Medienspiegel 27. Mai 2023

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+++THURGAU
tagblatt.ch 27.05.2023

«Zwölf Stunden chrampfe ohne Lohn»: Im Thurgau nutzen Arbeitgeber Notlage ukrainischer Flüchtlinge aus

Ein Ukraine-Flüchtling mit Schutzstatus S wird illegal und zum Dumpinglohn beschäftigt. Um den Lohn wird er betrogen. Im Thurgau sind bislang fünf Fälle illegaler Beschäftigung bekannt, in einem Fall wurde Anzeige erstattet. Das antwortet der Regierungsrat auf eine Anfrage von SP-Kantonsrat Jacob Auer.

Hans Suter

Skrupellose Menschen, welche die Notlage anderer ausnützen, gibt es wohl überall. Diese Erfahrung musste der 35-jährige Maksym Kovalenko (Name geändert) machen. Er ist einer von etwa 60’000 Ukraine-Flüchtlingen, die heute in der Schweiz leben und dank dem Schutzstatus S sofort eine Arbeit aufnehmen dürfen.

Kovalenko machte von dieser Möglichkeit Gebrauch – mit unschönen Folgen. Seinen Fall hat die Gewerkschaft Unia Ostschweiz-Graubünden kürzlich publik gemacht. Dies hat den Arboner SP-Kantonsrat Jacob Auer veranlasst, sich in der Einfachen Anfrage «Zwölf Stunden chrampfe ohne Lohn» nach der aktuellen Situation im Thurgau zu erkundigen, und er schildert darin den Fall.

Über eine konkursite Firma illegal angestellt

Maksym Kovalenko kam demnach mit seiner Ehefrau, dem sechsjährigen Sohn und dem neugeborenen Töchterchen nach einer langwierigen Flucht in die Schweiz. Hier fand er Arbeit auf dem Bau. Er erzählt: «Wir waren in der ganzen Ostschweiz tätig. Ich habe Löcher gebuddelt, Steine geschleppt, Wände gestrichen, Fliesen verlegt, Türen montiert und alte Gebäudeteile abgerissen. Pro Tag arbeitete ich mindestens zwölf Stunden, oft auch am Wochenende.» Dass solche Arbeitszeiten illegal seien, habe er nicht gewusst.

Auch nicht, dass sein versprochener Lohn von 3750 Franken rund 1000 Franken unter dem GAV-Minimum lag. «Kovalenkos Chef dagegen wusste genau, was er tat», schildert Jacob Auer. «So stellte er den Flüchtling über eine Firma an, die er schon vor Monaten in den Konkurs getrieben hatte. Das Formular für eine Arbeitsbewilligung liess er Kovalenko zwar unterzeichnen, legte es der Behörde aber nie vor.» Der Lohn blieb aus. Er reklamierte, vergebens. «Also verweigerte ich die Arbeit. Nun gab es immerhin ein paar Franken — und ein Versprechen: Der ganze Lohn komme, sobald die Arbeit fertig sei.»

Ohne Arbeitsbewilligung: Bisher sind fünf Fälle bekannt

Wie sieht die Situation im Thurgau aus? «Die Arbeitsmarktaufsicht hat bis heute vier Hinweise zu insgesamt fünf Personen mit Schutzstatus S erhalten, die ohne die nötigen Arbeitsbewilligungen einer Beschäftigung nachgingen», antwortet der Regierungsrat. Bei den Kontrollen werde ein informativer Ansatz gewählt, wenn mit den kontrollierten Arbeitgebern und Arbeitgeberinnen eine konstruktive Zusammenarbeit möglich sei.

Doch der Regierungsrat warnt: «Bei einer nicht bewilligten Tätigkeit machen sich sowohl der Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin als auch der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin strafbar.» Im Wiederholungsfall oder bei unkooperativen Arbeitgebern oder Arbeitgeberinnen werde Strafanzeige eingereicht.

Dies sei bisher in einem Fall erfolgt. «Aufgrund der engen Zusammenarbeit der einzelnen Behörden sollte die Ausbeutung einer Schutz suchenden Person kaum oder nur über einen kurzen Zeitraum möglich sein», schreibt die Regierung weiter.

Der innerbehördliche Informationsfluss folgt laut Regierungsrat klaren Regeln. Personen mit Schutzstatus S sind auf die politischen Gemeinden verteilt und werden von deren Sozialen Diensten betreut. Die Wohngemeinden reichen Stellenantrittsgesuche der Personen mit Schutzstatus S beim kantonalen Migrationsamt ein.

Das Sozialamt des Kantons erhält über das Zentrale Migrationsinformationssystem (Zemis) des Bundes Kenntnis von Stellenantritten. Das Sozialamt leitet diese Meldungen den Sozialen Diensten der zuständigen politischen Gemeinde weiter. Stellen diese eine Erwerbstätigkeit fest, ohne dass ein entsprechender Eintrag im Zemis vorliegt, melden sie dies dem kantonalen Sozialamt.

Das Sozialamt wiederum informiert umgehend das kantonale Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA), das für die Arbeitsmarktkontrollen zuständig ist. «Der innerbehördliche Austausch ist damit umfassend sichergestellt», hält der Regierungsrat fest.

Die Arbeitsmarktaufsicht führe indes keine systematischen Kontrollen der Lohn- und Arbeitsbedingungen ausschliesslich bei Personen mit Status S durch. Eine allfällige Überprüfung der Anstellung finde im Rahmen der normalen Arbeitsmarktkontrollen oder bei einer entsprechenden Meldung von Schwarzarbeit statt.

497 Arbeitsverträge mit Personen mit Schutzstatus S bewilligt

Gemäss dem Zemis waren per Stichtag 1. April 2023 im Thurgau 273 Personen mit Schutzstatus S als erwerbstätig erfasst. Von März 2022 bis 30. März 2023 wurden 497 Arbeitsverträge bewilligt. Dabei erfolgten 97 Anstellungen in der Landwirtschaft, 70 im Bereich Gastro und Hotellerie, 40 in der Bildung (vor allem als Unterrichtsassistenzen), 31 im Gesundheitswesen sowie 29 im Bauhaupt- und Nebengewerbe. Die übrigen verteilen sich auf weitere Branchen in Industrie, Gewerbe und Dienstleistungen.

Bis heute fehlen Maksym Kovalenko rund 15’000 Franken. «Sein Ausbeuter macht derweil munter weiter», schreibt Auer in seinem Vorstoss. Über eine Strohfrau in Cham im Kanton Zug führe er längst eine neue Firma. Zwei Mitarbeiter der neuen Firma seien bereits vorstellig geworden – wegen nicht bezahlter Dumpinglöhne.
(https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/kanton-thurgau/lohndumping-zwoelf-stunden-chrampfe-ohne-lohn-im-thurgau-nutzen-arbeitgeber-notlage-ukrainischer-fluechtlinge-aus-ld.2462565)


+++SCHWEIZ
Forderung an Italien: Justizministerin duldet Asyl-Blockade nicht
Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider hat Italien zur Aufhebung der Rücknahme-Blockade von Flüchtlingen aufgefordert. Vom Gespräch mit dem italienischen Innenminister nächste Woche erwartet sie keine Wunder, wie sie in einem Interview vom Samstag sagte.
https://www.blick.ch/politik/forderung-an-italien-justizministerin-duldet-asyl-blockade-nicht-id18614002.html


Schweiz: Asylgesuche aus der Türkei nehmen zu – Echo der Zeit
In der Schweizer Asylstatistik stehen seit Anfang Jahr Türkinnen und Türken zuoberst – Schutzsuchende aus der Ukraine ausgenommen. Auch in anderen westeuropäischen Staaten sind die Asylanträge von Türkinnen und Türken angestiegen. Was sind die Gründe?
https://www.srf.ch/audio/echo-der-zeit/schweiz-asylgesuche-aus-der-tuerkei-nehmen-zu?partId=12394522
-> https://www.srf.ch/news/international/asylsuchende-aus-der-tuerkei-tuerkei-aus-keinem-anderen-land-kommen-mehr-asylsuchende


+++FRANKREICH
«Wir ertrinken!» – Küstenwache ignorierte 15 verzweifelte Anrufe
27 Menschen starben im November 2021 beim Versuch, den Ärmelkanal zu überqueren. Jetzt wurden fünf französische Soldaten angeklagt: Sie hatten die Hilferufe der Flüchtlinge ignoriert.
https://www.blick.ch/ausland/wir-ertrinken-kuestenwache-ignorierte-15-verzweifelte-anrufe-id18610622.html


+++MITTELMEER
Mittelmeer: Suche nach verschollenem Schiff mit 500 Migranten ergebnislos
Eine italienische Hilfsorganisation sucht auf dem Mittelmeer nach einem Schiff in Not. Dass die Küstenbehörden nichts wüssten, sei „schwer zu glauben“, teilte sie mit.
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2023-05/mittelmeer-schiff-migranten-verschollen-suche-libyen


Im Mittelmeer vermisst: Boot mit 500 Menschen an Bord offenbar nach Libyen zurückgezwungen
Zwei Tage haben Seenotretter nach einem verschollenen Boot mit Hunderten Frauen, Männern und Kindern gesucht. Nun teilt die Uno mit: 485 Menschen wurden in der Hafenstadt Benghazi gemeldet.
https://www.spiegel.de/panorama/500-fluechtlinge-an-bord-boot-mit-vermissten-offenbar-nach-libyen-zurueck-gezwungen-worden-a-b7826b8f-dd4c-45d6-89f8-ed21b3ed5219


+++FREIRÄUME
Wie man eine Lagerhalle besetzt
Besetzung In der Nacht von Freitag auf Samstag besetzte ein aktivistisches Kollektiv das ehemalige Lagerhaus der Firma Vatter Samen an der Sägestrasse 67 in Köniz. Wir haben sie begleitet.
https://journal-b.ch/artikel/wie-man-eine-lagerhalle-besetzt/
-> Medienmitteilung: https://barrikade.info/article/5976
-> Besetzung: https://www.instagram.com/centraleviva/
-> https://www.baerntoday.ch/bern/kollektiv-besetzt-gebaeude-in-koeniz-151728553?autoplay=true&mainAssetId=Asset:151731467
-> https://twitter.com/bwg_bern/status/1662333601319460864
-> https://twitter.com/gegen_oben/status/1662346363902754816
-> https://twitter.com/farbundbeton/status/1662350451902119936
-> https://twitter.com/ag_bern/status/1662372731516510209
-> https://twitter.com/peatlicker/status/1662376267147034624
-> -> https://www.20min.ch/story/kollektiv-besetzt-privates-gebaeude-um-es-fuer-ideen-aller-art-zu-retten-731053845786


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Aktivisten protestieren gegen umstrittenen Esoterik-Anlass
Beim Kanzleiareal protestierten am Samstagmittag einige Dutzend Aktivistinnen und Aktivisten gegen einen Kongress im Volkshaus.
https://www.20min.ch/story/aktivisten-protestieren-gegen-umstrittenen-esoterik-anlass-769093898903
-> Aktions-Aufruf: https://barrikade.info/article/5960
-> https://www.blick.ch/schweiz/zuerich/polizeieinsatz-beim-zuercher-volkshaus-antifa-protestiert-gegen-esoterik-kongress-in-zuerich-id18615075.html
-> https://twitter.com/sozialismus_ch



tagesanzeiger.ch 27.05.2023

Esoterik-Kongress in Zürich: Das Volkshaus im demokratischen Dilemma

Die unbewilligte Gegendemonstration zum Esoterik-Kongress im Volkshaus verlief friedlich. Die Diskussion über den Event verdeutlicht aber den schmalen Grat zwischen Meinungsfreiheit zulassen und Extremismus verhindern.

Sabrina Bundi

Trommeln auf Kochgeschirr, pfeifen, Buhrufe, Sirenengeheul, Transparente mit der Aufschrift «Kein Raum für Schwurblis» oder «Euses Volkshaus». Rund 40 Personen des anonymen Kollektivs «Reclaim Volkshaus» haben sich heute Samstag kurz nach dem Mittag rund eine halbe Stunde lang vis-à-vis vom Volkshaus zur Lärmdemo positioniert, um ihren Unmut darüber auszudrücken, dass zur gleichen Zeit im Volkshaus ein Esoterik-Kongress mit dem Namen «Vision des Guten und Manifest der neuen Erde» stattfindet.

Proteste gegen den Kongress. – Video: Tamedia
https://unityvideo.appuser.ch/video/uv449246h.mp4

Ein Kongress, bei dem umstrittene Personen mit noch streitbareren Ansichten auftreten. Menschen wie der wegen Rechtsextremismus, Antisemitismus, Holocaust-Verharmlosung und dem Zweifel an russischen Kriegsverbrechen Schlagzeilen schreibende Historiker Daniele Ganser. Oder die Toggenburger Esoterik-Youtuberin Christina von Dreien, die unter anderem daran glaubt, dass sich unter dem Erdboden von seelenlosen Ausserirdischen bewohnte Hohlräume befinden. Weitere Gäste, die «Reclaim» in ihrem linkstraditionellen Volkshaus nicht sehen wollten, seien Reichsbürger, Chemtrail-Verschwörer, QAnons, Corona-Leugner und Sektengurus.

Die Quelle fühlt sich nicht angesprochen

Wären die Demonstrantinnen und Demonstranten eine Stunde später aufgetreten, hätten sie mehr Kongressgäste erreicht, da diese erst um 13 Uhr für die Mittagspause das Volkshaus verliessen. Viele haben so den Lärm wohl gar nicht gehört. Und die Organisatorin, die AG mit dem Namen «die Quelle», welche zum Kongress geladen hat, fühlte sich nicht angesprochen von der Lärmdemo und von Parolen wie «verpisst euch ihr braunen Eso-Nazis und Schwurbler», sagt der Organisator Jean-Pierre Zehnder. «Der Protest richtet sich gegen das Volkshaus oder gegen einige Gäste, wir fühlen uns nicht betroffen.» Ihn interessiere der Protest daher nicht – die Quelle sei bloss eine Veranstalterin, welche mit einem Angebot auf eine bestehende Nachfrage reagiere.

Neben den umstrittenen Gästen des Kongresses richtete sich die Kritik der Demonstrantinnen und Demonstranten auch an die Vergabepraxis des Volkshauses. Ausgerechnet das Volkshaus als Ort der Solidarität und des Fortschritts, dürfe «Schwurblern» keine Plattform bieten, verlangte «Reclaim Volkshaus» bereits im Vorfeld der Veranstaltung in einer von rund 3400 Personen unterschriebenen Petition, mit welcher der Eso-Kongress verhindert werden sollte. Während der unbewilligten Demonstration, die von der Polizei beaufsichtigt wurde, wollten sie zwar nicht mit den Medien reden, in der Petition schreiben sie aber weiter, dass das Volkshaus mit der Vergabe der Räume an den Esoterik-Kongress eine rote Linie überschritten habe. Ihr Handeln sei «verantwortungslos, jedes Geschäft mit diesen Kreisen muss tabu sein».

Das Volkshaus zur Kritik

Für Stiftungsratspräsident Kaspar Bütikofer verläuft die rote Linie woanders durch. Er verstehe, dass die «Vision des Guten» Irritationen auslöse, «mir geht es auch so». Das allein würde jedoch keine Absage rechtfertigen: «Das Volkshaus ist ein Ort der Debatten und hat gemäss Stiftungsurkunde allen Bevölkerungskreisen offen zu stehen. Auch wenn die Volkshausstiftung die Inhalte der Veranstaltung in keiner Weise teilt, und Verschwörungstheorien aller Art dezidiert ablehnt, so wird die Meinungsfreiheit in diesem Fall jedoch höher gewichtet.» Es sei nicht die Aufgabe der Volkshausstiftung zweifelhafte, aber legale Haltungen auszugrenzen, «das Volkshaus übt keine Zensur».

«Das Volkshaus ist für das Volk da», so steht in den Leitlinien. Und darin steht auch: «Bei Veranstaltungen, die gegen die Grundprinzipien der Toleranz und des Respekts verstossen oder die in krassem Widerspruch stehen zur Tradition des Hauses, behält sich die Volkshausstiftung im Einzelfall eine begründete Absage vor.» Ein Beispiel: Vor Jahren hat das Volkshaus den Islamischen Zentralstaat abgelehnt.

Bestehe bei der Vergabepraxis für die rund 2700 Veranstaltungen, die jährlich im Volkshaus stattfänden, Unsicherheiten, lasse der Stiftungsrat die Vorwürfe gegenüber Referenten und Referentinnen durch spezialisierte Fachstellen überprüfen. So kam es auch, dass das Volkshaus von «der Quelle» forderte, den problematischsten aller Kongressreferenten, Ricardo Leppe, wieder auszuladen. Leppe bewirbt die völkische Anastasia-Bewegung. «Bei den übrigen Referenten lagen keine Sachverhalte vor, die eine begründete Absage rechtfertigen würden», erklärt der Stiftungsratspräsident.

Für die Zukunft möchte das Volkshaus seine Leitlinien überprüfen. Während einer Retraite werden die Kriterien für die Vermietung der Räume detaillierter formuliert. «Der Prozess ist ergebnisoffen», sagt Kaspar Bütikofer.

Das aktuelle Beispiel zeigt: Es ist ein schmaler Grat, auf dem sich Veranstaltungsorte bewegen, zwischen Meinungsfreiheit zulassen und Extremismus verhindern. Wobei: Eigentlich sind die gebrauchten Metaphern von der roten Linie und dem schmalen Grat die falschen Bilder, um diesen Graubereich zu beschreiben. Denn die einzige klare Grenze ist die des Gesetzes. Justiziable Vergehen wie Hassreden zu verbreiten, ist illegal. Aber gleich darunter verschwimmt die moralische Grenze zu einem Band, einem Wertebereich, der «nur im Rahmen einer demokratisch geführten Debatte definiert werden kann», sagt der Sozialwissenschaftler Marko Ković. Es sei Aufgabe der Politik und der Zivilgesellschaft, diesen abzustecken – oder der einzelnen Institutionen wie dem Volkshaus, die bestimmen, was noch akzeptabel ist und was nicht.

Seine Grenzen legt Ković bei bewusster Verbreitung von Hass und Falschinformation. Also wie die Verbreitung der Ansicht von unterirdisch lebenden Aliens? «In diesem Fall müssen wir das Prinzip des Wohlwollens noch in Betracht ziehen», damit meint Ković, dass davon auszugehen sei, dass die Frau ihre Ansicht tatsächlich glaubt. «Ihre Inhalte sind somit insofern harmlos, als dass sie einfach Falschinformationen sind.»

Teil der politischen Debatte

Hätte Ković, der sich seit 15 Jahren zum Thema Verschwörungstheorien befasst, den Esoterik-Kongress im Volkshaus stattfinden lassen? «Ja», sagt er. Denn das sogenannte Deplatforming – also Events ihrer Plattform zu berauben – sei im Sinne einer Demokratie nur wenig sinnvoll: «In einer Demokratie haben alle das Recht, irrational zu sein.» Man müsse vorsichtig damit sein, Veranstaltungen zu verbieten, ansonsten müsste man konsequenterweise schnell viel mehr verbieten.

Auch taktisch gesehen sei es sinnvoller, die Veranstalter nicht auszuladen, da sich gerade Protagonisten im Verschwörungsmilieu wie Daniele Ganser damit als «Zensuropfer aufspielen können, was ihnen wiederum mehr rhetorische Munition und Plattform gibt, als sie es mit ihrem eigentlichen Auftritt gehabt hätten».

Also einfach ignorieren und machen lassen? «Nein, es muss moralische Grenzen geben und die Möglichkeit, sich mit Gegenveranstaltungen gegen solche Inhalte zu wehren.» Wie es «Reclaim Volkshaus» getan hat. Denn sowohl die Petition des anonymen Kollektivs als auch die Gegendemonstration seien «eine legitime Art, als Zivilgesellschaft Kritik zu üben, solange keine Gewalt im Spiel ist». Auch das sei Teil der politischen Debatte – und diese wiederum sei wichtig, um Probleme zu lösen. Das Volkshaus hat für Ković seinen Teil zur Debatte beigetragen, indem es sich im Voraus bei Relinfo über Teilnehmer informierte. Er würde sich nun wünschen, dass auch die Gegenseite, sprich die «Vision des Guten», eine Diskussion zulassen würde.

Und wo überschreiten Referenten die rote Linie für «die Quelle»? Für Jean-Pierre Zehnder verläuft die Linie bei Antisemitismus (er habe nicht gewusst, dass Ricardo Leppe Antisemitismus vorgeworfen werde), beim Lügenverbreiten und bei der Ausnutzung von Menschen. Im Grundsatz klingen also alle Antworten zur roten Linie fast gleich, wäre da nicht der Interpretationsspielraum.
(https://www.tagesanzeiger.ch/das-volkshaus-im-demokratischen-dilemma-520385277089)



Klima-Demo in Bern: Rund 1000 Menschen demonstrieren für das Klimaschutzgesetz
In Bern fand am Samstagnachmittag eine Kundgebung für die Annahme des Klimaschutzgesetzes statt. Rund 1000 Personen nahmen daran teil
https://www.derbund.ch/rund-500-menschen-demonstrieren-fuer-das-klimaschutzgesetz-888004940217
-> https://www.blick.ch/schweiz/bern/kundgebung-in-bern-gruenen-politiker-dabei-hunderte-personen-demonstrieren-fuer-das-klimaschutzgesetz-id18615021.html
-> https://twitter.com/klimastreik
-> https://twitter.com/campaxorg
-> https://www.baerntoday.ch/bern/stadt-bern/500-personen-demonstrieren-fuer-das-klimaschutzgesetz-151734287
-> https://www.derbund.ch/news-ticker-bern-region-kanton-polizei-verkehr-politik-kultur-95-290281918894
-> https://www.watson.ch/schweiz/bern/389564803-hunderte-demonstrieren-in-bern-fuer-das-klimaschutzgesetz
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/hunderte-menschen-demonstrieren-in-bern-fur-das-klimaschutzgesetz-66504281
-> https://www.tagblatt.ch/schweiz/abstimmungskampf-in-bern-demonstrieren-hunderte-fuer-ein-ja-fuer-das-klimaschutzgesetz-ld.2464382


Gewalt befürchtet: Nachrichtendienst warnt vor radikaler Klima-Bewegung
Der Schweizer Nachrichtendienst fürchtet, dass sich ein Teil der Klimabewegung in den nächsten Jahren radikalisiert. «Einige werden dabei die Grenze zur Gewaltausübung überschreiten.»
https://www.blick.ch/politik/gewalt-befuerchtet-nachrichtendienst-warnt-vor-radikaler-klima-bewegung-id18614869.html
-> Abo: https://www.tagblatt.ch/schweiz/ziviler-ungehorsam-nachrichtendienst-warnt-vor-radikalisierung-der-klimabewegung-was-heisst-das-fuer-die-abstimmungskampagne-ld.2463960


«So gross wie lange nicht mehr»
Die Velodemo Critical Mass, die jeweils am letzten Freitag des Monats stattfindet, hat zahlreiche Velofahrende auf die Zürcher Strassen gelockt. Diese fuhren unter anderem über die Hardbrücke oder die Langstrasse entlang.
https://www.zueritoday.ch/zuerich/so-viel-los-wie-lange-nicht-mehr-critical-mass-faehrt-durch-zuerich-145130875?autoplay=true&mainAssetId=Asset:151723600
-> https://www.20min.ch/story/ich-muss-arbeiten-food-kurier-geigt-velo-demonstranten-die-meinung-568267491075?version=1685177073742
-> https://www.zueritoday.ch/zuerich/stadt-zuerich/ich-muss-arbeiten-zuercher-kurierfahrer-rastet-wegen-velodemo-aus-151723506?autoplay=true&mainAssetId=Asset:151723600


Unbewilligte Demo in Winterthur
Am Freitagabend sind Demonstranten durch Winterthur gezogen. Sie forderten billigeren Wohnraum. Die Demo war nicht bewilligt.
https://www.toponline.ch/news/winterthur/detail/news/unbewilligte-demo-zog-durch-winterthur-00213200/
-> https://www.zueritoday.ch/zuerich/winterthur/vermummte-ziehen-durch-winterthur-und-versprayen-fassaden-151722838


Holcim bras armé du ravage écologique – Liberté pour Jéméry
Encore et encore et partout, le ciment coule sur les terres et nos villes, les rendant toujours plus invivables.
https://renverse.co/infos-d-ailleurs/article/holcim-bras-arme-du-ravage-ecologique-liberte-pour-jemery-4036


Basel:Farbflaschen auf Polizeiposten!
Kämpferische Antwort auf die repressiven Angriffe
Das Klirren der Flaschen, die Farbflecken an der Fassade des Polizeiposten sind unsere widerständigen Grüsse an den Genossen, dem die Bullen ein Auge genommen haben.
https://barrikade.info/article/5974


Communiqué „Demo gegen die Stadt der Reichen!“
Communiqué zur Demo“gegen die Stadt der Reichen“ in Winterthur.
Stadtaufwertung ist angreifbar! Das isch #oisistadt!
Heute nehmen wir uns die Strassen und morgen die ganze Stadt. Häuser werden totalsaniert, Mieten steigen ins Unermessliche und wir aus der Stadt verdrängt. Wir müssen weichen für die Reichen. Die Stadt soll glänzen und dafür müssen wir schuften. Wir bauen ihre Häuser, betreuen ihre Kinder und Grosseltern und putzen ihre Büros, doch wohnen sollen wir hier nicht.
https://barrikade.info/article/5977


Klima: Nicht die Aktivisten werden radikaler – sondern ihre Gegner
Dass die Klimabewegung immer radikaler werde, hört man öfters. Forscher sehen dies allerdings eher bei jenen, denen die Aktivisten ein Dorn im Auge sind.
https://www.nau.ch/news/europa/klima-nicht-die-aktivisten-werden-radikaler-sondern-ihre-gegner-66503779



nzz.ch 27.05.2023

Nachrichtendienst warnt vor Radikalisierung der Klimabewegung – was heisst das für die Abstimmungskampagne?

Die Schülerdemos sind Vergangenheit. Die Klimabewegung setzt auf zivilen Ungehorsam. Beim Nachrichtendienst erwartet man eine weitere Radikalisierung. In bürgerlichen Kreisen ist die Sorge gross, dass die Klimajugend damit dem Anliegen schadet.

Christoph Bernet

Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten machen Schlagzeilen. Nach einer Aktion gegen eine Privatjet-Messe auf dem Flughafen Genf wurden diese Woche rund 100 von ihnen in Gewahrsam genommen. Am Osterwochenende hatten sie kurzzeitig den – ohnehin kaum rollenden – Verkehr vor dem Gotthardtunnel blockiert.

Und in Deutschland klären Ermittler nach bundesweiten Razzien ab, ob es sich bei der durch Strassenblockaden bekannt gewordenen Gruppierung «Letzte Generation» um eine kriminelle Vereinigung gemäss deutschem Gesetz handelt.

Ein solcher Vorwurf steht in der Schweiz nicht im Raum. Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) schreibt auf Anfrage, Klimaaktivisten in der Schweiz hätten bisher mit Ausnahme von Einzelfällen kaum Gewalt eingesetzt. Damit der NDB präventiv tätig werden könne, reiche ein ideologischer oder politischer Hintergrund von Personen oder Organisationen alleine nicht aus. Auch wenn diese sich radikalisierten, fielen sie ohne konkret feststellbaren Gewaltbezug nicht ins Zuständigkeitsgebiet des Nachrichtendiensts. Dies gelte auch für die Klimabewegung als ganze.

Dennoch beobachtet man diese Bewegung beim Nachrichtendienst offenbar mit einer gewissen Sorge: «Es ist wahrscheinlich, dass ein Teil dieser Szene sich in den kommenden Jahren radikalisieren wird, wenn ihre Forderungen im politischen Prozess kein Gehör finden sollten», so der NDB: «Einige werden dabei die Grenze zur Gewaltausübung überschreiten.»

Enttäuscht und entfremdet von der Politik

Soziologe Simon Schaupp von der Universität Basel ist Hauptautor einer im Februar 2022 publizierten Studie über den Schweizer Klimastreik. Diese basiert auf Umfragen und Interviews mit Involvierten. Seither habe sich die Bewegung weiter in dezentrale Gruppen ausdifferenziert. Die meisten davon würden Aktionen des zivilen Ungehorsams nutzen und riskierten damit mehr als mit Demonstrationen. Das spreche für eine gewisse Radikalisierung.

Angetrieben werde diese Radikalisierung durch die rabiater werdenden Reaktionen von Strafverfolgern und Privatpersonen auf solche Aktionen und die sich zuspitzende Klimakrise. In den Augen der Aktivisten reagiere die Politik darauf ungenügend. Entsprechend gross sei deren «Enttäuschung und Entfremdung von der institutionellen Politik», so Schaupp.

Was heisst das im Hinblick auf die Abstimmung vom 18. Juni über das Klimaschutzgesetz? «Für den Klimastreik Schweiz ist klar, dass dieses Gesetz nicht reicht», so Sprecher Cyrill Hermann. Doch man sei sich bewusst, dass das Gesetz momentan das Maximum dessen sei, was in der institutionellen Politik möglich ist. Der Klimastreik fokussiere sich auf eigene Projekte und unterstütze die Kampagne nur nebenbei.

Am Samstag ruft der Klimastreik zwar zur Teilnahme an einer Demo für das Gesetz in Bern auf. Doch laut Sprecher Hermann reichten Demonstrationen alleine nicht aus, um genügend Druck auf die Politik auszuüben: «Deshalb müssen wir auch zu Aktionen des zivilen Ungehorsams greifen.»

Der Klimastreik werde «ganz sicher» auch weiterhin friedlich protestieren. Die Verhinderung von Sachschaden habe «jedoch nicht mehr die gleiche Priorität wie früher». Die in Kauf genommene Sachbeschädigung stehe «in keinem Verhältnis» zu dem schon heute durch die Klimakrise verursachten Leid und Schaden.

«Aktionen schaden in bürgerlichen Kreisen»

«Blockaden und ähnliche Aktionen sind im Abstimmungskampf sicher nicht hilfreich», sagt Nationalrätin Priska Wismer-Felder (Mitte/LU), eine der engagiertesten bürgerlichen Befürworterinnen des Klimaschutzgesetzes.

Sie werde am Rande von Podien und anderswo oft auf das Thema angesprochen. Sie habe zwar Verständnis für den Wunsch der Aktivisten, medienwirksam auf die Dringlichkeit des Kampfs gegen die Klimakrise hinzuweisen: «Aber ich habe den Eindruck, dass solche Aktionen dem Anliegen gerade in bürgerlichen Kreisen mehr schaden als nützen.»

Sophie Fürst, Co-Leiterin der Ja-Kampagne, ist hingegen überzeugt, dass die Bevölkerung den Unterschied zwischen den teilweise kritisch betrachteten Aktionen und der Abstimmung machen werde. Das Gesetz sei eine von einer breiten Allianz getragene Kompromissvorlage des Parlaments.
(https://www.tagblatt.ch/schweiz/ziviler-ungehorsam-nachrichtendienst-warnt-vor-radikalisierung-der-klimabewegung-was-heisst-das-fuer-die-abstimmungskampagne-ld.2463960)
-> https://www.blick.ch/politik/gewalt-befuerchtet-nachrichtendienst-warnt-vor-radikaler-klima-bewegung-id18614869.html



«Da tanzen wir nicht mit»: Unia fordert mehr Lohn für Tänzerinnen und Tänzer
Nach der Premiere von «Explosiv!» am Schauspielhaus wurden die Zuschauerinnen und Zuschauer mit einem Banner der Unia überrascht. Darauf zu lesen: «Da tanzen wir nicht mit. Faire Löhne fürs Basler Ballett»
https://www.baseljetzt.ch/da-tanzen-wir-nicht-mit-unia-fordert-mehr-lohn-fuer-taenzer/65043
-> https://www.bzbasel.ch/basel/basel-stadt/theater-basel-eklat-nach-ballett-premiere-ensemble-fordert-auf-der-buehne-gerechtere-loehne-ld.2464367
-> https://www.onlinereports.ch/News.117+M5fb400b7852.0.html


+++REPRESSION DE
Repressionen gegen Letzte Generation: Wer gefährdet hier die Demokratie?
Nach der Großrazzia bei der Letzten Generation zeigt sich: Behörden bekämpfen Aktivist:innen statt Missstände. Das hat Tradition in Deutschland.
https://taz.de/Repressionen-gegen-Letzte-Generation/!5934396/


+++FRAUEN/QUEER
Non-binäre Autorenperson: Kim de l’Horizon von Kindern mit Eiern beworfen – «und niemand griff ein»
Offenbar wegen der äusseren Erscheinung ist Kim de l‘Horizon von Kindern verhöhnt und mit Eiern beworfen worden. Auf Insta beklagt die preisgekrönte Autorenperson falsche Erziehung.
https://www.20min.ch/story/kim-de-lhorizon-von-kindern-mit-eiern-beworfen-und-niemand-griff-ein-119786754696
-> https://www.baerntoday.ch/bern/region-bern/ich-bin-es-muede-euren-job-zu-machen-kim-de-lhorizon-in-oeffentlichkeit-angegriffen-151723952
-> https://www.blick.ch/schweiz/niemand-griff-ein-kinder-bewerfen-kim-de-l-horizon-mit-eiern-id18615411.html


+++RECHTSPOPULISMUS
Abgesagter Gender-Tag
Baume-Schneider zum Fall Stäfa: «Wir müssen auf Exzesse reagieren»
Justizministerin Elisabeth Baume-Schneider kritisiert in einem Interview die Hetze gegen den Gender-Tag in Stäfa. Sie kommt auch auf «Doxing» zu sprechen, «das Veröffentlichen privater Informationen mit bösen Absichten».
https://www.zueritoday.ch/zuerich/baume-schneider-zum-fall-staefa-wir-muessen-auf-exzesse-reagieren-151731924?autoplay=true&mainAssetId=Asset:151528632


+++RECHTSEXTREMISMUS
«Typ zeigt mir offensiv den Hitlergruss» – Nationalrätin hat Schreckerlebnis
Freitagabend am belebten Bahnhof Olten: Ein Unbekannter zeigt der SP-Nationalrätin Gabriela Suter den Hitlergruss.
https://www.20min.ch/story/typ-zeigt-mir-offensiv-den-hitlergruss-nationalraetin-hat-schreckerlebnis-936068825683?version=1685210604484


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Waffen und Wahn
Verschwörungsgläubige um Heinrich XIII. Prinz Reuß sollen einen Putsch in Deutschland geplant haben. Im Nachrichtenpodcast rekonstruieren wir die Entstehung der Gruppe.
https://www.zeit.de/politik/2023-05/heinrich-xiii-prinz-reuss-verschwoerung-nachrichtenpodcast


+++HISTORY
tagblatt.ch 27.05.2023

«Unnützes Gesindel»: In Rheineck befand sich im 17. Jahrhundert die wohl grösste jüdische Siedlung St.Gallens – schon damals grassierte der Judenhass

Mit der Errichtung eines Holocaust-Denkmals im Rheintal wollen Bund und Kanton die Erinnerung an die Judenverfolgung wachhalten. Für Tausende Jüdischstämmige war die Schweizer Grenzregion das Ziel auf der Flucht vor den Nazis. Was nur wenige wissen: Lange Zeit davor nannten viele Juden das Rheintal ihr Zuhause.

Luca Hochreutener

Verfolgung, Unterdrückung, Mord: Die Geschichte der Juden in Europa ist verbunden mit unvorstellbarem Leid. Wer denkt, dass dieses erst im 20. Jahrhundert durch die Nationalsozialisten seinen Anfang nahm, täuscht sich. Der Judenhass ist schon über 2000 Jahre alt.

Auch in der Schweiz fühlten sich jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger, wenn sie denn als solche betrachtet wurden, bis zum Anbruch der Moderne selten willkommen. Tatsächlich lässt sich der Umgang mit ihnen am Beispiel einer kleinen Ostschweizer Gemeinde sehr gut nachvollziehen.

    «Wo bist zu haus, Hebräer mein?
    Ich bin von Rheinegk an dem Rhein.»

Diese Zeilen stammen aus einem Volkslied aus dem 18. Jahrhundert. Es taucht in den «Sammlungen jüdischer Geschichten» des Thurgauer Priesters Johann Caspar Ulrich auf, der als Erster der Geschichte der Schweizer Juden auf den Grund ging. Der Text lässt erahnen, von welcher Gemeinde die Rede ist: In Rheineck entstand zwischen dem 16. und 17. Jahrhundert ein beachtliches jüdisches Viertel. Schätzungsweise bis zu 100 Personen sollen dort gelebt haben.

Rheineck war der ideale Ort

Die Geschichte jüdischer Einwohner in Rheineck beginnt um das Jahr 1430. Bereits damals liessen sich dort aus Konstanz vertriebene Juden nieder. Ihre Siedlungstätigkeit war augenscheinlich nur von kurzer Dauer, denn die Spur verliert sich nach 1450.

Erst für das 17. Jahrhundert gibt es wieder Berichte von in Rheineck wohnhaften Juden, deren Eltern sich um das Jahr 1570 dort niedergelassen haben sollen. Dies berichteten sie dem Rheintaler Landvogt, was schriftlich festgehalten wurde. Zu Beginn waren es noch drei Familien, ebenfalls Vertriebene. Da sie weder handwerkliche noch landwirtschaftliche Berufe ausüben durften, trieben sie Handel. Einzelne begannen, Geld zu verleihen, was Christen verboten war.

Warum wählten diese ausgerechnet die Gemeinde Rheineck aus? Das hat laut Max Baumann, Historiker und Mitverfasser der «Sankt-Galler Geschichte» einen zentralen Grund: «Die Juden waren nur in den Gemeinen Herrschaften geduldet. Das hat man in der Eidgenossenschaft so festgelegt.» Das Rheintal war eine solche Gemeine Herrschaft.

Die Vertreibung aus grösseren Städten führte dazu, dass Juden zunehmend in kleineren Gemeinden siedelten, die landwirtschaftlich geprägt waren. Diese Lebensweise heisst «Landjudentum». Nichtsdestotrotz hatte Rheineck den Status einer Kleinstadt und deshalb eine gewisse Autonomie. Wegen ihrer Selbstverwaltungsrechte durfte sie selbst über die Niederlassung der Juden entscheiden.

Doch war die Stadt nicht ganz unabhängig von ihren eidgenössischen Schirmherren. Diese hatten in sämtlichen Angelegenheiten des Rheintals ihre Finger im Spiel. Das sollte den Juden in Rheineck schon bald zum Verhängnis werden.

Stadt und Landvogt verhinderten Vertreibung

Die Zahl der Juden in Rheineck wuchs schnell. 1608 wohnten dort bereits rund 30 Personen jüdischen Glaubens. Ab dann trat die weitverbreitete Judenfeindlichkeit zutage, und man unternahm Versuche, die Juden wieder loszuwerden. Die katholischen Orte Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden und Zug beantragten bei der Tagsatzung gemeinsam die Auflösung der Gemeinde.

Die Tagsatzung wurde bis zur Gründung des Bundesstaats 1848 regelmässig abgehalten. Sie war die wichtigste politische Plattform unter den damaligen Orten der Schweiz.

Mit ihrer Forderung waren die fünf mächtigen Orte letztlich nicht erfolgreich. Die Juden schafften es, den Landvogt und die Stadt Rheineck auf ihre Seite zu ziehen. Letztere schrieb an die fünf Schirmherren und bat darum, von einer Vertreibung abzusehen. Auch der Landvogt sprach sich in einem Schreiben gegen die Ausweisung der Juden aus. Er wies darauf hin, dass ihre Handelstätigkeit der Gegend mehr nütze als schade. Die Orte willigten ein und die Gemeinde durfte fortbestehen. Vorerst.

Man machte ihnen das Leben schwer

Auch wenn die Juden weiterhin in Rheineck wohnen durften, hörte die Diskriminierung nicht auf. Sogenannte Schutzbriefe legten zwar ihr Aufenthaltsrecht fest, doch mussten sie sich dieses teuer erkaufen. Die Juden zahlten der Stadt und den Landvögten viel Geld. Mit Steuern und Gebühren wollten sie ihnen so viele Gulden wie möglich abknöpfen. Zog ein Jude von Rheineck weg, wurde etwa ein hoher Betrag an Abzugsgeld fällig.

Darüber hinaus stellten die Rheinecker Bürger perfide Forderungen, die eine Vergrösserung der jüdischen Gemeinde in Rheineck verhindern sollten. Im Gegenzug würden sie dem Schutzbrief zustimmen. Zum Beispiel durften sie keine neuen Juden mehr aufnehmen. Obendrauf verlangten sie ein Festgelage auf Kosten der Rheinecker Juden.

Sie prägten das Stadtbild

Damit konnten sie das Anwachsen der Gemeinde aber höchstens bremsen, nicht vollständig verhindern. 1634 lebten in Rheineck bereits bis zu 100 Juden. Es dürfte damals die grösste jüdische Siedlung in der Ostschweiz gewesen sein, meint Historiker Max Baumann, wenngleich genaue Zahlen dazu fehlen.

Sie bewohnten ein ganzes Viertel der Kleinstadt, genannt «Judengasse». Ein weiterer Spitzname der Häuserreihe lautete übrigens «Hennerich». Die Bewohner der Häuser wechselten nämlich so oft wie «Hühner das Stängeli». So schreibt es die Stadt Rheineck auf ihrer Website. Die Juden machten zu dem Zeitpunkt zirka 13 Prozent der Rheinecker Stadtbevölkerung aus. Als die Population ihren Höhepunkt erreichte, bedeutete dies gleichzeitig ihr Ende.

1630 hatte der Schwedische Krieg begonnen, ein Konflikt innerhalb des Dreissigjährigen Krieges. Auf ihrer Flucht vor den Kriegswirren fanden viele Juden ihren Weg in die friedliche Eidgenossenschaft und damit auch nach Rheineck, wo sie von ihren Glaubensbrüdern und -schwestern aufgenommen wurden. Das wurde der Stadt Rheineck zu viel: Sie ordnete an, dass die zugezogenen Juden die Stadt innert vier Wochen verlassen müssen. Der Landvogt, der gegenüber den Juden stets Toleranz zeigte, stimmte dem aber vorerst nicht zu.

Das Stadtbild war immer stärker von Juden geprägt, woran sich schliesslich auch die evangelischen Gemeinden um Rheineck herum störten. Sie fürchteten, die Juden könnten bald mehr religiöse Rechte haben als sie. Sie beschwerten sich bei den regierenden Orten.

Immer stärkere Spannungen

Eine Delegation von eidgenössischen Gesandten reiste 1633 nach Rheineck und es kam zur Aussprache. Der Stand Zürich empfand die dortigen Zustände als untragbar, besonders weil die Judenpopulation innert kurzer Zeit nochmals stark angestiegen war. Man hielt fest, «dass solch unnützes Gesindel (…) gänzlich abgeschafft werde».

Währenddessen lief gegen einen der frisch zugewanderten Juden eine Reihe von Gerichtsverfahren. Der Mann hatte Wertsachen wie Schmuck und Gold erworben, doch beschwerte sich danach jemand beim Landvogt, er habe eigentlich die ursprünglichen Besitzer ermordet und die Gegenstände geklaut. Ein Skandal, der den Druck auf die Rheinecker Juden weiter erhöhte.

Auch in Zürich wuchsen die Spannungen. So entschied die Stadt Mitte 1634, sämtliche Juden auszuweisen, und verbot ihnen die erneute Einreise. Die Landvögte mussten sich nach diesem Beschluss richten. Die Stadt Rheineck nutzte ihre Chance und schickte die Juden am 13. Juli 1634 fort. Damit war ihr Schicksal besiegelt.

Wie judenfeindlich war die Schweiz?

Kann man diese Judenfeindlichkeit mit dem späteren Antisemitismus vergleichen? Diese Frage kann Max Baumann pauschal weder bejahen noch verneinen. «Seit der ersten Pestwelle im 14. Jahrhundert dienten die Juden in der Schweiz oft als Sündenböcke, die Brunnen vergiften», sagt er. Für andere waren sie schlicht Gottesmörder.

Im Fall von Rheineck ist der Vergleich mit dem später herrschenden Antisemitismus laut Baumann aber schwierig. Schliesslich waren sie am Anfang noch willkommen oder zumindest geduldet. «Das Hauptproblem war, dass sie als Fremde galten.»

Sie sprachen jiddisch, hatten eigene religiöse Bräuche, trugen andere Kleidung und blieben meistens unter sich. «Man sah sie nicht als Eidgenossen und sie hatten keine bürgerlichen Rechte», sagt Baumann. Dieses erhielten nur Christen. So brauchte es nur einen kleinen Auslöser, um Konflikte zu entfachen. Gleiches war bei Fahrenden oder Heimatlosen zu beobachten.

Der klassische Antisemitismus kam in der Schweiz erst später auf. «Der war ab dem 19. Jahrhundert hier übrigens ähnlich stark verbreitet wie in Deutschland», sagt Baumann. Es war hauptsächlich dem wirtschaftlichen Druck durch die französische Regierung zu verdanken, dass die Schweizer Juden 1866 durch eine Volksabstimmung gleichgestellt wurden. Die Diskriminierung hörte deswegen aber nicht auf. Das berühmteste Beispiel dafür ist die Annahme der Initiative für ein Schächtverbot im Jahr 1893.

Zuflucht in Hohenems

Viele Rheinecker Juden fanden nach ihrer Vertreibung auf der anderen Seite des Rheins, in Hohenems, eine neue Heimat. Der Reichsgraf Kaspar von Hohenems erlaubte einigen wenigen jüdischen Familien, sich dort niederzulassen. Seit 1617 hatte dieser mehrere Schutzbriefe für Jüdinnen und Juden ausgestellt. Er erhoffte sich davon in erster Linie eine Zunahme des Handels in seiner Reichsgrafschaft.

In Hohenems bildete sich ein neues jüdisches Viertel. Bis heute gibt es dort noch einen jüdischen Friedhof, der um diese Zeit entstanden ist. Ein weiterer Hinweis auf das ehemals rege jüdische Leben in Hohenems ist das Jüdische Museum, das sich mit der Geschichte ebenjener Gemeinde beschäftigt.

Ein trauriges Ende nahm sie während der Herrschaft der Nationalsozialisten. Zunächst lösten diese die Gemeinde 1940 auf, nachdem bereits viele Juden abgewandert waren. Die dort Verbliebenen wurden bis zum Jahr 1942 in Konzentrationslager deportiert. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte keines der ehemaligen Gemeindemitglieder zurück.

Bundesrat kündigt Holocaust-Memorial an

Das Rheintal wiederum war während dieser Zeit für viele Juden das Ziel auf der Flucht vor dem Terror in Nazideutschland. Allerdings war diese von vielen Hindernissen geprägt. Die Landesgrenze war abgeriegelt. Die Schweiz verwehrte den Juden die Einreise, auch nachdem die Repressionen immer härter wurden.

Hingegen ist es dem St.Galler Polizeihauptmann Paul Grüninger zu verdanken, dass bis 1939 mehrere Hundert Jüdinnen und Juden illegal in die Schweiz gelangen konnten und so ihrem sicheren Tod entkamen.

Um sowohl an die geglückten als auch die gescheiterten Fluchten von Jüdinnen und Juden zu erinnern, hat der Bundesrat entschieden, zwei Holocaust-Mahnmale zu errichten – eines in Bern und eines im St.Galler Rheintal. Bei Letzterem soll das Hauptaugenmerk auf der Schweizer Flüchtlingsgeschichte liegen.

Quelle

Die historischen Angaben in diesem Artikel stützen sich zu einem grossen Teil auf die Forschung des deutschen Historikers Karl Heinz Burmeister, die er 2001 im Neujahrsblatt des Historischen Vereins des Kantons St.Gallen publiziert hat.



Die Alte Eidgenossenschaft

Die Schweiz war vom 13. Jahrhundert bis zum Einmarsch Napoleons Ende 18. Jahrhundert ein sehr loser Staatenbund, der durch verschiedene Bündnisse zusammengehalten wurde. Kantone gab es damals schon. Nur hiessen sie «Orte» und waren untereinander nicht gleichberechtigt.

Die acht, später dreizehn Alten Orte waren eng miteinander verbündet und herrschten über ihre jeweiligen Untertanengebiete. «Gemeine Herrschaften» wie das Rheintal wurden von mehreren Orten gleichzeitig regiert. Losere Verträge bestanden zwischen den Alten Orten und den Zugewandten Orten. Zu letzteren gehörten auch die Fürstabtei und die Stadt St.Gallen. (hol)



Was ist ein Landvogt?

Um ihre Macht in den Untertanengebieten und Gemeinen Herrschaften ausüben zu können, setzten die Alten Orte wie die Städte Zürich und Luzern vor Ort sogenannte Landvögte ein. Sie vertraten die Herrschenden und hatten umfassende Regierungskompetenzen. (hol)
(https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/ressort-ostschweiz/fruehe-neuzeit-unnuetzes-gesindel-in-rheineck-befand-sich-im-17-jahrhundert-die-wohl-groesste-juedische-siedlung-stgallens-schon-damals-grassierte-der-judenhass-ld.2448784)