Medienspiegel 19. Juli 2023

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/

+++BERN
Unterkunft mit 200 Plätzen: Wie ein 90-Seelen-Dorf mit seinen Asylsuchenden umgeht
Kleiner Ort, viele Flüchtlinge – Sornetan und Wolfisberg befinden sich in der gleichen Situation. Ein Erfahrungsbericht aus dem Berner Jura.
https://www.bernerzeitung.ch/wie-ein-90-seelen-dorf-mit-seinen-asylsuchenden-umgeht-957400078888


+++AARGAU
ABO https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/asylpolitik-von-bettwil-2011-nach-moeriken-wildegg-2023-asylheime-sorgen-regelmaessig-fuer-protest-hat-sich-die-stimmung-veraendert-ld.2484078


+++TESSIN
Chiasso leidet unter der hohen Zahl von Flüchtlingen
Zur Grenzstadt Chiasso war in den letzten Tagen von einer angespannten Flüchtlingssituation zu lesen: Die Stadt ächze unter hohen Flüchtlingszahlen. Chiasso sei am Limit, sagt auch der Bürgermeister von Chiasso. Aber von einer angespannten Lage zu sprechen, sei übertrieben. Hinter den aktuellen Schlagzeilen dürfte auch politisches Kalkül stecken.
https://www.srf.ch/audio/rendez-vous/chiasso-leidet-unter-der-hohen-zahl-von-fluechtlingen?partId=12424054
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/situation-in-chiasso-polizei-situation-ist-angespannt


++++ZUG
Junge Flüchtlinge im Kanton Zug werden künftig von der Caritas betreut
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zentralschweiz/der-lange-weg-zu-wildgepflueckten-biobeeren-aus-dem-entlebuch?id=12424033
-> https://zg.ch/de/news/news~_2023_7_2023-07-19-infos-des-regierungsrats~
-> https://www.pilatustoday.ch/zentralschweiz/zug/zug-laesst-junge-fluechtlinge-von-caritas-betreuen-152604523


++++SCHWEIZ
Asylgesuche nehmen zu – Tagesschau
Noch reichen die Aufnahmekapazitäten in den Unterkünften. Doch vor allem aus der Türkei sind im ersten Halbjahr 2023 mehr Asylsuchende gekommen. Der Bund sucht gemeinsam mit den Kantonen nach zusätzlichen Plätzen.
https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/asylgesuche-nehmen-zu?urn=urn:srf:video:ca910cbd-9fd6-449a-ac9d-cdf60033358d


+++DEUTSCHLAND
Migration in Deutschland: Die CDU will das Recht auf Asyl abschaffen
Bedrängt von der AfD, setzen die deutschen Christdemokraten zum Befreiungsschlag an: Kontingente sollen den individuellen Anspruch auf Asyl ersetzen.
https://www.tagesanzeiger.ch/die-cdu-will-das-recht-auf-asyl-abschaffen-102369061915
-> https://taz.de/CDU-Vorstoss-gegen-Asylrecht/!5945164/


+++MITTELMEER
Geflüchtete: Marokkos Marine rettet mehr als 800 Menschen aus dem Atlantik
845 Menschen wurden seit vergangener Woche aus dem Atlantik gerettet. Die meisten stammen aus Subsahara-Afrika. Bei einer Aktion bargen die Hilfskräfte auch eine Leiche.
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2023-07/marokko-fluechtlinge-marine-rettung-afrika-atlantik


+++TUNESIEN
Neue Zeugenaussagen Menschenrechtsorganisation wirft Tunesien »schwere Misshandlungen« von Migranten vor
Tunesien geht immer härter gegen Migranten vor, zuletzt sollen Sicherheitskräfte Menschen in die Libysche Wüste getrieben haben. Nun erhebt Human Rights Watch neue Vorwürfe – die Rede ist auch von Folter.
https://www.spiegel.de/ausland/tunesien-menschenrechtsorganisation-beklagt-schwere-misshandlungen-von-migranten-a-a7436906-7b78-4d82-861d-9cdf28a80380


+++LIBYEN
Migranten in Libyen: Gehen oder bleiben?
Fast 700.000 Menschen mit ausländischem Pass leben in Libyen. Viele von ihnen sind Migranten, die nach Europa weiterreisen wollen. Aufgeben ist für viele keine Option, aber manche bleiben.
https://de.qantara.de/inhalt/migranten-in-libyen-gehen-oder-bleiben


+++FREIRÄUME
Hip-Hop-Festival Spex: «Die Gesellschaft ist leider nun mal sexistisch und rassistisch»
Übergriffe waren bei Grossveranstaltungen lange Zeit ein blinder Fleck. Am ersten Spex-Festival will ein Awareness-Team dem entgegenwirken.
https://www.derbund.ch/die-gesellschaft-ist-leider-nun-mal-sexistisch-und-rassistisch-323402852729


+++GASSE
Bettelnde Roma verlassen Basel in Scharen
Die Basler Polizei geht konsequenter gegen ausländische Bettelnde vor und hat bislang 31 Personen weggewiesen. Von rechts gibt es Lob, von links Kritik.
https://www.nau.ch/news/schweiz/bettelnde-roma-verlassen-basel-in-scharen-66546724
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/bs-lohnklasse-fuer-kindergartenlehrpersonen-wird-nicht-angehoben?id=12424207 (ab 03:23)


DrogenkonsumräumeHilfe für Suchtkranke, Entlastung der Innenstädte?
In vielen Städten ist die offene Drogenszene Normalität geworden. Zu der Diskussion über die richtige Drogenpolitik gehört deshalb auch die Forderung, Drogenkonsumräume einzurichten. Sie sollen Suchtkranken helfen und die Öffentlichkeit entlasten.
https://www.deutschlandfunk.de/drogenkonsumraeume-hilfe-fuer-suchtkranke-entlastung-der-innenstaedte-dlf-b2c35892-100.html


Genf hat ein Crack-Problem: Eine neue Form der Droge treibt Süchtige zurück auf die Strasse
Sogenannte Crack-Steine bringen Drogenkonsumräume an den Rand ihrer Belastbarkeit. Warum diese Steine ausgerechnet in Genf auftauchen und wie sie Genf aktuell verändern, weiss
CH Media-Westschweizkorrespondent Julian Spörri.
https://www.luzernerzeitung.ch/schweiz/podcast-genf-hat-ein-crack-problem-eine-neue-form-der-droge-treibt-suechtige-zurueck-auf-die-strasse-ld.2489147


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Tausende Anarchistinnen und Anarchisten in Saint-Imier BE erwartet
Hunderte Antiautoritäre reisten am Mittwochmorgen friedlich in die rund 5200 Einwohnerinnen und Einwohner zählende bernjurassische Gemeinde an.
https://www.nau.ch/news/schweiz/tausende-anarchistinnen-und-anarchisten-in-saint-imier-be-erwartet-66547148


Anarchistentreff zum Jubiläum: «Antiautoritäre Vision bringt uns zusammen»
Am Mittwoch hat das internationale anitautoritäre Treffen in St. Imier begonnen. Für den fünftägigen Anlass werden Tausende von Anarchistinnen und Anarchisten aus der ganzen Welt in der kleinen Gemeinde im Berner Jura erwartet.
https://www.baerntoday.ch/bern/kanton-bern/anarchistentreff-zum-jubilaeum-antiautoritaere-vision-bringt-uns-zusammen-152607441


„Suruç 20. Juli 2015: #IS-Anschlag auf junge Menschen auf dem Weg zum Wiederaufbau von Kobane. 33 Tote, unzählige Verletzte. Morgen soll in Basel die jährliche Gedenkdemonstration stattfinden. Die Polizei Basel verweigert eine Bewilligung. WTF?
Die Route durch die Innenstadt wurde abgelehnt. Antwort auf den Kompromiss-Vorschlag vom Treffpunkt Claraplatz zur Dreirosenmatte (üblicherweise Minimalkonsens… 1km, 30min) mit der Begründung: „Wenn ihr für die Störung vom Tramverkehr aufkommt“ https://twitter.com/YS_europe/status/1681194830188236800
Gleichzeitig laufen verschiedene chauvinistische und militaristische Veranstaltungen durch die Stadt. Sowohl Biker Days als auch die Tattoo Parade unter Beteiligung der Behörden. Irgendwie verstörend.“
(https://twitter.com/3rosen/status/1681691600047489024)


+++JUSTIZ
beobachter.ch 18.07.2023

Ungenügend reagiert: Probleme mit Strafbefehlen – doch die Politik handelt nicht

Wer einen Strafbefehl anficht, hat gute Chancen, dass das Verfahren eingestellt wird. Das zeigt: Das Schweizer Strafprozessrecht hat ein Problem. Doch die Politik will davon nichts wissen.

Von  Sarah Serafini

Wer einen Strafbefehl erhält, kann dagegen Einsprache einlegen. Davon macht jedoch nur jeder zehnte Beschuldigte Gebrauch. Dabei würde es sich in vielen Fällen lohnen. Denn wer sich wehrt, hat oft Erfolg. Dazu hat der Beobachter kürzlich erstmals Zahlen veröffentlicht.

In Zürich stellte die Staatsanwaltschaft im letzten Jahr bei 13 Prozent der Einsprachen gegen einen Strafbefehl das Verfahren ein. In Zug führten 20 Prozent der Einsprachen zur Verfahrenseinstellung. In Baselland gar jede vierte Einsprache.

Andere Kantone erheben diese Zahlen nicht. Doch die Beispiele von Zürich, Zug und Baselland zeigen: Das Strafbefehlsverfahren ist fehlbar.

Anwälte und Strafrechtsexpertinnen kritisieren die Praxis der Staatsanwaltschaften seit Jahren. Es sei Justiz im Eilverfahren. Das spare Zeit und Geld – ziehe aber Probleme nach sich. Häufig kritisiert wird die kurze Einsprachefrist von zehn Tagen. Oder dass Strafbefehle nicht übersetzt werden, wenn der Beklagte fremdsprachig ist. Auch gibt es in den meisten Strafbefehlsverfahren keine Einvernahmen.

Eine Minirevision

Politikerinnen und Politiker hätten es in der Hand gehabt, diese Probleme anzugehen. In den letzten Jahren verhandelte das Schweizer Parlament über die Revision der Strafprozessordnung. Nach langen Diskussionen im National- und im Ständerat wurde diese schliesslich im Sommer 2022 von der Bundesversammlung beschlossen. Die Referendumsfrist lief ungenutzt ab, und die neuen Regeln werden voraussichtlich am 1. Januar 2024 in Kraft treten.

Allerdings ändert die Revision an der umstrittenen Strafbefehlspraxis kaum etwas. Immerhin: Künftig sind die Staatsanwaltschaften verpflichtet, eine Einvernahme der beschuldigten Person durchzuführen, wenn ihr eine Freiheitsstrafe droht. Weiterhin keine Pflicht zur Befragung gibt es, wenn die Staatsanwaltschaft «nur» eine Geldstrafe verhängt.

Abgelehnt hat das Parlament, die Frist zur Anfechtung eines Strafbefehls von zehn Tagen auf 30 Tage zu verlängern. Grünen-Nationalrätin Sibel Arslan forderte dies während der Debatte in einem Minderheitsantrag. Sie argumentierte, alle Menschen sollten die Möglichkeit haben, sich genügend zu informieren und zu ihrem Recht zu kommen. «Doch erfahrungsgemäss melden sich Leute, die nicht gut genug Deutsch können oder aus bildungsfernen Kreisen kommen, erst nach einigen Wochen bei Experten, um fachlichen Rat einzuholen», so Arslan.

Ihr Votum spielte in der weiteren Diskussion keine Rolle. Auch nicht, dass mit einer längeren Einsprachefrist mehr Irrtümer der Staatsanwaltschaften erkannt würden. In der Abstimmung wurde der Antrag von Arslan mit 65 zu 125 Stimmen deutlich verworfen. Andere Kritikpunkte, beispielsweise die Zustellfiktion (siehe Box weiter unten), kamen nicht einmal zur Sprache.

«Es ging darum, den Status quo zu schützen»

Der grünliberale Beat Flach sitzt in der Rechtskommission des Nationalrats. Er sagt: «Bei der Revision ging es darum, dass man den Staatsanwaltschaften noch mehr Macht einräumen wollte, indem die Teilnahmerechte bei Einvernahmen eingeschränkt und der Anwalt der ersten Stunde abgeschafft werden.» Beides habe man verhindern können. Allfällige Probleme rund um das Strafbefehlswesen seien nicht Inhalt der Debatte gewesen. «Es ging darum, den Status quo zu schützen», so Flach.

Für den Strafrechtsprofessor Marc Thommen ist die Revision eine verpasste Chance. Mit einem Team hat er für eine Studie des Nationalfonds gut 3000 Strafbefehlsdossiers untersucht und auf rechtsstaatliche Mängel aufmerksam gemacht.

SP-Ständerat Daniel Jositsch, selbst Jurist und Mitglied der Rechtskommission der kleinen Kammer, teilt die Einschätzung von Strafrechtsprofessor Thommen, sieht die Situation aber weniger dramatisch. «Aus meiner Sicht hat das Parlament in der Abwägung zwischen Effizienz und Rechtsstaatlichkeit entschieden.» Sein Rats- und Kommissionskollege Andrea Caroni (FDP) findet, man könne es auch positiv sehen, dass Verfahren eingestellt werden, wenn gegen den Strafbefehl Einsprache erhoben wurde: «Mit Einsprachen kommen neue Argumente ins Verfahren. Es spricht für die Staatsanwaltschaft, wenn sie auf diese eingeht und ihre vormalige Meinung zu revidieren bereit ist.»

Der grünliberale Nationalrat Flach sieht es kritischer. Er habe schon oft vor der «Dunkelkammer Strafbefehlsverfahren» gewarnt. «Die Empfänger von Strafbefehlen erhalten eine Strafe vorgeschlagen und wissen meist nicht, dass dies eben nur ein Vorschlag ist. Auf der anderen Seite sprechen die Staatsanwaltschaften grosszügigere Strafen aus, weil sie sich sagen, der Beklagte könne sich ja dagegen wehren.» Er als Jurist mache ausserdem häufig die Erfahrung, dass viele Anwälte von einer Einsprache abraten, weil sich das nicht lohne. Zudem kann ein Gericht mitunter die vorgeschlagene Strafe auch erhöhen. «Der Strafwille der Staatsanwälte wird durch verschiedene Faktoren gestärkt und der Grundsatz ‹In dubio pro reo› zuweilen missachtet.»

Das Grundproblem sei, dass Strafbefehle zu selten weitergezogen werden, sagt Flach. Das habe aber nicht mit der Strafprozessordnung zu tun, sondern damit, dass die Bevölkerung zu wenig über diese Möglichkeit Bescheid wisse. «Ausserdem übernutzen wir das Strafrecht für viel zu viele opferlose Straftaten wie Schwarzfahren oder Bettelverbote. Die Staatsanwaltschaften sind überlastet, die Verfahren dauern zu lange, das Resultat sehen wir nun.»



Der Beobachter kontrolliert

92 Prozent aller Verbrechen und Vergehen werden mit Strafbefehlen abgeurteilt. Ohne ein Gericht überzeugen zu müssen, können Staatsanwältinnen und Staatsanwälte Freiheitsstrafen von bis zu sechs Monaten aussprechen. Trotz dieser grossen Macht wird ihre Arbeit kaum kontrolliert. Der Beobachter möchte das ändern. Zusammen mit dem Verein Entscheidsuche.ch und einer Fachjury verleiht er jährlich den «Fehlbefehl des Jahres».



Die Kritik des Strafrechtsprofessors

Was Marc Thommen am Strafbefehlsprozess beanstandet:

– Rechtliches Gehör: In gut einem Viertel der Fälle findet keine Befragung statt. Fast drei Viertel der Strafbefehle ergehen ohne jede Begründung.
– Recht auf Anwalt: 92 Prozent der Strafbefehlsverfahren finden ohne Verteidigung statt.
– Recht auf Übersetzung: In über zwei Dritteln der Fälle, in denen die Beschuldigten die Verfahrenssprache nicht verstehen, werden die Strafbefehle nicht übersetzt.
– Freiheitsstrafen: Strafbefehle haben in den letzten Jahren eine überragende Bedeutung erhalten. Drei von vier Personen, die zu Freiheitsstrafen verurteilt werden, haben nie ein Gericht gesehen.
– Einsprachefrist: Innerhalb von nur zehn Tagen kann man gegen den Strafbefehl Einsprache erheben.
– Zustellfiktion: Ein Strafbefehl gilt nach sieben Tagen als zugestellt, wenn er eingeschrieben versandt wurde. Ob die beschuldigte Person die Sendung entgegennehmen konnte, spielt keine Rolle.
– Dossierfiktion: Wenn sich die Adresse eines Beschuldigten nicht eruieren lässt, wird der Strafbefehl in einem Dossier abgelegt und gilt als zugestellt. Der Beschuldigte erfährt nicht, dass er verurteilt wurde.
(https://www.beobachter.ch/politik/probleme-mit-strafbefehlen-doch-die-politik-handelt-nicht-617660)



beobachter.ch 18.07.2023

Kommentar zu Strafbefehlen: Das Parlament gefährdet den Rechtsstaat

Bei der Revision des Schweizer Strafprozessrechts hätte das Parlament handeln können – und versäumt es trotzdem. Ein Kommentar unseres Chefredaktors.

Von  Dominique Strebel

In der Schweiz erledigen nicht Richterinnen, sondern Staatsanwälte 92 Prozent aller Strafverfahren. Tendenz steigend. Mit sogenannten Strafbefehlen können Strafverfolger Beschuldigte ohne Gerichtsverfahren selbst verurteilen. Allein im Büro. Das geht kostensparend und schnell.

Doch dieses Verfahren hat grosse rechtsstaatliche Mängel: Beschuldigte werden selten angehört und die Strafbefehle fiktiv zugestellt, wenn der Wohnort der Beschuldigten nicht bekannt ist. So kam es vor, dass Menschen im Gefängnis sassen, ohne zu wissen, wieso überhaupt (siehe «Die grosse Macht der Staatsanwälte»).

Eine Fehlerquote von 20 Prozent

Gemäss einer Studie des Nationalfonds werden bloss 5 bis 13 Prozent aller Strafbefehle angefochten (variiert von Kanton zu Kanton). Ein gutes Zeichen, könnte man meinen, denn wenn keine Einsprachen eingehen, sind die Strafbefehle ja gut und werden akzeptiert.

Mitnichten! Recherchen des Beobachters zeigen nämlich: Wenn Beschuldigte Strafbefehle anfechten, werden bis zu 20 Prozent aufgehoben, und das Verfahren wird eingestellt. Das ist eines Rechtsstaats nicht würdig. Man stelle sich vor, der Beobachter müsste 20 Prozent seiner Texte löschen, wenn Betroffene reklamieren.

Ein wesentlicher Grund dafür, dass so wenig Strafbefehle angefochten werden: Beschuldigte haben bloss zehn Tage Zeit, Einsprache zu erheben. Zudem dürften viele den Strafbefehl gar nicht recht verstehen, weil er nicht in ihrer Muttersprache verfasst oder weil das Juristendeutsch schlicht unverständlich ist.

Was hat nun das Parlament nachgebessert bei der aktuellen Revision des Strafprozessrechts, die 2024 in Kraft tritt? Verlängert es die Einsprachefrist, damit Beschuldigte genug Zeit haben, um einen Anwalt zu konsultieren und den Strafbefehl anzufechten, damit Fehlentscheide erkannt und korrigiert werden? Verpflichtet es zu einer Übersetzung in die Muttersprache des Beschuldigten? Untersagt es fiktive Zustellungen? Nein, Fehlanzeige. Das Parlament hat nichts davon umgesetzt.

Der Grund: Das Parlament will den Strafverfolgern nicht noch mehr Arbeit aufhalsen. Längere Einsprachefristen – so die Angst – würden zu mehr Einsprachen führen. Korrekt. Aber völlig zu Recht! Wie ja die Erfolgszahlen von Einsprachen belegen. Das Parlament nimmt bewusst Fehlurteile in Kauf.

Die Salamitaktik der Staatsanwaltschaften

Der Beobachter berichtet seit 15 Jahren über die Mängel des Strafbefehlsverfahrens. Er erzwingt mit Pilotprozessen wie im Fall des Armeechefs Nef oder im Fall von Korruption im Umfeld der Fifa, dass die Staatsanwaltschaften keine Geheimjustiz betreiben können, sondern Strafbefehle und Einstellungsverfügungen öffentlich machen müssen.

Und mit dem Negativpreis «Fehlbefehl des Jahres» bringt er Staatsanwaltschaften dazu, endlich mit Stichproben die Qualität der Strafbefehle zu prüfen und öffentlich zu machen, wie viele Strafverfahren eingestellt werden, wenn sich Beschuldigte mit Einsprachen wehren.

Es bewegt sich also erst etwas, wenn man Druck macht – juristisch oder publizistisch. Salamitaktik nennt man das. Auf dem Buckel des Rechtsstaats. Auf dem Buckel von zu Unrecht Verurteilten.

PS: Wenn Parlamente und Verwaltungen Staatsanwaltschaften tatsächlich nicht mehr Arbeit aufhalsen wollen, sollten sie aufhören, immer neue Straftatbestände zu erlassen. Was sollen etwa Strafen für die unterlassene Kennzeichnung von Stand-up-Paddel-Booten? Fürs gewaltsame Aufstossen des Drehkreuzes beim zahlungspflichtigen Bahnhof-WC (geringfügiges Erschleichen einer Leistung)? Oder für einen Deutschen Wachtelhund, der in Nachbars Garten eine schlafende Katze anfiel (wobei diese unverletzt blieb)? Um nur drei zufällig herausgepickte Strafbefehle aus dem Kanton Solothurn zu nennen.
(https://www.beobachter.ch/politik/das-parlament-gefahrdet-den-rechtsstaat-617274)


+++KNAST
Im Gefängnis Thorberg wurden alle TVs konfisziert
Einige Insassen der Justizvollzugsanstalt Thorberg manipulierten ihre Fernseh-Geräte. Sie schafften sich so Zugang zum Internet. Nun wurden sämtliche Geräte vorübergehend konfisziert. Das sorgte für Unmut.
https://www.telebaern.tv/telebaern-news/im-gefaengnis-thorberg-wurden-alle-tvs-konfisziert-152610521


+++BIG BROTHER
FDP Frauen fordern Überwachungskameras im öffentlichen Raum
Weil es in Basel immer wieder zu sexuellen Übergriffen kommt, fordern die Frauen der Basler FDP Überwachungskameras im öffentlichen Raum. Die Mutterpartei bekämpfte eine solche Überwachung bis jetzt.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/fdp-frauen-fordern-ueberwachungskameras-im-oeffentlichen-raum?id=12423865


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Fall von Diskriminierung in der Waadt: Nach Referat «über Rassenfragen»: Bekannter französischer Nationalist in der Schweiz verurteilt
Ein französischer Ex-Spitzenbeamter äusserte in der Waadt Verschwörungstheorien. Nun hat das Bundesgericht die Strafe gegen ihn bestätigt.
https://www.derbund.ch/nach-referat-ueber-rassenfragen-bekannter-franzoesischer-nationalist-in-der-schweiz-verurteilt-501823942218


Rückzug der Nationalrats-Kandidatur: Für Nancy Holten ist das Mass voll
Die Fricktaler Kuh- und Kirchenglockengegnerin Nancy Holten zieht ihre Nationalratskandidatur für Mass-voll nach wenigen Tagen wieder zurück.
https://www.blick.ch/politik/rueckzug-der-nationalrats-kandidatur-fuer-nancy-holten-ist-das-mass-voll-id18762492.html
-> https://www.nau.ch/people/aus-der-schweiz/bauer-ledig-sucht-nancy-zieht-mass-voll-kandidatur-zuruck-66547069
-> https://www.argoviatoday.ch/aargau-solothurn/nancy-holten-tritt-doch-nicht-fuer-mass-voll-an-152604612


+++HISTORY
Trauma Genua
Willkür, Gewalt und Folter: 22 Jahre nach G8-Gipfel auf Spurensuche in Italien
https://www.jungewelt.de/artikel/454846.bildreportage-trauma-genua.html