Medienspiegel 26.05.2023

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/

+++AARGAU
Oftringen bietet Kanton Platz für Asylunterkunft
Der Kanton Aargau sucht seit Monaten händeringend nach Platz für Asylsuchende und hat die Gemeinden um Hilfe gebeten. Nun klärt die Gemeinde Oftringen ab, ob auf einer Parzelle am Ackerweg eine kantonale Asylunterkunft für 150 Personen gebaut werden könnte.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/oftringen-bietet-kanton-platz-fuer-asylunterkunft?id=12394054


+++SCHWEIZ
Neuer Flüchtlingsstatus, rasche Integration und sichere Wege zu Schutz: Empfehlungen der Eidgenössischen Migrationskommission EKM
Die Eidgenössische Migrationskommission EKM plädiert für die Einführung eines komplementären Schutzstatus und betont die Notwendigkeit einer verstärkten und frühzeitigen Integration von allen Geflüchteten. Um Personen auf der Flucht besser zu schützen, ruft sie zudem zu einer intensiveren internationalen Zusammenarbeit auf.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-95378.html
-> https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/migrationskommission-fordert-neuen-schutzstatus-fur-fluchtlinge-66503495


Eine dramatische Flucht: «Niemand sprach, die Babys bekamen Schlaftabletten»
Sattar Afzali ist aus Afghanistan in die Schweiz geflohen. Die traumatischen Erlebnisse hat er literarisch verarbeitet. Ein Gespräch über Flucht, Tod, Träume – und das Leben im Bündnerland.
https://www.beobachter.ch/migration/flucht-aus-afghanistan-sattar-afzali-erzahlt-von-erschutternden-erlebnissen-und-seinem-leben-in-der-schweiz-598528


+++BULGARIEN
Bulgarien: Eingangstor in die EU – Echo der Zeit
Jedes Jahr versuchen hunderttausende Geflüchtete die grüne Grenze nach Bulgarien zu überqueren. Von denen, die es schaffen, möchten immer mehr in Bulgarien bleiben. Doch dem kleinen Land fehlt Grundlegendes zum Einwanderungsland.
https://www.srf.ch/audio/echo-der-zeit/bulgarien-eingangstor-in-die-eu?partId=12394333


+++GRIECHENLAND
Flüchtlingspolitik in Griechenland: Ärzte vermissen 1.000 Geflüchtete
Ärzte ohne Grenzen kann fast 1.000 Menschen auf Lesbos nicht mehr finden. Die Regierung bestreitet, Flüchtende illegal aufs Meer zu drängen.
https://taz.de/Fluechtlingspolitik-in-Griechenland/!5937024/


+++EUROPA
«10 vor 10»-Serie «Brennpunkte der Migration»: Brüssel
Bei der Asyl- und Flüchtlingspolitik ist Europa schwer zerstritten. Jedes Land versucht vor allem, möglichst viele Flüchtende loszuwerden. Weshalb findet die EU keine Lösungen? Der Bericht aus dem europäischen Machtzentrum in Brüssel.
https://www.srf.ch/play/tv/10-vor-10/video/10-vor-10-serie-brennpunkte-der-migration-bruessel?urn=urn:srf:video:814935fa-945a-4975-a4ec-9b7b53663bba


+++GASSE
hauptstadt.be 26.05.2023

Reduzierte Debatte – Stadtrat-Brief #8
Sitzung vom 25. Mai 2023
(…)
Zu den hitzigsten Diskussionen führten Vorlagen, die mit Recht und Ordnung zu tun hatten. Da wurde selbst die «reduzierte» Debatte lang. Etwa beim FDP-Vorstoss für eine Ausweitung des Perimeters von Casablanca, ein Verein, der sich gegen Tags und Graffiti an Gebäuden einsetzt. Während bei Rot-Grün der Tenor herrschte, dass mit Graffiti «trostlose Wände mit ein bisschen Farbe verschönert» würden (Anna Jegher, JA!) und es «kreative Beiträge für eine lebendige Stadt» seien (David Böhner, AL), betonte Sibyl Eigenmann (Die Mitte), sie finde Tags nicht schön und sowieso sei es «absolut daneben, wie man hier mit dem Rechtsstaat umgeht». Der Vorstoss wurde schliesslich knapp mit 31 zu 35 Stimmen abgelehnt.
-> https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=cc1e871d7b5b43b48ac3898a4df2507b

Damit war auf beiden Seiten die ideologische Grundhaltung für den Rest des Abends gefestigt. Der Puls ging weiter hoch, als es um die Umbenennung der Berner «Fremdenpolizei» ging. «Es ist ein Riesenaufruhr wegen nichts. Wir kritisieren das Wort ‚fremd‘ an Fremdenpolizei», betonte Einreicherin Corina Liebi (GLP). «Es ist kein Angriff auf die Kompetenz der heutigen Fremdenpolizei, wir stellen sie nicht in Frage.» Sympathien für den GLP-Vorstoss gab es von SP und GB, während die bürgerliche Seite sich mehrmals an den im Saal anwesenden Amtsleiter der Fremdenpolizei, Alexander Ott, wandte und ihm für seine Arbeit dankte.
-> https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=87757b2f32724d01b4e1539a138dc13f

Selbst der Appell des Sicherheitsdirektors Reto Nause (Die Mitte), dass man damit die Institution schwäche, fand kein Gehör. Der Vorstoss wurde mit 44 zu 24 Stimmen überwiesen. Da die Benennung der Behörde im Zuständigkeitsbereich des Gemeinderats liegt, kann er selbst ermessen, inwieweit er den Auftrag erfüllen will.

Damit war aber der Reigen an Niederlagen für Reto Nause noch nicht vorbei, denn zwei weitere Vorstösse befassten sich mit Racial Profiling bei der Kantonspolizei. Zu diesem Zeitpunkt war der Abend schon weit fortgeschritten, die Stimmung aufgeheizt. Rot-grüne Voten erhielten Szenenapplaus von links, bürgerliche von rechts und Ratspräsident Michael Hoekstra (GLP) ermahnte mehrmals: «Wir sind hier nicht in der Arena». Die Vorstösse wurden schliesslich überwiesen, nachdem Nause den Saal bereits einmal wutentbrannt verlassen und schliesslich mit einem müden Fingerwinken auf ein Schlussvotum verzichtet hatte.
-> https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=cf9ebac5f18e444f82fcce9e60315ac9
-> https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=5dbc5a42f07c4fb7ad44b7c5c5ec282d
(https://www.hauptstadt.be/a/reduzierte-debatte-stadtrat-brief-8)



bernerzeitung.ch 26.05.2023

Berner Stadtrat verlangt einen neuen Namen für die Fremdenpolizei

Der Berner Stadtrat hat am Donnerstagabend dem Gemeinderat den Auftrag erteilt, einen neuen Namen für die Fremdenpolizei zu suchen. Er hat einer Motion von Corina Liebi (Junge Grünliberale) und Salome Mathys (Grünliberale) mit 44 Ja- gegen 24-Nein-Stimmen zugestimmt. Die beiden Stadträtinnen haben argumentiert, dass der Begriff aus der Zeit gefallen sei und einen unnötigen Graben in der Bevölkerung schaffe.

Sicherheitsdirektor Reto Nause (Die Mitte) hatte sich mit Vehemenz gegen die Umbenennung gewehrt. Er machte geltend, dass sie beispielsweise Kontrollen auf Baustellen durchführe und ein Polizeiorgan sei. Deshalb brauche sie diesen Namen. Er räumte zwar ein, dass der Begriff etwas aus der Zeit gefallen sei. Allerdings warnte er davor, ohne Not das Risiko einer Umbenennung einzugehen. Da die Sachfrage in den Kompetenzbereich des Gemeinderats fällt, ist die Motion laut der Stadtregierung formell nicht bindend. (sny)
(https://www.bernerzeitung.ch/news-ticker-bern-region-kanton-polizei-verkehr-politik-kultur-94-290281918894)



Marie bezieht aus Scham keine Sozialhilfe
30 Prozent der Anspruchsberechtigten in Basel beantragen keine Sozialhilfe. Bajour hat mit Betroffenen gesprochen, was die Gründe dafür sind.
https://bajour.ch/a/cli3c1bzk89807554ixpvqjw5a1/viele-anspruchsberechtigte-in-basel-beziehen-keine-sozialhilfe


«Sozialhilfe ist keine Schande»
Warum beantragen Menschen, die eigentlich Anspruch auf Sozialhilfe hätten, diese nicht? Nicole Amacher arbeitet beim Verein Surprise zum Teil mit genau diesen Menschen. Die SP-Grossrätin sagt im Interview, die Bedürftigen müssten besser über die Hilfsangebote informiert werden.
https://bajour.ch/a/cli4p7it3101010254ix8g19uhpt/nicole-amachersagt-zu-nichtbezug-sozialhilfe-ist-keine-schande


Vom Schicksal getroffen – «Reiche Schweiz, arme Menschen»: (über)leben mit wenig Geld
Armut grenzt aus und macht krank. Der Publizist Bruno Fuchs beleuchtet in seinem Buch «Reiche Schweiz, arme Menschen» elf Schicksale von Menschen am Rand der Gesellschaft, die jeden Franken umdrehen müssen.
https://www.srf.ch/kultur/gesellschaft-religion/vom-schicksal-getroffen-reiche-schweiz-arme-menschen-ueber-leben-mit-wenig-geld


++++DEMO/AKTION/REPRESSION
bernerzeitung.ch 26.05.2023

Klimademo in der Berner Altstadt

Am Samstagnachmittag findet in Bern eine Kundgebung der Klimajugend statt. Die Kundgebung startet um 15 Uhr auf der Schützenmatte. Ein Umzug führt durch die obere und untere Altstadt und endet auf dem Bundesplatz. Zuletzt vermeldeten die Klimajugendlichen einen Sieg: Der Gasverbund Mittelland (GVM) hatte über das Auffahrtswochenende mitgeteilt, dass er einen geplanten Gasterminal in Muttenz BL nur für Gas aus erneuerbaren Quellen nutzen will.

Zuvor hatten die Klimajugendlichen auf den Berner Stadtversorger EWB Druck ausgeübt, sich klar von Plänen zu distanzieren, in Muttenz BL einen Erdgasspeicher zu realisieren. Die letzte grössere Demonstration in Bern fand Anfang März statt, damals waren rund 3000 Kundgebungsteilnehmende vor Ort. (cse)
(https://www.bernerzeitung.ch/news-ticker-bern-region-kanton-polizei-verkehr-politik-kultur-94-290281918894)



Völkerrechtswidrige Einschränkung von Protesten vor Botschaften
In Bern finden derzeit mehrere Gerichtsverfahren statt, die zustande kamen, weil die Behörden Aktivist*innen, die friedlich vor Botschaften demonstrierten, Bussen auferlegten. Die Schweizer Sektion von Amnesty International nimmt dazu Stellung.
https://www.amnesty.ch/de/laender/europa-zentralasien/schweiz/dok/2023/voelkerrechtswidrige-einschraenkung-von-protesten-vor-botschaften


Die Uni will keinen längerfristigen FLINTA-Raum
Nach mehr als einer Woche hat das feministische Hochschulkollektiv den Uni-Hörsaal geräumt. Seine Forderungen nach einem dauerhaften Raum konnte das Kollektiv nicht durchbringen.
https://www.zsonline.ch/2023/05/26/die-uni-will-keinen-laengerfristigen-flinta-raum


Das Auge-Ausschroten muss  aufhören
Mit der Polizeigewalt am diesjährigen 1.Mai in Zürich, bei der ein Aktivist durch den Einsatz von Gummischrot schwer am Auge verletzt wurde, wird sich nun auch die Stadtregierung beschäftigen müssen: AL und SP stellen zahlreiche, wichtige Fragen.
https://www.vorwaerts.ch/inland/das-auge-ausschroten-muss-aufhoeren/


Demo gegen Reiche: Vermummte ziehen durch Winterthur und versprayen Fassaden
Am Freitagabend haben sich Vermummte mit Transparenten und Fahnen in der Stadt Winterthur versammelt. Zu den Demonstrierenden gehören auch Mitglieder der linksextremen Gruppierung Revolutionäre Jugend Zürich. Die Polizei beobachtet die Situation.
https://www.zueritoday.ch/zuerich/winterthur/vermummte-ziehen-durch-winterthur-und-versprayen-fassaden-151722838
-> Aktionstage gegen die Stadt der Reichen: https://barrikade.info/article/5942


Junge Alternative Zug und Alternative – die Grünen Zug demonstrieren für Klimagerechtigkeit und faire Konzernsteuern
Am Freitag versammelte sich eine Gruppe Menschen vor der Generalversammlung der Glencore in Baar – und haben gegen Menschenrechtsverletzungen, Klimaverschmutzung und Steuerungerechtigkeit protestiert.
https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/zug/baar-junge-alternative-zug-und-alternative-die-gruenen-zug-demonstrieren-fuer-klimagerechtigkeit-und-faire-konzernsteuern-ld.2464087


Solidarität mit Mexmûr: Festnahmen in Bern
Mit einer Aktion des zivilen Ungehorsam im irakischen Konsulat in Bern haben sich Aktivist:innen der kurdischen Jugendbewegung mit dem belagerten Geflüchtetencamp Mexmûr im Nordirak solidarisiert. 14 Personen wurden festgenommen.
https://anfdeutsch.com/aktuelles/solidaritat-mit-mexmur-festnahmen-in-bern-37636



beobachter 26.05.2023

Demonstrationen: Widerstand und die Staatsgewalt

In den Städten wird immer mehr demonstriert. Die Behörden fassen das zunehmend als Angriff auf. Warum sind die Fronten so verhärtet?

Von  Daniel Faulhaber

An diesem Tag wird in Basel keine gewöhnliche Demonstration stattfinden. Das lässt sich leicht erahnen. Ein Wasserwerfer mit Kennzeichen Luzern, prominent platziert am Strassenrand. Über den Köpfen dröhnt ein Polizeihelikopter. Basel ist eine demoerprobte Stadt. Doch derlei schweres Geschütz ist man nicht gewohnt.

Es sind keine guten Vorzeichen, als sich der bewilligte Demonstrationszug um 10.30 Uhr in Bewegung setzt. Der revolutionäre Block läuft vorneweg. Dann folgen Gewerkschaften, Sans-Papiers oder kurdische Arbeitervereine. Junge, Ältere, Männer wie Frauen. Familien mit Kindern. Plötzlich geht es sehr schnell.

Aus einer Seitenstrasse stürzen Polizisten in den Demonstrationszug. Die vermummte Spitze soll abgespalten, der «kinderfreundliche Teil» über einen Umweg weitergeleitet werden. Der Plan geht schief, die Masse solidarisiert sich mit den Eingekesselten. Den Rest dieses 1. Mai 2023 verbringen Demonstrierende und die Polizei in einem wütenden Patt.

Bürgerliche Parteien jubeln am Ende über die «taktische Meisterleistung» der Einsatzkräfte, die eine gewalttätige Eskalation frühzeitig verhindert habe. Die Gewerkschaft Unia will den Polizeieinsatz gerichtlich überprüfen lassen. Die Juso fordert den Rücktritt der Justizdirektorin. Damit ist über den Umgang mit Demonstrationen bereits viel erzählt und die Frage lanciert: Was passiert da gerade auf unseren Strassen?

Tatsache ist: In Schweizer Städten wird immer öfter demonstriert – von Gruppierungen aus allen politischen Lagern, von ganz links über die Mitte bis ganz rechts. In Bern standen im letzten Jahr 394, in Zürich 325 und in Basel 287 Kundgebungen zu Protokoll. Im Schnitt wurde also fast täglich protestiert. Fünf Jahre früher waren die Zahlen noch ungefähr halb so hoch: 227 in Bern, 193 in Zürich, 117 in Basel.

Die Interessen kollidieren

Die Schweiz hat mit der direkten Demokratie eigentlich eine Art Blitzableiter für gesellschaftliche Spannungen. Stabilität und öffentliche Ordnung gelten daher als Normalfall. Doch dieser wird zunehmend herausgefordert, wenn Leute ihre Anliegen auf die Strasse tragen; in den Stadtzentren, wo der Appell auch sein Publikum findet. Andere nutzen diesen Raum zur Erholung. Oder sie wollen schlicht ungehindert von der Arbeit nach Hause kommen. Das Zentrumsgewerbe wiederum fürchtet Umsatzeinbussen und Sachbeschädigungen. 61 Prozent der Zürcherinnen und Zürcher befürworten ein härteres Durchgreifen bei Demonstrationen und Störungen der öffentlichen Ordnung, zeigt eine Umfrage des Forschungsinstituts GfS Bern im Auftrag der «NZZ». Die normgebenden Akteure, Politik und Polizei, sagen, sie bemühten sich um ein Nebeneinander der Interessen. Das Beispiel Basel zeigt: mit mässigem Erfolg.

Was am diesjährigen 1. Mai in Basel von Seiten der Staatsgewalt an schwerem Gerät aufgefahren wird, kann man als vorläufigen Höhepunkt einer anhaltenden Eskalation betrachten. Denn während öffentlicher Kundgebungen hat es am Rheinknie zuletzt in immer kürzer werdenden Abständen geknallt. Eine Gegendemo gegen die rechtsradikale Pnos, queerfeministische Kundgebungen, Klimaproteste – am Ende gabs Gummischrot, Reizgas, Festnahmen und immer öfter auch Verletzte.

Die unmittelbare Reaktion auf die Polizeirepression am 1. Mai in Basel sieht so aus: Unverständnis, Angst, Wut. Junge Menschen, Eltern mit Kindern auf den Schultern, ältere Frauen drängen sich an die Plexiglasschilde und reden auf die Polizisten ein. «Ihr sollt uns beschützen», ruft eine Seniorin, «aber ich fühle mich bedroht.» Der Beamte hinter dem Schild zieht die Maske unters Kinn und sagt, die Vermummten würden kontrolliert. Nichts weiter.

Ein junger Mann stösst wenige Meter nebenan gegen einen Schild, ein Beamter antwortet mit Pfefferspray. Ein präziser Strahl, doch er zerstäubt auf einem Regenschirm zu einer Wolke, und eine Politikerin der Linksaussen-Partei BastA! taumelt mit tränenverquollenem Gesicht aus dem Pulk. Eine Gewerkschafterin drückt hektisch auf ihrem Handy herum und versucht, eng umringt von den Kameras der Medien, erst die Justizdirektorin, dann den Einsatzleiter der Polizei zu erreichen. Wasserflaschen werden herumgereicht, um die Augen auszuwaschen. Eine Polizistin knickt in der Kette ein und muss, gestützt von zwei Kolleginnen, weggebracht werden. Die Basler Grünen-Nationalrätin Sibel Arslan sagt in eine Kamera, was hier geschehe, müsse politische Konsequenzen haben, während die Polizei auf Twitter eine alternative Demonstrationsroute anbietet. All das passiert quasi gleichzeitig.

Konflikt um die Bewilligungen

Im Nachhinein werden Demonstrationen oft entlang absoluter Kategorien bewertet: War es friedlich – oder hat es geknallt? Vor Ort, auf der Strasse, ist alles viel unklarer. Und die Frage, wer die Eskalation vorantreibt, kann im einen Moment so, im nächsten ganz anders beantwortet werden. Fakt ist: Die Demo in Basel – bewilligt und bis zum Eingreifen der Polizei friedlich – ist vorbei, bevor sie begonnen hat.

Rechtlich betrachtet, schützt die Bundesverfassung die Versammlungs- und Meinungsfreiheit. «Daraus folgt der Rechtsanspruch», sagt der Staatsrechtler Markus Schefer, «den öffentlichen Raum für Kundgebungen mit Appellwirkung zu benutzen.» Weil im öffentlichen Raum jedoch unterschiedliche Interessen herrschen, gibt es für Demonstrationen eine Bewilligungspflicht. Diese hat sich zu einem eigentlichen Konfliktbrennpunkt entwickelt.

Denn vor allem die Anzahl unbewilligter Demonstrationen hat in Basel, Bern und Zürich zugenommen. «Das ist für die Behörden insofern problematisch, als dass bei unbewilligten Demonstrationen jeweils kein Veranstalter bekannt ist», heisst es bei der Kantonspolizei Bern. «Fragen bezüglich Sicherheit oder Einschränkungen für den Verkehr können so meist nicht im Vorhinein geklärt werden.» Und auch nicht, wer bei Ausschreitungen allenfalls haftbar gemacht werden kann.

Die Frau mit der harten Hand

In Basel versprach Justizdirektorin Stephanie Eymann (LDP), den Umgang mit unbewilligten Demonstrationen zu verschärfen, als sie 2020 gewählt wurde. Seither reagiert die Polizei auf unbewilligte Demonstrationen mit harter Hand. Einige Beispiele: Am 14. Juni 2020 wird eine friedliche Frauendemonstration auf einer Brücke eingekesselt, die Teilnehmenden werden einzeln kontrolliert und gebüsst. Nach einer unbewilligten Demonstration am 8. März 2021 werden sechs minderjährige Mädchen auf dem Nachhauseweg kontrolliert, eine 14-Jährige wird in Handschellen abgeführt. Sie soll sich an Sprayereien beteiligt haben, in ihrem Rucksack fand die Polizei eine ungeöffnete Spraydose. Eine unbewilligte, bis dahin aber friedliche Demonstration wird am 8. März 2023 aus kurzer Distanz mit Gummischrot beschossen, Videos davon kursieren im Netz.

Nach dem letzten Polizeieinsatz sprühten Unbekannte an eine Mauer: «Frau Eymann, Sie radikalisieren unsere Kinder».

Ob das harte Eingreifen der Polizei zu mehr Gewalt führt, lässt sich mit Zahlen nicht belegen. Entsprechende Daten fehlen. Es ist aber zu beobachten, dass das rigorose Eingreifen im Lager der Demonstrierenden zu Wut und teils radikaleren Folgekundgebungen führte.

Die Behörde, die Protestaktionen bewilligt, in Zürich zum Beispiel das Büro für Veranstaltungen, gehört in den meisten Kantonen zum Sicherheitsdepartement. Also zur Polizei. Kann es sein, dass man den Staat mit seinem Gewaltmonopol darum bitten muss, demonstrieren zu dürfen? Nein, findet Manuela Schiller, eine Zürcher Anwältin, die seit 20 Jahren auch Leute aus dem linksautonomen Umfeld vertritt. Einerseits hätten die Auflagen stark zugenommen, das Bewilligungsverfahren sei teilweise «kafkaesk». «Ausserdem hat die Seite der Behörden angefangen, streng zu unterscheiden zwischen bewilligten und unbewilligten Demonstrationen.» Beispiel: Die Demonstrationen am Internationalen Frauentag vom 8. März waren nie bewilligt, aber von der Polizei bis vor einigen Jahren toleriert, sagt Schiller. Damit sei Schluss. «Wer heute in Zürich an einer unbewilligten Demonstration teilnimmt, muss damit rechnen, gebüsst zu werden.»

Die Stadtpolizei Zürich widerspricht. Man verfolge seit Jahren dieselbe Linie. Doch über die Jahre habe die Beanspruchung des öffentlichen Grunds – auch für politische Zwecke – zugenommen, so Polizeisprecher Marc Surber. «Vor diesem Hintergrund müssen im Einzelfall Einschränkungen durchgesetzt werden.» Die Zahlen über Verzeigungen wegen Teilnahme an unbewilligten Demonstrationen zeigen ein schwankendes Bild. Von 174 Verzeigungen 2017 sank die Zahl auf gerade mal drei im Jahr 2019, um 2022 wieder auf 269 anzusteigen.

Bei Verdacht eingreifen

Die Basler Polizei warnt: Sobald an unbewilligten Demos Sachschaden passiere, greife sie ein. Neuerdings tut sie das auch auf Verdacht. Um Schaden abzuwenden, bevor etwas passiere, sagt sie und postet auf Twitter martialische Fotos sichergestellter Utensilien wie Handschuhe oder Schutzbrillen. Und die Strafverfolgungsbehörden rüsten auf. Demos, bewilligt wie unbewilligt, werden zum Beispiel gefilmt. Die Aufnahmen bleiben gespeichert, bis feststeht, dass sie für die Strafverfolgung nicht mehr benötigt werden, sagt der Basler Polizeisprecher Adrian Plachesi. «Spätestens jedoch automatisiert nach drei Jahren.»

Die Antwort des radikalen Kerns bei Demonstrationen auf die zunehmende Überwachung und Repression: verhüllte Gesichter. Und Schweisserbrillen und verstärkte Transparente zum Schutz vor Gummigeschossen. Wie die «Republik» berichtet, wird mindestens einmal im Jahr ein Mensch von einem Gummigeschoss schwer verletzt.

Der Kampf um die Grenzen der Versammlungsfreiheit beschäftigt in Basel auch Gerichte, denn die Staatsanwaltschaft fährt ebenfalls einen harten Kurs gegen Teilnehmer unbewilligter Demos. Landfriedensbruch, Widerhandlung gegen das Vermummungsverbot, Nötigung. Die Liste der Anklagepunkte ist lang und oft identisch. Die Demonstrierenden rekurrieren gegen die Strafbefehle und halten vor Gericht lange Reden, in denen sie die «Law-and-Order-Mentalität» kritisieren. Freisprüche gibt es zwar selten, aber die geforderten Strafen der Staatsanwaltschaften werden am Ende oft drastisch gesenkt, was die Demonstrierenden als Sieg in eigener Sache verbuchen. Und um die teuren Verfahren gegen die Angeklagten aus ihren Reihen bezahlen zu können, werden schon mal grosse Spendenkampagnen mit Konzerten, Merchandise und Events organisiert. Unter dem Slogan «500k – heillos verschuldet» sammelten linke Kreise schweizweit eine halbe Million Franken. Die Events dienten nebenbei dazu, Nachwuchs zu rekrutieren.

Bei Polizeidirektorin Eymann geben sich die Medien am Tag nach dem 1. Mai die Klinke in die Hand. Eymann verteidigt den Einsatz gegenüber dem «Regionaljournal» von SRF als präventive Massnahme. «Noch mal so ein Bild, dass die ganze Stadt praktisch in Schutt und Asche liegt, das war nicht die Alternative.» Zur Erinnerung: Am 1. Mai im Jahr zuvor wurden in Basel einige Fassaden versprüht, darunter die der Credit Suisse und der UBS. Die Fenster eines Hotels gingen zu Bruch. Schutt und Asche sieht anders aus. SP-Ständerätin Eva Herzog nannte die Wortwahl Eymanns im Lokalfernsehen «gefährlich». «Hier passiert etwas, was ich nicht gewohnt bin in dieser Stadt.»

Um der «Demoflut» zu begegnen, sind auf dem politischen Parkett unterschiedliche Ansätze absehbar: Der Zürcher Gemeinderat hat 2021 eine Motion überwiesen, die die Bewilligungspflicht durch ein einfaches Meldeverfahren ersetzen soll. «Zürich lockert Demo-Vorschriften», titelte der «Blick». Ein Meldeverfahren bedeutete etwa, dass sich die Fristen zwischen Anmeldung und Durchführung der Kundgebung verkürzten. Luca Maggi (Grüne), der die Motion lancierte, sagt, damit stärke man zudem das Grundrecht der Versammlungsfreiheit. «Man ist kein Bittsteller mehr bei den Behörden.» Das sei etwa in Bezug auf kleinliche Auflagen durch die Behörden oder bei staats- oder polizeikritischen Demonstrationen ein entscheidender Unterschied.

Wer soll für Polizeieinsätze zahlen?Der Uno-Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit empfiehlt die Praxis des Meldeverfahrens für Demonstrationen in einer Resolution, die von der Schweiz mitgetragen wird. Auch andere Schweizer Städte diskutieren über einen Wechsel von der Bewilligungs- zur Anmeldepflicht. Der Berner Stadtrat hat dasselbe Anliegen im März 2023 allerdings knapp verworfen. In Basel wurde die Frist zwischen Bewilligungsgesuch und Entscheid der Behörde von drei auf zwei Wochen verkürzt. Das sind die liberalen Tendenzen.

Auf der anderen Seite bringen sich SVP-Exponenten aus Basel und Zürich mit «Anti-Chaoten-Initiativen» in Stellung. Sie fordern, dass den Verursachern von ausserordentlichen Polizeieinsätzen und Schäden wie Sprayereien die Kosten auferlegt werden. Luzern hat als erster Kanton eine Kostenersatzregelung eingeführt, allerdings mit Kostendeckel: Verursachern eines Polizeieinsatzes können maximal 30’000 Franken überwälzt werden. Andere Kantone ziehen nach: In Bern wurden im November 2022 erstmals sechs Demonstranten zur Kasse gebeten, die sich 2021 an unbewilligten Corona-Demonstrationen beteiligt hatten und dabei Gewalt anwandten. Ein Präzedenzfall, allerdings nur mit symbolischer Wirkung: Die Stadt Bern forderte Gebühren von 200 bis 1000 Franken. Peanuts. Die Corona-Demonstrationen und das damit verbundene Polizeiaufgebot hatten den Staat Abend für Abend 200’000 Franken gekostet.

Teuer war auch der 1. Mai 2023 in Basel. 600’000 Franken haben Helikopter, Wasserwerfer und der Zusammenzug von Korps  aus vier Kantonen gekostet. Das geht später aus einer parlamentarischen Anfrage an die Regierung hervor. «Die hypothetische Frage, was gewesen wäre, wenn die Kantonspolizei nicht oder anders gehandelt hätte, kann nicht beantwortet werden», sagte Polizeidirektorin Eymann.

«Demokratie ist diverser geworden»

Warum die Leute momentan auf die Strasse drängen, hat diverse Gründe. Globale Krisen gehören dazu, in Zürich etwa wurden 51 Demos als Reaktion auf den Krieg in der Ukraine registriert. Ausserdem wird vermehrt für partikulare Interessen geworben: In Basel gab es allein 40 Standkundgebungen gegen Abtreibungen. «Die Demokratie ist diverser geworden», sagt Historikerin Kristina Schulz, die an der Uni Neuenburg unter anderem zu den 68er-Protestbewegungen forscht. «Und das System lässt das auch zu.» Ein weiterer Grund für die Zunahme sei eine Ritualisierung gewisser Proteste. «Gegner von Corona-Massnahmen oder Fridays for Future demonstrierten zeitweise jede Woche.» Gleichzeitig befeuern die sozialen Medien die Auseinandersetzungen und lassen die politischen Handlungsfelder auseinanderdriften. Demokratische Prozesse sind träge. Der Aufruf zum Protest etwa über anonyme Messengerdienste hingegen funktioniert rasend schnell, teils auch spontan.

In Basel hat die Polizei am 1. Mai hart durchgegriffen. Im Grossen Rat wurde der Einsatz heftig und emotional diskutiert. Von Dialog war die Rede, es sei dringend notwendig, aufeinander zuzugehen. Der Tonfall jedoch war kalt, die Fronten blieben verhärtet.

Auch auf den Strassen bleibt die öffentliche Ordnung fragil. Politikerinnen und Gewerkschafterinnen sorgen sich um den feministischen Streik am 14. Juni. Klimajugendliche verzichteten derweil auf eine geplante Demo. Vergangene Polizeieinsätze hätten «eine gewisse Traumatisierung» hinterlassen.

Wer sich in Basel von Justizdirektorin Eymanns Wahlversprechen weniger unbewilligte Demonstrationen erhoffte und damit letztlich mehr Ruhe im öffentlichen Raum, wurde – vorderhand zumindest – enttäuscht: Die Anzahl Demonstrationen, für die kein Bewilligungsgesuch eingereicht wurde, stieg von 69 im Wahljahr 2020 auf 124 im Jahr darauf. Das ist auch auf die Ausnahmesituation der Corona-Massnahmen zurückzuführen. Doch immer öfter nennen Demonstrierende die Polizei und die politischen Entscheidungsträger als Mitverursacher ihrer Proteste.

Die vorläufige Erkenntnis aus dem Demonstrationslabor Basel: Die Frage nach dem Umgang mit öffentlichem Protest wird sich nicht allein mit Polizeitaktik beantworten lassen.
(https://www.beobachter.ch/gesellschaft/schweizerinnen-und-schweizer-demonstrieren-immer-mehr-und-die-behorden-fassen-das-als-angriff-auf-605560)



Ist Ihre Strategie gescheitert, Frau Eymann?
Die Basler Justizdirektorin Stephanie Eymann steht in der Kritik, weil ihre Polizei bei Demonstrationen hart durchgreift. Ihre Strategie wirke noch nicht so, wie sie es sich erhofft habe, sagt sie.
https://www.beobachter.ch/politik/polizei-an-demonstrationen-basler-justizdirektorin-stephanie-eymann-steht-mit-ihrer-strategie-in-der-kritik-605396



Friedliche Kundgebungen: Der Weg aus der Blockade
Ausschreitungen an Demonstrationen häufen sich auf den Schweizer Strassen. Eine Ausnahme ist Luzern. Was lässt sich daraus lernen?
https://www.beobachter.ch/politik/so-verhindert-luzern-ausschreitungen-an-demonstrationen-605174


+++REPRESSION DE
Razzia bei der »Letzten Generation«: Vereinte Nationen kritisieren deutsches Vorgehen gegen Klimaaktivisten
Der harte Kurs der deutschen Behörden gegen Klimakämpfer wird auch bei der Uno genau beobachtet – nun setzt es Kritik aus New York: Die moralische Stimme junger Menschen müsse geschützt werden.
https://www.spiegel.de/ausland/letzte-generation-vereinte-nationen-kritisieren-deutsches-vorgehen-gegen-klimaaktivisten-a-b2dd4baa-33d7-4b00-97d3-6ea432c952b6
-> https://taz.de/Nach-Razzia-bei-Letzter-Generation/!5937014/
-> https://www.blick.ch/ausland/nach-razzien-in-deutschland-jetzt-werden-die-klima-kleber-von-spenden-ueberhaeuft-id18612782.html
-> https://www.jungewelt.de/artikel/451586.klima-und-kleber-wir-lassen-uns-nicht-einsch%C3%BCchtern.html
-> https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2023/05/berlin-un-klimaaktivisten-schuetzen-badenberg-rechtsausschuss.html
-> https://www.br.de/nachrichten/bayern/nach-razzia-bei-letzter-generation-500-demonstranten-in-muenchen,TfIQyi8
-> https://www.deutschlandfunk.de/uno-ueber-klimaaktivisten-sie-muessen-geschuetzt-werden-100.html
-> https://www.tagesschau.de/inland/union-beobachtung-letzte-generation-100.html
-> https://www.spiegel.de/panorama/letzte-generation-spendenflut-nach-razzia-hunderte-demonstrieren-in-muenchen-a-8e324086-1da7-4f6d-9348-cd51d1e3786b
-> https://www.bernerzeitung.ch/un-klimaaktivisten-muessen-geschuetzt-werden-969317734724
-> https://www.watson.ch/international/klima/275686644-letzte-generation-deutsche-polizei-geht-hart-gegen-klimaaktivisten-vor
-> https://www.rnd.de/panorama/razzia-bei-letzte-generation-sprecherin-carla-hinrichs-ermittlungen-gegen-berliner-polizisten-RCYO7NRDYJGFJJOLEQPIS6CUOA.html
-> https://www.hessenschau.de/gesellschaft/letzte-generation-frankfurter-richter-und-rechtsprofessor-haelt-razzien-fuer-unverhaeltnismaessig-v1,frankfurter-rechtsexperte-ueber-vorverurteilung-letzter-generation-100.html


Irrtümliche Inhaftierung in Sachsen: Fälschlich in U-Haft? Selbst schuld!
Ein Linker wurde 2020 zu Unrecht für einen Brandanschlag inhaftiert. Eine Entschädigung wird ihm verweigert – wegen vermeintlicher Postings.
https://taz.de/Irrtuemliche-Inhaftierung-in-Sachsen/!5936686/


+++SPORT
Grünes Licht für die Fankurve des FCL am Pfingstmontagsspiel
Die Bewilligungsbehörden hatten für den Fall weiterer Zwischenfälle bei den gestrigen Spielen zwischen Luzern und Sion und zwischen St. Gallen und den Grasshoppers die Sperrung der Heimkurven in St. Gallen und Luzern bei den Matchs am Montag in Aussicht gestellt – dies ist nun aber nicht nötig.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zentralschweiz/gruenes-licht-fuer-die-fankurve-des-fcl-am-pfingstmontagsspiel?id=12394057


Die Bewilligungsbehörden geben grünes Licht für die Öffnung der Fankurve in St.Gallen am Pfingstmontag
Die Bewilligungsbehörden hatten für den Fall weiterer Zwischenfälle beim Spiel zwischen dem FCSG und GC die Sperrung der Heimkurve beim nächsten Spiel am Pfingstmontag in Aussicht gestellt. Diese Massnahme erweist sich nun als nicht notwendig.
https://www.tagblatt.ch/sport/fcstgallen/massnahmen-die-bewilligungsbehoerden-geben-gruenes-licht-fuer-die-oeffnung-der-fankurve-in-stgallen-am-pfingstmontag-ld.2463868?mktcid=smch&mktcval=twpost_2023-05-26


Stehplatzverbot und personalisierte Tickets: SP Stadt St.Gallen findet Vorschläge der Regierung nicht zielführend
Nach den Ausschreitungen um den Match FCSG-FCL hat die St.Galler Regierung für Fussballspiele der höchsten Liga ein Stehplatzverbot und personalisierte Tickets gefordert. Die SP der Stadt St.Gallen lehnt diese Pläne ab. Anstelle von Repression solle der bewährte Weg des Dialogs weitergeführt werden.
https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/ressort-ostschweiz/massnahmen-stehplatzverbot-und-personalisierte-tickets-sp-stadt-stgallen-findet-vorschlaege-der-regierung-nicht-zielfuehrend-ld.2463847


+++KNAST
Handy per Drohne ins Gefängnis geschmuggelt – jetzt wird Luftraum überwacht
Ein neues System soll das Einschmuggeln von Waffen, Drogen und anderen unerlaubten Gegenständen durch Drohnen in der Justizvollzugsanstalt Solothurn verhindern.
https://www.20min.ch/story/handy-per-drohne-ins-gefaengnis-geschmuggelt-jetzt-wird-luftraum-ueberwacht-438048144789
-> https://www.32today.ch/mittelland/kanton-solothurn/solothurner-gefaengnis-bekommt-drohnenabwehr-151711077


+++FREMDENPOLIZEI BE
derbund.ch 26.05.2023

Eine ausgrenzende Bezeichnung? Stadtrat will Berner Fremdenpolizei umbenennen

Das Wort «fremd» schaffe einen «unnötigen Graben» in der Bevölkerung, meint eine Mehrheit des Berner Stadtrats.

Jana Kehl

Behördengänge beim Amt für «Einwohnerdienste, Migration und Fremdenpolizei» gehören für viele Menschen zum Leben in der Stadt Bern dazu. Dieses könnte aber schon bald anders beschriftet sein: Der Berner Stadtrat hat am Donnerstagabend dem Gemeinderat den Auftrag erteilt, einen neuen Namen für die Fremdenpolizei zu suchen. Er hat einer Motion von Corina Liebi (Junge Grünliberale) und Salome Mathys (Grünliberale) mit 44 Ja- gegen 24-Nein-Stimmen zugestimmt.

Der Grund für die geforderte Namensänderung liegt nicht im Begriff «Polizei», sondern im Wortbestandteil «fremd». So argumentierten die Motionärinnen: «Dieser schafft einen unnötigen Graben in der Bevölkerung und führt zu ungewollter Ausgrenzung der ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger.» Für die Stadt Bern sei es an der Zeit, dies zu ändern.

Wie die neue Bezeichnung lauten soll, ist noch unklar. Einige Vorschläge gab es am Donnerstagabend aber bereits. Eine Alternative, die bei vielen Stadträtinnen und Stadträten ankam, war die Bezeichnung «Migrationspolizei». Wohl eher an eine Tourismuswerbung erinnert der Vorschlag «Bern Welcome». Dieser sei aber nicht ernst gemeint gewesen, versichert Stadträtin Anna Leissing (Grünes Bündnis) auf Anfrage.

Aussergewöhnliche Kompetenzen

Gemeinderat Reto Nause (Die Mitte) war allerdings nicht zum Scherzen aufgelegt und kämpfte vehement gegen die Motion. «Eine Namensänderung wäre mit hochgradigen Risiken verbunden», betonte er. Sie könne die Instanz massiv daran hindern, ihre Aufgaben zu erfüllen – insbesondere wenn damit die polizeiliche Verantwortung aus der Bezeichnung verschwinde.

Der Aufgabenbereich der Stadtberner Fremdenpolizei ist breit: von der Einreise- und Aufenthaltserteilung über die Ahndung von Straftatbeständen bis hin zu einem wirksamen Opferschutz bei Menschenhandel, Zwangsheirat und häuslicher Gewalt. Keine andere kantonale oder städtische Behörde in der Schweiz verfügt über dieselben Kompetenzen wie die Fremdenpolizei in der Stadt Bern.

Vor allem deshalb wurde die Bezeichnung «Fremdenpolizei» laut dem Gemeinderat bisher nicht geändert. «Der Begriff ist in vielen Vertragstexten und auch Gesetzen verankert, eine Umbenennung muss wohlüberlegt sein», so Nause.

Auch für Rot-Grün ein Risiko?

Im schlimmsten Fall könnte eine Änderung der Bezeichnung aus der Sicht des Berner Sicherheitsdirektors gar dazu führen, dass die Fremdenpolizei ihre Kompetenzen abgeben müsste. «Wenn die Kantonspolizei diesen Aufgabenbereich übernehmen würde, wäre es sicherlich auch nicht im Sinne der rot-grünen Stadtpolitik», hält Nause im Nachgang der Debatte fest. Die Fremdenpolizei habe beispielsweise im Umgang mit Schwarzarbeit und Menschenhandel bisher «Best Practice» bewiesen.

Die Argumente des Gemeinderats überzeugten die Mehrheit des Stadtrats nicht. «Der Vorstoss soll kein Angriff auf die Kompetenzen der Fremdenpolizei sein», betonte Motionärin Corina Liebi. Schliesslich könne nicht nur die neue Bezeichnung, sondern auch der Zeitpunkt der Umbenennung flexibel gewählt werden, um Risiken und Kosten zu mindern. Der Auftrag geht nun weiter an den Gemeinderat. Sein Spielraum zur Umsetzung bleibt aber gross, da die Benennung von Ämtern letztlich in gemeinderätlicher Kompetenz liegt.
(https://www.derbund.ch/stadtrat-will-berner-fremdenpolizei-umbenennen-894595781451)
-> Motion: https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=87757b2f32724d01b4e1539a138dc13f



hauptstadt.be 26.05.2023

Reduzierte Debatte – Stadtrat-Brief #8
Sitzung vom 25. Mai 2023
(…)
Der Puls ging weiter hoch, als es um die Umbenennung der Berner «Fremdenpolizei» ging. «Es ist ein Riesenaufruhr wegen nichts. Wir kritisieren das Wort ‚fremd‘ an Fremdenpolizei», betonte Einreicherin Corina Liebi (GLP). «Es ist kein Angriff auf die Kompetenz der heutigen Fremdenpolizei, wir stellen sie nicht in Frage.» Sympathien für den GLP-Vorstoss gab es von SP und GB, während die bürgerliche Seite sich mehrmals an den im Saal anwesenden Amtsleiter der Fremdenpolizei, Alexander Ott, wandte und ihm für seine Arbeit dankte.
-> https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=87757b2f32724d01b4e1539a138dc13f

Selbst der Appell des Sicherheitsdirektors Reto Nause (Die Mitte), dass man damit die Institution schwäche, fand kein Gehör. Der Vorstoss wurde mit 44 zu 24 Stimmen überwiesen. Da die Benennung der Behörde im Zuständigkeitsbereich des Gemeinderats liegt, kann er selbst ermessen, inwieweit er den Auftrag erfüllen will.
(…)
(https://www.hauptstadt.be/a/reduzierte-debatte-stadtrat-brief-8)



bernerzeitung.ch 26.05.2023

Berner Stadtrat verlangt einen neuen Namen für die Fremdenpolizei

Der Berner Stadtrat hat am Donnerstagabend dem Gemeinderat den Auftrag erteilt, einen neuen Namen für die Fremdenpolizei zu suchen. Er hat einer Motion von Corina Liebi (Junge Grünliberale) und Salome Mathys (Grünliberale) mit 44 Ja- gegen 24-Nein-Stimmen zugestimmt. Die beiden Stadträtinnen haben argumentiert, dass der Begriff aus der Zeit gefallen sei und einen unnötigen Graben in der Bevölkerung schaffe.

Sicherheitsdirektor Reto Nause (Die Mitte) hatte sich mit Vehemenz gegen die Umbenennung gewehrt. Er machte geltend, dass sie beispielsweise Kontrollen auf Baustellen durchführe und ein Polizeiorgan sei. Deshalb brauche sie diesen Namen. Er räumte zwar ein, dass der Begriff etwas aus der Zeit gefallen sei. Allerdings warnte er davor, ohne Not das Risiko einer Umbenennung einzugehen. Da die Sachfrage in den Kompetenzbereich des Gemeinderats fällt, ist die Motion laut der Stadtregierung formell nicht bindend. (sny)
(https://www.bernerzeitung.ch/news-ticker-bern-region-kanton-polizei-verkehr-politik-kultur-94-290281918894)


+++POLIZEI SG
Muss das St. Galler Polizei-Gesetz nochmals überarbeitet werden?
Damit die Polizei präventive Arbeit leisten kann, braucht es mehr Rechtsgrundlage. Die St. Galler Regierung hatte den Auftrag, das Polizei-Gesetz entsprechend zu ergänzend. Die vorberatende Kommission ist aber unzufrieden mit dem Entwurf und stellt einen Rückweisungsantrag an den Kantonsrat.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-ostschweiz/muss-das-st-galler-polizei-gesetz-nochmals-ueberarbeitet-werden?id=12394291
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-ostschweiz/kurzbesuch-in-brienz-abgesagt?id=12393871 (ab 00:54)


+++RASSISMUS
Unser Name ist Ausländer
Rassismus ist Teil von Deutschland – genauso wie migrantischer Widerstand dagegen. Wir gedenken der Dichterin Semra Ertan, die sich 1982 aus Protest verbrannte.
https://www.zeit.de/zett/2023-05/semra-ertan-hamburg-neonazis


+++RECHTSEXTREMISMUS
Telegram-Mob hat sich im Jahr geirrt: Sie wollen Basler Drag-Lesung stören, die es gar nicht gibt
Auf Telegram rufen Aktivisten zur Störung einer Drag-Lesung auf. Das Problem: Die Nutzer haben sich verlesen. Die Veranstaltung existiert gar nicht.
https://www.blick.ch/schweiz/telegram-mob-hat-sich-im-jahr-geirrt-sie-wollen-basler-drag-lesung-stoeren-die-es-gar-nicht-gibt-id18608900.html


Russisches Freiwilligenkorps – Denis Kapustin – so tickt der russische Neonazi in der Ukraine
Die russische Miliz um Denis Kapustin nimmt es mit dem Kreml auf. Wie tickt Kapustin? Eine Spurensuche.
(…)
„Kapustins Verbindungen in die Schweiz: Das Netzwerk «White Rex» vertreibt eine eigene Kampfsportmarke, Gründer ist Denis Kapustin. Auf einem Youtube-Video sieht man, wie Kapustin der rechtsextremistischen «Partei national orientierter Schweizer» (Pnos) Kampftraining gibt. Die Partei löste sich 2022 auf.
Recherchen der «Rundschau» und des «Tagesanzeigers» hatten 2019 ergeben: Wer bei «White Rex» T-Shirts oder Boxhandschuhe bestellt, kaufte bei der schweizerischen Fighttex AG. Der einzige Verwaltungsrat war dazumal der Vizepräsident der Pnos, Florian Gerber.
Der Geldgeber der Versandfirma war der Inhaber der renommierten Matratzenfabrik Roviva, Peter Patrik Roth. Ein Foto zeigte ihn zusammen mit Kapustin. Nach der Veröffentlichung der Recherche zog Roth sein Kapital bei der Versandfirma ab.„
(…)
(https://www.srf.ch/news/international/russisches-freiwilligenkorps-denis-kapustin-so-tickt-der-russische-neonazi-in-der-ukraine)


+++ANTI-WOKE-POPULISMUS
«Der Liberalismus verliert in Europa gerade seine Nerven»
Morddrohungen in Stäfa, Polizeischutz für Drags. Wie konnte es soweit kommen? Ein Gespräch mit Stanford-Professor Adrian Daub über moralische Panik, «Cancel Culture» und «Wokeness».
https://www.republik.ch/2023/05/26/der-liberalismus-verliert-in-europa-gerade-seine-nerven


+++HISTORY
Der Nazi-Stein wurde im Churer Stadtparlament behandelt. Das Ergebnis: Die Rolle des Nationalsozialismus in Chur wird nicht weiter untersucht.  (ab 03:50)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-ostschweiz/ganzer-verwaltungsrat-der-st-galler-spitex-tritt-zurueck?id=12394051


Ein Platz für Recha Sternbuch
Der Raiffeisenplatz in St.Gallen soll in Recha-Sternbuch-Platz umbenannt werden. Das verlangen Historiker Hans Fässler und sieben weitere Personen. Während Raiffeisen ein Antisemit gewesen sei, habe Sternbuch, die in St.Gallen lebte, während des Zweiten Weltkriegs vielen jüdischen Flüchtlingen das Leben gerettet.
https://www.saiten.ch/st-gallen-soll-juedische-fluechtlingshelferin-mit-platz-ehren/


Der Gründer der zweitgrössten Bank als Antisemit
Eine Gruppe von Historiker:innen und die Künstlerin Pipilotti Rist wollen einen Platz in St. Gallen umbenennen, der nach dem Bankengründer F.W. Raiffeisen benannt ist. Sie werfen ihm Antisemitismus vor.
https://www.swissinfo.ch/ger/der-gruender-der-zweitgroessten-bank-als-antisemit/48530616


Was passiert mit den Kindern der Opfer? – Soziale Fürsorge Zug: Auch Folgegenerationen haben zu beissen
Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen haben meist Traumatisches erlebt. Studien zeigen, dass auch spätere Generationen unter dem Erlebten ihrer Eltern leiden. Eine Veranstaltung des Kantons Zug gab Einblick in die Erfahrungen der Nachkommen.
https://www.zentralplus.ch/gesellschaft/soziale-fuersorge-auch-folgegenerationen-haben-zu-beissen-2548608/


Gedenk- und Lernstätte für das dunkelste Kapitel der Schweizer Geschichte
In Niederbipp findet noch bis diesen Samstag eine Ausstellung statt, die eines der dunkelsten Kapitel der jüngsten Schweizer Geschichte aufgreift: das Verdingwesen. Schweizer Behörden haben bis in die 1970er-Jahre Tausende Kinder und Jugendliche gegen ihren Willen weggesperrt, verdingt. Viele von ihnen wurden misshandelt und missbraucht.
https://www.32today.ch/mittelland/oberaargau/gedenk-und-lernstaette-fuer-das-dunkelste-kapitel-der-schweizer-geschichte-151713233?autoplay=true&mainAssetId=Asset:151717833


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
derbund.ch 26.06.2023

Staatsgegnerinnen im Aufwind: So ticken die radikalisierten Corona-Leugner

Während der Pandemie haben sich viele Massnahmengegner vom Staat abgewandt. Immer mehr von ihnen sympathisieren mit den extremen Ideen der Reichsbürger-Szene.

Andres Marti, Stephanie Jungo

Im voll besetzten Rössli-Säli in Thun lauschen rund 80 Gäste einem Vortrag mit dem Titel «Staatssimulation Schweiz». Er habe während der «sogenannten» Pandemie begonnen, «Fragen zu stellen» und selber zu recherchieren, sagt der Referent, ein behäbiger Mann um die 50.  Das Fazit seiner Recherche: «Die Schweiz ist eine Firma mit Sitz in Belgien.» Die Behauptung versucht er in den nächsten drei Stunden mit unzähligen Folien, Geburtsurkunden und andern amtlichen Dokumenten zu belegen.
-> Flyer: https://cdn.unitycms.io/images/7bNSJzstqRP9prHUO-lwTH.jpg

Im Publikum, mehrheitlich Schweizerinnen und Schweizer über 50, machen sich viele Notizen. Niemand widerspricht. Stattdessen bekunden die Besucherinnen und Besucher des Referats oft lautstark Zustimmung. Manchmal meldet sich jemand aus dem Publikum zu Wort. Eine Frau sagt: «Ich zahle keine Krankenkassenprämien mehr.»

Die Verschwörungserzählung, wonach der Staat heimlich in eine Firma umgewandelt wurde, ist insbesondere in der deutschen Reichsbürger-Szene verbreitet. Doch der Vortrag im vollen Rössli-Säli zeigt: Auch in der Schweiz finden solche Ideen offenbar bei vielen Anklang.

Wer glaubt, die Schweiz sei heimlich in eine Firma umgewandelt worden, ist auch für andere Erzählungen empfänglich. Gespräche in der Rauchpause vor dem Rössli-Eingang lassen erahnen, was in dieser Szene sonst noch geglaubt wird. Bei ihr habe es mit «dem Hinterfragen» am 11. September begonnen, so eine Frau um die 40. Heute glaube sie «nichts» mehr: «Ich weiss zum Beispiel nicht, ob die Erde wirklich eine Kugel ist.»

Zwar sei sie mit diesen Ansichten in ihrer Familie ziemlich allein, sagt die Frau. «Gott sei Dank konnte ich sie aber vom Impfen abhalten.» Währenddessen diskutieren neben ihr zwei ältere Pfeifenraucher mit einem jungen Mann über Pyramiden und Ausserirdische.

hre Informationen beziehen diese Leute hauptsächlich aus Beiträgen, die in den sozialen Medien veröffentlicht und geteilt werden. Eine herausragende Rolle spielt dabei die Kurznachrichten-App Telegram. Dort wurde auch für das «Staatssimulation»-Referat im Rössli geworben. Den Telegram-Kanal des Referenten haben rund 2000 Personen abonniert.

Die Anmeldungen für das Referat organisierte die Betreiberin einer Praxis für Alternativmedizin. Auf die Inhalte des Referats angesprochen, schimpft sie über die Medien und droht im Falle einer Berichterstattung mit einer Anzeige bei der Polizei.

Der Vortrag im Rössli gibt einen Einblick in die sogenannte Post-Corona-Bewegung – ein Oberbegriff für Gruppen, in denen die Ressentiments gegen die Corona-Massnahmen weiterhin sehr hoch sind. Im Rössli-Saal wird etwa auf Flyern gegen die «WHO-Diktatur» Stimmung gemacht. Staatsgegner wie der Referent gehören zu den radikalen Exponenten der Bewegung.

Vom Staat abmelden

Wer den Behörden jegliche Legitimität abspricht, will auch keine Steuern, Abgaben und Bussen zahlen. Und durch einen bürokratischen Trick, so glauben viele, ist es möglich, sich vom Staat abzumelden. Die einschlägigen Telegram-Chats sind voll von solchen Tipps und entsprechenden Briefvorlagen an die Behörden. Angeboten werden auch Seminare, wo dieses «Wissen» vermittelt wird.

Diese Versuche sind allerdings kaum von Erfolg gekrönt. Statt sich vom Staat und den finanziellen Verpflichtungen zu entkoppeln, werden Schulden angehäuft. Am Ende dieses «Weges in die Freiheit» (so der Flyer), stehen die Lohnpfändung und ein Leben am Existenzminimum. «Letztlich muss jeder für sich entscheiden, ob er diesen Weg gehen will», sagt der Referent im Rössli.

Besonders aktiv ist auch der Verein «Stopp der illegalen Privatisierung des Staates». Er machte jüngst in der Stadt Bern mit entsprechenden Flyern auf sich aufmerksam. «Die öffentlich-rechtliche Schweiz mit Bund, Kantonen und Gemeinden existiert nicht mehr», wird dort behauptet. Auch die Gerichte seien nicht mehr «hoheitlich handlungsfähig».

Briefe ans Betreibungsamt

Wer so denkt, der landet früher oder später beim Betreibungs- und Konkursamt. Fälle mit Staatsverweigerern kommen laut Roger Schober, Chef der Berner Betreibungs- und Konkursämter, in allen Berner Verwaltungskreisen vor. Eine Statistik werde nicht geführt. Auch die Regierungsstatthalterämter bestätigen Kontakte mit Staatsverweigerern. «Noch» handle es sich dabei aber um Einzelfälle. Aktiver sind sie offenbar im Kanton Zürich.

«Oft geben sich Staatsverweigerer offen zu erkennen, indem sie die Existenz des Staates und die Zuständigkeit und Kompetenz der Betreibungs- und Konkursämter schriftlich infrage stellen», sagt Schober. In der Regel machten die Ämter auf die Konsequenzen der Nichtbeachtung aufmerksam. Kommt es zur Pfändung, kann die Polizei beigezogen werden.

Von einer «extremen Steigerung» von Staatsverweigerungs-Ideen «gerade auch im Kanton Bern», spricht Expertin Julia Sulzmann. Sie ist die stellvertretende Leiterin der Sekten-Informationsstelle Relinfo. «Die Vorstellung, dass die Schweiz eine Firma ist, findet immer mehr Zulauf.» Sulzmann beobachtet die Szene schon seit längerem. Aus dem Gefühl des «Wir gegen die anderen» ergebe sich ein gewisses Gefährdungspotenzial: «Wer glaubt, dass die Schweiz eine Firma ist, der fühlt sich betrogen und hat eine grosse Wut.»

Fedpol ist besorgt

Beim Bundesamt für Polizei (Fedpol) ist man etwas vorsichtiger: Ob die Szene der radikalen Staatsgegner insgesamt Zulauf erhalte, sei schwierig abzuschätzen. «Vor allem während der Pandemie haben sich die Leute in Chats wie Telegram gegenseitig aufgeputscht. Was seit Beginn der Corona-Massnahmen bis heute anhält, sind der besorgniserregende Inhalt und der gewaltvolle Ton der Drohungen», sagt Berina Repesa vom Fedpol. «Auch wenn eine Drohung nicht in die Tat umgesetzt wird, kann sie jemand anderen zur Tat motivieren.»

Laut Repesa hat die Corona-Pandemie wie ein Katalysator gewirkt. Die Massnahmen haben manche offenbar nachhaltig radikalisiert: Die Anzahl Drohungen gegenüber den vom Fedpol beschützten Personen, etwa Bundesräten, ist immer noch mehr als doppelt so hoch wie vor der Pandemie.

Zeit der Demos ist vorbei

Nicht alle Exponenten der Post-Corona-Bewegung sind so radikal wie die Staatsgegner, andere Gruppen geben sich gemässigter. Was sie verbindet, ist der Fokus auf die Corona-Impfung und die Massnahmen. Momentan wird insbesondere für das Referendum gegen die Verlängerung des Covid-Gesetzes, über die am 18. Juni abgestimmt wird, mobilisiert. Geworben wird in den einschlägigen Chats auch für eine Initiative, mit der das «Corona-Terrorregime» aufgearbeitet werden soll. Die Zeiten aber, in denen Massnahmenskeptiker problemlos ein paar Tausend Leute für ihre Demos mobilisieren konnten, sind vorbei.

Zwischenzeitlich versuchte die Post-Corona-Bewegung, mit anderen Themen zu mobilisieren – beispielsweise mit dem Krieg in der Ukraine. Mit einer gross angekündigten «Friedensdemo» in Bern im März wollten die Corona-Skeptiker die Schweizer Friedensbewegung kapern. Die Kundgebung, mit der JSVP zusammen organisiert, lockte aber nur eine dreistellige Zahl von Teilnehmenden an, sie zeigte eher, was von der Bewegung übrig geblieben ist.

Statt vor dem Bundeshaus zu demonstrieren, beteiligen sich viele lieber am Aufbau einer Parallelgesellschaft und träumen von einem «Zurück zur Natur». Zu dieser Post-Corona-Bewegung gehören beispielsweise die Urig-Vereine und das Graswurzle-Netzwerk.

Seit der Gründung von Graswurzle 2021 sind in der ganzen Schweiz lokale Sektionen entstanden – im Kanton Bern sind es laut Vereinswebsite 17 Lokalgruppen. Sie treffen sich zu Wanderungen, Tauschbörsen oder Workshops für Wurzelpflege. So weit, so harmlos.

Plattformen für extreme Ideologien

Dennoch warnt Sekten-Expertin Sulzmann: Graswurzle und Urig behaupteten nicht öffentlich, dass die Impfung töte oder die Schweiz eine Firma sei, «aber sie bieten Verschwörungsideologen und Staatsverweigerern immer wieder eine Plattform». Etwa an einer Veranstaltung zur Permakultur auf einem Biohof oder in einem Interview in der Graswurzle-Zeitschrift «Die Freien». Laut Sulzmann ist gerade das Erfolgsrezept von Graswurzle und Urig, dass sie sich nicht von «extremen Ideologien» abgrenzen. In Zürich veranstalteten lokale Graswurzle-Ortsgruppen etwa einen Vortrag über die Pseudomedizin «Germanische Neue Medizin», die mit antisemitischen Motiven durchzogen ist.

Zur Post-Corona-Bewegung – mit engen Verbindungen zu Graswurzle – gehört auch der TV-Kanal Hoch2, angemeldet an einer Adresse im oberaargauischen Niederbipp. Er sendet jeden Tag eine 15-minütige Nachrichtensendung. In diesem alternativen Medienuniversum entsteht ein Bild ständiger Bedrohung: Die WHO plant die Diktatur, die künstliche Intelligenz führt zu einem Überwachungsstaat, neuartige Gen-Therapien gefährden unsere Gesundheit und die woke Gender-Ideologie unsere Kinder. Mittendrin: ein Beitrag über ein Tiny House von Graswurzle-Gründerin Prisca Würgler.

Würgler wehrte sich als Lehrerin gegen den «Impfzwang». Weil sie sich weigerte, während des Unterrichts eine Maske zu tragen, wurde sie entlassen. In der Anti-Massnahmen-Szene gilt sie als Heldin, war Gründungsmitglied beim Aktionsbündnis Urkantone und bei den Freunden der Verfassung.

Eine Anfrage für ein Gespräch und ein Fragenkatalog blieben bei den Machern von Hoch2 unbeantwortet.

Garten statt Revolution

Während Graswurzle streng hierarchisch geführt wird, agieren die Urig-Lokalgruppen weitgehend autonom. Mehr als 50 Urig-Ortsgruppen haben sich seit 2021 in der Deutschschweiz gebildet. In der Stadt Bern trifft sich eine Urig-Ortsgruppe abends alle zwei Wochen hinter dem Wylerbad im Wald. Bei einem Besuch im März sitzen zwei Frauen und ein Mann am Feuer. Sie sind um die 50, tragen Kleider aus Wolle und Filz.

Sie sagen, die Medien würden Urig ganz falsch darstellen. Sie seien keine Sekte, die an Verschwörungen glaube. Ihnen gehe es um das Miteinander. Mit Journalisten reden möchten sie dann aber doch nicht. Ein Jugendarbeiter, der ausserhalb der Stadt eine Urig-Lokalgruppe gegründet hat, will ebenfalls nicht mit den Medien reden. Zusammen mit seiner Frau bietet der selbst ernannte «Medienprofi» Workshops für Eltern zum Thema Umgang mit Medien an.

Zelltraining und Hypnose

Auf den Websites und Telegram-Kanälen der Bewegung offenbart sich ein Netzwerk, das eine alternative Gesundheitsversorgung anpreist. Vor Schulmedizin, die sich mit der Pharmaindustrie gemein macht, wird gewarnt. Es kursieren Listen mit «kritischen Ärzten», die während der Pandemie «zensuriert und diffamiert wurden». Beworben werden alternative Behandlungsformen. Wer Lokalgruppen von Graswurzle anschreibt, landet bei Inhaberinnen von Zelltrainings- oder Hypnosepraxen.

Ein Versuch, parallele Strukturen aufzubauen, ist auch im Bildungsbereich zu beobachten. Graswurzle verweist auf verschiedene Privatschulen und Homeschooling-Netzwerke, die der Post-Corona-Bewegung nahestehen. In Homeschooling-Netzwerken sind Eltern organisiert, die ihre Kinder zu Hause unterrichten.

Im Rössli-Säli schimpft der Redner derweil über die Medien. «Sie wollen uns in eine Verschwörungsecke drängen.» Dann vergleicht er Verschwörungstheorien mit der Evolutionstheorie. «Etwas kann nicht stimmen», ruft er in den Saal. «Oder warum entwickeln sich die Affen heute nicht mehr zu Menschen?» Im Publikum scheint diese Aussage niemanden zu verwundern.



Schweiz eine Firma?

Als Beweis für die angebliche Privatisierung der Schweiz verweisen die Staatsgegner und Reichsbürger auf die Unternehmens-Identifikationsnummer (UID). Sämtliche Firmen, Institutionen und Ämter, darunter auch die Schweizerische Eidgenossenschaft, haben vor ein paar Jahren eine solche Nummer zugewiesen bekommen. Damit soll laut dem Bundesrat der Datenaustausch zwischen den Unternehmen und der öffentlichen Verwaltung sowie innerhalb der Verwaltung vereinfacht werden. Für die Staatsleugner sind die Nummern hingegen der schlagende Beweis für die verdeckt abgelaufene Privatisierung der Schweiz.
(https://www.derbund.ch/so-ticken-die-radikalisierten-corona-leugner-764411336206)