Kongress hat das Organisationskomitee auf Plänen, Schildern und Zetteln festgehalten.

268 Konferenzen und Workshops, 48 Konzerte, 42 Filme, 11 Theaterstücke, 7 Ausstellungen und eine Buchmesse sollen an den vier Tagen stattfinden. Es ist eine Art politisches Festival, wo auch gezeltet, gegessen und gefeiert wird. Der Kontrast zu anderen Grossveranstaltungen – etwa zum Gurtenfestival von letzter Woche – könnte dennoch kaum grösser sein.

Während an Grossveranstaltungen die Leute auf Konsum und Selbstinszenierung getrimmt sind, sind solche Dinge bei Anarchistinnen und Anarchisten geradezu verpönt. Mit Journalisten zu reden, ist ok. Sich fotografieren lassen stimmt für die allermeisten dann aber schon nicht mehr. Auch Arjane sagt, ihr sei nicht wohl, wenn man sie fotografiere.

«Welt vom Kapitalismus befreien»

Die «Generation Instagram», sie ist in St-Imier völlig abwesend. Selbst die ganz jungen «Comrades» sieht man eher mit einem Buch auf dem Schoss als mit dem Smartphone in der Hand. Wer trinken und essen will, kann das hier gratis machen. Es wird jedoch eine Art Gegenleistung erwartet, zum Beispiel ein Soli-Beitrag oder ein kleiner Arbeitseinsatz zugunsten der Allgemeinheit.

Bei einem solchen Einsatz treffen wir auf Robert, ein Mitglied der Fédération Anarchiste aus Frankreich. Gestern Nacht sei er mit dem Auto vom Mittelmeer losgefahren. Jetzt steht er mit einer Papptasche mit leeren Tupperwares am Strassenrand vor dem Espace Noir und wartet auf eine ihm noch unbekannte Person, welche die Lieferung entgegennimmt.

Er bleibe für den gesamten Kongress hier, sagt Robert. «Mir geht es vor allem darum, die internationale Solidarität zu stärken und einander in unserem Kampf zu unterstützen», sagt er. Im Gegensatz zu Anjane schwingt bei jedem seiner Sätze eine politische Note mit. «Ja, es ist heute möglich, in unserem System nach anarchistischen Grundsätzen zu leben», sagt er.

In kleinen Gemeinschaften könne man sich gut organisieren. Klar wäre es aus seiner Sicht wünschenswert, wenn die ganze Gesellschaft vom «Joch des Kapitalismus» befreit werden würde. «Uns ist aber bewusst, dass das viel Widerstand hervorrufen würde», so Robert.

Zu Besuch beim Bürgermeister

Der Aufruf zur Revolution hat auch schon radikaler geklungen. Vielleicht ist dies mit ein Grund, weshalb die Bevölkerung von St-Imier beeindruckend gelassen mit der Anarchisten-Bubble umgeht.

Ortstermin beim Bürgermeister der Gemeinde. Corentin Jeanneret, 26 Jahre alt, Notar und FDP-Grossrat, bekleidet seit Anfang Jahr das höchste politische Amt St-Imiers. In den vergangenen Wochen und Monaten habe er mehrere Sitzungen mit dem Organisationskomitee des Kongresses gehabt. «Wir haben nicht dieselben politischen Werte, insbesondere was die Rolle des Staates anbelangt», sagt er.

Dennoch sei die Zusammenarbeit aus seiner Sicht konstruktiv und reibungslos verlaufen. Er erwarte auch in den kommenden Tagen keine grösseren Probleme. Dies, obwohl sich die Einwohnerzahl seiner Gemeinde durch den Besucherstrom praktisch verdoppeln wird.

Die Gemeinde St-Imier hilft den Organisatoren aktiv, etwa indem sie ihnen einzelne Räumlichkeiten gratis zur Verfügung stellt. Politisch tickt die Gemeinde längst nicht mehr sozialistisch, sondern bürgerlich. Im Gemeinderat besetzt die FDP vier von sieben Sitzen. «Ich glaube nicht, dass unter den 4000 Besuchern auch nur ein FDP-Mitglied ist», sagt Jeanneret lachend. Für ihn stand dennoch nie zur Debatte, ob die Gemeinde den Veranstaltern helfen solle oder nicht. «Der Anarchismus ist Teil der Geschichte von St-Imier. Und auf diese sind wir stolz», so Jeanneret.

«Ein wenig überfordert»

Eine der Räumlichkeiten, welche der Kongress gratis nutzen kann, ist die lokale Eishalle. Auf Holztischen werden hier Tausende Bücher in mehreren Sprachen angeboten. Es ist der gesammelte anarchistische Grundkanon, von Klassikern von Michail Bakunin bis hin zu neueren Werken.

Ein typischer Anarchist ist ein «homme de lettres», das wird an dieser Buchmesse klar. Wenn es in der Szene einen Wettbewerb gibt, dann wer mehr politische Theorien auswendig kennt. Um einzelne Vordenker – speziell natürlich Bakunin – existiert auch eine Art Personenkult. Grundsätzlich gilt: Wer hier verehrt wird, ist entweder bereits tot oder sitzt als politischer Häftling im Gefängnis.

In der Nähe der Eishalle treffen wir auf Eda, eine der Organisatorinnen des Kongresses. Eine Woche zuvor war sie bereits mit dabei auf einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz im Espace Noir. Ob es eine solche überhaupt braucht, war im Vorfeld ein heisses Thema innerhalb des Kollektivs. PR in eigener Sache – das klingt in den Ohren vieler Anarchos irgendwie ganz falsch.

Mit ein Grund, sich dennoch an die Öffentlichkeit zu wenden, war die Tatsache, dass das Geld noch nicht ganz zusammen war. 200’000 Franken sind für die Durchführung des Festivals vonnöten. Bereits am ersten Tag des Kongresses scheinen viele dieser Berechnungen aber bereits überholt zu sein. «Wir sind gerade ein wenig überfordert», gibt Eda erfrischend ehrlich zu.

Es seien bereits viel mehr Menschen gekommen als gedacht. Sie müssten nun für mehr Parkplätze, Essen und Schlafgelegenheiten sorgen. Irgendwie werde das aber schon klappen, meint Eda. Jemanden wieder nach Hause schicken, weil es keinen Platz mehr hat, das komme nicht infrage. Das verbietet das politische Grundethos.
(https://www.derbund.ch/zu-besuch-bei-den-antiautoritaeren-von-st-imier-165327550875)



nzz.ch 20.07.2023

Das Schweizer Uhrmacherdorf Saint-Imier wird zur Anarchisten-Hochburg

Im Berner Jura wird am Wochenende das 150-Jahr-Jubiläum der Antiautoritären Internationalen gefeiert. Damit kehrt die anarchistische Bewegung an ihren Ursprungsort zurück.

Till Minder (Text), Peter Klaunzer (Bilder)

Mit rund 5000 Einwohnern ist Saint-Imier eigentlich ein beschauliches Dorf im Berner Jura. In diesen Tagen dürfte sich seine Bevölkerung allerdings verdoppeln – zumindest vorübergehend. Seit Mittwoch und noch bis Sonntag findet in dem Uhrmacherdorf die Anarchy 2023 statt. Ein anarchistisches Treffen zum 150-Jahr-Jubiläum der Bewegung Antiautoritäre Internationale. Das Treffen hätte eigentlich bereits im vergangenen Jahr stattfinden sollen, wurde aufgrund der Corona-Pandemie aber verschoben.

Wer jetzt erwartet, dass Saint-Imier ein Wochenende geprägt von Tumulten bevorsteht, täuscht sich. Schon vor dem Auftakt stellten die Organisatoren klar: Anarchisten lehnten zwar staatliche, wirtschaftliche und gesellschaftliche Autorität ab, aber Anarchie bedeute nicht Chaos. Die Veranstaltung soll ein Ort des Austausches über politische und gesellschaftliche Entwicklungen sein.

Die Organisatoren erwarten Tausende von Besuchern

Bereits am Mittwochmorgen sind Hunderte von Anarchisten friedlich in den Berner Jura gereist. Der Grossteil der Besucher dürfte aber erst am Wochenende folgen. Dann erwarten die Organisatoren rund 4000 Teilnehmer aus zahlreichen Ländern. Als Unterkunft wurde eigens für die Veranstaltung ein Campingplatz eingerichtet.

Neben Dutzenden von Konzerten, Film- und Theatervorstellungen stehen auch mehr als dreihundert Workshops und Vorträge auf dem Programm. Besprochen werden Themen wie Massenüberwachung, Abtreibung, Antimilitarismus oder Faschismus. Auf dem Zeitplan finden sich aber auch Veranstaltungen zu weniger politischen Themen. Beispielsweise der Workshop «Aktionsklettern: Lerne die wichtigsten Knoten und wie du am Seil auf- und absteigst».

Unterstützt wird das Treffen von der Gemeinde Saint-Imier. Sie hat den Veranstaltern mehrere städtische Gebäude, beispielsweise die Sporthalle, zur Verfügung gestellt. Immerhin profitiere so auch die Wirtschaft vom Jubiläum der Anarchisten. Die Kosten der Veranstaltung belaufen sich laut den Organisatoren auf rund 200 000 Franken.

Der Anarchismus ist tief im Berner Jura verwurzelt

Dass die Antiautoritäre Internationale ihr 150-jähriges Bestehen in dem kleinen Uhrmacherdorf Saint-Imier feiert, ist kein Zufall. Dort erlebte die Bewegung im Jahr 1872 ihre Geburtsstunde. Damals sei man wohl an keinem anderen Ort auf der Welt so empfänglich für die Idee gewesen, den Staat abzuschaffen, wie im Berner Jura, schreibt der Schweizer Historiker Florian Eitel in seiner Studie «Anarchistische Uhrmacher in der Schweiz».

Der Grund war, dass die einst wohlhabende Uhrenindustrie in Saint-Imier in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Proletarisierung der Arbeiterschaft erlebte. Eine Weltwirtschaftskrise und die immer stärker werdende globale Konkurrenz im Uhrenmarkt führten zu sinkenden Löhnen. In anderen Branchen hingegen stiegen die Löhne – und den Mitarbeitern boten sich Aufstiegsmöglichkeiten, mit denen die Uhrenindustrie nicht mithalten konnte. Der Schweizer Filmemacher Cyril Schäublin hat dieser bewegten Zeit kürzlich den Historienfilm «Unrueh» gewidmet.

Dass die einst so reichen Uhrmacher an Macht verloren, sorgte für Unmut. Die Leute aus Saint-Imier sehnten sich nach einer neuen, herrschaftsfreien Weltordnung. Sie waren offen für die Ideen des russischen Anarchisten Michail Bakunin. Der bekannte Marx-Gegner machte im September 1872 halt in dem Schweizer Uhrmacherdorf – und gründete dort am «Kongress von Saint-Imier» gemeinsam mit 14 Gleichgesinnten die Antiautoritäre Internationale.

Der grosse Erfolg blieb jedoch aus, und die Bewegung geriet mit der Zeit in Vergessenheit. Immerhin erinnert in Saint-Imier heute noch die Rue Bakounine an den damaligen Revolutionär – es ist eine Sackgasse.
(https://www.nzz.ch/schweiz/anarchy-2023-das-uhrmacherdorf-saint-imier-wird-zur-anarchisten-hochburg-ld.1748205)



Studie: Widerstand der Klimakleber werde wie «Verbrechen statt Vergehen» behandelt
Bei Prozessen gegen Klimaaktivistinnen und -aktivisten fällen Gerichte laut einer Studie politische Urteile, ohne sich dessen bewusst zu sein. So beurteilte die Mehrheit der Gerichte den Klimawandel nicht unter dem Gesichtspunkt der Menschenrechte.
https://www.watson.ch/schweiz/wissen/230596230-schweizer-gerichte-faellen-bei-klima-prozessen-politische-urteile
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/studie-325-persone-wegen-klimaaktionen-in-strafverfahren-verwickelt-66547720


Linksaussen-Politikerin soll Hausfassaden in St. Gallen mit Graffiti verschandelt haben : Juso-Parlamentarierin Miriam Rizvi (22) festgenommen
In der Nacht auf Montag haben bislang Unbekannte in der St. Galler Altstadt Hausfassaden mit Graffiti verschmiert. Jetzt zeigen Blick-Recherchen: Bei einer der festgenommenen Personen handelt es sich um Juso-Stadtparlamentarierin Miriam Rizvi (22).
https://www.blick.ch/schweiz/ostschweiz/st-gallen/linksaussen-politikerin-soll-hausfassaden-mit-graffiti-verschandelt-haben-st-galler-juso-stadtparlamentarierin-miriam-rizvi-22-festgenommen-id18767826.html


Demo-Bewilligung: Rojava-Komitee wirft Polizei Erpressung vor
Die Basler Polizei habe die Bewilligung einer Demonstration daran geknüpft, dass die Organisator*innen dann für die Tramausfälle finanziell aufkommen müssen, behauptet ein kurdisches Komitee. Die Polizei weist die Vorwürfe vehement zurück.
https://bajour.ch/a/clkagact84148962shze5e8b4ss/rojava-komitee-wirft-basler-polizei-erpressung-vor


+++SPORT
Waadt: Sind Aufsteigerclubs bereit für aggressive Fussball-Fans? – 10vor10
Neu spielen in den zwölf Teams der Superleague drei Teams aus dem Kanton Waadt. Das freut das Westschweizer Fussballherz. Doch sind die drei Aufsteigerclubs und ihre Heimstädte gerüstet, um aggressive Fans im Zaum zu halten?
https://www.srf.ch/play/tv/10-vor-10/video/waadt-sind-aufsteigerclubs-bereit-fuer-aggressive-fussball-fans?urn=urn:srf:video:8947e60e-7f25-40ec-bda2-d47ea04c76bc



aargauerzeitung.ch 20.07.2023

Bei Fangewalt werden Sektoren gesperrt: Behörden wollen auch in der neuen Fussballsaison durchgreifen – und arbeiten am Plan für die Zukunft

Was in und um die Schweizer Stadien in den nächsten Monaten passiert, wird den Umgang mit den Fans auf Jahre hinaus prägen.

Dominic Wirth

Die unheilvolle Serie nahm im April in Basel ihren Anfang. Nur ein paar Wochen später schaute die Schweiz auf drei Vorfälle zurück, bei denen Fussballfans randalierten. Dabei verletzten sich Fans, Sicherheitsleute, Polizisten, auch Unbeteiligte. Zuerst in Basel, dann in Genf, schliesslich in Luzern.

In allen drei Fällen griffen die zuständigen Behörden durch: Sie sperrten die Sektoren der involvierten Fanlager für das nächste Spiel. Bei Spielen zwischen Luzern und St. Gallen schlossen sie Gästefans gleich für die ganze kommende Saison aus.

Weil sich das alles in kurzer Zeit zutrug, geriet einiges in Bewegung. Noch im März hatten Fussballliga und Behörden angekündigt, dass man beim Umgang mit Fussballfans vorderhand auf deeskalierende und kooperative Ansätze setzen wolle. Gleichzeitig sollte ein Kaskadenmodell ausgearbeitet werden, das schrittweise strengere Massnahmen vorsieht, falls dieser Weg nicht greift.

Am Ende dieser Kaskade: die Einführung personalisierter Tickets, über die seit Jahren gestritten wird. Bund und Kantone machen sich dafür stark, weil sie generell ein härteres Vorgehen verfechten; die Klubs und wichtige Fussballstädte wie St. Gallen oder Zürich sind dagegen skeptisch, auch, weil sie am Nutzen der Tickets zweifeln. Dieses Lager gewichtet den Dialog höher als die Repression.

Die Ausschreitungen änderten alles

Letzteres setzte sich zuerst durch. Doch nach der Krawallserie im Frühling drehte der Wind. Alles rief jetzt nach Massnahmen. Und die Behörden entwarfen in aller Eile eine Art erstes, provisorisches Kaskadenmodell. Statt geredet wurde nun gesperrt.

Das passierte in einem Organ, das sich Arbeitsgruppe Bewilligungsbehörden nennt und der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren KKJPD angegliedert ist. Dort sitzen Vertreter jener Behörden, die Fussballspiele genehmigen. Das ist etwa im Fall der Young Boys, von St. Gallen oder Zürich die Stadt; in Basel oder Luzern ist es der Kanton. In dieser Arbeitsgruppe wurden im Mai erstmals gemeinsam Strafen beschlossen und umgesetzt.

Ein Novum sei das gewesen, sagt Karin Kayser-Frutschi, die Co-Präsidentin der KKJPD. Sie tut das mit einigem Stolz, was eben daran liegt, dass diese behördliche Einigkeit alles andere als eine Selbstverständlichkeit ist. Jeder Fussball-Standort setzt beim Umgang mit Fans auf eigene Instrumente, hat andere politische Begebenheiten, andere Voraussetzungen, andere Traditionen.

Doch jetzt soll dieses Novum in der neuen Super-League-Saison, die am Wochenende beginnt, zur Regel werden. «Es ist unser Ziel, bei gravierenden Vorfällen weiterhin koordiniert vorzugehen», sagt Kayser-Frutschi, die im Kanton Nidwalden als Sicherheitsdirektorin amtet. Davon verspricht sie sich eine Signalwirkung an die Fans.

Konkret soll künftig nach Zwischenfällen, die als gravierend taxiert werden, rasch eine Videositzung der Arbeitsgruppe Bewilligungsbehörden stattfinden. Und dort sollen dann gemeinsam Massnahmen definiert werden.

Was ist denn nun gravierend?

Doch was gilt als gravierend, und was sind mögliche Massnahmen? Kayser-Frutschi sagt, dass man auch künftig auf Sektorsperren setzen wolle. «Wenn es gut läuft, dürfen die Fans wieder ins Stadion. Wenn nicht, gibt es längere Sperren», so die Mitte-Politikerin.

Bleibt noch die Frage, was denn nun gravierend ist und was nicht. Dazu sagt Kayser-Frutschi nur, dass man das nicht genauer definiert habe. Es habe sich herausgestellt, dass «die Meinungen darüber auseinandergehen».

Das ist nun doch ein wesentlicher Punkt, bei dem sich die Arbeitsgruppe offensichtlich nicht gefunden hat. Zwar bekräftigten sowohl Kantonsvertreterin Kayser-Frutschi als auch Sonja Lüthi, Sicherheitsdirektorin der Stadt St. Gallen und Verfechterin des Dialog-Wegs, dass man auch künftig an einem Strick ziehen wolle. Doch in der Arbeitsgruppe prallen öfter mal sehr verschiedene Standpunkte aufeinander.

Die KKJPD, die sich schon länger für eine härtere Linie beim Umgang mit den Fans stark macht, hat ihren Einfluss in der Sommerpause ausgebaut. Sie kann künftig auch dann eine Sitzung einberufen und Massnahmen anregen, wenn Klub und Behörden vor Ort das eigentlich nicht für notwendig befinden. In der Arbeitsgruppe gibt es gar Stimmen, die sich für Mehrheitsentscheide aussprechen. Und damit dafür, dass Bewilligungsbehörden Massnahmen auch gegen ihren Willen umsetzen müssen. Wobei dafür ein rechtlicher Rahmen fehlt.

Damoklesschwert personalisierte Tickets

Sonja Lüthi sagt, dass man «noch viel Arbeit vor sich» habe, bis das Ziel – eine gemeinsame Haltung beim Umgang mit Fans – erreicht sei. Fest steht, dass die nächsten Monate entscheidend sein werden. Und damit auch, was in diesen Monaten in und um die Stadien passiert.

Denn während die Arbeitsgruppe Bewilligungsbehörden mit ihrer Übergangsversion arbeitet, laufen im Hintergrund die Arbeiten am langfristigen Kaskadenmodell weiter, Projektname: «Progresso». Dieses wird den Umgang mit Fans in der Schweiz auf Jahre hinaus definieren. «Natürlich ist es jetzt sehr wichtig, wie sich die Fans in den nächsten Monaten verhalten», sagt Karin Kayser-Frutschi.

Über allem schwebt dabei, einem Damoklesschwert gleich, die Einführung der personalisierten Tickets. Im Rahmen von «Progresso» wird geprüft, welche gesetzlichen Anpassungen es dafür braucht. Die Nidwaldnerin Kayser-Frutschi sagt, sie sei klar dafür. Die St. Gallerin Lüthi ist zum «aktuellen Zeitpunkt» dagegen. Rückenwind erhält das Pro-Lager, weil neu drei Klubs aus dem Waadtland in der Super League mitspielen – und die dortigen Behörden sich für personalisierte Tickets aussprechen.
(https://www.aargauerzeitung.ch/sport/super-league-bei-fangewalt-werden-sektoren-gesperrt-behoerden-wollen-auch-in-der-neuen-fussballsaison-durchgreifen-und-arbeiten-am-plan-fuer-die-zukunft-ld.2489415)


+++MENSCHENRECHTE
Zwangssterilisation wegen Behinderung: das Ende der Verbrechen?Hintergrund
Einige Länder in Europa erlauben noch immer die Zwangssterilisierung behinderter Menschen. In Frankreich und in Deutschland ist sie zwar gesetzlich verboten, jedoch wird sich in zahlreichen Ausnahmefällen über die Zustimmung der Hauptbetroffenen hinweg gesetzt. Eine EU-Richtlinie könnte von den EU-Mitgliedsstaaten nun ein umfassendes Verbot dieser diskriminierenden Praxis verlangen. Sexualität, aber auch die von behinderten Frauen erlebte sexuelle Gewalt werden nun offen thematisiert.
https://www.arte.tv/de/videos/113043-079-A/zwangssterilisation-wegen-behinderung-das-ende-der-verbrechen/


+++RASSISMUS
Bündner Ferienhaus-Vermieter wollen keine orthodoxen Juden als Gäste – Familie Feldinger enttäuscht: «Das ist klar rassistisch und diskriminierend»
Eine Familie orthodoxer Juden versucht, ein Gruppenhaus in Parpan GR zu buchen. Die Anfrage wird abgelehnt, weil das Haus nicht den Anforderungen streng jüdisch-orthodoxer Gruppen entspreche. Der Vermieter sagt, er habe negative Erfahrungen gemacht.
https://www.blick.ch/news/buendner-ferienhaus-vermieter-wollen-keine-orthodoxen-juden-als-gaeste-familie-feldinger-enttaeuscht-das-ist-klar-rassistisch-und-diskriminierend-id18763493.html
-> https://www.blick.ch/schweiz/graubuenden/juedischer-verband-nach-ferienhaus-absage-in-graubuenden-empoert-das-ist-systematische-diskriminierung-id18767012.html


Essay zu Rassismus: Sind das alles bloss Mimosen?
Wenn von Rassismus die Rede ist, wird die Diskussion schnell schrill, wie die Debatte um das Café Révolution zeigt. Was ist geschehen – auf dem Gurten und mit der Gesellschaft?
https://www.derbund.ch/sind-das-alles-bloss-mimosen-204514616815


+++RECHTSPOPULISMUS
SVP-Chef Marco Chiesa: «Vermutlich ein Hermaphrodit, nicht weiblich und nicht männlich»
Die SVP ist auf dem besten Weg, die grösste Schweizer Partei zu bleiben und ihren Abstand sogar auszubauen. watson hat im grossen Wahljahr-Interview mit Parteipräsident Marco Chiesa in seiner Lieblingsbar in Lugano darüber gesprochen.
https://www.watson.ch/schweiz/interview/800526024-svp-praesident-marco-chiesa-ueber-migration-und-fachkraeftemangel?utm_source=twitter&utm_medium=social-auto&utm_campaign=auto-share


+++RECHTSEXTREMISMUS
Amok-Fahrt am Lago Maggiore: Thurgauer Neonazi (31) zu zwei Jahren Haft verurteilt
Der Schweizer Günther S. ist für einen Angriff auf Passanten am Lago Maggiore im Oktober 2022 verurteilt worden. Er hatte ausserdem auf einer Amokfahrt mindestens 15 Autos gerammt. Bei seiner Festnahme war unter anderem eine Hakenkreuz-Fahne gefunden worden.
https://www.blick.ch/schweiz/ostschweiz/thurgau/ausraster-am-lago-maggiore-thurgauer-neonazi-31-zu-zwei-jahren-haft-verurteilt-id18764330.html



tagblatt.ch 20.07.2023

Nach Amokfahrt, einer Prügelei mit Carabinieri und einem Fluchtversuch: Thurgauer Neonazi muss in Italien für zwei Jahre ins Gefängnis

Im vergangenen Oktober sorgte ein Neonazi aus Weinfelden in Italien für Schlagzeilen. Bei einer Amokfahrt entlang des Lago Maggiore zielte er mit einem Armeekarabiner auf Menschen und rammte fahrende Autos. Nach seiner Verhaftung prügelte er im italienischen Gefängnis fünf Polizisten spitalreif und versuchte auszubrechen. Ein italienisches Gericht hat den Querulanten nun zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt.

Elia Fagetti

Basta. Nun hat ein italienisches Gericht sein Urteil gesprochen: Der «Amok-Nazi» Gabriel G. aus Weinfelden muss zwei Jahre hinter Gitter. Ausserdem muss er sich für ein Jahr in eine psychiatrische Klinik begeben. Der zuständige Richter fällte das Urteil in einem abgekürzten Verfahren, wie der italienische Nachrichtensender Vco Azzura TV am Mittwoch meldete. Der nunmehr verurteilte Gabriel G. muss laut Gericht auch für die Entschädigung dreier Privatkläger aufkommen.

Menschen und Fahrzeuge mit Gewehr bedroht

Die Schreckenstat liegt knapp neun Monate zurück. Am 8. Oktober 2022 reiste der Weinfelder mit seinem Auto über Cannobio nach Italien. Am selben Abend raste er am Westufer des Lago Maggiore entlang über die Staatsstrasse SS33 und versuchte wie ein Irrer, andere Autos von der Strasse zu drängen. Bei seiner halsbrecherischen Fahrt beschädigte er 15 Fahrzeuge. Vier Personen wurden verletzt, darunter eine Mutter mit ihrem kleinen Mädchen.

Bei einer Tankstelle in Meina stoppte er seine Amokfahrt und stieg aus dem VW Golf. Aufnahmen der Sicherheitskameras zeigen, wie er anschliessend mit nacktem Oberkörper einen Schweizer Armeekarabiner im Anschlag hat und auf Menschen und Autos zielt.

Kokain im Blut und eine Hakenkreuzflagge im Auto

Vor der Stadt Stresa verlor er kurz darauf die Kontrolle über sein Fahrzeug und kam an einer Leitplanke zum Stehen. Nach kurzer Gegenwehr konnten die Carabinieri den Schweizer festnehmen.

Die italienischen Polizisten fanden im Auto des Thurgauers eine Hakenkreuzflagge, 45 Patronen des Kalibers 223 sowie drei Nummernschilder mit gestohlenen Schweizer Kennzeichen. In der Schweiz ist der Mann bereits als Neonazi aktenkundig und vorbestraft. Eine spätere Analyse aus dem Spital ergab, dass G. bei der Verhaftung Kokain im Blut hatte.

Körperverletzung, illegaler Waffenbesitz und Sachbeschädigung

Gemäss der Thurgauer Staatsanwaltschaft kam es bereits 2016 zu einem Prozess gegen Gabriel G. vor dem Bezirksgericht Frauenfeld. Laut dem damaligen Urteil wurde G. unter anderem wegen mehrfacher einfacher Körperverletzung, Vergehen gegen das Waffengesetz, der mehrfachen Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte sowie Sachbeschädigung angeklagt.

Nach den Vorfällen im vergangenen Oktober nahm auch die Thurgauer Polizei die Ermittlungen auf. Es kam zur Hausdurchsuchung an der Wohnadresse des Neonazis. Gemäss Patrick Müller, stellvertretender Oberstaatsanwalt der Staatsanwaltschaft Kreuzlingen, stellten die Beamten dabei Beweismittel sicher.

Feuerwehr musste ihn bei Fluchtversuch retten

Wenige Tage später machte der «Rambo Svizzero», wie er von den italienischen Medien genannt wird, erneut Schlagzeilen. Im Gefängnis von Verbania prügelte er fünf Polizisten spitalreif. Daraufhin verlegen die Behörden ihn in eine psychiatrische Abteilung eines Turiner Gefängnisses.

Mitte Januar versuchte G. aus dem Gefängnis in Turin auszubrechen. Der 31-Jährige kletterte zuerst über die Mauer des Durchgangshofs im Block A, bevor er an der Fassade über die Aussengitter der Zellen bis zum dritten Stock hochkletterte. Hier war der Fluchtversuch zu Ende: G. kam nicht mehr alleine runter und rief um Hilfe. Wegen der Höhe musste der Thurgauer von der Feuerwehr mit einer Drehleiter gerettet werden.
-> https://youtu.be/X7GwoDRrDOw
(https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/ressort-ostschweiz/amok-nazi-nach-amokfahrt-am-lago-maggiore-einer-pruegelei-mit-carabinieri-und-einem-misslungenen-fluchtversuch-aus-dem-gefaengnis-thurgauer-neonazi-muss-in-italien-fuer-zwei-jahre-hinter-gitter-ld.2490145)



Die gewaltvollen Facetten rechten Frauenhasses
Rechte Ideologie legitimiert Gewalt und Frauenhass. Trotzdem werden beide Phänomene nicht so konsequent zusammengedacht, wie es angebracht wäre. Misogyne Gewalt von Tätern aus der Neonazi-Szene unterscheiden sich zudem in Bezug auf die Motivlage. Vermeintliche Dominanz- und Besitzansprüche führen indessen zu Gewaltexzessen und Femiziden.
https://www.antifainfoblatt.de/artikel/die-gewaltvollen-facetten-rechten-frauenhasses


„ACHTUNG: Diese zwei Neonazis aus der Umgebung Luzern sind aktuell am Openair Lumnezia. Beides Mitglieder der „Kameradschaft Edelweiss“ und bekennende National Sozialisten. LOVE MUSIC, HATE FASCISM !“
https://twitter.com/ich_lese_mit/status/1682008556332015616


Bundesgericht entscheidet
Das Bundesgericht verurteilt einen französischen Rechtsextremisten wegen Rassendiskriminierung. Als Vortragsredner hatte er behauptete er, gefährlicher als der «Corona-Virus» sei der «Judenvirus». Und für die Immigration, die er «Invasion» nannte, machte er die «jüdische Clique» verantwortlich.
https://www.tachles.ch/artikel/schweiz/bundesgericht-entscheidet


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Rechter TV-Verschwörungssender: „Der Kampf beginnt“
Der österreichische Internetsender AUF1 behauptet, bald über einen Fernseh-Sendeplatz „im gesamten deutschen Sprachraum“ zu verfügen.
https://taz.de/Rechter-TV-Verschwoerungssender/!5945111/


Nancy Holten spricht trotz «Mass-Voll»-Austritt von Polit-Comeback
Nancy Holten kandidiert nicht als Nationalrätin für «Mass-Voll». Ihre Politik-Ambitionen hat sie aber noch nicht aufgegeben.
https://www.nau.ch/people/aus-der-schweiz/nancy-holten-spricht-trotz-mass-voll-austritt-von-polit-comeback-66547733



bernerzeitung.ch 20.07.2023

Aufrecht und Mass-voll: Sturm der Berner Exoten auf den Nationalrat

Zwei bekannte Widerstandsgruppen gegen die Corona-Massnahmen kandidieren für den Nationalrat. Sind dank Listenverbindungen zwei Sitze möglich?

Christoph Hämmann

Mit Aufrecht und Mass-voll treten im Herbst im Kanton Bern zwei Gruppierungen zu den Nationalratswahlen an, die als Opposition zur behördlichen Corona-Politik entstanden sind. Und obwohl ihnen im Bernbiet – gleich wie den Freunden der Verfassung oder den Freiheitstrychlern – ein echtes Aushängeschild fehlt, rechnen sie sich ernsthafte Chancen auf einen Sitz aus.

Gar «mit mehreren Berner Sitzen» will Aufrecht Anliegen wie «eine Aufarbeitung der Pandemiepolitik, ein 5G-Moratorium oder den Austritt der Schweiz aus der Weltgesundheitsorganisation» auf die Agenda setzen. Dies verkündete die «Bürgerbewegung» am Donnerstag, als sie ihre Liste mit 24 Kandidatinnen und Kandidaten bei der Staatskanzlei einreichte. Prominenteste Kandidatin ist die Berner Stadträtin und Alt-Grossrätin Simone Machado, die im Stadtparlament zur linksgrünen Freien Fraktion gehört hatte, ehe sie aufgrund ihres Engagements gegen das Covid-Gesetz und der Nähe zu rechten Kreisen ausgeschlossen wurde. Wie viele andere Massnahmenkritikerinnen eckte sie in den vergangenen Monaten erneut mancherorts an, weil sie als «Putin-Versteherin» wahrgenommen wurde.

Zum Erfolg beitragen sollen Listenverbindungen, jenes Instrument, das breite Bündnisse bei der Verteilung der Sitze tendenziell bevorteilt: Weil die 24 Berner Nationalratssitze zuerst auf Listen- und Unterlistenverbindungen verteilt werden, kann eine Partei dank der Verbindung mit anderen zusätzliche Sitze gewinnen, die sie ohne diese nicht erhalten hätte. «Wir sind mit verschiedensten möglichen Partnern im Gespräch», sagt Jonathan Zbinden, Kommunikationschef und Wahlkampfleiter von Aufrecht Bern.

Bis zur Frist für die Einreichung der Listenverbindungen am 14. August will sich Zbinden dazu nicht konkreter äussern. Es könnte sein, dass einige potenzielle Partner erst eine Woche davor überhaupt bekannt werden, wenn die Parteien ihre Wahlvorschläge für die Nationalratswahlen einreichen müssen – traditionell der Moment, wenn Aussenseitergruppierungen wie 2019 beispielsweise «Die Musketiere» oder die «Partei der unbegrenzten Möglichkeiten» erstmals auf sich aufmerksam machen.

Die EDU und «das Wunder von Andy Gafner»

Naheliegendste Partnerin für Aufrecht scheint Mass-voll zu sein, die selbst ernannte Bürgerrechtsbewegung mit Präsident und polarisierendem Aushängeschild Nicolas A. Rimoldi, der in Zürich für den Nationalrat antritt. In Bern gehe Mass-voll «wahrscheinlich» mit Aufrecht eine Listenverbindung ein, sagt Rimoldi auf Anfrage.

Ansonsten dürften für Aufrecht und Mass-voll für eine Kooperation hauptsächlich exotische Gruppierungen infrage kommen – abgesehen von der EDU, die 2019 vorgemacht hat, was kleine Splittergruppen in einer breiten Listenverbindung bewirken können: Obwohl die EDU selber bloss 2,5 Prozent Wahlanteil erreichte – für einen Sitz braucht es im Kanton Bern gut 4 Prozent –, schnappte sich ihr Oberländer Kandidat Andreas Gafner dank der Verbindung mit sechs anderen Listen ein Restmandat. «Das Wunder von Andy Gafner», kommentiert Aufrecht-Wahlkampfleiter Zbinden im Rückblick beinahe ehrfürchtig.

«Persönlich schätze ich die EDU-Leute sehr», sagt Franz Böni, Wahlkampfleiter und Spitzenkandidat von Mass-voll Bern. Die Freunde der Verfassung, bei denen er seit der Pandemie als Regionalgruppenleiter Interlaken amtet, seien «von der EDU immer unterstützt worden». Neben Böni kandidiert im Kanton Bern mit Urs Ramseier ein weiterer Freund der Verfassung auf der Mass-voll-Liste.

Eine gute Listenverbindung bestehe «aus ähnlich grossen und ähnlich gestrickten Partnern», sagt Böni. Tatsächlich profitiert bei ungleichen Partnern primär der grössere – während sich solche auf Augenhöhe im besten Fall gegenseitig hochschaukeln, wenn jeder einzelne daran glaubt, selber einen Sitz holen zu können.

Oder gar zwei, wenn das Bündnis gross genug ist – wie dies Benjamin Carisch vorschwebt, dem Präsidenten der EDU Kanton Bern. «Wir prüfen neben anderen Partnern auch eine Listenverbindung mit Aufrecht und Mass-voll», sagt Carisch, der zuversichtlich ist, dass seine Partei in einer solchen Kooperation von allen Beteiligten am besten abschneiden und ihren Sitz verteidigen könnte. «Wenn wir eine möglichst breite Listenverbindung hinbekommen und alle Partner ihr Potenzial ausschöpfen, glaube ich aber daran, dass sogar zwei Sitze möglich sind.»

Kooperation mit der SVP in Bern kein Thema

Von den etablierten Parteien verhielt sich die SVP gegenüber der Pandemiepolitik am kritischsten. Auch aufgrund dieser relativen Nähe zu Massnahmenkritikerinnen und -kritikern befürchten SVP-Spitzen, dass ihnen Gruppierungen wie Aufrecht und Mass-voll Stimmen abgrasen könnten. «Wenn Mass-voll oder Aufrecht in den Kantonen antreten, ist das schlecht für uns», sagte SVP-Wahlkampfleiter Marcel Dettling kürzlich gegenüber dieser Redaktion. Damit Stimmen für Massnahmenkritiker nicht im Papierkorb landeten, forderte er die SVP-Kantonalparteien auf, sie zu Listenverbindungen einzuladen.

Allein: Im Kanton Bern dürfte dies nicht geschehen. Zum einen bildet die SVP hier mit der FDP, die sich klar von Massnahmenkritikern abgrenzt, eine Listenverbindung. Zum anderen schliesst Mass-voll-Präsident Rimoldi eine Kooperation mit der SVP überall dort aus, wo diese gleichzeitig mit der FDP zusammenspannt; und der Präsident von Aufrecht Schweiz, Patrick Jetzer, ist gar grundsätzlich gegen Listenverbindungen mit der SVP, da es seine Bewegung schliesslich nur deshalb gebe, weil man mit den regierenden Parteien unzufrieden sei.

Verschiedene inhaltliche Übereinstimmungen sehen dagegen sowohl Aufrecht als auch Mass-voll mit den Piraten – insbesondere in Themenfeldern wie dem Widerstand gegen Ausweiszwang im Internet, E-Voting oder elektronisches Patientendossier, bei denen vor allem Mass-voll teilweise seit Jahren mit ihnen zusammenspannt. Allerdings dürften sich die Piraten – die eine Anfrage unbeantwortet liessen – dem Vernehmen nach wie 2019 mit Mitte, GLP und EVP zusammentun.

Bei den Grossratswahlen ging Mass-voll leer aus

«Wenn wir bei den kantonalen Wahlen im Vorjahr Listenverbindungen eingegangen wären, dann sässen wir heute im Grossen Rat», sagt Aufrecht-Bern-Wahlkampfleiter Zbinden. Doch abgesehen davon, dass fraglich ist, ob andere Parteien damals für eine Zusammenarbeit überhaupt infrage gekommen wären – am Ende blieb 2022 nur die Enttäuschung: Statt der angestrebten fünf Sitze gewann Aufrecht Bern keinen einzigen. Gleichzeitig deuteten die rund 3 Prozent Wähleranteil in einzelnen Wahlkreisen durchaus ein gewisses Potenzial an.

Die innert kürzester Frist organisierte Teilnahme an den Grossratswahlen habe «Projektcharakter» gehabt, sagt Zbinden, «das Hauptziel waren immer die nationalen Wahlen 2023». Dort will Aufrecht reüssieren, und Listenverbindungen sollen helfen, das grosse Ziel zu erreichen.
(https://www.bernerzeitung.ch/sturm-der-berner-exoten-auf-den-nationalrat-662711115578)


+++HISTORY
Neue Empfehlung für Umgang mit umstrittenen Denkmälern in Zürich
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https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/neue-empfehlung-fuer-umgang-mit-umstrittenen-denkmaelern-in-zuerich?id=12425320