Medienspiegel 20. April 2023

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/

+++WAADT
Encore un vol spécial vers la Croatie : la cruauté des autorités vaudoises n’a pas de limite !
Renvoi Dublin d’une personne extrêmement vulnérable vers la Croatie. Le canton de Vaud, son service de la population et sa police responsables de graves violences.
 A l’aube du 19 avril, F. a été arrêté au foyer EVAM d’Yverdon, directement emmené à l’aéroport et mis à bord d’un vol spécial pour la Croatie. Un avion spécialement affrété, des contraintes physiques et une large présence policière pour un homme au risque suicidaire très élevé : nous dénonçons avec véhémence cette violence largement disproportionnée, ces mesures inhumaines, indignes et immorales, sans parler du coût financier et écologique de l’opération.
https://renverse.co/infos-locales/article/encore-un-vol-special-vers-la-croatie-la-cruaute-des-autorites-vaudoise-n-a-pas-3987


+++MITTELMEER
Tunesien ist kein sicherer Drittstaat
Mindestens 600 Menschen starben seit anfangs Jahr auf der Flucht über das Mittelmeer – ein neuer, trauriger Rekord seit dem Jahr 2017. Den Grund dafür verorten Seenotrettungsorganisationen und Nichtregierungsorganisationen insbesondere in der umstrittenen Zusammenarbeit der EU mit den Ländern südlich des Mittelmeers.
https://rabe.ch/2023/04/19/tunesien-ist-kein-sicherer-drittstaat/


Dutzende Migranten in Griechenland und auf Zypern angekommen
In Griechenland und auf Zypern sind Dutzende Migranten angekommen. Einige davon waren zuvor auf Grund gelaufen.
https://www.nau.ch/news/europa/dutzende-migranten-in-griechenland-und-auf-zypern-angekommen-66477454


+++EUROPA
Migrationsreform der EU: Soli-Pool statt Verteilmechanismus
Die geplante EU-Migrationsreform nimmt Gestalt an. Kritiker*innen warnen vor einer Einschränkung des Asylrechts und mangelhaftem Datenschutz.
https://taz.de/Migrationsreform-der-EU/!5929337/


+++GASSE
Das Strassenmagazin «Surprise» wird 25
Das Surprise ist das grösste Strassenmagazin der Deutschschweiz und wird heute 25 Jahre alt. Insgesamt 500 Personen verkaufen das Magazin an Schweizer Bahnhöfen oder auf der Strasse und bessern sich so ihren Lebensunterhalt auf. Eine von ihnen ist Lisbeth. Ich treffe sie am Bahnhof in Bern. Seit einer Stunde verkauft sie hier das Strassenmagazin. Das Geschäft läuft heute nicht besonders gut, bisher hat sie erst ein Surprise verkauft. «Es ist etwas langweilig heute, viele sind in den Ferien», meint Lisbeth. Ein Heft kostet sechs Franken – die Hälfte davon, also drei Franken, gehen direkt an den Verkäufer oder die Verkäuferin. Das ist so im Arbeitevertrag geregelt, den der Verein mit den Verkäufer:innen abschliesst.
https://rabe.ch/2023/04/20/das-strassenmagazin-surprise-wird-25/


Revidiertes Reglement: Thun schiebt organisierter Bettelei Riegel vor
Die Stadt Thun verbietet das organisierte und gewerbsmässige Betteln. Per 1. Mai tritt das revidierte Polizeireglement in Kraft.
https://www.baerntoday.ch/bern/region-bern/thun-schiebt-organisierter-bettelei-riegel-vor-151101470


Gewalt auf der Dreirosenmatte (ab 16:56)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/fcb-fans-muessen-nizza-definitiv-fern-bleiben?id=12373527


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
MEDIENSPIEGEL RÄUMUNG WALDBESETZUNG RÜMLANG ZH:
-> https://twitter.com/waldstattschutt
-> https://waldstattschutt.noblogs.org/
-> https://www.tagesanzeiger.ch/wird-das-besetzte-waldstueck-in-ruemlang-heute-geraeumt-283946532210
-> https://www.20min.ch/story/polizei-raeumt-besetzes-waldstueck-486455812215
-> https://www.nzz.ch/zuerich/besetztes-waldstueck-in-ruemlang-polizei-beginnt-mit-raeumung-ld.1734424
-> https://www.zueritoday.ch/zuerich/kanton-zuerich/besetzer-in-baeumen-verschanzt-polizei-sondereinheit-diamant-gesichtet-151099904?autoplay=true&mainAssetId=Asset:151101323
-> https://www.toponline.ch/news/winterthur/detail/news/waldbesetzer-in-ruemlang-zh-rechnen-mit-raeumung-1-00210426/
-> https://www.watson.ch/schweiz/z%C3%BCrich/293796042-besetzter-wald-in-ruemlang-wird-geraeumt-aktivisten-kuendigen-demo-an
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/waldbesetzer-in-rumlang-zh-rechnen-mit-raumung-66477178
-> https://www.blick.ch/schweiz/zuerich/protest-gegen-baumfaellung-waldbesetzer-in-ruemlang-zh-rechnen-mit-raeumung-id18503913.html
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/zuercher-gemeinderat-will-rechtsextremismus-aufklaerung-an-schulen?id=12373281 (ab 04:29)
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/polizei-raeumt-besetztes-waldstueck-in-ruemlang?id=12373398
-> https://twitter.com/gegen_oben/status/1648940388688822272
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/waldbesetzung-vor-dem-ende-polizei-raeumt-besetztes-waldstueck-in-ruemlang
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/ausbau-bahnhof-stadelhofen-dauert-laenger-als-erwartet?id=12373602 (ab 07:54)
-> https://www.zh.ch/de/news-uebersicht/medienmitteilungen/2023/04/230420_ruemlang_waldbesetzung.html
-> https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/schweiz-aktuell-vom-20-04-2023?urn=urn:srf:video:2c7edcd7-3c1c-42d2-83de-1fad51902572 (ab 00:51)
-> https://tv.telezueri.ch/zuerinews/polizei-holt-aktivisten-von-den-baeumen-151110912



nzz.ch 20.04.2023

Besetzter Wald nach Bergung in luftiger Höhe geräumt. Protestierende auf Bäumen entzogen sich der Polizei stundenlang

Knapp zwei Wochen lang besetzten Aktivisten ein Waldstück in Rümlang. Die meisten zogen bei der Räumung am Donnerstag rasch ab, aber die letzten drei widersetzten sich ausdauernd.

Marius Huber

Es sind nur zwei junge Frauen und ein Mann auf Bäumen, aber das reicht, um eine Armada von Einsatzkräften stundenlang hinzuhalten.

Feuerwehrleute klettern an diesem nasskalten Donnerstagmorgen mit orangen Schutzhelmen an Stämmen hoch, Polizisten patrouillieren durchs Unterholz, stehen in Kampfmontur mit Hund in einer Unterführung bereit, rangieren einen imposanten Fuhrpark samt Drehleiter über die Waldwege.

Es ist eine Räumung in Zeitlupe, eine Hängepartie mit Live-Ticker – wortwörtlich.

Die Naturschutz-Aktivisten haben sich in luftiger Höhe eingerichtet, unter anderem in einer Hängematte. Deshalb sind sie für die Einsatzkräfte schwer zu erreichen und haben gleichzeitig beste Sicht auf das Geschehen. Über den Nachrichtendienst Telegram lassen sie ihre Sympathisanten daran teilhaben: «Einsatzkräfte marschieren durch abgesperrte Schongebiete.» – «Feuerwehr zerstört 250-jährige Eiche, indem sie mit Steigeisen hochklettert.»

Überprüfen lässt sich nichts von alledem, denn die Polizei hat das Einsatzgebiet weiträumig abgesperrt, die zahlreichen Medienvertreter müssen weit abseitsstehen. Dort gibt es nichts zu sehen ausser schlammigen Pfützen, glänzendem Moos und einem Specht, der einen Stamm bearbeitet.

Ein winziges, eingeklemmtes Wäldchen – aber für manche wertvoll

Das Wäldchen zwischen Zürcher Stadtgrenze und Flughafen soll für die Erweiterung einer Bauschutt-Deponie Platz machen. Der Kampf darum tobt schon seit Jahren, aber ins Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit ist er erst vorgedrungen, als eine Gruppe von Aktivisten an Ostern dort einzog. Mit Seilen und Klettergeräten ausgerüstet, errichteten die jungen Leute dort ein illegales Camp. Ihr Ziel: die Abholzung verhindern.

Auf den ersten Blick ist kaum ersichtlich, weshalb es sich um ein besonders schutzwürdiges Stück Natur handeln sollte. Es ist gerade einmal 300 Meter breit und 500 Meter lang und fristet eine gequälte Existenz, eingeklemmt zwischen Autobahn, Eisenbahnlinie und einem Gewerbegebiet.

Von allen Seiten wird es mit derart vielen Dezibeln durchgeschüttelt, dass man sich fragt, wie verhaltensgestört die Tiere hier wohl sein müssen. Am Himmel dröhnen Flugzeuge im Tiefflug, im Rücken fliesst ein unablässiger Strom von Autos, und auf der nahen Deponie rattern schwere Baumaschinen.

Und doch gibt es hier Leben, weshalb sich die Grünen und die AL am letzten Montag im Kantonsrat öffentlich mit den Waldbesetzern solidarisierten: Die wertvollen alten Bäume seien Heimat für seltene Arten wie den Mittelspecht oder den Plattnasen-Holzrüssler, eine Käferart, die nur noch in naturnahen Wäldern vorkomme. Statt Wald für Bauschutt-Deponien zu roden, solle weniger abgerissen und neu gebaut werden – das überwältigende Ja der Zürcher Stimmberechtigten zum Kreislaufwirtschafts-Artikel im letzten Herbst sei ein klares Signal.

Im Rat waren diese beiden Parteien mit Teilen der GLP vor zwei Jahren gegen die Bürgerlichen und die SP unterlegen. Diese erlaubten der Firma Eberhard, ihre Deponie aufs Waldstück zu erweitern, wenn auf der bestehenden kein Platz mehr ist. Das Gesetz verlangt bei Rodungen aber Ersatzmassnahmen. Laut dem «Zürcher Unterländer» muss die Firma deshalb in einem anderen Wald in der Nähe gleich viele Eichen schützen und hegen, wie ihren Ausbauplänen weichen müssen.

Für die Aktivistinnen und Aktivisten ist das kein echter Ersatz. In ihrer Kritik fallen mehrere Probleme zusammen, die linksalternative Kreise umtreiben: Klimaschutz, Biodiversität, Wohnungsnot. Die Deponie, die ein wertvolles Biotop zerstöre, sei nur nötig, weil «absolut bewohnbare Wohnungen niedergerissen werden, um zum Beispiel Luxuswohnungen zu bauen». So sagte es eine vermummte Sprecherin vor einigen Tagen in die Kamera des Schweizer Fernsehens.

Besetzer aus Deutschland? Falls sie da waren, sind sie rechtzeitig gegangen

Die Aktivistinnen und Aktivisten scheinen eine Nähe sowohl zur Zürcher Besetzerszene wie zur Klimastreik-Bewegung zu haben. Auf Erstere nehmen sie im Jargon Bezug, Letztere verbreiten ihre Nachrichten.

Der SVP-Kantonsrat Claudio Schmid sagte im Kantonsrat, dass es sich bei den Organisatoren des Camps um Greenpeace-Aktivisten aus Deutschland handle. Dort gab es schon zahlreiche Waldbesetzungen nach ähnlichem Muster. Auf Anfrage verwies Schmid auf eine Quelle aus der Gemeinde Rümlang, auf deren Gebiet sich das Wäldchen befindet. Dort wollte dies aber niemand bestätigen, auch wenn entsprechende Vermutungen kursierten.

Falls deutsche Aktivisten jemals Teil des Camps gewesen sein sollten, sind sie rechtzeitig verschwunden: Als die Polizei dort am Donnerstag Personalien aufnahm, traf sie ausschliesslich Schweizerinnen und Schweizer an.

Dass die Tage der Besetzung gezählt sein dürften, hatte sich abgezeichnet. Die Aktivistinnen und Aktivisten hatten vor dem Wochenende mit Gemeindevertretern verhandelt, aber deren Angebot für einen legalen Ersatzstandort ausgeschlagen. Danach liessen sie auch eine Frist zur freiwilligen Räumung verstreichen. Ohne dass etwas passierte.

Sie riefen zum Waldspaziergang und wurden von der Polizei geweckt

Es ist schon nach Mitternacht in der Nacht auf Donnerstag, als ein Vertreter des illegalen Wald-Camps eine optimistisch klingende Einladung in den Telegram-Kanal tippt: Man freue sich auf alle Besucher, die sich um sieben Uhr in der Früh zu einem gemeinsamen Waldspaziergang vor dem improvisierten Eingangstor einfänden. Doch so weit kommt es nicht. Um halb sieben wird das Camp von der Polizei geweckt.

Zu diesem Zeitpunkt befindet sich nur ein knappes Dutzend Besetzer dort. Die meisten fügen sich den Anweisungen der Polizisten und ziehen umgehend ab, nachdem ihre Daten aufgenommen worden sind. Ein in der Eile abgesetzter Aufruf an alle Sympathisanten, sofort in den Wald zu kommen, verhallt ohne Effekt. Die paar Personen, die ihm folgen, machen an der Polizeisperre kehrt.

Bald darauf befinden sich neben Dutzenden Einsatzkräften nur noch jene zwei Frauen und jener Mann vor Ort, die sich in ihre provisorischen Baumhütten unter dicke Blachen zurückgezogen haben. Während unten am Boden die Aufräumarbeiten beginnen – die Seile, die Zelte, die Kochstelle, das WC –, harren sie dort oben aus.

Die Polizei versucht stundenlang, sie zum Aufgeben zu bewegen, sicher auch, weil eine gewaltsame Bergung zehn Meter über dem Boden Risiken birgt. Nach dem Mittag hat die Geduld dann aber ein Ende: Spezialisten klettern hoch und holen die letzten Besetzer herunter.

Es handelt sich um eine 16-Jährige, eine 23-Jährige und einen 26-Jährigen. Sie werden verhaftet und müssen sich nun vor der Jugend- beziehungsweise der Staatsanwaltschaft verantworten. Insgesamt werden elf Personen angezeigt, niemand ist älter als dreissig.

Wie es mit dem Waldstück weitergeht, ist offen. Gerodet wird es so bald nicht, denn die Firma Eberhard hat noch keine Baubewilligung für die Erweiterung der Deponie. Die gemeinde Rümlang will verhindern, dass die Besetzer in der Zwischenzeit zurückkehren. Sie habe Vorkehrungen getroffen, teilt sie auf Anfrage mit. Welche das sind, lässt sie offen.
(https://www.nzz.ch/zuerich/polizei-hat-besetztes-waldstueck-in-ruemlang-geraeumt-ld.1734424)


+++KNAST
ajour.ch 19.04.2023

Brand im Bieler Gefängnis: Wärter liessen die Zellentür geschlossen

Warum wurde der Zellenbrand im Regionalgefängnis in Biel erst so spät entdeckt? Das Obergericht hat sich mit vielen offenen Fragen auseinandergesetzt.

Brigitte Jeckelmann

Neun Monate Gefängnis wegen vorsätzlicher Brandstiftung und 20 Jahre Landesverweis: So lautete das Urteil des Regionalgerichts in Biel vom letzten November gegen den Algerier Mohamed K.* Er hatte im Mai 2021 eine Zelle im Regionalgefängnis Biel in Brand gesteckt. Dabei wurde er selbst lebensgefährlich verletzt.

Nun hat sich das Obergericht mit dem Fall beschäftigt. Denn die Anwältin von Mohamed K., Kathrin Gruber, ist mit dem Urteil nicht einverstanden. Mehr noch: Das Regionalgefängnis habe seine Fürsorgepflicht verletzt, sagt sie.

Die Aufsichtspersonen hätten die schweren Verbrennungen bei Mohamed K. verhindern können, wenn sie früher eingegriffen hätten. Der Mann, der sich illegal in der Schweiz aufhält, hat daher seinerseits eine Klage gegen das Gefängnis eingereicht. Diese ist derzeit bei der Staatsanwaltschaft hängig, ein Verfahren ist noch nicht eröffnet.

Was ist passiert? Konkret sollen an besagtem Tag zwischen dem Ausbruch des Feuers in der Arrestzelle und der Ankunft der Feuerwehr rund zehn Minuten vergangen sein. Während dieser Zeit war der Gefangene in der Zelle dickem, schwarzem Rauch ausgesetzt. Die Aufsichtspersonen hätten die Türe öffnen und Mohamed K. retten können. Doch das taten sie nicht.

Regeln verbieten Rettung

Ein Betreuer hatte den Brand laut der Anwältin zwar innerhalb von knapp zwei Minuten nach Ausbruch mit einem Feuerlöscher bekämpft, dessen Strahl er durch die Essensklappe auf den Boden der Zelle richtete. Dort hatte Mohamed K. seine Matratze in kleine Stücke zerrissen und angezündet. Aus Wut darüber, dass man ihn in Einzelhaft versetzt hatte.

Zwei Wärter, die am Tag des Brandes arbeiteten, und einer der diensthabenden Personen in der Zentrale des Gefängnisses, sind am Obergericht als Zeugen anwesend. Alle sagen dasselbe: Laut den Hausregeln sei es ihnen verboten, bei einem Brand Zellentüren zu öffnen. Weil man nicht wisse, ob sich der Brand dann auf das ganze Gebäude ausbreiten könne. Zudem sei es auch aus Sicherheitsgründen nicht gestattet, denn der Häftling sei bekannt für sein aufmüpfiges Verhalten.

Eine Aussage, die Kathrin Gruber nicht verstehen kann: «Er war mit Handschellen gefesselt, das wussten die Aufseher. Wie kann er da gefährlich sein?», fragt sie. Eine klare Antwort darauf haben die drei Zeugen nicht. Die Handschellen habe die Polizei Mohamed K. angelegt, weil er sich zuvor mit einem scharfen Gegenstand an den Armen verletzt hatte.

Trotz Kamera nichts bemerkt

Mohamed K. lag als Folge des Brandes während Wochen im Koma im Spital. Dort musste man ihm wegen der schweren Verbrennungen grossflächig Haut transplantieren. Kathrin Gruber ist überzeugt: «Das hätte man vermeiden können.»

Eine Kamera in der Sicherheitszelle filmt, was Gefangene darin tun. Sie ist mit einem Bildschirm verbunden, der in der Zentrale steht. Diese ist nach Aussage der drei Gefängnisangestellten rund um die Uhr besetzt. Abgesehen von Toilettengängen oder Telefonaten, die man entgegennehmen müsse, habe man die Bildschirme – auch die von anderen Zellen – im Blick.

Trotzdem wollen alle Zeugen nichts davon gehört und gesehen haben, wie Mohamed K., als er wütend in der Zelle war, mehrfach den Knopf der Gegensprechanlage drückte. Auch diese ist mit der Zentrale verbunden. Niemand will bemerkt haben, wie Mohamed K. die Matratze in Stücke riss, wie er damit drohte, diese anzuzünden, wie er mehrmals gegen die Kamera schlug.

«Ich wollte auf mich aufmerksam machen», erklärt er dem Gericht. «Ich wollte, dass jemand kommt und mit mir spricht.» Keiner habe ihm den Grund für die Einzelhaft erklärt, sagt er. Ja, er habe mit seinem Mithäftling in der Zelle direkt unter dem Feuermelder geraucht. Aber sie beide, nicht nur er. Die Polizisten hätten aber nur ihn gepackt und in den «Bunker» gesteckt, wie die Arrestzelle im Gefängnis-Slang heisst.

Gegen Menschenrechte

Mohamed K., ein grosser, bleicher Mann, regt sich bei der Erinnerung an den Tag gleich wieder auf. Er wird laut, gestikuliert, fällt der Gerichtspräsidentin ins Wort. Sie verwarnt ihn mehrmals. Als er nicht hören will, platzt ihr der Kragen. Sie haut mit der Faust auf den Tisch. Die beiden Polizisten im Raum nehmen Mohamed K. in die Mitte und führen ihn unter seinem Protest aus dem Saal.

Der Mann sei unangenehm, schwierig, rebellisch, sagt seine Anwältin. Deshalb sei er in Gefängnissen oft das Ziel von Schikanen der Wärter, so drückt sie es aus. Dabei habe er den Brand nicht absichtlich legen wollen, um sich zu rächen oder sich etwas anzutun. «Er brauchte Hilfe», sagt Gruber. «Sein Zustand war fragil, er leidet an einer Persönlichkeitsstörung.» Die Gefängnisleitung habe das gewusst und hätte darauf Rücksicht nehmen sollen.

Menschen in Einzelhaft in Handschellen zu legen, verstosse gegen die Menschenrechte. Jetzt regt sich auch Gruber auf. Ihre Stimme wird lauter, sie spricht schneller. Und wenn man das tue, müsse man eine lückenlose Überwachung garantieren. Das sei im Regionalgefängnis nicht geschehen.

Video als Beweis

In der Zelle war eine Kamera installiert. Diese hat aufgezeichnet, wie Mohamed K. den Brand gelegt hat. Gruber hat darauf bestanden, die entscheidenden Sequenzen vor Gericht zu zeigen. Denn sie würden belegen, dass Mohamed K. verzweifelt um Hilfe gerufen, aber niemand reagiert habe. Auf einer Leinwand sind mehrere Szenen mit exakten Zeitangaben zu sehen.

Um 17.36 Uhr entzündet Mohamed K. das erste Mal einen Fetzen der zerrissenen Matratze. Die Streichhölzer habe er darin gefunden, sagt er. Er nimmt das glimmende Stück Matratze in die Hand, geht zur Kamera und streckt es vor die Linse. «Ich wollte ihnen zeigen, dass ich es ernst meine», sagt er. Und: «Ich glaubte, dass dann sofort jemand käme.» Was aber nicht der Fall war.

Drei Minuten später flammt das zweite Streichholz auf. Mohamed K. kauert dabei vor dem Haufen Matratzenstücke. Diesmal gibt es eine kleine Stichflamme, die Mohamed K. sofort zertritt. Wieder geht er zur Kamera, im Glauben, man sehe ihm zu. Mehrmals drückt er auf den Knopf der Gegensprechanlage, das kann jeder im Gerichtssaal sehen. Die Wärter wissen von nichts.

Mohamed K. sagt, man habe mit ihm durch die Anlage gesprochen, sich über ihn lustig gemacht und gesagt: «Na, dann mach doch ein Feuer.» Die Zeugen bestreiten das. Weshalb die Wärter Mohamed K. die Streichhölzer nicht weggenommen haben, ist für die Anwältin unverständlich.

Hilfe unterlassen?

Sieben Minuten später zündet er den Haufen richtig an. Auf der Leinwand ist zu sehen, wie das Feuer rasch grösser wird. Um 17.48 Uhr brennt es richtig. Mohamed K. tritt auf die Flammen, um sie zu löschen, zieht seine Hose aus und schlägt mit ihr auf das Feuer ein. Vergebens. Um 17.49 Uhr endlich bemerken die Wärter das Feuer. Die drei Zeugen sagen, man habe sofort den Feueralarm ausgelöst. Die Feuerwehr traf um 18.00 Uhr ein.

Für seine Anwältin ist klar: Es könne nicht sein, dass niemand etwas bemerkt habe. Sie nennt das «unterlassene Hilfe». Auch, dass keiner von ihnen während der zehn Minuten Wartezeit auf die Feuerwehr die Zellentür geöffnet hat, kann sie nicht nachvollziehen.

Und für Gruber absolut unerklärlich: «Warum hat es in allen Zellen einen Rauchmelder, nur in der Arrestzelle nicht?» Die Anwältin fordert für ihren Mandanten einen Freispruch. Das Obergericht wird sein Urteil in den nächsten Tagen fällen.

*Name der Redaktion bekannt
(https://ajour.ch/de/story/brand-im-bieler-gef%C3%A4ngnis-w%C3%A4rter-liessen-die-zellent%C3%BCr-geschlossen-/71165)


+++POLICE BE
Armee angefragt: Russische Botschaft braucht mehr Polizeischutz
Die Kantonspolizei Bern kommt mit dem Schutz der russischen Botschaft an ihre Grenzen. Sie engagiert deshalb eine private Sicherheitsfirma und fordert weitere Unterstützung von der Armee.
https://www.baerntoday.ch/bern/stadt-bern/russische-botschaft-braucht-mehr-polizeischutz-151099844
-> https://www.20min.ch/story/polizei-vor-russen-botschaft-am-limit-jetzt-soll-die-armee-helfen-696732493925
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/kantonspolizei-bern-fragt-armee-fuer-botschaftsschutz-an?id=12373401
-> https://www.watson.ch/schweiz/bern/892511936-armee-und-private-sollen-botschaften-in-bern-schuetzen
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/ukraine-krieg-polizei-schutzt-russen-botschaft-mit-zaun-security-66477219
-> https://www.blick.ch/politik/aufwand-fuer-polizei-seit-ukraine-krieg-zu-gross-schweizer-armee-soll-russische-botschaft-schuetzen-id18504259.html
-> https://tv.telebaern.tv/telebaern-news/schutz-der-kapo-be-fuer-russische-botschaft-reicht-nicht-aus-151111205



derbund.ch 20.04.2023

Hilferuf der Kantonspolizei: Parlament hat letztes Wort über Armeeeinsatz vor Botschaften

Wie die Armee beim Botschaftsschutz helfen soll, ist noch unklar. Bei Einsätzen von mehr als drei Wochen entscheidet das Parlament.

Bernhard Ott

Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine muss die Kantonspolizei den Schutz der Botschaften verstärken. Die Berner Kantonspolizei kommt nun aber insbesondere bei der Bewachung der russischen Botschaft ans Limit. Sie hat daher einen Bewachungsauftrag bis Ende Jahr an die private Sicherheitsfirma Protectas AG vergeben und die Armee um Hilfe angefragt.

Beides ist ein Paradigmenwechsel: Es ist das erste Mal, dass die Polizei bei der Bewachung der diplomatischen Vertretungen auf die Unterstützung eines privaten Sicherheitsdienstes angewiesen ist. Und es ist das erste Mal seit Jahren, dass sich die Armee wieder am Botschaftsschutz beteiligen soll. 2012 hatte die Sicherheitsdirektion des Nationalrates den Einsatz von Militärangehörigen bis Januar 2015 «letztmals» verlängert. Sie bezeichnete den Botschaftsschutz als «zivile Aufgabe», die dauerhaft von der Polizei übernommen werden soll.

Politik weiss von nichts

Das Verteidigungsdepartement (VBS) will zum Gesuch der Berner Polizei nichts sagen. «Derzeit laufen Gespräche, und es werden verschiedene Optionen geprüft.» Ein subsidiärer Einsatz der Armee sei «zum jetzigen Zeitpunkt» aber nicht vorgesehen, sagt ein Sprecher.

Der Vermerk «zum jetzigen Zeitpunkt» ist entscheidend. Denn seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine wird das Schutzbedürfnis für die russische Botschaft mitunter «sehr kurzfristig» erhöht, wie es in der Vergabe des Auftrags an die private Sicherheitsfirma heisst.

Die Sicherheitskommissionen im Bundeshaus haben bislang keine Kenntnis vom Hilferuf der Berner Kantonspolizei. Werner Salzmann (SVP), Präsident der Sicherheitskommission des Ständerates, geht davon aus, dass es sich um eine «Voranfrage» beim VBS handelt.

Der Entscheid über einen Einsatz der Armee obliegt laut Gesetz dem VBS beziehungsweise dem Bundesrat. Dauert der Einsatz länger als drei Wochen, müssen dies die eidgenössischen Räte bewilligen. Von Letzterem ist bei der Botschaftsbewachung auszugehen.

Mit polizeilichen Befugnissen

Salzmann begrüsst einen Armeeeinsatz als letztmögliche Lösung. «Zuerst sollten alle anderen Mittel ausgeschöpft werden.» Darunter fallen etwa bauliche Massnahmen wie der Zaun, der von der Polizei entlang eines Teils der Grundstücksmauer der russischen Botschaft errichtet wurde. Und der nun vorgesehene Einsatz privater Sicherheitsdienste.

Weniger Zurückhaltung gegenüber einem Einsatz der Armee hat Salzmanns Parteikollege Mauro Tuena, Präsident der nationalrätlichen Sicherheitskommission. Er sieht im Assistenzdienst der Armee wie etwa beim Botschaftsschutz eine «subsidiäre Kernaufgabe des Staates». Private Sicherheitsdienste seien hierfür momentan eher weniger geeignet. «Die Armee kann den Objektschutz subsidiär und befristet gut erfüllen.» Die Kantonspolizei müsse aber aufzeigen, wie sie die Botschaften nach einem Armeeeinsatz schützen wolle, sagt Tuena.

Bleibt die Frage, was die Armee im Botschaftsschutz darf und was nicht. Im Unterschied zum «normalen» Dienst verfügt sie bei der Unterstützung der Polizei auch über entsprechende Befugnisse. So darf sie polizeilichen Zwang anwenden und polizeiliche Massnahmen ergreifen, «soweit dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist», wie es im Militärgesetz heisst. Dies beinhaltet etwa den Einsatz von Waffen und das kurzfristige Festhalten, Durchsuchen und Wegweisen von Personen.
(https://www.derbund.ch/parlament-hat-letztes-wort-ueber-armeeeinsatz-vor-botschaften-643871583362)


+++JENISCHE/SINTI/ROMA
Neues Lehrmittel – Roma, Sinti und Jenische im Schulunterricht
Mehr Wissen vermitteln über Minderheiten in der Schweiz – das will ein Lehrmittel der Pädagogischen Hochschule Zürich.
https://www.srf.ch/news/schweiz/neues-lehrmittel-roma-sinti-und-jenische-im-schulunterricht


+++RASSISMUS
Geleaktes Video zeigt: Zünfter machen sich über Minderheiten lustig
Wie ein Video, das dem «Tages-Anzeiger» vorliegt, zeigt, sollen Zünfter am «Ball beim Böögg» über Minderheiten gelacht haben. Während einer Showeinlage wurden dabei Witze über schwarze Menschen, Homosexuelle und Prostituierte gemacht.
https://www.blick.ch/schweiz/zuerich/geleaktes-video-zeigt-zuenfter-machen-sich-ueber-minderheiten-lustig-id18503771.html
-> https://mailchi.mp/tsri/zri-briefing-400-das-sechseluten-und-sein-rassismus-problem
-> https://www.20min.ch/story/zuenfter-lachen-ueber-blackfacing-bastroeckli-und-penis-knochen-747973949508?version=1681976307898
-> https://www.watson.ch/schweiz/z%C3%BCrich/655359377-geheimes-video-zeigt-rassismus-show-der-zuenfte
-> https://www.woz.ch/zoo/2023/04/20/feudaler-rassismus-fuer-den-alten-kern
-> https://www.watson.ch/schweiz/501349713-bund-ruegt-zuercher-zuenfte-wegen-blackfacing-show
-> Tagi-Artikel: https://www.facebook.com/faiss.buck/posts/pfbid0BG7aJuMtdSmTRZqivk33WW9Hh87AiQgQnxbu2Hn1gTroM53j6TtGFdHDNwku8Nkfl
-> Tagi-Video: https://unityvideo.appuser.ch/video/uv448784h.mp4



tagblatt.ch 20.04.2023

Geheimes Video zeigt Rassismus-Show der Zünfte – und Swiss-Life-Präsident Rolf Dörig war auf der Gästeliste

Eine Filmaufnahme zeigt fragwürdige Darbietungen an einem Sechseläuten-Anlass. Auch Vertreter der Zürcher Wirtschaftselite waren eingeladen. Doch nachdem sie im Privaten lachten, schweigen sie nun – mit einer simplen Begründung.

Benjamin Weinmann

Sie wissen: Hier sind wir unter uns. Hier, im teuren Restaurant Terrasse am Zürcher Bellevue, wo die lokale Schickeria normalerweise edel speist und trinkt, um zu sehen und gesehen zu werden. An diesem Anlass soll die Öffentlichkeit jedoch aussen vor bleiben. Nur Zünfter, ihre Frauen und geladene Gäste sind am «Ball beim Böögg» zugelassen. Dieser wird jeweils von Vertretern verschiedener Zünfter organisiert. Dresscode: Zunftkleidung.

Am vergangenen Wochenende, vor dem traditionellen Sechseläuten am Montag, fand der Anlass erneut statt. Wieder war es eine geschlossene Runde mit rund 140 Teilnehmenden. Laut «Tages-Anzeiger» auf der Gästeliste: Rolf Dörig, Verwaltungsratspräsident des Versicherungsriesen Swiss Life. Ein geleaktes Video, das die Zeitung veröffentlicht hat, zeigt nun ein äusserst fragwürdiges Sittenbild der anwesenden Gesellschaft. Denn die elitären Böögg-Buddys lachen am Event schamlos über Rassismus, Sexismus und Homophobie.

Afro-Perücke und Knochen

Am späteren Abend – laut «Tages-Anzeiger» nach der zweiten Vorspeise und vor dem Hauptgang – stand eine «Produktion» des Show-Komitees auf dem Programm. Teil der Belustigung: ein Mann mit schwarz bemaltem Gesicht, also ein klarer Fall von Blackfacing. Dazu trägt er Bastrock, Kraushaarperücke und hält einen grossen Knochen in der Hand, der zwischendurch – zum Amüsement der Gäste – zwischen die Beine geklemmt wird.

Neben dem Geschminkten stehen im Video gut sichtbar ein als Frau verkleideter Mann mit blonder Perücke sowie eine Frau in einem Kleid mit Federschmuck. Die Botschaft der «Show» ist klar: Wir lassen uns von niemandem zensieren.

Um diese Haltung unter Beweis zu stellen, wird ein aufgenommener «Sketch» von 2018 auf der Leinwand gezeigt. «Die Zensurbehörde der Stadt Zürich hat die Episode damals verboten, weil sie fand, sie sei in höchstem Mass unkorrekt», sagt der Präsentator, um das Publikum anzuheizen. Und: «Weil wir hier aber in einer geschlossenen Gesellschaft sind, sollten Sie sich besser selber ein Bild machen.»

Swiss Life und Dörig bleiben stumm

Im Film von damals hat der schwarz bemalte Herr erneut einen Auftritt im gleichen Kostüm. Dazu stösst ein Mann mit einem Shirt mit Regenbogenfarben, um einen Homosexuellen darzustellen. Und zu ihnen gesellt sich eine als Sexarbeiterin verkleidete Frau, die mit einem aufgesetzten, südländischem Dialekt spricht. Die Lacher sind gut zu hören – sowohl im Clip von 2018 wie auch im Saal von 2023.

Und wie sieht Rolf Dörig das Ganze? Nahm er die Einladung an? Hat er herzhaft mitgelacht? Oder sich an der Darbietung gestört? Der 65-Jährige, der kürzlich von der FDP zur SVP wechselte, sagt nichts. Eine Sprecherin der Swiss Life meint auf Anfrage von CH Media, Rolf Dörig verzichte auf eine Stellungnahme, da es sich um eine private Veranstaltung handle.

Und was ist mit seinem international tätigen Konzern? Schliesslich bekennt sich Swiss Life auf der eigenen Website zu Themen wie Diversität, Inklusion und Toleranz: «Je diverser unsere Belegschaft ist, desto vielfältiger ist unsere Unternehmenskultur», heisst es auf der Website. Man wolle das Bewusstsein für Diversität und Inklusion fördern. Deshalb biete man den Mitarbeitenden eine Reihe von Schulungen und Veranstaltungen zu diesen Themen an, welche unter anderem «in Zusammenarbeit mit dem Topmanagement» entwickelt worden seien.

Wie passen diese Grundsätze das mit der Böögg-Veranstaltung zusammen, bei der ihr oberster Lenker auf der Gästeliste fungierte? Doch auch hier die gleiche Antwort: Man äussere sich nicht zu einer privaten Veranstaltung. Auch die bedeutenden Swiss-Life-Aktionäre UBS und Blackrock bleiben auf Anfrage stumm.

Und Rudi Bindella Junior, Inhaber des Terrasse-Restaurants, wäscht seine Hände in Unschuld. Vom Auftritt habe man keine Kenntnis gehabt. «Es steht uns nicht an, uns über das Verhalten unserer Gäste an einer privaten Veranstaltung zu äussern.»

Was Nestlé, Novartis und Co. wohl davon halten?

Laut «Tages-Anzeiger» stand auch der Name Naville auf der Gästeliste, bei dem es sich um Martin Naville handeln könnte, den Verwaltungsratspräsidenten des Zürcher Zoos und seit 2004 Chef der Schweizerisch-Amerikanischen Handelskammer. Naville streitet auf Nachfrage eine Teilnahme weder ab, noch bestätigt er sie. «Zu wirtschaftspolitischen Themen können wir jederzeit reden», schreibt er als Antwort. Aber: «Mein Privatleben habe ich immer privat gehalten.»

Fragt sich, was die Mitglieder der Handelskammer davon halten, dass möglicherweise deren Chef an einer solchen Veranstaltung teilnimmt und sich vom rassistischen und sexistischen Inhalt nicht distanziert. Schliesslich gehören zahlreiche Grosskonzerne der Organisation an, die sich wie Swiss Life zu den Themen Diversität und Inklusion bekennen, so wie Nestlé, Logitech, Zurich, Coca-Cola, PWC, Firmenich, Schindler, Novartis, ABB oder Swiss.

Für einen einflussreichen Zünfter, der anonym bleiben möchte, ist der Fall klar: «Diese Episode ist schlicht und einfach ‹bireweich›!» Das Video vermittle ein Zerrbild der Zürcher Zünfte, das nicht der Realität entspreche. «Es handelt sich hier um einen extrem abgeschotteten Zirkel, der nun diese falschen Stereotypen wieder hochleben lässt, wonach die Zünfter allesamt Rassisten, Sexisten, reiche Säcke und Kolonialisten seien.» Der Fall schade dem Image der Zünfte extrem. «Ich bin fassungslos.»

Urs Rohners private Afro-Show

Tatsächlich ist es nicht der erste Rassismus-Fall in jüngerer Vergangenheit, der aus dem Zürcher Wirtschaftselitenzirkel in die Öffentlichkeit gedrungen ist. So berichtete die «New York Times» 2020 über ein privates Geburtstagsfest von Ex-Credit-Suisse-Präsident und Zunftmitglied Urs Rohner. Dabei habe ein schwarzer Schauspieler einen Hausmeister gespielt und von Musik begleitet tanzend mit seinem Besen gewischt. Zudem sollen Rohners Freunde mit Afro-Perücken aufgetreten sein. Und die Mitglieder der Zunft zum Kämbel treten traditionell in Beduinenkostümen auf, während ihre Gesichter hellbraun geschminkt sind.

Die Veranstalter des «Balls beim Böögg» äusserten sich gegenüber dem «Tages-Anzeiger» auch nach mehrfachem Nachfragen nicht zu ihrer Showeinlage.
(https://www.tagblatt.ch/wirtschaft/eklat-geheimes-video-zeigt-rassismus-show-der-zuenfte-und-swiss-life-praesident-rolf-doerig-war-auf-der-gaesteliste-ld.2444980)


+++RECHTSEXTREMISMUS
Zürcher Gemeinderat will Rechtsextremismus-Aufklärung an Schulen
Der Zürcher Gemeinderat hat sich für eine vertiefte Auseinandersetzung mit Rechstextremismus an den Schulen ausgesprochen. Die bürgerlichen Parteien hatten vergeblich eine generelle Aufklärung zu politischem Extremismus gefordert.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/zuercher-gemeinderat-will-rechtsextremismus-aufklaerung-an-schulen?id=12373281


„Die Junge Tat und der Active Club – Die weltweit grösste White Power Gang Aus aktuellem Anlass: Ein Thread zur Jungen Tat und deren Zugehörigkeit zum Active Club. Eine weltweite Vernetzung von Neonazi Gruppierungen.“
https://twitter.com/schwarzerKat3r/status/1648999401568841731


Anastasia-Bewegung: Kampf gegen Bildung
Der russische Anastasia-Kult ist Teil eines politisch aufgeladenen, rechtslastigen Spannungsfeldes. Auch nach der Pandemie sind vor allem Kinder die Leidtragenden. Deren Eltern attackieren die Schulpflicht. Sie forcieren eine Bildungsrevolte mit reaktionären Konzepten und unklaren Lehrinhalten. Teil 3 der Serie zur Anastasia-Bewegung.
https://www.endstation-rechts.de/news/kampf-gegen-bildung


+++HISTORY
«Nazi-Konten bis ins 21. Jahrhundert»
Schwere Vorwürfe des US-Senats gegen Credit Suisse.
https://www.tachles.ch/artikel/news/nazi-konten-bis-ins-21-jahrhundert


Misshandelt, geschlagen und beinahe ertränkt – Plattform rückt dunkles Kapitel ans Licht
Betroffene von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen haben an einem Podium in Schaffhausen über ihre traumatischen Erfahrungen gesprochen. Der Verein «Gesichter der Erinnerung» leitete den Anlass. Er beleuchtet ein Stück Schweizer Sozialgeschichte, welche bis heute nachwirkt.
https://www.toponline.ch/news/detail/news/gesichter-der-erinnerung-schaffhausen-00209073/


Zwangsarbeit in der Schweiz: Heimmädchen mussten schuften – ohne Lohn
Das Lärchenheim in Lutzenberg AR zwang Teenagerinnen zur Fabrikarbeit und kassierte die Löhne ein. Bis Mitte der 1970er-Jahre. Kein Einzelfall, wie ein neues Buch zeigt. Ein Opfer erzählt.
https://www.blick.ch/gesellschaft/zwangsarbeit-in-der-schweiz-heimmaedchen-mussten-schuften-ohne-lohn-id18506001.html


Grosse Genugtuung bei Meditest-Opfer
Der Kanton Thurgau nimmt in der Schweiz eine Pionierrolle ein und stimmt einer finanziellen Entschädigung für die Opfer der Medikamententests zu. Einer der Betroffenen ist Walter Emmisberger. Bis heute belasten ihn die traumatischen Erfahrungen seiner Kindheit. Jahrelang engagierte sich der Ostschweizer für eine offizielle Anerkennung des Missbrauchs durch die Behörden.
https://www.tvo-online.ch/aktuell/grosse-genugtuung-bei-meditest-opfer-151111671



nzz.ch 20.04.2023

Er liebte «Indianer», aber von echten Native Americans war er enttäuscht: Wie ein Primarlehrer Zürich ein Indianermuseum bescherte

Der grosse Traum des Gottfried Hotz und seine seltsamen Folgen.

Giorgio Scherrer

Im Jahr 1968 fährt ein Schweizer Pensionär in ein Mohikaner-Reservat im US-Gliedstaat Connecticut. Sein Name ist Gottfried Hotz, und er ist auf der Jagd nach wertvollen Artefakten.

Im Reservat macht sich Hotz auf die Suche nach dem, was er unter authentischen «Indianern» versteht. Doch er wird enttäuscht: Die erste Frau, die ihm auf der Strasse begegnet, trägt ein blaues Kleid und hat eine helle Haut, wie Hotz später in einem Reisebericht festhalten wird. Wie eine «Touristin» habe sie ausgesehen, findet er. Auch die Häuser, stellt Hotz perplex fest, sind «typisch kleinbürgerlich» mit «Familienphotos, Andenken und dem üblichen Hausrat».

Doch dann trifft Hotz auf Gladys – ihren Nachnamen nennt er zunächst nicht. In ihr, so wird er es später schildern, «erkenne ich die Indianerin am ehesten durch ihre gelbe Gesichtsfarbe». Interessiert beschreibt Hotz die «rassenmässigen Züge» der Frau.

Endlich hat er seine authentische Mohikanerin gefunden.

Hotz ist in seinem Element. In mitgebrachten Fotoalben zeigt der Schweizer Gast Gladys und ihrem Bruder Harold Tantaquidgeon – dem lokalen Häuptling – Fotos von Artefakten aus der Kultur der Native Americans. Es sind Objekte aus Hotz’ eigener Sammlung in Zürich, die dort seit fünf Jahren unter der Schirmherrschaft der Stadtregierung im sogenannten Indianermuseum ausgestellt werden.

Die Reaktion auf diese Bilder ist bemerkenswert.

Ein Sammler mit Mission

Gladys, schreibt Hotz, «ist verblüfft, dass bestimmte, seltene und qualitativ sehr gute Stücke so weit entfernt in einer Sammlung vorhanden sind». Verblüffend ist auch: Der selbsternannte «Indianer»-Experte Hotz sammelt zwar schon ein Leben lang solche Objekte, amerikanischen Boden betrat er aber erst wenige Jahre zuvor. Er ist zudem weder Ethnologe noch professioneller Forscher, sondern ein einfacher Primarlehrer an einer Zürcher Schule.

Zu seiner Leidenschaft kommt Hotz wie viele «Indianer»-Fans seiner Zeit. Als Kind ist er begeistert von Fenimore Coopers «Lederstrumpf» (Karl Mays «Winnetou» ist ihm laut einem Zeitungsporträt «zu phantastisch»). Mit 16 kauft er seinen ersten Mokassin.

Auf dieser Basis baut er ein Berufsleben lang «eine der bedeutendsten noch bestehenden privaten Indianersammlungen» Europas auf, wie die Zeitschrift «Architektur und Kunst» 1961 schreibt. Erst 1963 und 1968 reist er – mit gefestigtem Indianerbild – erstmals in die USA. Das Ziel: die Erweiterung seiner Sammlung.

Und so sitzt er nun, auf der zweiten Reise, in Gladys’ enttäuschend normalem kleinbürgerlichem Haus und hofft wohl insgeheim auf einen Mohikaner-Schatz für sein Zürcher Museum.

Der «letzte Mohikaner»

Doch wieder wird er enttäuscht. Seine Gastgeberin Gladys wühlt zwar verheissungsvoll in Kisten, Schachteln und Truhen nach ihren Artefakten, die sie dem interessierten Hotz zeigt. Aber: «Da zeigt sich, dass nur ganz wenige Stücke mohikanisch sind; das meiste ist erworben oder von auswärtigen Freunden geschenkt.»

Die wirklich guten Stücke, das muss Hotz spätestens in diesem Moment gemerkt haben, sind längst nicht mehr bei diesen Mohikanern, sondern – in Gladys’ Worten – «so weit weg» von ihrem Ursprungsort in Sammlungen wie der seinen.

Und so reist Hotz unverrichteter Dinge weiter, um sich woanders mit Objekten für seine Sammlung zu versorgen.

Immerhin schreiberisch kann er den Besuch später noch verwerten. In der «Ethnologischen Zeitschrift Zürich» bastelt er 1972 einen Reisebericht mit wissenschaftlichem Anstrich. Der Titel: «Mein ‹letzter Mohikaner›».

Europa im Indianerfieber

Wie kommt ein Zürcher Primarlehrer dazu, ein Indianermuseum zu gründen, bevor er je amerikanischen Boden betreten hat? Und wie kommt die Stadt Zürich dazu, ein solches Unterfangen zu finanzieren?

Diese Fragen führen zum Indianerfieber, das seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert den deutschen Sprachraum mal mehr, mal weniger erfasst. Befeuert durch Völkerschauen, die beliebten Bücher von Karl May, Wildwestfilme und später auch die Jugendpropaganda der Nationalsozialisten, entsteht dabei eine Vorstellung von «Indianern», die mit den tatsächlichen Native Americans wenig zu tun hat.

Die Stämme werden zu unzivilisierten, aber gerade deshalb mit der Natur verbundenen und von der Last der Moderne verschonten Völkern verklärt. Sie werden als «edle Wilde» romantisiert und ihr Aussterben als unausweichliche Tragödie beschrieben.

Diese Tragödie wiederum nährt den Drang, Überbleibsel dieser aussterbenden Kultur zu sammeln und zu bewahren – augenscheinlich nicht, um ihnen etwas wegzunehmen, sondern um ihr Erbe zu erhalten. Der Handel mit kulturellen Objekten der Native Americans floriert.

100 000 Franken für eine «Liebhaberei»

Auch Gottfried Hotz kauft fleissig ein. Er lässt sich über Zwischenhändler aus den USA Artefakte schicken, reist durch ganz Europa und sucht in verkaufswilligen Museen, Galerien oder Antiquitätengeschäften gute Stücke. Auch als 1930 ein «Indianer-Zirkus» in Zürich gastiert, ergattert er ein paar Gegenstände, die angeblich vom legendären Häuptling Sitting Bull stammen sollen.

So finden im Lauf der Jahre mehrere hundert Objekte ihren Weg nach Zürich. Lobend schreibt 1961 die NZZ:

«Wie dann der Lehrer die ständig wachsende Sammlung in seinen ehelichen Hausstand einbezog, die einzelnen Stücke gleichsam an Kindes Statt nahm und liebevoll pflegte – das ist ein Musterbeispiel für die Liebhaberei eines Mannes, dem sein Hobby zur ernsten Lebensaufgabe wurde.»

Wie es sich für das ernsthafte Hobby eines kleinbürgerlichen Sammlers jener Zeit gehört, ist es nicht die Freude an den Objekten allein, die Hotz sein Erspartes investieren lässt. Er betont stets auch den wissenschaftlichen Wert seiner Tätigkeit. Auch mit der volkstümlichen Indianerromantik will er nichts zu tun haben.

Sein Ziel, so heisst es in einem Artikel aus dem Jahr 1976, sei es stets gewesen, «das landläufige Klischee des federgeschmückten indianischen Kriegers abzubauen und stattdessen mehr vom Alltagsleben der Indianer zu zeigen».

Dieses Ziel erreicht er 1961, als er seine Sammlung im Kunstgewerbemuseum Zürich zeigen kann. Die Ausstellung «Aus Zelt und Wigwam» ist ein Erfolg. Zeitungen, Radio und Fernsehen berichten, loben ihren hohen edukativen Wert. Auch das Kaufangebot eines Berliner Museums trägt die Schau dem Sammler ein.

Mit dem Erfolg und der Drohung, die Objekte zu verkaufen, schafft es Hotz sodann, sein eigentliches Ziel in die Tat umzusetzen: 1963 kauft die Stadt Zürich ihm – auch dank der Vermittlung eines NZZ-Redaktors – für 100 000 Franken den Grossteil der Objekte ab. Sie bringt sie in zwei leerstehenden Schulzimmern im Kreis 4 unter und überantwortet deren Pflege dem zufriedenen Gottfried Hotz.

Die böse Modernisierung

Das neue Indianermuseum ist jeweils am Wochenende geöffnet und will, wie Hotz immer wieder betont, mit den Indianermythen à la Winnetou aufräumen. Hotz – sein Leben lang aktiver Sozialdemokrat – versteht sich als Kämpfer für die Sache der «Indianer». Er will in seinem Museum ein realistisches Bild des Alltags in verschiedenen Stämmen der Native Americans zeigen.

Ausgangspunkt bleibt dabei jedoch die Vorstellung, dass es an Sammlern wie ihm ist, die Überreste dieser verschwindenden Kulturen zu bewahren. So führt etwa eine Kindersendung des Schweizer Fernsehens 1974 mit diesen Worten durch die Sammlung:

«D Kultur vo de Indianer stirbt langsam us. Sie gönd id Schuel, id Fabrik und zu andere Arbetsplätz. Sie reded au Änglisch und händ en Fernseh. Ihres Läbe wird modernisiert. Da wämmer no die vile Usstelligsstuck – 1100 sinds –, wo de Herr Hotz zämetreit het, zäme aluege.»

Die Native Americans, die nicht mehr dem ursprünglichen Indianerbild der Europäer entsprechen, spielen in der Ausstellung nur eine marginale Rolle. Ihnen schickt Hotz stattdessen Pakete mit Schokolade oder Secondhand-Kleidern in die USA, um sie zum Verkauf von Objekten zu bewegen. Oder er versucht es auf seinen USA-Reisen gleich persönlich mit einem Kaufangebot.

Dies wird aber, wie er sich 1968 in einem Brief an den zuständigen Stadtrat beklagt, immer schwieriger. «Museumswürdiges Material», schreibt Hotz bedauernd, sei kaum mehr zu bekommen. «Selbst die Indianer haben angefangen, ältere Stücke zu sammeln, statt wie früher sie zu verkaufen.»

Ein Kauf gelingt ihm trotzdem noch: Es ist der Schädel eines Mannes oder einer Frau, vermutlich aus der indigenen Nation der Arikara. In Missouri kauft er ihn einem Händler ab. Für 325 Franken und 50 Rappen.

Der Schädel und die Restitutionsfrage

Bis heute befindet sich der Schädel im Besitz des Museums. Dieses heisst unterdessen Nordamerika-Native-Museum (Nonam) und verfügt seit 2003 über ein eigenes Gebäude im Zürcher Seefeld. Aus dem Hobbyprojekt ist eine professionelle Kulturinstitution mit Dauer- und Wechselausstellungen geworden.

Was jedoch geblieben ist: das Erbe von Gottfried Hotz. Ohne ihn wäre eine Stadt wie Zürich nie zu einer Sammlerin amerikanischer Kulturgüter geworden. Und seine Sammlung bildet auch heute noch den Kern des Museums. Dieses hat in den nunmehr 60 Jahren seines Bestehens mit seinem Indianerbild Tausende von Besucherinnen und Besuchern geprägt, viele von ihnen Kinder aus den städtischen Primarschulen.

Auch Objekte, die heute kein Museum mehr kaufen würde, fanden wegen Hotz ihren Weg ins Zürcher Seefeld. Etwa der Schädel aus Missouri, der laut dem Museum mutmasslich aus einem heiligen Grab stammt und damit «unrechtmässig» erworben worden sei.

Oder zwei sogenannte Geistertanz-Hemden, die einst einen spirituellen Schutz vor feindlichen Gewehrkugeln bieten sollten. Ihren Erwerb stuft das Museum als «bedenklich» ein. Denn getragen wurde diese Art von Hemd auch von einer Gruppe Lakota, die im Dezember 1890 im sogenannten Wounded-Knee-Massaker von US-Truppen niedergemetzelt wurde.

Seit Jahren verlangen deren Nachfahren die Rückgabe der Hemden, die den Toten vom Leib gerissen und an Sammler und Wildwest-Shows als Gruselattraktion weiterverkauft wurden. Damit die Geister der Toten ruhen könnten, müssten diese Objekte zurück in ihren Besitz und mit Ritualen gereinigt werden, erklärte ein Lakota-Vertreter vergangenes Jahr der «Washington Post». «Sie haben uns diese Objekte gestohlen, wie sie uns einst unser Land stahlen.»

Diverse Museen haben ihre Geistertanz-Hemden bereits restituiert. Und auch das Nonam in Zürich will Hemden, Schädel sowie eine Reihe heiliger Masken an Native Americans zurückgeben. Seit 2001 bemühe man sich um eine Restitution, schreibt das Museum auf Anfrage der NZZ. Man habe die Herkunft der Objekte in einem kürzlich erschienenen Bericht zuhanden des Bundesamts für Kultur rekonstruiert und die betroffenen indigenen Nationen mehrfach kontaktiert. Trotzdem sei «leider noch keine Rückgabe erfolgt».

Der Grund dafür ist laut Nonam, dass es in der Schweiz keine klaren gesetzlichen Regeln oder verbindliche Leitlinien zur Rückgabe von Kulturgütern aus kolonialen Kontexten gibt. Das verkompliziere den Prozess. Dazu kämen die begrenzten Ressourcen des Museums, aber auch der involvierten indigenen Nationen.

Das «Indianermuseum» als Spiegel

Gottfried Hotz – 1977 verstorben – hätte mit dem Thema Restitution wohl ohnehin wenig anfangen können. Wer im Nonam-Archiv in seinen Briefen und Publikationen blättert, erhält den Eindruck: In dem Eifer, seine eigenen Vorstellungen der «Indianer»-Kultur zu bewahren, übersah er gerne einmal die Bedürfnisse und die Lebensrealität der noch existierenden Native Americans.

Die «eigentliche indianische Kultur», so formulierte es Hotz 1975 im Katalog zu seiner Sammlung, sei ohnehin «längst untergegangen». Den noch lebenden Native Americans müsse in den Reservaten erst einmal «auf dem Weg zu einem normalen Leben in Selbständigkeit und eigener Verantwortung» geholfen werden, was «keine leichte Aufgabe» sei.

Wie 1968 bei seinem Besuch im Mohikaner-Reservat blieben für Hotz auch in seiner musealen Arbeit die «Indianer» in seinem Kopf stets der Ausgangspunkt – mehr als ihr echtes Gegenstück in den USA.

Obwohl es das nirgends gross thematisiert, stellt das Nonam damit bis heute nicht nur die Kultur der Native Americans aus, sondern auch den Schweizer Blick auf diese Kultur: das Indianerbild von Gottfried Hotz, seinen Zeitgenossen und damit auch das von uns allen, die wir in den letzten 60 Jahren sein Museum besuchten.

Nordamerika-Native-Museum, Seefeldstrasse 317, 8008 Zürich. Geöffnet Di–Sa 13 bis 17 Uhr, So 10–17 Uhr. Die aktuelle Ausstellung widmet sich der Inuit-Kultur.
(https://www.nzz.ch/zuerich/indianermuseum-die-seltsame-geschichte-des-nonam-in-zuerich-ld.1733777)