Medienspiegel 5. Mai 2023

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/

+++AARGAU
Aargauer Regierung lehnt Beschwerde gegen tiefe Asylsozialhilfe ab
Im Kanton Aargau sind die tiefen Sozialhilfeansätze für vorläufig aufgenommene Personen rechtlich nicht zu beanstanden. Zu diesem Schluss ist der Regierungsrat gekommen und hat eine Beschwerde einer vorläufig aufgenommen Familie abgewiesen.
https://www.watson.ch/schweiz/aargau/115494850-aargauer-regierung-lehnt-beschwerde-gegen-tiefe-asylsozialhilfe-ab
-> https://www.telem1.ch/aktuell/abgelehnt-eine-aargauer-fluechtlingsfamilie-erhaelt-nicht-mehr-sozialhilfe-151370815



aargauerzeitung.ch 05.05.2023

1440 Franken Sozialhilfe pro Monat sind genug: Kanton weist Beschwerde von sechsköpfiger syrischer Familie ab

Eine syrische Familie mit vier Kindern, die im Monat mit Asylsozialhilfe von 1440 Franken auskommen musste, ist mit einer Beschwerde beim Regierungsrat abgeblitzt. Die Regierung ist der Ansicht, die Höhe der Sozialhilfe-Ansätze sei nicht zu beanstanden und es sei auch zulässig, diese Beiträge in einer Verordnung zu regeln.

Fabian Hägler

Der Kantonale Sozialdienst hatte im Oktober 2021 die Sozialhilfebeiträge für eine vorläufig aufgenommene Familie gestützt auf die kantonale Sozialhilfe- und Präventionsverordnung (SPV) festgelegt. Die syrische Familie mit vier Kindern musste demnach mit einem Betrag von 1440 Franken pro Monat auskommen. Dagegen wehrten sich die Geflüchteten, die für einige Monate in einer kantonalen Unterkunft untergebracht waren, mit einer Beschwerde.

Darin verlangten sie, dass die zugesprochenen Sozialhilfebeiträge zu erhöhen seien. Sie kritisierten, weil die Ansätze in einer Verordnung und nicht in einem Gesetz geregelt seien, werde der Grundsatz der Gesetzmässigkeit verletzt – die Regelung auf Verordnungsstufe sei verfassungswidrig. Die Sozialhilfeansätze für vorläufig Aufgenommene im Kanton Aargau seien zudem so tief, dass sie gegen die Menschenwürde, das Recht auf Nothilfe, das Rechtsgleichheitsgebot sowie das Diskriminierungsverbot und diverse andere Grundrechte verstiessen.

Höhe der Sozialhilfe-Ansätze nicht zu beanstanden

Der Regierungsrat hat die Beschwerde der Familie gegen die vom Kantonalen Sozialdienst (KSD) zugesprochenen Sozialhilfeansätze abgewiesen. Gemäss einer Mitteilung kam die Regierung zum Schluss, dass die kantonalen Sozialhilfe­ansätze für vorläufig aufgenommene Personen gemäss Bundesrecht sowie kantonalem Verfassungs- und Gesetzesrecht auf Verordnungsstufe geregelt werden dürfen. Ebenso sei die Höhe der Sozialhilfeansätze für vorläufig aufgenommene Personen im Kanton Aargau rechtlich nicht zu beanstanden

Tatsache ist: Im Aargau erhalten vorläufig Aufgenommene 9 Franken pro Tag. Kinder zwischen 6 und 16 Jahren erhalten 8 Franken, jüngere 7.50 Franken. Dazu kommen 20 Franken Kleidergeld pro Monat und Person. In keinem anderen Kanton erhalten vorläufig Aufgenommene so wenig Geld wie im Aargau. Wären die Eltern und ihre Kinder als Flüchtlinge anerkannt worden, wären sie bei der Sozialhilfe Schweizerinnen und Schweizern gleichgestellt. Im Aargau beträgt die Pauschale für den Grundbedarf für eine sechsköpfige Familie 2586 Franken.

Zusätzliche Unterstützung mit Sprachkursen

In der Tat seien die finanziellen Sozialhilfeansätze im Kanton Aargau tief, räumt der Regierungsrat in seiner Mitteilung ein. Das kantonale Recht basiere jedoch auf dem bundesrechtlichen Grundsatz, dass die Unterstützung für vorläufig aufgenommene Personen primär in Form von Sachleistungen zu erbringen sei. Zudem vergüte der Aargau situationsbedingte Leistungen, womit geeignete Unterstützung geboten werden könne. Dieses Konzept hat sich aus Sicht des Regierungsrats bewährt.

Die Regierung schreibt weiter, die finanziellen Sozialhilfebeiträge für vorläufig Aufgenommene seien im Aargau – und auch im Fall der Beschwerdeführer – für die Verpflegung, die Kleidung und persönliche Auslagen vorgesehen. Der weitere Unterhalt, insbesondere die Wohnung und deren Einrichtung, würden in Form von Sachleistungen abgedeckt. Bei der beschwerdeführenden Familie habe der Kantonale Sozialdienst zudem unter anderem den Besuch von Sprachkursen der Eltern und die schulische Unterstützung der Kinder in Form von Aufgabenhilfe sowie Übernahme schulbezogener Auslagen finanziert.

In der Mitteilung heisst es: «Der Regierungsrat konnte angesichts der bundesrechtlichen Vorgaben und der Leistungen, die im vorliegenden Fall gewährt worden waren, keinen Verstoss gegen Grundrechte der Beschwerdeführenden feststellen.» Die Regelung in der Aargauer Verordnung entspreche der bundesrechtlich zugestandenen kantonalen Autonomie. Die Beschwerdeführenden haben nun die Möglichkeit, den Entscheid des Regierungsrats mit Beschwerde ans Verwaltungsgericht weiterzuziehen.

Beschwerde wurde von Jus-Studierenden aus Bern verfasst

Die Beschwerde wurde von Studierenden der Uni Bern im Rahmen der «Human Rights Law Clinic» verfasst. Diese bietet Jus-Studierenden die Möglichkeit, während des Studiums an realen Fällen zu arbeiten mit dem Fokus auf menschenrechtliche Fragen. Da die Studierenden nicht über das Anwaltspatent verfügen, hat Alberto Achermann, Anwalt und Professor für Migrationsrecht an der Uni Bern, die Beschwerde unterzeichnet, die sich gegen das Departement von Regierungsrat Jean-Pierre Gallati richtete.

In der Beschwerde werden die Lebensumstände der sechsköpfigen Familie umrissen. Die Eltern arbeiten beide nicht. Der Vater hat Schulterprobleme, und zwei seiner linken Finger sind dauerhaft beeinträchtigt. Er wurde an einer Demonstration in seinem Heimatland angeschossen. Das erschwere die Suche nach einer Arbeitsstelle. Die Mutter hat Probleme mit der Bandscheibe und ist psychisch stark angeschlagen.

Grosser Rat lehnte Erhöhung der Asylsozialhilfe ab

Im Rahmen der Budgetdebatte im November 2022 beschloss der Grosse Rat, die Tagespauschale für Asylsuchende und vorläufig Aufgenommene bei neun Franken zu belassen. SP, Grüne, GLP und EVP hatten sich für eine Erhöhung um einen oder zwei Franken ausgesprochen und argumentiert, heute sei die Asylsozialhilfe völlig ungenügend. Die entsprechenden Anträge wurden aber relativ deutlich abgelehnt.

Die Ratsmehrheit folgte mit 77 zu 55 Stimmen dem Regierungsrat, der gegen eine Erhöhung war. Sozialdirektor Jean-Pierre Gallati sagte, die heutigen Ansätze seien menschlich vertretbar. Und er gab zu bedenken, dass der Zeitpunkt, um die Ansätze zu erhöhen, derzeit nicht optimal sei. Es könnte der Verdacht aufkommen, dass die Asylsozialhilfe nur wegen der zahlreichen Ukraine-Flüchtlinge mit S-Status angepasst werde.

Kein Teuerungsausgleich bei der Asylsozialhilfe

In den letzten Monaten hat der Kanton die Sozialhilfe zweimal der Teuerung angepasst, zuerst im Juni 2022, dann erneut auf den 1. Mai 2023 – dabei wurden die Auszahlungen um 2,5 Prozent erhöht. Der Betrag für den Grundbedarf eines Einpersonenhaushalts stieg dadurch von 986 Franken zuerst auf 1006 Franken und schliesslich auf 1031 Franken pro Monat.

Von diesem Teuerungsausgleich ausgenommen war aber die Asylsozialhilfe – für die syrische Familie gab es also nicht mehr Geld. Auf Nachfrage der AZ teilt die Medienstelle des Sozialdepartements mit, der Kanton habe auf eine Anpassung verzichtet, weil der Grosse Rat eine Erhöhung der Asylsozialhilfe um 1 oder 2 Franken im November abgelehnt hatte. Nachbarkantone wie Luzern oder Solothurn hatten auch die Ansätze für Asylsuchende und vorläufig Aufgenommen erhöht.
(https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/entscheid-1440-franken-sozialhilfe-pro-monat-sind-genug-kanton-weist-beschwerde-von-sechskoepfiger-syrischer-familie-ab-ld.2452472)



Ehemaliges Bordell wird zu Asylunterkunft
Die Gemeinde Spreitenbach müsste 82 Asylsuchende aufnehmen, hat im Moment aber nur Platz für 51 Personen. Deshalb soll der Sex-Club «Number 1» einer neuen Asylunterkunft weichen – zumindest als Zwischennutzung.
https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/baden/spreitenbach-ehemaliges-bordell-wird-zu-asylunterkunft-ld.2452749


+++DEUTSCHLAND
EU-Flüchtlingspolitik: Bundesinnenministerin Faeser unterstützt Asylverfahren an Außengrenzen
Einige Asylentscheidungen sollen nach Ansicht Nancy Faesers künftig noch an der EU-Außengrenze getroffen werden. Auch für verstärkte Grenzkontrollen spricht sie sich aus.
https://www.zeit.de/politik/ausland/2023-05/eu-fluechtlingspolitik-asylverfahren-nancy-faeser
-> https://www.zeit.de/politik/ausland/2023-05/asylzentren-eu-grenzen-nancy-faeser
-> https://www.zeit.de/politik/2023-05/nancy-faeser-asylzentren-eu-nachrichtenpodcast
-> https://www.nd-aktuell.de/artikel/1173017.migrations-und-asylpolitik-deutschland-ein-modernes-abschiebeland.html
-> https://www.nd-aktuell.de/artikel/1173012.festung-europa-eu-grenzen-schneller-abschieben.html
-> https://www.freitag.de/autoren/oezge-inan/durchbruch-bei-der-asylreform-europa-macht-dicht
-> https://www.jungewelt.de/artikel/450199.festung-europa-ampelminister-f%C3%BCr-mehr-abschottung.html


+++ÖSTERREICH
EU-Asylpolitik Karner (ÖVP): Komplette Asylverfahren an EU-Außengrenzen
Nicht nur die Registrierung, gleich das ganze Asylverfahren soll an den EU-Außengrenzen durchgeführt werden, sagt Österreichs Innenminister Gerhard Karner (ÖVP). Damit will er weit mehr als seine deutsche Amtskollegin Nancy Faeser.
https://www.deutschlandfunk.de/asylverfahren-an-der-grenze-int-gerhard-karner-oester-innnenminister-oevp-dlf-599e9cbe-100.html


+++BALKANROUTE
Bosnien: Neue Diskussion um Flüchtlingscamp
Im Flüchtlingscamp Lipa bei Bihac soll ein Abschiebezentrum mit Gefängnis gebaut werden –mit Geldern aus der EU. Der EU-Botschafter in Bosnien sagte allerdings, dass kein Gefängnis, sondern eine Einheit „für weitere Sicherheitschecks“ gebaut werde.
https://www.zdf.de/nachrichten/heute-in-europa/bosnien-neue-diskussion-um-fluechtlingscamp-100.html


+++ITALIEN
Streit über Flüchtlingspolitik: Italienischer Außenminister sagt Frankreichreise ab
Zwischen Frankreich und Italien kommt es immer wieder zum Streit wegen Roms Flüchtlingspolitik. Nun hat Außenminister Tajani eine Parisreise wegen Aussagen des französischen Innenministers abgesagt – er verlangt Konsequenzen.
https://www.spiegel.de/ausland/italien-antonio-tajani-sagt-frankreich-reise-wegen-streit-ueber-fluechtlingspolitik-ab-a-4e96d950-b7a1-4e2e-970a-20f0be101f29
-> Echo der Zeit: https://www.srf.ch/audio/echo-der-zeit/unstimmigkeit-zwischen-frankreich-und-italien?partId=12383182
-> https://www.nd-aktuell.de/artikel/1173022.personalie-frankreich-unberechenbar-entgleist.html


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
BS:
Demonstrantinnen wollen juristisch gegen Polizei vorgehen
Der Polizeieinsatz an der Demonstration am 1. Mai hat für rote Köpfe gesorgt. Die Polizei hat den Demonstrationszug nach wenigen Metern gestoppt und den vordersten Teil eingekesselt. Demonstranten wollen deshalb nun juristisch gegen die Polizei vorgehen – in Form eines gemeinsamen Rekurses.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/demonstrantinnen-wollen-juristisch-gegen-polizei-vorgehen?id=12382996
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/1-mai-hat-juristisches-nachspiel?id=12383047
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/basler-sp-im-formtief-vierer-spitze-der-groessten-basler-partei-hat-sich-nicht-bewaehrt



ZH:
Solidaritätserklärung zu den Ereignissen am 1. Mai 2023 in Zürich
Am 1. Mai haben die Bullen in Zürich einem jungen Genossen mit Gummischrot ein Auge weggeschossen. Ein weiterer junger Genosse erlitt eine schwere Verletzung an der Hand.
https://www.aufbau.org/2023/05/05/solidaritaetserklaerung-zu-den-ereignissen-am-1-mai-2023-in-zuerich/
-> https://barrikade.info/article/5937



tagesanzeiger.ch 05.05.2023

Zürcher Polizeieinsatz am 1. Mai: Demonstrant verliert Auge wegen Gummigeschoss

Die Zürcher Polizei schoss Gummischrot auf eingekesselte Demonstranten. Ein Mann wurde dabei schwer im Gesicht verletzt. Nun sei er auf einem Auge erblindet, heisst es aus der Szene.

Sascha Britsko, Jan Bolliger, Jost Fetzer

«Auge! Auge!», schreit plötzlich jemand. Es ist der 1. Mai, die Polizei hat rund 300 vermummte Personen auf dem Kanzleiareal eingekesselt. Es fliegen Bierflaschen und Böller auf die Einsatzkräfte, die Antwort darauf ist Gummischrot, Tränengas und ein Wasserwerfer. Mittendrin im Getümmel steht ein Mann Mitte 20 und hält sich das blutende Auge.

Er darf den Kessel verlassen und wird ins Spital gebracht. Am gleichen Abend sei er noch notoperiert worden, sagt eine Quelle, die sich ebenfalls im Kessel befand und den Vorfall mitbekommen hat.

Am Freitag wurde nun bekannt, dass dieser Mann auf einem Auge erblindet ist. Zwei unabhängige Quellen bestätigen diese Tatsache gegenüber dieser Zeitung. Zudem veröffentlichte die Autonome Gruppe «Revolutionärer Aufbau Schweiz» am Freitag ein Statement zum 1. Mai. «Die Bullen haben in Zürich einem jungen Genossen mit Gummischrot ein Auge weggeschossen», steht darin.

Ohne Sicht über Hecke geschossen

Wie und wo sich der Demonstrant die schweren Gesichtsverletzungen zuzog, ist Gegenstand der laufenden Ermittlungen, schreibt die Staatsanwaltschaft auf Anfrage. Klar ist, dass Beamte mit Gummigeschossen über eine Hecke auf das Kanzleiareal feuerten. Dies ist auf einem Video des Online-Portals «20 Minuten» deutlich zu sehen. Dabei hatten die Polizisten wegen der Höhe der Hecke kein freies Sichtfeld.
In einem Video des Online-Portals 20 Minuten ist zu sehen, wie die Polizei ohne freies Sichtfeld in die eingekesselte Menge der Demonstranten schiesst.

In einem Video des Online-Portals 20 Minuten ist zu sehen, wie die Polizei ohne freies Sichtfeld in die eingekesselte Menge der Demonstranten schiesst.
Screenshot: Video 20 Minuten
https://cdn.unitycms.io/images/3zdrbFtaaGv9WG_8GpLjfq.png

Ein Reporter dieser Zeitung, der den Einsatz der Polizei den ganzen Tag über beobachtet hatte, bestätigt, dass die Polizei ohne freies Sichtfeld geschossen hat. Er spricht von einem «regelrechten Schlagabtausch» zwischen Autonomen und Polizisten.

Einkesselung war «gemäss Polizeigesetz»

In einer Mitteilung, welche die Stadtpolizei im Nachgang zum 1. Mai veröffentlichte, heisst es, dass zwei Meldungen über verletze Personen eingingen. Einer der Demonstranten habe sich beim Überklettern eines Zauns die Hand verletzt. «Ein zweiter Demonstrant erlitt schwere Verletzungen im Gesicht und musste in ärztliche Obhut gegeben werden.»

Zudem seien 19 Demonstrantinnen und Demonstranten festgenommen worden, über 400 Personen wurden weggewiesen.

Zu den neuesten Entwicklungen will weder die Kantonspolizei noch die Stadtpolizei Stellung nehmen. Auch allgemeine Fragen dazu, unter welchen Bedingungen Gummischrot angewendet wird, beantworten die Polizeien «aufgrund der laufenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft» nicht. Gegenüber der Wochenzeitung «WOZ» sagte die Behörde noch, die Einkesselung sei «gemäss Polizeigesetz» erfolgt.

«Polizei nahm Risiko in Kauf»

Auch Lara Can, Sprecherin 1.-Mai-Komitee, habe gehört, dass ein Mann auf Grund des «massiv repressiven Einsatzes» der Polizei, wie sie es nennt, ein Auge verloren habe. «Dass ein junger Mensch lebenslange Schäden davonträgt, ist mit nichts zu rechtfertigen», sagt Can.

Bereits im Vorfeld habe sich abgezeichnet, dass die Polizei alles andere als deeskalierend auftrete. Nach der Schlusskundgebung haben die Einsatzkräfte Personenkontrollen durchgeführt und mit einer Strassensperre Teilnehmende beim Bürkliplatz von ihrem Heimweg abgehalten, erzählt Can.

Danach sei die Polizei mit einem riesigen Aufgebot direkt am Helvetiaplatz präsent gewesen, wobei es immer wieder zum Einsatz von Gummischrot und Tränengas kam. «Für das 1.-Mai-Komitee, dessen Festareal sich in direkter Nähe befindet, ist ein solcher Einsatz unverständlich, da dem Schein nach bewusst in Kauf genommen wurde, Familien und migrantische Organisationen auf dem Areal zu gefährden.»

Ein Mal pro Jahr wird jemand mit Gummischrot schwer verletzt

Der Einsatz von Gummischrot in der Schweiz umstritten, weil es immer wieder zu schweren Verletzungen kommt. Statistiken zu den Unfallzahlen führen die Polizeikorps zwar nicht. Aber wie eine Auswertung des Onlineportals Republik zeigt, wird in der Schweiz mindestens einmal pro Jahr jemand von einem Gummigeschoss schwer verletzt.

In einem Beitrag legt die Republik zudem dar, welche Richtlinien für den Einsatz von Gummischrot gelten. Darin steht, dass es für alle Arten von der «weniger tödlichen» Munition, wie Gummischrot auch genannt wird, Empfehlungen zur Mindestdistanz und zum Zielpunkt gibt. Je nach Geschossart bewegt sich die Mindestdistanz zwischen 5 Meter und 20 Meter, wobei der Zielpunkt nie über der Gürtellinie liegt.

Der Gebrauch von Gummimunition ist in diversen Ländern verboten. In Österreich, Finnland, Dänemark, Norwegen und Schweden kommt diese Art der Munition gar nicht zum Einsatz, in Deutschland verwenden lediglich die beiden Bundesländer Hessen und Sachsen Gummischrot.
-> Video: https://unityvideo.appuser.ch/video/uv448927h.mp4

Der Grüne Gemeinderat Luca Maggi wollte den Einsatz von Gummischrot auch in der Stadt Zürich unterbinden. «Dass Gummischrot in vielen europäischen Ländern verboten ist zeigt, dass dieses viel zu gefährlich ist, um es in Menschenmengen einzusetzen», sagt Maggi. Zusammen mit der AL haben die Grünen vergangenen Dezember im Gemeinderat versucht, der Polizei das Budget für den Kauf von neuem Gummischrot zu streichen. Vergeblich.

Michael Schmid, Gemeinderat der FDP, sieht die Verantwortung dagegen bei den Demonstrierenden. «Wenn es keine gewalttätigen Demonstrationen mehr gibt, dann kommt es auch nicht mehr zu solchen tragischen Vorfällen», sagt er auf Anfrage. Die Lösung sei eine Stärkung der Polizei und keine Schwächung, wie die Linke das häufig fordere. Der Vorfall müsse aber auf jeden Fall untersucht werden.



Verletzungen mit Gummischrot

Gummischrotladungen bestehen meist aus Paketen von 28 bis 35 sechskantigen Projektilen, jedes der Projektile 2.7 Zentimeter gross und 10 Gramm schwer.

Sie entwickeln auf eine Entfernung von 20 Metern eine Streuung von rund 4 Metern. Dadurch kann nicht gezielt geschossen werden und das Risiko besteht, unbeteiligte Dritte zu treffen.

– 2022 erleidet ein unbeteiligter Bäckermeister eine schwere Augenverletzung am Rande einer Demonstration in Basel.

– 2021 erblindet ein Teilnehmer einer Corona-Massnahmen Demonstration in Bern auf einem Auge.

– 2018 schiesst die Polizei bei der Berner Reitschule mit einem einzelnen, Golfball grossen Gummigeschoss, einem sogenannten Wuchtgeschoss, auf einen betrunkenen Randalierer. Das Geschoss trifft den 20-Jährigen im Genitalbereich und lässt einen seiner Hoden platzen.

– 2017 erblindet ein Mann nach dem Besuch des Eishockey Derby in Kloten auf einem Auge. Er war ungewollt zwischen die Polizei und randalierende Fans geraten.

– 2016 wird einem Fussballmatch-Besucher in Basel aus wenigen Metern ins Gesicht geschossen, er erblindet auf einem Auge.

– 2013 erleidet eine 19-jährige Studentin eine schwere Augenverletzung. Sie nahm an einer friedlichen Tanzdemonstration in Winterthur teil. Ihre Sehkraft am verletzten Auge beträgt heute noch 5 bis 20 Prozent. (jf)
(https://www.tagesanzeiger.ch/demonstrant-verliert-auge-wegen-gummigeschoss-141148247076)
-> https://www.blick.ch/schweiz/zuerich/eskalation-am-1-mai-in-zuerich-demonstrant-soll-auge-wegen-gummischrot-verloren-haben-id18550417.html
-> https://www.zueritoday.ch/zuerich/demonstrant-verliert-auge-durch-polizei-gummigeschoss-in-zuerich-151369966



„Wieder hat ein Mensch eine schwere Verletzung erlitten, weil die Polizei ihm ein Gummiprojektil ins Auge schoss. Beim @RepublikMagazin haben wir uns letztes Jahr intensiv mit Gummigeschossen auseinandergesetzt. Darum hier ein Thread mit paar Infos zum Thema:“
https://twitter.com/basil_schoeni/status/1654537119337963521



CH:
Forderten Dienstverweigerung: Klimaaktivisten am Freitag vor Bundesstrafgericht
Drei Klimaaktivisten müssen sich am Freitag vor dem Bundesstrafgericht verantworten. Sie hatten öffentlich zur Verletzung der Militärpflicht aufgerufen.
https://www.blick.ch/schweiz/westschweiz/waadt/forderten-dienstverweigerung-klimaaktivisten-am-freitag-vor-bundesstrafgericht-id18548612.html


Holcim, Birsfelden: Liberté pour Jérémy, Feu à Holcim!
Eine kleine Solidaritätsbotschaft für Jérémy bei Holcim in Birsfelden (BL)
Jérémy wurde am 15. März verhaftet, weil ihm vorgeworfen wird, im Januar 2022 in einer Kiesgrube des Zementkonzerns Lafarge-Holcim zwei Fahrzeuge in Brand gesetzt und Baumaschinen sabotiert zu haben. Es sitzt momentan im Gefängnis Champ-Dollon in Genf in Untersuchungshaft.
https://barrikade.info/article/5935


Bern: Angriff auf Generali
In der Nacht vom Mittwoch, 24.04, haben wir in Solidarität mit Alfredo die Fassade der Versicherung Generali mit Farbe verziert. Obwohl Alfredo seinen Hungerstreik gestoppt hat, haben wir uns für den Angriff entschieden, denn er ist immer noch im Knast und 41bis existiert immer noch.
https://barrikade.info/article/5936


+++KNAST
Nach Suizid einer jungen Frau: Untersuchungsgefängnis führt neue Massnahmen ein
Im Untersuchungsgefängnis Waaghof wurden nach dem Tod einer jungen Frau im Jahr 2018 verschiedene Massnahmen zur Suizidprävention eingeführt. Dies gab der Regierungsrat in einer Interpellationsantwort bekannt.
https://www.baseljetzt.ch/nach-suizid-einer-jungen-frau-untersuchungsgefaengnis-fuehrt-neue-massnahmen-ein/53867
-> Interpellation; https://grosserrat.bs.ch/ratsbetrieb/geschaefte/200112426


Solothurn will Zentralgefängnis für 120 Millionen Franken bauen
Der Solothurner Regierungsrat will in Flumenthal/Deitingen für 120 Millionen Franken ein neues Zentralgefängnis mit 130 Haftplätzen bauen. Der Bau soll im Jahr 2029 in Betrieb genommen werden. Der Regierungsrat hat dem Parlament die Kreditvorlage zugestellt. Das letzte Wort wird das Stimmvolk haben.
https://www.32today.ch/mittelland/kanton-solothurn/solothurn-will-zentralgefaengnis-fuer-120-millionen-franken-bauen-151308318


+++POLIZEI TG
Wie weit darf die Polizei bei Kontrollen gehen?
Wie weit darf die Polizei bei Kontrollen gehen? Darf sie das Handy durchsuchen und die Szene filmen? Das Thurgauer Parlament hat diese Woche intensiv über diese Fragen diskutiert. Die Meinungen gehen weit auseinander.
https://www.srf.ch/audio/regional-diagonal/das-magazin-wie-weit-darf-die-polizei-bei-kontrollen-gehen?id=12382618


+++POLIZEI INT
Die Polizei und ihre Phantome
Rassismus ist fester Bestandteil der westlichen Gesellschaften – zumal vonseiten staatlicher Institutionen. Georgiana Banita untersucht das Verhältnis von Polizeigewalt und Diskriminierung in Europa und den USA
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1172998.kritik-der-polizei-die-polizei-und-ihre-phantome.html


+++JENISCHE/SINTI/ROMA
Weiterhin kein Platz für Fahrende im Kanton St.Gallen
Seit 20 Jahren müssten die Kantone, laut einem Bundesgerichtsurteil, Durchgangsplätze für Fahrende zur Verfügung stellen. Im Kanton St.Gallen ist dies bis heute nicht gelungen, in erster Linie wegen Widerstand in den Gemeinden. Nun soll eine Fachgruppe eine Lösung finden.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-ostschweiz/weiterhin-kein-platz-fuer-fahrende-im-kanton-st-gallen?id=12382819


Neuer Transitplatz für Fahrende
Im Bieler Bözingenfeld entsteht ein temporärer Transitplatz für ausländische Fahrende. Er soll für mindestens zwei Jahre, für rund 40 Wohnwagen Platz bieten. Die Stadt Biel will so, zusammen mit dem Kanton und den Gemeinden im Seeland, die akute Problematik mit den Fahrenden bekämpfen.
https://www.telebaern.tv/telebaern-news/neuer-transitplatz-fuer-fahrende-151370972



derbund.ch 05.05.2023

Fahrende im Bieler Bözingenfeld: Deshalb bezahlen Gemeinden einen Beitrag an den Transitplatz

Die Präsidentin von Seeland-Biel/Bienne erklärt, weshalb der Verein hinter dem Transitplatz in Biel steht und wieso manche Gemeinden die Stadt finanziell unterstützen.

Mengia Spahr (BT)

Nachdem der Gemeinderat bekannt gegeben hat, dass Biel einen Transitplatz bekommt, stellt sich die Frage, wie viel das kostet. Es sind keine Zahlen bekannt, aber es gibt einen Vergleich.

Am 9. Februar 2020 hat eine Mehrheit der Stimmbevölkerung des Kantons Bern einen Kredit von 3,3 Millionen Franken für einen Transitplatz in Wileroltigen gutgeheissen. Die junge SVP sprach von einem «Luxuskredit».

Dabei ist im Abstimmungstext von damals von einem «einfachen Ausbaustandard» die Rede: 36 Stellplätze und Container mit WC und Duschen auf einem Kiesplatz. Regierungsrätin Evi Allemann sagte im Interview mit dieser Zeitung, dass ein solcher Platz nicht für weniger Geld zu realisieren sei. Es gehe «um eine einmalige Investition für die Planung und den Bau eines Platzes, der zweckmässig und einfach eingerichtet sein wird». Geöffnet für Fahrende wird er frühestens 2025.

Grundstück bereits gut erschlossen

Einfach und zweckmässig soll auch der Transitplatz für ausländische Fahrende im Bieler Bözingenfeld sein, der noch in diesem Monat eröffnet und voraussichtlich während zwei Jahren betrieben wird. Das Grundstück gehört dem Kanton, und dieser wird die Kosten für den Auf- und Abbau sowie für die Infrastruktur übernehmen.

Zahlen nennt die Bieler Regierungsstatthalterin Romi Stebler (FDP) keine. Aber gemäss ihr werden die Ausgaben nur einen Bruchteil der Kosten des dauerhaften Transitplatzes in Wileroltigen betragen.

Darüber, wieso der Transitplatz in Wileroltigen so viel kostet, könne sie keine Auskunft geben. Sie weist jedoch darauf hin, dass das Grundstück im Bözingenfeld bereits mit Wasser-, Abwasser- und Stromanschlüssen erschlossen ist.

Schliesslich waren auf dem Areal bis vor einem Jahr abgewiesene Asylsuchende in Containern untergebracht. Da ein Grossteil der Einrichtung bereits besteht, würden nur tiefe Kosten für den Aufbau anfallen, so Stebler. Weiter schreibt sie, dass die Infrastruktur in Biel weit weniger umfassend sein werde als beim festen Transitplatz in Wileroltigen. «Und nicht dauerhaft.»

Während der Kanton für die Ausstattung des Platzes aufkommt, sollen die Betriebskosten mit Gebühren gedeckt werden. Die Fahrenden, die sich auf dem Areal niederlassen, werden pro Tag und Wohnwagen 20 Franken bezahlen. Ausserdem bezahlt eine Mehrheit der umliegenden Gemeinden einen sogenannten Solidaritätsbeitrag von zwei Franken pro Einwohnerin und Einwohner.

Dafür hat sich auch der Vorstand des Vereins Seeland-Biel/Bienne eingesetzt. Zusammen mit der Stadt Biel hat er die 61 Gemeinden, die zum Verein gehören, angeschrieben.

Für die Präsidentin von Seeland-Biel/Bienne, Madeleine Deckert, ist klar, dass es eine Lösung braucht für diese wiederkehrende Thematik. Zum einen gibt es die Gemeinden, die direkt betroffen sind: Jahr für Jahr halten Fahrende auf ihrem Gelände. «Bei illegalen Landeinnahmen gibt es immer unschöne Situationen und man muss Notfallübungen machen», so Deckert. Der Transitplatz in Biel soll die Gemeinden zumindest die nächsten zwei Jahre davon befreien.

Geht alle Gemeinden etwas an

Deckert findet, das Thema gehe aber auch die Gemeinden etwas an, in denen sich noch nie eine Gruppe Fahrender niedergelassen hat. «Die Fahrenden kommen, weil sie hier Arbeit finden, und die finden sie in allen Seeländer Gemeinden.» Man müsse Biel für die vorübergehende Lösung «Merci» sagen.

Doch wie geht es weiter, wenn die zwei Jahre vorbei sind? Ab 2025 können die Fahrenden voraussichtlich auf dem Transitplatz in Wileroltigen halten. Wie Deckert sagt, ist der Vorstand von Seeland-Biel/Bienne aber der Ansicht, dass dies nicht ausreicht.

Denn die Fahrenden, die meist aus Frankreich in die Region Biel kommen, werden wohl nicht bis nach Wileroltigen fahren, um sich dort niederzulassen. Es sei Aufgabe des Kantons, Transitplätze zur Verfügung zu stellen. Seeland-Biel/Bienne erwarte von ihm, dass er eine nachhaltige Lösung für das Seeland findet, sagt Deckert. «Zusätzlich wünschen wir uns eine Sensibilisierung der Bevölkerung durch die kantonale Koordinationsstelle für Fahrende.»

Deckert kann verstehen, dass nicht alle von einem Transitplatz in der Region Biel begeistert sind. Aber wenn es einen offiziellen Platz gebe, könne man dort Regeln aufstellen und durchsetzen und etwa dafür sorgen, dass die Vorgaben zum Umweltschutz eingehalten werden.
(https://www.derbund.ch/deshalb-bezahlen-gemeinden-einen-beitrag-an-den-transitplatz-341975884346)


+++RECHTSPOPULISMUS
„Conservative Political Action Conference“ Rechtsradikale Konferenz in Ungarn – mit Hans-Georg Maaßen
Amerikas Republikaner-Rechtsaußen-Community vernetzt sich gern mit politischen Counterparts in Europa, aktuell auf der „Conservative Political Action Conference“ in Budapest, Ungarn. Nur ist diesmal aus Deutschland nicht die AfD gefragt – sondern der ehemalige Leiter des Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen.
https://www.belltower.news/cpac2023-hans-georg-maassen-149033/
-> https://twitter.com/petterich/status/1654412555102633987
-> https://www.queer.de/detail.php?article_id=45477


Stelldichein der Rechtskonservativen in Ungarn: Köppel hält Anti-Woke-Rede an Orban-Konferenz
Roger Köppel setzt seine umstrittene Osteuropareise fort – nächster Halt: die rechts-konservative Konferenz CPAC, organisiert von Victor Orban. Köppel hielt dort eine Rede.
https://www.blick.ch/politik/stelldichein-der-rechtskonservativen-in-ungarn-koeppel-haelt-anti-woke-rede-an-orban-konferenz-id18549071.html


Orbán & seine deutschen Vorposten – Allianzen der Budapester Kaderschmiede MCC
Es wird angekündigt als „das besondere Gespräch“: Am 23. Juni soll auf dem Berliner Kongress „Wehrhafte Demokratie“, moderiert von dem langjährigen CDU-Politiker Wolfgang Bosbach, über „Grenzen der Belastbarkeit der Gesellschaft“ diskutiert werden – mit dem Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer und dem Politikwissenschaftler Werner Patzelt, fast drei Jahrzehnte an der Technischen Universität Dresden und nun verpflichtet in seiner neuen Funktion als Forschungsdirektor der ungarischen Kaderschmiede Mathias Corvinus Collegium (MCC) in Brüssel.
https://www.volksverpetzer.de/aktuelles/orban-budapest-kaderschmiede-mcc/


+++RECHTSEXTREMISMUS
„Gerd Honsik“-Kongress: Neonazis bauen internationale Kontakte aus
Zu der Veranstaltung im Herbst haben sich auch italienische Faschisten von Casa Pound angekündigt
https://www.derstandard.at/story/2000145913027/gerd-honsik-kongress-neonazis-bauen-internationale-kontakte-aus?ref=mastodon


Neuer Nationalratsentscheid – Darum brauchte es 30 Jahre bis zum Verbot des Hitlergrusses
Der Nationalrat hat sich deutlich für ein Verbot von Nazisymbolik im öffentlichen Raum ausgesprochen. Was bedeutet der Entscheid? Ein Experte ordnet ein.
https://www.srf.ch/kultur/gesellschaft-religion/neuer-nationalratsentscheid-darum-brauchte-es-30-jahre-bis-zum-verbot-des-hitlergrusses
-> https://www.20min.ch/story/diese-42-nationalraete-sind-gegen-verbot-von-hakenkreuz-und-hitlergruss-419060441637?version=1683315997978


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
tagblatt.ch 05.05.2023

Minutenlang stehende Ovationen: Der umstrittene Historiker Daniele Ganser wird in Kreuzlingen wie ein Popstar gefeiert

Die Dreispitzhalle in Kreuzlingen ist brechend voll. 640 Tickets haben die Organisatoren nach eigenen Angaben verkauft. Daniele Ganser ist ein Verkaufsschlager, in eineinhalb Stunden galoppiert er flott durch die Weltgeschichte. Dagegen geht die Gruppe ukrainischer Flüchtlinge, die vor dem Eingang gegen seine Thesen demonstriert, fast unter.

Ida Sandl

Er nennt sich «Neutrale Sicht». Der Kreuzlinger Verein ist erst ein halbes Jahr alt und hat bereits einen Volltreffer gelandet: Der Vortrag mit dem umstrittenen Basler Historiker Daniele Ganser war innerhalb kürzester Zeit ausverkauft. 640 Menschen fasst der Dreispitzsaal, es hätten aber noch mehr Tickets verkauft werden können. Mario Andrighetto, der Präsident, kann es fast nicht glauben. Die Plakate mit der Ankündigung, die schon gedruckt waren, hätten sie gar nicht mehr aufgehängt.

Schon eineinhalb Stunden vor der Veranstaltung strömen die Zuhörer in den Saal. Meist sind sie 50 Jahre und älter, aber es sind auch viele Junge dabei. Vor der Tür stehen rund 40 Menschen mit Transparenten und ukrainischen Flaggen. «Wie viel verdienen Sie daran, einen Kriegsverbrecher zu unterstützen?», steht auf einem Plakat. Davor diskutieren zwei Frauen in Englisch. Die ältere verteidigt Gansers Thesen. «Er ist ein Wissenschafter», sagt sie. Die jüngere kommt aus der Ukraine, sie entgegnet: «Wir wollen in Frieden leben und unabhängig sein.»

Ein ehemaliger Ganser-Fan hat die Demo organisiert

Auf dem Platz vor dem Eingang sind Kerzen zu einem kyrillischen Wort geformt. Es bedeutet «Freiheit», erklärt ein junger Mann. Ein paar Schritte weiter steht Dominik Schlegel. Er stammt aus dem Rheintal ist 26 Jahre alt und hat auf Facebook einen Aufruf zur Demo gestartet. Er sei früher ein glühender Fan von Daniele Ganser gewesen, habe viele seiner Youtube-Videos geschaut. Dann, während des Studiums, sei er kritischer geworden, habe gemerkt, dass vieles falsch sei an dem, was Ganser sagt. Jetzt organisiert er Proteste gegen ihn.

Auch etliche Konstanzer sind gekommen, um Ganser zu hören. Ein Mann trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift «Glaube wenig, hinterfrage alles, denke selbst». Er glaubt, in der Schweiz sei die Toleranz viel grösser als in Deutschland: «Hier hört man Menschen noch zu, die eine andere Meinung vertreten.»

Von Meinungsfreiheit und kritischem Denken ist an diesem Abend sehr oft die Rede. Es sind auch Kreuzlinger Lokalpolitiker da. Weil sie mit eigenen Ohren hören wollen, was Ganser sage. Auch dem Verein «Neutrale Sicht» geht es um «die andere Meinung». Um das, worüber die Medien nicht berichten würden.

Die Medien sind an fast allem schuld

Überhaupt die Medien. Das Vertrauen in sie haben viele, die hier sind, längst verloren. Manchmal hat man an diesem Abend den Eindruck, die Medien seien der eigentliche Feind. Auch Daniele Ganser beginnt mit einer gehörigen Portion Medienschelte. Die Angst werde hochgekocht: erst muslimische Terroristen, dann Corona, jetzt Ukrainekrieg. «Lassen Sie doch die nächste Angst einfach aus», rät er den Zuhörern und hat damit die Lacher auf seiner Seite. «Sie können ja jederzeit wieder einsteigen.»

Gansers Thesen sind bekannt: Die Nato hat durch ihre Osterweiterung Putin provoziert. Die USA haben den Funken gezündet und steuern auch jetzt kräftig hinter den Kulissen den Ukrainekrieg. Scholz ist eine Marionette Bidens. Und: Waffen lösen keine Konflikte. Flott galoppiert Ganser durch die Zeitgeschichte, brillante Rhetorik, lockere Sprüche. Dazu sieht er noch gut aus. Einen Ganser-Abend muss niemand deprimiert verlassen.

Die Stadträtin ist überrascht über den Aufmarsch

Dorena Raggenbass hat den Vortrag als Stadträtin besucht und auch, um sich ein eigenes Bild zu machen. Der Dreispitzsaal gehört der Stadt und deshalb musste die umstrittene Veranstaltung vom Stadtrat genehmigt werden. Nachdem, was sie gehört und gesehen hat, gebe es für sie auch jetzt keinen Grund, Gansers Auftritt zu verbieten. «Solange der rechtliche Rahmen nicht verletzt wird, gilt für uns das höchste Gut, die Meinungsfreiheit.»

Überrascht hat die Stadträtin der grosse Aufmarsch. Sie wertet es als Zeichen, dass viele Menschen stark verunsichert sind. Sie staune, wie Ganser den Leuten in eineinhalb Stunden die Welt erklärt, sagt Dorena Raggenbass. Persönlich distanziere sie sich vom Fazit, das er am Ende seines Vortrages zieht, und bedauert, dass keine öffentliche Diskussion stattfand. Aber: «Ich würde mir wünschen, die vielen Besucher würden sich gleich stark für die politischen Themen in Kreuzlingen interessieren.»
(https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/kanton-thurgau/weltanschauung-minutenlang-stehende-ovationen-der-umstrittene-historiker-daniele-ganser-wird-in-kreuzlingen-wie-ein-popstar-gefeiert-ld.2452500)


+++HISTORY
Binninger Klasse erlebt via Computerspiel, wie jüdische Kinder einst nach Basel zu flüchten versuchten (ab 03:54)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/1-mai-hat-juristisches-nachspiel?id=12383047



tagesanzeiger.ch 05.05.2023

Rassistische Häusernamen: Der M-Wort-Streit erreicht die Universität Zürich

Auch Historikerinnen sind sich nicht einig, wie man mit rassistischen Häuserbeschriftungen umgehen soll. Das zeigt ein Streitgespräch.

Beat Metzler

Zwei Häuserinschriften im Niederdorf, die lange kaum auffielen, lösen seit zwei Jahren heftige politische Debatten aus. Nun streiten sich auch Historiker darüber.

Am Freitagmittag wurde an der Universität Zürich in einem vollen Hörsaal darüber debattiert, was mit den beiden in Stein gemeisselten Schriftzügen «Zum Mohrenkopf» und «Zum Mohrentanz» geschehen soll. Im April 2021 hatte Stadtpräsidentin Corine Mauch (SP) entschieden, die Inschriften abzudecken. Diese hätten eine rassistische Wirkung. Der Stadtzürcher Heimatschutz rekurrierte dagegen und bekam Ende März recht. Die Stadt hat das Urteil weitergezogen.

An der Uni standen sich eine Historikerin, zwei Historiker und mit Martin Killias ein ehemaliger Strafrechtsprofessor gegenüber. Killias präsidiert den Schweizer Heimatschutz und setzt sich für die Inschriften ein. Ashkira Darman und Bernhard C. Schär haben diese im Auftrag der Stadt Zürich historisch untersucht. Beide befürworten eine Überdeckung, wie sie am Freitag andeuteten. Die Position dazwischen vertrat der Zürcher Geschichtsprofessor Roberto Zaugg. Nicht teilnehmen konnte eine Vertreterin des Kollektivs «Vo da», welches die Entfernung der Häusernamen fordert.

Einig waren sich alle vier Anwesenden auf dem Podium, dass zwei Fragen getrennt betrachtet werden müssten. Erstens: Wie wurde das Wort «Mohr» früher gebraucht? Zweitens: Wie soll man heute damit umgehen?

Der M-Begriff habe seit dem Mittelalter sehr viele Bedeutungen gehabt, sagte Ashkira Darman. Er sei aber fast immer negativ verwendet worden. Ein Haus mit dem M-Begriff im Namen habe den Besitzern vielleicht Ansehen verschafft. «Das schliesst aber nicht aus, dass die Darstellung abwertend gemeint war», sagte Darman.

Diesem Rückblick widersprach Roberto Zaugg. Er führte Beispiele von als «Mohren» bezeichneten Menschen an, die ein positives Ansehen genossen hätten. Zaugg stimmte Ashkira Darman aber darin zu, dass das Wort seit der Mitte des 19. Jahrhunderts eine klar rassistische Bedeutung habe.

Deutlich kontroverser war die zweite Frage: Was macht man mit solchen rassistischen Zeichen mitten in der Altstadt?

Eine Gesellschaft müsse sich auch an negative Zeiten erinnern und deren bauliche Zeugen bewahren, sagte Martin Killias. Er habe den Kommunismus abgelehnt. Trotzdem habe er es bedauert, dass nach dem Mauerfall alle Lenin-Statuen geschleift wurden. Mit dem Engagement gegen die Überdeckung verteidige der Heimatschutz einen Grundsatz. Wenn man anfange, historische Symbole zu entfernen, lande man bald in einem radikalen Puritanismus und zerstöre alle Zeitzeugen, die einem irgendwie nicht passten.

Killias sprach sich stattdessen für eine Kontextualisierung aus, also für Schilder, welche die Inschriften erklären.

Unterschiedliche Betroffenheit

Bernhard C. Schär widersprach: Bei der Überdeckung handle es sich nicht um ein Auslöschen der Geschichte. Im Gegenteil. Erst der Widerstand gegen die Inschriften habe das Nachdenken darüber angestossen. Vorher habe man sie einfach als selbstverständlich hingenommen. Eine Kontextualisierung nütze auch nur bedingt, im städtischen Alltag seien viele nicht bereit zu einer solchen Auseinandersetzung. Wichtiger für die historische Einordnung seien Museen und Schulen.

In gewissen Fällen sei es richtig, Symbole ungeliebter Systeme zu entfernen, sagte Roberto Zaugg. Aber man müsse dabei vorsichtig bleiben. Sonst gehe es bei einem Wechsel der politischen Kräfte schnell in die andere Richtung. Ausserdem sei es möglich, inmitten der Bauwerke einer kritischen Vergangenheit zu leben. So würden viele europäische Altstädte noch heute einen christlichen Übermachtsanspruch ausdrücken, sagte Zaugg. Auch der Feudalismus sei in Form von Statuen allgegenwärtig. Dadurch fühlten sich die wenigsten angegriffen, obwohl sie von damals unterdrückten Menschen abstammten.

Bernhard C. Schär entgegnete, dass der Feudalismus entmachtet und überwunden sei. Die Kolonialzeit hingegen halle weiterhin nach und sei noch nicht abgeschlossen. Ashkira Darman ergänzte, dass Rassismus für viele Menschen nach wie vor eine alltägliche Erfahrung darstelle. Diese würde durch die Inschriften verstärkt.

Sicher ist: Der Historikerinnenstreit ist längst nicht ausgefochten. Martin Killias kündigte an, bald ein historisches «Gegengutachten» vorzulegen.
(https://www.tagesanzeiger.ch/der-m-wort-streit-erreicht-die-universitaet-zuerich-526551647575)


+++GASSE
Der SVP ist die offene Drogenszene im Kleinbasel ein Dorn im Auge
Erst kürzlich landete die Dreirosenanlage wieder in den Schlagzeilen. Grund dafür war auch die Drogenszene, die sich wieder auszubreiten scheint. Jetzt fordert die SVP Basel-Stadt Massnahmen.
https://www.baseljetzt.ch/der-svp-ist-die-offene-drogenszene-im-kleinbasel-ein-dorn-im-auge/53729



primenews.ch 05.05.2023

Drogendeals im Kleinbasel: SVP-Politiker machen Druck

Umstrittene Forderung: Die Polizei soll erweiterte Befugnisse bei der Wegweisung erhalten. Linke befürchtet «Citypflege».

von Claude Bühler

Mitte April berichtete Prime News über die verschärfte Situation am Gewalt- und Drogen-Hotspot  Dreirosenanlage oder die «ätzende Dauerpräsenz zu vieler Drogendealer und Junkies» in der  Florastrasse bei der Kaserne, wie es eine Anwohnerin formulierte. Etwa 20 nigerianische Dealer vertickten mit einer raffinierten Rollenaufteilung Kokain auf der Strasse oder in Hauseingängen und belästigten junge Frauen mit Anmachsprüchen. Junkies setzten sich in Vorgärten die Nadel an.

Die Kantonspolizei Basel-Stadt beobachtet im Raum Kaserne eine Zunahme der «Dealer-Tätigkeit», wie sie auf Anfrage mitteilt. Seit Ende Januar seien Kontrollen erhöht worden. Zudem habe die Polizei mehr «Schwerpunktaktionen» durchgeführt.

Bezugnehmend auf die Prime News-Berichterstattung fordert nun SVP-Grossrat Joël Thüring in einem  Anzug «weitergehende präventive und repressive Massnahmen». Zwischen Erasmusplatz, Kaserne und Claraplatz sollen «bauliche Massnahmen» wie Abschrankungen oder Flutleuchten platziert werden.

Polizei soll Personen leichter wegweisen können

Zudem fordert er im Hinblick auf die «wärmeren Sommermonate weitere temporäre Präventions- und Sicherheitsmassnahmen». Thüring gibt dem Sicherheitsdepartement mit seinen Formulierungen bewusst viel Spielraum. Zum einen, weil kantonales Fachpersonal die Massnahmen konkretisieren soll. Zum anderen erhofft sich der langjährige Politiker mit offenen Formulierungen mehr Support für seinen Vorstoss. Bislang haben Grossrats-Kollegen aus dem bürgerlichen Spektrum unterzeichnet.

Wesentlich umstrittener wird ein anderer Vorstoss sein, der auf der Traktandenliste des Grossen Rates landen wird: Polizisten sollen Personen leichter von einem Hotspot wegweisen können als bisher. SVP-Grossrat Felix Wehrli bringt diese Forderung aus eigener beruflicher Erfahrung ein. Der ehemalige Polizist und Detektiv bei der Kriminalpolizei der Staatsanwaltschaft: «Dieses Problem (Drogendeals im Kleinbasel) besteht seit Jahren und ist mit den vorhandenen Mitteln nicht in den Griff zu bekommen.»

Eine erweiterte Befugnis zum Platzverweis würde zwar das Problem nicht ganz lösen, so der Ex-Polizist, aber eine Entspannung bringen.

Wehrli hält die Situation im Kleinbasel für nicht mehr tolerierbar: «Unbefriedigend für alle Betroffenen ist die Tatsache, dass Dealer und Abhängige, welche erwischt, zur Kontrolle auf eine Polizeiwache verbracht oder vorläufig festgenommen werden, kurze Zeit später bereits wieder vor Ort anzutreffen sind», schreibt er in seiner Anfrage (Interpellation). Sollte die Regierung in ihrer Antwort von einem erweiteren Platzverweis absehen wollen, will Wehrli seinem Anliegen mit einem verpflichtenderen Vorstoss (Anzug oder Motion) Nachdruck verleihen.

Polizeipersonal an der Front unterstützt Wehrlis Forderung

Recherchen zeigen, dass Wehrlis Forderung bei Polizeipersonal, das an der Front konkret mit den Problemen zu tun hat, unterstützt wird. Rückblende: Am 23. Januar führte das Stadtteilsekretariat Kleinbasel einen runden Tisch zur Situation durch. Unter Anwohnerinnen und Beizern sass auch leitendes Fachpersonal der Basler Kantonspolizei: Der Leiter Bezirk Kleinbasel Stefan Gasser, der Leiter Abteilung Einsatzzug Werner Hauser und Michel Hostettler vom Community Policing.

Im Protokoll, das Prime News vorliegt, werden die Aussagen von Gasser, Hauser, Hostettler nur summarisch aufgeführt. Nebst einer detaillierten Lage-Analyse (Situation Drogenhandel, Rechtslage, beteiligte Fachinstitutionen) wünschen sich die Polizeimänner einen Runden Tisch «öffentlicher Raum» wie in Zürich.

Und sie wünschen sich «eine Erweiterung des Befristeten Platzverweises», nach Zürcher Modell – wie es auch Wehrli fordert. Dies würde der Polizei mehr «Eingriffsmöglichkeiten» geben.
#baselnews

Zürich: Wegweisungen auch wegen Belästigung

Im Protokoll heisst es wörtlich: «Bei der Revision des Polizeigesetzes sollen auch zur Vermeidung von Ansammlungen befristete Platzverweise ausgesprochen werden können.» Als ginge es um eine Bekräftigung des Anliegens werden im Protokoll die entsprechenden Paragraphen der kantonalen Polizeigesetze gegenübergestellt.

– Im Baselstädtischen Polizeigesetz dürfen Beamte nur dann einen Platzverweis aussprechen, wenn Gewalt angewendet wurde, Waffen oder gefährliche Gegenstände mitgeführt werden oder ein Beteiligter mit einer ernsthaften Gefährdung droht.
– In Zürich sieht das Polizeigesetz Platzverweise auch dann vor, wenn eine Person oder eine Ansammlung «die öffentliche Sicherheit und Ordnung» gefährdet, bei erheblicher Belästigung oder auch zur Wahrung der Rechte von Personen und deren Pietät.

Mit anderen Worten: Zürich billigt dem Polizisten auf Streife wesentlich mehr Spielräume zu und fordert von ihm mehr Beurteilungskompetenz.

Erhöhte Sicherheit – mehrfach gerichtlich bestätigt

Allerdings kann die Zürcher Stadtpolizei auch Personen wegen «illegaler Prostitution, Belästigungen von Benützerinnen und Benützern öffentlicher Parkanlagen durch alkoholisierte Personen oder Bettelei (nur bei Belästigung)» oder wegen «Szenenbildung / Betäubungsmittel» wegweisen.

Die Zürcher Platzverweis-Praxis wurde 2009 eingeführt. 2013 hielt das Sicherheitsdepartement der Stadt Zürich in einer  Medienmitteilung fest: «Seit ihrer Einführung hat sich die Wegweisung als geeignetes Mittel erwiesen, in besonders belasteten Gebieten (…) die Situation zu beruhigen und die öffentliche Sicherheit zu erhöhen. Es besteht allerdings eine latente Gefahr, dass das Instrument der Wegweisung zu schnell und zu flächendeckend angewendet wird.»

Zehn Jahre später sei man sehr zufrieden mit dem System, so Stadtpolizei-Sprecher Pascal Siegenthaler. Es wurde laufend justiert und sei auch mehrfach gerichtlich bestätigt worden.

Sicherheitsdepartement: «Kein Thema»

Aber beim hiesigen Sicherheitsdepartement will man sich auf eine Debatte über den Platzverweis offenbar nicht einlassen. Das polizeiliche Instrument sei dafür gedacht, wirksam und unmittelbar vor Ort Gewalt im öffentlichen Raum zu verhindern: «Derzeit ist eine Ausweitung des befristeten Platzverweises aber kein Thema», so Sprecher Toprak Yerguz.

Schon 2008, als der Platzverweis in Basel-Stadt als polizeiliches Instrument eingeführt wurde, äusserte die zuständige Justiz-, Sicherheits- und Sportkommission JSSK «im Einklang mit den universitären Experten Befürchtungen», wonach mit der vorgeschlagenen Norm sogenannte «Citypflege» betrieben werden könnte. Sprich: Dass die Polizei Randständige aus dem Stadtbild verdrängt – wie es in Zürich grundsätzlich möglich ist.

Basel weniger attraktiv für Dealer machen

Genau dies befürchtet SP-Grossrat Thomas Gander, wenn nun die Polizei-Befugnisse zum Platzverweis erweitert würden. Das JSSK-Mitglied redet auf Anfrage von einer «Scheinlösung». Für einen Platzverweis müsse weiterhin ein Strafdelikt vorliegen. «Mit einer Erweiterung wird das Problem nur verlegt und verschoben.»

Diese Gefahr sieht auch EVP-Grossrat Christoph Hochuli. Aber der Polizist stellt in der Abwägung die betroffenen Anwohner in den Vordergrund, weshalb er Wehrlis Anliegen unterstützt. «Mit dem erweiterten Platzverweis würde Basel für die Drogendealer sicher weniger attraktiv».
(https://primenews.ch/articles/2023/05/drogendeals-im-kleinbasel-svp-politiker-machen-druck)



nzz.ch 05.05.2023

Blut und Drogen am helllichten Tag: wie die veränderte Migration einen Basler Hotspot aus dem Gleichgewicht bringt

Die Dreirosenanlage in Basel ist ein Treffpunkt für Kinder und Jugendliche. Doch Gewalt, Drogenhandel und Polizei gehören hier zum Alltag. «Wir sind mit Problemen konfrontiert, die wir nicht mehr allein bewältigen können», sagt ein Leiter aus der Jugendarbeit.

Daniel Gerny (Text), Eleni Kougionis (Bilder)

Es ist kurz vor 16 Uhr an einem Novembertag im vergangenen Jahr, als in der Basler Dreirosenanlage plötzlich zwei Männer aufeinander losgehen. Zuerst sieht es nach einem Faustkampf aus, doch dann packt der eine einen herumliegenden Holzpfahl und stürmt auf den anderen zu. Dieser nimmt sein Sackmesser und geht seinerseits in die Offensive.

Mitten auf der Wiese hauen und stechen die Männer voller Wucht und Wut aufeinander ein. Lautstark beschimpfen sie sich dabei in arabischer Sprache. Blut fliesst. Minutenlang geht das so, bis es umstehenden Personen endlich gelingt, die Männer auseinanderzureissen. Im Juni stehen die Schläger in Basel vor Gericht – wegen versuchter Tötung und versuchter schwerer Körperverletzung.

Bemerkenswerter als die Brutalität am helllichten Tag ist der Ort des Geschehens: Die Dreirosenanlage liegt zwischen einer Primar- und einer Sekundarschule, einer Freizeithalle und einem Jugendzentrum. Als die NZZ den Ort besucht, wimmelt es dort von Kindern jeden Alters. Doch selbst an einem ruhigen Tag ist gut erkennbar, dass hier etwas aus dem Gleichgewicht zu geraten droht: Im Hintergrund, am Kleinbasler Rheinufer, dealen einige Männer in aller Ruhe mit Drogen. Und während eine Schulklasse über die Wiese joggt, sitzt wenige Meter daneben eine Gruppe Männer beim Büchsenbier. Es ist auch ohne tätliche Auseinandersetzung ein nur scheinbar harmonisches Bild.

Restaurants, Bars und Multikulti-Charme

«Die Dreirosenanlage ist seit Jahren ein Hotspot, doch nun sind wir mit Problemen konfrontiert, die wir nicht mehr allein bewältigen können», sagt Marc Moresi. Der ursprüngliche Sportlehrer leitet die Freizeithalle, die sich unter der Autobahn über den Rhein befindet. Realisiert wurde sie vor gut fünfzehn Jahren, um die Integration im durchmischten Quartier zu fördern und Sport zu ermöglichen.

Moresi ist schwierige Kundschaft gewohnt. Das Klybeck- und das Matthäusquartier, zwischen denen sich die Dreirosenanlage befindet, gehören seit Jahren zu den belastetsten und am dichtesten bewohnten Vierteln der Schweiz. Die Wohnungen sind klein, Grünflächen fehlen, dafür gibt es massenweise Verkehr. Hier leben besonders viele Sozialhilfeempfänger, die Einkommen sind niedrig, der Ausländeranteil dagegen ist mit fast 50 Prozent rekordverdächtig hoch.

Die Stadt versucht seit langem, Gegensteuer zu geben, teilweise durchaus mit Erfolg. Trotz negativen Indikatoren hat sich das Matthäusquartier in den vergangenen Jahren zu einem lebendigen Trendviertel mit Multikulti-Charme entwickelt. Ganze Strassenzüge wurden aufgewertet und sind vom heruntergekommenen Mief der 1980er Jahre befreit worden. Nicht zuletzt Einwanderer aus den vergangenen Jahrzehnten haben dem Quartier damit zu einer neuen Ausstrahlung verholfen, die auf die ganze Stadt anziehend wirkt.

Die Wohnbevölkerung ist überdurchschnittlich jung, das Stadtleben vibriert, das Nachtleben ist attraktiv: Hier gibt es viele spezielle und von den grossen Ketten unabhängige Shops, eine Unzahl an kleinen Lokalen mit Essen aus der ganzen Welt, Cafés, Bars, Eckläden, die bis in die Nacht geöffnet sind. An warmen Sommertagen geht hier die halbe Stadt aus. Doch das bedeutet noch mehr Leute auf engem Raum und noch mehr Konfliktpotenzial.

Die Grenznähe sorgt gleichzeitig für Zustrom aus Frankreich, mit Partygästen, aber auch mit Leuten aus Nordafrika, die in Drogengeschäfte verwickelt sind und nach Kundschaft suchen. Auch Asylbewerber aus dem nicht weit entfernten Bundeszentrum vertreiben sich auf der Dreirosenanlage ihre Zeit, gelangweilt und offen für Alkohol, Drogen und nicht selten für kleine Geschäfte oder Delikte.

Nur wenige Strassen von der Dreirosenanlage entfernt beklagen sich Anwohner über den offenen Drogenhandel durch nigerianische Gruppen. In den Vorgärten lägen regelmässig blutige Taschentücher, die nach dem Konsum von Koks weggeworfen würden, manchmal sogar zugedröhnte Nachtschwärmer.

Mann im Drogenrausch geht auf Jugendliche los

Im Online-Magazin «Prime News» sprachen Nachbarn, entsetzt über die ungehemmte Präsenz der Dealer, gar von einem rechtsfreien Raum. Auch wenn das übertrieben ist: Das Problem ist seit langem bekannt. Die Deals werden blitzschnell und diskret abgewickelt, weshalb die Polizei praktisch machtlos ist und der Alltag ungestört weiterläuft. Gegen aussen ist vom Stimmungswandel im Quartier so kaum etwas zu bemerken.

Und doch gärt es. So landete vor wenigen Wochen auf der «Nebelspalter»-Redaktion ein Sitzungsprotokoll zur Situation bei der Dreirosenanlage, in dem die Probleme ungeschönt beschrieben werden. An den regelmässigen Besprechungen der Begleitgruppe Dreirosen nehmen jeweils Vertreter von Schulen, diversen sozialen Institutionen, der Polizei, dem Kanton sowie weitere Akteure teil.

Littering, Pissoir-Geruch, Lärm und Alkohol scheinen dabei die geringsten Probleme zu sein, wie aus dem Protokoll hervorgeht. Bedenklicher sind die regelmässigen Diebstähle, Gewaltvorfälle, Drogendeals und die durchschnittlich zwei bis drei Polizeieinsätze jeden Tag – und dies an einem Begegnungsort für Kinder und Jugendliche. Manche Eltern verbieten ihrem Nachwuchs, die Dreirosenanlage zu besuchen. Junge Frauen fühlen sich unsicher und meiden den Ort. Die Besucherzahlen im Jugendzentrum gehen zurück, und selbst den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist es oft unwohl.

Mehrere Personen, mit denen die NZZ gesprochen hat, bestätigen die im Protokoll beschriebenen Zustände. Claudia Gunzenhauser, die Leiterin des Jugendzentrums, erzählt von einem Zwischenfall während der letzten Weihnachtsfeier, als ein Mann im Drogenrausch auf die Jugendlichen losgehen wollte. Ein Elternrat berichtet, dass manche Kinder Angst vor den Männern auf der Dreirosenanlage hätten. Auf der Website des zuständigen Stadtteilsekretariates steht: «Ob man an dieser Lage die Jugendangebote längerfristig halten kann, beschäftigt die Runde zunehmend.»

Migrationsprobleme offen angesprochen

Besonders auffallend ist, wie klar in diesem Protokoll die Migration als mitentscheidender Treiber für die Entwicklung benannt wird. So beklagt der Leiter der benachbarten Gassenküche, «vor allem junge Menschen aus dem Maghreb» respektierten die Öffnungszeiten nicht und hielten sich bis spätnachts im Hof auf. Auf der Anlage hielten sich arabisch sprechende Personen auf, und Situationen könnten «sehr rasch gewaltsam eskalieren», heisst es an anderer Stelle.

Seit neuem stelle die massive Zunahme der unbegleiteten minderjährigen Asylbewerber (UMA) im nahe gelegenen Bundesasylzentrum eine Zusatzbelastung dar. Statt hundert UMA, wie vorgesehen, befinden sich dort dreihundert. Zu tun haben sie nichts, weshalb sie sich die Zeit gerne in der Dreirosenanlage vertreiben. Dort langweilten sie sich, verhielten sich teilweise «nicht respektvoll» oder würden «in illegale Geschäfte eingebunden». So sind die Jugendlichen aus Afghanistan beides: eine Belastung für ein überfordertes Quartier und Opfer des Treibens an einem fremden, überhitzten Ort.

Dies alles steht im Kontrast zum Selbstverständnis einer Stadt, in der man lieber über erfolgreiche Integrationsmodelle spricht. Der Leiter der Dreirosenhalle, Marc Moresi, sieht genau darin eines der Probleme: «Wir alle verstehen uns als Teil einer modernen und sozialen Gesellschaft. Doch Migrationsprobleme werden oft ausgeblendet oder bagatellisiert.»

Die Ursache dafür sieht er nicht nur in der Stadt Basel: «Verantwortlich ist eine Politik, die Grenzen durchlässig macht, ohne den daraus entstehenden Problemen für das Zusammenleben genügend Beachtung zu schenken.»

So verfestigt sich die Dreirosenanlage in Kleinbasel kaum bemerkt als Knotenpunkt für Menschen ohne Anknüpfung zur Stadt, ohne Perspektiven und ohne Befürchtungen. Auch von der Polizei lassen sich viele kaum beeindrucken: Geld für Bussen hätten die meisten nicht, und wenn sie vom Areal weggewiesen oder mitgenommen würden, seien sie nach zwei Stunden wieder da. Von einer Parallelgesellschaft will Moresi nicht sprechen. «Aber es bildet sich ein Netz von Leuten, die von der Gesellschaft weitgehend abgekoppelt sind.»

Die Schläger vom vergangenen November passen präzise in dieses Muster. Der eine Beschuldigte stammt aus Algerien, der andere aus Marokko, beide sind gut zwanzig Jahre alt. Beide sind illegal in die Schweiz eingereist und lebten hier wochenlang illegal, teilweise an unbekanntem Ort. Beide konsumierten Drogen, einer der Männer ist vorbestraft. Es sind Biografien, wie wenn sie fürs Parteiprogramm der SVP erfunden worden wären.

SVP-Politiker redet von «failed state»

Es ist deshalb kein Wunder, dass sich viele Betroffene scheuen, das Thema zu benennen: «Man wird sofort in die SVP-Ecke gestellt», erklärt jemand. Praktisch alle Personen, mit denen die NZZ gesprochen hat, betonen, aus einem eher linken Lager zu kommen, wo es aber eine starke Tendenz zur Tabuisierung gebe. Gleichzeitig erhofft sich in einem Quartier, in dem auch viele Ausländerinnen und Ausländer unter den Zuständen auf der Dreirosenanlage leiden, niemand wirklich Unterstützung von der SVP.

Ein SVP-Politiker hat den Regierungsrat unter dem Stichwort «failed state» per Vorstoss mit 25 Fragen bombardiert. «Da geht es um Wahlkampf, nicht um Engagement», kommentiert Moresi. Die Betroffenen fühlen sich alleingelassen, von der Politik erhoffen sich die meisten nicht mehr viel. «Die Frage wurde aufgeworfen, ob es Lösungsansätze aus anderen Städten gibt, die hier allenfalls ebenfalls angewendet werden könnten», heisst es fast verzweifelt an einer Stelle im Protokoll der Dreirosen-Begleitgruppe.

So werden die Nachteile einer Stadt mit viel Nachtleben, viel Urbanität und viel Migration vor lauter falscher Toleranz nicht angesprochen oder zur plakativen Inszenierung missbraucht. Höchstens zaghaft wächst das Verständnis für die Sorgen im Viertel. Punktuell kommt es zu Verbesserungen. Doch es ist zu wenig: «Es wird unterschätzt, wie sehr sich die Entwicklung beschleunigt», erklärt Moresi.

Oft sind es deshalb die Betroffenen im Klybeck- und im Matthäusquartier selbst, die dafür Sorge tragen, dass die Situation noch nicht kippt: Lehrpersonen, Park-Rangerinnen, Sozialarbeiter, Anwohnerinnen oder Community-Polizisten, Eltern. Es sind Leute, die an ihrem multikulturellen Viertel hängen und tagtäglich im Kleinen zu korrigieren versuchen, was im Grossen falsch läuft.
(https://www.nzz.ch/schweiz/blut-und-drogen-am-helllichten-tag-wie-die-veraenderte-migration-einen-basler-hotspot-aus-dem-gleichgewicht-bringt-ld.1735388)