Medienspiegel 2. Mai 2023

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/

+++LUZERN
Keine Mietkündigungen im Kanton Luzern wegen Flüchtlingen
Einem Mieter künden, damit die Wohnung für Flüchtlinge benutzt werden kann: Solche Schlagzeilen aus anderen Kantonen haben die SVP Kanton Luzern aufgeschreckt. Sie fordert deshalb ein entsprechendes Verbot. Die Luzerner Regierung sieht das auch so, findet aber, es brauche dafür keine neuen Regeln.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zentralschweiz/keine-mietkuendigungen-im-kanton-luzern-wegen-fluechtlingen?id=12379224
-> https://www.zentralplus.ch/gesellschaft/regierungsrat-will-keine-neue-fluechtlings-verordnung-2542076/


+++THURGAU
Asyl im Thurgau: Unmenschlichkeit hat System
Nach der Asylgesetzrevision von 2019 wurde der Thurgau zum Ausschaffungskanton. Ziel: ausreisepflichtige Personen durch Verschlechterung ihrer Lebensverhältnisse zur Ausreise zu bewegen. Unter den Folgen leiden viele Menschen bis heute. Eine Analyse am Beispiel der Familie Ademi aus Kosovo.
https://daslamm.ch/asyl-im-thurgau-unmenschlichkeit-hat-system/


+++ZÜRICH
Wegen Asylunterkunft: Gericht rüffelt Gemeinde Glattfelden (ab 04:30)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/unbewilligte-nachdemo-am-1-mai-polizei-greift-rasch-ein?id=12379218


++++SCHWEIZ
Die prioritäre Behandlung der Visumgesuche von Erdbebenopfern aus der Türkei und Syrien wird eingestellt
Anfang Februar 2023 waren Teile der Türkei und Syriens von verheerenden Erdbeben betroffen. Damit die Opfer dieser Katastrophen rasch bei nahen Verwandten in der Schweiz unterkommen können, hat das Staatssekretariat für Migration (SEM) in Absprache mit dem Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten beschlossen, ihre Visumgesuche prioritär zu behandeln. Nachdem die Zahl der Gesuche in den letzten Wochen stetig zurückgegangen ist, wird die prioritäre Behandlung am 12. Mai 2023 eingestellt.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-94733.html


Zivis leisteten in Bundesasylzentren rund 14’000 zusätzliche Diensttage
Aufgrund der hohen Anzahl an Schutz- und Asylsuchenden haben Zivildienstpflichtige (Zivis) seit Januar 2023 verstärkt in Bundesasylzentren des Staatssekretariats für Migration SEM unterstützt. Die Zivis leisteten dabei rund 14’000 Diensttage in den ersten vier Monaten des Jahres. Diese ausserordentliche Betreuungsunterstützung endet planungsgemäss Ende April 2023.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-94759.html


+++DEUTSCHLAND
Europäische Flüchtlingspolitik: Asylverfahren abgeschoben
Die Bundesregierung will Asylverfahren teilweise an die EU-Außengrenzen auslagern. Kritik kommt auch von den Grünen.
https://taz.de/Europaeische-Fluechtlingspolitik/!5928621/
-> https://www.jungewelt.de/artikel/449987.flucht-und-migration-mehr-moria-wagen.html


+++MITTELMEER
Ärzte ohne Grenzen retten mehr als 300 Mittelmeermigranten
Bei zwei Einsätzen innerhalb von zwölf Stunden retteten die freiwilligen Helfer von Ärzte ohne Grenzen 336 Menschen.
https://www.nau.ch/news/europa/arzte-ohne-grenzen-retten-mehr-als-300-mittelmeermigranten-66485981
-> https://www.zeit.de/politik/ausland/2023-05/mittelmeer-migration-seenotrettung-malta-italien


Menschenrechtsverein gibt auf: Mare Liberum hat sich aufgelöst
Seit 2018 hatte der Verein die Menschenrechtslage von Geflüchteten im Mittelmeer beobachtet. Er beklagt Repression – und stellt seine Arbeit nun ein.
https://taz.de/Menschenrechtsverein-gibt-auf/!5931483/
-> https://www.nd-aktuell.de/artikel/1172905.eu-aussengrenze-pushbacks-in-der-aegaeis-menschenrechtsarbeit-blockiert.html


+++FREIRÄUME
Erste Foodcoop in Bern
Selber Mitglied sein und im Laden arbeiten. «Güter Foodcoop» im Mattenhofquartier ist die erste Lebensmittelkooperative dieser Art in der Deutschschweiz.
https://journal-b.ch/artikel/erste-foodcoop-in-bern/


+++GASSE
ajour.ch 02.05.2023

Obdachlose in Biel: «Auffallend ist, dass vermehrt ältere Frauen kommen» – so ist die Lage in der Bieler Notschlafstelle

Die Bieler Notschlafstelle beherbergt Menschen, die mit Geldsorgen und meist noch anderen tiefgreifenden Problemen kämpfen. Mitarbeiterin Andrea Zaugg spricht im Interview über die Lage.

Ursi Grimm | Manuela Habegger

Andrea Zaugg, was für Menschen nutzen das Sleep-In in Biel?

Bei uns in die Notschlafstelle kommen meistens Leute, die in ihrem Leben Probleme gehabt haben und dadurch in eine Verschuldung hineingekommen sind, oder die Probleme haben, ihren Alltag zu meistern, und sich dann die Problemspirale immer mehr zugedreht hat. Wir haben bei uns viele Randständige und Drogensüchtige und teilweise auch untergetauchte Sans-Papiers.

Sind das hauptsächlich Männer oder gibt es auch Frauen, und wenn ja, gibt es mehr Frauen als früher?

Es sind hauptsächlich Männer, die das Angebot der Notschlafstelle nutzen. In den letzten zwei Jahren nach Corona sind aber auch vermehrt Frauen bei uns eingekehrt. Auffallend ist auch, dass vermehrt ältere Frauen kommen.

Kannst du ein konkretes Beispiel nennen, wie es passieren kann, dass man keine Wohnung mehr hat?

Es gibt verschiedene Gründe, wie man in diese Situation kommen kann, ohne dass man gleich drogensüchtig sein muss. Es gibt Personen, die einfach Probleme haben, ihren Alltag zu bewältigen, und ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können. Sie verlieren letztlich ihre Wohnung, weil sie nicht mehr die Mieten zahlen können. Diese Personen haben meist auch Mühe, die Bedingungen beim Sozialamt zu erfüllen, damit ihnen dort geholfen werden könnte. Dann stehen sie einsam bei uns vor der Türe.

Wie ist die Situation aktuell im Sleep-In?

Wir haben nicht mehr so viele Leute im Haus wie im Winter. Im Winter hatten wir sehr viele Hilfe suchende Menschen und mussten oft noch Notfallmatratzen auf den Boden legen. Zurzeit ist es wieder ruhiger. Vielleicht haben einige Leute Möglichkeiten gefunden, irgendwo anders unterzukommen. Angesichts der angespannten Lage im Winter hoffen wir aber, in absehbarer Zeit ein Gespräch mit der Stadt führen können, wie wir im nächsten Jahr mit der Winterzeit umgehen können, ob wir noch mehr Plätze brauchen oder ob noch weitere Optionen geschaffen werden müssen.

Wie geht ihr mit der Situation um, wenn es nicht genügend Schlafplätze hat?

Wenn wir nicht genügend Platz haben, ist das immer ein grosser Diskussionspunkt im Team. Eigentlich haben wir aber keinen Platz für zusätzliche Matratzen. Wir schaffen dann so gut wie möglich trotzdem irgendwo ein Platz. Wir versuchen, solche Situationen zu vermeiden und suchen Anschlussmöglichkeiten für die betroffenen Menschen. Wir rufen dann andere Institutionen an, an die wir die Personen verweisen können.

Das Haus überfüllen oder Menschen wegschicken, das ist ein Konfliktpotenzial?

Das ist ein sehr grosses Konfliktpotenzial. Leute wegschicken, das machen wir sehr ungern. Es kommt aber immer wieder vor, teilweise auch deshalb, weil sie untragbar sind, alkoholisiert und/oder sich anderen oder dem Team gegenüber nicht respektvoll verhalten können. Es kommt auch vor, dass wir Leute wegschicken müssen, weil sie schon zu lange bei uns sind und deshalb nicht mehr kommen können, das ist ein grosses Konfliktpotenzial. Wir versuchen, das wirklich zu vermeiden, weil wir alle finden, dass ein Dach über dem Kopf und ein Bett im Warmen ein Grundrecht für alle ist.

Gibt es konkrete Forderungen an die Politik, um die Situation zu vereinfachen?

Wir wünschen uns von der Politik mehr Notschlafstellen. Im Kanton Bern benötigt es insbesondere in der Stadt Bern einen zusätzlichen Sleeper. Glücklicherweise soll bald eine Notschlafstelle nur für Frauen errichtet werden, das begrüssen wir sehr. Auch ist es uns ein grosses Anliegen, dass die umliegenden politischen Gemeinden wie Solothurn Notschlafstellen errichten würden. Wir haben immer wieder viele Leute, die ausserkantonal zu uns kommen. Wir versuchen immer wieder, mit den Solothurner Sozialdiensten zusammenzuarbeiten. Sie sollten schauen, auch in ihrem Kanton Notschlafstellen zu errichten.
(https://ajour.ch/de/story/75853/auffallend-ist-dass-vermehrt-%25C3%25A4ltere-frauen-kommen-so-ist-die-lage-in-der-bieler-notschlafstelle)


+++DEMO/AKTION//REPRESSION
BE:
Unbewilligte Demo in Bern
Im Anschluss an den offiziellen 1. Mai-Umzug, versammelten sich gestern Abend über 200 Personen zu einer unbewilligten Demo in Bern. Die Polizei war mit einem Grossaufgebot vor Ort. Es kam zu keinen grösseren Zwischenfällen – allerdings wurde der Verkehr lahmgelegt.
https://www.telebaern.tv/telebaern-news/unbewilligte-demo-in-bern-151314653



(FB Schwarz Rot Bern)
Communiqué zur revolutionärer 1.Mai Demo in Bern.
Gestern gegen 18:00 formierte sich die alljährliche Revolutionäre 1.Mai Demonstration am Bahnhofsplatz Bern. Rund 700 Leute nahmen Teil und zogen – trotz strömendem Regen und martialischem Polizeiaufgebot – in einem lautstarken und kämpferischen Umzug durch Bern. Der Zugang zur Innenstadt wurde der Demo mit einem unverhältnismässig grossen Polizeiaufgebot verwehrt. Damit verunmöglichte die Polizei, dass wir zur offiziellen Mai-Feier der Gewerkschaften stossen konnten um dort eine Rede zu halten.
Die revolutionäre Demo liess sich aber nicht provozieren und zog während 1,5 Stunden durch Berns Strassen rund um den Bahnhof und durch die Länggasse. Während der Demo wurden mehrere Reden gehalten und tausende Flugblätter an Passant*innen verteilt. Unter dem Motto “Rolex für Alle” setzten wir so ein starkes Zeichen gegen Kapitalismus, Ausbeutung, Grenzen, Klimakrise, Krieg, Rassismus, Patriarchat und Faschismus.
Gemeinsam kämpfen wir für eine Welt, in der viele Welten Platz haben. Wir fordern die Enteignung der globalen Grosskonzerne und Banken und setzen uns für eine Umverteilung der Ressourcen ein. Für ein gutes Leben für alle, für eine Rolex für alle!
Solidarische Grüsse gehen raus an unsere revolutionären Genoss*innen in Basel, Zürich und anderswo, die starker Repression standhalten mussten.
Gestern war nicht alle Tage – wir kommen wieder, keine Frage!
#1Mai #Kampfdemstaatundkapital #rolexfueralle #enteignung #umverteilung
https://youtu.be/EqG1Akna-a8
(https://www.facebook.com/rotschwarzbern/?ref=page_internal)



BS:
Communiqué des Revolutionären 1. Mai Bündnis Basel, 2023
https://barrikade.info/article/5926


Stillstand in Basel am 1. Mai
Die Basler Polizei stoppte die gestrige 1. Mai-Demonstration bereits nach wenigen Metern. Das führt zu Kritik am Einsatz. Die Innenstadt lag stundenlang lahm.
317 Festnahmen in BS, 72 Platzverweise und 5 Verletzte
Juso BS fordern Rücktritt von Polizeidirektorin Stephanie Eymann
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/stillstand-in-basel-am-1-mai?id=12379194
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/zu-hart-oder-genau-richtig-kontroverse-um-1-mai-einsatz-der-basler-polizei
-> https://video.telebasel.ch/content/4062/4063/207300/index.html
-> Talk: https://video.telebasel.ch/content/4062/4063/207295/index.html
-> Schweiz Aktuell: https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/1–mai-demonstration-kritik-an-basler-polizei?urn=urn:srf:video:acb67d86-e203-44df-b422-61edbc22883e
-> https://www.20min.ch/story/meisterleistung-rechte-jubelt-ueber-polizeieinsatz-am-1-mai-585246355232
-> DJB: https://twitter.com/Renato_Beck/status/1653477514897965086
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/zu-hart-oder-genau-richtig-kontroverse-um-1-mai-einsatz-der-basler-polizei


Polizeigewalt am 1. Mai in Basel – die SP ist mitverantwortlich
Montag, 1. Mai 2023, 250 Meter nach dem Start der 1.-Mai-Demo kesselt die Polizei den vorderen Teil der friedlichen Demo ein. Die Kantonspolizei missachtet die Versammlungs- und Meinungsäusserungsfreiheit sogar bei einer vorgängig bewilligten Demonstration. Wir verurteilen die massive Gewalt der Polizei gegen die Demonstrierenden. Die politische Verantwortung für dieses Debakel tragen die SP Basel Stadt und die Polizeivorsteherin Stephanie Eymann.
https://sozialismus.ch/positionen-der-bfs/2023/polizeigewalt-am-1-mai-in-basel-die-sp-ist-mitverantwortlich/
-> https://lotta.info/statement-zum-1-mai-in-basel/


Das sagt Sicherheitsdirektorin Eymann zum umstrittenen Polizeieinsatz
Die Polizei hat am 1. Mai in Basel hart gegen den Schwarzen Block durchgegriffen. Linke und Gewerkschaften reagierten entsetzt. Jetzt nimmt Sicherheitsdirektorin Stephanie Eymann (LDP) Stellung zum Polizeieinsatz.
https://www.20min.ch/story/das-sagt-sicherheitsdirektorin-eymann-zum-umstrittenen-polizeieinsatz-440032962828?version=1683040320189
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/stephanie-eymann-wir-konnten-ausschreitungen-verhindern?id=12379557
-> https://www.blick.ch/schweiz/basel/basler-sicherheitsdirektorin-stephanie-eymann-verteidigt-den-1-mai-polizeieinsatz-es-gibt-kein-grundrecht-auf-sachbeschaedigung-id18540384.html?utm_source=twitter&utm_medium=social&utm_campaign=blick-page-post&utm_content=bot
-> https://www.baseljetzt.ch/die-frage-ist-weshalb-geht-man-vermummt-an-eine-demo/52194
-> https://www.20min.ch/story/das-sagt-sicherheitsdirektorin-eymann-zum-umstrittenen-polizeieinsatz-440032962828



Basler Zeitung 02.05.2023

Stephanie Eymann zum 1. Mai in Basel: «Die SP und ihre Rücktrittsforderungen: Das ist salonfähig geworden»

Die Basler Polizeivorsteherin über die heftige Kritik an ihrer Person, Hassbotschaften und Schmierereien an ihrem Haus – und sie erklärt, warum ihre Strategie die richtige sei.

Alexander Müller, Sebastian Briellmann

Frau Eymann, die Linke spricht von einem Gewaltexzess und einer Machtdemonstration der Basler Polizei am 1. Mai. War es das?

Nach so einem Polizeieinsatz gibt es immer eine emotionale Debatte. Am Montag hatten wir zwar eine bewilligte Demonstration, aber für die Polizei ist es immer schwierig zu beurteilen, wer von so einer Veranstaltung auch noch angezogen wird.

Sie sprechen den Schwarzen Block an.

Ja. Wir haben am Montag schnell gemerkt, dass sich an der Spitze des Demonstrationszugs die Personen vermummen und Schutzmaterial dabeihaben – was nicht dafür spricht, dass sie in friedlicher Gesinnung unterwegs sind. Da hat die Polizei sich entschieden, eine Personenkontrolle zu machen und den Zug zu stoppen. Parallel hat sie für die friedliche Mehrheit aber umgehend eine Alternativroute angeboten.

Wann ist dieser Entscheid gefallen?

Sehr früh, der Demonstrationszug war ja erst vom De-Wette-Park bis zur Elisabethenkirche gekommen. Die Polizei war natürlich auch schon vor Ort, als sich die Demonstranten bereit gemacht haben. Auch die Bilder, die wir im vergangenen Jahr gesehen haben, sind in diese Lagebeurteilung eingeflossen. In diesem Jahr hat die Polizei entschieden, nicht erst wenn die erste Eskalation stattfindet, wenn die erste Scheibe fehlt, in eine Auseinandersetzung zu gehen. Sondern präventiv, zur Verhinderung einer Straftat. Ein Kernauftrag der Polizei.

Welche Schutzmaterialien haben Sie gefunden, und welche Informationen hatten Sie im Vorfeld?

Diese Frage muss die Einsatzleitung im Detail beantworten. Selbstverständlich gab es im Vorfeld Hinweise, wer vor Ort sein könnte. Schutzmaterial haben wir in der Vergangenheit immer wieder festgestellt. Die Demonstranten wappnen sich gegen Gummischrot mit Handschuhen oder Schutzbrillen. Im Polizeikessel haben wir dann noch Pyromaterial, Böller, Spraydosen gefunden. Ich glaube, es ist selbsterklärend, zu welchem Zweck diese mitgenommen wurden.

Die Gegenseite sagt, Schutzmaterial brauche es nur, weil die Polizei so brutal vorgehe.

Ja. (schüttelt den Kopf) Wenn man mit einer friedlichen Gesinnung an eine bewilligte Demonstration geht, wieso muss man sich dann so aufrüsten und ausrüsten – ausser man ist eben doch auf Krawall aus.

Die Polizei hat präventiv agiert. Auf der anderen Seite stehen die Grundrechte, die Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit. Wie haben Sie diese Abwägung vorgenommen?

Auf der einen Seite haben wir die Vermummung, das ist zwar eine Straftat, aber nur eine Übertretung, die mit einer Busse bestraft wird. Da muss man das Verhältnis wahren. Aber was ist der Zweck einer Vermummung mit entsprechendem Schutzmaterial an einer Demonstration? Die Polizei hatte Hinweise, dass es wieder zu Ausschreitungen, Angriffen und Sachbeschädigungen kommt. Dann sind wir nicht mehr im Bereich einer Übertretung. Die Beschädigung fremden Eigentums ist in der Vergangenheit einfach als tolerierte Nebenfolge von Demos durchgegangen. Das Grundrecht, zu demonstrieren, ist wichtig. Aber es ist begrenzt. Und die Grenze beginnt dort, wo Dinge beschädigt oder Menschen angegriffen werden. Daher hat die Polizei die Demo gestoppt – mit der Strategie, den bewilligten Teil weiterlaufen zu lassen. Dass dies dann nicht passiert ist, lag an der Solidarisierung der Demonstranten mit denjenigen, die wir kontrollieren wollten.

Staatsrechtler sagen, die Vermummung einiger Teilnehmer allein reiche nicht, um eine Demonstration zu stoppen. Darum nochmals: Die Polizei wusste beim Einsatzentscheid also mehr als bloss, dass Vermummte anwesend sind.

Ja, das ist mein Kenntnisstand. An diesem 1. Mai gab es in Basel zwar Personenkontrollen, aber keine Gewalteskalation und keine Sachbeschädigungen. Ganz im Gegensatz zu Bern und Zürich, die mit massiven Ausschreitungen zu kämpfen hatten. Die Frage ist: Müssen wir es so weit kommen lassen, um einen Polizeieinsatz rechtfertigen zu können? Darüber kann man mit Staatsrechtlern sprechen. Sicher aber muss man diese Frage auch mit Strafrechts- und Polizeirechtsexperten diskutieren.

Wird die Basler Polizei künftig also jedes Mal eine harte Linie ziehen, wenn der Schwarze Block an einer Demonstration teilnimmt?

So einfach ist das nicht. Es kommt beispielsweise auch sofort immer der Vorwurf, dass die Polizei bei den Fussball-Hooligans nur zuschaut. Man muss aber immer das Gesamtpaket anschauen. Am Montag hatten wir sehr viele Einsatzmittel im Dienst, weil die Lageeinschätzung ein Potenzial für Schwierigkeiten ergeben hatte. Beim Nizza-Spiel des FCB gab es zwar auch Vermummung und Pyros – Bilder, die mir gar nicht gefallen. Trotzdem ging der Zug zum Stadion. Ohne Sachbeschädigungen. Im Nachgang habe ich das selbstverständlich mit der Polizeileitung diskutiert. Dort war die Situation tatsächlich, dass die Einschätzung dahin ging, dass die Fussballfans nicht vorhatten, die ganze Stadt zu zerdeppern. Aber das ist selbstverständlich ein Thema, das mir Sorgen macht. Es muss trotz unterschiedlicher Dynamiken und Konstellationen eine gleich gelagerte Einsatzdoktrin geben. Gerade beim Fussball sind wir aber derzeit daran, eine gemeinsame Vorgehensweise mit den anderen Kantonen zu suchen.

Das heisst im Umkehrschluss, dass die Linke am 1. Mai zu wenig mobilisiert hat – denn beim Fussball scheint ja zu gelten: Je grösser die Menschengruppe, desto weniger greift die Polizei ein.

Am Montag? Zu wenig Menschen?

Am Montag vielleicht nicht, aber ganz grundsätzlich.

Ja, das ist eine Schwierigkeit. Wir haben bei uns keine Polizeilandschaft wie in Deutschland, wo Hundertschaften an jeden Einsatz geschickt werden. Wir können nicht sagen: Wir rechnen jeden Tag mit dem Schlimmsten – und ständig alle Polizisten in den Dienst nehmen. Da würden wir schnell an die Kapazitätsgrenzen stossen. Am Montag standen aber genug Polizisten im Einsatz, weil wir wussten, was passieren kann.

Man darf also sagen, dass Sie das Überraschungsmoment genutzt haben. Schon nächstes Jahr dürfte diese Taktik nicht mehr funktionieren.

Die Frage ist doch: Was passiert bis zum Einsatz? Ich bin nach wie vor der Überzeugung, dass der Dialog weitergeführt werden muss, auch mit dem 1.-Mai-Komitee. Ich würde gern mit ihnen sprechen, ihre offenen Fragen anschauen. Weiterhin. Das Angebot steht! Es darf doch einfach nicht sein, dass dieses Katz-und-Maus-Spiel weitergeht. Es ist nämlich kein Spiel.

Es ist sehr ernst, durchaus.

Ja. Es geht doch nicht darum: Wer gewinnt gegen die Polizei? Oder gewinnt die Polizei gegen Demonstranten? Das ist nicht mein Ansatz. Es ist auch nicht meine Tonalität, weder von links noch von rechts. Weder Buhrufe noch Applaus leiten mich.

Die SP hat den Versuch einer Annäherung gewagt mit einem Kodex. Der ist letzte Woche vom 1.-Mai-Komitee wieder gestrichen worden.

Es ist schon so, dass wir zusammen mit dem Komitee schauen müssen, wie mit Gewaltbereiten in ihren Reihen umgegangen werden soll. Deshalb hat mich die Idee der SP sehr hoffnungsvoll gestimmt. Das wäre auch sehr gut gewesen, weil es von innen gekommen ist – wir sind ja sowieso die Bösen. Leider ist dieses Commitment gegen Gewalt nicht zustande gekommen. Aber es muss auf diesem Weg weitergehen. Mit Dialog. Denn niemand findet es lässig, wenn es zu Gewalt und Sachbeschädigungen kommt. Auch meine Polizisten nicht. Sie führen einfach ihren Auftrag aus – weil die Mehrheit nicht will, dass am Tag danach Zerstörungen in der Stadt zu sehen sind.

Die SP hat Ihnen Hoffnung gemacht, viel Applaus für den Vorstoss erhalten – und nun steht sie wieder auf der anderen Seite, kritisiert Sie hart. Die Juso fordern gar Ihren Rücktritt.

Ach, was soll ich sagen? Die SP und ihre Rücktrittsforderungen: Das ist ja mittlerweile salonfähig geworden. Mal ist es der Polizeikommandant, mal bin ich es. Ich bin gewählt: Das muss ich aushalten.

Erhalten Sie wenigstens von den drei SP-Regierungsräten genügend Rückendeckung?

Ich spüre Rückhalt aus dem ganzen Kollegium. Im Tagesgeschäft läuft es so: Heute spreche ich als Sicherheitsdirektorin, in deren Zuständigkeit der Einsatz fällt. Wenn Vorstösse im Grossen Rat eingereicht werden, kommen die Antworten dann vom ganzen Regierungsrat.

Werden Sie den Mut haben, an Ihrer Linie festzuhalten?

Ich habe noch immer die Hoffnung, dass nicht jede Demonstration derart emotional aufgearbeitet werden muss. Sonst hätte ich resigniert, und das entspricht nicht meinem Naturell. Aber selbstverständlich: Ich habe nun die Ansage gemacht, dass ich es nicht weiter hinnehmen werde, dass man an einer Demo macht, was man will – und es achselzuckend hingenommen wird, wenn es Gewalt und Zerstörung gibt.

Was hat diese Ansage für Konsequenzen?

Es ist anstrengend. Der Druck ist riesig. In den sozialen Medien werde ich sehr hart angegangen.

Was heisst das konkret? Werden Sie angefeindet? Via Mails? An der Haustür?

Ja, leider. Ich habe gerade erfahren müssen, dass in meiner Liegenschaft eine Sprayerei angebracht worden ist.

Es gibt auch viele zustimmende Voten, man kann durchaus behaupten: bis ins sozialliberale Lager der SP. Sehen Sie sich – trotz vieler Anfeindungen – von einer Mehrheit, wenn auch einer leisen, getragen?

An einem Tag wie heute: Da spüre ich das noch nicht, das kann ich offen sagen. Man ist noch zu sehr «drin» im Thema. Aber ich habe zum Glück viele Menschen, die diese Grundstimmung für mich monitoren. Ich hoffe, dass sich das in den nächsten Tagen wieder einmitten wird. Eine Einmittung ist sowieso das, was ich mir gesamtgesellschaftlich wieder wünschen würde.

Wie meinen Sie das?

Weil es mir eben gar nicht darum geht, alles aus Prinzip viel repressiver zu gestalten. Sondern einfach darum, gewisse Leitplanken wieder zu justieren. Mal so machen, mal so, und wieder anders: Dann gehts nicht mehr auf. Deshalb: Ein bisschen die Schraube anziehen: ja. Damit wir zeigen: Wir akzeptieren nicht alles. Aber das ist gar nicht so einfach.

Politik wie Kindererziehung?

Ja, vielleicht hat das sogar ein paar Parallelen. (lacht) Aber nicht schulmeisterlich! Weil ich einfach spüre: Nach der Pandemie ist die Zündschnur der Menschen kürzer geworden. Dass wir nicht mehr immer gleich so hässig aufeinander losgehen: Das muss das Ziel sein.

Geht das denn, wenn man als Staat eine repressivere Linie fährt? Das verhärtet doch die Fronten umso mehr …

So hört man es auch von den lauten Kritikern: So werden noch mehr Leute radikalisiert. Da frage ich mich schon: Was wäre dann die Alternative? Tolerieren wir alles? Totales Laissez-faire? Das sehe ich nicht. Und ich bekomme von vielen Menschen, von denen ich noch nie etwas gehört haben, mitgeteilt: Es wird Zeit, dass wir die Regeln, die wir haben, auch durchsetzen.
(https://www.bazonline.ch/die-sp-und-ihre-ruecktrittsforderungen-das-ist-salonfaehig-geworden-499791315971)



Markus Schefer zum 1. Mai: «Man muss verstehen, warum die Polizei so handelt, wie sie handelt»
Im Interview erklärt Staatsrechtsprofessor Markus Schefer, wieso Vermummung und Schutzmaterial nicht ausreichen, um eine Demo einzukesseln. Dennoch glaubt er, dass der Polizeieinsatz rechtens war.
https://bajour.ch/a/clh6en3ey8159754ixhj3n9jkn/schefer-interview-zum-polizeieinsatz-am-1-mai-in-basel



Basler Zeitung 02.05.2023

Nach 1.-Mai-Demo in Basel: «… dann muss die Polizei nicht warten, bis Scheiben eingeschlagen sind»

Zwei Rechtsexperten ordnen ein, wann Demonstranten eingekesselt werden dürfen und warum eine veränderte Route in Ordnung sein kann.

Sebastian Briellmann

Markus Schefer hat am Dienstagmorgen natürlich schon beim Aufstehen gewusst, dass er in den nächsten Stunden nur zu einem Thema befragt werden wird: die 1.-Mai-Demo.

Business as usual.

Darum hat der renommierte Staatsrechtler, als er um 8 Uhr seine Vorlesung über Grundrechte an der Universität Basel begonnen hat, seinen Studenten auch gleich eine wichtige Lektion vermittelt: «Nicht gleich überreagieren, erst mal alle Fakten zusammentragen.»

Nicht wie die Politiker, muss man da wohl anfügen …

Schefer sagt also: «Noch wissen wir nicht alles über den Ablauf der Demonstration – auch jene nicht, die es meinen, weil sie dort gewesen sind. Das ist immer subjektiv.»

Was er aber aus juristischer Sicht sagen kann: was geht und was nicht, gerade wenn es um die Arbeit der Polizei geht, die nun von linker Seite aufs Schärfste kritisiert – und von den Bürgerlichen als «Meisterleistung» (LDP-Medienmitteilung) bezeichnet wird.

Vermummung rechtfertigt keine Einkesselung

Im Fokus: der sogenannte Kessel. Schefer sagt: «Allein wegen des Vermummungsverbots ist ein solcher noch nicht zulässig. Dafür ist der Rechtsverstoss zu niederschwellig.» So hat die Polizei den Einsatz am Montagabend zwar auch begründet, wohl aber aus taktischer Sicht nicht noch mehr Informationen geliefert (was man durchaus kritisch sehen kann).

Schefer sagt dann auch: «Erfahrungsgemäss kesselt die Polizei keine Gruppen einzig und allein ein, weil sie vermummt sind. Ich kann mir das in diesem Fall auch nicht vorstellen.»

Was es braucht: Hinweise, dass die Teilnehmer bekannt sind für ihr Gewaltpotenzial, oder es Ankündigungen in ihren Netzwerken gibt, wenn sie Schutzmaterial für den Widerstand gegen die Polizei dabeihaben – und sie sich zu Beginn der Demonstration in bekannter Art formieren. Dann, sagt Schefer klar, «muss die Polizei nicht warten, bis die ersten Scheiben eingeschlagen sind».

Darf die Polizei auch Unvermummte kontrollieren?

Nun ist es so, dass sich im Kessel nicht nur Vertreter des Schwarzen Blocks befunden haben, sondern auch Unvermummte. Darf man die ebenso kontrollieren? Da kommt es auch darauf an, wie sich diese Personen verhalten.

Konkret: Dürften Sie, Herr Schefer, und ich, im Jackett und Hemd, auch um unseren Ausweis gefragt werden? «Das kommt wirklich auf den Einzelfall an. Was ich sagen kann: Das kantonale Polizeigesetz verlangt, dass die Kontrolle zur Abwehr einer Gefahr oder zur Rechtsdurchsetzung notwendig ist.»

Reto Müller, der an der Universität Basel Sicherheits- und Polizeirecht lehrt, weist darauf hin, dass das Einkesseln zwar in die grundrechtlich geschützte Bewegungsfreiheit von Personen eingreift – aber dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) diese Polizeitaktik im Jahr 2012 für zulässig erklärt hat. Es handelt sich dabei um den Fall Austin gegen das Vereinigte Königreich, der als Markstein in dieser Sache gilt. 2001 hatte die Polizei die Teilnehmer an einer unbewilligten Demonstration in London eingekesselt – worauf es zum Rechtsfall kam.

Geschehen nach dem Einsatz ist relevant

Genau die Punkte, die Schefer erwähnt, sind dabei wichtig. Auch wenn noch keine Schädigungen eingetreten sind, «gerade dann nicht, wenn den Staat die Pflicht trifft, Rechtsgüter Dritter zu schützen», ergänzt Müller. «Eine unmittelbar drohende Gefahr muss sich aber objektiv begründen lassen.»

Wichtig ist laut Müller auch, wie es nach dem Einsatz weitergeht. «Der EGMR betont im Fall Austin, dass die Polizei sofort nach der Einkesselung mit der Planung von Kontrollen begonnen hat, damit die eingekesselten Personen den Platz wieder verlassen konnten.»

Das scheint nach aktuellem Wissensstand in Basel der Fall gewesen zu sein.

Alternativroute ist zulässig

Eine weitere Kritik, die derzeit zu hören ist: Die Polizei hat eine bewilligte Route auf einmal abgeändert. Müller sagt: «Die Zulässigkeit ist abhängig vom Symbolwert der Route. Also der Frage, ob der Appellcharakter der Demonstration erhalten bleibt. Das dürfte vorliegend der Fall sein.»

Nach dem Verhältnismässigkeitsprinzip entspreche es einer milderen Massnahme, eine andere Route anzuordnen als eine Einkesselung aufrechtzuerhalten oder einen Umzug ganz zu verbieten.

Ob die Politik für solche Differenzierungen ein Ohr hat? In der aktuellen Stimmung, in der sich linke und bürgerliche Kräfte in fieberhafter Aufregung allerlei Schandwörter zurufen: schwer vorstellbar.
(https://www.bazonline.ch/dann-muss-die-polizei-nicht-warten-bis-scheiben-eingeschlagen-sind-565279840176)



BL:
Rechtsextreme greifen Mitglieder der JUSO an, Polizei bagatellisiert!
Heute fanden in der ganzen Schweiz 1. Mai-Feste und Demonstrationen statt, so auch in Liestal. Auf der Strasse wurden JUSO-Mitglieder von einigen der Polizei bekannten Rechtsextremen angegriffen, beworfen und getreten. Die Polizei sah den Vorfall, spazierte aber zuerst weg und zeigte sich einmal mehr blind gegenüber der Gefahr ausgehend von den Rechtsextremen. Die JUSO ist alarmiert von der Zunahme von offenem Rechtsextremismus im Kanton.
https://bl.juso.ch/medien/medienmitteilungen/rechtsextreme-greifen-mitglieder-der-juso-an-polizei-bagatellisiert/
-> https://www.20min.ch/story/rechtsextreme-attackieren-juso-mitglieder-polizei-spazierte-weg-669898210110



bzbasel.ch 02.05.2023

Rechtsextreme störten friedliches 1. Mai-Fest in Liestal und griffen Juso-Mitglieder an

Eine kleine Männergruppe soll am Montag am Rand des Demonstrationszugs zum 1. Mai in Liestal mit Hitlergrüssen provoziert haben. Später beschimpften sie die versammelte Gesellschaft. Die Juso schreibt, sie sei mit Gegenständen beworfen worden.

Yann Schlegel

Im Schatten der grossen Demonstration und der Debatte über die Vorgehensweise der Polizei in Basel feierten die Linken in Liestal am Montagnachmittag ihr beschauliches 1.-Mai-Fest. «Wir versuchen in Liestal jeweils einen friedlichen Anlass durchzuführen», sagt Michael Durrer am Morgen nach dem Tag der Arbeit. Der Präsident der Grünen Baselland streicht hervor, dass die Feier anders als in Basel ohne Konflikte stattfinden solle. Das mache sie auch so sympathisch.

Am diesjährigen 1. Mai versuchte allerdings eine kleine Männergruppe, die Veranstaltung zu stören. Wie Durrer erzählt, hätten die mutmasslichen Rechtsextremen den Anlass genutzt, um zu provozieren. Zunächst mit dem Hitler-Gruss am Strassenrand, als der Demonstrationszug vorbeilief. Später mit Beschimpfungen während der Reden vor dem Regierungsgebäude. «Es war nach meinem Verständnis aber keine organisierte Gruppe», sagt Durrer.

    Hitler Grüsse am Strassenrand, Beschimpfungen während Reden, Tätlichkeiten gegen junge Teilnehmende und Drohungen gegen Sicherheitspersonal der Stadt. Nur rechte Gewalt an einer ansonsten absolut friedlichen 1. Mai Feier in Liestal.
    — Michael Durrer (@MichaelDurrer1) May 1, 2023

Hektik in der Rathausstrasse

Wie die Polizei Baselland auf Anfrage mitteilt, wurde sie nicht Zeugin von etwaigen Hitler-Grüssen oder anderen Störungen der Veranstaltung – entsprechend schritt sie auch nicht ein. Bekannt sei ihr allerdings ein mutmasslich tätlicher Angriff im Bereich des Wasserturmplatzes.

Am späteren Nachmittag nämlich stiess eine Gruppe der Juso Baselland – aus Basel kommend – in Liestal zum Fest hinzu. Auf ihrem Weg sollen die 15 bis 20 Juso-Mitglieder von den gleichen Männern, die zuvor schon die Demonstration gestört hatten, verfolgt, beschimpft, getreten und mit Bierdosen beworfen worden sein. «Die Männer mittleren Alters haben uns angeschrien, wir seien nicht willkommen, das sei ihre Stadt und nicht unsere», erzählt Clara Bonk, Co-Präsidentin der Juso.

Auf dem Tonband einer Videoaufnahme, die der bz vorliegt, ist die allgemeine Hektik zu hören, während die jungen Menschen durch die Rathausstrasse rennen und nach Hilfe rufen. In einer Medienmitteilung am späten Abend warf die Juso dann auch der Kantonspolizei vor, die Ereignisse bagatellisiert zu haben und verspätet eingeschritten zu sein.

Der Stadt ist die Gruppierung bekannt

Die Darstellungsweise der Polizei ist eine andere: Sie sei beim Ereignis nicht direkt vor Ort gewesen und erst im Nachgang davon in Kenntnis gesetzt worden. Daraufhin habe sie auf die Möglichkeit hingewiesen, Strafanzeige zu erstatten. Diesen Schritt wolle die Juso nun prüfen, so Bonk.

Auch SP-Stadträtin Pascale Meschberger, die selbst vor Ort war, bestätigt gegenüber der bz die Vorfälle vom Montag. Die Hitler-Grüsse habe sie aber nicht mitbekommen. Auch Meschberger spricht von einem «friedlichen Familienfest, wie wir es in den letzten Jahren immer hatten». Die Gruppierung mit rechter Gesinnung sei der Stadt bekannt.

Mitarbeitende der Abteilung Sicherheit der Stadt Liestal hätten gegen Ende des Festes, als ein aufgebrachter Mann aus der kleinen Störenfriede-Gruppe nochmals vor dem Rathausgebäude aufkreuzte und die Versammlung beschimpfte, ruhig reagiert und ihn weggewiesen.
(https://www.bzbasel.ch/basel/baselland/tag-der-arbeit-rechtsextreme-stoerten-friedliches-1-mai-fest-in-liestal-und-griffen-juso-mitglieder-an-ld.2450910)



Basler Zeitung 02.05.2023

1.-Mai-Fest in Liestal: Rechtsextreme gingen ungestört auf Juso-Mitglieder los

Drei rechtsextreme Männer sollen am 1. Mai in Liestal gewalttätig geworden sein. Juso-Mitglieder kritisieren, die Kantonspolizei habe sie nicht hinreichend vor den Angreifern beschützt.

Sebastian Schanzer

Eine Gruppe von Baselbieter Juso-Mitgliedern soll am 1. Mai, auf dem Weg vom Bahnhof Liestal zum 1.-Mai-Fest vor dem Regierungsgebäude, von drei rechtsextremen Personen angegangen worden sein. Auf wüste Beschimpfungen folgten angeblich  Drohungen, Fusstritte, Stösse und hinterher geworfene Bierdosen. Zudem soll einem Juso-Mitglied eine Fahne entrissen, einem anderen an den Haaren gerissen worden sein, wie die Juso Baselland mitteilte.

In der Mitteilung heisst es auch, die Baselbieter Kantonspolizei habe den Vorfall gesehen, sei jedoch verzögert und nicht aktiv eingeschritten und habe den Ort des Geschehens zu früh verlassen, bevor sichergestellt war, dass die Täter nicht zurückkehren würden. «Ein krasses Versagen», sagt Elena Kasper, Co-Präsidentin der Baselbieter Juso, auf Anfrage. Die Polizei habe die Gefahr, die von Rechtsextremen ausgehe, einmal mehr klar unterschätzt. Polizei-Sprecher Adrian Gaugler betont demgegenüber, die Polizei habe erst im Nachgang von den Ereignissen erfahren – durch die Meldung der Betroffenen. Diesen habe man dann die Möglichkeit aufgezeigt, Strafanzeige zu erstatten.

Von der Polizei im Stich gelassen fühlten sich die Jungsozialisten auch nach dem Fest beim Regierungsgebäude. «Die Situation war bedrohlich für uns. Unsere mehrfache Bitte an die Polizei, noch während der Aufräumarbeiten präsent zu sein, ignorierte sie und zog ab», so Kasper. Tatsächlich ist danach einer der Störer noch einmal aufgetaucht, um die Teilnehmenden des Fests zu beschimpfen. Diese Szene hat ein Juso-Mitglied per Handy aufgezeichnet. Der Film liegt der BaZ vor, er zeigt einen sichtlich aufgebrachten Mann, der mit wüsten Beschimpfungen und Drohungen auf die wenigen Teilnehmenden des Fests losgeht.

Angreifer sollen der Polizei bekannt sein

Vor Ort war am 1. Mai auch der Präsident der Baselbieter Grünen, Michael Durrer. Er bemerkte die Gruppe schon während des vorangehenden Demonstrationszugs. Die Personen hätten die Demoreden mit Ausrufen gestört und mit ihrem Handy Demonstrantinnen und Demonstranten gefilmt und sie nach deren Namen gefragt. «Ob die Polizei die Gefahrenlage richtig eingeschätzt hat, kann ich nicht beurteilen. Klar ist aber, dass diese Personen durch ihr Verhalten der Polizei aufgefallen sein müssen», sagt Durrer. «Es wäre ein Leichtes gewesen, die Störenfriede zu kontrollieren.»

Der Leiter des Bereichs Sicherheit in Liestal, René Frei, habe Durrer gegenüber zudem bestätigt, dass es sich bei den Störern an der Demo um der Polizei bekannte Personen handle. Möglicherweise seien sie Mitglieder einer rechtsextremen Organisation, denn sie hätten während der Demo in Liestal gar den Hitlergruss gezeigt. Frei konnte am Dienstag gegenüber der BaZ keine Stellung mehr nehmen.

Für die Juso ist der Vorfall ein weiteres Beispiel für einen «zunehmend offenen Rechtsextremismus im Baselbiet». Sie fordern nun eine «lückenlose Aufschlüsselung der Situation des Rechtsextremismus» im Kanton, wie sie in der Mitteilung schreiben. Ob es im Zusammenhang mit der Gewalt und den Drohungen wie angekündigt zu einer Strafanzeige kommt, werde derweil abgeklärt, wie Elena Kasper sagt.
(https://www.bazonline.ch/rechtsextreme-gingen-ungestoert-auf-juso-mitglieder-los-299940838772)


ZH:
Revolutionärer 1.Mai in Winterthur
Nur nicht bescheiden Bosse enteignen!
https://barrikade.info/article/5923
-> https://wohnraumverteidigen.noblogs.org/post/2023/05/01/revolutionaerer-1-mai-in-winterthur/
-> https://www.zueritoday.ch/zuerich/winterthur/wuerste-statt-traenengas-so-unterscheidet-sich-der-1-mai-in-winterthur-von-dem-in-zuerich-151305554


19 Verhaftete und ein Schwerverletzter am 1. Mai in Zürich
Rund um den 1. Mai hat die Stadtpolizei Zürich 19 Personen verhaftet und über 400 weggewiesen. Zwei Demonstranten haben sich verletzt, einer davon zog sich schwere Gesichtsverletzungen zu. Wie der Mann verletzt wurde, sei Gegenstand der Ermittlungen, teilte die Stadtpolizei Zürich am Dienstag mit.  (ab 05:07)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/19-verhaftete-und-ein-schwerverletzter-am-1-mai-in-zuerich?id=12379626
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/unbewilligte-nachdemo-am-1-mai-polizei-greift-rasch-ein?id=12379218
-> https://www.20min.ch/story/19-festnahmen-und-ueber-400-wegweisungen-die-bilanz-der-nachdemonstration-552022620042?version=1683031340342
-> https://www.blick.ch/schweiz/zuerich/19-festnahmen-so-faellt-die-bilanz-der-zuercher-polizei-zum-1-mai-aus-id18539334.html
-> https://www.stadt-zuerich.ch/pd/de/index/stadtpolizei_zuerich/medien/medienmitteilungen/2023/mai/schlussbilanz_1_mai-nachdemonstrationenimkreis4nachtragzurme.html
-> https://tv.telezueri.ch/zuerinews/reaktionen-zum-polizeieinsatz-am-1-mai-151315127
-> https://tv.telezueri.ch/zuerinews/sicherheitsdepartement-nimmt-stellung-151315062
-> https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/region-limmattal/1-mai-eskalationen-nach-dem-umzug-tausende-fordern-mehr-anerkennung-fuer-frauenarbeit-ld.2450680
-> https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/zuerich/1-mai-19-verhaftete-und-ein-schwerverletzter-am-1-mai-in-zuerich-ld.2450962


1. Mai: «Ich zittere noch immer» – jetzt spricht Prix-Courage-Gewinner Remo Schmid
Am 1. Mai geriet der Prix-Courage-Gewinner Remo Schmid vor dem Volkshaus in eine Diskussion mit der Polizei, worauf diese ihn zu Boden drückte. Einen Tag danach zeigt sich Schmid noch immer schockiert über den Vorfall.
https://www.20min.ch/story/ich-zittere-noch-immer-jetzt-spricht-prix-courage-gewinner-remo-schmid-465478437730?version=1683025999967
-> https://www.blick.ch/schweiz/zuerich/an-1-mai-demo-prix-courage-gewinner-rabiat-zu-boden-gedrueckt-id18537932.html
-> https://www.blick.ch/schweiz/zuerich/wollte-nur-aelteren-herrn-schuetzen-neues-video-zeigt-polizei-puff-mit-prix-courage-gewinner-id18539845.html
-> https://tv.telezueri.ch/zuerinews/prix-courage-gewinner-am-rande-der-unbewilligten-nachdemo-verhaftet-151315093
-> https://www.telem1.ch/aktuell/prix-courage-gewinner-am-rande-der-unbewilligten-nachdemo-verhaftet-151314816
-> https://www.zueritoday.ch/zuerich/polizist-ueberlegt-sich-anzeige-gegen-prix-courage-sieger-151315857?autoplay=true&mainAssetId=Asset:151315848
-> https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/zuerich/konflikt-am-1-mai-polizei-drueckt-prix-courage-gewinner-zu-boden-ld.2450911
-> https://www.20min.ch/story/ehrverletzung-zuercher-polizist-erwaegt-anzeige-gegen-prix-courage-gewinner-321347163587


1. Mai: Zürcher Läderach rechnet mit wochenlangen Reparatur-Arbeiten
Am 1. Mai zogen Demonstranten durch die Zürcher Bahnhofstrasse. Dabei wurden zahlreiche Schaufenster beschädigt. Die Aufräumarbeiten sind noch in vollem Gange.
https://www.nau.ch/news/schweiz/1-mai-zurcher-laderach-rechnet-mit-wochenlangen-reparatur-arbeiten-66485778
-> https://www.20min.ch/story/wir-mussten-schokolade-im-wert-von-rund-4000-franken-wegwerfen-772936099954?version=1683039470878


JUSO Zürich fordern Ombudsstelle für Polizeigewalt
Rund um die Demonstrationen am 1.Mai hat die Stadtpolizei Zürich 19 Personen verhaftet und über 400 weggewiesen. Die JUSO Zürich ist mit dem Vorgehen der Polizei unzufrieden und fordert eine Ombudsstelle für Polizeigewalt. TELE TOP hat mit Politikern beider Lager gesprochen.
https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/19-verhaftete-und-ein-schwerverletzter-am-1-mai-in-zuerich-00211332/



CH:
Mark Burkhard: Die Polizei ist immer grösserer Gewalt ausgesetzt
Die Gewalt gegen die Polizei nimmt stetig zu. Auch an Fussballspielen. Was sind die Gründe und was braucht es für Massnahmen? Mark Burkhard, Chef der Polizeikommandanten, ist zu Gast im «Tagesgespräch».
https://www.srf.ch/audio/tagesgespraech/mark-burkhard-die-polizei-ist-immer-groesserer-gewalt-ausgesetzt?id=12379422


Ausschreitungen in Städten – Wie umgehen mit linksextremer Gewalt?
Gewalttätige Demonstrationen nehmen zu. Ein allgemeines Rezept dagegen gebe es nicht, sagt der Kriminologe Dirk Baier.
https://www.srf.ch/news/schweiz/ausschreitungen-in-staedten-wie-umgehen-mit-linksextremer-gewalt
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/nach-1-mai-kriminologe-rechnet-mit-weiteren-linken-gewalt-demos-66485781


Extremismusexperte im Hoch
Was ist ein Extremismusexperte? These: ein Mann mit gesteigertem Sendungsbewusstsein, der in den Medien auf der Basis von empirischem Pseudowissen Linksradikale exotisiert und Rechtsradikale verharmlost.
https://www.woz.ch/zoo/2023/05/02/extremismusexperte-im-hoch


Krawalle bei 1.-Mai-Demos in Zürich und Basel: Politik will Chaoten zur Rechenschaft ziehen
In Basel und Zürich war der Tag der Arbeit vor allem ein Tag der Konflikte zwischen Demonstrierenden und der Polizei. Immer wieder kommt es zu gewaltbereiten Ausschreitungen in Schweizer Städten. Die Politik fordert seit längerem mehr Ordnung.
https://www.blick.ch/politik/krawalle-bei-1-mai-demos-in-zuerich-und-basel-politik-will-chaoten-zur-rechenschaft-ziehen-id18538679.html


Wie es ist, als unbeteiligte Person an der 1.-Mai-Demo eingekesselt zu sein
Am 1. Mai kam es in Zürich und in Basel zu Ausschreitungen zwischen Demonstrierenden und Polizisten. Doch auch unbeteiligte Zivilisten waren betroffen. Sie erzählen watson, wie brutal der 1. Mai wirklich war.
https://www.watson.ch/schweiz/arbeitswelt/259034487-1-mai-demonstrationen-so-brutal-waren-sie-wirklich


1. Mai: Bürgerliche hinterfragen den Sinn der Feierlichkeiten
Jedes Jahr streiten sich das bürgerliche und das linke Lager am 1. Mai, weil es zu Ausschreitungen kommt. Bei der Schuldfrage herrscht Uneinigkeit.
https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/1-mai-burgerliche-hinterfragen-den-sinn-der-feierlichkeiten-66485788


1.-Mai-Demos: Kritik am proaktiven Eingreifen der Polizei – l0vor10
Anlässlich des ersten Mai wurde in vielen Schweizer Städten demonstriert. Am Tag danach wird das proaktive Eingreifen der Polizei kritisiert. Zu hart und zu schnell sei man gegen die Demonstrierenden vorgegangen, finden Gewerkschafts-Vertreter und Linke. Andere sehen im Einsatz ein erfolgreiches Durchgreifen gegen Chaoten.
https://www.srf.ch/play/tv/10-vor-10/video/1–mai-demos-kritik-am-proaktiven-eingreifen-der-polizei?urn=urn:srf:video:19ad0aaf-3ba4-4988-a718-f35f7d419980


+++POLICE BE
Postulat David Böhner (AL): Wiedereinführung der Stadtpolizei (PDF, 136.6 KB)
https://www.bern.ch/politik-und-verwaltung/gemeinderat/aktuelle-antworten-auf-vorstosse/publizierte-antworten-am-2-mai-2023/postulat-david-bohner-wiedereinfuhrung-der.pdf/download


+++RASSISMUS
tagesanzeiger.ch 02.05.2023

Schwarze Schweizer über Rassismus: «Mir hat mal einer von hinten einfach in die Haare gefasst»

Dunkelhäutige Schweizerinnen und Schweizer erzählen am Black Stammtisch in Zürich über ihre Erfahrungen. «Worüber wir reden, sollte sich jede und jeder anhören», sagen sie.

Sabrina Bundi

Das klassische Bild vom Schweizer Stammtisch: Um die Aromat-Ménage am grössten Tisch der Beiz poltern hemdsärmelige Menschen über Politik und Sport. Der Black Stammtisch: Im Club Zukunft in Zürich sitzen rund 20 Schweizerinnen und Schweizer of Colour bei Chips und Getränken um den grössten Tisch der Bar, reden in breitem Bärn-, Basler- und Züritüütsch über Politik, Sport, Schule, Arbeit, Kultur und Haare. Denn Haare von Black People sind schnell ein Auslöser für Rassismus im Alltag.

Extrakt aus der Diskussion:

«Mir hat mal eine gesagt: Was hast du jetzt wieder für eine Wolle auf dem Kopf?»

«Und mir hat mal einer von hinten einfach in die Haare gefasst.»

«Was hast du dann gemacht?»

«Ich hab mich umgedreht und ihn so lange gefragt, warum er das gemacht habe, bis er von allein gemerkt hat, dass es nicht okay ist, fremden Menschen einfach in die Haare zu greifen.»

Dieser Frau sitzen die schlagfertigen Antworten mittlerweile locker. Ihre entwaffnende Strategie sei Übungssache, irgendwann habe sie ein standardisiertes Repertoire für solche Situationen gehabt. Andere am Stammtisch erstarren aber, wenn sie beispielsweise mit dem «N-Wort» beschimpft werden.

Der Umgang mit Beleidigungen

«Wie soll man denn da antworten, wenn man so genannt wird? Ich bin dann gelähmt, und die guten Antworten fallen mir erst ein paar Stunden später ein», sagt die Luzernerin Walesca Frank, die den Stammtisch ins Leben gerufen hat. Aber nicht nur offensichtliche Beleidigungen machen sie oft sprachlos, sondern auch der subtilere Rassismus in Alltagskonversationen. «Wenn beispielsweise jemand mein Aussehen kommentiert oder meint, mir ungefragt erzählen zu müssen, dass es mal ein ‹N-Wort-Dörfli› in Luzern gab.»

Soll/muss/will sie auf solche Aussagen eingehen? Oder doch lieber auf «Göschenen–Airolo» stellen, wie es so schön schweizerisch heisst, wenn man etwas zum einen Ohr rein- und zum anderen wieder rauslässt?

Wie reagieren? Das beschäftigt die Teilnehmenden vom Black Stammtisch sehr. Lange diskutieren sie darüber, wie sie täglich austarieren, ob und in welcher Form sie sich auf eine Diskussion über Rassismus einlassen. Denn wenige Worte reichen, um ein politisches Fass aufzutun, und schon finden sie sich mitten in einer politischen Debatte, ob sie wollen oder nicht. Wenn man sich dann auch nur ein klein bisschen in Rage verteidige, «kommt sofort wieder das Stereotyp, man sei ‹the angry one› oder unhöflich, und das möchte man natürlich nicht bedienen», sagt Walesca Frank. Wenn man hingegen nichts sage, weil man vielleicht auch einfach zu müde sei, keine Zeit oder keine Lust auf eine Debatte habe, plage einen oft ein schlechtes Gewissen, sich nicht für die Black Community eingesetzt zu haben.

Dazu weitere Denkanstösse der Teilnehmenden, die aus den verschiedensten Berufsfeldern kommen:

«Für mich als introvertierte Person ist das schon herausfordernd, immer diskutieren zu müssen.»

«Früher habe ich oft so getan, als würden mich solche Äusserungen nicht verletzen, weil ich dazugehören wollte.»

«Ich denke, jeder muss für sich eine Regel finden, wann es einem wichtig ist, etwas zu sagen, und wann es gar keinen Sinn macht, sich zu verteidigen.»

«Vielleicht sollten Lehrpersonen schon in der Schule besser über Rassismus aufklären, dann müssten wir das nicht so häufig tun.»

«Und wir würden dann vielleicht auch nicht mehr so oft den Satz hören: ‹Ich bin ja nicht rassistisch, aber …›»

Subtilere Formen von Rassismus

«Ich meine das ja nicht böse», sei ein Zu-Satz, den Menschen im Umfeld der Stammtisch­teilnehmenden oft benutzten, nachdem sie rassistische Äusserungen gegen Black People gemacht hätten. Für eine Teilnehmerin ist das unverständlich. «Alle kennen ja mittlerweile die Geschichte der Sklaverei, den Hintergrund dieser Wörter. Dass sie in diesem Wissen die Wörter trotzdem noch benutzen, finde ich nicht in Ordnung.» Die Runde nickt. Und liefert weitere Beispiele für Verhaltensweisen, die verletzen. Beispielsweise wenn schwarze Menschen als homogene Gruppe dargestellt werden, was ihnen Individualität abspricht.

Beispiele hierfür:

«Ich hab mal erzählt, ich sei aus Kamerun. Der Mann meinte dann: ‹Ah, ich habe einen Freund aus Nigeria.› Das ist, als würde ich ihm sagen, ich hätte einen Freund aus Schweden, wenn er erzählt, er sei aus der Schweiz.»

«Ich höre noch oft: ‹Ah, ich war in Punta Cana in den Ferien, ich weiss, wie es in der Dominikanischen Republik ist.›»

Als kränkend empfinden die Teilnehmenden auch Verniedlichungen, mit denen besonders schwarze Frauen und Kinder zu kämpfen haben. Eine Teilnehmerin stört sich beispielsweise daran, dass in den sozialen Medien schwarze Kinder von weissen Personen, die nach Afrika reisen, oft wie Accessoires in die Kamera gehalten werden. Ein Mann ergänzt mit ironischem Unterton: «Und für die Werbung wäre noch idealer, wenn das arme schwarze Kind noch eine Fliege im Mundwinkel hat.» Solche Darstellungen würden dazu beitragen, dass «wir wahrgenommen werden, als wären wir hilflos und bemitleidenswert. Als bräuchten wir die Weissen, die uns retten», sagt Walesca Frank.

Ein Positiv-Beispiel

Die Teilnehmenden am Black Stammtisch möchten aber keine weissen Ritter, sondern Verbündete. Solche wie den Chef einer Teilnehmerin. Diese ist an ihrem Arbeitsort die erste Person mit schwarzer Hautfarbe, wie sie erzählt. Als sie ihren Chef fragte, warum sie die erste sei, wusste er keine Antwort. Nach und nach habe er sich Wissen zum Befinden von Black People von ihr abgeholt. Mittlerweile stehe er so fest hinter ihr, dass sie ihm rassistische E-Mails (beispielsweise mit dem Inhalt: Ich lasse mich von keiner Afrikanerin beraten) direkt weiterleiten könne, ohne sie lesen zu müssen. Ihr Chef beantworte die Mails oder beende sogar das Kundenverhältnis. Eine «Wow»-Welle raunt durch den Saal, als die Frau davon erzählt.

Ihr Chef könnte, wenn er wollte, auch am Black Stammtisch sitzen. Denn der Anlass ist auch für weisse Personen offen – die allerdings nur zuhören sollen. Walesca Frank hat mit dieser Form von Teilnahme etwas gehadert, denn «schliesslich möchte ich selber auch niemanden diskriminieren». Der Raum soll aber den People of Colour gehören. Visibilität und Repräsentation seien trotzdem wichtig, damit einer der Wünsche aus dem Plenum in Erfüllung gehen könne, nämlich: «Dass wir einfach normal behandelt werden.»



Der Black Stammtisch

Den Black Stammtisch hat Walesca Frank in Luzern gegründet, in Zürich hat er nun zum zweiten Mal stattgefunden. Initiiert hat ihn die Schauspielerin, Sängerin und Grafikdesignerin im Rahmen ihrer Masterarbeit in visueller Kommunikation an der Zürcher Hochschule der Künste. Fragen wie «Was ist meine Identität?» und «Wie schwarz darf ich als Schweizerin in unserer Gesellschaft sein?» haben sie dazu bewegt, sich in ihrer Arbeit mit dem Thema «Wie sprechen wir über Rassismus?» zu beschäftigen. Der Stammtisch war eines ihrer Gesprächsformate. Nach Abschluss der Arbeit hat sie ihn weitergeführt. Geplant ist, dass der Zürcher Stammtisch regelmässig alle zwei Monate stattfindet.
(https://www.tagesanzeiger.ch/wie-schwarz-duerfen-schweizerinnen-und-schweizer-sein-278598905421)


+++RECHTSEXTREMISMUS
Bilanz 2022 der Fachstelle Extremismus in der Armee
Die Fachstelle Extremismus in der Armee befasste sich im letzten Jahr mit 35 Beratungsanfragen und Meldungen. Dabei stand weiterhin mutmasslicher Rechtsextremismus im Vordergrund. Die Armee setzt ihre Null-Toleranz Strategie fort.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-94744.html



tagblatt.ch 02.05.2023

Amokfahrer steht heute in Arbon vor Gericht: Er wollte einen Rassenkrieg anzetteln und fuhr zwei 15-jährige Mädchen an

Der 30-jährige Thurgauer hatte alles minutiös vorbereitet und durchgespielt. Das Handy sollte filmen, wie er mit dem Auto in dunkelhäutige und muslimische Menschen fährt, sie dabei verletzt oder tötet. Zwei Mädchen, die er nicht kannte und die ihn nicht kannten, waren zur falschen Zeit am falschen Ort.

Ida Sandl

Er war so voller Hass: Afrikaner waren für ihn Untermenschen, Muslime Schwerverbrecher, Juden Betrüger. Der 30-Jährige, der heute, am 2. Mai, vor dem Bezirksgericht Arbon steht, wollte einen Rassenkrieg entfachen. Noch hätten er und seinesgleichen – also die weisse Rasse – eine Chance zu gewinnen, reimte er sich zusammen. In der Anklageschrift tun sich Abgründe auf.

Der Beschuldigte hatte sich einen teuflischen Plan ausgedacht: Bei einer Amokfahrt wollte er möglichst viele Menschen, vor allem Dunkelhäutige und Muslime, verletzen und töten. Die Terrorfahrt sollte mit dem Handy gefilmt und ins Netz gestellt werden, damit möglichst viele Gleichgesinnte seinem Beispiel folgen würden. Nicht nur den Ausländern, sondern auch der Nachkriegsgeneration der linken Babyboomer galt sein Zorn, da sie mitschuldig seien am Untergang der Europäer.

Er fährt die geplanten Strecken ab und testet den Kamerawinkel

Ein halbes Jahr lang bereitete sich der Beschuldigte auf den Tag X vor. In der Anklageschrift wird beschrieben, wie er sich ein Auto kauft und damit verschiedene Routen abfährt. Er entscheidet sich für eine Strecke durch die Regionen Kreuzlingen, Amriswil, Arbon, Rorschach und St.Gallen. Das Handy befestigte er mal an der Kopfstütze des Beifahrersitzes, dann vor dem Rückspiegel, um den optimalen Aufnahmewinkel zu testen.

Schon zuvor hat er lange Nägel in Bretter geschlagen, die er als Nagelfallen aus dem Autofenster werfen will, sobald die Polizei hinter ihm her sei. Im Internet bestellte er sich Kampf- und Jagdmesser, eine Softair-Pistole und Pfeffersprays, um seine Verfolger abwimmeln zu können. Er verfasst ein Manifest, das seine Verachtung für Ausländer zeigt, und stellt es in einschlägige Internetkanäle.

Am 22. August 2020 will er zur Tat schreiten. Er glaubt, die Planeten und Sterne würden an diesem Tag für ihn günstig stehen. Doch es regnet und er verschiebt sein Vorhaben, der Grund dafür ist zynisch. In der Anklageschrift steht, er habe befürchtet, wegen des schlechten Wetters könnten zu wenig Menschen unterwegs sein.

Am Jahrestag der Anschläge auf das World Trade Center startet er die Amokfahrt

Am 11. September 2020, dem Tag, an dem sich der Anschlag auf das World Trade Center zum 19. Mal jährt, ist es so weit. Kurz nach 16 Uhr startet der Beschuldigte das Video, postet einen Link zum Livestream seiner Handykamera und zu seinem Manifest. Dazu schreibt er «rampage», was soviel wie «Randale machen »oder «angriffsbereit» bedeutet.

Die beiden Mädchen, die an diesem Nachmittag auf ihren Velos hintereinander unterwegs sind, haben einfach nur Pech. Sie sind zur falschen Zeit am falschen Ort. Eine von ihnen hat eine dunkle Hautfarbe, das reicht, damit ist sie für den Beschuldigten eine Ausländerin und somit Zielscheibe. Er streift mit seinem Auto zuerst das Velo des Mädchens, das hinten fährt, sie ist das Bauernopfer. Die Wucht ist so gross, dass die Jugendliche samt Fahrrad in die angrenzende Wiese fliegt.

Der Beschuldigte fährt weiter und ins Hinterrad des vorderen Mädchens. Die 15-Jährige wird über Motorhaube, Windschutzscheibe und Fahrzeugdach auf die Strasse geschleudert, bleibt dort verletzt liegen. Sie muss später mit dem Rettungshelikopter in eine Spezialklinik geflogen werden.

Mit einem japanischen Kampfmesser zwingt er eine Autofahrerin zum Aussteigen

Doch es ist noch nicht vorbei: Der Beschuldigte kracht mit seinem ramponierten Auto erst in einen parkierten Wagen, dann in eine Gartenmauer. Der Motor stirbt ab. Er startet ihn neu, fährt ein paar Meter, sieht dann ein, dass es keinen Sinn hat, und lässt das Auto stehen. Zu Fuss setzt er seinen Wahnsinn fort. Eine Frau, die wegen des Verkehrs anhalten muss, ist sein nächstes Opfer. Er öffnet die Fahrertür und drückt ihr mit der einen Hand ein japanisches Kampfmesser an die Rippen, mit der anderen zerrt er sie aus dem Auto.

Mit dem gekidnappten Wagen fährt er weiter, aus der Amokfahrt wird eine wilde Irrfahrt: Appenzell Ausserrhoden, Innerrhoden, die Stadt St. Gallen, Rorschach, St. Margrethen, Heerbrugg. In Oberriet wendet er das Auto und fährt zurück nach Heerbrugg. Dort stoppt ihn die Polizei.

Seitdem sitzt der Mann im Strafvollzug. Der Staatsanwalt wirft ihm versuchten mehrfachen eventualvorsätzlichen Mord vor. Beantragt ist eine Freiheitsstrafe von 13 Jahren, statt in ein normales Gefängnis soll der Beschuldigte sich einer stationären therapeutischen Massnahme unterziehen. Das Bezirksgericht Arbon hat für die Verhandlung einen ganzen Tag angesetzt.



Das meldete die Polizei am 12. September 2020

Kurz vor 16.30 Uhr waren in Amriswil zwei 15-jährige Velofahrerinnen auf der Freiestrasse in Richtung Zentrum unterwegs, als sie von hinten durch ein Auto angefahren wurden. Nach der Kollision mit den Jugendlichen prallte das Auto in ein parkiertes Fahrzeug. Der Autofahrer fuhr darauf in Richtung Brunnenfeldstrasse davon, wo er den Unfallwagen stehen liess. An der Neumühlestrasse bedrohte der Unbekannte eine 56-jährige Frau mit einem Messer und ergriff mit ihrem Auto die Flucht.

Während die eine Jugendliche mit mittelschweren Verletzungen durch den Rettungsdienst ins Spital gebracht wurde, musste die zweite 15-Jährige mit eher schweren Verletzungen durch die Rega in eine Spezialklinik geflogen werden.

Die Kantonspolizei Thurgau leitete eine umfangreiche Fahndung ein. Kurz nach 22.30 Uhr konnte der Täter mit dem gestohlenen Fahrzeug in Zusammenarbeit mit der Kantonspolizei St. Gallen in Heerbrugg angehalten und festgenommen werden. Die Hintergründe zu den Taten sind Gegenstand der laufenden Ermittlungen. (kapo)
(https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/kanton-thurgau/verbrechen-amokfahrer-steht-heute-in-arbon-vor-gericht-er-wollte-einen-rassenkrieg-anzetteln-und-faehrt-zwei-15-jaehrige-maedchen-an-ld.2448477)



Bezirksgericht Arbon TG: Prozess gegen Amokfahrer
Es hätte die schlimmste Amoktat werden können, welche die Schweiz je erlebte. Der heute 31-jährige Thurgauer hatte alles minutiös geplant. Mit dem Handy wollte er filmen, wie er mit dem Auto in dunkelhäutige und muslimische Menschen fährt, sie dabei verletzt oder tötet. Zum Glück war seine Amokfahrt sehr schnell vorbei – doch zwei Velofahrerinnen waren zur falschen Zeit am falschen Ort. Sie wurden verletzt, haben aber überlebt.
https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/bezirksgericht-arbon-tg-prozess-gegen-amokfahrer?urn=urn:srf:video:4f049e49-35dc-4afb-a950-cfe5d86c8a90


++++HISTORY
«Die Frage ist: Mit welchen Verbrechen hängt unser Reichtum zusammen?»
Die Credit Suisse und ehemalige Kredit¬anstalt ist bald Geschichte. Ein Grund zur Trauer? Nein, sagt Historiker Hans Fässler. Die Geschichte der Bank und ihrer Vorläuferin sei geprägt von einer Kontinuität der Kriminalität und fortlaufender Kooperation mit den schlimmsten Verbrechern.
https://www.republik.ch/2023/05/02/die-frage-ist-mit-welchen-verbrechen-haengt-unser-reichtum-zusammen



nzz.ch 02.05.2023

«Eine unglaubliche Affäre» – die Schweiz und der Judenstempel

Im Mai 1954 deckte der «Beobachter» die Hintergründe des J-Stempels auf – und sorgte für eine erste Aufarbeitung der Flüchtlingspolitik während der Nazizeit. Ein Blick zurück.

Georg Kreis

Es ist ein historischer Moment. Am 7. Mai 1995 entschuldigt sich Bundespräsident Kaspar Villiger in der Sondersession zum Kriegsende vor 50 Jahren für die damalige Schweizer Flüchtlingspolitik – «im Wissen darum, dass solches Versagen letztlich unentschuldbar ist». Und er erwähnt dabei auch, dass sich die Schweiz im Herbst 1938 an der Einführung des sogenannten Judenstempels in deutschen Pässen beteiligt hat: einer Massnahme, um jüdische Bürgerinnen und Bürger, die aus Deutschland und Österreich fliehen wollten, an der Einreise zu hindern.

Bis zu dieser Entschuldigung der Landesregierung muss ein langer Weg zurückgelegt werden. An seinem Anfang steht der Zeitungsartikel «Eine unglaubliche Affäre», den der «Schweizerische Beobachter» am 31. Mai 1954, gestützt auf eben erst bekanntgewordene deutsche Dokumente, veröffentlicht. Als unglaublich erscheint die Angelegenheit aus zwei Gründen: Erstens sind die Hintergründe der Einführung des J-Stempels bis dahin nicht bekannt gewesen, und zweitens ist die restriktive Schweizer Flüchtlingspolitik bereits etwas in Vergessenheit geraten. Die Wirkung des Artikels ist darum gross, weil die Amnesie gross, das heisst die Erinnerung bzw. das aktuelle Wissen in dieser Sache klein ist. In der gleichen Lage sollte sich die Schweiz später wieder finden, als erneut belastende Dokumente von aussen angeliefert wurden: 1960 die Neutralität betreffend, was den Bonjour-Bericht auslösen, und 1996 zu den «nachrichtenlosen Vermögen», was dann zum Bergier-Bericht führen sollte.

«Schwere Vorkriegshypothek»

Die seit den 1930er Jahren phasenweise heftig umstrittene Flüchtlingspolitik figuriert 1954 zunächst nicht mehr auf der Agenda der öffentlichen Debatte in der Schweiz. Während nach 1945 zu zahlreichen Politikbereichen (Bekämpfung undemokratischer Bewegungen, Pressekontrolle, Landesverteidigung, Kriegswirtschaft) amtliche Rechenschaftsberichte in Auftrag gegeben, publiziert und diskutiert worden sind, blieb die Flüchtlingspolitik ausgespart. Zwar gab es auch dazu bereits einen Bericht, doch von seiner Publikation wurde 1951 abgesehen, damit nicht wieder «Unruhe» in eine Frage komme, «die heute wohl im Wesentlichen als geregelt angesehen werden darf».

1954 jedoch löst der «Beobachter» mit seinem Artikel genau diese Unruhe wieder aus. Er legt dar, dass die schweizerische Seite im September 1938 mit der Einführung eines allgemeinen Visumszwangs für Einreisende mit deutschen Pässen (wie im März 1938 für österreichische Pässe bereits eingeführt) gedroht habe, was die deutsche Seite aber vermeiden wollte; und dass Heinrich Rothmund, Leiter der Polizeiabteilung des Justiz- und Polizeidepartements (EJPD), in der Folge auf «eine im Leben unseres Rechtstaates vollkommen neue Idee» gekommen sei, nämlich den Visumszwang auf deutsche Juden mit einer «klar ersichtlichen» Markierung ihrer Pässe zu beschränken.

Der «Beobachter» erwartet von der Schweiz eine Klärung dieser Absprachen und erklärt, sie müsse beweisen, dass es nicht eines Anstosses von aussen bedürfe, bis sie sich mit dieser «schweren Vorkriegshypothek» auseinandersetze. Die NZZ reagiert auf die bekanntgemachte «Ungeheuerlichkeit» gelassen und befindet, dass die vom «Beobachter» aufgebrachte Sache nicht genügend Aktualität und Interesse enthalte, um nach sechzehn Jahren «in aller Breite» darauf zurückkommen zu müssen.

Kopfjagd auf Rothmund?

Im Mai 1954 bringt die sozialdemokratische Fraktion die Passregelung von 1938 sowie die während der Kriegsjahre in der Flüchtlingspolitik eingenommene Haltung in den Nationalrat. Ihr Sprecher, der Zürcher Hans Oprecht, Präsident der SP Schweiz, fordert eine umfassende Abklärung der Flüchtlingspolitik seit 1933 und eine Distanzierung des Bundesrats von der «Brandmarkung» von 1938. Der einen Erwartung entspricht die Landesregierung, indem sie im Juli 1954 den ehemaligen Basler Polizeidirektor und Rechtsprofessor Carl Ludwig beauftragt, eine «objektive und möglichst umfassende Darstellung» der Flüchtlingspolitik zu erarbeiten.

Die zweite Erwartung bleibt hingegen unerfüllt. Bundesrat Markus Feldmann, Chef des EJPD, bestreitet die Mitwirkung an der deutschen Visumsregelung und sieht darum auch keinen Grund für eine Entschuldigung. Es sei allzu billig, aus den wesentlich einfacheren Verhältnissen von 1954 die im Landesinteresse 1938 getroffenen Massnahmen zu kritisieren. Zudem seien die Passregelung und die Art der Grenzkontrolle im November 1938 im Nationalrat bereits einmal eingehend erörtert worden. Die Vorwürfe an Rothmunds Adresse tut er als «Kopfjägerei» ab.

Die bundesrätliche Stellungnahme vom Juni 1954 folgt weitgehend der Darstellung, die der direkt angegriffene Polizeidirektor Rothmund bereits am 1. April 1954 in einem siebenseitigen, vom Bundesrat gutgeheissenen Exposé der Presse hat zukommen lassen. Darin erklärt er bezogen auf den J-Stempel: «Die Schweiz hatte damit nichts zu tun.» Dies ist schon deswegen unzutreffend, weil die Initiative für die Schaffung einer neuen Passregelung eindeutig von der Schweiz ausging. Was Rothmund zu seinem persönlichen Anteil an der letztlich getroffenen «Lösung» festhält, trifft hingegen zu: Mehrfach hat er sich gegen eine ausschliesslich gegen Juden gerichtete Massnahme ausgesprochen. Der Bundesrat habe die Abmachung trotzdem genehmigt, womit er von der Verantwortung entlastet sei.

Verantwortung und Schuld

Der «Beobachter» hat Rothmund in diesem Fall ungerechtfertigt zum Hauptverantwortlichen erklärt und zudem, wie später ausgeschlachtet wird, in einem Punkt einen den deutschen Akten entnommenen Satz irrtümlich ihm und nicht dem deutschen Gesandten in Bern, Otto Köcher, zugeschrieben. Dennoch ist Rothmunds damaliges Handeln sehr wohl problematisch: Es beschränkt sich nicht auf das technokratische Management des Flüchtlingswesens, sondern weist eine antisemitische Grundierung auf. Das zeigt etwa seine Formulierung vom September 1938, das Land solle vor der «Verjudung» geschützt werden.

Auf schweizerischer Seite sind 1938 mehrere Akteure beteiligt. In früheren Rückblicken auf die Einführung dieser Passregelung bleibt Bundesrat Johannes Baumann, Vorsteher des Justiz- und Polizeidepartements, sonderbar unbeachtet, obwohl er die Passfrage in den Bundesrat gebracht hat. Und der für die Aussenpolitik zuständige Bundesrat Giuseppe Motta hat Rothmund offenbar zu verstehen gegeben, dass er seine «kleinen Skrupel» in dieser Sache ruhig zurückstellen könne. Nicht erstaunlich, dass der anpassungsfreudige schweizerische Gesandte in Berlin, Hans Frölicher, im August 1938 «unbedingt» eine Regelung fordert, die es ermöglicht, einreisende Emigranten zu «sieben».

Der irrtümlich auf Rothmund zugespitzten «Beobachter»-Publikation kommt das grosse Verdienst zu, eine erste Debatte zur Klärung der schweizerischen Flüchtlingspolitik während der NS-Zeit eingeleitet zu haben. Ohne sie gäbe es den allseits gelobten Ludwig-Bericht nicht. Eine wichtige Grundlage für diesen ist – Ironie der Geschichte – der bereits bestehende, 1951 aber unterdrückte Bericht.

Der im September 1957 veröffentlichte Ludwig-Bericht geht nicht auf die Frage ein, wer auf schweizerischer Seite welche Verantwortung für die Passregelung von 1938 hatte. Das wird vom nationalrätlichen Berichterstatter in der anschliessenden Parlamentsberatung vom Januar 1958 bemängelt. Alles in allem findet die restriktive Flüchtlingspolitik der Jahre 1933 bis 1945 aber viel Verständnis. Der Bericht wird ohne explizite Bewertung zur Kenntnis genommen, und die Vergangenheit wird ad acta gelegt. Zu erneuten Auseinandersetzungen und wesentlich kritischeren Beurteilungen kommt es erst in den 1960er und 1990er Jahren und in diesem Zug auch zu Bundespräsident Villigers Entschuldigung von 1995.

Georg Kreis ist Autor einer ausführlichen Studie zum Thema: Die Rückkehr des J-Stempels. Zur Geschichte einer schwierigen Vergangenheitsbewältigung. Chronos-Verlag, 2000.
(https://www.nzz.ch/schweiz/eine-unglaubliche-affaere-die-schweiz-und-der-judenstempel-ld.1735687)