Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/
+++AARGAU
Raucherraum in Asylunterkunft soll 13’000 Franken kosten
Seit Juni wird das Hotel Aarehof in Möriken-Wildegg AG als Asylunterkunft genutzt. Nun soll es einen Raucherraum erhalten, der 13’000 Franken kostet.
https://www.nau.ch/news/schweiz/raucherraum-in-asylunterkunft-soll-13000-franken-kosten-66546213
-> https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/lenzburg/moeriken-wildegg-gedeckter-raucherbereich-bei-asylunterkunft-aarehof-geplant-ld.2488727
+++SCHWEIZ
Asylstatistik Juni 2023
Im Juni 2023 wurden in der Schweiz 2395 Asylgesuche registriert, 350 mehr als im Vormonat (+17,1 %). Gegenüber Juni 2022 ist die Zahl der Asylgesuche um 669 gestiegen. Wichtigste Herkunftsländer waren die Türkei und Afghanistan. Im Juni wurde zudem 1271 aus der Ukraine geflüchteten Personen der Schutzstatus S erteilt, in 1029 Fällen wurde er beendet.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-96715.html
+++ÖSTERREICH
Tweet über Camp Lipa als „Guantanamo“ bringt Asylhelfer vor Gericht
Petar Rosandić – alias Kid Pex – muss sich heute nach Kritik an Haftcontainern wegen Kreditschädigung verantworten. Amnesty International schickt Beobachter
https://www.derstandard.at/story/3000000179347/tweet-ueber-camp-lipa-als-guantanamo-bringt-asylhelfer-vor-gericht?ref=rss
-> https://fm4.orf.at/stories/3034919/
Urteil: „Guantánamo“-Vergleich von SOS-Balkanroute laut Gericht zulässig
Das Internationale Zentrum für Migrationspolitik hatte NGO-Gründer Rosandić wegen dessen Kritik an einem Haftkomplex im Flüchtlingscamp Lipa geklagt. Es kündigte Berufung an
https://www.derstandard.at/story/3000000179443/sos-balkanroute-guantanamo-vergleich-laut-gericht-zulaessig
-> https://twitter.com/Kid_Pex
-> https://twitter.com/AmnestyAustria/status/1681316507148767232
+++GROSSBRITANNIEN
Britisches Parlament verschärft Asylrecht
Das britische Parlament hat in der Nacht zum Dienstag sein Asylrecht verschärft. Migranten, die in Booten den Ärmelkanal überqueren, können festgenommen werden.
https://www.nau.ch/news/europa/britisches-parlament-verscharft-asylrecht-66546469
-> https://www.spiegel.de/ausland/grossbritannien-umstrittenes-asylgesetz-nimmt-letzte-huerde-im-parlament-a-cbe99c8d-44f7-45d4-bc2f-f2bd9fa9fbc1
-> https://www.jungewelt.de/artikel/455061.menschenrechte-parlament-winkt-asylverbot-durch.html
+++TUNESIEN
Kritik am Flüchtlingsabkommen zwischen EU und Tunesien
Mit mehr als einer Milliarde Euro will die EU Tunesien unterstützen. Als Gegenleistung soll der nordafrikanische Staat die Flüchtlingsströme über das Mittelmeer bremsen. Vor allem von der Seenotrettungs-Initiative Sea-Watch kommt Kritik.
https://www1.wdr.de/nachrichten/eu-tunesien-fluechtlinge-abkommen-100.html
Tunesischer Ex-Minister: EU-Migrationsdeal ist gefährliche Symptombekämpfung
Der geplante Migrationsdeal zwischen der EU und Tunesien ist aus Sicht des tunesischen Soziologen Mehdi Mabrouk vor allem Symptombekämpfung. Er fordert die EU und die Schweiz auf, Tunesier:innen den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern.
https://www.swissinfo.ch/ger/tunesischer-ex-minister–eu-migrationsdeal-ist-gefaehrliche-symptombekaempfung/48665972
+++GHANA
Ghana deportiert Geflüchtete: Abschiebung statt Schutz
Ghanas Regierung schiebt Flüchtlinge aus Burkina Faso ab, die zur Gruppe der Fulani gehören. Laut UNHCR verstößt das gegen Völkerrecht.
https://taz.de/Ghana-deportiert-Gefluechtete/!5948380/
+++FREIRÄUME
Ungewisse Zukunft Mokka Thun
Das Thuner Stadtparlament hat einen Kredit für das Kultlokal Mokka zurückgewiesen. Nun ist die Zukunft der Café-Bar ungewiss. Kulturschaffende und Linke haben kein Verständnis. Für die SVP ist es ein Erfolg, sie möchte die Beiträge der Stadt schon lange streichen. Der Ball liegt jetzt wieder beim Gemeinderat.
https://www.telebaern.tv/telebaern-news/ungewisse-zukunft-mokka-thun-152582318
Viel Rückhalt für das «Mokka» – Ursula Haller legt sich fürs Kultlokal ins Zeug
Die Café Bar an der Thuner Allmendstrasse polarisiert seit ihrer Entstehung. Eine, die das Mokka früher bekämpfte, macht sich heute dafür stark. Ursula Haller ist ehemalige Gemeinde-, Stadt-, Gross- und Nationalrätin. Auch SP-Gemeinderätin Katharina Ali-Oesch steht im Mokka-Konflikt an vorderster Front.
https://www.jungfrauzeitung.ch/artikel/211812/
+++GASSE
Polizeieinsatz am Berner Nordring: Polizeigebäude evakuiert – wegen Fundgegenstand mit Schwarzpulver
Wegen eines verdächtigen Fundgegenstands, den jemand auf der Polizeiwache Nordring abgab, wurde das Gebäude am Dienstag während zwei Stunden teilweise evakuiert.
https://www.derbund.ch/polizeigebaeude-wegen-verdaechtigem-gegenstand-evakuiert-302093786702
-> https://www.baerntoday.ch/bern/stadt-bern/polizeieinsatz-wegen-verdaechtigem-gegenstand-in-bern-152594575
-> https://www.jungfrauzeitung.ch/artikel/211925/
-> https://twitter.com/BERNMOBIL/status/1681304927099043840
-> https://www.watson.ch/schweiz/bern/952063435-polizeieinsatz-wegen-verdaechtigem-gegenstand-in-bern
Crack-Boom in Genf – Vizedirektor von Sucht Schweiz beunruhigt
Frank Zobel ist beunruhigt über die Zunahme des Crack-Konsums in der Stadt Genf. Das Auffangnetz für Suchtkranke werde aufgrund der Zunahme des Crack-Konsums und ihrer Begleiteffekte überstrapaziert, sagt er in einem am Montag veröffentlichten Interview mit der Zeitung «Le Temps».
https://www.jungfrauzeitung.ch/artikel/211880/
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Basler Zeitung 18.07.2023
Polizei greift durch: Roma-Bettler verlassen die Stadt – schon 31 Personen weggeschickt
Am 7. Juli kündigte das Justiz- und Sicherheitsdepartement eine striktere Gangart gegenüber bettelnden Personen aus der EU an. Nun zeigt sich: Die Massnahmen wirken.
Oliver Sterchi
Wer in den letzten Tagen in der Stadt unterwegs war, dem wird womöglich aufgefallen sein, dass markant weniger Roma-Bettelnde anzutreffen sind. Auffällig ist dies vor allem an den neuralgischen Punkten, etwa vor dem Bahnhof SBB. Die Männer und Frauen mit ihren Röcken, Rollkoffern und Taschen haben, so scheint es, die Stadt verlassen.
Und tatsächlich: Gegenüber der BaZ bestätigt die Kantonspolizei den Rückgang. «Auch wir stellen fest, dass die Zahl der Bettelnden, vorwiegend aus Rumänien, stark abgenommen hat», sagt Polizeisprecher Stefan Schmitt. Die Behörde schätzt, dass sich aktuell noch rund 15 Personen «zum Zweck des Bettelns» in Basel aufhalten. Noch vor wenigen Wochen war von 60 bis 70 Bettelnden die Rede.
Dazwischen liegt allerdings ein entscheidender Kurswechsel der Behörden im Umgang mit bettelnden Personen aus dem Ausland: Am 7. Juli teilte das Justiz- und Sicherheitsdepartement (JSD) mit, dass künftig konsequent weggewiesen werde, wer «nur» zum Betteln nach Basel-Stadt gekommen sei.
Das JSD stützte sich dabei auf ein aktuelles Urteil des Bundesgerichts. Die Basler Behörden legen dieses dahingehend aus, dass Betteln keine Erwerbstätigkeit sei und Personen, die ausschliesslich zu diesem Zweck aus dem EU-Raum einreisen, keine Touristen im Sinne der Personenfreizügigkeit seien und dadurch auch kein 90-tägiges Aufenthaltsrecht besässen.
Zuerst erfolgt die mündliche Aufforderung
Dass es einen direkten Zusammenhang gibt zwischen der neuen, strikteren Handhabe und dem Rückgang der Anzahl Roma-Bettelnder, lasse sich zwar nicht «explizit bestätigen», so Polizeisprecher Schmitt. Aber: «Unseren Erfahrungen zufolge verbreiten sich die Informationen unter den Bettelnden jedoch relativ schnell, weshalb ein Zusammenhang zumindest nicht abwegig erscheint.»
Gegenüber der BaZ erläutert Schmitt das Vorgehen der Polizei seit dem 7. Juli: «Werden in Basel Bettelnde festgestellt, die lediglich zum Zweck des Bettelns in die Schweiz reisen, werden sie durch die Mitarbeitenden der Kantonspolizei Basel-Stadt mündlich aufgefordert, die Schweiz zu verlassen.» Eine solche sogenannte «formlose Aufforderung» hätten bislang 31 Personen erhalten.
Wer dieser Aufforderung nicht nachkommt, wird schliesslich dem Migrationsamt gemeldet, welches dann – unter Einbezug des rechtlichen Gehörs – eine schriftliche Wegweisung erlässt. Bislang seien drei Personen dem Migrationsamt gemeldet worden, so Schmitt.
Lob von rechts, Kritik von links
Mit der neuen Handhabe der Behörden könnte eine gesellschaftliche und politische Debatte, die diese Stadt nun drei Jahre lang in wechselnder Intensität beschäftigt hat, zu einem Ende kommen. SVP-Grossrat Joël Thüring, der die Diskussion mit seiner Forderung nach einer Wiedereinführung des Bettelverbots wesentlich vorangetrieben hatte, beobachtet die aktuelle Situation jedenfalls mit Genugtuung, wie er gegenüber der BaZ sagt: «Die Angelegenheit wurde endlich auf einen guten Weg gebracht.»
Es sei nun aber wichtig, dass die Polizei den Druck aufrechterhalte und die Regeln «konsequent» durchsetze, fordert der SVP-Grossrat. «Falls die Kontrollen nachlassen, spricht sich das möglicherweise schnell rum, und die Roma-Bettler kommen wieder.» Die Behörden müssten die Lage «im Auge behalten», so Thüring.
Ob die Angelegenheit wirklich abschliessend behandelt ist, wird sich weisen. Bei der politischen Linken stösst das striktere Vorgehen der Polizei nämlich auf Kritik. SP-Grossrat Christian von Wartburg warf gegenüber der BaZ noch am Tag der Bekanntgabe der neuen Regeln durch das JSD die Frage auf, ob Strassenmusik oder Rosenverkaufen nicht auch als Erwerbstätigkeit gelten würden. Und SP-Präsidentin Lisa Mathys sagte damals: «Vorher vertrat das JSD einen anderen Standpunkt, und ich verstehe nicht, wieso diese Anpassung nötig sein soll.»
Auch die Basler Sektion des Vereins der Demokratischen Juristinnen und Juristen hat sich inzwischen in die Diskussion eingeschaltet. Gegenüber der «bz» liess die Gruppierung, die das Bettelverbot bekämpft hatte, kürzlich verlauten, dass sie nun allfällige weitere Schritte prüfe. Gut möglich also, dass sich erneut ein Gericht mit der Basler Praxis im Umgang mit den Bettelnden beschäftigen wird.
(https://www.bazonline.ch/roma-bettler-verlassen-die-stadt-schon-31-personen-weggeschickt-919939507514)
-> https://www.bzbasel.ch/basel/basel-stadt/basler-bettelverbot-31-personen-weggewiesen-praxisaenderung-beim-umgang-mit-auslaendischen-bettelnden-zeigt-offenbar-wirkung-ld.2489484
-> https://www.baseljetzt.ch/polizei-bestaetigt-deutlichen-rueckgang-roma-bettler-verlassen-basel/88617
+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Strassenblockade in Zürich: Erstmals bestätigt das Obergericht den Freispruch von Klimaaktivisten
Zwei Frauen, die sich im Oktober 2021 für das Klima auf die Bahnhofstrasse gesetzt haben, wurden freigesprochen. Zu gering war das Ausmass ihrer Aktion.
https://www.tagesanzeiger.ch/erstmals-bestaetigt-das-obergericht-den-freispruch-von-klimaaktivisten-170955053614
-> https://www.zueritoday.ch/zuerich/stadt-zuerich/zuercher-obergericht-bestaetigt-erstmals-einen-freispruch-fuer-klimaaktivistinnen-152591764?autoplay=true&mainAssetId=Asset:143950905
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/regeln-statt-verbote-so-gehen-zuercher-hochschulen-mit-chatgpt-um?id=12423460 (ab 04:47)
+++JUSTIZ
Richter kritisiert Polizeihaft für Klima¬aktivistinnen
Das Zürcher Obergericht bestätigt zwei Freisprüche für Klimaaktivistinnen. In seiner Urteilsbegründung macht der vorsitzende Richter eine unerwartete Aussage.
https://www.republik.ch/2023/07/18/richter-kritisiert-polizeihaft-fuer-klimaaktivistinnen
+++KNAST
Die Situation von Kindern mit einem inhaftierten Elternteil
Ende Mai 2023 erschien der Bericht des EJPD zur Situation von Kindern mit einem inhaftierten Elternteil in der Schweiz. Mit diesem Bericht werden verschiedene Missstände in der Situation von Kindern mit einem inhaftierten Elternteil zum ersten Mal von offizieller Seite her anerkannt und die dazu geplanten Massnahmen bekannt gegeben.
https://www.humanrights.ch/de/fachstellen/fachstelle-freiheitsentzug/situation-kindern-inhaftierten-elternteil
Verdächtige Aktivitäten: «Mega-Aufstand» – Thorberg-Häftlinge toben wegen TV-Entzug
Sendepause auf dem Thorberg: Weil einige Insassen der Justizvollzugsanstalt ihre Fernseher manipuliert hatten, wurden sämtliche Geräte vorübergehend konfisziert. Das sorgte für Unmut.
https://www.20min.ch/story/mega-aufstand-thorberg-haeftlinge-toben-wegen-tv-entzug-637364211545
+++POLICE BE
Berner Polizei sucht Personal
In der Schweiz mangelt es an Polizistinnen und Polizisten. Dies hat verschiedene Gründe, einer davon ist sicher die immer höhere Belastung. Im Kanton Bern sucht die Polizei auch interessierte Leute. Mit einer Kampagne soll daher neues Personal gewonnen werden. Zudem passt die Polizei die Kriterien bei der Rekrutierung laufend an.
https://www.telebaern.tv/telebaern-news/berner-polizei-sucht-personal-152582345
+++POLIZEI BS
Jeffersons Zahn brach bei Kontrolle ab – Verfahren eingestellt
Im Mai 2019 eskalierte in Basel in der Freien Strasse eine Polizeikontrolle. Ein junger Mann erlitt dabei Verletzungen. Das Verfahren gegen die involvierten Polizisten wurde nun mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt.
https://www.20min.ch/story/nach-anzeige-wegen-polizeigewalt-verfahren-gegen-alle-involvierten-polizisten-eingestellt-809018106659
+++RASSISMUS
derbund.ch 18.07.2023
Rassismusvorwürfe am Gurtenfestival: «Im Alltag fallen wir oft auf Stereotype zurück»
Mit dem N-Wort angesprochen oder angespuckt: Struktureller Rassismus ist alltäglich. Auch am Gurtenfestival soll es zu diskriminierenden Übergriffen gekommen sein.
Jessica King
Überall waren die Slogans zu sehen, gross und gelb, etwa auf den riesigen Bildschirmen neben der Hauptbühne. Respect, Diversity, Love. «Wir wollen vermeiden, dass es im Rahmen des Gurtenfestivals zu Vorfällen von Sexismus, Rassismus oder anderen Formen von Diskriminierung kommt», so die Veranstalter auf der Website.
Dies war offenbar nicht möglich. So berichtet das Kollektiv von Café Révolution von Rassismus und Gewalterfahrungen am Festival, die die Grenze des Zumutbaren überschritten hätten. Der Verein setzt sich ausgerechnet gegen Rassismus ein, ihm wurde dieses Jahr die Becherspende vergeben: Besucherinnen und Besucher konnten dem Kollektiv das Depot von Bechern oder Geschirr überlassen. Damit unterstützten sie das Projekt «Black futures» – eine Reihe von Veranstaltungen im Café Révolution im Progr.
Bisher keine Anzeigen
Im Vorfeld habe das Kollektiv mit übergriffigem und diskriminierendem Verhalten gerechnet, teilt es auf Instagram mit. Das Ausmass dessen habe aber ihre Erwartungen überstiegen. «Wir können es nicht mit gutem Gewissen verantworten, ein Team von schwarzen und schwarz gelesenen Menschen dem auszusetzen, und haben uns deshalb entschieden, keinen Stand mehr zu haben», so das Kollektiv auf Instagram – nach nur der Hälfte des Festivals. Bereits am Samstag war die Ecke im Foodzelt, in der sie benutztes Geschirr entgegengenommen hatten, wieder komplett leer.
Doch was war genau geschehen? Mehr zu den Vorfällen wollen auf Anfrage weder das Kollektiv noch das Gurtenfestival sagen. Beide verweisen auf ihre Statements, die sie bereits am Wochenende abgegeben haben. Bei der Kantonspolizei Bern seien bisher im Zusammenhang mit dem Gurtenfestival keine Meldungen zu mutmasslichen rassistischen Vorkommnissen eingegangen, so die Medienstelle.
Auf der Website bedauert das Gurtenfestival, dass sich das Kollektiv gezwungen sah, die Sammelaktion abzubrechen – ausgerechnet «wegen der rassistischen Denk- und Handlungsweisen, gegen die sie kämpfen». Die Geschehnisse hätten das Gurtenfestival-Team «zutiefst» erschüttert. «Wir müssen feststellen, dass wir als Gesellschaft nicht dort sind, wo wir sein sollten.»
Rassismus in der Kultur
Überrascht sind Expertinnen und Experten indes nicht. «Menschen, die schwarz sind oder als schwarz gelesen werden, leben tagein, tagaus mit strukturellem Rassismus», sagt etwa Stephanie Graetz, Geschäftsleiterin der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus. Die Stiftung überwacht und erfasst schweizweit rassistische und antisemitische Vorfälle, die von den Medien aufgegriffen werden, und beobachtete 2022 einen hohen Anteil an verbalem Rassismus im öffentlichen Raum.
Warum gleichzeitig am Festival schwarzen Künstlerinnen und Künstlern wie Pongo oder Rema zugejubelt werde, sei eine komplexe Frage. «Ich vermute, auf der Bühne werden Darbietungen gefeiert – da geht es um Talente, um Fähigkeiten, die als Unterhaltung unabhängig von der Hauptfarbe betrachtet werden», sagt Graetz. «Aber im Alltag fallen wir oft auf Stereotype zurück, die nach wie vor unsere Denkweisen prägen.»
Zwei Menschen haben die mutmasslichen Übergriffe am Gurtenfestival bereits «Gemeinsam gegen Gewalt und Rassismus» (Gggfon) im Kanton Bern gemeldet – das Informations- und Beratungsangebot führt unter anderem eine Meldestelle für rassistische Vorfälle. Mehr darüber, was geschehen ist, weiss auch Leiter Giorgio Andreoli nicht. Die Vorwürfe erstaunen ihn aber nicht: Ein solches Festival sei schliesslich ein Abbild der Gesellschaft. «Und wir hören auch im Alltag von krassen Fällen, dass jemand etwa mit dem N-Wort angesprochen oder gar angespuckt wird.» Subtilere Formen, fügt er hinzu, würden oft gar nicht gemeldet.
Im letzten Jahr hat Gggfon insgesamt über 220 Vorfälle im Kanton Bern registriert, wobei knapp sieben Prozent der Vorfälle in der Freizeit oder im Ausgang stattfanden. «Bis zu diesem Jahr hatten wir keine Meldungen vom Gurtenfestival», so Giorgio Andreoli.
Kritik der Künstlerinnen
Und nun, wie weiter? In einem offenen Brief vor drei Jahren haben über 50 schwarze Künstlerinnen und Künstler die Abwehrreaktionen bei kulturellen Institutionen in der Schweiz kritisiert, wenn sie rassistische Erfahrungen ansprachen. «Gewaltsame Übergriffe haben nicht abgenommen, seit Diversität in den letzten Jahren in der Kunst- und Kulturwelt zu einem erstrebenswerten Standard geworden ist», schrieb die Gruppe.
Wird das auch beim Gurtenfestival so sein? Laut Statement will sich das Team weiterhin dafür einsetzen, dass das Festival ein inklusiver Raum sei, in dem jeder Mensch respektiert werde. Vor Ort würden weiterhin nicht verhandelbare Grundsätze strikt eingehalten. Und: Bis zum Schluss des Festivals konnte weiterhin bei den offiziellen Rücknahmestellen Becher und Geschirr für Café Révolution gespendet werden.
(https://www.derbund.ch/im-alltag-fallen-wir-oft-auf-stereotype-zurueck-464441404295)
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Rassismus- und Kommunikationsexperte reagieren auf Rassismus-Vorfall am Gurtenfestival
Letztes Wochenende fand das 40. Gurtenfestival statt, dies aber nicht ohne Zwischenfälle. Die Organisation Café Révolution, welche Spenden sammelte, hat wegen rassistischen Äusserungen ihren Stand am Gurtenfestival frühzeitig geschlossen. Nach Reaktionen aus der Politik beschäftigt dieses Thema auch Giorgio Andreoli, welcher gegen Rassismus kämpft. Wir konnten ihn und den Kommunikationsexperten Stefan Herrmann treffen.
https://www.telebaern.tv/telebaern-news/rassismus-und-kommunikationsexperte-reagieren-auf-rassismus-vorfall-am-gurtenfestival-152596895
+++RECHTSPOPULISMUS
Rechtes Medienportal „Nius“: Grundprinzip verdrehte Fakten
Das Medienportal „Nius“ bietet rechter Hetze eine Bühne. Es wird finanziert von einem Milliardär und vereint Julian Reichelt mit Jan Fleischhauer.
https://taz.de/Rechtes-Medienportal-Nius/!5945019/
Eine Verfassungsänderung gegen Gendern: SVP- und EDU-Kantonsräte reichen parlamentarische Initiative ein
Die politische, weltanschauliche und sprachliche Neutralität des Staates soll in der Thurgauer Kantonsverfassung verankert werden. Dieses Ziel hat ein Vorstoss im Grossen Rat, der sich offensichtlich gegen sprachliche Erscheinungen wie das sogenannte Gendern richtet.
https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/kanton-thurgau/thurgau-eine-verfassungsaenderung-gegen-gendern-svp-und-edu-kantonsraete-reichen-parlamentarische-initiative-ein-ld.2487951
+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Basler Zeitung 18.07.2023
Publikation «Westwind»: SVP-Gemeinderat verbreitet Staatsverweigerungs-Propaganda
Rolf Meyer ist Gemeinderat von Kleinlützel und Herausgeber der Zeitschrift «Westwind». Darin verbreitet er staatsfeindliche Inhalte. Privatsache, finden er und seine Partei.
Mirjam Kohler
Der Kleinlützler Gemeinderat Rolf Meyer (SVP) kämpft gegen den geplanten Windpark auf dem Chall. Eines seiner Instrumente dafür ist die Publikation «Westwind», wo Energiethemen regelmässig eine Rolle spielen. Auffällig sind aber andere Inhalte des Hefts. Beispielsweise Werbung für die esoterische Post-Corona-Bewegung Graswurzle, deren Mitgründerin offen sagt, dass sie «den Staat abschaffen» wolle.
Auch dass die Schweiz eigentlich kein Staat ist, sondern ein Konstrukt aus Firmen und somit nicht handlungslegitimiert – eine der bekanntesten Verschwörungserzählungen aus dem Staatsverweigerungsmilieu – verbreitet «Westwind» unhinterfragt.
Meyer selbst schreibt unter anderem von der «NWO». Der Begriff «Neue Weltordnung» beziehungsweise «New World Order» steht für eine angebliche weltweite Verschwörung zur Unterwerfung der Menschheit durch eine totalitäre Weltregierung, kontrolliert durch eine global operierende «Elite».
Seine Haltung zum Staat sei irrelevant
Der 71-jährige Lokalpolitiker betreibt ausserdem einen Telegram-Kanal, in welchem er ein buntes Potpourri von Verschwörungserzählungen verbreitet.
Angesprochen darauf, dass es widersprüchlich scheint, gleichzeitig Gemeinderat zu sein und solche Inhalte zu verbreiten, zeigt Meyer wenig Verständnis. «Wie ich als Privatperson und freiheitlich denkender Mensch agiere, ist Privatsache», schreibt er.
Und weiter: «Ob dieser Staat bei manchen Menschen als überbordend oder zunehmend der politisch-demokratischen Kontrolle mittels öffentlich-rechtlicher Aktiengesellschaften entzogen betrachtet wird und wie ich dazu stehe, ist völlig irrelevant.»
Gemäss eigenen Angaben schwankt die Auflage von «Westwind». Angegeben wurde zwischenzeitlich der Druck von 9500 Exemplaren, die in 21 Gemeinden verbreitet wurden. Trotzdem: Auch die Solothurner SVP spricht von «privaten Ansichten» und äussert sich nicht inhaltlich.
Der Kleinlützler Gemeindepräsident Martin Borer kommentiert auf Anfrage: «Zu den Publikationen von Herrn Meyer möchte ich mich an dieser Stelle nicht äussern; dazu kann und soll sich jeder selbst ein Urteil bilden. Ich möchte aber festhalten, dass ich mich in aller Deutlichkeit von den Äusserungen und Veröffentlichungen von Herrn Meyer entschieden distanziere.»
(https://www.bazonline.ch/svp-gemeinderat-verbreitet-staatsverweigerungs-propaganda-430606456962)
+++HISTORY
nzz.ch 18.07.2023
Suppiah Vadivelu flieht 1983 als Tamile in die Schweiz. Er sagt: «Ich weiss nicht, warum sie uns misstrauten»
Morddrohungen, Medienkampagnen und Messingplättchen statt Sozialhilfe: In den 1980ern wird die Asylpolitik zu jenem polarisierenden Thema, das sie bis heute ist.
Giorgio Scherrer
Es ist eine seltsame Demonstration, die im Frühjahr 1986 durch die Stadt Thun zieht. Keine Plakate, keine Slogans, keine Sprechchöre. Nur etwa sechzig junge Schweizerinnen und Schweizer, die sich zur Migros aufmachen, um dort einzukaufen – und statt mit Geld mit Jetons aus Messing bezahlen wollen.
Die Jetons bestehen aus dünnem Blech, sie haben etwas mehr als drei Zentimeter Durchmesser, und sie sind ein nationales Politikum.
Es sind sogenannte «Thuner Asylantenbatzen», im Volksmund «Tamilenbatzen» genannt. Abgegeben von den Thuner Behörden, berechtigen sie zum Kauf von Lebensmitteln in ausgewählten Geschäften.
Die einen sehen in den Jetons die pragmatische Lösung für ein Problem, das in den 1980er Jahren die Schweiz bewegt: für den Umgang mit Flüchtlingen aus Sri Lanka, die zu Tausenden ins Land kommen. Andere – so auch die Thuner Demonstrierenden – halten sie für einen Ausdruck von Misstrauen und Kleinlichkeit.
Zwar sind die Batzen mit dem Porträt eines Königs gestanzt. Aber das hat nichts zu bedeuten: Die Gemeinde hat die Jetons aus Kostengründen mit anderweitig vorhandenen Stempeln prägen lassen. Das erklärt auch die merkwürdige Beschriftung, die sich um den Kopf des Königs zieht: «Best best German silver / Made in Switzerland».
Die Kassiererin in der Migros starrt ungläubig auf eine Demonstrantin. «Sie sind doch Schweizerin», sagt sie. «Das geht nicht. Sie können damit nicht bezahlen.» Nur Asylbewerber dürften das, erklärt der Filialleiter. Man kontrolliere zwar keine Ausweise, die «dunkelhäutigen Tamilen» erkenne man aber gut.
Ähnliches bekommen die Demonstrierenden im Coop und in einer Metzgerei in der Innenstadt zu hören: Nur Tamilen dürfen mit dem Batzen einkaufen.
Die Berge waren seine ersten Freunde
Eingeführt worden ist er ein Jahr zuvor. Das Ziel der Thuner Behörden: die Bevölkerung beruhigen. Man wolle verhindern, dass die Flüchtlinge das Geld für Luxusgüter ausgäben oder an die Familien zu Hause schickten, erklärt der städtische Sozialvorsteher im Schweizer Fernsehen. Wie das mit fünfzehn Franken am Tag möglich sein sollte, erklärt er nicht.
Ein ebenfalls befragter Passant wird noch deutlicher: «Es ist nicht richtig, dass wir Bürger Geld hergeben sollen für diese Asylanten, die zum grössten Teil wirtschaftliche und nicht richtige Asylanten sind.»
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Der Beitrag zum «Tamilenbatzen» in der Sendung «DRS aktuell».
SRF
https://www.srf.ch/play/embed?urn=urn:srf:video:b406228c-659b-445a-86e9-a7e23b5ee83d&subdivisions=false
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1982 kommen die ersten tamilischen Flüchtlinge in die Schweiz. Sie stammen aus Sri Lanka, wo sich seit längerem ein Bürgerkrieg anbahnt. 1983 bricht er aus. Die tamilische Minderheit kämpft gegen die singhalesische Mehrheit. Nach einem Angriff der Tamil-Tigers-Miliz auf einen Militärstützpunkt kommt es zu Pogromen an der Zivilbevölkerung. Dreitausend Tamilinnen und Tamilen werden ermordet. Wer sich politisch exponiert hat, verlässt das Land.
Suppiah Vadivelu zum Beispiel, der sich in seinem Dorf für die Sache der Tamilen einsetzt. 1983 flieht er mit einem Touristenvisum in die Schweiz. Er ist 27, als er hier ankommt, in einem Durchgangszentrum im Berner Oberland.
Zum ersten Mal in seinem Leben sieht er Schnee, steht allein zwischen hohen Bergen. Er denkt an seine Heimat und weint. Die Berge, sagt der unterdessen 68-Jährige im Rückblick, seien hier seine ersten Freunde gewesen. «Heute lieben uns die Schweizer. Damals war das nicht so.»
«Ich weiss nicht, warum sie uns misstrauten»
Im Berner Hauptbahnhof trifft sich Vadivelu in jener Zeit mit anderen Tamilen. Sie tragen Lederjacken mit einem Produktionsfehler, eine Hilfsorganisation hat sie ihnen gegeben. Jetzt zeigen die Schweizer empört darauf, machen wütende Bemerkungen: «Der Luxus, den sich die Tamilen leisten!»
Andere schimpfen nicht, sondern drücken Vadivelu eine Zehnernote in die Hand. Dann gehen sie rasch weiter.
Kurze Zeit später wechselt Vadivelu nach Thun, wo er 1985 im Bahnhofbuffet zu arbeiten beginnt. An den «Tamilenbatzen» erinnert er sich nur vage, aber die Proteste dagegen hat er miterlebt. Neben den Schweizer Demonstrierenden wehren sich auch Tamilen. Manche weigern sich, den Batzen anzunehmen, legen in den Beschäftigungsprogrammen der Stadt die Arbeit nieder und verlangen normales Geld statt einer «Flüchtlingswährung».
Ohne Erfolg. Man wolle, sagt die Stadt, dass Thun für Asylbewerber möglichst unattraktiv sei.
Vadivelu ist einer der ersten vierhundert tamilischen Flüchtlinge, die ab 1983 in der Schweiz ankamen. «Ich weiss nicht, warum sie uns misstrauten», sagt er. «Vielleicht weil wir die ersten dunklen Menschen waren, die in grösseren Gruppen kamen. Vielleicht weil ein paar von uns depressiv waren und tranken. Aber eigentlich wollten wir vor allem eines: möglichst schnell arbeiten und uns vom Kriegstrauma erholen.»
Ein Wendepunkt in der Asylgeschichte
Dass die Tamilen und Tamilinnen in der Schweiz von Solidarität bis zu blankem Hass solch unterschiedliche Emotionen auslösten, ist kein Zufall.
Ihre Ankunft steht stellvertretend für einen Wendepunkt in der Schweizer Flüchtlingsgeschichte: In den 1980ern steigt die Zahl der individuellen Asylgesuche stark an – die Zeit der Aufnahme in grossen Kontingenten, etwa aus Ungarn oder der Tschechoslowakei, ist vorbei. Zwischen 1980 und 1990 wird sich die Zahl der individuellen Gesuche mehr als verzehnfachen.
Zudem kommen die Flüchtlinge vermehrt aus dem globalen Süden, neben Sri Lanka etwa aus der Türkei oder aus Kongo. In den 1980ern stammt die Hälfte aller Gesuche von Tamilen und türkischen Kurden.
Lange war die Migrationsgeschichte jener Jahre wenig erforscht. Eine kürzlich an der Universität Freiburg abgeschlossene Doktorarbeit leistet nun Abhilfe: «Die andere Schweiz: Asyl und Aktivismus 1973–2000». Darin beschreibt der Historiker Jonathan Pärli, wie die Asyl- und Flüchtlingspolitik damals «innert kürzester Zeit einen grundlegenden restriktiven Wandel erlebte».
Grosszügige Regelungen wurden auf politischen Druck hin verschärft, die Bearbeitung von Gesuchen wurde in die Länge gezogen, und in einigen aufsehenerregenden Fällen wurde demonstrativ Härte gezeigt. Statt sich wie in den Jahrzehnten davor mit ihrer humanitären Tradition zu schmücken, setzte die offizielle Schweiz jetzt alles daran, als unattraktives Fluchtland zu gelten.
Die 1980er Jahre waren aber auch eine Zeit, in der diese Tendenz auf die massive Gegenwehr einer neu formierten Asylbewegung stiess. Zu ihr gehörte die 1986 gegründete Bewegung für eine offene, demokratische und solidarische Schweiz (Bods). Sie stellte ihre Gründungscharta unter den Titel «Wir rufen die andere Schweiz» und schrieb darin: «Wir fühlen uns nicht bedroht von ein paar tausend Türken und Tamilen, sondern von einer Politik, die die Demokratie aushöhlt und die Menschenrechte missachtet.»
Gleichzeitig entdeckten auch rechte Gruppierungen, dass sich mit Flüchtlingen Politik machen liess. Neben diversen politischen Vorstössen zeigte sich das im grössten Ausbruch rassistisch motivierter Gewalt in der jüngeren Schweizer Geschichte.
Brandanschläge auf Asylheime, brennende Kreuze und tödliche Angriffe am helllichten Tag fielen Ende der 1980er Jahre zusammen mit einem Erstarken der rechtsextremen Szene und des Rechtspopulismus in der Politik.
In jenem Jahrzehnt wurde eine Grundlage geschaffen für die bis heute anhaltende Politisierung des Asylthemas – von links wie von rechts.
Die echten Flüchtlinge und die falschen
Wie konnte es dazu kommen?
Anfang der 1980er Jahre steht die Asylpolitik noch im Zeichen der Öffnung. In den Jahrzehnten davor hat die Schweiz in grosser Zahl Flüchtlinge aus Ostblockstaaten aufgenommen und so ihren Antikommunismus demonstrieren können. Zugleich ist die restriktive Haltung im Zweiten Weltkrieg zum Thema geworden. Journalisten wie Alfred Häsler («Das Boot ist voll») oder Niklaus Meienberg («Die Erschiessung des Landesverräters Ernst S.») haben ein kritisches Licht auf das humanitäre Selbstverständnis der Schweiz geworfen.
Der Historiker Edgar Bonjour hat 1970 gar von einer «Mitschuld des Gesamtvolkes» an der «Unmenschlichkeit gewisser Aspekte der behördlichen Asylpolitik» während des Kriegs gesprochen.
Nun will die offizielle Schweiz zeigen, dass sie eine andere geworden ist.
Und so tritt am 1. Januar 1981 das erste Asylgesetz ihrer Geschichte in Kraft, ein grosszügiges und liberales Regelwerk. Es führt einheitliche Regeln und Verfahren ein, die für alle Flüchtlinge gleichermassen gelten – ein Novum. Das Asylgesuch soll von einer politischen zu einer rechtlichen Angelegenheit werden, mit mehr Transparenz und weniger Willkür.
Doch dann bekommt die Politik Angst vor ihrem Mut.
Kurz nachdem das Gesetz in Kraft getreten ist, wird es bereits ein erstes Mal verschärft. Und noch bevor diese erste Revision in Kraft tritt, wird schon die nächste angestossen, durch eine breit getragene Motion des Zürcher FDP-Nationalrats Hans Georg Lüchinger. Ihr Ziel: «die Ausscheidung zwischen unechten und echten Flüchtlingen». Ihr Hauptthema: die Tamilen.
«Diese asiatischen Mitmenschen», schreiben Lüchinger und seine 101 Mitunterzeichner, «werden in der Schweiz kaum je heimisch werden.»
Dürfen die Tamilen zur Schweiz dazugehören? Um diese Frage kreist in den nächsten Jahren die nationale Politik. Die tamilischen Flüchtlinge werden zum zentralen Bezugspunkt, wenn es um die Verschärfung des Asylgesetzes geht – und um den Widerstand dagegen. Die Auseinandersetzung darum findet auf lokaler Ebene statt, vor allem im Kanton Bern, wo die meisten Flüchtlinge aus Sri Lanka landen.
Hier schreiben in den nächsten Jahren die einen Willkommensbriefe und die anderen Morddrohungen.
Ein Willkommensbrief in der Zeitung
Willkommensbriefe schreiben zum Beispiel Peter und Heidi Zuber aus Ostermundigen. Das Ehepaar bietet tamilischen Flüchtlingen per Zeitungsinserat ein Dach über dem Kopf und Schutz vor Ausschaffung an. Der Hintergrund: Im Oktober 1984 beschliesst der Bundesrat trotz anhaltendem Bürgerkrieg, Tamilen nach Sri Lanka zurückzuschicken. Schweizer Helfern drohen laut der Berner Fremdenpolizei Busse und Gefängnis.
Peter Zuber sagt dazu im Schweizer Fernsehen: «Ich werde mich zur Wehr setzen. Ich bin entschlossen, die Menschlichkeit über jedes Gesetz zu stellen, um jeden Preis.»
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Der Beitrag zum Ehepaar Zuber in der Sendung «DRS aktuell».
SRF
https://www.srf.ch/play/embed?urn=urn:srf:video:ec731f3f-5967-4825-b7f8-fe83089dea52&subdivisions=false
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Es ist der Ursprungsmoment einer politischen Bewegung, die Mitte der 1980er Jahre in Bern entsteht. «Tamilenfreunde» aus dem linken und aktivistischen Umfeld schliessen sich mit solchen aus kirchlichen und ländlichen Kreisen zusammen. Die Aktion für abgewiesene Asylbewerber (AaA) organisiert Mahnwachen, Petitionen und Proteste und kann schliesslich so viel Druck aufbauen, dass die Ausschaffungen gestoppt werden.
Eine zentrale Rolle spielen dabei die Kirchen des Kantons, die den Ausschaffungskandidaten Kirchenasyl gewähren und dafür vom Bischof von Basel bis zum Uno-Flüchtlingskommissar Unterstützung erhalten. Gegen die Kirchen entlädt sich allerdings auch die Wut all jener Schweizerinnen und Schweizer, die keine Tamilen im Land wollen.
Eine Morddrohung per Brief
So sind die Zuschriften an die Pfarrgemeinde Bern Bethlehem voller Hass und Verachtung. Menschen werden mit Schädlingen verglichen, als Träger von Krankheiten diffamiert oder mit dem Tod bedroht:
«Tamilen? Das sind doch Opportunisten und Terroristen und Drogenhändler!!»
«Mit vollen Händen werden diese hergelaufenen Tamilen, Türken, Schwarzen usw. unterstützt, wobei kein Tag vergeht, wo nicht unsere Kinder mit Drogen von Tamilen ins Unglück gestürzt werden, unsere Töchter und Frauen vergewaltigt und sexuell belästigt werden.»
Und, direkt an einen Pfarrer gerichtet:
«Sie können auch gerade gehen. Sie Lumpenseckel. Die alten Eidgenossen hätten einen solchen Pfaff schon längst erschossen. Dies kann Ihnen noch blühen!!!!!!!!»
Bei Drohungen bleibt es nicht. In den späten 1980er und frühen 1990er Jahren häufen sich in der Deutschschweiz rechtsextrem motivierte Angriffe auf Flüchtlinge und Flüchtlingsheime. Allein 1989 und 1990 werden laut einer Chronologie des Journalisten Jürg Frischknecht mindestens sieben Menschen getötet, fünf von ihnen Tamilen. Dutzende weitere werden beschimpft, zusammengeschlagen oder terrorisiert.
Chur, 2. Juli 1989: Eine Flüchtlingsunterkunft geht in Flammen auf. Im Bekennerschreiben steht: «Raus mit dem Asylanten- u. Rauschgiftpack aus unseren Dörfern u. Städten. Oder wir verheizen das Gesindel, bis keiner mehr in unseren Häusern ist!» Vier Tamilen sterben, unter ihnen zwei Minderjährige. Ihre Namen: Sathviel Thambirajah, Thevarajah Sinnethamby, Balamurali Kandian und Balamuganthan Kandian.
Steinhausen, Kanton Zug, 4. November 1989: Eine Gruppe Neonazis trifft sich zu einem Geburtstagsfest und stürmt eine Asylunterkunft, während die Polizei danebensteht. Danach posieren die Neonazis vor einem brennenden Kreuz für einen Fotografen der Boulevardzeitung «Blick».
Regensdorf, Kanton Zürich, 21. Juli 1990: Der 23-jährige Anthakumar Sivaguru sitzt auf dem Dorfplatz, als ein 39-jähriger Ex-Boxer aus einem Restaurant tritt. Der Boxer ist betrunken und uriniert in eine Blumenkiste. Dann tritt er zu Sivaguru, ruft «Tamilen raus!» und streckt ihn mit einem Faustschlag nieder. Sein Opfer stirbt einen Tag später im Spital. Es ist der Auslöser für eine Demonstration gegen Fremdenfeindlichkeit, an der über zweitausend Personen teilnehmen.
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Der Filmemacher Erich Schmid zeichnete 1991 in einem Dokumentarfilm die Geschichte von «Jeevan» nach.
SRF
https://www.youtube.com/watch?v=3wcZXeBDnnw
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Es regnet «Tamilenbatzen»
Die «Tamilenfrage» bringt in jener Zeit nicht nur Fremdenfeinde auf den Plan, sondern auch die Flüchtlingsfreunde dazu, sich politisch besser zu organisieren.
So etwa die Berner Flüchtlingskoalition, die sich erst lokal und dann schweizweit vernetzt. 1986 ergreift die Gruppe gar das Referendum gegen die zweite Asylrechtsrevision. Es ist das erste Mal in der Geschichte der Schweizer Demokratie, dass keine etablierte Gruppierung, sondern eine aktivistische Basisbewegung für ein Referendum sorgt.
Derweil macht die Bewegung den «Tamilenbatzen» zum Symbol für die Kaltherzigkeit gegenüber Asylsuchenden. Linke Aktivisten tragen daraus gefertigte Ohrringe. Unter dem Vermerk «Flüchtlingsbatzen» werden Spenden für die Bewegung gesammelt. Während einer Fragestunde zur Asylpolitik vergleicht Nationalrätin Barbara Gurtner (Partei der Arbeit, Bern) den Batzen sogar mit dem Stempel, den Juden im «Dritten Reich» in den Pass bekamen.
Die Parlamentarierinnen und Parlamentarier diskutieren noch über das Thema, als sie von seltsamen Gegenständen am Kopf getroffen werden. Sie blicken hoch zur Zuschauertribüne, wo Aktivisten Tamilenbatzen auf sie herunterregnen lassen. Wie das «Thuner Tagblatt» berichtet, sind es Nachbildungen aus Schokolade.
Scheinflüchtlinge und Schmarotzer hier, Menschenrechtsverletzungen und Nazi-Vergleiche dort: Der Ton wird rauer – und die Asylpolitik zu jenem polarisierten Thema, das wir heute kennen.
Die Medienkampagne des «Blicks»
Auch medial wird die Diskussion um die Tamilen immer aufgeladener. Der «Blick» fährt eine regelrechte Kampagne gegen sie.
«Messerstechereien, Rauschgift, Vergewaltigungen: Wächst das Tamilen-Problem den Behörden über den Kopf?»
«Tamilin mit 2,7 kg Heroin erwischt – sie wollte Asyl»
«9 Heroin-Tamilen aus Gefängnis getürmt!»
Die Tamilen als Drogenhändler und Verbrecher: Von diesem Bild wird später wenig übrigbleiben. Eine Untersuchung, im Auftrag des Bundes durchgeführt von der Universität Neuenburg, wird 2007 zum Schluss kommen, dass die Kriminalität unter Sri Lankerinnen und Sri Lankern im langjährigen Schnitt etwa gleich hoch ist wie die in der Schweizer Gesamtbevölkerung. Eine Ausnahme bildet das Jahr 1986, als es einen kurzzeitigen Anstieg der Drogendelikte gab.
Wer in der aufgeheizten Berichterstattung zur «Tamilenfrage» damals selten zu Wort kam, waren die Tamilinnen und Tamilen selbst. «Ich habe schon gemerkt, dass wir vom ‹Blick› schlecht dargestellt wurden», sagt Suppiah Vadivelu. «Aber ich hatte andere Sorgen.» Vadivelu arbeitete – erst im Bahnhofbuffet, dann bei einem Maler und schliesslich in einer Uhrenfabrik, wo er zum Lageristen mit Staplerfahrausweis aufstieg.
Eine Erfolgsgeschichte. Und doch eine, die von den politischen Konflikten nicht unberührt blieb. Er habe immer wieder rassistische Sprüche gehört, sagt Vadivelu. «Und ich hatte immer diese Angst: Was wird morgen sein?»
Denn wie viele tamilische Flüchtlinge wartete auch er lange auf einen Asylbescheid. Erst 1988, fünf Jahre nach der Ankunft, bekam er eine Aufenthaltsbewilligung.
Sie sollten nur kurz bleiben
Das hatte System. Die offizielle Schweiz reagierte auf die «Tamilenfrage» nicht nur mit Ausschaffungsdrohungen und rechtlichen Verschärfungen, sondern auch mit einer Verschleppung der Asylgesuche.
So lautete zumindest der Vorwurf des Südostasien-Verantwortlichen im Bundesamt für Polizeiwesen, das die Gesuche behandelte. Aus Protest kündigte der Jurist Christoph Fisch 1984 seine Stelle und bemängelte öffentlich, dass zu jenem Zeitpunkt erst ein einziger Tamile offiziell als Flüchtling anerkannt worden sei, während über tausend Gesuche unbeantwortet geblieben seien. Auch Berichte über die Menschenrechtslage in Sri Lanka seien ignoriert worden.
Fisch erklärte das damit, dass sich auch im Bundesamt «Forderungen fremdenfeindlicher Bewegungen» immer stärker bemerkbar machen würden. Der Historiker Jonathan Pärli schreibt, dass die Behörden mit ihrer restriktiven Praxis einen «Sog-Effekt» verhindern wollten. Das heisst: Die Schweiz sollte nicht als attraktives Fluchtland gelten.
Wie andere angefeindete Gruppen von Migranten vor und nach ihnen empfing die offizielle Schweiz auch die Tamilinnen und Tamilen mit der Erwartung, dass sie höchstens vorübergehend bleiben würden. Und wie im Fall der anderen Gruppen – etwa der Saisonniers aus Italien oder der Kriegsflüchtlinge aus dem zerfallenden Jugoslawien – erwies sich diese Erwartung als Irrtum.
Obwohl der Bund nur wenige tamilische Asylgesuche guthiess, nahm ihre Zahl bis 1992 kontinuierlich zu. Aber auch Rückschaffungen setzte der Bund nur wenige durch. Dreimal (1990, 1994 und 2000) erhielten mehrere tausend Tamilinnen und Tamilen, die seit Jahren im Land waren, eine provisorische Aufenthaltsbewilligung.
Von Hassfiguren zu Lieblingsflüchtlingen
Heute ist die tamilische Diaspora aus der Schweiz nicht mehr wegzudenken. Es gab zwar auch in den vergangenen zwanzig Jahren Negativschlagzeilen, etwa zu Alkoholismus oder mutmasslichen Zwangsspenden an die Tamil Tigers. Mit der Integration in den Arbeitsmarkt hat sich der Ruf der Tamilinnen und Tamilen aber markant verändert.
Die Wandlung von Hassfiguren zu Lieblingsflüchtlingen begann Ende der 1980er Jahre und war Anfang der 2000er Jahre weitgehend Realität. 2005 fasste das «Magazin» des «Tages Anzeigers» die Haltung der Schweizer so zusammen: «Der Tamile ist fleissig und unauffällig. Er hat und macht keine Probleme. Er ist der ideale Immigrant.»
Diesen Imagewandel erklärt die vom Bund veranlasste Studie damit, dass tamilische Flüchtlinge in den Bereichen Gastronomie, Pflege, Betreuung und Reinigung «die wirtschaftliche Nachfrage nach ungelernten Arbeitskräften befriedigen» konnten.
Der frühere Flüchtling Suppiah Vadivelu sagt es so: «Erst als die Schweizer merkten, dass wir fleissige Arbeiter sind, durften wir bleiben.»
Vadivelu ist stolz, dass viele seiner Landsleute nun ihr eigenes Geschäft haben oder, wie seine beiden Töchter, studiert haben und sich in der Lokalpolitik betätigen. «Ich bin der Schweiz unendlich dankbar für die Sicherheit, die sie mir gegeben hat.» Vadivelu weint, als er das sagt. 2002 wurde er eingebürgert.
Der Thuner «Tamilenbatzen» wurde derweil im Dezember 1986 still und leise abgeschafft, nachdem ein Rechtsgutachten ihn als illegal bezeichnet hatte. Das Referendum gegen die Verschärfung des Asylgesetzes scheiterte im Jahr darauf. Seither gab es sieben weitere Verschärfungen.
Alle wurden angenommen.
(https://www.nzz.ch/geschichte/tamilen-in-der-schweiz-kein-warmer-empfang-ld.1680941?)