Medienspiegel 3. Mai 2023

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/

+++SCHWEIZ
Sicherheitsmassnahmen in Bundesasylzentren: Grundrechte der Schutzsuchenden müssen gewahrt werden
Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) unterstützt zwar grundsätzlich die geplante Änderung des Asylgesetzes (AsylG) betreffend Sicherheit und Betrieb in den Bundesasylzentren (BAZ). Damit erhalten die Akteure vor Ort einen klareren Handlungsrahmen. Die Änderung trägt auch zur Behebung von einigen Schwachstellen bei, die im Bericht Oberholzer aufgezeigt wurden. Die SFH hat aber auch Bedenken und regt daher in ihrer Vernehmlassungsantwort Verbesserungen an, um die rechtsstaatlichen Grundsätze und die Rechte der betroffenen Menschen zu wahren. Zudem müssen Prävention und Betreuung in den BAZ weiter gestärkt werden.
https://www.fluechtlingshilfe.ch/medienmitteilungen/sicherheitsmassnahmen-in-bundesasylzentren-grundrechte-der-schutzsuchenden-muessen-gewahrt-werden


+++BALKANROUTE
Human Rights Watch: Kroatien weist angeblich Asylsuchende gewaltsam an Grenzen zurück
Menschenrechtler werfen Kroatiens Grenzpolizei vor, Migranten mit Gewalt nach Bosnien-Herzegowina zurückzutreiben. Die Praxis verstoße gegen das Völkerrecht.
https://www.zeit.de/politik/ausland/2023-05/kroatien-asylsucher-pushbacks-schengen-raum-human-rights-watch


Camp Lipa: Werden hier Flüchtlinge eingesperrt?
Österreichs Innenminister und ein ThinkTank waren federführend bei der Planung eines Internierungstraktes für Asylwerber – Verstoß gegen die Menschenrechte?
https://kurier.at/politik/ausland/fluechtlingscamp-lipa-fluechtlinge-gefaengnis/402434679


Laut EU-Kommission kommen in Camp Lipa auch Asylsuchende in Haft
Die Grüne Ewa Ernst-Dziedzic spricht von systematischer Abschiebepolitik, die Errichterin des kritisierten Gefängnistraktes in dem bosnischen Lager, ICMPD, widerspricht ihr
https://www.derstandard.at/story/2000146100719/laut-eu-kommission-kommen-in-camp-lipa-auch-asylsuchende-in?ref=rss


+++MITTELMEER
Überwachung in Seenot
Frontex spürt Geflüchtete im Mittelmeer über Handys auf
Im Auftrag der EU-Grenzagentur überwachen private Dienstleister mit Flugzeugen und Drohnen das Mittelmeer. Zur Technik an Bord machen sie unterschiedliche Angaben.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1172926.unglueck-von-crotone-ueberwachung-in-seenot.html


Menschenrechtsverein gibt auf: Nicht helfen und nicht helfen lassen
Der Verein Mare Liberum hat Menschenrechtsverletzungen dokumentiert. Nun gab er seine Auflösung bekannt. Repression verunmögliche die Arbeit.
https://taz.de/Menschenrechtsverein-gibt-auf/!5928738/


+++GASSE
Gewalt im Stadt-Park Wil SG – «Habe ihm Stein über Kopf gehauen»
Im Allee-Pärkli in Wil SG kommt es immer wieder zu Kriminalität. Auch am Sonntagabend: Zwei Männer haben einem Mann einen Stein auf den Kopf geschlagen.
https://www.nau.ch/news/schweiz/gewalt-stadt-park-wil-sg-habe-ihm-stein-uber-kopf-gehauen-66485789


Mehr Obdachlose in Schweizer Notschlafstellen – Schweiz Aktuell
Viel mehr Obdachlose meldeten diesen Winter die Schweizer Städte, die Notschlafstellen verzeichneten eine Rekordzahl von Übernachtungen. Die Sieber-Sozialwerke schlossen ihre Winter-Notunterkünfte am 15. April. Doch verschwunden sind die Obdachlosen keineswegs, wie ein Besuch auf der Gasse und beim “Sunne-Eggä” zeigt, dem Spital für Randständige des Sozialwerks Pfarrer Sieber.
https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/mehr-obdachlose-in-schweizer-notschlafstellen?urn=urn:srf:video:11a3f267-e72b-45bb-a1fb-2acfd9bbc25d


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
BE:
Communiqué zur revolutionären 1. Mai Demo in Bern
Gestern gegen 18:00 formierte sich die alljährliche Revolutionäre 1.Mai Demonstration am Bahnhofsplatz Bern. Rund 700 Leute nahmen Teil und zogen – trotz strömendem Regen und martialischem Polizeiaufgebot – in einem lautstarken und kämpferischen Umzug durch Bern. Der Zugang zur Innenstadt wurde der Demo mit einem unverhältnismässig grossen Polizeiaufgebot verwehrt. Damit verunmöglichte die Polizei, dass wir zur offiziellen Mai-Feier der Gewerkschaften stossen konnten, um dort eine Rede zu halten.
https://barrikade.info/article/5928


12-Jährige kommen wegen Demo nicht nach Hause – fremde Frau eilt zu Hilfe
Zwei Mädchen wollten von der BEA nach Hause. In der Stadt herrschte wegen der 1.-Mai- Demonstration Chaos, sodass die beiden nicht weiterkamen. Zum Glück gab es eine fremde Helferin.
https://www.20min.ch/story/12-jaehrige-kommen-wegen-demo-nicht-nach-hause-fremde-frau-eilt-zu-hilfe-151276698943?version=1683120469782


BS:
Basler Sicherheitsdirektorin Stephanie Eymann äussert sich zum Polizeieinsatz am 1. Mai
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/abgeschlossen-pilotprojekt-smarte-strasse-in-basel?id=12379755
-> https://bajour.ch/a/clh6iv87144692354ixb6pvhk4g/1-mai-basels-polizeichefin-eymann-nimmt-stellung-zu-demo-strategie
-> Talk: https://telebasel.ch/telebasel-talk/?channel=15881
-> https://www.baseljetzt.ch/sp-urgestein-roland-stark-das-ist-nicht-der-sinn-des-1-mai/52833
-> https://primenews.ch/articles/2023/05/basler-polizei-gibt-kosten-zu-demo-einsatz-nicht-preis


Demokratische Juristen kritisieren Basler Polizeieinsatz am 1. Mai
Die Demokratischen Juristinnen und Juristen Basel (DJS) kritisieren den Polizeieinsatz an der 1. Mai-Kundgebung. Die präventive Einkesselung der Demonstrierenden stehe «in klarem Widerspruch zu den Grundsätzen rechtsstaatlichen Handelns», heisst es in einer Medienmitteilung.
https://www.watson.ch/schweiz/basel/948489524-demokratische-juristen-kritisieren-basler-polizeieinsatz-am-1-mai
-> https://video.telebasel.ch/content/4062/4063/207365/index.html


Emotionales Streitgespräch zum Polizei-Einsatz am 1. Mai
War das Eingreifen am 1. Mai in Basel zu hart oder genau richtig? Darüber diskutieren der ehemalige Polizist Felix Wehrli (SVP) und Strafverteidiger Christian von Wartburg (SP).
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/emotionales-streitgespraech-zum-polizei-einsatz-am-1-mai?partId=12382042
-> https://www.bazonline.ch/ein-debakel-fuer-die-basler-sp-948231625722
-> https://bajour.ch/a/clh7wqvso23607054ix0ql26rjn/diskussion-nach-dem-1-mai


1.-Mai-Demo: Rechtsextreme attackieren Jungsozialisten in Liestal BL
Am 1. Mai ist es in Liestal BL zu Tätlichkeiten gegen Jungsozialisten gekommen. Die Polizei hätte konsequenter intervenieren müssen, bemängelt die Jungpartei.
https://www.nau.ch/politik/regional/1-mai-demo-rechtsextreme-attackieren-jungsozialisten-in-liestal-bl-66486594


GE:
Keine Gnade für Genfer Klimaaktivisten: Sachbeschädigung ist nicht mit «achtenswerten Gründen» zu rechtfertigen
Das Bundesgericht verneint die Strafmilderung für einen Klimaaktivsten, der Handabdrücke auf eine Bankfassade malte. Hinter Klimaprotesten stecke zwar ein «ehrbares Anliegen», nicht jedoch, wenn Sachen beschädigt oder Dritte verletzt würden, so das Gericht.
https://www.luzernerzeitung.ch/news-service/inland-schweiz/bundesgericht-keine-gnade-fuer-genfer-klimaaktivisten-sachbeschaedigung-ist-nicht-mit-achtenswerten-gruenden-zu-rechtfertigen-ld.2451456
-> Medienmitteilung Bundesgericht: https://www.bger.ch/files/live/sites/bger/files/pdf/de/1c_0391_2022_yyyy_mm_dd_T_d_12_17_27.pdf
-> Urteil Bundesgericht: https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/aza/http/index.php?highlight_docid=aza://30-03-2023-6B_620-2022&lang=de&zoom=&type=show_document
-> https://www.blick.ch/schweiz/westschweiz/genf/bundesgericht-entscheidet-genf-muss-klima-aktivisten-haerter-bestrafen-id18541777.html?utm_source=twitter&utm_medium=social&utm_campaign=blick-page-post&utm_content=bot


CH:
Gewalt an Demonstrationen – Die Linke und die Gewalt – eine schwierige Beziehung
Die extreme Linke kommt mit Ausschreitungen in die Schlagzeilen und bringt die parlamentarischen Kräfte in Bedrängnis.
https://www.srf.ch/news/schweiz/gewalt-an-demonstrationen-die-linke-und-die-gewalt-eine-schwierige-beziehung


Repression am 1. Mai: Polizeiliche Absurditäten
Eine enthemmte Polizei stürmt in Basel die 1.-Mai-Kundgebung, deckt Arbeiter:innen und Familien mit Reizgas ein. Und in Zürich wird ein junger Mann schwer am Auge verletzt.
https://www.woz.ch/2318/repression-am-1-mai/polizeiliche-absurditaeten/!E34SPQZTE9NK


+++KNAST
Souvenirs de préventive
Quelques souvenirs et réflexions autour d’un passage en détention préventive, en espérant que ce partage puisse servir à d’autres. Free Jeremy, free tout le monde !
https://renverse.co/analyses/article/souvenirs-de-preventive-4005


+++POLICE BE
Teilrevidiertes Polizeigesetz geht an den Grossen Rat
Der Regierungsrat hat die Änderung des Polizeigesetzes zuhanden des Grossen Rates verabschiedet. Mit der Teilrevision sollen die polizeilichen Massnahmen verbessert und der Rechtsschutz weiterentwickelt werden. Die Gesetzesänderung berücksichtigt die jüngste Rechtsprechung des Bundesgerichts. Sie wird frühestens Mitte 2024 in Kraft treten.
https://www.be.ch/de/start/dienstleistungen/medien/medienmitteilungen.html?newsID=f603b782-8340-4f9a-8fe3-d2e0fcc3685c
-> https://www.bernerzeitung.ch/jetzt-darf-die-polizei-noch-mehr-ueberwachen-297082757176
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/videoueberwachung-erzwingen-berner-kantonsregierung-bleibt-dabei?id=12380998
-> https://www.jungfrauzeitung.ch/artikel/209625/
-> -> https://web.telebielingue.ch/de/sendungen/info/2023-05-03
-> https://www.telebaern.tv/telebaern-news/kanton-darf-gemeinden-uebergehen-beim-polizeigesetz-151331601
-> https://www.baerntoday.ch/bern/stadt-bern/berner-kantonsparlament-soll-ueber-das-teilrevidierte-polizeigesetz-entscheiden-151315673?autoplay=true&mainAssetId=Asset:151317157



ajour.ch 03.05.2023

Änderungen des Polizeigesetzes: Mit diesem Punkt ist die Stadt Biel ganz und gar nicht einverstanden

Neu soll der Kanton auch gegen den Willen einer Gemeinde Überwachungskameras installieren dürfen. Dies kritisiert die Stadt Biel scharf.
Robin Niedermaier | rb|sda|msp

Die Stadt Biel hat ihre Bedenken bereits deponiert. Mit der Teilrevision des Polizeigesetzes soll die Berner Polizei gegen den Willen einer Gemeinde an einzelnen neuralgischen Orten Überwachungskameras einrichten dürfen. Diese Bestimmung wird unter anderem von den Städten Bern und Biel kritisiert. Dies sei ein Eingriff in die Gemeindeautonomie, sagt André Glauser, Leiter öffentliche Sicherheit der Stadt Biel, am Mittwoch gegenüber «Canal 3». «Man nimmt den Gemeinden die Kompetenzen im Bereich der Videoüberwachung weg.»
Der Berner Regierungsrat hat die Änderungen des Polizeigesetzes trotz Kritik gutgeheissen, wie er am Mittwoch mitteilte.
Für die Stadt Biel sei nicht nachvollziehbar, dass neu die Sicherheitsdirektion des Kantons den Gemeinden befehlen solle, wo Videoüberwachung stattfinde und wo nicht. «Wir sind der Meinung, dass Gemeinden selber einschätzen können, wo Videoüberwachung allenfalls notwendig und sinnvoll ist», sagt Glauser weiter. Scharf kritisiert Glauser auch die geplante Änderung, wonach die Kosten auf die Gemeinden überwälzt werden können, wenn der Kanton die Videoüberwachung anordnet. «Das geht gar nicht», so Glauser.

Die Stadt Biel sei – wie andere Gemeinden, Städte und Institutionen – zur Vernehmlassung eingeladen worden, sagte Glauser weiter gegenüber «Canal 3». Sie habe dann entsprechend Stellung zu den geplanten Anpassungen genommen. Nun hofft Glauser, dass die Mitglieder des Grossen Rates die «richtigen Entscheide fällen zugunsten der Städte», wenn das Dossier dort behandelt wird.

Der von der Stadt Biel kritisierte Artikel geht auf eine Motion der bürgerlichen Mehrheit im Grossen Rat zurück, die 2021 an den Regierungsrat überwiesen wurde. Biels Stadtpräsident Erich Fehr (SP) hatte das Vorhaben bereits damals scharf kritisiert. Von einem «Angriff auf links-grün regierte Städte», der die Gemeindeautonomie «eiskalt» beschneide, sprach Fehr damals in den Tamedia-Zeitungen.


Polizeigesetz

Das totalrevidierte Polizeigesetz des Kantons Bern ist seit dem 1. Januar 2020 in Kraft. Da einzelne Punkte beim Bundesgericht angefochten worden waren, musste das Polizeigesetz überarbeitet werden. Der Berner Regierungsrat hat die Änderungen des Polizeigesetzes nun zuhanden des Grossen Rates verabschiedet. Der Grosse Rat wird voraussichtlich in der Herbstsession die Revision beraten.
(https://ajour.ch/de/story/76296/%25C3%25A4nderungen-des-polizeigesetzes-mit-diesem-punkt-ist-die-stadt-biel-ganz-und-gar-nicht-einverstanden)


+++POLIZEI AG
aargauerzeitung.ch 02.05.2023

Nach Aus für Fahrverbots-Kameras: Juristen greifen Aargauer Polizeigesetz an

Fahrverbots-Kameras, die Autonummern erfassen und automatisch mit einer Datenbank abgleichen, sind im Aargau nicht zulässig. Nun fordern zwei Juristen in einer Beschwerde ans Verwaltungsgericht, dass die umfassende automatische Fahrzeugfahndung der Polizei mit Kameradaten massiv eingeschränkt wird.

Fabian Hägler

Kurz vor Weihnachten 2017 wurde Artur Terekhov an der Schartenstrasse in Baden geblitzt und zu einer Busse von 100 Franken verurteilt. Der Jurist aus Oberengstringen ZH sagte, er habe eine dort wohnhafte Kundin besucht. Damit wäre er Zubringer und vom Fahrverbot ausgenommen gewesen. Terekhov wehrte sich über mehrere Instanzen, unterlag aber am Bezirksgericht Baden, am Aargauer Obergericht und zuletzt im März 2019 mit einer Beschwerde am Bundesgericht.

Knapp vier Jahre später, im September 2021, wurde ein ähnlicher Fall vor Bezirksgericht Baden verhandelt. Eine Frau wurde auf der Rebbergstrasse in Ennetbaden von einer automatischen Kamera fotografiert. Auch diese Strasse ist mit einem Fahrverbot belegt, ausgenommen sind «berechtigte Anwohner». Rechtsanwalt Urs Oswald, der die Lenkerin vertrat, argumentierte anders als Terekhov – und hatte Erfolg.

Fahrverbots-Kameras mit automatischem Abgleich verboten

Der Verteidiger behauptete nicht, seine Mandantin sei berechtigt gewesen, die Strasse zu befahren. Er hielt vielmehr fest, es sei illegal, dort eine Kamera aufzustellen – für eine automatische Überwachungsanlage bestehe keine Rechtsgrundlage. Das Bezirksgericht stützte diese Argumentation und sprach die Frau frei, die Oberstaatsanwaltschaft akzeptierte das Urteil.

Regierungsrat Dieter Egli bestätigte dies und ergänzte, schon in der Vergangenheit habe man die Regionalpolizeien mehrfach darauf hingewiesen. Mitte Februar 2022 stellte die Stadt Baden schliesslich alle Fahrverbots-Kameras ab. Dies taten auch weitere Aargauer Gemeinden mit Kameras, die an Strassen mit Fahrverboten automatisch Autonummern erfassen und mit Datenbanken abgleichen.

Bestimmung zur automatischen Fahrzeugfahndung aufheben?

Im aktuellen Polizeigesetz, das seit 1. Juli 2021 gilt, ist die automatisierte Erfassung und Abgleichung von Kontrollschildern geregelt. Fahrverbots-Kameras sind demnach verboten, der Abgleich von Kameradaten mit polizeilichen Fahndungsregistern ist hingegen erlaubt. Die Polizei kann also zum Beispiel Autonummern, die von Verkehrskameras registriert werden, mit den Kennzeichen von gestohlenen Fahrzeugen vergleichen.

Doch auch dies geht Terekhov zu weit. Zusammen mit Rechtsanwalt und GLP-Politiker Andreas Holenstein hat er beim Verwaltungsgericht eine Beschwerde eingereicht. Darin verlangen die Juristen, die Bestimmung sei ersatzlos aufzuheben. Sie verweisen auf ein Urteil des Bundesgerichts, das eine gleichlautende Bestimmung im Kanton Solothurn im Dezember 2022 aufgehoben hatte. Terekhov und Holenstein kritisieren, der automatische Abgleich sei ein schwerer Eingriff in die persönliche Freiheit und die Privatsphäre.

Juristen: Abgleich auf schwere Delikte beschränken

Die zwei Juristen fordern, die automatische Fahrzeugfahndung sei einzustellen, bis das Verwaltungsgericht über ihre Beschwerde entschieden habe. Terekhov sagt auf Nachfrage, der Datenabgleich müsse zumindest auf schwere Delikte gegen Leib und Leben oder Eigentum beschränkt werden. «Wenn ein Kanton gar soweit gehen würde, die automatische Fahrzeugfahndung ganz zu verbieten, würden wir dies begrüssen», ergänzt der Jurist.

In seinem Urteil zu einer ähnlichen Beschwerde im Kanton Solothurn kritisierte das Bundesgericht, der Anwendungsbereich sei zu breit. Es verlangte von der Regierung, «die Personen- und Sachfahndungsdateien zu bestimmen, mit denen ein systematischer Abgleich erforderlich und verhältnismässig ist». Grundlage dafür müssten die Schwere der drohenden Gefahr und das öffentliche Interesse sein.

Automatische Fahrzeugfahndung in Solothurn ausgesetzt

Zudem müssten weitere Fragen geklärt werden: Dauer der automatisierten Fahrzeugfahndung, Zeitspanne der Datenaufbewahrung, an welche Behörden die Daten übermittelt werden dürfen. Mitte März teilte die Solothurner Regierung mit, sie werde die geforderten Präzisierungen in einer spezifischen Verordnung beschliessen. Bis dahin werde die automatisierte Fahrzeugfahndung im Kanton nicht angewandt.

Der Aargauer Regierungsrat wollte die Regeln für Fahrverbots-Kameras bei der Revision des Polizeigesetzes festlegen. Nach heftiger Kritik mehrerer Parteien und dem Bundesgerichtsurteil in Solothurn verzichtete er darauf. Die automatische Fahrzeugfahndung mit Datenbank-Abgleich soll aber zulässig bleiben. Wenn sich kein Treffer ergibt, sollen die Daten nach 30 Tagen gelöscht werden. Und die Kantonspolizei soll diese mit Polizei-, Strassenverkehrs- und Zollbehörden des Bundes sowie den Polizeibehörden anderer Kantone austauschen dürfen.



Betroffene über verdeckte Fahndung informieren?

Artur Terekhov und Andreas Holenstein wehren sich nicht nur gegen die automatisierte Fahrzeugfahndung. Die beiden Juristen verlangen in ihrer Beschwerde auch, dass Personen, gegen die verdeckt gefahndet wurde, nachträglich informiert werden müssen. Im geltenden Aargauer Polizeigesetz heisst es, eine solche Meldung könne unterbleiben, wenn die Erkenntnisse nicht zu Beweiszwecken verwendet werden oder die Nicht-Information zum Schutz überwiegender öffentlicher oder privater Interessen nötig sei. (fh)
(https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/strafverfolgung-nach-dem-aus-fuer-fahrverbots-kameras-juristen-wollen-automatische-fahrzeugfahndung-einschraenken-ld.2450146)


+++POLIZEI SG
tagblatt.ch 03.05.2023

Polizistin tasert renitenten Mann nach Verfolgungsjagd – dieser wirft ihr Amtsmissbrauch vor

Welche Mittel sind in einem Polizeieinsatz verhältnismässig? Beamte der Kantonspolizei St.Gallen wendeten nach einer Verfolgungsjagd im Mai 2021 ein Elektroschockgerät bei einem Mann an. Nun wurde ein Ermächtigungsverfahren gegen sie eröffnet. Der Fall zeigt: Der Einsatz von Tasern ist juristisch nicht klar geregelt.

Tobias Hug

Es ist 2021, ein Freitag Ende Mai, 3.15 Uhr morgens. Einer Patrouille der Kantonspolizei St.Gallen fällt ein Auto auf einem Parkplatz auf, welches dort mit laufendem Motor steht. Die Polizisten treten an den Wagen heran und versuchen, durch die Scheibe mit dem Lenker Kontakt aufzunehmen. Keine Reaktion. Als die Beamten an die Scheibe klopfen, gibt der Autofahrer plötzlich Gas und versucht zu entkommen. Allerdings mit angezogener Handbremse.

Die Polizisten notieren sich unterdessen sein Kennzeichen und verständigen weitere Patrouillen, welche in der Umgebung und am Wohnort des Lenkers nach ihm suchen. Sie entscheiden sich für eine «Anhaltung der Stufe 3 mit Waffenhoheit». Während der Fahrt holt ein Polizist einige Informationen zum Geflüchteten ein. Offenbar besitzt dieser ein Sturmgewehr, weshalb ihn die Beamten als potenziell gefährlich einstufen.

Kurze Zeit später entdeckt die Polizei das gesuchte Fahrzeug zufällig an einer Tankstelle. Als der Fahrer die Beamten sieht, flüchtet er erneut. Auf die Sirenen mit Blaulicht und die «STOP POLIZEI»-Anzeige reagiert der Mann nicht. Die Verfolgungsjagd dauert 13 Minuten.

Erst Elektroschock zeigt Wirkung

Was sich wie eine Szene aus einem Hollywoodstreifen liest, steht so im Fallprotokoll des Kantonsgerichts St.Gallen. Der Vorwurf: Vier Polizisten sollen Amtsmissbrauch begangen haben. Nun droht ihnen ein Ermächtigungsverfahren. Doch wie kam es dazu?

Nachdem sein Wagen zum Stillstand gekommen ist, verbarrikadiert sich der Flüchtende in diesem und ignoriert sämtliche Aufforderungen der Beamten. Um eine Weiterfahrt sowie eine Drittgefährdung zu verhindern, schlägt ein Polizist die Fensterscheibe auf der Fahrerseite ein. Er versucht, an den Zündschlüssel zu gelangen. Erfolglos. Auch die Fahrertür kann nicht entriegelt werden. Nach kurzer Absprache zertrümmern die Beamten auch das Seitenfenster der Beifahrerseite. Doch der Lenker verkeilt sich mit den Beinen unter dem Lenkrad und bleibt im Auto.

Eine Polizistin droht ihm darauf zweimal mit dem Einsatz des Destabilisierungsgeräts (DSG) – umgangssprachlich Taser genannt. Da der Fahrer immer noch nicht kooperiert, setzt ihm die Beamtin das Elektroschockgerät für zwei Sekunden durch das Beifahrerfenster auf den Oberschenkel. Der Stromstoss zeigt Wirkung.

Durch zersplitterte Scheibe aus dem Auto gezogen

Die Polizisten können den renitenten Fahrer durch die eingeschlagene Scheibe aus dem Wagen ziehen und am Boden fixieren. Dabei verletzt sich der Delinquent an den Scherben der eingeschlagenen Scheibe. Glassplitter stecken in seinem Arm und Ellenbogen. Doch nicht nur das: Aufgrund des Taser-Einsatzes hat sich sein Darm von selbst entleert. Blutend und mit voller Hose wird der Mann anschliessend im Spital versorgt.

Nachträglich stellt sich heraus, dass der Lenker zum Zeitpunkt der Anhaltung sehr stark alkoholisiert war. In seinem Auto lagen etwa 20 Bierflaschen herum. Die Blut- und Urinprobe ergaben eine Blutalkoholkonzentration von mindestens 1.8 Promille.

Beschuldigter kann sich nicht an Verfolgungsjagd erinnern

Gegen den Fahrer wurde aufgrund des Vorfalles ein Strafverfahren eröffnet. Doch dieser drehte den Spiess prompt um und stellte seinerseits im Februar 2022 eine Strafanzeige gegen die am Einsatz beteiligten Einsatzkräfte. Er bezichtigte sie des Amtsmissbrauchs und sowie der schweren Körperverletzung.

Den Einsatz beschreibt er als unverhältnismässig. Die Polizei habe ihn bedrängt und ausgebremst. Er sei gewaltsam aus dem Auto gezogen und auf dem Teerbelag herumgeschleift worden. Bei der Anhaltung sei ihm nicht bewusst gewesen, was passiere. An die viertelstündige Verfolgungsjagd mit Blaulicht und Martinshörnern könne er sich nicht erinnern. Erst als die Scheiben eingeschlagen worden seien, habe er realisiert, dass es sich um die Polizei handle.

Einordnung von Elektroschockgeräten ist unklar

Nun muss die Staatsanwaltschaft klären, ob der Einsatz, insbesondere die Verwendung des DSG, verhältnismässig war. Dies hängt etwa davon ab, ob das Destabilisierungsgerät als Schusswaffe, Waffe oder sonstiges Einsatzmittel qualifiziert wird.

Das kantonale Polizeigesetz definiert diesen Begriff nicht näher. Laut Florian Schneider von der Kantonspolizei St.Gallen gab es im Jahr 2021 24 Einsätze mit dem DSG. 13 Mal wurde es ausgelöst, 11 Mal wurde der Gebrauch nur angedroht. Das Gerät sendet elektrische Impulse aus, wodurch die getroffene Person für die Dauer des Stromflusses stark bis vollständig immobilisiert, also bewegungsunfähig ist. Schneider sagt: «Das DSG wird eingesetzt, um eine Person vorübergehend handlungsunfähig zu machen.»

Ausserdem sei es nicht mit dem Reizstoffsprühgerät (RSG) vergleichbar, denn: «Das DSG schliesst die Lücke zwischen dem RSG und der Schusswaffe, da in der Zeit des Elektroimpulses eine höhere Wahrscheinlichkeit der Handlungsunfähigkeit vorliegt.» Die Wirkung der Reizgasaerosole des RSGs – meistens Tränengas oder Pfefferspray – seien besonders bei intoxikierten Personen nicht gegeben.

Verhältnismässigkeit von vielen Punkten beeinflusst

Zudem zählt, ob der Anzeiger aufgrund seiner sehr starken Alkoholisierung bei der Anhaltung überhaupt imstande war, den polizeilichen Aufforderungen Folge zu leisten. Dieser Umstand kann sich wiederum auf die Frage der Verhältnismässigkeit des Einsatzes des DSG auswirken. Relevant ist ausserdem, ob der Anzeiger tatsächlich im Besitz eines Sturmgewehrs war und die Polizeibeamten mit diesem Wissen bei der Anhaltung korrekterweise von einer erhöhten Gefahr ausgingen.

Vor diesem Hintergrund lässt sich die Verhältnismässigkeit des Einsatzes nach der Anhaltung noch nicht abschliessend beurteilen. Die Anklagekammer erteilte die Ermächtigung zur Eröffnung eines Strafverfahrens gegen die betroffenen Polizeibeamten.
(https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/ressort-ostschweiz/kantonsgericht-polizistin-tasert-renitenten-mann-nach-verfolgungsjagd-dieser-wirft-ihr-amtsmissbrauch-vor-ld.2451316)


+++POLIZEI TG
Thurgauer Parlament gewährt Polizei mehr Rechte bei Kontrollen
Die Thurgauer Polizei soll mehr Kompetenzen erhalten, um Straftaten zu verhindern. Der Grosse Rat sprach sich am Mittwoch dafür aus, dass die Polizei präventiv Restaurants, Hotels und Erotikbetriebe durchsuchen darf, um Menschenhandel oder schwere Drogendelikte zu verhindern. (ab 03:03)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-ostschweiz/thurgauer-parlament-gewaehrt-polizei-mehr-rechte-bei-kontrollen?id=12382063
-> https://www.toponline.ch/news/thurgau/detail/news/polizei-soll-handys-anschauen-und-hotelzimmer-durchsuchen-duerfen-00211423/
-> https://www.tvo-online.ch/aktuell/thurgauer-polizei-soll-handys-anschauen-und-hotelzimmer-durchsuchen-duerfen-151331725
-> https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/kanton-thurgau/thurgau-grosser-rat-gibt-polizei-neue-rechte-einsicht-in-handys-und-durchsuchung-von-hotelzimmern-ohne-verdacht-moeglich-ld.2451529
-> https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/kanton-thurgau/kommentar-das-handy-in-polizeihaenden-das-thurgauer-parlament-hat-sich-verwaehlt-ld.2451724


+++POLIZEI DE
Tödlicher Polizeieinsatz
Warum musste Mouhamed sterben?
Der 16-jährige Mouhamed droht, sich in einer Jugendhilfeeinrichtung das Leben zu nehmen. Die Polizei wird gerufen, kurz darauf ist der Junge tot. Getötet von Kugeln aus einer Polizeiwaffe.
https://www.zdf.de/dokumentation/die-spur/polizeieinsatz-gewalt-rassismusverdacht-dortmund-nordstadt-100.html


+++JENISCHE/SINTI/ROMA
Weiterhin keine Durchgangsplätze für Fahrende im Kanton St.Gallen
In den letzten 20 Jahren ist im Kanton St.Gallen die Realisierung von Durchgangsplätzen für Fahrende immer wieder gescheitert. Das zuständige Departement hat die Suche vorläufig eingestellt. Die einzige verbliebene Möglichkeit gibt es noch in Thal – mit ungewissen Erfolgschancen.
https://www.watson.ch/schweiz/st%20gallen/731264094-weiterhin-keine-durchgangsplaetze-fuer-fahrende-im-kanton-st-gallen
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/mut-zur-chefin-die-wirtschaftsfoerderung-thun-spricht-frauen-an?id=12382105
-> https://www.toponline.ch/news/stgallen/detail/news/weiterhin-keine-durchgangsplaetze-fuer-fahrende-im-kanton-stgallen-00211395/


Platz für 40 Wohnwagen: Biel ermöglicht Transitplatz für ausländische Fahrende
Wo im Bieler Bözingenfeld früher Container für Asylsuchende standen, soll für mindestens zwei Jahre ein Transitplatz für Fahrende entstehen.
https://www.derbund.ch/biel-ermoeglicht-transitplatz-fuer-auslaendische-fahrende-539224739094



derbund.ch 03.05.2023

Ausländische Fahrende in Bern: Es wird verhandelt wie auf einem Basar

Wie vorgehen, wenn sich Fahrende illegal im Dorf niederlassen, wie zurzeit in Münchenbuchsee? Der dortige Gemeindepräsident gibt Einblicke.

Michael Bucher, Christian Pfander(Fotos)

Man stelle sich vor, Fahrende sind seit Tagen im Dorf, und kaum einer merkt es. In Münchenbuchsee ist dies zurzeit der Fall. Seit zwei Wochen verfügt ein französischer Familienclan auf den Parkplätzen beim Sportzentrum Hirzenfeld über einen temporären Standplatz für seine 20 Wohnwagen. Die Gruppe hatte sich davor bei der Tissot-Arena in Biel niedergelassen, danach auf dem Schermenareal in Bern.

Die Roma-Familie fuhr in Buchsi spätabends ungefragt aufs Gelände. Solche Aktionen sorgen regelmässig für Ärger bei Behörden und Diskussionen in der Bevölkerung. Doch in der 10’000-Einwohner-Gemeinde ist es ruhig. Wie kommt das?

Bei einem morgendlichen Besuch beim «Hirzi» ist nicht viel los. Ein paar Frauen hängen ihre Wäsche an zwischen Bäumen gespannten Leinen auf. Hier und da spielen Kinder miteinander. Für die nötige Infrastruktur sorgt die Gemeinde. Sie hat umgehend grosse Abfallcontainer, mobile Toiletten und einen Stromverteilkasten zur Verfügung gestellt. Als Wasserquelle dient ein Hydrant.

Einer, der den Wagenpark täglich aus nächster Nähe sieht, ist Erwin Frey. Der 70-Jährige wohnt direkt neben den Parkplätzen im Hirzi. Er geht einigermassen entspannt mit der Situation um: «Sie stören nicht gross, und sie bleiben ja auch nicht lange», sagt er. Tatsächlich müssen die ungebetenen Gäste diesen Freitag das Areal wieder verlassen, sonst kommt es zur Räumung durch die Polizei. Dies hat die Gemeinde in einem schriftlichen Vertrag festgehalten.

Das Einzige, was den Rentner stört: Trotz eines von der Gemeinde zur Verfügung gestellten Stromverteilkastens würden spätabends Stromgeneratoren für Lärm sorgen. Ansonsten sei es kein Vergleich zu vor rund zehn Jahren, als das letzte Mal Fahrende aus Frankreich hier illegal haltmachten. «Mangels Infrastruktur entsorgten sie den Abfall zum Teil einfach im Wald und verrichteten dort auch ihre Notdurft», erinnert er sich.

Starre Hierarchien

Es scheint, als habe Münchenbuchsee dieses Mal einen schnellen und pragmatischen Weg gefunden, mit der delikaten Situation umzugehen. Dass der verantwortliche Gemeindepräsident Manfred Waibel der SVP angehört, mag auf den ersten Blick erstaunen. So ist seine Partei beim Thema Fahrende doch eher auf der repressiven Seite zu verorten. Bei einem Gespräch in seinem Büro sagt er jedoch etwas, das man auf kommunaler Ebene häufig hört: «Ein Gemeindepräsident muss die bestmögliche Lösung finden und nicht die Parteilinie durchdrücken.»

Vom illegalen Auffahren in seiner Gemeinde hat er mitten in der Nacht erfahren. Durch einen Anruf des Bezirkschefs der Kantonspolizei. Am nächsten Morgen war er auf Platz und nahm mit Unterstützung der Kantonspolizei die Verhandlungen auf. «Es waren hektische Tage», sagt er.

Der ausgehandelte Vertrag sieht vor, dass die Fahrenden 22 Franken Miete pro Wohneinheit und Tag bezahlen. Damit liegt die Gemeinde um zwei Franken über der Empfehlung des Kantons. Rund 5600 Franken kommen so zusammen. Auch eine Kaution wurde festgelegt. Beides mussten die Gäste gleich zu Beginn bezahlen.

Der Gemeindepräsident spricht von einer Verhandlung wie auf einem Basar, bei der das Gegenüber auch mal «schlitzohrig» agiere. Er habe schnell gemerkt: «Man muss mit einer gewissen Autorität auftreten und klare Regeln festlegen.» Das betonen praktisch alle, die einmal mit ausländischen Fahrenden zu tun hatten.

Auch intern seien die Gruppen sehr hierarchisch strukturiert. Es gebe immer einen Chef, der gegen aussen auftrete und Verhandlungen führe, so die Erzählungen. Das ist beim Familienclan in Buchsi nicht anders. Will man von den Anwesenden mehr erfahren, verweisen sie jeweils auf den «Chef» – der aber irgendwie nie da zu sein scheint.

Falsche Klischees

Dass ungebetenen Gästen eine derartige Infrastruktur zur Verfügung gestellt wird, hat in ähnlichen Fällen schon zu Ressentiments in der Bevölkerung geführt. Nicht so in Münchenbuchsee, sagt Manfred Waibel. Das könnte schlicht daran liegen, dass die meisten Bewohnerinnen und Bewohner gar nichts von den Gästen am Dorfrand mitbekommen haben.

Das schliesst auch der Gemeindepräsident nicht aus. Das habe in erster Linie damit zu tun, dass der Familienclan vor Ort nicht den gängigen Klischees entspreche. «Die Männer klappern nicht Häuser und Beizen ab, um Messer zu schleifen oder um Fensterläden mit Lauge aufzufrischen.» Aus Gesprächen mit dem «Chef» weiss er, dass die Männer tagsüber nicht in Buchsi sind, sondern in der Westschweiz arbeiten würden – teils auch, weil sie dort ein eigenes Geschäft hätten.

Waibel findet, dass die Gemeinde mit der temporären Duldung richtig gehandelt habe. «Sie verhalten sich relativ anständig», sagt er über die Gäste. Das Problem mit den lärmenden Generatoren ist auch ihm bekannt. Dass sich einige direkte Anwohner daran störten, könne er «zu hundert Prozent nachvollziehen». Die Polizei sei aber regelmässig vor Ort und schaue zum Rechten.

Leise Kritik

«Insgesamt hätte ich mir vom Kanton etwas mehr Unterstützung gewünscht», meint Waibel rückblickend. So habe er etwa mit der letztes Jahr neu geschaffenen kantonalen Koordinationsstelle Fahrende nur per Mail oder Telefon Kontakt gehabt.

Zur geäusserten Kritik heisst es dort: «Wir waren zusammen mit der Kantonspolizei von Beginn weg mit der Gemeinde im Kontakt und haben diese beraten sowie mit Hilfsdokumenten wie Ratgeber und Mustermietverträgen unterstützt.» Zudem sei es so, dass nur die Grundeigentümer entscheiden könnten, wie lange sie die Fahrenden bei sich duldeten und ob sie rechtliche Schritte einleiten wollten. Die Koordinationsstelle könne bloss beratend zur Seite stehen.

Dass die Fahrenden am Freitag wie vereinbart das Areal verlassen, davon ist Manfred Waibel überzeugt. Nicht zuletzt deshalb, weil bereits eine Anschlusslösung gefunden werden konnte. Diese befindet sich auf dem Bözingenfeld in Biel.

So unaufgeregt der zweiwöchige Aufenthalt auch vonstattenging, Manfred Waibel hält unmissverständlich fest: «Das soll keine Einladung für künftige ungebetene Besuche sein.» Um diese zu verhindern, ist für ihn klar: «Es braucht bauliche Massnahmen wie etwa eine Barriere.»



Provisorischer Transitplatz in Biel

Das Seeland ist am stärksten betroffen von illegalen Landnahmen durch ausländische Fahrende. Nun zeichnet sich für die Region eine gewisse Entspannung ab. Ab sofort befindet sich während mindestens zwei Jahren auf dem Bözingenfeld in Biel ein provisorischer Transitplatz für höchstens 40 Wohnwagen. Dies teilte die Stadt Biel am Mittwoch mit. Die Pläne waren schon länger bekannt. Das Grundstück, auf dem sich zuvor ein Durchgangszentrum für Asylsuchende befand, gehört dem Kanton. Dieser übernimmt die Aufbaukosten. Betrieben wird der Platz von der Stadt Biel. Die Betriebskosten werden durch Gebühren der Fahrenden und durch Solidaritätsbeiträge der Mehrheit der Gemeinden in der Region gedeckt. (mib/pd)
(https://www.derbund.ch/es-wird-verhandelt-wie-auf-einem-basar-693527195248)



ajour.ch 03.05.2023

Nächster Halt Bözingenfeld: Schon bald können Fahrende für 20 Franken pro Nacht in Biel bleiben

Noch in diesem Monat will die Stadt Biel einen Transitplatz für ausländische Fahrende eröffnen. In den zwei nächsten Jahren können sie mit ihren Wohnwagen im Bözingenfeld Halt machen.

Mengia Spahr

In den letzten Jahren wurden im Seeland immer mehr brachliegende Flächen mit riesigen Klötzen aus Beton abgeriegelt und richterliche Verbote aufgestellt. Liessen sich dennoch Fahrende nieder, kam schnell ein Ultimatum – und dutzende Wohnwagen zogen weiter in die nächste Gemeinde. Schlagzeilen wie «Fahrende besetzen Schulgelände» oder Geschichten von Bauern, die auf dem Feld Gülle austragen, um dieses für die Fahrenden unbenutzbar zu machen, wird man diesen Sommer in der Region wohl nicht mehr lesen.

Der Bieler Gemeinderat hat grünes Licht gegeben für einen provisorischen Transitplatz im Bieler Bözingenfeld. Laut Sicherheitsdirektorin Natasha Pittet (PRR) wird er spätestens am 15. Mai in Betrieb gehen und dann in den nächsten zwei Jahren jeweils sechs Monate geöffnet sein.

Platz für 40 Wohnwagen

Das Grundstück bei der Autobahnauffahrt gehört dem Kanton. Bis vor einem Jahr waren auf dem Areal abgewiesene Asylsuchende untergebracht. Als bekannt wurde, dass das Rückkehrzentrum Biel-Bözingen geschlossen wird, wurde die Brache als möglicher Standort für einen Transitplatz für ausländische Fahrende in Betracht gezogen.

Wie Gemeinderätin Pittet sagt, sind nur wenige Arbeiten nötig, um den Platz herzurichten: Einen Strom- und Wasseranschluss sowie ein Abwassersystem gibt es bereits, die Infrastruktur muss bloss wieder aktiviert werden.

In den nächsten Tagen soll ein Container mit WC und Dusche aufgestellt werden und einer, in dem die Fahrenden Handwerksarbeiten verrichten können. Ausserdem wird Kies gestreut und ein Zaun aufgestellt, damit der Zutritt kontrolliert werden kann. Die Kosten für die Aufbau-Arbeiten übernimmt der Kanton. Wollen sich die Fahrenden auf dem Gelände niederlassen, müssen sie ihre Identität angeben und eine Gebühr von 20 Franken pro Tag und Wohnwagen bezahlen.

Maximum 40 Wohnwagen werden gleichzeitig auf dem Bieler Transitplatz halten können. Die Erfahrung der letzten Jahre zeige, dass dies ausreiche, sagt Pittet. Sie kam bis anhin nur als Parlamentarierin mit dem Thema in Kontakt und als Privatperson, wenn Fahrende bei ihr klingelten und fragten, ob sie Gartenarbeiten übernehmen können. Das Dossier übernimmt sie von ihrem Vorgänger Beat Feurer (SVP), der bis Anfang April der Sicherheitsdirektion vorstand.

Kommen seit Jahrzehnten

Ausländische Fahrende halten seit vielen Jahren in der Region. Die meisten Familien kommen aus Frankreich. Biel ist bei ausländischen Fahrenden beliebt, weil es hier Arbeit gibtstreichen, schleifen, renovieren und reinigen. Einige haben sich in der Gegend eine Stammkundschaft aufgebaut. Da es im Seeland bislang keinen Halteplatz gab, besetzten sie illegal Land. Das war für die betroffenen Gemeinden oder Privatpersonen ärgerlich und aufwendig.

In den Jahren 2018 und 2019 entspannte sich die Lage. Damals betrieben Brügg und Gampelen provisorische Transitplätze. Danach begann das Katz- und Maus-Spiel begann von vorne.

Dieses Jahr trafen die ersten Fahrenden aus Frankreich bereits Anfang März ein. Die Stadt Biel vertrieb sie aus dem Bözingenfeld, worauf sie den Aussenparkplatz nördlich der Tissot Arena belegten, den der EHC Biel bei seinen Heimspielen für seine VIP-Kundschaft nutzt. Ausgerechnet vor Beginn der Playoffs standen dort Wohnwagen. Die Empörung war gross und die Behörden handelten: Sicherheitsdirektor Beat Feurer stellte die Fahrenden vor die Wahl. Entweder ziehen sie ab, dann würde er sich für einen offiziellen Transitplatz einsetzen. Oder die Gruppe erhält vorübergehend ein Grundstück. Allerdings liess Feurer durchblicken, dass er sich in diesem Fall nicht für eine langfristige Lösung einsetzen würde. Die Gruppe zog ab.

Umliegende Gemeinde zahlen mit

Für den Bieler Transitplatz wollte Feurer in der Folge die umliegenden Gemeinden einspannen. Sie sollen sich finanziell am Betrieb beteiligen. Schliesslich wird es auf ihrem Boden dank dieses Angebots weniger illegale Besetzungen geben. Der Solidaritätsbeitrag soll zwei Franken pro Einwohnerin und Einwohner betragen.

Wie viele Gemeinden am Ende bereit sein werden, einen solchen zu bezahlen, ist noch unklar . Immerhin habe aber mehr als die Hälfte der 61 Gemeinden des Vereins Seeland Biel/Bienne bereits zugesagt, sagt Natasha Pittet

Sollte es wider Erwarten weiterhin zu illegalen Besetzungen kommen, werden die kommunalen und kantonalen Behörden entschieden eingreifen, schreibt der Bieler Gemeinderat in einer Mitteilung. Die städtischen und kantonalen Behörden erwarten von den privaten Eigentümern allerdings auch, dass diese «die notwendigen Massnahmen ergreifen, um illegale Besetzungen zu verhindern». Notfalls sollen sie Barrieren aufstellen, damit Fahrende ihr Grundstück nicht mehr betreten können. «Wenn man das Haus verlässt, schliesst man die Türe ja auch mit dem Schlüssel», so Pittet.

Sie hoffe sehr, dass sich die Situation in Biel und dem Seeland nun entschärfe. Sie werde sich auch an die Fahrenden wenden und von diesen fordern, die Rahmenbedingungen zu akzeptieren. «Damit wir gut zusammenleben können.»

Nur diese Chance

Die zuständige Bieler Regierungsstatthalterin, Romi Stebler (FDP), sagte gegenüber Radio «Canal 3», dass es nur diese eine Chance geben. «Kommt es weiterhin zu illegalen Besetzungen, schliessen wir den Platz.» Dann würde es im Kanton Bern wieder keine legale Haltemöglichkeit mehr geben für Fahrende. Zumindest, bis der Transitplatz in Wileroltigen bereit ist. Dieser sollte eigentlich 2024 eröffnet werden. Anfang Jahr wurde bekannt, dass es zu einer Verzögerung kommt: Nun ist von frühestens 2025 die Rede.

Unklar ist, ob der Platz in Wileroltigen überhaupt einen Effekt auf die Situation im Seeland  haben wird. Was wäre, wenn der Platz dort die Fahrenden, die Jahr für Jahr nach Biel kommen, gar keine Alternative wäre, weil er eine halbe Autostunde entfernt ist??

Sie verstehe die Befürchtung, dass der Transitplatz in Wileroltigen der Region Biel möglicherweise keine Entlastung bringen wird, sagt Pittet. «Aber für die nächsten zwei Jahre haben wir jetzt einmal eine Lösung.» Darüber, ob es eine Möglichkeit wäre, den Platz auch danach weiterzubetreiben, will die Gemeinderätin zurzeit nicht sprechen.
(https://ajour.ch/de/story/76450/n%25C3%25A4chster-halt-b%25C3%25B6zingenfeld-schon-bald-k%25C3%25B6nnen-fahrende-f%25C3%25BCr-20-franken-pro-nacht-in-biel-bleiben)


+++RECHTSEXTREMISMUS
Phänomen «Reichsbürger» beschäftigt den Zürcher Ombudsmann.(ab 03.10)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/zuercher-schuldenberatungen-haben-hochbetrieb?id=12381010
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/der-staat-als-feind-reichsbuerger-beschaeftigen-zunehmend-zuercher-ombudsmann
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/reichsbuerger-beschaeftigen-auch-den-zuercher-ombudsmann?id=12382027 (ab 09:54)
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/der-staat-als-feind-reichsbuerger-beschaeftigen-zunehmend-zuercher-ombudsmann


Nazi-Symbole: SVPler streiten sich über Verbot von Hakenkreuz und Hitlergruss
Sollen Hitlergruss und Hakenkreuze in jedem Fall strafbar werden? Das verlangt ein Vorstoss aus der Mitte. Vor dem Entscheid im Nationalrat sind sich SVP-Vertreter uneinig.
https://www.20min.ch/story/svpler-streiten-sich-ueber-verbot-von-hakenkreuz-und-hitlergruss-847306770741?version=1683115815766


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
«Auf der guten Seite zu stehen, verschafft ein moralisches Hochgefühl»: Psychiater Thomas Knecht über den menschlichen Hang zu Verschwörungstheorien
In der TVO-Sendung «Zur Sache» spricht Thomas Knecht, leitender Arzt am Psychiatrischen Zentrum AR, über Schimpansen, menschliche Bedürfnisse und die Instrumentalisierung von Verschwörungstheorien.
https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/ressort-ostschweiz/zur-sache-verschwoerungstheorien-sind-ein-beduerfnis-leitender-facharzt-zu-den-psychologischen-hintergruenden-von-konspiration-ld.2451586


+++HISTORY
Plakatausstellung und Podiumsdiskussion zu Verding¬kindern
In Zusammenarbeit mit dem Kanton Bern setzt die Stadt Langenthal ein Zeichen der Erinnerung an die Zeit von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen von Kindern.
https://www.bernerzeitung.ch/plakatausstellung-und-podiumsdiskussion-zu-verdingkindern-692665778232