Medienspiegel 14. Juli 2023

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/

+++BERN
Gemeinde wehrt sich: 200 Asylsuchende sollen in 760-Seelen-Gemeinde Heiligenschwendi
Der Kanton Bern plant, 200 Asylsuchende im Kurhaus Haltenegg in Heiligenschwendi unterzubringen. Der Gemeinderat möchte sich dagegen wehren. Weil Heiligenschwendi nur 760 Einwohner hat, spricht er von einem «absoluten Missverhältnis».
https://www.baerntoday.ch/bern/kanton-bern/200-asylsuchende-sollen-in-760-seelen-gemeinde-heiligenschwendi-152533114
-> https://www.telebaern.tv/telebaern-news/asylunterkunft-heiligenschwendi-152543534


+++AARGAU
Windisch & Wildegg: SVP-Gallati hält an Asyl-Unterkünften fest
Die Antworten auf zwei Petitionen der Jungen SVP zeigen: Regierungsrat Jean-Pierre Gallati verfolgt die umstrittenen Asyl-Projekte weiter.
https://www.nau.ch/politik/regional/windisch-wildegg-svp-gallati-halt-an-asyl-unterkunften-fest-66543875


+++URI
Urner Spital-Personalhaus wird temporär zur Flüchtlingsunterkunft
Das Personalhaus des Kantonsspitals Uri wird während drei bis fünf Jahren als Flüchtlingsunterkunft umgenutzt. Es bietet Platz für rund 80 Personen und kann im ersten Quartal 2025 in Betrieb genommen werden. Ursprünglich hätte das Personalhaus abgerissen werden sollen.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zentralschweiz/urner-spital-personalhaus-wird-temporaer-zur-fluechtlingsunterkunft?id=12419125


++++ZÜRICH
Situation im Asylzentrum Lilienberg hat sich verbessert
Mehr Personal, eine neue Küche und neue Toiletten: Die Situation für minderjährige, unbegleitete Fllüchtlinge (MNA) auf dem Lilienberg in Zürich Affoltern hat sich verbessert. Was bleibt, ist das Platzproblem.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/situation-im-asylzentrum-lilienberg-hat-sich-verbessert?id=12419131
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/stadt-zuerich-lehnt-die-meisten-einsprachen-gegen-rad-wm-2024-ab?id=12420079 (ab 03:.18)
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/laut-dem-zkb-immobilien-barometer-steigen-die-preise-weiter?id=12420991 (ab 05:30)


«Alle Menschen sind auf Hoffnung und Perspektiven angewiesen»
Die Kinder- und Jugendpsychiaterin Sandra Rumpel und der Grünen-Gemeinderat Luca Maggi sind Teil des Netzwerks «MNA im Kanton Zürich» (Mineurs non accompagnés), das eine  bessere Unterbringung von unbegleiteten geflüchteten Minderjährigen im Kanton Zürich fordert. Im Interview mit Steffen Kolberg sprechen sie über politische Herausforderungen, die bisherigen Missstände und die besonderen Bedürfnisse geflüchteter Minderjähriger.
https://www.pszeitung.ch/alle-menschen-sind-auf-hoffnung-und-perspektiven-angewiesen/


+++SCHWEIZ
Reisedokumente für schriftenlose afghanische Staatsangehörige
Für schriftenlose afghanische Staatsangehörige ist es derzeit nicht möglich, Reisepässe aus dem Heimatland zu beschaffen. Das Bundesverwaltungsgericht weist das Staatssekretariat für Migration an, in solchen Fällen zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Ausstellung von Reisedokumenten für ausländische Personen erfüllt sind.
https://www.bvger.ch/bvger/de/home/medien/medienmitteilungen-2023/reisedokumenteafghanische.html
-> https://www.blick.ch/politik/entscheid-des-bundesverwaltungsgerichts-schriftenlose-afghanen-erhalten-aussicht-auf-ein-reisedokument-id18749461.html
-> https://www.watson.ch/schweiz/migration/344523615-schriftenlose-afghanen-erhalten-aussicht-auf-ein-reisedokument


EU-Pakt: Keine weiteren rechtlichen Schlupflöcher
In einer gemeinsamen Stellungnahme fordern die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) und andere Organisationen ihre europäischen Regierungen auf, eine Verordnung zu Ausnahmebestimmungen der anstehenden EU-Asylrechtsreform abzulehnen. Die SFH fordert, dass sich die Schweiz stattdessen mit Nachdruck für die Einhaltung der Menschenrechte und des Völkerrechts an der EU-Aussengrenze einsetzt.
https://www.fluechtlingshilfe.ch/publikationen/news-und-stories/eu-pakt-keine-weiteren-rechtlichen-schlupfloecher


Schweiz fördert Migrationsstrukturen in Kroatien
Die Schweiz unterstützt Organisationen der Zivilgesellschaft in Kroatien, um die Migrationsstrukturen in dem Land zu stärken. Zudem unterhält sie einen Dialog auf technischer Ebene, insbesondere im Zusammenhang mit der Dublin-Zusammenarbeit. Am 13. und 14. Juli 2023 hat Christine Schraner Burgener, Staatssekretärin des Staatssekretariats für Migration (SEM), in Zagreb Gespräche mit ihrer kroatischen Amtskollegin geführt. Dabei bestätigte sie die aktuelle Überstellungs-Praxis des SEM. Zudem unterzeichnete sie einen Vertrag mit dem UNO-Kinderhilfswerk UNICEF mit dem Ziel, den Schutz und die Integration von Kindern und Familien in Kroatien zu fördern.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-96692.html


+++GRIECHENLAND
Frontex und Athen wussten 15 Stunden vor Bootsdrama von toten Kindern an Bord
Mitte Juni starben vor der griechischen Küste 600 Migranten, als ihr Boot kenterte. Über die Verantwortung für die schlimmste Katastrophe seit Jahren im Mittelmeer wird seitdem gestritten. Nun kommt heraus: Eine wichtige Information zu den wahren Abläufen wird nach Informationen von WELT AM SONNTAG bewusst zurückgehalten.
https://www.welt.de/politik/ausland/article246382076/Migration-Frontex-und-Athen-wussten-15-Stunden-vor-Bootsdrama-von-toten-Kindern-an-Bord.html
-> https://www.nd-aktuell.de/artikel/1174710.pylos-ertrunkene-gefluechtete-frontex-und-kuestenwache-sahen-zu.html


+++MITTELMEER
Fluchtroute Mittelmeer: Jede Woche sterben elf Kinder
Allein in diesem Jahr sind mindestens 289 Kinder bei dem Versuch, die gefährliche Migrationsroute über das zentrale Mittelmeer von Nordafrika nach Europa zu überqueren, gestorben oder verschwunden. Das bedeutet, dass jede Woche fast elf Kinder auf der Suche nach Sicherheit, Frieden und einer besseren Zukunft ihr Leben verloren haben.
https://www.unicef.ch/de/aktuell/medienmitteilungen/2023-07-14/fluchtroute-mittelmeer-jede-woche-sterben-elf-kinder
-> https://www.spiegel.de/ausland/migration-im-mittelmeer-starben-laut-unicef-289-fluechtlingskinder-a-c2f08476-e26f-481e-8d19-163660becf2b
-> https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2023-07/tote-gefluechtete-kinder-unicef-mittelmeer-nordafrika


Seenotrettung: EU-Parlament fordert rasche und konkrete Massnahmen
Das Europäische Parlament will gegen das Sterben auf dem Mittelmeer vorgehen. Mit einem umfassenden Antrag verlangt es von nationalen Behörden, Mitgliedstaaten und EU-Institutionen konkrete Massnahmen – namentlich die Einrichtung einer europäischen Seenotrettungs-Mission. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) begrüsst die klare Haltung des EU-Parlaments und erwartet, dass dessen Forderungen von den zuständigen Gremien berücksichtigt werden.
https://www.fluechtlingshilfe.ch/publikationen/news-und-stories/seenotrettung-eu-parlament-fordert-rasche-und-konkrete-massnahmen


+++EUROPA
«Die Mehrheit der Geflüchteten in Europa ist schutzberechtigt»
Josephine Liebl leitet die Abteilung Interessensvertretung beim Europäischen Flüchtlingsrat (European Council on Refugees and Exile ECRE). Als Head of Advocacy ECRE verfolgt sie mit ihrem Team die aktuellen Verhandlungen des EU-Paktes zu Migration und Asyl zwischen dem Rat der EU und dem Europa-Parlament genau. Die geplanten Verschärfungen sind besorgniserregend. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) hat Josephine Liebl in Bern zu einem Gespräch getroffen.
https://www.fluechtlingshilfe.ch/publikationen/news-und-stories/die-mehrheit-der-gefluechteten-in-europa-ist-schutzberechtigt


+++TUNESIEN
Massenabschiebungen und Hetzjagden in Tunesien
Während die EU den Tunesien-Deal zur Migrationsabwehr vorantreibt, kommt es in dem nordafrikanischen Land zu Hetzjagden, Verhaftungen und Massenabschiebungen von Schwarzen Flüchtlingen und Migrant*innen. Hunderte wurden an der Grenze zu Libyen und Algerien in der Wüste ausgesetzt. Auch der autoritäre Staatsumbau schreitet voran.
https://www.proasyl.de/news/massenabschiebungen-und-hetzjagden-in-tunesien/


Abschiebungen in die Wüste: Nordafrika wird für Geflüchtete zur Todeszone
Algerien und Libyen machen es schon, nun hat auch Tunesien Hunderte Migranten mitten in der Wüste ausgesetzt, ohne Wasser und Nahrung. Eine tödliche Taktik einer Regierung, der die EU Millionen für den Grenzschutz verspricht.
https://www.spiegel.de/ausland/abschiebungen-in-tunesien-und-algerien-todeszone-nordafrika-a-5024ee18-e14f-4a98-8d50-129ee519cb3b



nzz.ch 14.07.2023

Tunesien deportiert afrikanische Migranten in die Wüste und lässt sie dort ohne Wasser sitzen

Nach einem tödlichen Streit in der Hafenstadt Sfax haben Sicherheitskräfte Hunderte Migranten in militärisches Sperrgebiet an die Grenzen gebracht. Erst nach über einer Woche haben Hilfsorganisationen Zugang erhalten.

Sarah Mersch, Tunis

In sengender Hitze, ohne Schatten, ohne Wasser oder Essen: Bis zu 1200 Migranten aus den Ländern südlich der Sahara sind von tunesischen Sicherheitskräften in die Wüste an der algerischen und libyschen Grenze deportiert worden. «Einer ist zusammengebrochen, wir mussten ihn zurücklassen», sagt ein Mann mit brüchiger Stimme in einer Nachricht an Journalisten und Hilfsorganisationen. Jetzt seien sie noch zu viert, irgendwo im Niemandsland. «Wir haben kein Wasser mehr. Bald sterben wir.» Er befinde sich irgendwo an der Grenze zu Algerien.

Die Handys sind die einzige Kontaktmöglichkeit, solange die Akkus noch reichen. Die Informationen unabhängig zu überprüfen, ist quasi unmöglich. Die meisten Menschen wurden in ein militärisches Sperrgebiet an der Grenze zu Libyen deportiert. Sowohl Journalisten als auch Organisationen der Zivilgesellschaft wurden daran gehindert, sich in die Pufferzone auf Höhe des Grenzübergangs Ras Jdir an der tunesisch-libyschen Grenze zu begeben.

Erst am Sonntag erlaubte Tunesien dem tunesischen Roten Halbmond den Zugang zu den Migranten. Einige von ihnen wurden inzwischen in provisorische Auffanglager in Südtunesien gebracht. Andere konnten auf eigene Faust nach Tunis und in andere Städte zurückkehren. Rund zweihundert Migranten sollen Erklärungen unterschrieben haben, dass sie freiwillig in ihre Heimatländer zurückkehren wollten.

Ein klarer Verstoss gegen internationales Recht

Laut Human Rights Watch wurden auch Personen deportiert, die sich regulär in Tunesien aufhalten, zum Beispiel als Studierende oder als anerkannte Flüchtlinge. «Es ist nicht nur skrupellos, Menschen zu misshandeln und sie in der Wüste auszusetzen, sondern die kollektive Ausweisung verstösst auch gegen internationales Recht», sagte Lauren Seibert, die bei der Menschenrechtsorganisation für Flüchtlings- und Migrantenrechte zuständig ist.

Die Weltorganisation gegen Folter rief am Montag im Namen eines der Migranten den Uno-Ausschuss gegen Folter an. Nach ihren Angaben wurde der Mann an die Grenze deportiert und misshandelt. Von libyscher als auch von tunesischer Seite seien die Migranten mit Gewalt daran gehindert worden, das Niemandsland an der Grenze zu verlassen. Die unwürdigen Lebensbedingungen und der Entzug von Wasser und Nahrung stellten eine Form der Folter dar, so die Organisation.

Den Deportationen waren Auseinandersetzungen zwischen Tunesiern und Migranten in der Hafenstadt Sfax vorausgegangen. Die zweitgrösste Stadt Tunesiens ist zur Drehscheibe der irregulären Migration nach Europa geworden. Ende Juni demonstrierten dort Einwohner gegen die Präsenz von Migrantinnen und Flüchtlingen. Anfang Juli starb ein Tunesier unter noch ungeklärten Umständen bei einem Streit mit Migranten. Seitdem haben sich die Übergriffe der Bevölkerung auf schwarze Migranten in der Stadt verstärkt.

Präsident Saied schürt die Ressentiments

Bereits im Februar war es zu tätlichen Angriffen auf subsaharische Migranten gekommen. Damals hatte der tunesische Präsident Kais Saied behauptet, es gebe kriminelle Bestrebungen, die Demografie des Landes zu ändern, indem man «Horden von Migranten» in dem nordafrikanischen Staat ansiedle. Seitdem versuchen viele afrikanische Migranten, in ihre Heimatländer zurückzukehren oder das Land über das Mittelmeer nach Europa zu verlassen.

Tunesiens Präsident bezeichnete die Berichte über Deportationen in die Wüste als Falschmeldungen aus dem kolonialen Ausland. Er versicherte, die Migranten würden menschlich behandelt und von der Polizei beschützt. Bei einem Treffen mit dem Leiter des Roten Halbmonds sprach Saied von «vertriebenen Migranten», die «an den Grenzen auf tunesischem Boden festsitzen», ohne jedoch für ihre Vertreibung Verantwortung zu übernehmen.

In einer gemeinsamen Erklärung machten rund dreissig tunesische Organisationen die Europäische Union mitverantwortlich für die gegenwärtige Situation. Sie warfen der EU vor, ihre Politik, den Schutz der europäischen Aussengrenzen «auf die Länder des südlichen Mittelmeerraums zu verlagern und sie dazu zu zwingen, die Rolle von Grenzschützern zu übernehmen, [habe] wesentlich zu der gegenwärtigen tragischen Situation beigetragen».

Verschiedene europäische Staaten hatten jüngst den Druck auf Tunesien erhöht. Im Juni waren die EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen und Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni zu Verhandlungen über ein Migrationsabkommen nach Tunesien gereist. Von der Leyen stellte dabei Hilfsgelder von 900 Millionen Euro in Aussicht sowie zusätzlich 150 Millionen Euro Budgethilfe. Die EU will Tunesien dieses Jahr ausserdem 100 Millionen Euro zur Grenzsicherung und für Such- und Rettungsaktionen zur Verfügung stellen.
(https://www.nzz.ch/international/tunesien-deportiert-afrikanische-migranten-in-die-wueste-ld.1746872?mktcid=smch&mktcval=twpost_2023-07-14)


+++GASSE
Billige und gefährliche Droge: In Luzern werden immer mehr Crack-Steine konsumiert
In Genf sorgen Crack-Steine derzeit für massive Probleme. In Luzern ist die Droge schon länger im Umlauf, findet aber den Weg zu einem immer jüngeren Publikum.
https://www.zentralplus.ch/gesellschaft/in-luzern-werden-immer-mehr-crack-steine-konsumiert-2561720/



luzernerzeitung.ch 14.07.2023

Crack-Konsum ist in Luzern weniger alarmierend als in Genf – es gibt dennoch kritische Entwicklungen

Das Rauchen von Crack ist in Luzern kein neues Phänomen, sagt der Leiter der GasseChuchi. Dennoch kann es zu Problemen kommen, heisst es seitens Polizei.

Stefan Dähler

In der Drogenszene werden sogenannte Crack-Steine immer beliebter. Der auf Kokain basierende Stoff kann in kleinen Mengen gekauft und mit Hilfe einer Pfeife schnell inhaliert werden. Besonders in Genf hat der Konsum stark zugenommen, was dazu führt, dass die Drogenkonsumstelle überlastet ist und die Szene sich stärker in den öffentlichen Raum verlagert.

Auch in Luzern sind vermehrt Crack-Steine im Umlauf, sagt Adrian Klaus. Er ist Leiter der GasseChuchi – Kontakt- und Anlaufstelle Luzern mit Konsumräumen, in denen Drogen eingenommen werden können. «Die Situation ist aber nicht mit Genf vergleichbar.» Denn in Luzern sei das Rauchen von Crack beziehungsweise Kokain kein neues Phänomen. Bereits 2011 bei der Eröffnung der Kontakt- und Anlaufstelle habe man 14 Rauchplätze realisiert und für den intravenösen Konsum nur sechs. In Genf dagegen sei der Drogenraum bisher stark auf intravenösen Konsum ausgerichtet gewesen.

Dunkelziffer bei Gelegenheitskonsumenten

Crack-Steine können einfach selbst hergestellt werden und sind ab rund 5 bis 10 Franken erhältlich. «Man kommt schon mit wenig Geld zu einem Rausch, dieser hält aber weniger lang an», sagt Klaus. Durch die tiefen Preise sowie den Konsum, der schnell und relativ unauffällig erfolgen kann, ist die Droge zugänglicher geworden. Hat sich das auf die Zahl der Süchtigen ausgewirkt? «In der Kontakt- und Anlaufstelle ist die Zahl der Klienten seit Jahren stabil.» Die Rauchplätze verzeichneten täglich rund 200 Eintritte, was total zirka 80 Prozent aller Drogenkonsumationen ausmache. Etwa 15 Prozent entfallen auf intravenöse Substanzen und 5 auf solche, die durch die Nase eingenommen werden.

Eine unbekannte Grösse dagegen seien Personen, die erstmals oder gelegentlich Drogen konsumieren. «Diese kommen nicht zu uns, sondern nehmen die Drogen im öffentlichen Raum, zu Hause oder an Anlässen zu sich», sagt Klaus. Die Kontakt- und Anlaufstelle werde nur von schwer suchterkrankten Menschen genutzt. Gemäss Einschätzungen der Luzerner Polizei werde Crack heute auch von Jüngeren eingenommen, während man früher «vorwiegend ältere und langjährige» Konsumierende festgestellt habe, schreibt Mediensprecher Urs Wigger.

Crack kann Aggressivität steigern

Ob es im öffentlichen Raum wegen der Crack-Steine vermehrt zu Gewaltproblemen kommt, könne die Polizei nicht gesichert beurteilen. Personen unter Einfluss von Betäubungsmitteln fielen aber oft durch «äusserst aggressives und renitentes Verhalten» auf, führt Wigger aus. Crack erzeuge einen sehr intensiven, kurzen Rausch. «Unmittelbar nach der Einnahme verspüren die Konsumenten ein stark gesteigertes Selbstvertrauen, Wegfall von Hemmungen und Ängsten sowie eine erhöhte Risikobereitschaft. Zudem kann es zur Steigerung der Aggressivität und Abnahme der Urteilsfähigkeit und zu einer Verminderung des Schmerzempfindens führen.» Die Gefahren würden oft unterschätzt. «Kokain gehört zu den Substanzen mit dem höchsten Abhängigkeitspotenzial.»

Was in Luzern noch nicht festgestellt werden konnte, sei, dass mit Crack-Steinen Handel im grossen Stil betrieben wird, sagt Adrian Klaus. «Verkauft werden meistens kleine Mengen, die jemand selbst hergestellt hat.» Zu beobachten sei dagegen, dass im öffentlichen Raum derzeit mehr Drogen konsumiert werden. «Das ist aber auch ein saisonales Phänomen, das jeden Sommer eintrifft.» Dafür sei man im Austausch mit anderen Fachstellen, mit der Stadt und der Polizei. Ob und welche Anpassungen umgesetzt werden, sei noch offen. «Das bisherige Angebot wird aber sicher nicht über den Haufen geworfen, es funktioniert grundsätzlich gut.»
(https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/stadt-region-luzern/drogen-fuehren-crack-steine-auch-in-luzern-zu-problemen-nicht-mit-genf-vergleichbar-ld.2487901)



luzernerzeitung.ch 12.07.2023

Zahl der Cracksüchtigen explodiert: In diesen Schweizer Städten gehen neue Drogensteine um

Dealer verbreiten in Genf fixfertiges Crack und erschüttern damit die Drogenszene. Nun zeigt sich: Auch in Städten wie Luzern sind solche Crack-Steine auf dem Vormarsch. Das sind die Folgen – und die möglichen Lösungen.

Julian Spörri

Zahlen sind nie die ganze Wahrheit. Doch wenn es um den Konsum von Crack in Genf geht, sprechen sie eine deutliche Sprache. Innerhalb eines Jahres hat sich die Zahl der Konsumierenden verdoppelt. 2022 verzeichnete der Drogenkonsumraum «Quai 9» gleich beim Genfer Bahnhof über 17’000 Besuche von Personen, die Crack rauchen wollten (siehe Grafik). Die Substanz basiert auf Kokain und macht hochgradig süchtig.

Seit Anfang Juli hat das Lokal seine Türen für Crack-Konsumierende tagsüber nun aber geschlossen. Dies, weil die Situation in und um den Drogenkonsumraum überbordet ist. 33-mal innert 45 Tagen musste die Polizei oder die Ambulanz gerufen werden. Von aggressivem Verhalten, bedrohtem Personal und Handgreiflichkeiten mit Verletzten war alles dabei.

Die Bevölkerung hat in der Lokalpresse wiederholt ihren Unmut kundgetan. Problematisch ist, dass auch das Wohnquartier Pâquis vom Crack-Hotspot betroffen ist und die Droge rund um eine Schule gehandelt wird. Die Auseinandersetzungen im Quartier dürften mit der Schliessung des Drogenkonsumraums nicht abnehmen.

Kurzum: Crack stellt Genf gerade vor massive Herausforderungen. Keine andere Schweizer Stadt kennt – bisher – vergleichbare Zustände. Was ist am äussersten Zipfel des Landes genau los?

Ein Kick kostet 10 Franken

Eine jüngst im Auftrag des Kantons Genf erstellte Studie kommt zum Schluss, dass der Crack-Boom auf die Ankunft von neuen Dealern zurückzuführen ist. Laut Polizeiangaben handelt es sich typischerweise um Männer aus Subsahara-Afrika, die gebrauchsfertiges Crack zu einem Preis von 10 Franken pro Stein anbieten. Ein solcher Crack-Stein ist für eine Inhalation proportioniert. Denn im Unterschied zu sonstigem Kokain, das man schnupft oder injiziert, wird Crack geraucht.

Ein Crack-Stein lässt sich auch selbst herstellen – was schweizweit in der Drogenszene gang und gäbe ist. Dazu werden Kokain, Backpulver und Wasser in einem Löffel verbrannt. Bei fixfertigen Produkten entfällt dieses Prozedere. Das erkläre zusammen mit dem tiefen Preis ihren «Erfolg» in Genf, sagt Thomas Herquel. Der Direktor des Vereins «Première Ligne», welcher das «Quai 9» betreibt, macht eine Analogie: «Man könnte problemlos bei sich zu Hause einen Burger zubereiten. Doch wenn es schnell gehen muss, greift man lieber und häufiger auf Fast-Food-Angebote zurück.»

Die Studie im Kanton Genf hat zwar gezeigt, dass die fixfertig vertriebenen Crack-Steine eine «hohe Reinheit» aufweisen. Unter Experten wird aber vermutet, dass die von den Dealern verkauften Produkte so portioniert sein könnten, dass der Zustand der Befriedigung besonders schnell verfliege.

Dabei stellt der Konsum von Crack sowieso schon nur eine kurze Angelegenheit dar. Durch die Aufnahme über die Lunge entfaltet das Kokain nämlich innert Minuten seine aufputschende Wirkung. Ebenso schnell ist diese aber wieder vorüber – und das Verlangen nach einem neuen Kick macht sich breit.

Diese Aneinanderreihung von kurzen und intensiven Stimulationen habe gravierende Folgen, erklärt Herquel. Die Süchtigen vergässen zu trinken, zu essen und zu schlafen. «Ich kenne Menschen, die innert zwei Wochen 25 Kilogramm abgenommen haben. Andere haben vier bis fünf Tage ohne Schlaf verbracht.» Vor diesem Hintergrund sei aggressives Verhalten nicht verwunderlich, meint Herquel. Er spricht von einer «starken Zunahme von Gewaltphänomenen», die ihn gezwungen hätten, zum Schutz seines Personals im «Quai 9» das Rauchen von Crack tagsüber zu verbieten.

Konsum verlagert sich in öffentlichen Raum

Dass der Crack-Boom in Genf derartige Auswüchse erreicht, befeuert sogar Ängste bis in die Deutschschweiz.

Zwei SVP-Parlamentarier fordern den Zürcher Stadtrat mit Verweis auf die Situation in Genf dazu auf, eine Ausbreitung von Crack in Zürich «mit allen Mitteln» zu verhindern, zumal die ersten Steine auch in Lausanne im Umlauf seien. «Wann tauchen diese in Zürich auf?», fragen die Politiker in dem im März eingereichten Postulat.

Die Antwort lautet: Sie sind bereits angekommen. Die Stadt Zürich teilt auf Anfrage mit, dass in den Kontakt- und Anlaufstellen sowohl selber gemischtes Crack wie auch Steine konsumiert würden, und dies «seit Jahren». Man habe die Situation im Blick und ergreife bei Bedarf Massnahmen. Der Stadtrat wird sich erst im Rahmen der Beantwortung des Postulats vertieft zum Thema äussern.

Auch in Luzern sind fixfertige Crack-Steine auf dem Vormarsch: «Die Nutzung des Konsumraums ist eigentlich so ausgelegt, dass alle Konsumierenden das Crack selber aufkochen», sagt der städtische Sicherheitsmanager Christian Wandeler. «Mittlerweile werden jedoch zunehmend Crack-Steine gehandelt und nur noch wenige Konsumierende kochen selber auf.» Eine Folge der leicht erschwinglichen und einfach anwendbaren Produkte sei, dass der Konsum von Crack «vermehrt auch im öffentlichen Raum stattfindet». Die Stadt überprüfe wegen des veränderten Konsumverhaltens aktuell das Konzept der Kontakt- und Anlaufstelle «Gassechuchi».

Was die Schweiz von Genf lernen kann

Andere Städte wie Bern und St.Gallen haben laut Behördenangaben bislang keine Kenntnis von fixfertigen Crack-Steinen. Auch in Basel wird rauchbares Kokain von den Konsumierenden überwiegend selbst zubereitet. Prognosen, ob sich das bald ändert, sind schwierig. Fest steht nur, dass die Ausgangssituation nicht überall gleich ist. Aus Bern heisst es, dass eine Veränderung des Marktes nicht auszuschliessen sei. Aufgrund des seit Jahren existierenden Konsums von selbst gemischtem Crack erwarte man aber nicht eine «derart schwierige Situation wie in Genf».

Genf weist nämlich vergleichsweise wenig Erfahrungen mit selbst fabriziertem Crack auf. Lange Zeit war die Drogenszene stärker durch Heroin und weniger durch Kokain geprägt, was die Ausmasse der aktuellen Probleme miterklären könnte.

Thomas Herquel ist dennoch überzeugt, dass Deutschschweizer Städte gut daran tun, von den Mühen Genfs mit den gebrauchsfertigen Crack-Steinen zu lernen. Sie würden eine neue Dynamik auslösen. «Wichtig ist es darum, sofort zu reagieren – auch wenn zuerst nur wenige Steine auftauchen», sagt der Suchtexperte. «In Genf hätte die Reaktion schneller erfolgen sollen.»

Ein Erfolgsrezept gebe es zwar nicht, so Herquel. Die Abgabe von Wasser und Essen stelle jedoch ein Puzzleteil dar, um das Konfliktpotenzial zu reduzieren. Ausserdem habe sich in Genf ein eingerichtetes «Sleep-in» mit Schlafplätzen für Crack-Konsumierende ausbezahlt. Dass die Polizei den Markt der Dealer so fest wie möglich störe, sei ebenfalls wichtig.

Offen bleibt, wie die Situation in Genf tagsüber besser geregelt werden kann. Herquel sieht eine Lösung darin, einen Drogenkonsumraum spezifisch für das Crack zu schaffen – um so Konflikte zwischen Süchtigen von aufputschenden und beruhigenden Substanzen wie Heroin zu vermeiden. Der Genfer Gesundheitsdirektor Pierre Maudet hat sich jedoch bereits gegen diese Lösung ausgesprochen. Der Kanton will sich bis im Herbst Zeit geben, um mit allen beteiligten Akteuren eine Strategie zur Bekämpfung der Droge zu entwickeln. Bis dahin ist ein heisser Sommer garantiert.
(https://www.luzernerzeitung.ch/schweiz/aggressionen-und-drohungen-fuenf-tage-ohne-schlaf-crack-suechtige-sorgen-fuer-massives-drogenproblem-in-genf-bald-auch-in-anderen-schweizer-staedten-ld.2486909)


+++SEXWORK
Diskussion um Prostitution – «Für Sexarbeitende ist die Situation schwieriger geworden»
Wie sehen Sexarbeitende die Diskussion über ein Prostitutionsverbot? Die Zürcher Beraterin Ursula Kocher weiss mehr.
In der Schweiz ist Prostitution grundsätzlich legal – doch: Soll sie verboten werden? Auslöser der Debatte sind Untersuchungen, wonach die legale Prostitution zu mehr misshandelten Frauen und Mädchen führt. Ursula Kocher von der Beratungsstelle Flora Dora kennt die Haltung der Prostituierten in der Diskussion.
https://www.srf.ch/news/schweiz/diskussion-um-prostitution-fuer-sexarbeitende-ist-die-situation-schwieriger-geworden


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
tagblatt.ch 14.07.2023

Tausende Anarchisten in der Heimat von Bundesrätin Baume-Schneider erwartet

Aus ganz Europa pilgern nächste Woche Anarchistinnen und Anarchisten für ein spezielles Jubiläum in den Berner Jura. Ihr Programm bietet Einblick in die heutige Welt des Widerstands.

Benjamin Rosch und Christoph Bernet

«Roosi» will 27 Stunden Auto fahren. Fast 2500 Kilometer sind es von Estlands Haupstadt Talinn nach St. Imier im Berner Jura. Damit sich die Reise lohnt, bietet Roosi eine Mitfahrangelegenheit an, und viele tun es ihr gleich. Aus ganz Europa strömen nächste Woche Anarchistinnen und Anarchisten in die einstige Heimat von Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider. Die Gemeinde St. Imier rechnet mit 3000 Besuchern bei der 150-Jahr-Feier zur Gründung der Internationalen antiautoritären Föderation. «Anarchy 2023» heisst das Spektakel, fünf Tage soll es dauern.

Im Jahr 1872 wurde das beschauliche St. Imier zum Schauplatz der Weltgeschichte. Schon lange gärte es damals weltweit in der Arbeiterbewegung: Wichtige Figuren stritten sich über die Form, wie die Internationale Arbeiterassoziation, auch Internationale, geführt werden sollte. Im Zentrum standen Karl Marx, der dem Präsidium des Generalrats angehörte, und Michail Alexandrowitsch Bakunin. Der russische Revolutionär störte sich mehr und mehr am autoritären Stil von Marx. Im von der Uhrenindustrie geprägten Jura, wo die Bewegung früh ein wichtiges Standbein hatte, fand Bakunin den Nährboden für eine anarchistische Gegenbewegung zur Internationale.

Am 15. und 16. September 1872 gründete der russische Revolutionär Bakunin im Hotel Central die Antiautoritäre Internationale. Noch heute weht der revolutionäre Geist durch die Berner Gemeinde, etwa im Espace Noir, einem anarchistischen Kulturzentrum.

Workshops über Klimakämpfe und digitalen Widerstand

Bereits vor einem Jahr wollten sich die über den Globus versprengten Anhänger des Anarchismus in St. Imier treffen – doch machte ihnen die Coronapandemie einen Strich durch die Rechnung.

Umso grösser sind die Erwartungen an das Fest, das am kommenden Mittwoch beginnen soll. Ein Camping, drei Turnhallen und ein grosses Gebäude sollen die Massen aufnehmen. Angekündigt ist eine schier unüberblickbare Vielzahl von Theatern, Konzerten, Lesungen und Diskussionsforen über Gegenwart und Zukunft des Anarchismus in all seinen Verästelungen.

Das Workshop-Programm ist ein Panoptikum des Widerstands. Die Palette reicht von antikapitalistischem Jodeln bis zu Überlebenstipps in der Wildnis. Auch möglicherweise problematische Inhalte sind vorhanden, beispielsweise Hackertipps «zum Angriff und Verteidigung im digitalen Raum» bis zu Berichten von der «Frontlinie des Anarchismus». An vorderster Front zu stehen, erfordere Mut und die Bereitschaft, «zum Äussersten zu gehen», heisst es in der Beschreibung. Auch eine Delegation aus dem deutschen Lützerath kündigt sich an, wo es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Klima-Aktivisten und Polizei gekommen war.

Welche Workshops wirklich stattfinden werden, ist allerdings ziemlich unklar. Offenbar ist es nicht besonders schwierig, einen solchen in die Liste eintragen zu lassen. Einträge von Verschwörungstheoretikern führen im Vorfeld des Events zu Diskussionen, unter anderem auf Telegram. In der Liste finden sich auch Präsentationen über Pandemieverträge, Impfzwänge und andere Hirngespinste.

Kantonspolizei beobachtet die Lage

Die Behörden zumindest sehen der Veranstaltung ziemlich entspannt entgegen. Die Gemeinde St. Imier kündigte den Anlass letzte Woche in einem Informationsbulletin unaufgeregt an und verwies für Detailinformationen an die Veranstalter. Bei der Kantonspolizei Bern hat man Kenntnis vom Anarchistenaufmarsch und steht in Kontakt mit den Veranstaltern.

Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) will sich auf Anfrage – wie üblich – nicht zu konkreten Ereignissen äussern. Er verweist darauf, dass ein ideologischer oder politischer Hintergrund von anstehenden Ereignissen nicht ausreiche, damit der NDB präventiv tätig werden könne. Dazu brauche es einen konkreten Gewaltbezug. Die Anarchistenszene als Ganzes falle nicht unter die Zuständigkeit des NDB. Allfällige Hinweise auf die Beteiligung von gewalttätig-extremistischen Gruppierungen oder Personen an Aktivitäten bearbeite der Dienst im Rahmen seines gesetzlichen Auftrags.
(https://www.tagblatt.ch/schweiz/grossanlass-tausende-anarchisten-in-der-heimat-von-bundesraetin-baume-schneider-erwartet-ld.2487785)


+++MENSCHENRECHTE
UN-Ausschuss gegen Folter überprüft die Schweiz
Der UN-Ausschuss gegen Folter (CAT) hat anlässlich seiner 77. Session am 12. und 13. Juli 2023 in Genf den achten periodischen Bericht der Schweiz zur Umsetzung der Antifolter-Konvention der UNO überprüft. Er wird seine Schlussbemerkungen und Empfehlungen zum Bericht am 28. Juli 2023 veröffentlichen.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-96689.html


+++BIG BROTHER
Hackerangriff auf Bundesdaten – Datenschützer weitet Untersuchung auf IT-Unternehmen Xplain aus
Die Untersuchung läuft wegen Verletzung der Datensicherheit, wie der Datenschutzbeauftragte mitteilt.
https://www.srf.ch/news/schweiz/hackerangriff-auf-bundesdaten-datenschuetzer-weitet-untersuchung-auf-it-unternehmen-xplain-aus
-> https://www.derbund.ch/schweizer-datenschuetzer-weitet-untersuchung-auf-xplain-aus-995213411237
-> Tagesschau: https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/datenschuetzer-weitet-untersuchung-auf-it-unternehmen-xplain-aus?urn=urn:srf:video:f0198867-20b2-4141-b4a9-86291727a3e4


+++POLICE BE
bernerzeitung.ch 14.07.2023

Bundesgericht rüffelt Kanton Bern: Sprayer landete zu Unrecht in DNA-Datenbank

Dass die Polizei von einem Sprayer ein DNA-Profil erstellt hat, geht dem höchsten Gericht zu weit. Die Berner Praxis wird nicht zum ersten Mal gerügt.

Michael Bucher

Ein Berner Sprayer hat vor dem höchsten Gericht im Land einen Erfolg erzielt. Der junge Mann war im Sommer 2021 einer illegalen Sprayaktion überführt worden. Die Busse akzeptierte er, nicht jedoch das weitere Vorgehen der Polizei. Diese nahm bei ihm einen Abstrich der Wangenschleimhaut vor und erstellte ein DNA-Profil. Einen derartigen Eingriff in die Grundrechte empfindet das Bundesgericht als übers Ziel hinausgeschossen, wie aus einem diese Woche publizierten Urteil hervorgeht.

Im konkreten Fall geht es um zwei «Tags». Dabei handelt es sich meist um einfarbige, kleinere Signaturen. Diese hatte der Sprayer in einer Nacht im August 2021 beim Berner Inselspital angebracht. Da der Mann mehr oder weniger in flagranti erwischt worden war, diente die DNA-Entnahme der Polizei nicht dazu, die konkrete Tat nachzuweisen. Viel eher sollte die Speicherung auf Vorrat eine präventive Wirkung entfalten.

Das ist grundsätzlich nicht verboten. Doch die Rechtsprechung setzt dem Erstellen von DNA-Profilen enge Grenzen. Nötig sind «erhebliche und konkrete Anhaltspunkte», dass die beschuldigte Person in andere – auch künftige – Delikte verwickelt sein könnte.

Zu wenig schweres Delikt

Die Berner Staatsanwaltschaft fand im vorliegenden Fall einen derartigen Eingriff gerechtfertigt. Zum einen, weil die Polizei angab, besagtes «Tag» sei auch an diversen anderen Orten in Bern zu sehen. Zum anderen, weil Polizeibeamte bei einer Hausdurchsuchung beim Beschuldigten Blätter und Hefte mit Graffiti fanden.

Weiter argumentiert die Staatsanwaltschaft damit, dass es sich bei Sprayern generell um notorische Täter handle, welche ihre Botschaften an möglichst vielen Orten platzieren wollten. Diese Pauschalaussage kritisiert der nicht vorbestrafte Sprayer. Das öffne bei Verdacht auf Sprayerei einer willkürlichen DNA-Praxis Tür und Tor. Auch könne man ihm nicht einfach so eine (Mit-)Schuld an anderen, gleichlautenden «Tags» geben. Es gebe schliesslich viele Sprayer in Bern.

Während sich das Berner Obergericht als Erstinstanz noch hinter die Staatsanwaltschaft stellte, kommt das Bundesgericht zu einem anderen Schluss. Der Hauptgrund: Ein Graffito an einer Mauer sei schlicht und einfach eine zu leichte Straftat, um eine jahrelange präventive DNA-Speicherung zu rechtfertigen. Viel eher müsse es sich um schwere Delikte handeln – etwa Einbruchdiebstähle oder Sexual- und Gewaltdelikte.

Der Sprayer und sein Anwalt kritisierten weiter, dass die Staatsanwaltschaft die Höhe des Sachschadens durch die zwei «Tags» mit insgesamt 4600 Franken deutlich zu hoch beziffert habe. Das eine befand sich an einer bereits stark versprayten Stützmauer beim Frauenspital, das andere an einer Sichtschutzwand einer Baustelle. Dass für die Entfernung von letzterem Kosten von 2000 Franken angegeben wurden, sei völlig überzogen und willkürlich – zumal es sich bloss um eine Schätzung der Polizei handle. Ein Schaden von «wenigen Hundert Franken» sei viel realistischer.

Zur Schadenshöhe äussert sich das Bundesgericht nicht. Denn selbst ein Schaden von 4600 Franken wäre zu wenig, um von einem schweren Delikt zu sprechen. Das Urteil dürfte es der Kantonspolizei also erschweren, künftig bei überführten Sprayern DNA-Profile zu erstellen.

Politisch motivierte Polizei?

Es ist indes nicht das erste Mal, dass die Berner Strafverfolger in dieser Hinsicht gerüffelt werden. Vor nicht langer Zeit war es der Polizei erlaubt, im grossen Stil DNA-Profile anzulegen. Die Staatsanwaltschaft hatte ihr dafür eine Generalverfügung ausgestellt. Dieser Praxis schob das Bundesgericht 2014 einen Riegel. Es fordert seither stattdessen die Prüfung eines jeden Einzelfalls. Bei dem Leitentscheid ging es um die DNA-Entnahme bei einer Aktivistin, die gemeinsam mit anderen an einem Asylsymposium an der Universität Bern einen Haufen Mist auf Tischen deponierte, um gegen die Asylpolitik zu protestieren.

Der Entscheid führte dazu, dass sich die Anzahl DNA-Entnahmen im Kanton Bern in den folgenden fünf Jahren von 2870 auf 1200 pro Jahr mehr als halbiert hat. Die Kantonspolizei beklagte bereits mehrfach, dass durch die höheren Hürden weniger Straftaten aufgeklärt werden könnten. Kritiker weisen jedoch darauf hin, dass trotz dieses massiven Rückgangs im gleichen Zeitraum die Spuren-Personen-Treffer mit 440 nahezu gleich hoch geblieben sind. Das zeige, dass die Polizei zuvor in ausuferndem Mass DNA-Proben entnommen habe.

Ein lauter Kritiker ist etwa der Berner Anwalt Stephan Schmidli. Er hat schon mehrere Personen vertreten, die von der Kantonspolizei zur DNA-Entnahme geladen wurden. Er wirft der Polizei vor, politisch motiviert vorzugehen. Diese versuche «bei jeder Gelegenheit», an die Daten von speziellen Gruppen zu kommen, meinte er vor ein paar Jahren gegenüber dieser Zeitung. Interessiert sei sie beispielsweise an Sprayern oder polizeikritischen Jugendlichen. Die Kantonspolizei bestreitet dies.
(https://www.bernerzeitung.ch/sprayer-landete-zu-unrecht-in-dna-datenbank-829999662470)
-> Urteil Bundesgericht: https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/aza/http/index.php?highlight_docid=aza://23-06-2023-1B_259-2022&lang=de&zoom=&type=show_document


+++POLIZEI GR
Bündner Kantonsgericht spricht Polizisten frei
Das Bündner Kantonsgericht hat einen Polizisten freigesprochen, der wegen Urkundenfälschung angeklagt war. Nach einem Polizeieinsatz gegen den Baukartell-Whistleblower Adam Quadroni, habe er entlastendes Material absichtlich nicht rapportiert, so der Vorwurf. Nun wurde er freigesprochen.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-ostschweiz/buendner-kantonsgericht-spricht-polizisten-frei?id=12419104


+++POLICE FRA
Journalist über die französische Polizei: „Wie eine Mafia“
Der Journalist Valentin Gendrot war monatelang undercover bei der französischen Polizei. Dort erlebte er gewalttätige Kollegen und eine Kultur des Schweigens.
https://taz.de/Journalist-ueber-die-franzoesische-Polizei/!5944686/


+++ANTI-WOKE-POPULISMUS
Beschluss des Rechtschreibrats Genderzeichen kein Kernbestand der Orthografie
Genderstern und Unterstrich sind auch künftig keine regulären Sprachzeichen im Deutschen. Der Rechtschreibrat schlägt aber eine Ergänzung des amtlichen Regelwerks im Abschnitt Sonderzeichen vor, in dem auch die Probleme benannt werden.
https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/genderzeichen-orthografie-100.html
-> https://www.nd-aktuell.de/artikel/1174769.gendersternchen-status-es-ist-kompliziert.html
-> https://www.jungfrauzeitung.ch/artikel/211802/
-> https://www.watson.ch/schweiz/gender/406004923-rat-fuer-deutsche-rechtschreibung-beraet-heute-ueber-das-gendern
-> https://www.blick.ch/politik/aber-amtliches-regelwerk-ergaenzen-rechtschreibe-rat-gegen-genderstern-pflicht-id18751030.html


+++RASSISMUS
Rassismus beim Namen nennen
Mitten im Sommerloch erhitzen sich die Gemüter – und das nicht nur aufgrund der heissen Temperaturen. Drei Monate vor den Eidgenössischen Wahlen im Oktober macht die SVP von sich reden. Ins Auge stechen einmal mehr Posts mit rassistischem Inhalt von der Schweizerischen Volkspartei selbst oder deren Vertretern auf Social Media. Ende Juni postete die SVP einen Tweet, nachdem muslimische Schweizer Soldaten anlässlich des islamischen Opferfestes Bayram ein Feldgebet abgehalten hätten. Es heisst: «Was kommt als Nächstes? Kinder-Ehen, Scharia-Gerichte, Steinigungen?» Kurzer Rückblick: Erst im Mai 2022 hat die Schweizer Armee erstmals Vertreter der jüdischen und muslimischen Religion als Armeeseelsorger aufgenommen – ein wichtiger Schritt, um die Religions-freiheit (Artikel 15 des Grundgesetzes) auch im Militär zu untermauern.
https://www.tachles.ch/artikel/standpunkte/rassismus-beim-namen-nennen


+++RECHTSPOPULISMUS
Wo sind in Deutschland die Islam-Experten?
Nach der Debatte über den Lebenslauf des vielzitierten Islam-Experten Ahmad Mansour stellen sich Fragen: Wo sind all die anderen in Deutschland ausgebildeten Islam-Fachleute? Und könnten sie helfen, die Diskussion über die Religion zu versachlichen?
https://www.br.de/nachrichten/kultur/wo-sind-in-deutschland-die-islam-experten,TjtkCnV


«Ein No-Go»: Mögliche SVP-Listenverbindung mit Corona-Skeptikern verärgert die FDP
Die FDP hält nichts von Listenverbindungen der SVP mit Bürgerbewegungen wie der Corona-Massnahmen-kritischen Mass-Voll. Zu solchen auf kantonaler Ebene hatte die SVP-Spitze am Donnerstag aufgerufen.
https://www.watson.ch/schweiz/fdp/595522901-moegliche-svp-listenverbindung-mit-corona-skeptikern-veraergert-die-fdp?utm_source=twitter&utm_medium=social-auto&utm_campaign=auto-share


Der steinige Weg der Corona-Skeptiker ins Parlament
Die Massnahmengegner möchten bei den Wahlen im Herbst antreten. Doch die erhofften Allianzen mit der SVP wird es kaum geben, und untereinander sind sie heillos zerstritten.
https://www.watson.ch/schweiz/wahlen%202023/991640321-zerstritten-und-zersplittert-corona-skeptiker-stehen-sich-selbst-im-weg


Bürgerliche Spaltung: Zwischen #Listenverbindung und #Sauhaufen
Wenn SVP-Exponent*innen mit Massnahmenkritiker*innen von Massvoll paktieren, ein SVP-Nationalrat mit einer Privatmiliz die Demokratie aushebeln will, und andere nur noch schäumend gegen Migrant*innen hetzen, ist es nicht verwunderlich, dass sich immer mehr bürgerliche Politiker*innen energisch von der SVP distanzieren. Ein analytischer Wochenrückblick.
https://bajour.ch/a/clk21c9gb8236172shzuewt5vvc/buergerliche-distanzieren-sich-von-svp



tagesanzeiger.ch 14.07.2023

Nationalratswahlen im Kanton Zürich: Wegen Mass-voll: FDP droht SVP mit Ausstieg aus Wahlpakt

Die Zürcher SVP will sich nicht von Nicolas Rimoldis Bewegung Mass-voll distanzieren. Die Listenpartnerin FDP reagiert genervt.

Pascal Unternährer

Das Karussell mit den Listenverbindungen ist im Kanton Zürich am Drehen. Und zwei grosse Partnerinnen sitzen mittendrin, wobei sich zeigt, dass sie unterschiedliche Interessen haben.

Im Juni hat der 60-köpfige Parteivorstand der Zürcher SVP beschlossen, mit der FDP eine Listenverbindung einzugehen – einstimmig. Das verwundert wenig, ist es doch ein stetiger Wunsch der Rechtspartei, mit der bürgerlichen Partnerin in die Wahlen zu gehen. Die FDP tat und tut sich jeweils schwerer mit der Partnerschaft. In den Wahljahren 2011, 2015 und 2019 wollten sich die Zürcher Freisinnigen nicht mit der SVP verbinden.

Die FDP ist nur exklusiv zu haben

Dieses Jahr fiel der Beschluss der FDP-Delegierten mit 82:81 Stimmen knappestmöglich aus, aber positiv, und er umfasst auch eine gegenseitige Unterstützung in den Ständeratswahlen. Was der Entscheid aber auch bedeutet, blieb bisher unbeachtet: Eine Verbindung mit weiteren Parteien oder Gruppierungen ist aus Sicht der Freisinnigen damit ausgeschlossen, wie Parteipräsident Hans-Jakob Boesch auf Anfrage erklärt.

Dies bedeutet, dass die FDP aussteigen würde, wenn sich die SVP mit der Gruppierung Mass-voll koppeln würde. Doch genau gegenüber einem solchen Pakt gibt sich die SVP nicht abgeneigt. So hat kürzlich die SVP Schweiz nochmals die Losung herausgegeben, dass sich die kantonalen Parteien mit möglichst vielen Partnern verbinden sollen – auch mit Mass-voll.

Der Zürcher SVP-Präsident Domenik Ledergerber hat schon vor Wochen dieser Redaktion bestätigt, dass er eine möglichst grosse bürgerliche Allianz anstrebt. Und auch jetzt will er Mass-voll nicht die Tür vor der Nase zuschlagen: «Mass-voll zieht bürgerlich denkende Wählerinnen und Wähler an. Wir sind der Meinung, wir sollten diese Stimmen bündeln.»

Der Ball liege nun bei Mass-voll, sagt Ledergerber. Wenn sie anklopfe, werde sich die SVP das Angebot anschauen. Natürlich wolle man zuerst die Mass-voll-Liste sehen, so der SVP-Präsident. Auch ein Verbund mit der EDU, die mit der SVP im Kantonsrat eine Fraktion bildet, ist für Ledergerber immer noch denkbar.

Im Zweifelsfall aber, so betont Ledergerber, ist der SVP die exklusive Listenverbindung mit der FDP am wichtigsten.

Die Aufregung um die Listenverbindungen nervt den FDP-Präsidenten Boesch. «Es ist nichts Neues, dass wir ein Zusammengehen mit Mass-voll ausschliessen.» Daran habe sich seit dem 20. Juni, dem Datum des DV-Beschlusses, nichts geändert. «Aus unserer Sicht ist die Diskussion gelaufen», sagt Boesch.

Mass-voll lässt alle zappeln

Offen für einen Verbund mit Mass-voll ist nach wie vor die Gruppe, die sich aus EDU, Aufrecht Zürich und den Schweizer Demokraten zusammensetzt. Allerdings lässt sie Mass-voll-Chef Nicolas Rimoldi zappeln. «Wir sind interessiert, doch konkret ist noch nichts», sagt EDU-Geschäftsführer Daniel Suter. Der Plan einer grösseren Listenverbindung zusätzlich mit der Freien Liste, den Piraten, den Libertären und Integrale Politik habe sich aber zerschlagen.

Nicolas Rimoldi selbst sagt auf Anfrage, Mass-voll habe sich in Zürich noch nicht entschieden. Die Optionen seien ein Verbund mit der SVP «wie voraussichtlich in Luzern und Schwyz» oder mit der Gruppe mit Aufrecht «wie in Bern». Ein Zusammengehen mit der FDP schliesst er aus.

Die Zeit drängt

Nun aber beginnen die Sommerferien, und die Zeit läuft. Bis zum 7. August, also in gut drei Wochen, müssen die Zürcher Parteien ihre Listen mit den Kandidierenden beim Kanton einreichen. Jene Parteien, die nicht im Nationalrat vertreten sind, müssen bis dann 400 gültige Unterschriften von wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürgern abgeben, was dem Vernehmen nach nicht allen leichtfällt.

Allerletzter Termin für die Meldung von Listenverbindungen ist der 21. August um 17 Uhr. Bis dann müssen die Partner ein Formular abgeben, das von allen Listenvertreterinnen und -vertretern unterschrieben ist.

Die Auslosung der Listennummern für die nicht im National- oder Kantonsrat vertretenen Zürcher Parteien und Gruppierungen findet am 17. August statt. Bereits verfügt sind folgende Nummern: 1 SVP, 2 SP, 3 Grüne, 4 GLP, 5 FDP, 6 Die Mitte, 7 EVP, 8 AL, 9 EDU.
(https://www.tagesanzeiger.ch/wegen-mass-voll-fdp-droht-svp-mit-ausstieg-aus-wahlpakt-966492169140)



luzernerzeitung.ch 14.07.2023

Die Luzerner SVP und «Mass-Voll» wollen bei den Nationalratswahlen eine Listenverbindung eingehen

Tritt «Mass-Voll» im Kanton Luzern zu den Nationalratswahlen an, kommt es sehr wahrscheinlich zum Schulterschluss mit der SVP. Dabei hätte sich die SVP gerne mit der FDP verbündet.

Lukas Nussbaumer

Überall, wo die Coronaskeptiker und Staatskritiker von «Mass-Voll» zu den Nationalratswahlen vom 22. Oktober antreten, werden sie mit der SVP in Verbindung gebracht, die im Kampf um Parlamentssitze krampfhaft Verbündete sucht. Im Aargau ist es beim Flirt geblieben, weil die FDP sonst nicht mit der Volkspartei kooperiert hätte. Auch die EDU als weiterer Teil der Verbindung zwischen SVP und FDP konnte sich ein Zusammengehen mit «Mass-Voll» nicht vorstellen.

Im Kanton Luzern ist die Ausgangslage eine andere, weil die FDP wie vor vier und acht Jahren mit der Mitte eine Listenverbindung eingehen will. Abhängig ist die Verlobung noch vom Segen der freisinnigen Basis, die sich am 24. August trifft. Ist damit der Weg frei für den Schulterschluss zwischen der bis jetzt ohne Partner dastehenden Luzerner SVP und «Mass-Voll»? Wohl schon, denn «Mass-Voll»-Präsident Nicolas Rimoldi sagt auf Anfrage: «Wenn wir antreten, ist eine Listenverbindung sehr wahrscheinlich.» Gespräche mit der SVP-Spitze hätten stattgefunden.

Chancen für Luzerner «Mass-Voll»-Liste bei 50 Prozent

Laut Rimoldi, der an seinem früheren Wohnort Luzern Mitglied der Jungfreisinnigen war und nach dem Umzug nach Zürich auch dort für den Nationalrat kandidiert, stehen die Chancen für eine «Mass-Voll»-Liste im Kanton Luzern derzeit «bei 50 Prozent. Der Entscheid fällt in ein bis zwei Wochen.» Ob «Mass-Voll» antrete, sei nicht abhängig von möglichen Kandidierenden, sondern von strategischen Überlegungen.

SVP-Präsidentin Angela Lüthold bestätigt die Gespräche mit «Mass-Voll» und bezeichnet eine Listenverbindung als «möglich». Schliesslich habe sich die Parteileitung von den Delegierten die Legitimation für Gespräche mit der SVP nahestehenden Parteien und Gruppierungen sowie für das Eingehen von Listenverbindungen geholt. Auch Nationalrat Franz Grüter, der Vorgänger von Lüthold an der SVP-Spitze, kann sich «ein Zusammengehen mit Mass-Voll vorstellen», wie er letzte Woche gegenüber unserer Zeitung sagte.

FDP-Präsidentin gab der SVP einen Korb

Sorgen, die Verbindung mit «Mass-Voll» könne der SVP wegen des polarisierenden Stils der Bewegung rund um Rimoldi schaden, macht sich Lüthold sehr wohl. «Es ist immer ein Abwägen, mit wem sich eine Partei verbündet.» Die Unternehmerin und Chefin der SVP-Kantonsratsfraktion sagt aber auch: «Man darf nicht vergessen, dass ‹Mass-Voll› jene Leute vertritt, die sich in der Corona-Zeit von den etablierten Parteien nicht mehr verstanden gefühlt haben.»

Ob sich SVP und «Mass-Voll» im Kanton Luzern finden, entscheidet sich an zwei Daten: Zuerst am 28. August um 12 Uhr, dem Eingabeschluss für die Wahlvorschläge der Nationalratswahlen. Ist «Mass-Voll» dannzumal dabei, bleibt für die Bekanntgabe von Listenverbindungen exakt eine weitere Woche Zeit.

Doch «Mass-Voll» hin oder her: Die Luzerner SVP hätte sich wie die Schwesterparteien in Zug, Zürich und dem Aargau gerne mit der FDP verbündet. «Wir hätten uns das sehr gut vorstellen können. Es haben deshalb schon früh und wiederholt Gespräche mit den Freisinnigen stattgefunden», bestätigt Lüthold. «Leider» habe FDP-Präsidentin Jacqueline Theiler dann das mitgeteilt, was immer im Raum gestanden habe: die Listenverbindung mit der Mitte. Immerhin: Legt die SVP bei den Nationalratswahlen im gleichen Ausmass zu wie bei den Kantonsratswahlen vom 2. April, könnte sie ihr 2019 verlorenes drittes Mandat in der grossen Kammer im Alleingang zurückholen.

Weitere Listenverbindungen ausser jener zwischen Mitte und FDP sind im Kanton Luzern noch keine fixiert. Sehr gut möglich ist jedoch wie 2019 ein Bündnis zwischen SP, Grünen und GLP.
(https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/kanton-luzern/eidgenoessische-wahlen-die-luzerner-svp-und-mass-voll-wollen-bei-den-nationalratswahlen-eine-listenverbindung-eingehen-ld.2488104)
-> https://www.20min.ch/story/listenverbindung-zwischen-svp-und-mass-voll-jetzt-doch-in-sicht-295566671297



tagblatt.ch 14.07.2023

Frank A. Meyer lobt plötzlich die SVP: Das Medienhaus Ringier flirtet mit der Rechten

Seit Jahrzehnten sind die Boulevardmedien des Ringier-Konzerns auf einem Mitte-links-Kurs. Nun preist Chefpublizist Frank A. Meyer eine Partei, an der er zuvor kein gutes Haar gelassen hatte: die SVP. Was steckt dahinter?

Francesco Benini

Es ist, als ob der Papst in einer neuen Enzyklika dem Glauben an Gott abgeschworen hätte. Frank A. Meyer, führender Publizist im Medienunternehmen Ringier, lobt in einer Kolumne die SVP, ausführlich.

Noch vor einem Monat hatte Meyer im «Sonntags-Blick» über die Volkspartei geschrieben, wie er es seit Jahrzehnten tut. Die SVP funktioniere «als Befehlsempfängerin ihres Besitzers» – also Christoph Blochers. Der «peinlichste Schreihals» der Partei, Nationalrat Roger Köppel, sende Propaganda-Selfies vom Roten Platz in Moskau. Weder Demokratie noch Moral zählten zu den «Kulturgütern» der SVP.

Nun trägt die Volkspartei plötzlich zur «Demokratie-Hygiene» in der Schweiz bei: Sie setze mit ihren «ungeschlachten Volksinitiativen» das «heisse Migrationsthema» immer wieder auf die Tagesordnung. Ein Thema, dem sich die anderen Parteien verweigerten. Die SVP sei darum «nützlich», schreibt Meyer.

Das Ehepaar Ringier ist angetan von Blochers Privatmuseum

Was ist los bei Ringier? Ist das Lob des Kolumnisten auf die SVP ein Fanal dafür, dass «Blick» und «Sonntags-Blick» von ihrem Mitte-links-Kurs abweichen? Orientiert sich der Boulevardkonzern nun nach rechts?

Fragt man Angestellte des Unternehmens, erhält man drei Antworten. Erstens: Mitarbeiter weisen darauf hin, dass sowohl Verleger Michael Ringier als auch seine Frau Ellen Ringier die private Kunstsammlung Christoph Blochers in Herrliberg besucht hätten. Beide seien angetan gewesen vom Museum, von den ausgestellten Werken Albert Ankers und Ferdinand Hodlers – und von der Führung Blochers durch die Sammlung. Michael Ringier publizierte im unternehmenseigenen Interviewmagazin ein Gespräch mit Blocher über seine Kunstwerke.

Frank A. Meyer sei der Stimmungswechsel der Ringiers gegenüber Blocher nicht entgangen – und den habe er jetzt publizistisch nachvollzogen. Schliesslich wisse der Publizist, wem er den aufwendigen Lebenswandel zu verdanken habe, den er in Berlin führt. Die Erinnerungen des Ehepaars Ringier an den Besuch im Privatmuseum würden aber bald verblassen. Dann bezeichne Meyer die SVP wieder als «Führerpartei».

Die zweite Gruppe hält diese Deutung für falsch. Sie betont, dass der Publizist mit den Jahren zunehmend nach rechts gerückt sei. Er schreibe kritisch über die Zuwanderung, kritisch nicht nur über den Islamismus, sondern auch den Islam. Mit den Grünen könne Meyer nichts anfangen, und «woke» Anwandlungen machten ihn nervös. Dass er nun die SVP rühme, passe in diese Entwicklung.

Mitarbeiter aus dieser Gruppe erwähnen, dass Gieri Cavelty als Chefredaktor des «Sonntags-Blicks» nach sechs Jahren abgetreten sei. Cavelty hielt das Blatt auf einer dezidiert linksökologischen Linie. Das trug zu einem imposanten Leserschwund bei – das Blatt schrieb an seinen Kunden vorbei, von denen viele in ländlichen, konservativ geprägten Regionen wohnen. Von Caveltys Nachfolger Reza Rafi sei nun eine Korrektur nach rechts zu erwarten.

Es könnte also sein, dass Ringier eine politische Justierung vornimmt. Lange Zeit kam die SVP in den Medien des Unternehmens grundsätzlich schlecht weg. Frank A. Meyer schalt die Partei beharrlich – und er erwähnte Blocher dabei nie mit Namen. Als könnten ihm die Finger abfallen, wenn er es täte.

Die dritte Gruppe schliesslich findet, dass man jetzt bloss kein Aufheben machen soll. Der Einfluss Meyers im Unternehmen habe abgenommen; es gebe Leute im Haus, die seine Telefonanrufe aus Berlin gezielt ignorierten.

Und der Einfluss der Boulevardblätter auf die Schweizer Politik sei ebenso geschwunden wie die verkauften Auflagen. Der Chef des Unternehmens, Marc Walder, hat die Digitalisierung vorangetrieben und gilt im Übrigen als unpolitischer Kopf. Die Dinge zu beeinflussen in Bundesbern, wie es Frank A. Meyer lange versuchte, das treibt Walder nicht um.

Frank A. Meyer freut sich über seine Biografie

Die dritte Gruppe unterstreicht, dass es etwas gebe, was für Frank A. Meyer wichtiger sei als die politische Ausrichtung des Medienkonzerns: Über ihn werde gerade eine Biografie geschrieben. Der Autor ist René Lüchinger, vormaliger Chefredaktor des «Blicks».

Lüchinger verfasste 2019 bereits das Buch «Ringen um Ringier», das von der geglückten Digitalstrategie des Unternehmens handelt. Nun ist einigen Angestellten im Unternehmen aufgefallen: Für seine neue Auftragsarbeit spreche der Autor nur mit Personen, die Frank A. Meyer gewogen seien. Weggefährten, die sich vom Publizisten entfremdet hätten, befrage Lüchinger hingegen nicht.

Man darf folglich eine Hagiografie erwarten. Vorgestellt werden soll sie an Meyers 80. Geburtstag, den er im kommenden Januar feiert. Für die Buchvernissage 2019 scheute Ringier keinen Aufwand: Im Zürcher Opernhaus lasen Gerhard Schröder und Urs Rohner aus «Ringen um Ringier» vor. Damit Frank A. Meyer eine angemessene Würdigung erfährt, muss das Medienunternehmen nun nach neuen Persönlichkeiten suchen. Das ist mindestens so wichtig wie die Frage, welche Positionen «Blick» und «Sonntags-Blick» in ihren Kommentaren vertreten.
(https://www.tagblatt.ch/schweiz/ringer-und-die-neue-naehe-zur-svp-ld.2488150)


+++HISTORY
Bührle-Sammlung gehackt
Ein Kunstkollektiv namens KKKK hat in der Bührle-Ausstellung in Zürich QR-Codes manipuliert. Laut Kunsthaus-Sprecher Björn Quellenberg sind vier dieser quadratischen Zeichenketten zu verschiedenen Werken betroffen, wie Keystone-SDA mitteilte. Wer die abgeänderten Codes aufruft, liest ungewohnt Kritisches, wie SRF Kultur am Dienstag berichtete. Die QR-Codes führen nicht auf die Provenienzforschung der Bührle-Stiftung, sondern auf die Homepage von KKKK.
https://www.tachles.ch/artikel/schweiz/buehrle-sammlung-gehackt