Von Frontex, über das Mittelmeer und die Balkanroute, zu den Bundesasylcamps

Was ist neu?

Balkanroute: steigende Zahlen, schlimmere Bedingungen

Ein Video dokumentiert Gewalt von serbischen Grenzbeamten: Zwei Menschen werden mit einem Schlagstock brutal verprügelt. In Bosnien-Herzegowina wartet ein potenzielles Abschiebegefängnis auf seine Inbetriebnahme: Finanziert von EU-Geldern und gebaut von einer österreichischen Firma in der Hand eines rechten Politikers.

Trotz der dokumentierten Gewalt und der systematischen Push-Backs an den osteuropäischen Grenzen auf der sog. Balkanroute ist die Zahl der Menschen, die versuchen über diese Fluchtroute in die EU zu gelangen, im letzten Jahr angestiegen. Gleichzeitig haben sich die Bedingungen verschlechtert, wie z.B. ein Sprecher der humanitären Organisation Rotes Kreuz attestiert. Er spricht von “unvorstellbarem Leid und vermeidbaren Todesfällen“.

Erst letzte Woche wurde in den sozialen Medien ein Video veröffentlicht, das die Grenzgewalt verdeutlicht. Das Video zeigt, wie am Grenzübergang Mali Zvornik zwischen Serbien und Bosnien zwei auf dem Boden kniende geflüchtete Männer von einem weissen Grenzbeamten brutal mit einem Schlagstock verprügelt werden, während ein weiterer weisser Grenzbeamter daneben steht. Die Organisation SOS Balkanroute hat Strafanzeige bei der serbischen Staatsanwaltschaft eingereicht. Sie erhoffen sich allerdings nicht viel davon: „Wie wir die bisherige Handhabung in Serbien, Bosnien-Herzegowina und Kroatien kennen, werden die Täter wieder straffrei davonkommen.“ Des weiteren prangern sie auch die österreichische Regierung an, sich im sog. Kampf gegen ‚illegale Migration‘ mit den Systemen von Vučić und Orban zu verbünden und sich somit mitverantwortlich für die Grenzgewalt zu machen. Sie verweisen auch darauf, dass österreichische Polizeibeamt*innen an der serbisch-mazedonischen Grenze, sowie an der ungarisch-serbischen Grenze stehen, wo „nachweislich tausende Geflüchtete geschlagen und verletzt werden.“

Auch bei Rechtsverletzungen in Bosnien haben die österreichische Regierung und die EU ihre Finger mit im Spiel. Mit 500’000 EUR hat die EU-Kommission einen Internierungstrakt im Camp in Lipa im Kanton Una Sana finanziert. Gebaut wurde der Trakt vom International Centre for Migration Policy Development (ICMPD) mit Sitz in Wien. Der Leiter des ICMPD ist Michael Spindelegger, Österreichs Ex-Vizekanzler und Mitglied der konservativen Österreichischen Volkspartei. Nun hat weder das bosnische Sicherheitsministerium, noch der zuständige Kanton die Baubewilligung erteilt. Laut EU-Kommission sei die Ausländerbehörde in Sarajevo zuständig, doch deren Sprecher berichtet, dass für den Betrieb des Internierungstrakts eine Rechtsgrundlage fehle.

Dass für sehr viele Praxen an den EU-Grenzen eine Rechtsgrundlage fehlt, rechtsfreie Zonen in Grenzgebieten errichtet werden oder Gesetze in Ländern verankert werden, welche gegen internationales Asyl-Recht verstossen, ist leider eine bittere Wahrheit. Deswegen sind viele Organisationen und (geflüchtete) Aktivist*innen auch alarmiert: Sie befürchten, dass in diesem Internierungstrakt ein Abschiebegefängnis entstehen soll. Offiziell soll der Trakt zwar der Internierung von sog. „Unruhestifter*innen“ aus dem Camp dienen. Doch die Lagerleitung berichtet kaum von Vorfällen. Und der ungarische EU-Erweiterungskomissar Olivér Várhelyi kündigte bei seinem letzten Besuch im November ein Pilotprojekt in Lipa an und, dass „die falschen Asylbewerber so lange festgehalten werden müssen, bis sie in ihre Herkunftsländer zurückkehren“. Die Gefahr besteht nun, dass Bosnien-Herzegowina als Abschiebezone für die EU dienen soll, während als Belohnung ein EU-Beitritt winkt. So könnten Menschen im Internierungstrakt des Lagers festgehalten und anschliessend abgeschoben werden, noch bevor sie die EU erreicht haben. Maximal 72 Stunden sollen laut EU Menschen inhaftiert werden dürfen. Doch in 72 Stunden ein Asylverfahren durchzuführen und das Recht auf Asyl einer Person zu prüfen, ist unmöglich.

https://kurier.at/mehr-platz/video-serbien-polizei-gefluechtete-grenze/402423200
https://www.tagesschau.de/ausland/europa/migration-internierung-bosnien-101.html
https://www.infomigrants.net/en/post/48427/red-cross-highlights-worsening-conditions-on-balkan-and-mediterranean-migration-routes

Mittelmeer: Hunderte Menschen sterben in weniger als zwei Wochen

Mindestens 319 tote und vermisste Menschen an den europäischen Seeaussengrenzen in den vergangenen 10 Tagen. Dreihundertneunzehn. Vermutlich ist diese Liste noch nicht einmal vollständig. Dazu tunesische Behörden, die Motoren stehlen, maltesische Behörden, die Zahlen verheimlichen, italienische Behörden, die weit entfernte Häfen zuweisen. Ein Überblick.

Bild: Fast 300 Menschen haben im Mittelmeer ihr Leben verloren – in nur zehn Tagen. Durch die tödliche europäische Abschottungspolitik.

18. April:

  • 15 vermisste  Menschen aus Tunesien nach einem Schiffbruch vor den Kerkenna-Inseln, Tunesien
  • 42 Tote und 18 Vermisste vor Sabrata, Libyen
  • 1 Mann ertrunken, 55 Überlebende nach Such- und Rettungseinsatz vor Lampedusa
  • Auf einem Boot mit 286 Menschen, das vor Lampedusa gerettet wird, befindet sich eine Leiche

19. April:

  • 5 Menschen aus Bangladesch sterben bei einem Such- und Rettungseinsatz in der Nähe von Zliten, Libyen
  • 19 Menschen sterben bei einem Schiffbruch auf der Route zu den Kanarischen Inseln, darunter 1 Mädchen
  • 1 Mann stirbt bei einem Schiffbruch südlich der griechischen Halbinsel Peloponnes, mindestens 10 Vermisste

20. April:

  • 19 Leichen werden in die Leichenhalle von Sfax, Tunesien, gebracht

21. April:

  • 1 tote Person in Susah, Libyen, gefunden

22. April:

  • 13 Leichen werden in die Leichenhalle von Sfax, Tunesien, gebracht

23. April:

  • 26 Leichen werden in die Leichenhalle von Sfax, Tunesien, gebracht

24. April:

  • 1 Toter, 21 Vermisste in der Nähe von Lampedusa
  • 4 Vermisste, 41 Überlebende nach SAR-Einsatz vor Lampedusa
  • 6 Vermisste, 38 Überlebende nach SAR-Einsatz vor Lampedusa
  • 31 Leichen werden in die Leichenhalle von Sfax, Tunesien, gebracht
  • 1 tote Frau aus Guinea, 35 Überlebende, ebenfalls nach SAR-Einsatz bei Lampedusa

25. April:

  • 10 Tote (9 Männer, 1 Kind), 45 Vermisste vor der Küste von Garaboulli
  • 32 Leichen werden in die Leichenhalle von Sfax, Tunesien, gebracht

26. April:

  • 7 Leichen werden in die Leichenhalle von Sfax, Tunesien, gebracht

Es ist das tödlichste Jahr auf der zentralen Mittelmeerroute seit sechs Jahren, erklärte in der vergangenen Woche die Internationale Organisation für Migration (IOM)*. Die katalanische NGO Open Arms hat am Freitag, den 28. April auf ihrer Mission im zentralen Mittelmeer eine weitere Leiche gefunden.

Während die tunesischen Behörden angeben, in den ersten drei Monaten dieses Jahres 14’000 Migrant*innen aufgegriffen oder gerettet zu haben, tragen sie die Mitschuld an Schiffbrüchen. Migrant*innen und das Alarm Phone berichten, dass Mitarbeitende der Küstenwache systematisch Motoren ausgebaut und die Boote auf dem Meer treibend zurückgelassen haben. Oft kämen sie Stunden später zurück, um die Menschen von den Booten aufzunehmen und nach Tunesien zurückzubringen. Dabei fuhren die Schiffe der Küstenwache auch schon gefährliche Manöver, die Menschenleben kosteten: “Wenn sie das Wasser aufwirbeln, geraten die Menschen in Panik und das Boot kippt um. Sie können einige Menschen retten, aber nicht alle,” berichtet ein Zeuge.

Undurchsichtig ist auch die Arbeit der maltesischen Behörden. NGOs weisen diesen immer wieder Pushbacks und unterlassene Hilfeleistung gegenüber Booten in Seenot nach. Die Zeitung «Times of Malta» versucht deshalb bereits seit über einem Jahr von den maltesischen Streitkräften Zahlen zu ihren Einsätzen zu erhalten. Wie viele Menschen wurden von ihnen in der Such- und Rettungszone gerettet? Wie viele von ihnen sind in Malta an Land gegangen oder nach Italien und Libyen gebracht worden? Trotz europäischer Gesetzgebung zur Informationsfreiheit weigern sich die Behörden zur Herausgabe der geforderten Daten: Diese Zahlen würden die nationale Sicherheit gefährden.

Italien verfolgt weiter seine Politik der weit entfernten Häfen. Nachdem vergangene Woche erneut einem zivilen Rettungsschiff ein 1’600 km entfernter Hafen zugewiesen wurde, haben die Seenotrettungsorganisationen SOS Humanity, Mission Lifeline und Sea-Eye in Rom Klage gegen das Verkehrsministerium, das Innenministerium, das Verteidigungsministerium und das Regierungspräsidium eingereicht. Die tagelange Fahrt zu einem Hafen ist für die geretteten Menschen eine starke physische und psychische Belastung. Sie widerspricht dem geltenden internationalen Seerecht, das einen Abschluss des Rettungseinsatz beim nächstmöglichen sicheren Hafen vorsieht.

https://www.infomigrants.net/en/post/48464/scores-of-migrants-drowned-off-tunisian-libyan-coasts
https://www.freitag.de/autoren/oezge-inan/interview-italien-seenotretter-ziehen-gegen-melonis-behoerden-vor-gericht
https://www.infomigrants.net/en/post/48451/authorities-hiding-sea-rescue-operation-figures-times-of-malta
https://www.facebook.com/100064361666509/posts/pfbid0MCxzdkGUfwUMkCR3haaqt3u9yGMzLG7rGEdywEUU8JvpoufT5Lmhvpedo6cRCApBl/?d=n
https://twitter.com/MissingMigrants/status/1651569365299372032
https://www.iom.int/news/deadliest-quarter-migrants-central-mediterranean-2017
https://twitter.com/daphnetoli/status/1649042373224157186
https://twitter.com/HelenaMaleno/status/1648764340521033753

Was geht ab beim Staat?

Ende für erleichterte Visa für Erdbebenbetroffene

Das SEM will nach Angaben der NZZ das Visa-Programm für Menschen aus Syrien und der Türkei Mitte Mai beenden. Nach den schweren Erdbeben Anfang Februar konnten Betroffene, die enge Verwandte in der Schweiz haben, beschleunigt ein 90-Tage-Visum erhalten. Schon in den ersten Tagen wurden über 2’000 Anträge gestellt. Bis heute haben lediglich 59 Personen aus Syrien und 239 Menschen aus der Türkei ein Visum erhalten. Nun ist die Begründung des Visa-Aus das angeblich sinkende Bedürfnis danach. 

Das Visumgesuch war von Anfang an mit hohen Hürden verbunden, wie sie in der Schweizer Bürokratie so üblich sind. Aufgrund der «Schweizer Sicherheit» müssen die Gesuchsteller*innen ihren Pass vorweisen, was nach einem Erdbeben mit mehr als 59’000 Toten und über 125.000 Verletzten für viele wohl nicht möglich war. Zudem mussten sie beweisen, dass ihre Eltern, Geschwister oder Kinder in der Schweiz genug Geld verdienen, um vollständig für sie aufzukommen.

https://bajour.ch/a/clgw1uwpw3246454ix07wae26f/unverstaendnis-fuer-visum-entscheid
https://magazin.nzz.ch/nzz-am-sonntag/schweiz/es-kamen-vor-allem-grosseltern-aus-dem-erdbebengebiet-ld.1734703

NKVF: Zustände Bundesasylcamps verstossen gegen die UN-Kinderrechtskonvention

Die ORS-AG und andere Betreiber*innen der Bundesasylcamps seien nicht in der Lage, „eine persönliche und kontinuierliche Begleitung der unbegleiteten asylsuchenden Jugendlichen zu gewährleisten“. So steht es im neuen Bericht der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF). Ihr zufolge „verletzen das SEM als gesamtverantwortliche Behörde und die von ihm beauftragten Betreuungsunternehmen das übergeordnete Kindsinteresse der unbegleiteten asylsuchenden Jugendlichen sowie ihr Recht auf Schutz, ihr Recht auf Ruhe und Freizeit, auf Spiel sowie altersgemässe aktive Erholung.“

Bild: Das SEM vernachlässigt sog. UMAs und PUMAs.

Die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) hat den Auftrag, unmenschliche Behandlung von Personen im Freiheitsentzug zu verhindern. In diesem Rahmen besuchte die NKVF zwischen Februar 2021 und Oktober 2022 ohne Voranmeldung insgesamt 17 Bundesasylcamps. Ein spezielles Augenmerk galt den unbegleiteten minderjährigen Jugendlichen (UMA). Die Ergebnisse sind erschütternd:

  • Ausschlussmöglichkeiten von altersspezifischen Aktivitäten: Sobald eine Person als sogenannt provisorisch unbegleitete minderjährige asylsuchend (PUMA) eingestuft wird oder sobald ein negativer Asylentscheid vorliegt und der Transfer in ein Abschiebecamps erfolgte, werden sämtliche sozialpädagogischen Betreuung, die alterspezifischen Aktivitäten sowie das Recht auf Bildung eingestellt.
  • Mangelnde Sicherheit für weiblich gelesene minderjährige Geflüchtete: Ein Teil der weiblichen UMAs müssen mit erwachsenen Frauen den Schlafraum teilen. Andere verfügen zwar über eigene Schlafräume, doch diese befinden sich auf einem Stockwerk neben Schlafräumen mit bis zu 70 männlich gelesen unbegleiteten Jugendlichen. Beides sei problematisch, kritisiert die NKVF. Zudem erhalten die männlich gelesenen UMAs mehr Aufmerksamkeit vom Personal, was dem „Recht auf Ruhe und Freizeit, auf Spiel und altersgemässe aktive Erholung“ der weiblichen UMAs schade.
  • Mangelhafte sozialpädagogische Betreuung: Für die NKVF gleicht die sonderpädagogische Arbeit in den Bundesasylcamps eher dem Verwalten als dem Betreuen von Jugendlichen. Beispielsweise sei das sonst in Institutionen für Kinder und Jugendliche übliche Bezugspersonensystem „aufgrund der hohen Fallzahlen, und weil viele Stellen für sozialpädagogische Mitarbeitende nicht besetzt werden können, nicht mehr umsetzbar“.
  • Bestrafungen wie bei Erwachsenen: In einem Handbuch zum Umgang mit UMA fordert das SEM die Sozialpädagog*innen auf: „bei wiederholten oder schwereren Verstössen gegen die Hausordnung soll das gleiche Sanktionssystem wie bei erwachsenen asylsuchenden Personen Anwendung finden“. Die Sozialpädagog*innen bestrafen laut NKVF nicht überall gleich. Negativ sticht das Bundesasylcamp Bern heraus, wo UMAs teilweise ausgeschlossen wurden und bei der Loge übernachten mussten. Die häufigste Bestrafung besteht darin, das Bargeld zu entziehen, obwohl dies sehr einschneidend sein kann.
  • Suizid und Selbstverletzung als Alltag: In den Bundesasylcamps traf die NKVF „immer wieder auf Jugendliche, bei denen – meist an den Armen – Narben sichtbar waren.“ Mitarbeitende gaben an, dass sich die Suizidversuche und Selbstverletzungen häufen, wenn ein negativer Asylentscheid gefallen sei oder wenn unbegleitete asylsuchende Jugendliche als volljährig eingestuft wurden.

Laut SEM betreffen diese Missstände rund 1700 unbegleiteten jugendlichen Asylsuchenden in den Bundesasylcamps. Nach wie vor fehlen für die Betreuung über 60 Vollzeitstellen. Mit schneller Verbesserung ist trotzdem nicht zu rechnen, denn trotz krasser Missständenund krasser Verstösse gegen internationales Recht zeigen die wenigsten Entscheidungsmächtigen Interesse.

https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-94504.html
https://www.fluechtlingshilfe.ch/medienmitteilungen/uma
https://www.srf.ch/audio/echo-der-zeit/antifolter-kommission-kritisiert-umgang-mit-umas?partId=12375537
https://www.srf.ch/news/schweiz/minderjaehrige-asylsuchende-kommission-kritisiert-den-bund-wegen-mangelnder-betreuung
https://www.toponline.ch/news/schweiz/detail/news/kommission-kritisiert-mangelnde-betreuung-von-minderjaehrigen-00210722/

Was tut Frontex?

Frontex: Wozu der Schweizer Beitrag dient

“Fast ein Jahr ist es her. Am 15. Mai 2022 stimmte die Stimmbevölkerung über die weitere Beteiligung der Schweiz an der EU-Grenzschutzagentur Frontex ab. Das Ergebnis war mit 71,5 Prozent Ja-Stimmen schliesslich überdeutlich. Aber immerhin ging der Abstimmung eine einzigartige und pointiert linke Kampagne voraus – aus der ausserparlamentarischen Ecke, die sich ohnehin mehr für Diskursverschiebungen als für Parlamentsentscheide interessiert.”

Ein Beitrag der WOZ

“Und es gelang ihr mit ihrer Kampagne tatsächlich, die Verbrechen der Agentur genauso zum Thema zu machen wie den Beitrag der Schweiz dazu. Dass sie diesen leistet, war vor der besagten Kampagne wohl erst den wenigsten überhaupt bekannt. Geschweige denn die Details: dass die Schweiz bis 2027 einen jährlichen Beitrag von schätzungsgemäss über siebzig Millionen Franken an die Pushbackagentur leisten wird.

Umso frustrierender ist es, dass das Thema Frontex seither in der Medienlandschaft wieder fast so stiefmütterlich behandelt wird wie zuvor. Dabei hat sich an der Ausgangslage wenig geändert. Zwar wurde Fabrice «Lügeri», der Direktor, mittlerweile durch den niederländischen Polizeioffizier Hans Leijtens ersetzt. Ansonsten bleibt alles beim Alten: Die Zeichen stehen auf Abwehr um jeden Preis.

Das zeigt der Beschaffungsplan von Frontex für die Jahre 2023 bis 2027, der zwar schon im Februar beschlossen, aber erst jetzt von der Organisation Statewatch ausführlich beleuchtet wurde. Zur Erinnerung: Die Ausgaben, die das Management Board von Frontex beschlossen hat, werden auch von der Schweiz mitgetragen. Das sind also auch eure Steuergelder – eingesetzt für menschenverachtende Abschottungspolitik.

Konkret rechnet Frontex schon jetzt mit Millionen zur Einrichtung eines «Fährendiensts» zwischen Griechenland und der Türkei. Um schnelle Rückführungen durchziehen zu können, sobald der EU-Türkei-Deal wieder umgesetzt wird – seit 2020 verweigert die Türkei die Kooperation mit Griechenland bei der Rückübernahme Geflüchteter.

40 Millionen Euro will Frontex darüber hinaus für Charterflüge ausgeben, um damit Massenausschaffungen durchzuführen. Und 180 Millionen Euro sollen für neues Überwachungsgerät ausgegeben werden: Infrarotkameras, Drohnen, Helikopter und so weiter. Insgesamt will die Agentur bis 2027 Technologie, neues Gerät und neue Software im Wert von fast 600 Millionen Euro beschaffen. Dem stehen 2,8 Millionen Euro gegenüber, die sie zwischen 2020 und 2022 für Grundrechtsfragen aufgewendet hat.”

https://www.woz.ch/zoo/2023/04/25/frontex-wozu-der-schweizer-beitrag-dient

Was nun?

Motion gegen Hakenkreuz und Hitlergruss

Die Motion von Marianne Binder-Keller sei nun in der Sondersession nächste Woche traktandiert, schreibt die GRA. Für die Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus «ist es von grosser Bedeutung, dass diese Motion vom Parlament angenommen wird». Eine Ablehnung des Vorstosses wäre verheerend und ein Rückschritt in Bezug auf die Prüfung einer eigenständigen gesetzlichen Grundlage durch den Bundesrat.
https://act.campax.org/petitions/verbot-von-nazisymbolik

Wo gabs Widerstand?

Gedenken an Jamilia, ermordert vom Patriarchat und dem Schweizer Asylsystem

Am 23.04.22 wurde Jamilia in Büren an der Aare Opfer eines Feminizids. Zum Jahrestag trafen sich Freund*innen und Mitfühlende zum Gedenken an sie. Wir teilen die Forderungen des Kollektivs Offensive contre les féminicides – Offensiv gegen Feminizide.

Jamilia, wir vergessen dich nicht. Du lebst in unserem Kampf weiter!”

“Vor einem Jahr, in der Nacht vom 23. auf den 24. April 2022 wurde Jamilia, eine aus Afghanistan geflüchtete Frau und Mutter von fünf Kinder, in der Asylunterkunft in Büren an der Aare, Kanton Bern, von ihrem Ehemann erstochen. Am letzten Sonntag, dem 23. April 2023, haben wir uns im Stadtpark von Biel getroffen, um uns an Jamilia zu erinnern.

Letztes Jahr wurde ein offener Brief an das SRK, die Kantonspolizei Bern und den Migrationsdiest Bern gesandt, in dem darauf hingewiesen wurde, dass Jamilia, die hier in der Schweiz Schutz suchte vor der Gewalt, die sie in Afghanistan erlebte, schon Monate vor ihrem Tod auf die Gewalttätigkeit ihres Mannes aufmerksam gemacht hatte. Das SRK hat weder auf den offenen Brief noch auf eine Protestkundgebung vor seinem Gebäude in Zollikofen im August 2022 reagiert. Der Feminizid an Jamilia war der extremste Fall von patriarchaler Gewalt in einer Asylunterkunft, aber bei Weitem kein Einzelfall. Sexualisierte und patriarchale Gewalt an Menschen, die hier in der Schweiz Schutz und Sicherheit suchen, sind omnipräsent und können und müssen verhindert werden. Wir wiederholen unsere Forderungen an das SRK und an alle anderen Organisationen, die für Asylunterkünfte zuständig sind:

  • sofortige und aktive Information zum Thema patriarchale Gewalt in den Asylzentren (mindestens Plakate in verschiedenen Sprachen, Information zu externen Unterstützungsangeboten und Kontakte zu Fachstellen; Erarbeitung der Plakate in Absprache mit einer Fachstelle)
  • systematische und regelmässige Informationsarbeit durch Fachstellen wie z.B Lantana, FIZ oder Brava,
  • Erarbeitung eines Leitfadens und von Prozessen dem Umgang mit patriarchaler Gewalt und Feminiziden,
  • eine externe Meldestelle für Beschwerden gegen die Asylleitung und die Angestellten
  • Zugang der Zivilgesellschaft zu den Lagern, zum Beispiel durch die Gruppe «Stop Isolation»

Die Schweizer Asylpolitik an sich ist grundlegend menschenverachtend und rassistisch und setzt die Menschen, insbesondere Frauen, trans und queere Menschen, immer wieder gewaltvollen Situationen aus. Damit sie in ihren Unterkünften nicht auch noch patriarchale Gewalt erleben müssen, sollen die oben genannten Forderungen auch Bedingung werden in allen Mandaten zur Arbeit mit Geflüchteten (ORS, Rotes Kreuz etc.).

https://ocf-ogf.ch/de/jamilia-wir-vergessen-dich-nicht/
https://twitter.com/gegen_oben/status/1650518370507190281

Lesens -/Hörens -/Sehenswert

Wo ich wohne
Keine Fenster, komplette Isolation: Die Situation von Tomas zeigt, wie prekär kleine Gemeinden die ihnen zugeteilten Geflüchteten unterbringen.
https://www.papierlosezeitung.ch/de/artikel/wo-ich-wohne

Cops in der Krise
Ein Untersuchungsbericht bescheinigt dem Londoner Metropolitan Police Service Rassismus, Frauenfeindlichkeit und Homophobie. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Polizei der Hauptstadt ist geringer denn je.
https://jungle.world/artikel/2023/16/cops-der-krise

Serie zur Anastsia-Bewegung
Teil 1: Arier- und Ahnenkult
Der völkisch-esoterische Anastasia-Kult dehnt sich über sogenannte Familienlandsitze oder Ahnenhöfe bundesweit aus. Der politische Hintergrund der russlandfreundlichen Landeroberer wird oft zu spät erkannt.
https://www.endstation-rechts.de/news/arier-und-ahnenkult
Teil 2: Russische Einflussnahme
Der Anastasia-Kult in Europa ist als Teil eines Reichsbürger-nahen, esoterisch-völkischen Netzwerkes zu betrachten, in dem prorussische Drahtzieher unauffällig die Fäden ziehen.
https://www.endstation-rechts.de/news/russische-einflussnahme
Teil 3: Kampf gegen Bildung
Rechtsoffene Schulgründungsinitiativen orientieren sich an der russischen Schetinin-Pädagogik und deren deutschen Nachahmern. Es wird behauptet, Geschichte sei eine „erfundene Wissenschaft“. In Österreich und der Schweiz gibt es bereits genehmigte Schulen. „Die Lage wird dramatischer“, lautet eine Warnung.
https://www.endstation-rechts.de/news/kampf-gegen-bildung

Frauen auf der Flucht: »Niemand hat mich gefragt, wie es mir geht«
Derya* ist eine junge Frau aus dem Nordirak. Als sie mit ihrem Mann im Oktober 2021 Deutschland erreicht, ist sie schwanger, geschwächt und traumatisiert. Sieben Wochen nach ihrer Ankunft verliert sie ihr Kind. Deryas Geschichte wirft ein Schlaglicht auf die mangelnde Identifizierung und Versorgung vulnerabler Menschen im deutschen Aufnahmesystem.
https://www.proasyl.de/news/frauen-auf-der-flucht-niemand-hat-mich-gefragt-wie-es-mir-geht/

Shadow Game
Ein Film, der versucht, die Perspektive junger People on the move in den Fokus zu rücken. Dies wird stilistisch umgesetzt durch die Verwendung von Go-Pro-Kameras und Handy-Selbstaufnahmen mit persönlichen Einschätzungen der Menschen zum unmittelbar Erlebten. Ein authentischer Film, der persönliche Erfahrungen und Wünsche beeindruckend fassbar macht.
https://www.srf.ch/play/tv/srf-school/video/shadow-game?urn=urn:srf:video:cd8f42b3-7a87-4fdf-bbea-8a90c62b3853