Medienspiegel 4. Juli 2023

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/

+++AARGAU
Zwei Aargauer Schülerinnen auf dem Schulweg abgefangen und ausgeschafft – das ist passiert
Von einem Tag auf den anderen sind sie nicht mehr in der Schule aufgetaucht. Zwei Schwestern wurden in Reinach AG auf dem Schulweg von der Polizei angehalten und noch am selben Tag nach Sri Lanka ausgeschafft. Die Schule ist schockiert darüber und sammelt nun Spenden, um den Mädchen zu helfen.
https://www.watson.ch/schweiz/schule%20-%20bildung/359673076-abgefangen-und-ausgeschafft-das-ist-zwei-schuelerinnen-passiert?utm_source=twitter&utm_medium=social-auto&utm_campaign=auto-share
-> https://www.20min.ch/story/auf-dem-schulweg-von-der-polizei-abgefangen-jasmy-und-rushana-wurden-ausgeschafft-470910045343?version=1688465461502
-> https://www.20min.ch/story/aeusserst-fragwuerdig-polizei-wegen-schulweg-aktion-in-der-kritik-375465584854


+++ST. GALLEN
tagblatt.ch 04.07.2023

Solidaritätshaus – Wohnhaus für Flüchtlinge, Wiese als Quartiertreff für alle: Das Vermächtnis eines weltoffenen Rorschachers

Im früheren Haus von Max Schär (1943–2018) beim Stadtbahnhof Rorschach wohnen gemäss seinem letzten Willen nun Flüchtlinge, den Garten nutzen Solihaus und Stadt als Begegnungsort. Nebenan führte Schärs Grossmutter eine Volksküche.

Marcel Elsener

«Nun bin ich tatsächlich gestorben», schrieb Max Schär am 15. Juni 2018 in seiner Todesanzeige und dankte für ein «gutes, spannungs- und erfahrungsreiches, liebevolles, sinnerfülltes Leben». Statt Spenden möge man sich «am besten einen schönen Tag machen».

Die Zeilen geben einen Hinweis auf den spitzbübischen Humor und die leutselige Art des bekannten Rorschacher Lehrers, Historikers und evangelischen Pfarrers: Schär hatte Deutsch, Geschichte, Latein, Philosophie oder Religion an den Kantonsschulen St.Gallen, Romanshorn, Wil und am Lehrerseminar Rorschach unterrichtet. Als Sozialdemokrat wirkte er im Gemeinderat Rorschach und am Bezirksgericht. Und er profilierte sich in der Heiligenforschung mit viel beachteten Arbeiten über Gallus, Kolumban, Otmar oder Wiborada.

Die Todesanzeige hatte er bereits im August 2017 verfasst und im Herbst sein Erbe geregelt: Der unverheiratete und kinderlose Menschenfreund vermachte sein Grundstück mit Wohnhaus, Nebenhaus und Wiese dem St.Galler Verein Solidaritätshaus. Dabei verfügte er, dass die Häuser von Flüchtlingen bewohnt und der Garten ein Ort der Begegnung werden sollten.

Ein grossartiges Geschenk, aber auch eine Herausforderung, wie der Verein feststellte. Allein die Sichtung der riesigen Bibliothek und der Sammlungen des Professors sowie seiner langjährigen Haushälterin Ottilia Boos (die er im persönlichen Lebensbuch «Herzfehler» würdigte) bedeutete mehrere Monate Arbeit. Zwar behändigten Freunde einige Bücher und gingen besondere Stücke ans Staatsarchiv und ans Frauenarchiv Ostschweiz, doch fanden sich für den Grossteil der Bibliothek keine Abnehmer.

Syrische Familie aus Resettlement-Programm

Fünf Jahre später sind die Wünsche Schärs in Erfüllung gegangen: Seit 2020 bewohnt eine siebenköpfige syrische Familie die oberen Geschosse des Wohnhauses, im Untergeschoss ist ein Flüchtling aus Äthiopien eingezogen. Betreut wird die Familie vom städtischen Sozialamt, das sich beim Kanton für das Resettlement-Programm des Bundes empfahl – also für die Aufnahme einer Gruppe schutzbedürftiger Flüchtlinge, die dauerhaft in der Schweiz bleiben können. Dies, obwohl die Stadt Rorschach das Zuweisungs-Soll der St.Galler Gemeinden aufgrund natürlicher Zuwanderung stets «überfüllt».

Die Integration der Familie ist laut Stadträtin Ariane Thür Wenger auf gutem Weg, auch dank der Sprachkurse und anderer Angebote des Quartiertreffs der Fachstelle Gesellschaft und des Solihauses; ein Sohn hat die Integrationsvorlehre abgeschlossen und beginnt nun die Lehre zum Elektromonteur EFZ. Zum Wohnhaus gehört auch ein Gemüsegarten, wo die Familie unter anderem Mais angepflanzt hat.

Wiese als Begegnungsort und Gartenschulzimmer

Das Netzwerk rund um das Grundstück von Max Schär entwickle sich ähnlich wie die Natur und die Nutzung des Gartens, erklären Ursula Surber und Felix Gemperle namens des Solihaus-Vereins. «Dank einer idealen Zusammenarbeit mit der Stadt und der Quartierkoordination konnte ein einmaliger Begegnungsort geschaffen werden.» Die Stadt hat dafür die angrenzende Parzelle unmittelbar beim Stadtbahnhof der SBB, wo einst ein Kindergarten stand, zur Verfügung gestellt. Solihaus- und Quartierverein, Frauencafé, Deutschkurs- und andere Gruppen des aus dem Projet urbain gewachsenen Quartiertreffs sowie öffentliche Schulen dürfen die Anlage uneingeschränkt und unentgeltlich nutzen; andere Vereine sowie Privatpersonen können sie für einen bescheidenen Beitrag mieten.

Welchen Platz die da und dort bereits «Soliwiese» genannte Grünfläche einnehmen könnte, zeigte sich am Samstag am gut besuchten Quartierfest inklusive Rangverkündigung eines Street-Soccer-Juniorenturniers auf dem Marktplatz. Angestrebt wird ein Begegnungsort für die ganze, migrantisch geprägte Rorschacher Bevölkerung, aber auch ein natürliches Schulzimmer: Die zugunsten der Biodiversität mit «Gewürzhügeln» und Schotterflächen versehene Magerwiese dient ab dem nächsten Schuljahr als Aussenschulraum, quasi als «Gartenschulzimmer», mitsamt einer geplanten «Forscherkiste» des Stadtgärtners und eines Öko-WCs. Natürlicher Anschauungsunterricht in einer idyllischen Stadtoase inmitten mehrerer Entwicklungsgebiete mit Um- und Neubauprojekten zur Verdichtung – namentlich des nahen Feldmühle-Areals.

Sozial engagierte Grossmutter betrieb «Volksküche»

Den Einfluss der benachbarten Feldmühle, in den 1910er-Jahren mit über 2700 Mitarbeitenden die grösste Stickereifabrik der Welt, auf die damalige Industriestadt und speziell auf das Schär’sche Grundstück beleuchtet eine feine, kleine Ausstellung im ehemaligen Waschhaus. Das wegen seiner «Laubsägenfassade» im Heimatstil bekannte Häuschen diente Schärs Onkel, einem Klavierstimmer und Instrumentenbauer, einst als Musikalienhandlung, später waren darin ein Atelier für Lichtpausen, ein Kopiergeschäft und ein Secondhand-Kleiderladen untergebracht. Ursula Surber und Hildegard Salzgeber vom Solihaus haben dort aus Fotografien, Postkarten und anderen Fundstücken aus dem Nachlass des Professors eine ehrende und informative Dokumentation eingerichtet; der St.Galler Journalist und Historiker Peter Stahlberger verfasste zu den Häusern eine Chronik.

Ausgangspunkt für Max Schärs (Haus-)Geschichte ist seine Grossmutter mütterlicherseits Marie Brunner-Bollinger (1878–1947): Sie wohnte und betrieb nebenan am Sonnenweg über 30 Jahre lang die «Sonne», bekannt als «Volksküche Rorschach», wo arme Leute für wenig Geld Speis und Trank bekamen («Mittagessen zu 65 und 80 Cts., Nachtessen zu 60 Cts.») – ein sozialer und geselliger Ort, wie eindrückliche Fotos belegen. 1932 erwarb sie schräg vis-à-vis die Häuser Löwenstrasse 7 und 7a, wo ihre Tochter mit ihrem Mann einzog. Vater Schär arbeitete allerdings nicht in der Feldmühle, sondern in den ebenfalls international bedeutenden Aluminiumwerken (heute «Stadtwald»-Hochhäuser).

Wohl entsprach Max Schärs Weltoffenheit und Grosszügigkeit auch dem Geist seiner Grossmutter: Die heutige Nutzung ihrer Grundstücke besonders für Migranten und Migrantinnen und die Grüninsel des Begegnungsplatzes für alle knüpft an die seit jeher von Einwanderung geprägte Geschichte der Industriestadt an. Einer Stadt, die mit der neuen Stadtregierung ihre «Schrauben anders gestellt» habe, wie SP-Stadträtin Thür Wenger sagt – mit einer freundlichen Hinwendung an die zugewanderten Menschen, früher aus Italien, Spanien, Portugal oder Ex-Jugoslawien, jüngst aus der Türkei, aus Syrien, Afghanistan oder Eritrea. Und zur Belebung einer Stadt, die sich nach längerem Niedergang wieder als fortschrittliche «Hafenstadt von Welt» begreift, wie die «Wochenzeitung» unlängst ihre Reportage über die Gemeinde mit Ausländeranteil von über 50 Prozent betitelte.
(https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/ressort-ostschweiz/solidaritaetshaus-wohnhaus-fuer-fluechtlinge-wiese-als-quartiertreff-fuer-alle-das-vermaechtnis-eines-weltoffenen-rorschachers-ld.2484133)


+++SCHWEIZ
Urteil des EMGR in Strassburg: Schweiz verwehrt Flüchtlingen zu Unrecht Familiennachzug
Der Europäische Gerichtshof hat mit einem Urteil gegen die Praxis des Bundes entschieden. Dieser habe die Achtung des Familienlebens verletzt.
https://www.derbund.ch/schweiz-verwehrt-fluechtlingen-zu-unrecht-familiennachzug-769505019604
-> https://www.blick.ch/schweiz/urteil-von-europaeischem-gerichtshof-familiennachzug-bei-vorlaeufig-aufgenommenen-zu-unrecht-verwehrt-id18721448.html
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/emgr-in-strassburg-urteil-schweiz-verwehrt-fluechtlingen-den-familiennachzug


Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider: «Die Asylzahlen steigen im Herbst, doch es wird kein Asylchaos geben»
SP-Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider hat am Dienstag den Newsroom von CH Media besucht. Im Interview wagt sie einen Ausblick auf den Asylherbst und verrät, für wie viele Menschen die Schweiz Platz hat.
https://www.tagblatt.ch/schweiz/interview-bundesraetin-elisabeth-baume-schneider-die-asylzahlen-steigen-im-herbst-doch-es-wird-kein-asylchaos-geben-ld.2484046


+++EUROPA
Frontex bereitet massenhafte Abschiebungen vor
Frontex soll die EU-Staaten bei „Rückführungen“ und Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber*innen in ihre Herkunftsländer oder auch in Drittstaaten außerhalb Europas stärker unterstützen. Seit ihrer 2019 erneuerten Verordnung hat die Agenur am eigenen Sitz in Warschau ein „Europäisches Rückkehrzentrum“ eingerichtet. Im Corona-Jahr 2020 brachte Frontex rund 12.000 Menschen in Drittstaaten, 2021 bereits 18.000 und im vergangenen Jahr rund 25.000. Die freiwillige Rückkehr ist laut Frontex die „bevorzugte Form“, dies sei aber nur bei 40 Prozent der Betroffenen der Fall.[1] Alle anderen „Rückführungen“ erfolgen unter Zwang. Zwei Drittel der Betroffenen werden mit Linienflügen aus der EU geschafft und ein Drittel mit Charterflügen. [2] Mit Abstand die meisten erfolgen jeweils aus nur einem Mitgliedstaat, in geringerem Umfang auch als „gemeinsame Rückführungen“ aus drei oder mehr Mitgliedstaaten. Möglich sind zudem Sammelflüge, bei denen die Menschen vom Zielland selbst abgeholt werden. Im zweiten Halbjahr 2022 wurden derartige „Rückholflüge“ mithilfe von Deutschland und Frankreich organisiert.
https://www.cilip.de/2023/07/02/frontex-bereitet-massenhafte-abschiebungen-vor/


Eine Million Asylanträge 2022 – Deutlicher Anstieg
In den sogenannten EU+-Ländern haben im vergangenen Jahr rund eine Million Menschen Asyl beantragt – im Vergleich zu 2021 sei es ein Anstieg um die 50 Prozent.
https://www.nau.ch/news/europa/eine-million-asylantrage-2022-deutlicher-anstieg-66536643


Undurchsichtig – das EU-Geld zum Fernhalten von Migranten
Die EU verfolgt bei der Steuerung der Migrationsströme eine Politik der Externalisierung. Das zeigt die Absichtserklärung, die die EU-Kommission demnächst mit der Regierung Tunesiens unterzeichnen wird.
https://de.euronews.com/my-europe/2023/07/04/undurchsichtig-das-eu-geld-zum-fernhalten-von-migranten


+++FREIRÄUME
Pressemitteilung: Wohnraum verteidigen
Was heute geschah:
Die sieben selbstverwalteten Stefanini-Häuser in und um Winterthur waren heute abend von der Stefanini-Immobilien- und Kunststiftung SKKG vorgeladen worden, um zu erfahren, was die SKKG in Zukunft mit unseren Zuhause vor hat.
https://wohnraumverteidigen.noblogs.org/post/2023/07/04/pressemitteilung-wohnraum-verteidigen/



tagesanzeiger.ch 04.07.2023

Besetztes Haus in Winterthur: Die «Gisi» verschwindet aus der Altstadt

Nach über 25 Jahren müssen die Bewohnenden des bekanntesten besetzten Hauses der Stadt ausziehen. Die Stefanini-Stiftung will sanieren und plant Wohnungen und Raum für Gewerbe.

Till Hirsekorn, Delia Bachmann

Die Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte (SKKG), besser bekannt als Stefanini-Stiftung, hat am Dienstag ihre Pläne für die sieben besetzten Häuser in ihrem Immobilien-Portfolio vorgestellt. In der Stadt sind es sechs, dazu kommt eines in Elgg. Der Konflikt mit dem Kollektiv der Besetzerinnen und Besetzer schwelt schon seit Jahren, eine Lösung schien nicht in Sicht. Darum erklärte SKKG-Präsidentin Bettina Stefanini das Thema vor knapp zwei Jahren zur Chefinnen-Sache. Nun hat der Stiftungsrat entschieden, wie es mit den einzelnen Liegenschaften weitergeht.

Drei Häuser stehen vor der Auflösung. Sie sollen in den nächsten Jahren saniert werden, um Platz für «Wohnungen und zusätzlichen Gewerberaum» zu schaffen. Das bekannteste betroffene Haus ist die «Gisi», eingeklemmt im Altstadtring zwischen General-Guisan-Strasse und Neustadtgasse. Baubeginn ist laut der Stiftung frühestens Ende 2025. «Dann werden die Besetzungen enden, die von der Terresta teilweise über 20 Jahre lang toleriert wurden», schreibt die SKKG in ihrer Mitteilung. Der genaue Termin werde den Besetzerinnen und Besetzern ein Jahr im Voraus bekannt gegeben.

Die «Gisi» wurde 1997 besetzt. Letzten Herbst fand das «25-Jahre-GGS31»-Fest mit Party und Konzerten statt. Jeden Donnerstag ist zudem die «Gisi»-Bar geöffnet. In den letzten Jahren hatten sich die Konflikte mit der Nachbarschaft wegen Lärmklagen zugespitzt. Zuletzt sammelten Anwohnende gar Unterschriften für eine Petition. Das Haus an der General-Guisan-Strasse 31 befindet sich im kommunalen Inventar der schutzwürdigen Bauten. Mit der geplanten Renovation wollen SKKG und Terresta ein Baudenkmal sichern und erhalten. «Da wir im Moment keinen Zugang zum Objekt haben, können wir noch nicht sagen, welche Bauteile wertvoll sein können», sagt Stefan Angele, Bereichsleiter Bewirtschaftung und Services bei Terresta.
Vier Kollektive dürfen bleiben

Saniert werden sollen auch die besetzten Häuser an der Schaffhauserstrasse 62 im Rosenbergquartier sowie jenes an der Zürcherstrasse 117, keine hundert Meter vom Zentrum Töss entfernt. Auch dort soll die SKKG-Tochterfirma Terresta neue Wohnungen sowie Gewerberaum schaffen.

Andere Pläne hat die Stiftung für die Häuser an der Zürcherstrasse 206 in Töss und an der Bürglistrasse 31 im Quartier Blumenau. Dort will die SKKG Nutzungsverträge ausarbeiten, um die Situation neu zu regeln und zu legalisieren. Auch den Bewohnenden der Liegenschaft in Elgg habe man den «Dialog angeboten», schreibt die Stiftung. In einem Fall – der Liegenschaft in der Aussenwacht Stadel – sei sogar schon ein entsprechender Vertrag unterzeichnet.

Während die einen Besetzungen ein Ablaufdatum erhalten, dürfen andere Bewohnende bleiben. Die Frage nach dem Warum beantwortet Angele von der Terresta mit den Eigenheiten der einzelnen Liegenschaften: «Die Häuser unterscheiden sich in Bezug auf ihren Zustand, ihre Lage und ihr Potenzial für neue Wohnungen.» Er räumt ein, dass auch die Lärmklagen aus der Nachbarschaft einen Einfluss hatten. Angele spricht von einer «fairen Lösung», da weiterhin günstige Wohnungen vorgesehen seien. Der Inhalt der verbleibenden Nutzungsverträge werde im Dialog mit den Bewohnenden ausgelotet.
«Häuservernetzung» spricht von «Kuhhandel»

Die Bewohnenden der besetzten Häuser haben sich im Kollektiv Häuservernetzung Winterthur zusammengetan. Am Montagabend hat die Stefanini-Stiftung die Betroffenen über ihre Pläne informiert. Laut dem Kollektiv waren über 70 Personen vor Ort: «Die SKKG hat jegliche Form von Dialog und Verhandlung verweigert. Sie ist an keiner guten Lösung interessiert, sondern setzt auf Vetreibung und Gewalt», schreibt es am Tag danach in einer Mitteilung.

Die selbstverwalteten Häuser seien zum Zeitpunkt des Einzugs in einem desolaten Zustand gewesen. Bei den drei Häusern, die ab 2025 geräumt werden, handle es sich um jene, die am längsten von ihnen in Stand gesetzt und bewohnt worden seien: «Es sind unsere Zuhause und vielfältiger Wohn- und Kulturraum für viele.» Die Kritik der Besetzenden ist aber auch grundsätzlicher Natur: «Inmitten einer akuten Wohnungsnot sollen viele Leute, die wenig haben, obdachlos gemacht und günstiger Wohnraum zerstört werden.»

Der vorläufigen Weiternutzung der vier anderen Häuser durch mittel- bis langfristige Verträge traut das Kollektiv nicht über den Weg und spricht von einem Kuhhandel: «Bisher waren die Verträge, die die SKKG vorschlug, einzig repressiv und nie langfristig», heisst es in der Mitteilung. Es ist auch die Rede von «nicht eingehaltenen Abmachungen». Der Vorschlag des Kollektivs war eine Übernahme der Häuser in einem Baurechtsvertrag.
ZT –

Die Besetzerinnen und Besetzer haben sich im Kollektiv Häuservernetzung Winterthur zusammengetan und gaben sich stets kämpferisch. Sie demonstrierten mehrmals vor dem Sulzer-Hochhaus, dem Sitz der SKKG. Zuletzt fand am Pfingstwochenende im Stadtzentrum ein Demo-Umzug unter dem Motto «Oisi Stadt» statt, an dem gegen 250 Personen teilnahmen. Danach fanden im Alten Busdepot Deutweg während dreier Tage Workshops statt. Das Motto dort: «Solidarität statt Vertreibung – Gemeinsam gegen die kapitalistische Aufwertung unserer Städte!»

Bislang hatte das Kollektiv der Terresta jeweils sogenannte Gebrauchsleihverträge vorgeschlagen. Heisst: Die Nutzung ist gratis, den Unterhalt zahlen die Bewohnerinnen und Bewohner. Knackpunkt war jeweils die Vertragsfrist. Das Kollektiv lehnte die Verträge mit einer Lauffrist «von einem oder maximal drei Jahren» ab. Sie beharren auf Baurechtsverträgen für die Grundstücke über dreissig Jahre und dem Verkauf der Häuser zu einem symbolischen Preis.

Laut der SKKG wurde die «Häuservernetzung Winterthur» am Montagabend in einer geschlossenen Veranstaltung über die Pläne informiert: «Früh und aus erster Hand, das war uns wichtig», sagt Angele dazu. Wie das Kollektiv auf die Pläne reagieren will, ist offen. Es will dazu in einem Communiqué Stellung nehmen. Im Februar schrieb es auf der eigenen Webseite: «Wir sagen, d’Strasse und d’Hüüser sind eus! Wir organisieren uns solidarisch gegen Angriffe von oben, gegen Repression & Vertreibung.»
(https://www.tagesanzeiger.ch/die-gisi-verschwindet-aus-der-altstadt-637763211238)
-> https://www.toponline.ch/news/winterthur/detail/news/nach-25-jahren-muss-die-gisi-in-winterthur-weichen-00215922/
-> https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/zuerich/besetzungen-nach-25-jahren-muss-die-gisi-in-winterthur-weichen-ld.2483946
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/das-aelteste-besetzte-haus-in-winterthur-wird-saniert?id=12414811
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/nach-gubrist-eroeffnung-diese-strassenprojekte-werden-zentraler?id=12414661 (ab 03:21)



landbote.ch 03.07.2023

Besetztes Haus in Winterthur: Petition gegen den Partylärm der «Gisi»

Im besetzten Haus im Altstadtring steigen laute Partys, ohne dass die Polizei interveniert. Eine Nachbarin beklagt die allgemeine Untätigkeit und ist mit ihrem Ärger nicht allein.

Delia Bachmann

Eva Ashinze hält ihn nicht mehr aus, den Lärm. Die Anwältin und frühere «Landbote»-Kolumnistin wohnt mit ihrer Familie in der Neustadtgasse. Gleich gegenüber der «Gisi», dem ältesten besetzten Haus der Stadt. Seit 1997 prangen Parolen wie «Freiräume verteidigen» am Gebäude an der General-Guisan-Strasse 31. Besonders laut wird es in den Partynächten im Hinterhof, der direkt vor Ashinzes Stubenfenster liegt. Hinzu kämen Sprayereien und teils auch Abfall wie leere Bierflaschen. Gefeiert wurde schon immer in der «Gisi». Das Konzertarchiv auf der hauseigenen Website reicht bis 2007 zurück. Doch laut Ashinze hat sich die Situation in letzter Zeit massiv verschlimmert.

Die Partys folgen laut Ashinze keinem fixen Rhythmus: «Mal ist es an drei Wochenenden hintereinander laut, dann ist wieder ein Monat ruhig.» Dazu kämen regelmässige Anlässe wie die wöchentliche «Gisi»-Bar. Schlafen könne die 47-Jährige, wenn eine laute Party stattfindet, nur dank einem White-Noise-Gerät, das beruhigendes Rauschen abspiele und den Lärm überlagere. Auch die Kinder, der Hund und die Katze würden unter der nächtlichen Ruhestörung leiden. Ashinze hat den Lärm auf ihrem Handy aufgenommen. Auf den Aufnahmen sind wummernde Bässe und lautes Stimmengewirr zu hören.

Die Petition

Letztes Jahr habe sie bei der «Gisi» persönlich wegen des Lärms reklamiert: «Die Anwesenden dankten mir dafür, dass ich selbst vorbeigekommen bin, stellten die Musik aber nicht leiser», so Ashinze. Im Hinterhof seien ein Mischpult und Musikboxen aufgebaut gewesen. Wer alles in der «Gisi» wohnt, wisse sie nicht. Sie erkenne zwei, drei Personen, die sie aber nicht grüssten: «Wir sind wahrscheinlich der Klassenfeind.» Mit der Besetzung per se habe sie kein Problem, doch auch die Nachbarn sollen in Ruhe leben können: «Ich habe beruflich mit Leuten zu tun, die wirklich wenig Geld haben, und bin absolut für bezahlbaren Wohnraum», sagt Ashinze. Allerdings bezweifle sie, dass die Besetzer wirklich zu den Bedürftigen gehörten.

Mit ihrem Ärger ist Ashinze nicht allein. 14 Personen aus der nächsten Nachbarschaft haben eine Petition unterschrieben, die ein Ende der Lärmemissionen fordert. Darunter eine Person, die Fenster mit Lärmschutz einbauen liess. Es gibt aber auch andere Stimmen, wie eine Umfrage in der Nachbarschaft zeigt: «Die bringen auch etwas Farbe hier rein», sagt ein Mann, der sich nicht am Lärm stört. Und: «Frau Stefanini soll ihnen das Haus schenken.» Ein anderer sagt, er lebe seit 40 Jahren im Quartier: «Die ‹Gisi› ist insgesamt ruhiger geworden, nur an einzelnen Partynächten ist es sehr laut.»

Das Ultimatum

Das Haus an der General-Guisan-Strasse 31 gehört zum Immobilien­portfolio der Terresta. Diese verwaltet die Liegenschaften der Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte, darunter mehrere besetzte Häuser. In den letzten zwei Jahren habe Ashinze der Eigentümerin etliche und zunehmend verzweifelte Mails geschrieben: «Wir erwarten bis Ende Juli einen konkreten Vorschlag, wie es weitergehen soll, sodass auch wir wieder in Ruhe leben und schlafen können», schreibt sie in einem Mail. Andernfalls werde man einen Anwalt einschalten: «Eine weitere Vertröstung ist nicht mehr angebracht.» Lieber wäre Ashinze aber ein runder Tisch: «Ich möchte eine Lösung, die für alle funktioniert.»

In früheren Mails antwortete Stefan Angele, Bereichsleiter Bewirtschaftung und Services bei der Terresta, jeweils, dass man Konzepte für die «in mehrfacher Hinsicht unbefriedigende Situation» erarbeite und die Rückmeldungen aus der Nachbarschaft einfliessen lasse. Inzwischen hat die Stefanini-Stiftung entschieden, wie es mit den besetzten Häusern weitergeht. Den Entscheid will sie am Dienstag der Öffentlichkeit kommunizieren.

Die Rolle der Polizei

Dass die Stadtpolizei bei lauten Partys in der «Gisi» nicht eingreift, ist schon seit Jahren so. «Inzwischen rufe ich wie viele andere gar nicht mehr an», sagt Ashinze. Bei einem früheren Anruf hiess es, sie solle selbst vorbeigehen und wegen des Lärms reklamieren. Einer Nachbarin habe die Polizei bei einem Anruf gesagt, dass sie befürchte, dass sonst der Schwarze Block aus Zürich komme. Nur ein einziges Mal habe sie beobachtet, dass die Polizei zu dritt vorbeikam, etwas in den Hinterhof rief und wieder wegfuhr.

Die geschilderten Vorfälle kann Michel Wirz, Sprecher der Stadtpolizei, ohne nähere Angaben weder bestätigen noch dementieren. Er betont aber, wie wichtig das Prinzip der Verhältnismässigkeit in der Polizeiarbeit sei: «Wenn das polizeiliche Einschreiten bei einer Übertretung eine gewalttätige Eskalation auslösen würde, verzichten wir unter Umständen auf eine sofortige Intervention.» Die Häuserbesetzerszene schätze er nicht per se als gefährlich ein: «Es kann aber zu Vermischungen mit gewaltbereiten Personen zum Beispiel aus der linksautonomen Szene kommen.» Dieses Jahr habe es erst zwei Lärmklagen gegeben, was unauffällig sei.

Im Oktober 2021 wandte sich Ashinze direkt ans Departement der zuständigen Stadträtin Katrin Cometta (GLP). Diese wies den Vorwurf zurück, dass Winterthur zum rechtsfreien Raum werde und die Stadtpolizei bei Beschwerden nichts unternehme: «Die Eskalations­bereitschaft der Hausbesetzenden ist hoch. Dementsprechend heikel sind polizeiliche Interventionen, die im Rahmen der Verhältnismässigkeit auszufallen haben», antwortete sie. An ihrer Haltung habe sich nichts geändert, sagt Cometta auf Anfrage – die Situation sei stabil geblieben.
(https://www.landbote.ch/petition-gegen-den-partylaerm-der-gisi-640092160252)


+++GASSE
Contact-Drogenbericht: Wurmmittel in jeder vierten Berner Kokain-Probe
Wer Kokain konsumiert, führt seinem Körper nicht nur die Droge zu, sondern oft auch ein Entwurmungsmittel aus der Tiermedizin. Dies wird zum Strecken der Droge verwendet.
https://www.derbund.ch/wurmmittel-in-jeder-vierten-berner-kokain-probe-857547879472
-> DrugChecking-Auswertung: https://www.raveitsafe.ch/auswertung-drug-checking-fast-drei-viertel-der-getesteten-substanzen-sind-stimulanzien/
-> https://www.blick.ch/schweiz/bern/ergebnis-aus-1432-proben-in-einem-viertel-des-berner-koks-steckt-wurmmittel-id18721590.html
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/komplexe-planung-wie-1400-polizisten-am-selben-standort-arbeiten?id=12414943 (ab 02:08)
-> https://www.baerntoday.ch/bern/stadt-bern/wurmmittel-in-jeder-vierten-berner-kokain-probe-2021-wars-noch-mehr-152331813


+++SEXWORK
La Strada feiert sein 20-jähriges Bestehen
Im Jahr 2023 wird La Strada, die niederschwellige Anlaufstelle von CONTACT für suchtgefährdete Sexarbeiterinnen, 20 Jahre alt.
https://www.contact-suchthilfe.ch/la-strada-feiert-50-jaehriges-bestehen/
-> Rabe-Info: https://rabe.ch/2023/07/04/20-jahre-la-strada/


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
„Video in Solidarität mit den Aufständen in Frankreich. Rache und Gerechtigkeit für alle Opfer von Polizeigewalt! #emeutes #nahel #ACAB“
(https://twitter.com/lotta_basel/status/1675898811154046976)


Nach Lausanne: Ausschreitungen seien in Bern «nicht auszuschliessen»
Nach den Ausschreitungen in Frankreich nach dem Tod eines 17-Jährigen kam es am Wochenende auch in Lausanne zu Auseinandersetzungen von Jugendlichen mit der Polizei. Auch in Bern gab es in der Vergangenheit mehrere Beispiele von Polizeigewalt.
https://www.baerntoday.ch/bern/stadt-bern/ausschreitungen-seien-in-bern-nicht-auszuschliessen-152321295


Während fünf Tagen: Tausende Anarchisten treffen sich im Berner Jura
Mehrere tausend Anarchistinnen und Anarchisten werden ab dem 19. Juli in St-Imier erwartet. Das Städtchen im Berner Jura gilt als Wiege der anarchistischen Bewegung, denn hier ging 1872 die erste Antiautoritäre Internationale über die Bühne.
https://www.baerntoday.ch/bern/region-bern/tausende-anarchisten-treffen-sich-im-berner-jura-152330339


Veloumzug in Zürich – FDP bekommt recht: Critical Mass braucht Bewilligung
Die Zürcher Stadtpolizei hat den regelmässigen Veloumzug durch die Innenstadt gewähren lassen. Zum Ärger der Bürgerlichen. Nun bekommen diese Rückendeckung.
https://www.tagesanzeiger.ch/fdp-bekommt-recht-critical-mass-braucht-bewilligung-666033261011
-> https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/zuerich/velo-velodemo-critical-mass-braucht-kuenftig-bewilligung-der-stadt-zuerich-ld.2484010
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/der-velo-umzug-critical-mass-braucht-kuenftig-eine-bewilligung?id=12414958 (ab
-> https://www.blick.ch/schweiz/zuerich/schluss-mit-illegaler-velodemo-critical-mass-braucht-kuenftig-bewilligung-der-stadt-zuerich-id18722112.html
-> https://tv.telezueri.ch/zuerinews/velo-demo-critical-mass-ist-bewilligungspflichtig-152337339
-> https://tv.telezueri.ch/zuerinews/klatsche-fuer-den-stadtrat-152337365
-> https://www.20min.ch/story/vernichtendes-urteil-fuer-stadtrat-critical-mass-braucht-eine-bewilligung-973446170112



nzz.ch 04.07.2023

Dicke Post für die Zürcher Stadträtin Karin Rykart: Die Velo-Demo Critical Mass ist bewilligungspflichtig, und die Polizei verletzt mit ihrer Untätigkeit das Recht

Der Stadtzürcher Statthalter heisst eine FDP-Beschwerde grösstenteils gut.

Michael von Ledebur

Jeden Freitag am Ende eines Monats fluten Velofahrerinnen und Velofahrer Zürichs Strassen. Was die Teilnehmer der sogenannten Critical Mass gerne als «spontanes Verkehrsaufkommen» deklarieren, ist in den Augen vieler offenkundig eine unbewilligte Demonstration, gegen die die Polizei einschreiten müsste. Zwei FDP-Politiker haben deshalb eine Aufsichtsbeschwerde beim Stadtzürcher Statthalteramt eingereicht.

Nun ist klar: Der Statthalter Mathis Kläntschi heisst die Aufsichtsbeschwerde gegen die Critical Mass teilweise gut. Es bestehe kein Zweifel daran, dass es sich um eine Demonstration handle, ist dem Entscheid zu entnehmen, welcher der NZZ vorliegt.

So sei offensichtlich, dass die Critical Mass an die Öffentlichkeit appellieren wolle und eine bessere Velo-Infrastruktur fordere. «Diese Appellwirkung macht eine Demonstration typischerweise gerade aus», heisst es im Entscheid. Die Förderung des Veloverkehrs sei auch «unbestreitbar ein politisches Anliegen».

Promotoren der Critical Mass hatten stets darauf gepocht, der Anlass sei kaum organisiert und nur schon deshalb nicht mit einer gewöhnlichen Demo vergleichbar. Doch dieses Argument sei unerheblich, so der Statthalter. Er schreibt mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts: «Eine minimale Verbindung zwischen den Teilnehmenden genügt.»

Der Anlass enthält gemäss Einschätzung des Statthalters alles, was eine Demonstration ausmacht: die Appellwirkung sowie die Nutzung öffentlicher Fläche, in der Sprache der Juristen «gesteigerter Gemeingebrauch» genannt. Der Anlass sei somit «entgegen der Selbstdeklaration als Demonstration» zu verstehen. Damit untersteht er der Bewilligungspflicht.

Diese Einschätzung ist wichtig, wenn es um das Agieren der Polizei unter der Sicherheitsvorsteherin Karin Rykart (Grüne) geht. Während es unverhältnismässig sei, eine tatsächlich spontane Demonstration aufzulösen, nur weil die Bewilligung fehle, sehe dies bei der Critical Mass als vorhersehbarem Anlass anders aus.

Ist die Critical Mass «überhaupt noch friedlich»?

Es sei völlig klar, dass hier Rechtsbrüche geschähen. «Unter Missachtung der Strassenverkehrsregeln» werde der Verkehr teilweise stillgelegt. Und dies sei nicht nebensächlich, sondern gerade der Sinn und Zweck: Man wolle die geballte Macht der Velofahrenden ausdrücken.

Zwar gebe es keine gewalttätigen Ausschreitungen, aber es sei «auslegungsbedürftig», ob der Anlass «überhaupt noch als friedlich» zu verstehen sei.

Aus diesen Ausführungen folgt, dass die Stadtpolizei einschreiten müsste – und unkorrekt handelt, wenn sie passiv bleibt.

Zwar habe die Polizei einen Ermessensspielraum, zum Beispiel, wenn ihr Ressourcen fehlten, so der Statthalter. Aber in diesem Fall sei es anders. «Die unbewilligte Durchführung der Critical Mass wird prinzipiell hingenommen.» Beim Blick auf Einsatzkonzepte und Journaleinträge zeige sich sehr deutlich, dass die Polizei stets präsent sei, aber nicht einschreite.

Das Fazit des Statthalters: «Die Stadtpolizei Zürich unterschreitet ihren Ermessensspielraum und begeht somit eine Rechtsverletzung.»

Und diese Praxis der Toleranz sei den «interessierten Radfahrenden bekannt» und dürfte «zur steigenden Attraktivität der Teilnahme beitragen».

Aber wäre eine Auflösung wirklich verhältnismässig? Mit dieser Frage befasst sich der Entscheid ausführlich. Und er beantwortet sie mit Ja. Denn die Polizei habe ein grosses Spektrum an möglichen Massnahmen.

Denkbar seien zum Beispiel Lautsprecherdurchsagen, dass es sich um eine unbewilligte Demo handle und die Teilnehmenden sich entfernen sollten. Eine Auflösung könne durchaus ohne Eskalation ablaufen.

Die Stadtpolizei aber habe «augenscheinlich noch nie eine Mindestmassnahme in Betracht gezogen, um die Durchführung der Critical Mass zu verhindern», so der Statthalter.

Das Fazit lautet, dass die Critical Mass der Bewilligungspflicht unterliege und dass die Stadtpolizei «Massnahmen zu ergreifen» habe, sollte sie künftig ohne Bewilligung durchgeführt werden.

Der Entscheid ist noch nicht rechtskräftig. Der Stadtrat kann ihn innert 30 Tagen beim Regierungsrat anfechten.

Der Stadtzürcher Parteipräsident Përparim Avdili hat die Beschwerde gemeinsam mit dem Alexander Brunner, einem ehemaligen Gemeinderat der Partei, eingereicht. Ihm gehe es in erster Linie um den öV, der durch die Critical Mass während Stunden in Mitleidenschaft gezogen werde, und weniger um einen Gegensatz von Velos und Autos, sagt Avdili.

Avdili nennt den Entscheid «vernichtend» für den Stadtrat. Von einem Erfolg will er jedoch nicht sprechen. «Das wäre absurd. Denn es geht um nichts anderes als um die bestehende Rechtsprechung, die der Stadtrat aus politischen Gründen nicht anwendet.»

Er sei einfach froh, dass der Rechtsstaat funktioniere. «Der Stadtrat hat auch Pflichten, die im auferlegt sind. Stadträte sind ja keine Provinzialfürsten, auch wenn sie sich manchmal so gebärden.»

Avdili sagt: «Ich erwarte, dass der Stadtrat nun auf die Organisatoren zugeht und ihnen klipp und klar sage: Entweder ihr holt eine Bewilligung ein und plant die Route mit der Stadtpolizei. Oder die Polizei wird die Demonstration im Keim ersticken.» Angst vor einer Eskalation habe er nicht. «Das sind friedliche Leute, denen man schlicht sagen muss: Was ihr macht, ist nicht erlaubt.»

Ganz anders beurteilt Andrea Freiermuth, Sprecherin von Pro Velo, den Entscheid. Sie sagt: «Man muss sich fragen, ob künftig alle Verabredungen in der Stadt von der Polizei aufgelöst werden sollen, beispielsweise, wenn sich Jugendliche am See treffen. Da fragt man sich, wie liberal dies ist.» Pro Velo hat nichts mit der Organisation des Anlasses zu tun, sympathisiert aber mit dem Anlass. Die Critical Mass sei ein wichtiger Velo-Event, sagt Freiermuth.

In anderen Städten, beispielsweise San Francisco, habe man gesehen, dass die Critical Mass einen positiven Einfluss auf den Ausbau der Velo-Infrastruktur habe. «Die schlechte Velo-Infrastruktur in der Stadt Zürich und die Unzufriedenheit darüber ist für einen Teil der Leute der Grund, an der Critical Mass teilzunehmen. Und diese Unzufriedenheit verschwindet nicht einfach, wenn man den Anlass unterbindet.»

Der Zürcher Stadtrat hat noch nicht entschieden, wie er mit dem Entscheid umgehen will. Man werde ihn studieren und zu gegebener Zeit entscheiden, ob man ihn an den Regierungsrat weiterziehe, sagte ein Sprecher des Sicherheitsdepartements am Dienstag.
(https://www.nzz.ch/zuerich/zuerich-velo-demo-critical-mass-waere-bewilligungspflichtig-ld.1745669)


+++POLICE BE
Neubau Polizeizentrum Bern: Spatenstich und Start der Bauarbeiten
Mit der räumlichen Standortkonzentration und seiner modernen Infrastruktur legt das neue Polizeizentrum Bern in Niederwangen die Basis für eine effiziente, zukunftsgerichtete Polizeiarbeit. Nachdem die Baubewilligung erteilt wurde, markiert die Spatenstichfeier vom 4. Juli 2023 den offiziellen Start für die rund vier Jahre dauernde Bauphase. Die Inbetriebnahme des Polizeizentrums durch die Kantonspolizei ist für 2028 vorgesehen.
https://www.be.ch/de/start/dienstleistungen/medien/medienmitteilungen.html?newsID=bebc21ea-24b1-4a80-9a2b-cc49c2275985
-> https://www.derbund.ch/bauarbeiten-fuer-neues-polizeizentrum-bern-haben-begonnen-956578652154
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/komplexe-planung-wie-1400-polizisten-am-selben-standort-arbeiten?id=12414943 (ab 03:15)


+++POLIZEI ZH
Die Stadt Zürich hat ein neues Bildungszentrum für Blaulicht-Organisationen gebaut (ab 04:35)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/der-velo-umzug-critical-mass-braucht-kuenftig-eine-bewilligung?id=12414958
-> https://www.tagesanzeiger.ch/hier-ueben-zuerichs-polizei-und-die-rettungsprofis-698911016211


+++POLIZEI DE
Elf Tote nach Polizeischüssen
Statistik zum polizeilichen Schusswaffengebrauch 2022 in Deutschland
Polizisten in Bund und Ländern haben im vergangenen Jahr elf Menschen erschossen. Die Todesschüsse erfolgen häufig gegenüber Personen, die sich in Ausnahmesituationen befinden oder von Diskriminierungen betroffen sind.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1174473.polizeigewalt-elf-tote-nach-polizeischuessen.html
-> https://www.nd-aktuell.de/artikel/1174472.standpunkt-jede-polizeikugel-ist-eine-zu-viel.html


324 Tote durch Polizeikugeln nach 1989
Mindestens sieben weitere Personen nach Einsatz von Tasern gestorben
60-mal hat die Polizei in Deutschland im vergangenen Jahr auf Menschen geschossen, meist begründet mit Notwehr, aber auch zur »Verhinderung von Verbrechen«. Elf Menschen starben.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1174474.polizeigewalt-tote-durch-polizeikugeln-nach.html


Polizeiliche Todesschüsse
Seit der Wiedervereinigung wurden mindestens 324 Personen durch Kugeln der deutschen Polizei getötet.
Wir zählen von 1976 bis 1990 außerdem 153 tödliche Schüsse allein in Westdeutschland.
https://polizeischuesse.cilip.de/


+++POLICE FRAU
Rechtsextremer sammelt für Polizist, der Nahel (†17) erschoss
Nach dem Tod von Nahel (†17) in Frankreich wird sowohl für die Opfer-Familie wie für jene des Polizisten Geld gesammelt. Der Schütze kommt deutlich besser weg.
https://www.nau.ch/news/europa/rechtsextremer-sammelt-fur-polizist-der-nahel-17-erschoss-66536258
-> https://www.derbund.ch/spendenaufruf-fuer-familie-von-polizisten-wird-gestoppt-563481422390


Frankreichs Polizeigewerkschaft: «Heute befinden wir uns im Krieg. Morgen werden wir im Widerstand sein, und die Regierung wird sich dessen bewusst werden müssen»
Bei diesem Text handelt es sich um die Pressemitteilung der wichtigsten französischen Polizeigewerkschaften zu den schweren Ausschreitungen in Frankreich. Wir dokumentieren den Text im Wortlaut. Die Redaktion.
https://weltwoche.ch/daily/frankreichs-polizeigewerkschaft-heute-befinden-wir-uns-im-krieg-morgen-werden-wir-im-widerstand-sein-und-die-regierung-wird-sich-dessen-bewusst-werden-muessen/


+++RASSISMUS
ANTIRA-WOCHENSCHAU: Antirassistische Lehrmittel, antikoloniale Politik, Antiabschiebungsbericht
https://antira.org/2023/07/04/antirassistische-lehrmittel-antikoloniale-politik-antiabschiebungsbericht/


+++RECHTSPOPULISMUS
Religionsfreiheit nur für Christen
SVP-Präsident Marco Chiesa gelingt es mit wenigen Sätzen, die Doppelbödigkeit seiner Partei vorzuführen.
https://www.tachles.ch/artikel/news/religionsfreiheit-nur-fuer-christen


Europa: Rechtsextreme auf dem Vormarsch?ARTE Info Plus
Von „Vox“ in Spanien über den „Rassemblement National“ in Frankreich zur AfD in Deutschland, von den „Schwedendemokraten“ über die polnische PiS zu „Fidesz“ in Ungarn. Rechts-außen Parteien und deren Politiker sind immer erfolgreicher in Europa, zuletzt schafften es gleich drei solcher Gruppen ins griechische Parlament. Was treibt diese Entwicklung an?
https://www.arte.tv/de/videos/112597-060-A/europa-rechtsextreme-auf-dem-vormarsch/


SVP will erneut Zuwanderung begrenzen
Die SVP will die Zuwanderung erneut begrenzen und startet mit dem Unterschriften sammeln für eine neue Initiative.
https://www.telebaern.tv/telebaern-news/svp-will-erneut-zuwanderung-begrenzen-152337602
-> https://tv.telezueri.ch/zuerinews/svp-will-erneut-zuwanderung-begrenzen-152337377
-> https://www.tele1.ch/nachrichten/svp-nachhaltigkeitsinitiative-wird-kritisiert-152337558
-> https://www.baerntoday.ch/schweiz/warum-die-zuwanderung-jetzt-das-buergerliche-lager-spaltet-152331980
-> https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/clever-die-nachhaltigkeits-strategie-2050-der-svp-66536720


Feine Sahne Fischfilet politisiert am OASG gegen die «scheiss Wichser von der SVP»
Die deutsche Punkband Feine Sahne Fischfilet sorgte bereits vor dem Open Air St.Gallen für Gesprächsstoff bei der Schweizer Bevölkerung. Auch nach dem Festival steht die Band einmal mehr im Fokus – nicht aus einem positiven Grund.
https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/ressort-ostschweiz/festival-feine-sahne-fischfilet-politisiert-am-oasg-gegen-die-scheiss-wichser-von-der-svp-ld.2483925


+++RECHTSEXTREMISMUS
derbund.ch 04.07.2023

Historiker ordnet ein: Bürgergruppe kritisiert Bühne für extreme Positionen

Eine geplante Asylunterkunft versetzt Niederbipp in Aufruhr. Ein Blick in die Geschichte zeigt, warum das Thema solche Emotionen auslöst.

Stephanie Jungo

Freiheitstrychler flankieren den Weg zur Turnhalle, sie machen Lärm im Räberhus. Wer an den Informationsveranstaltungen zur geplanten Asylunterkunft in Wolfisberg teilnehmen wollte, kam um die Männer und Frauen mit Hirtenhemd und Trycheln nicht herum.

Vor dem Räberhus in Niederbipp präsentierte auch die Junge Tat, eine Gruppe, die dem rechtsextremen Spektrum zuzurechnen ist, ein Banner. Im Dorf hingen Plakate gegen die Asylunterkunft, viele Fahnen standen auf halbmast. Während ein Teil der Bevölkerung den Trychlern applaudierte, folgt nun eine Gegenrede. Eine Gruppe von Bürgerinnen und Bürgern verfasste einen offenen Brief, worin sie die Vorgänge kritisiert.

Kritik an fehlender Abgrenzung

Mit dem offenen Brief will die «Bürger:innengruppe» aus Niederbipp zeigen, dass es im Dorf auch Menschen mit einer weltoffenen Haltung gebe. Aufgrund der aufgeheizten Stimmung hätten sich diese aber kaum getraut, ihre Stimme zu erheben.

Beleidigende Wortmeldungen hätten die Informationsveranstaltungen dominiert, nicht nur gegenüber Migrantinnen und Migranten, sondern auch gegenüber den anwesenden Vertretern des Kantons, so die Kritik im Brief. Ebenso sei Freiheitstrychlern und der Jungen Tat eine Bühne geboten worden – und damit rechtspopulistischem Gedankengut.

Die Unterzeichnenden des Briefes kritisieren, dass sich Behörden nicht von radikalen Gruppen und beleidigenden Wortmeldungen distanziert hätten. Auch das Interview der Gemeindepräsidentin bei «Hoch2» kritisieren sie – es handelt sich dabei um einen Onlinekanal, der auch Verschwörungserzählungen eine Plattform bietet.

Sie würden die Ängste und die Vorbehalte gegenüber der Asylunterkunft in der Bevölkerung verstehen. Sie wünschten sich aber auch vom Gemeinderat eine sachlichere Vorgehensweise und Bemühungen, die Wogen zu glätten.

Kein störendes Verhalten

Sie sei überrascht über den Brief, sagt Gemeindepräsidentin Sibylle Schönmann. Sie hätte es begrüsst, wenn die Absender zuerst das persönliche Gespräch gesucht hätten. Der Gemeinderat werde den Brief an seiner nächsten Sitzung besprechen, die Verfasser eine Antwort erhalten. Es sei schade, dass die Kritikerinnen und Kritiker an der Informationsveranstaltung nichts gesagt hätten. «Ich bin überzeugt, es wäre für alle möglich gewesen, ihre Meinung zu äussern.»

Auch störe es sie, dass es zuletzt nur noch um die Freiheitstrychler und die Rechtsextremen gegangen sei. «Man redet nicht mehr über die Sorgen und Ängste der Bevölkerung.» Die Stimmung im Dorf sei immer noch schlecht. «Ich bekomme jeden Tag viele Mails und Anrufe von Bürgerinnen und Bürgern», erzählt Schönmann. Gleichzeitig gibt sie sich kämpferisch: «Wir werden nicht aufhören, uns gegen die Asylunterkunft zu wehren.»

Aktuell sammeln der Gemeinderat und die beiden Niederbipper Grossräte Beat Bösiger und Peter Haudenschild Unterschriften für eine Petition. Am Mittwoch übergeben sie sie dem zuständigen Regierungsrat Pierre-Alain Schnegg. Mittlerweile sind rund 1000 Unterschriften zusammengekommen.

Ihr Auftrag sei es, die Bevölkerung zu unterstützen, sagt Schönmann. Es sei schlicht der falsche Ort für eine Kollektivunterkunft, zudem habe der Kanton viel zu spät informiert. Um diese Botschaft zu verbreiten, nutze sie jede mögliche Plattform. «Ich habe alle Medien sachlich informiert.»

Auch sonst verteidigt sie das Vorgehen des Gemeinderates. «Wir leben in einer Demokratie und haben Meinungs- und Versammlungsfreiheit.» Sie weist darauf hin, dass die Informationsveranstaltung vom Kanton organisiert und vom Regierungsstatthalter moderiert wurde. Sie selbst sei lediglich Gast auf dem Podium gewesen.

Regierungsstatthalter Stefan Costa weilt in den Ferien. Das Regierungsstatthalteramt Oberaargau nahm deshalb schriftlich Stellung zum offenen Brief – und wies Vorwürfe von sich. Die Verhaltensregeln seien kommuniziert worden. Eine Wegweisung durch die Behörden wäre nur möglich gewesen, wenn sich Personen störend verhalten hätten. Ein solches Verhalten sei aber nicht vorgelegen, und die Fragen und Meinungsäusserungen hätten kanalisiert werden können.

Verschobene Grenzen

Die Wogen gehen hoch. Wie so oft, wenn es um das Thema Asyl geht. Eine Erklärung dafür hat Damir Skenderovic. Er ist Professor für Zeitgeschichte an der Universität Freiburg und forscht zu rechten Bewegungen. Er verweist auf eine lange Tradition in der Bewirtschaftung des Themas Asyl. «Prägend für den Diskurs ist die SVP, die seit den Neunzigerjahren die anderen Parteien vor sich hertreibt.»

Das Thema werde so immer wieder aus derselben Perspektive betrachtet. Die bestimmenden Motive: Kosten und angebliche Gefahren für die eigene Identität und Sicherheit. «Es hat sich ein Bild in den Köpfen festgesetzt, wonach Asyl und Geflüchtete etwas Bedrohliches darstellen.»

Die SVP schafft es, mit rechtspopulistischen Positionen bis weit in die gesellschaftliche Mitte zu verfangen. Das habe auch mit einem spezifischen Umgang mit Rechtspopulismus in der Schweiz zu tun. In anderen Ländern hätte lange Zeit ein sogenannter «cordon sanitaire» gegolten – ein Konsens, wonach demokratische Parteien nicht mit rechtspopulistischen Parteien zusammenarbeiten würden. In den letzten zwanzig Jahren sei dieser Konsens zwar auch in anderen Ländern erodiert, in der Schweiz sind Rechtspopulisten mit der SVP jedoch längst Teil der Regierung.

In diesem Klima treten auch immer wieder kleinere Gruppierungen mit ähnlichen Forderungen wie die SVP in Erscheinung – so wie aktuell die Freiheitstrychler oder die rechtsextreme Junge Tat. «Die Abgrenzung zu solchen Bewegungen wird zu wenig gemacht», sagt Skenderovic. Das führe zu einer Legitimation dieser Positionen.

«Dabei offenbart sich auch ein Herunterspielen des Rechtsextremismus.» Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern sei für die Schweiz nach 1945 nie die antifaschistische Positionierung im Mittelpunkt gestanden. Dementsprechend pflege die Schweiz einen anderen Umgang mit Rechtsextremismus, den sie nicht als Teil ihrer Geschichte begreife.

Eine rechtsextreme Gruppierung, rechtspopulistische Parolen: Sie werden heute zumindest geduldet. Dies mit dem Argument der Meinungsfreiheit, die besonders rechte Kreise in Gefahr sehen – obwohl die Grenzen in den Bereichen Rassismus und Sexismus in den letzten Jahren konstant überschritten worden seien.
(https://www.derbund.ch/gruppe-fordert-abgrenzung-von-rechtsextremen-und-trychlern-472711979361)
-> https://www.20min.ch/story/niederbipp-offener-brief-kritisiert-gemeinde-wegen-rechtsextremen-722654183544



Rechte „Red Pill“-Cyberkultur: Codewort für Hass gegen Frauen
Im Internet verabreichen Männer anderen Männern symbolische Pillen, um ihnen so einzutrichtern, sie würden von Frauen unterdrückt. Die Bewegung wächst auch in Deutschland.
https://taz.de/Rechte-Red-Pill-Cyberkultur/!5941468/


+++HIGHWAY TO HELL
Mega-Waffenfund bei Razzia in Österreich – Blick-Recherchen zeigen: Verhaftete Bandidos tragen Schweizer Kutte!
Waffen im Wert von insgesamt rund 1,5 Millionen Euro haben österreichische Ermittler kürzlich bei Razzien sichergestellt. Festgenommen wurden zehn Töff-Rocker. Blick-Recherchen zeigen nun, dass es sich bei mehreren Verhafteten um Thuner Bandidos handelt!
https://www.blick.ch/schweiz/bern/mega-waffenfund-bei-razzia-in-oesterreich-blick-recherchen-zeigen-verhaftete-bandidos-tragen-schweizer-kutte-id18722857.html
-> https://www.derstandard.at/story/3000000177375/eine-verraeterische-kutte-und-ein


+++HISTORY
Historiker Hans Fässler fordert ein Gedenken an die zur Schau gestellten Menschen
Nicht nur der Raiffeisenplatz soll umbenannt werden. Im neuen Hochhaus, das in der Kreuzbleiche entstehen wird, soll es ein Gedenkort für die Menschen, die da in Völkerschauen ausgestellt worden waren, geben. Das fordert Historiker Hans Fässler.
https://www.dieostschweiz.ch/artikel/historiker-hans-faessler-fordert-ein-gedenken-an-die-zur-schau-gestellten-menschen-j66B6OK



nzz.ch 04.07.2023

Als 25-Jähriger narrt Fredy Meier als «Herr Müller» im Schweizer Fernsehen das Establishment – es ist der Anfang eines bewegten Lebens

Mit Fredy Meier ist eine der auffälligsten Figuren der Zürcher Jugendunruhen im Alter von 68 Jahren gestorben.

Claudia Rey, Tobias Marti

Im Frühling 1980 wirft Fredy Meier aus Protest gegen das Establishment und bürgerlichen Kleingeist mit Steinen die Fensterscheiben der NZZ-Redaktion ein. Wenig später kennt ihn die ganze Schweiz.

Es waren jedoch nicht diese zersplitterten Scheiben, die ihn zu einer der bekanntesten Figuren der Zürcher Jugendunruhen gemacht haben – sondern ein TV-Auftritt, der als einer der grössten Skandale in die Geschichte des Schweizer Fernsehens eingegangen ist.

Am 15. Juli 1980 soll in der TV-Sendung «CH-Magazin» über die Zürcher Jugendunruhen diskutiert werden, die damals dermassen ausarten, dass sogar die «New York Times» darüber berichtet. Im Studio sitzen an jenem Dienstag unter anderen: die Zürcher Stadträtin Emilie Lieberherr, der damalige Polizeikommandant der Stadt Zürich und Fredy Meier, 25 Jahre alt, Demonstrant.

Meier soll gemeinsam mit einer Begleiterin die Position der Chaoten erklären. Doch da die Sendung live in die Schweizer Stuben übertragen wird, erlauben sich die beiden einen Streich: Sie verkleiden sich als bünzliges Ehepaar «Müller», und anstatt sich für die Anliegen der jugendlichen Demonstranten einzusetzen, führen sie die Diskussion ad absurdum.

Herr und Frau «Müller» plädieren für den Einsatz von Salzsäure, Napalm und Granaten gegen die Demonstranten. Fredy Meier alias Herr «Müller» sagt mit ernster Miene: «Was wir wirklich brauchen, ist die Armee, ohne die Armee bekommen wir diese Jugendbewegung nicht in den Griff.» Während der Polizeikommandant unruhig auf seinem Stuhl umherrutscht, droht Lieberherr dem Moderator, sie werde die Sendung verlassen, wenn dieser nicht Herr der Lage werde. Der Moderator bricht die Sendung schliesslich ab. «Das gibt es so nicht mehr, solche Fernsehsituationen», mit diesen Worten wird es Meier Jahre später zusammenfassen.

Nach der Sendung fahren Fredy Meier und seine Begleiterin von den Fernsehstudios in Leutschenbach in die Rote Fabrik und lassen sich dort für ihren Auftritt feiern. Mit rund zwanzig Mitstreiterinnen und Mitstreitern hatten sie im Vorfeld die Sendung geprobt.

Sie haben ihr Ziel erreicht: «Als rechtsradikale Bürger, nett angezogen, haben wir das gesagt, was ganz viele Leute insgeheim dachten», erinnert sich Fredy Meier Jahre später. Noch Wochen danach schreiben die Schweizer Medien über den Streich der Demonstranten. Doch dann passiert, womit sie nicht gerechnet hatten.

Der «Blick» veröffentlicht auf der Titelseite die bürgerlichen Namen von Herrn und Frau «Müller». Meiers Begleiterin, die Schwester des Filmemachers Samir, gerät als junge Frau mit Migrationshintergrund in den Mittelpunkt einer Hetzkampagne. Ihr wird mit dem Tod gedroht. Meier hingegen wird verhaftet und zu vierzehn Monaten Gefängnis verurteilt.

Ihm werden unter anderem Gewalt gegen Beamte und Benutzung des öffentlichen Raumes zu politischem Zweck vorgeworfen. Und Meier soll einen Container angezündet und auf die Strasse geschoben haben.

Jahre später sagt er dazu: «Alle Anklagepunkte waren erstunken und erlogen.» Selbst Anwälte, die politisch rechts positioniert gewesen seien, hätten ihm gesagt, es habe sich um ein Gesinnungsurteil gehandelt.

Nach neun Monaten wird Meier vorzeitig aus der Haft entlassen. Und er erkennt die Zürcher Jugendbewegung kaum wieder. Die Fronten seien verhärtet gewesen, erzählt er 2020 in einem Interview mit SRF. Die einen hätten keine Lust mehr gehabt, die anderen Drogen genommen. «Das war nicht so lustig», sagt er.

Meier bleibt rastlos. Erfindet sich immer wieder neu: Er arbeitet als Buchhändler, Jugendarbeiter, Masseur, Deutschlehrer, Inseratenverkäufer und Künstler.

In einem Interview mit dem «Magazin» des «Tages-Anzeigers» lässt er die Zeit 2019 Revue passieren und sagt: «Das Fernsehen gab uns einen Freipass, indem es die Sendung live ausstrahlte. Erst diese Unmittelbarkeit bewog uns, das Ding durchzuziehen – und zwar auf unsere Art. Statt seriös aufzulisten, was alles nervte, wollten wir der Bevölkerung einen Spiegel vorhalten.»

Im Rahmen des SRF-Dok-Films «Der Spitzel und die Chaoten» diskutiert Meier 2020 mit dem ehemaligen Polizeispitzel Willy Schaffner über die Zürcher Jugendunruhen und kommt zu dem Schluss: «Zürich ist fett geworden. Es haben alle alles.» Er erzählt zudem, dass er verschiedene Phasen in seinem Leben gehabt habe. Mal sei es ihm weniger gut gegangen, mal besser. Meier sagte damals: «Jetzt, seit ein paar Jahren, bin ich wieder sehr zufrieden. Ich schreibe wieder, male wieder.»

Nun ist Fredy Meier im Alter von 68 Jahren an den Folgen einer Demenzerkrankung gestorben.

Er habe die beste Seite der radikalen Jugendbewegung der achtziger Jahre verkörpert, sagt der Filmemacher Samir über seinen früheren Mitstreiter: «Er war unerbittlich in seiner Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit. Aber trotz einer klaren Haltung gegenüber repressiven und konservativen Kräften war sein Einstehen für die gerechte Sache immer geprägt von Humor, Witz und Charme. Ich werde ihn sehr vermissen.»

«Fredy war ein reizender Mensch, unglaublich empathisch und gescheit», erinnert sich der Kabarettist und Autor Patrick Frey. Der Auftritt von Herrn und Frau «Müller» sei eine mutige Aktion und ein einzigartiger Streich gewesen. Seither sei nichts Vergleichbares je wieder passiert. «Es handelt sich um eine Sternstunde der Schweizer Mediengeschichte, für die er und Frau ‹Müller› im Pantheon der Fernsehmacher einen Ehrenplatz verdient haben.»

Fredy Meier hinterlässt eine Tochter. Und einen TV-Auftritt, der noch lange in Erinnerung bleiben wird.



Emelie Lieberherr mit den „Müllers“ im Gespräch
https://www.srf.ch/play/embed?urn=urn:srf:video:05f18417-ec5b-4b94-a4bf-293312e56afe&subdivisions=false
(https://www.nzz.ch/zuerich/fredy-meier-verstorben-der-zuercher-wurde-als-herr-mueller-im-fernsehen-beruehmt-ld.1745503)