Medienspiegel 1. Juni 2023

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/

+++BASEL
Nutzungsänderung einer Asylunterkunft sorgt für rote Köpfe in Basel
In einer Basler Unterkunft werden nicht Ukrainer untergebracht, sondern Minderjährige aus Afghanistan und der Türkei. Bei Anwohnern sorgt das für Kritik.
https://www.nau.ch/politik/regional/nutzungsanderung-einer-asylunterkunft-sorgt-fur-rote-kopfe-in-basel-66507395
-> https://primenews.ch/articles/2023/06/wohnheim-fuer-gefluechtete-angst-und-frust-im-erlenmattquartier


+++SCHWEIZ
Knatsch um Asylunterkünfte: National- und Ständerat uneinig über Containerdörfer
Für den Sommer rechnet der Bund mit einer starken Zunahme der Asylanträge. Doch wo sollen diese unterkommen? Die Räte sind sich uneinig.
https://www.blick.ch/politik/knatsch-um-asylunterkuenfte-national-und-staenderat-uneinig-ueber-conainerdoerfer-id18628606.html
-> https://www.parlament.ch/de/services/news/Seiten/2023/20230601152643976194158159038_bsd151.aspx
-> https://www.watson.ch/schweiz/migration/142305935-containerdoerfer-fuer-asylsuchende-raete-sind-sich-uneins


+++BALKANROUTE
Treffen in Wien: Bosnischer Menschenrechtsminister lud Justizministerin Zadić nach Lipa ein
Der bosnische Menschenrechtminister Sevlid Hurtić fordert von österreischer Seite umfassende Aufklärung zum Gefängnis im Lipa-Camp.
https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20230601_OTS0120/treffen-in-wien-bosnischer-menschenrechtsminister-lud-justizministerin-zadi-nach-lipa-ein-bild


+++ITALIEN
Seenotrettern der Sea-Eye droht Strafe
Schiff von Sea-Eye musste in zwei Notfällen retten
Ein Dekret der Rechts-Regierung in Italien erlaubt den Einsatz in maximal einem Seenotfall. Die »Sea-Eye 4« nahm jedoch Menschen aus zwei Holzbooten an Bord.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1173652.mittelmeer-seenotrettern-der-sea-eye-droht-strafe.html
-> https://sea-eye.org/seenotretterinnen-drohen-hohe-strafen-wegen-rettung-von-menschenleben/


+++EUROPA
FAQ zur geplanten Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS)
Am 8./9. Juni 2023 soll beim EU-Rat für Inneres eine Vorentscheidung über die Zukunft des Flüchtlingsschutzes in Europa fallen. Mit dem Gesetzespaket drohen Schutzsuchenden Grenzverfahren unter Haftbedingungen, eine Verschärfung des Dublin-Systems. Letztlich die Aushebelung des Flüchtlingsschutzes. Wir beantworten dazu die wichtigsten Fragen.
https://www.proasyl.de/news/faq-zur-geplanten-reform-des-gemeinsamen-europaeischen-asylsystems-geas/


+++FREIRÄUME
Communiqué der Besetzung an der Sirenzerstrasse 12 (Basel)
https://barrikade.info/article/5982
-> https://twitter.com/gegen_oben/status/1664230719453896705
-> https://www.blick.ch/schweiz/basel/schnelles-ende-fuer-frechen-freiraum-polizei-raeumt-besetzte-liegenschaft-in-basel-id18629132.html
-> https://twitter.com/gegen_oben/status/1664269682621419528
-> https://www.blick.ch/schweiz/basel/schnelles-ende-fuer-frechen-freiraum-polizei-raeumt-besetzte-liegenschaft-in-basel-id18629132.html
-> https://www.bzbasel.ch/basel/basel-stadt/besetzung-liegenschaft-an-sierenzerstrasse-12-besetzt-ld.2466491


+++GASSE/SOZIALES
Jahresbericht Sucht: Psychische Belastungen nehmen zu
Auch nach der Coronapandemie geht die Krisensituation weiter: Dies zeigt der Jahresbericht Sucht 2022 der Stadt Bern. Das Berichtsjahr war geprägt von belastenden Themen wie dem Krieg gegen die Ukraine, Strommangel und Teuerung. Die psychiatrische Unterversorgung von Kindern und Jugendlichen und die zunehmende Obdachlosigkeit in der Stadt Bern wirken sich auf die Arbeit der städtischen Anlaufstellen und Organisationen aus, die mit Suchtbetroffenen zu tun haben.
https://www.bern.ch/mediencenter/medienmitteilungen/aktuell_ptk/jahresbericht-sucht-psychische-belastungen-nehmen-zu
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/beschwerde-abgewiesen-ex-walliser-tennisprofi-bleibt-verurteilt?id=12396976 (ab 02:05)


Im Kanton Genf soll Recht auf Nahrung in der Verfassung verank – Schweiz Aktuell
Der Kanton Genf will das Recht auf Nahrung einführen. Ein entsprechender Gesetzesentwurf wurde vom Kantonsparlament angenommen. Lange Schlangen bei der Lebensmittel-Abgabe während Corona, hätten gezeigt, wie wichtig dieses Recht sei.
https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/im-kanton-genf-soll-recht-auf-nahrung-in-der-verfassung-verank?urn=urn:srf:video:b6fd1138-063f-4246-8425-2d5fe33746cd


+++DROGENPOLITIK
Pilotprojekt für Kokain: Berner Stadtrat befasst sich mit kontrolliertem Verkauf
Der Berner Stadtrat unterstützt einen Versuch zum regulierten Kokainverkauf.
https://www.derbund.ch/berner-stadtrat-befasst-sich-mit-kontrolliertem-verkauf-985596948723
-> https://www.watson.ch/schweiz/drogen/228915625-berner-stadtrat-will-pilotprojekt-fuer-kontrollierten-kokain-verkauf

Motion Tabea Rai, Eva Gammenthaler (AL) – übernommen durch Eva Chen (AL): Für einen wissenschaftlichen Pilotversuch für den kontrollierten Kokainverkauf
https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=b3ff34b3287e477299a7a120fd664681

Motion Tabea Rai, Eva Gammenthaler (AL) – übernommen durch Eva Chen (AL): Vernünftige Drogenpolitik in der Stadt Bern
https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=a85a6caff1474b828027afe0928b1582

Motion Eva Gammenthaler (AL) – übernommen durch Eva Chen (AL): Wissenschaftliche Pilotversuche für den Verkauf psychotroper Substanzen
https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=e1dc2d9084c4443f82bde9863396eaa4


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Polizei ist in Bereitschaft: Velodemo in Zürich soll 50 Stunden dauern
Das gab es noch nie: eine 50 Stunden lange Velodemo quer durch die Stadt Zürich. Sie startet am Donnerstagnachmittag. Nur ein Teil der Veranstaltung wurde bislang bewilligt.
https://www.blick.ch/news/polizei-ist-in-bereitschaft-velodemo-in-zuerich-soll-50-stunden-dauern-id18627680.html


Meinungsfreiheit in der Stadt Bern nach Gerichtsfall in Frage gestellt
Nachdem eine Bernerin im Februar 2022 in der Nähe der britischen Botschaft demonstriert hat, erhielt sie von der Polizei einen Strafbefehl. Das wirft die Frage nach der Meinungsfreiheit auf.
https://www.telebaern.tv/telebaern-news/meinungsfreiheit-in-der-stadt-bern-nach-gerichtsfall-in-frage-gestellt-151807043


+++REPRESSION DE
URTEIL LINA E.:
-> https://www.woz.ch/2322/verfahren-gegen-lina-e/die-unruhe-nach-dem-urteil/!KDWK3RPY012E
-> https://barrikade.info/article/5981
-> https://twitter.com/C_AB_/status/1663900651221393409
-> https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2023-06/linksextremismus-urteil-lisa-e-leipzig-bremen-protest-festnahmen
-> https://www.blick.ch/ausland/krawalle-in-mehreren-staedten-in-deutschland-linke-szene-wegen-dieser-studentin-in-rage-id18627195.html
-> https://www.ndr.de/nachrichten/info/Kommentar-zum-Urteil-gegen-mutmassliche-Linksextreme-Lina-E,audio1392460.html
-> https://www.spiegel.de/panorama/justiz/lina-e-proteste-gegen-urteil-ruhige-nacht-nach-zusammenstoessen-in-leipzig-a-12c695c3-0594-405a-8863-dabbdaf9dcd7?utm_source=dlvr.it&utm_medium=twitter#ref=rss
-> https://taz.de/Proteste-nach-Lina-E-Urteil/!5934622/
-> https://www.nd-aktuell.de/artikel/1173629.prozess-in-dresden-das-urteil-gegen-lina-e-ist-drastisch-und-skandaloes.html
-> https://www.nd-aktuell.de/artikel/1173638.urteil-in-dresden-antifa-ost-lange-haft-fuer-lina-co.html
-> https://www.nd-aktuell.de/artikel/1173595.antifaschismus-prozess-gegen-lina-e-urteil-mit-sprengkraft.html
-> https://www.nd-aktuell.de/artikel/1173667.repression-lina-e-wuetende-proteste-n-update-stadt-leipzig-verbietet-demo.html
-> https://www.jungewelt.de/artikel/451809.repression-gegen-linke-knast-f%C3%BCr-antifaschismus.html
-> https://www.jungewelt.de/artikel/452151.demonstration-f%C3%BCr-lina-e-verboten.html
-> https://www.zeit.de/politik/deutschland/2023-06/lina-e-linksextremismus-demonstration-verbot-leipzig


+++SPORT
Risikospiele des FC Aarau werden künftig videoüberwacht
Die Kantonspolizei Aargau hat das Sicherheitskonzept für Hochrisikospiele des FC Aarau überarbeitet und überwacht diese zukünftig mittels Video. Die Aufnahmen sollen einerseits der Verhinderung von Straftaten dienen und andererseits zu Beweiszwecken hinzugezogen werden können.
https://www.argoviatoday.ch/sport/fc-aarau/risikospiele-des-fc-aarau-werden-kuenftig-videoueberwacht-151801130
-> https://www.ag.ch/de/aktuell/medien/medienmitteilungen-kapo?mmk=aarau-massnahme-im-zusammenhang-mit-fussballspielen-d2e150be-aa63-40a1-885c-5d0009bd0adc_de
-> https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/sicherheit-fca-spiele-aargauer-polizei-ueberwacht-gaestefans-neu-mit-zehn-videokameras-ld.2466405
-> https://www.onlinereports.ch/News.117+M5d20624d1bf.0.html
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/umfahrung-mellingen-altstadt-ruhiger-kuenftige-gestaltung-unklar?id=12397135


Fanmarsch zum Cupfinal: YB-Anhänger erfüllen Wunschroute der Stadt nicht
Am Sonntag werden mehrere Tausend YB-Fans geschlossen zum Cupfinal im Wankdorf pilgern. Den gewählten Weg halten die Behörden jedoch für suboptimal.
https://www.derbund.ch/yb-anhaenger-erfuellen-wunschroute-der-stadt-nicht-527864009195


+++AUSLÄNDER*INNEN-RECHT
Grundsatzurteil zu Missbrauch von Sozialhilfeleistungen
Wann dürfen straffällige Ausländerinnen und Ausländer aus der Schweiz ausgeschafft werden? Diese Frage stellt sich schon länger. Nun hat das Bundesgericht ein Leiturteil gefällt, wenn es um den Missbrauch von Sozialhilfeleistungen geht. Scharfe Kritik kommt von Seiten der SVP.
https://www.srf.ch/audio/rendez-vous/grundsatzurteil-zu-missbrauch-von-sozialhilfeleistungen?partId=12397003
-> Medienmitteilung Bundesgericht: https://www.bger.ch/files/live/sites/bger/files/pdf/de/6b_1108_2021_2023_06_01_T_d_11_20_37.pdf
-> Urteil Bundesgericht: https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/aza/http/index.php?highlight_docid=aza://27-04-2023-6B_1108-2021&lang=de&zoom=&type=show_document
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/leiturteil-zu-ausschaffungen-landesverweis-war-laut-bundesgericht-nicht-verhaeltnismaessig


+++KNAST
“Il n’y a pas de bonnes prisons, il n’y a que des prisons pires que d’autres”
Pour l’élargissement de la lutte FreeJeremy à une critique anticarcérale.
https://renverse.co/analyses/article/il-n-y-a-pas-de-bonnes-prisons-il-n-y-a-que-des-prisons-pires-que-d-autres-4046


Les carnets de Jérémy* volés par ses geôliers, jusqu’où ira l’acharnement ?
Les autorités sont prêtes à tout pour garder Jérémy* en prison. Ses carnets de notes ont été récemment volés dans sa cellule et transmis à la procureure. Mais cette violation crasse est-elle vraiment surprenante ?
 https://renverse.co/infos-locales/article/les-carnets-de-jeremy-voles-par-ses-geoliers-jusqu-ou-ira-l-acharnement-4045


+++POLICE BE
Motion SVP: Dienstwaffen von ehemaligen Angehörigen der Berner Kantonspolizei weiterhin zulassen
https://www.gr.be.ch/de/start/geschaefte/geschaeftssuche/geschaeftsdetail.html?guid=0df703e3299942ac86d8802d0a831b15


+++JENISCHE/SINTI/ROMA
Öffentliche Auflage zum Transitplatz Wileroltigen
Die Realisierung des geplanten Transitplatzes für ausländische Fahrende in Wileroltigen rückt näher. Gestützt auf die öffentliche Mitwirkung wurde das Projekt leicht angepasst. Die Kantonale Überbauungsordnung liegt bis am 3. Juli 2023 öffentlich auf.
https://www.be.ch/de/start/dienstleistungen/medien/medienmitteilungen.html?newsID=1308e47d-1239-47ca-81b0-bc2c0fc91b07
-> https://www.derbund.ch/plaene-fuer-transitplatz-in-wileroltigen-liegen-oeffentlich-auf-176806569690
-> https://www.baerntoday.ch/bern/kanton-bern/plaene-fuer-transitplatz-in-wileroltigen-liegen-oeffentlich-auf-151797242
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/beschwerde-abgewiesen-ex-walliser-tennisprofi-bleibt-verurteilt?id=12396976 (ab 03:29)


+++RECHTSPOPULISMUS
aargauerzeitung.ch 01.06.2023

Kommt es am Samstag zu Protesten vor der neuen Asylunterkunft im «Aarehof»? Kapo «hat ein Auge auf die Situation»

Interessierte sollen sich vor Ort in Wildegg ein Bild machen können, wie die neue Asylunterkunft im Hotel Aarehof aussieht. Die Verantwortlichen bereiten sich auch auf eine mögliche Kundgebung vor. Diese wurde bereits angekündigt.

Eva Wanner

Der Widerstand ist gross. Zumindest im Internet. Über 2000 Unterschriften hat eine Online-Petition gegen die neue Asylunterkunft im Hotel Aarehof beim Bahnhof Wildegg für bis zu 140 Einzelmänner erreicht. In verschiedenen Facebook-Gruppen laufen die Kommentarspalten heiss. Viele unterstützen den Protest, geben sich gegenseitig Zuspruch, nicht selten flankiert von unzähligen Ausrufezeichen. Wer sich hingegen für die Unterkunft ausspricht, wird niedergemacht. «Nehmen Sie doch die Flüchtlinge bei sich auf!» oder ein ironisches «super Kommentar» und dazu sich übergebende Emojis gehören noch zu den harmloseren Beiträgen.

Viele Posts verfasst derselbe Mann. Jener, der auch die Petition lanciert hat: Michael Bürgisser. Am Mittwochmorgen war er wieder aktiv auf Facebook und rief in der Gruppe «Du bisch vo Möriken-Wildegg wenn …» dazu auf, sich am Samstag beim Tag der offenen Tür für die Bevölkerung die neue Unterkunft anzusehen. Dazu postete er Inhalte, die offenbar dazu führten, dass der Administrator der Gruppe den Beitrag entfernte. Denn am Donnerstagmorgen schrieb Bürgisser, es sei schade, dass man den Beitrag gelöscht habe, «es wäre so wichtig, dass die Bevölkerung es sieht». Er mutmasst, man wolle «auch hier die Leute an der kurzen Leine halten! Man hat Angst wegen der Wahrheit!» Auch dieser Beitrag ist nun nicht mehr zu finden.

Kundgebungen «in der Planung berücksichtigt»

Schon als offiziell wurde, dass das Hotel Aarehof zur Asylunterkunft wird, kündigte der Kanton die Vorbesichtigung an. Diesen Samstag, 3. Juni, können sich Interessierte von 14 bis 16 Uhr Bild machen. Verantwortliche des Kantonalen Sozialdiensts, des Gemeinderats und der Sicherheitsorganisationen stehen für Fragen zur Verfügung. Letzterer war eine Bedingung der Gemeinde für den Betrieb der Unterkunft: 24-Stunden-Betreuung vor Ort vor und privater Sicherheitsdienst in der Nacht.

Auch der Gemeinderat ruft dazu auf, sich am Samstag doch selbst ein Bild zu machen. Allerdings dürfte die Intention der Behörde eine andere sein als jene der Gegner der Asylunterkunft. Bei der Kantonspolizei heisst es auf Anfrage, man habe Kenntnis von einer möglichen Kundgebung und werde «ein Auge auf die Situation vor Ort halten». Mit grösseren Schwierigkeiten werde indes nicht gerechnet.

Der Kantonale Sozialdienst (KSD) sagt auf Anfrage, man erhoffe sich ein reges Interesse. Der KSD «begrüsst, wenn sich die Leute vor Ort ein Bild machen und Fragen zum Betrieb- und Betreuungskonzept stellen». Allerdings auch: Man bereite sich auf verschiedene Szenarien vor. «In der Planung des Informationsanlasses in Möriken-Wildegg ist die Ankündigung von Kundgebungen berücksichtigt worden.» Man mag sich an Bettwil erinnern, wo vor einigen Jahren ein regelrechter Bauernaufstand gegen die Asylunterkunft stattgefunden hatte.

In den Nationalrat – für «Rechtspunkt»?

Dass Michael Bürgisser vor Ort sein wird, ist anzunehmen. Der Mann aus Au (Veltheim) kandidiert nun offenbar für den Nationalrat. Für welche Partei steht explizit zwar nicht nicht in seinen Beiträgen. Aber: Mit seiner Ankündigung, er habe nun die 200 nötigen Unterschriften für seine Kandidatur beisammen, verweist er auf einen Telegram-Kanal. «Rechtspunkt», heisst es da.

Wer googelt, der findet die Website einer neu gegründeten Partei, voll mit rechtspopulistischen Inhalten. Zur Asylunterkunft in Möriken-Wildegg heisst es da etwa: «Bis zu 140 geile, sexuell hungrige junge Männer mit noch dazu einer anderen frauenfeindlichen Gesinnung sollen zum luxuriös umfunktionierten Hotel Aarehof in Möriken-Wildegg beim Bahnhof, mitten im Dorfzentrum, im Juni einziehen.» Eine «Rückführung in ihr Heimatland» wird gefordert. «Wir wollen das Asylzentrum auf gar keinen Fall und wir müssen unsere Frauen, Töchter und Kinder beschützen. Dies alles mitten in unserem schönen Dorf.»
(https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/lenzburg/moeriken-wildegg-kommt-es-am-samstag-zu-protesten-vor-der-neuen-asylunterkunft-im-aarehof-kapo-hat-ein-auge-auf-die-situation-ld.2466068)


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
derbund.ch 01.06.2023

Open Air auf Bio-Bauernhof: Landbesitzer will Festival von Corona-Skeptikern verhindern

Im August soll auf dem Schwand ein grosses Treffen der massnahmenskeptischen Bewegung stattfinden. Ein Landwirt fühlt sich getäuscht.

Johannes Reichen

Schlechte Nachrichten für alle Schnäppchenjäger: Early-Bird-Tickets für das erste «Freedom Festival» in Münsingen waren nur bis Ende Mai erhältlich. Nun kostet der Dreitagespass nicht mehr schlappe 159 Franken, sondern 199 Franken. Eintagestickets sind für 79 Franken zu haben.

Als Gegenleistung winkt ein Klassentreffen von Corona-Skeptikern, Massnahmenkritikerinnen, Verschwörungsgläubigen und Staatsverweigerinnen. Es soll vom 18. bis zum 20. August auf dem Münsinger Schwand stattfinden – wenn es denn überhaupt stattfindet.

Denn der Landbesitzer, der das Gelände zur Verfügung stellt, versucht alles, um den Anlass zu verhindern. Er heisst Urs Siegenthaler, betreibt auf dem Schwand zusammen mit seiner Frau Tanja Siegenthaler Sigis Biohof. Er ist Mitglied der Grünen und sitzt im Gemeindeparlament.

Am Dienstag dieser Woche sagte Siegenthaler auf Anfrage dieser Zeitung nur, dass er mit der Gemeinde in Kontakt stehe. Aus seiner Reaktion ging hervor, dass er wohl nicht genau wusste, wer hinter dem Anlass steht – und wer alles daran teilnehmen soll.

900 Personen erwartet

Das «Freedom Festival» wird vom «Free Economic Forum» von Bernhard Klimczyk aus dem Kanton Baselland organisiert. Als «Festival-Götti» fungiert die «Atlas-Initiative» des deutschen Unternehmers Martin Krall. Dieser hatte gemäss der deutschen Wochenzeitung «Zeit» Kontakt mit einer Gruppe von Reichsbürgern, die in Deutschland einen Umsturz plante.

Krall soll auch an einem Podiumsgespräch teilnehmen, zusammen etwa mit Vertreterinnen und Vertretern von «Aktionsbündnis Urkanton», «Aufrecht Schweiz» oder «Verfassungsbündnis Schweiz».

Unterstützt wird das Open Air von Gruppierungen wie der staatskritischen «Libertären Partei» oder dem «Team Freiheit», das sich aus Mitgliedern von Jungfreisinn und Junger SVP zusammensetzt und während der Pandemie den Lockdown «stoppen» wollte. Auch die Freiheitstrychler machen als Partner mit.

Mit einem Stand präsent sein wird die Graswurzle-Bewegung. Wie diese Zeitung kürzlich berichtete, steht sie in Verbindung mit einer alternativen Schule und hegt Kontakte zur Staatsverweigerer-Szene.

Auch an Musik fehlt es nicht. Angekündigt sind Auftritte etwa von Sam Moser, der während der Corona-Pandemie mit dem Song «’s Mass isch voll» eine Hymne für die Skeptikerbewegung lieferte. Oder von der Reggaeband Lauwarm, die vor einem Jahr erst mit einem abgebrochenen Konzert in der Lorraine und dann mit einem Auftritt bei einem «Weltwoche»-Fest in die Schlagzeilen geriet.

Ausserdem im Programm: Foodstände, DJs, eine Bauernhof-Olympiade mit Sackhüpfen und Hufeisenwerfen – gesponsert von der «Free Cities Foundation», die sich für selbst verwaltete Städte einsetzt. Am dreitägigen Festival werden 900 Personen erwartet.

Bauer macht Irrtum geltend

Die Durchführung ist allerdings alles andere als sicher. Gemeindepräsident Beat Moser (Grüne) steht im Kontakt mit Siegenthaler. Als dieser im Februar den Vertrag unterzeichnete, sei er von einem anderen Anlass ausgegangen. Siegenthaler versuche nun, vom Vertrag zurückzutreten, weil ein Irrtum vorliege.

Offenbar fand bei Sigis Biohof aber bereits im letzten Sommer ein Anlass statt, hinter dem das «Free Economic Forum» stehen könnte. Dabei handelte es sich um ein Bitcoin-Festival. «Die Bitcoin-Community trifft sich zu spannenden Vorträgen, nächtelangen Talks, interessanten Workshops und gemütlichem Austausch am Lagerfeuer», steht im damaligen Veranstaltungshinweis. Siegenthaler sei nun davon ausgegangen, dass der diesjährige Anlass im ähnlichen Rahmen stattfinde, so Moser.

Zwei Personen, die Siegenthaler kennen, bestätigen, dass er mit dieser Szene «wirklich nichts am Hut» habe. «Er tut mir leid», sagt jemand. Er sei in eine schwierige Situation hineingezogen worden. Als ihm klar geworden sei, wen er zu sich auf den Schwand hole, sei er erschrocken. Organisator Bernhard Klimczyk war in den letzten Tagen nicht für eine Stellungnahme zu erreichen.

Auch die Gemeinde versucht nun, den Anlass zu verhindern. Bis jetzt sei zwar noch kein Gesuch von den Veranstaltern eingetroffen, sagt Gemeindepräsident Moser, einzig eine Voranfrage bezüglich Waldabstand sei eingegangen. «Wir beurteilen den Anlass aber sehr kritisch.» Er berge grosses Konfliktpotenzial.

Der Bewilligungsentscheid liege letztlich beim Regierungsstatthalteramt Bern-Mittelland. Moser sagt: «Wir werden beantragen, dass der Anlass nicht bewilligt wird.»



Schweiz Tourismus löscht Eintrag

Anfang dieser Woche wurde das «Freedom Festival» auch noch im Veranstaltungskalender von Schweiz Tourismus aufgelistet – was dem Anlass einen seriösen und touristisch wertvollen Anstrich verleiht. Auf Nachfrage dieser Zeitung stellte die Tourismusorganisation klar, dass die Einträge von den Veranstaltern oder touristischen Anbietern stammen. Diese seien auch für den Inhalt verantwortlich. Schweiz Tourismus kontrolliere diese Einträge nicht systematisch. «Unsere verantwortliche Mitarbeiterin führt aufgrund der grossen Menge lediglich Stichproben durch, weshalb Veranstaltungen ohne touristische Relevanz nicht immer sofort entdeckt und entfernt werden.» Das «Freedom Festivals» wurde nun allerdings gelöscht. «Die touristische Relevanz ist natürlich nicht vorhanden.» (rei)
(https://www.derbund.ch/landbesitzer-will-festival-von-corona-skeptikern-verhindern-744425088980)


+++HISTORY
Lesben im Damenfussball: Angst vor homosexueller Ansteckung?
https://www.srf.ch/play/tv/club/video/lesben-im-damenfussball-angst-vor-homosexueller-ansteckung?urn=urn:srf:video:e7b62315-d692-4752-9656-ebca8e51ea84


Im Land der verbotenen Kinder
Es ist ein dunkles, verdrängtes Kapitel der Schweizer Migrationspolitik: Tausende Kinder von Saisonniers lebten versteckt in der Schweiz. Ihre Eltern holten sie, trotz Verbot, zu sich, weil sie unter der Trennung litten. Hunderttausende andere mussten getrennt von den Eltern bei Verwandten bleiben.
https://www.srf.ch/play/tv/dok/video/im-land-der-verbotenen-kinder?urn=urn:srf:video:918e04bc-cf53-4f60-8f65-75f2a07858ee&aspectRatio=16_9



derbund.ch 31.05.2023

Repression wegen Todesdrama? Streit um Botschaftsdemos weckt in Bern böse Erinnerungen

Nirgendwo agieren die Berner Sicherheitsbehörden so repressiv wie im Botschaftsviertel. Diese Praxis hängt auch mit einem Vorfall vor 30 Jahren zusammen.

Quentin Schlapbach

Sind zwei Menschen mit Kartonschildern vor der britischen Botschaft bereits eine illegale Kundgebung? Oder nehmen sie bloss ihr Recht auf freie Meinungsäusserung wahr, für die es keine spezielle Erlaubnis der Behörden braucht?

Diese Grundsatzfragen standen im Raum, als am Mittwochmorgen Gerichtspräsidentin Shalu Miescher ihr Urteil verlas. Vor dem Regionalgericht Bern-Mittelland stand ein junger Mann, der am 21. Februar 2022 gemeinsam mit einer Frau in der Nähe der britischen Botschaft gestanden war und ein Plakat mit der Aufschrift «Free Assange» auf sich getragen hatte. Sie forderten damit die Freilassung von Wikileaks-Gründer Julian Assange aus britischer Haft. Die Stadt Bern büsste den Mann, weil er mit der Aktion gegen das städtische Kundgebungsreglement verstossen habe.

War das eine bewilligungspflichtige Kundgebung – oder nicht? Auf diese Frage gab das Regionalgericht am Mittwoch leider keine abschliessende Antwort. Zwar sprach es den Mann von sämtlichen Vorwürfen frei. Sein Freispruch ist aber vor allem die Folge eines Fehlers der Stadt respektive der kantonalen Staatsanwaltschaft. Sie stellten dem Mann eine Busse aus, obwohl ihm gar nicht nachgewiesen werden konnte, dass er der Organisator der Aktion war. Gemäss dem städtischen Kundgebungsreglement dürfen nur Organisierende, nicht aber Teilnehmende von Demos gebüsst werden.

Aufgrund dieses Fehlers musste sich das Gericht gar nicht erst zu den wirklich heissen Punkten äussern. Es bleibt somit offen, ob die restriktive Praxis der städtischen Sicherheitsbehörden und der Kantonspolizei im Berner Botschaftsquartier mit den Grundrechten zu vereinbaren ist. Dass Einzelpersonen wegen Meinungsäusserungen im öffentlichen Raum gebüsst werden, erinnert eher an autoritäre Staaten wie Russland oder China denn an ein Land mit rechtsstaatlichen Prinzipien. Fragt sich: Wie ist diese Praxis überhaupt zustande gekommen?

Das Drama vor der türkischen Botschaft

Laut den städtischen Behörden ist die Handhabung von Demonstrationen im Botschaftsviertel gemeinsam mit dem Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten, dem Fedpol und der Kantonspolizei Bern abgesprochen worden. Ein Dokument, wo diese Praxis festgehalten ist, existiert laut dem zuständigen Gemeinderat Reto Nause (Die Mitte) aber nicht. «Wir beurteilen jeweils gemeinsam von Fall zu Fall, ob und in welcher Form eine Kundgebung vor einer Botschaft stattfinden kann.»

Der städtische Sicherheitsdirektor gibt unumwunden zu, dass das Botschaftsviertel «ein spezielles Pflaster» ist. «Es gibt einen völkerrechtlichen Vertrag, der uns dazu verpflichtet, diese Botschaften zu schützen», so Nause. Er beruft sich dabei auf das sogenannte Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen aus dem Jahr 1961. Dieses verpflichtet die Schweiz, «alle geeigneten Massnahmen zu treffen, um die Räumlichkeiten der ausländischen Missionen vor jedem Eindringen und jeder Beschädigung zu schützen».

Nause gibt zu bedenken, dass die Stadt Bern bereits traumatische Erfahrungen im Zusammenhang mit Demos vor Botschaften gemacht hat. 30 Jahre ist es her, als am 24. Juni 1993 kurdische Demonstrierende auf das Gelände der türkischen Botschaft eindrangen. Es flogen Steine, Farbbeutel und Petarden seitens der Protestierenden. Das türkische Botschaftspersonal antwortete darauf mit scharfer Munition.

Einer dieser Schüsse traf einen 29-jährigen Kurden tödlich. Acht weitere Personen wurden im Kugelhagel verletzt, darunter ein Polizist der Stadtpolizei Bern. Dank den Bildern eines kurdischen Fotografen konnte die Berner Polizei zwar die drei verantwortlichen Schützen identifizieren. Um gegen sie ermitteln zu können, benötigte man aber die Zustimmung der türkischen Behörden – so will es die Wiener Konvention.

Die Türkei hatte aber kein Interesse daran, die Immunität der eigenen Landsleute aufzuheben. Der damalige türkische Botschafter verweigerte der Polizei sogar den Zutritt auf das Gelände. Auch die Schusswaffen wurden nie ausgehändigt.

So musste die Schweiz hilflos mit ansehen, wie die drei verantwortlichen Schützen einige Wochen später unbehelligt das Land verlassen konnten. Das Intermezzo hatte zwar diplomatische Spannungen zur Folge. Auch wurde der Botschaftsschutz in Folge massiv hochgefahren – heute gibt der Bund geschätzt rund 50 Millionen Franken pro Jahr dafür aus. Für die tödlichen Schüsse musste sich aber bis heute nie jemand vor einem Gericht verantworten.

Hoffnung auf mehr Klarheit

Weil das Gewaltmonopol der Berner Kantonspolizei vor den Botschaftstoren endet, plädiert Reto Nause auch in Zukunft für einen vorsichtigen Umgang mit politischen Aktionen vor Botschaften. «Wenn wir eine Kundgebung vor einer Botschaft bewilligen, dann muss sie in sicherer Distanz stattfinden können», so Nause.

Wie Recherchen zeigen, ist die heutige Praxis allerdings so restriktiv, dass kaum je Kundgebungen im Botschaftsviertel bewilligt werden. Dies zeigt eine Antwort des städtischen Polizeiinspektorats auf ein entsprechendes Gesuch. «Für Kundgebungen direkt vor ausländischen Botschaften können keine Bewilligungen erteilt werden, da bei der vorzunehmenden Interessenabwägung die Sicherheitslage vor den Botschaften immer überwiegt», steht da. Dies, obwohl vor der betroffenen Botschaft eigentlich genug Platz vorhanden wäre.

SP-Stadtrat und Rechtsanwalt Dominic Nellen hält diese Praxis für verfassungswidrig. «Die Stadt Bern muss sich als Bundesstadt überlegen, wie sie die Meinungsäusserungsfreiheit auslegt.» Auch er vertritt als Anwalt in den kommenden Wochen Personen vor Gericht, die sich gegen Demo-Bussen der Stadt Bern zur Wehr setzen. Den heutigen Freispruch begrüsst Nellen. «Ich hoffe aber, dass sich das Gericht in den kommenden Urteilen auch zu den wirklich grundsätzlichen Fragen äussert.»

Diese Hoffnung teilt auch Reto Nause. Er sagt, dass die Stadt die Urteilsbegründung nun sorgfältig analysieren werde. «Ich hätte mir aber erhofft, dass der Urteilsspruch die Frage, was eine Kundgebung ist und was nicht, behandelt und eindeutiger klärt.» Insbesondere auch, ab welcher Anzahl Personen man von einer Kundgebung sprechen kann.

Dazu äussern muss sich ein Gericht wohl spätestens, wenn der Fall von Lisa Salza verhandelt wird. Die Mitarbeiterin von Amnesty International Schweiz wurde von der Stadt Bern vergangenes Jahr mit 300 Franken gebüsst, weil sie gemeinsam mit fünf weiteren Personen dem russischen Botschafter eine Friedenspetition hatte übergeben wollen. Sie hat sich im Anschluss als Organisatorin der Aktion zu erkennen gegeben. Noch liegt ihr Fall bei der Berner Staatsanwaltschaft.
(https://www.derbund.ch/streit-um-botschaftsdemos-weckt-in-bern-boese-erinnerungen-548529213187)
-> https://fredi-lerch.ch/journalistisches/reportagen/einzelseite-reportagen/kleiner-kaempfer-fuer-die-grosse-sache-92?fbclid=IwAR2t5h2Qu9qp2JkOKeJ23kU00EC4iT9BAsFQlyrSf_7gCChDbyPHFWlxLm4
-> https://www.srf.ch/play/tv/10-vor-10/video/trauerfeier-fuer-erschossenen-kurden-von-bern?urn=urn:srf:video:86d1fb28-a135-4242-ac7b-9eb903ce930d&fbclid=IwAR2UKRPS4S3rcfdBoe84bNQ9k3C7yyd9DLjsjbDlcpZjuk7me2YlwYIQ7cA



derbund.ch 01.06.2023

Besetzer, Denkmalpflege, Fledermäuse: Die Odyssee eines Berner Architekten

Manuel Vatter plant in der Länggasse den grossen Wurf. Doch dann machen Berns Eigenheiten ihm einen Strich durch die Rechnung.

Simone Klemenz

An der Innenseite der Eingangstür hat sich eine fette Spinne eingepuppt. Sie scheint tot zu sein. Wer die Alte Schreinerei auf dem Von-Roll-Areal im Länggassquartier betreten will, muss aber nicht nur an der Spinne vorbei. Stacheldraht liegt auf dem Boden, der hohe Zaun, der sich um das ganze Gebäude zieht, ist teilweise mit Kletterpflanzen überwachsen. Man sieht es ihm an: Er steht schon länger hier.

Manuel Vatter steigt über den zackigen Draht. Der Architekt hat sich an Hürden gewöhnt. Zumindest beim Bauprojekt Alte Schreinerei. 2018 hat der Kanton Bern das Baurecht für die Liegenschaft an der Fabrikstrasse 16 den Architekten Manuel Vatter und Michael Hebeisen überlassen. In einer Ausschreibung setzten sie sich gegen die Konkurrenz durch. Doch erst jetzt, nach bald fünf Jahren, liegt die Baubewilligung vor.

Das Duo beschrieb sich damals gegenüber dieser Zeitung als «Architekten mit besonderer Freude an alten Häusern». Vatter übernahm die Projektleitung. Dass er sich damit auf eine regelrechte Odyssee begeben würde, hätte er nicht gedacht. «Sanierungen sind eigentlich unser Kerngebiet.»

Für einmal sollte aber auch der eingefleischte Profi an seine Grenzen kommen. Denn es geschah, was in der Stadt Bern passieren kann. Das Haus wurde besetzt, die Denkmalpflege hatte das letzte Wort, das Bauprojekt blieb stecken.

Episode I: Die Besetzer

Die erste Episode ist weitgehend bekannt. Die Alte Schreinerei gerät im Frühling 2019 in die Schlagzeilen. Die damaligen Bewohnerinnen und Bewohner des Hauses – das Kollektiv Fabrikool – wollen nicht mehr ausziehen. Sie haben sich im Gebäude, das zuvor jahrelang leer stand, häuslich eingerichtet. Erst legal mit einem Zwischennutzungsvertrag, dann illegal als Besetzer.

Ihre Spuren sind geblieben: Bei der Besichtigung der Schreinerei zusammen mit Manuel Vatter zeigen beim Eingang noch immer Wegweiser in Richtung Küche, Drucki oder Furia, einer anarchistischen Infothek. Am Boden liegen mehrere Gabeln, zerdrückte PET-Flaschen, ein Comic-Heft. Alles Zeugen eines abrupten Endes. Am Dienstag, 14. Mai 2019, räumt die Polizei die Alte Schreinerei im Morgengrauen. Und lässt sie zur Festung werden: Bewachung, Stacheldraht, vier Meter hoher Zaun.

Mit dem Ende der Besetzung beginnt für Vatter der Terror. Sympathisanten des Besetzerkollektivs rufen zu Störaktionen gegen die Bauherren auf. Sie werden bedroht und angegriffen. Eine Spezialeinheit muss die Architekten schützen. Vatter mag nicht gross darüber reden. Er sagt nur: «Es war eine dunkle Phase.»

Episode II: Der Stillstand

Nach dieser wilden Zeit kommt es zum Stillstand. Die Alte Schreinerei vegetiert vor sich hin, rundherum stochern Studierende in ihren Lunchboxen herum und fragen sich, ob mit der Liegenschaft überhaupt noch etwas passiert. Währenddessen beginnt es hinter den Kulissen zu brodeln.

Vergangenen September taucht im «Anzeiger Region Bern» dann plötzlich ein Baugesuch auf. Einsprachen sind gegen dieses laut Vatter keine eingegangen. Den Unterlagen ist zu entnehmen, dass im Erdgeschoss eine Markthalle mit Foodboxen entstehen soll und im ersten Geschoss Studios sowie eine sogenannte Clusterwohnung, die über private Wohneinheiten sowie gemeinschaftlich genutzte Bereiche verfügt.

Und im Dachgeschoss? Nichts. Dies, obwohl Vatter hier ursprünglich eine grosse Wohngemeinschaft für rund zehn Bewohnende realisieren wollte. Was ist passiert?

Wissen sollte man an dieser Stelle: Die Alte Schreinerei wurde 1872 als Waggonfabrik der Firma Von Roll erbaut. Das Gebäude galt als schützenswert, wurde dann aber auf erhaltenswert herabgestuft. Das heisst: Sein äusserer Bestand und seine Raumstruktur gilt es zu bewahren.

Episode III: Die Denkmalpflege

Manuel Vatter steht im Dachgeschoss der Schreinerei. Die Wände sind komplett versprayt. Unter seinen Füssen knarrt der Boden. «Es gibt noch viel zu tun», sagt Vatter. Er zündet mit einem Handscheinwerfer gegen die schrägen Holzbalken: Um die Wohngemeinschaft zu realisieren, hätte laut Vatter der eine oder andere Balken versetzt werden müssen.

In ihrem Gutachten von 2022 stellt sich die städtische Denkmalpflege aber quer. «Die vorgeschlagene Nutzungstypologie führt zu einem massiven Eingriff in die bestehende Dachkonstruktion und kann von unserer Fachstelle nicht unterstützt werden», steht darin. Auch das Einsetzen von Dachfenstern führt zu Differenzen. Vatter will schräge Velux-Dachfenster. Die Denkmalpflege will Fenster wie im Nationalen Pferdezentrum Bern, auf das sie explizit verweist.

Aufgrund der laut Vatter «massiven» Auflagen sieht er sich gezwungen, entweder an der Nachfrage nach preiswertem Wohnraum vorbeizubauen oder den Ausbau des Dachgeschosses ganz fallen zu lassen. Ersteres kann er sich nicht leisten. «Ich hatte keine Chance, vernünftige Wohnungen einzubauen.»

Weil mit dem Verzicht Mieteinnahmen fehlen werden, muss er das Ursprungsprojekt abspecken: kein Lift, keine Unterkellerung, keine Dachfenster, keine Fotovoltaik, kein Restaurant, sondern nur ein Barbetrieb mit Foodboxen.

Gekostet hätte ein WG-Zimmer im Dachstock etwa 700 Franken pro Monat. Für die gentrifizierte Länggasse wäre dies ein humaner Preis gewesen. «Die Denkmalpflege hat günstigen Wohnraum verhindert», sagt Vatter. Die künftige Miete für eine Einheit in der Clusterwohnung schätzt Vatter auf rund 900 Franken pro Monat. Jene für eines der fünf Studios werde höher liegen.

Was sagt die städtische Denkmalpflege zu diesem Vorwurf? Sie ist sich mit dem Architekten nicht einig: «Eine Wohnnutzung hätte sich auch unter Einhaltung der denkmalpflegerischen Rahmenbedingungen umsetzen lassen», schreibt Denkmalpfleger Jean-Daniel Gross auf Anfrage. «Dies hätte eine Umplanung und die Bereitschaft der Bauherrschaft bedingt, unkonventionelle Wohnformen zuzulassen.» Dass im baubewilligten Projekt auf die Wohnnutzung verzichtet werde, sei der Entscheid der Bauherrschaft.

Beim Dachstuhl handle es sich um ein seltenes sogenanntes dreidimensionales Hängesprengwerk. Die Alte Schreinerei gehöre zu den letzten handwerklich geplanten und in Holz gefertigten Grosshallenbauten. «Sie ist daher ein qualitätvolles Zeugnis ihrer Zeit», so Gross.

Manuel Vatter bezeichnet sich nicht als Gegner der Denkmalpflege – so hat er selbst einen Studiengang in diese Richtung absolviert. In Zeiten, in denen die Wohnungsknappheit in aller Munde ist, wirft bei ihm das Vorgehen der Denkmalpflege aber Fragen auf. «Will man gegen die Wohnungsnot etwas unternehmen, werden einem nur Steine in den Weg gelegt.»

Er ist mit seinem Frust nicht allein: Markus Meier, Direktor des Hauseigentümerverbands HEV Schweiz, bezeichnete den Heimatschutz gegenüber SRF jüngst als regelrechten «Bremsklotz». Und auch eine neue Immobilienstudie der Bank Raiffeisen kommt zum Schluss: «Eine Lockerung des Denkmalschutzes würde ohne Zweifel einige zusätzliche Bauprojekte ermöglichen oder zumindest vergünstigen. So könnte eine partielle Lockerung des Denkmalschutzes einen gewissen Beitrag zur Linderung der Wohnungsnot beitragen.»

Das ewige Abwägen zwischen Erhalten und Weiterentwickeln: Laut Denkmalpfleger Jean-Daniel Gross funktioniert es «in der Regel, die denkmalpflegerischen Anforderungen mit dem Wunsch nach mehr Wohnraum zusammenzubringen».

Episode IV: Die Fledermäuse

Nicht aber in der Alten Schreinerei. Das Dachgeschoss wird unbewohnt bleiben. Beim Besuch gurren ein paar Tauben. Einer Fledermaus begegnet Vatter – zum Glück – nicht. Weil ein Nachbar glaubte, eine Fledermaus in der Nähe der Schreinerei gesehen zu haben, musste er auf seine Kosten eine Expertin hinzuziehen. Schützenswerte Tiere fand sie im Gebäude aber keine.

Unterdessen hat Manuel Vatter drei dicke Ordner mit Unterlagen zur Alten Schreinerei gefüllt. Kürzlich hat er nun die Baubewilligung eingeordnet. Er rechnet mit einer Umbauzeit von etwa 15 Monaten. Im Spätsommer soll es mit den Bauarbeiten losgehen. Sofern nicht doch noch eine Fledermaus auftaucht.
(https://www.derbund.ch/die-odyssee-eines-berner-architekten-419954973749)