Medienspiegel 17. April 2023

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+++BERN
derbund.ch 17.04.2023

Notstand im Berner Asylzentrum: «Es fühlt sich an wie ein Gefängnis»

Insider des Berner Bundesasylzentrums berichten von mangelhafter Gesundheitsversorgung, Gewalt und sexuellen Übergriffen. Der Bund und die Asylorganisation ORS bestreiten die Vorwürfe.

Andres Marti

Rund 100’000 Schutzsuchende sind letztes Jahr in die Schweiz geflüchtet. Diese historische Fluchtbewegung brachte das Schweizer Asylwesen an den Rand des Kollapses. Insbesondere die Bundesasylzentren (BAZ), wo Asylsuchende während der Dauer ihres Verfahrens untergebracht werden, waren vielerorts überfüllt und am Anschlag.

Was sich in den von der privaten Asylorganisation ORS geführten Unterkünften abspielt, bleibt meist im Dunkeln. Medien ist der Zutritt grundsätzlich verboten. Nachdem die Menschenrechtsorganisation Augenauf im März über Missstände berichtet hatte, hat diese Redaktion mit mehreren Personen, die im Berner Asylzentrum im ehemaligen Zieglerspital gearbeitet haben, gesprochen.
-> https://www.augenauf.ch/images/BulletinProv/Bulletin_113_Maerz_2023.pdf

Sie waren in verschiedenen Funktionen im Zieglerspital tätig: in der Betreuung, der Pflege, dem Rechtsschutz oder dem Unterricht von Minderjährigen. Weil mehrere von ihnen eine Verschwiegenheitserklärung unterzeichnet haben, bleiben sie in diesem Artikel anonym. Sie berichten von problematischen Betreuungssituationen, überfordertem Personal, Gewaltausbrüchen und Übergriffen.

Betreuung am Limit

Auch eine aus Afghanistan geflüchtete Frau hat uns mithilfe einer Übersetzerin von ihrer Zeit im «Ziegler» berichtet. Zahra Hossaini (Name geändert) war mit ihren drei Kindern und ihrem Mann vor den Taliban geflohen. Vor ihrer Ankunft in der Schweiz lebte Hossaini vier Jahre in einem Flüchtlingscamp in Griechenland unter prekärsten Bedingungen.

Im Bundesasylzentrum in Bern teilte sich die fünfköpfige Familie ein Zimmer. Im Gegensatz zu den Ukrainerinnen und Ukrainern mit Schutzstatus S muss sie für die Dauer ihres Asylverfahrens im Zentrum an der Morillonstrasse bleiben.

Überfülltes Zentrum

Eigentlich für maximal 350 Personen geplant, übernachten dort bis zu 550 Asylsuchende. Inzwischen hat sich die Situation ein wenig entspannt. Seit Anfang Jahr beträgt die Maximalbelegung im alten Zieglerspital 475 Betten.

In den Asylzentren gelten strikte Regeln. Am Eingang kontrollieren Securitas-Angestellte die Bewohnerinnen und Bewohner auf Waffen und Drogen. «Selbst meine Haare und Socken haben sie kontrolliert», sagt Zahra Hossaini.

Viele Asylsuchende nehmen den Alltag im Zentrum als entmündigend wahr. Sie dürfen weder selbst kochen noch gross auswählen, was sie essen. Die strikte Hausordnung und die totale Abhängigkeit von den Betreuungspersonen hätten ihr zu schaffen gemacht, sagt die Frau. «Es fühlte sich an wie in einem Gefängnis.»

Abort ohne Privatsphäre

Kurz nach ihrer Ankunft in Bern bemerkt Hossaini, dass sie schwanger ist. Sie bittet die Betreuer um einen Schwangerschaftstest, wird aber immer wieder vertröstet. «Sie sagten mir jedes Mal, ich solle morgen nochmals kommen. Dabei hatte ich starke Schmerzen und fiel mehrmals in Ohnmacht.» Erst nach zwei Monaten habe sie einen Test machen können, sagt sie. Da war sie bereits im dritten Monat. Zwei Wochen später war das Ungeborene tot. Die genauen Umstände bleiben unklar.

Klar ist, dass insbesondere in den Wintermonaten 2022 in allen Asylzentren händeringend nach Personal gesucht wird: Es fehlt an Betreuern, Rechtsbeiständen, Fahrerinnen und Sozialpädagogen. Vor allem aber fehlt es an Übersetzerinnen und Übersetzern. So auch im Asylzentrum in Bern.

Nachdem ein Arzt den Tod des Ungeborenen festgestellt hatte, bekam Hossaini Tabletten zur Geburtseinleitung, obwohl sie nicht wollte, dass ihre Kinder den Abort mitbekommen. Im Zimmer habe sie dann so stark geblutet, dass sie schliesslich doch noch mit einem Taxi in ein Spital gebracht worden sei.

Allein und ohne sich verständigen zu können, habe sie nach dem Aufenthalt im Spital beinahe den Weg zurück nicht mehr gefunden. Glücklicherweise konnten schliesslich doch noch Bekannte von ihr die Rückfahrt ins Ziegler organisieren. «Ich will niemandem einen Vorwurf machen», so Hossaini. Aber für Schwangere sei die Situation im Ziegler sehr schwierig.

Das Staatssekretariat für Migration (SEM) sagt, es hätten alle regulären Tests und Untersuchungen stattgefunden. Zudem habe die Frau aufgrund ihrer Vulnerabilität zwei Bezugspersonen seitens der Betreuung erhalten. Laut ORS war der Rücktransport organisiert gewesen, wurde aber von ihr nicht beansprucht.

Für die ehemalige Betreuerin von Hossaini klingt das nach einer Ausrede. Sie kenne viele Fälle, in denen Asylsuchende wegen der Sprache nichts mitbekommen hätten und man sie vergessen habe.

Viele sind traumatisiert

Aber auch ohne kulturelle und sprachliche Hürden ist die Gesundheitsversorgung in den Bundesasylzentren eine Herausforderung. Wie Zahra Hossaini sind viele Asylsuchende körperlich und seelisch angeschlagen. Internationalen Studien legen nahe, dass 40 bis 50 Prozent der Geflüchteten traumatisiert sind.

An den Wochenenden sind in den Unterkünften weder Pflegefachkräfte noch ärztliches Personal anwesend. «Die Entscheidung, ob jemand ins Spital gebracht werden muss, obliegt häufig unerfahrenem und nicht ausgebildetem Personal», sagt ein BAZ-Insider. Dass medizinisch nicht ausgebildetes Personal an den Wochenenden starke Mittel wie Benzodiazepine und Methadon abgibt, kritisiert er als «fahrlässiges Verhalten» der Zentrumsleitung.

SEM und ORS widersprechen: Die im Zentrum abgegebenen Medikamente würden von den Pflegefachkräften gemäss den Vorgaben der verschreibenden Ärztinnen und Ärzte vorbereitet und gerichtet.

Suizidversuche und Selbstverletzungen

Laut einer vom SEM in Auftrag gegebenen Studie kommt es in Westschweizer Bundesasylzentren jede Woche zu einem bis vier Suizidversuchen beziehungsweise «Selbstschädigungen». Auch komme es vor, dass drogensüchtige Asylsuchende Suizidabsichten als Druckmittel äussern, um Medikamente zu erhalten.

Von 500 Befragten aus unterschiedlichen Berufsgruppen haben 79 Prozent selbstverletzende Handlungen von Asylsuchenden direkt beobachtet. 56 Prozent des Personals waren einem Suizidversuch ausgesetzt, und 43 Prozent haben einen Tod durch Suizid miterlebt.

Nervenzusammenbrüche von Geflüchteten, etwa nach Erhalt eines negativen Asylentscheids oder während der Befragung durch das SEM, sind laut Insidern keine Seltenheit. Um zu verhindern, dass sich Asylsuchende vom Dach des alten Zieglerspitals stürzen, hat die Zentrumsleitung den Zugang zur Terrasse abgeschlossen.

Das SEM verweist zudem auf weitere Massnahmen, mit denen die Suizidrisiken in den Zentren «noch besser» erkannt und vorgebeugt werden sollen: Beschäftigungs- und Freizeitangebote, erleichterten Zugang zu Gesundheitsversorgung, Seelsorgende in den Zentren und bessere psychiatrische Abklärungen.

Hohe Fluktuation beim Personal

Auch die BAZ-Insider, mit denen diese Redaktion gesprochen hat, berichteten von Selbstverletzungen. Im Zieglerspital führt die belastende Arbeit dazu, dass viele dort Tätige ihre Arbeit bereits nach kurzer Zeit wieder kündigen.

Ehemalige ORS-Angestellte berichten zudem von Konflikten mit der Zentrumsleitung, etwa wegen kurzfristig geänderter Schichtpläne. Bei der ORS hingegen heisst es, man nehme auf die Bedürfnisse der Mitarbeitenden Rücksicht. Aufgrund der volatilen Situation im Migrationsbereich sei jedoch Flexibilität gefordert.

Bei den Rechtsbeiständen, die bei den teils emotionalen Befragungen mit den Geflüchteten sind, ist die Fluktuation ebenfalls hoch. Von seinem 20-köpfigen Team seien nach zwei Jahren nur noch zwei übrig gewesen, sagt jemand, der kurz darauf ebenfalls kündigte.

Übergriffe und Gewaltausbrüche

Immer wieder kommt es in den Bundesasylzentren zu Gewaltausbrüchen und Übergriffen, so auch in Bern. Ein Minderjähriger, der ohne Familie in die Schweiz geflüchtet ist, gab an, in seinem Zimmer vergewaltigt worden zu sein.

Laut seiner Betreuerin wollte er das Zentrum verlassen. Doch bis in einer geeigneten Einrichtung ein Platz für ihn frei wurde, musste er noch zwei Nächte im Logenzimmer im Eingangsbereich übernachten. Das Zimmer wird normalerweise für renitente Asylsuchende, Alkoholisierte, oder solche, die nach den Öffnungszeiten, also nach 21 Uhr, heimkehren, genutzt.

Insider des Zieglerspitals berichten zudem von Schlägereien beim Anstehen vor dem Pflegeschalter oder Gewaltausbrüchen zwischen Männergruppen verschiedener Herkunft. Ende Februar verhaftete die Polizei im Ziegler vorübergehend fünf Männer und Jugendliche, die an einem Sonntagabend gleich zweimal hintereinander aufeinander losgegangen waren. Oft spielen bei solchen Auseinandersetzungen Alkohol und Drogen eine Rolle.

«Unter so vielen Personen unter einem Dach kann es zu Konflikten und Spannungen kommen», schreibt dazu das SEM. Um die Sicherheit zu erhöhen, hat das SEM zwischen Februar 2021 und Oktober 2022 rund 70 neue Vollzeitstellen für Konfliktpräventionsbetreuende geschaffen. Die Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle gehe seither zurück.
(https://www.derbund.ch/es-fuehlt-sich-an-wie-ein-gefaengnis-134508398750)



augenauf-Bulletin Nr. 113 März 2023

Aus dem Innern des Zentrums

Bei augenauf haben sich fünf Personen gemeldet, die im und ums Bundesasylzentrum (BAZ) im Zieglerspital in Bern arbeiten oder gearbeitet haben. Wir dokumentieren, wie es im von der ORS geführten Zentrum zugeht – für die Mitarbeitenden und die Geflüchteten.

In allen Bereichen herrscht Personalmangel: in der Rechtsberatung, in der Betreuung, in der medizinischen Versorgung und bei den Sachbearbeitungen des Staatssekretariats für Migration (SEM). Verantwortlich dafür sei unter anderem die Politik des SEM. Dieses reagiere sehr träge auf steigende Asylzahlen und berücksichtige entsprechende Prognosen bei seiner Anstellungspolitik nicht. Deshalb könnten Fristen bei der Behandlung von Asylgesuchen nicht eingehalten werden und die Menschen würden wieder ohne Entscheide auf die Kantone verteilt.

Personalmangel: Chaos vorprogrammiert

Bei der Rechtsberatung Angestellte hätten doppelt so viele Termine mit Asylsuchenden pro Tag wie vor einem Jahr: «Am Mittag wusste ich nicht mehr, wen ich am Morgen gesehen hatte. Ich hatte keine Zeit mehr für Verwaltungsund Behördentermine.» Anhörungen würden nun auch am Samstag und Sonntag durchgeführt, um mehr Asylverfahren durchzubringen. Die Arbeit sei nicht mehr zu bewältigen.

Teilweise bleibe keine Zeit, vorgelegte Beweise vor dem Beratungstermin einzusehen und so fehlten sie bei der Anhörung oder müssten nachgereicht werden. Das führe zu mehr Fehlern. Zudem würden Dossiers untereinander weitergegeben, was zur Folge hat, dass Familienmitglieder, die gemeinsam geflüchtet waren, nicht die gleiche Rechtsberatung haben: Eine Person wurde im Dublin-Verfahren nach Kroatien zurückgeschickt, ihr Bruder konnte in der Schweiz bleiben.

Arbeitsbedingungen: «Wenn es dir nicht passt, kannst du ja gehen.»

Die Mitarbeitenden klagen über miese Arbeitsbedingungen: Sie würden immer wieder an ihren freien Tagen eingeplant – ohne Absprache oder Vorinformation: «Wenn ich das im Plan nicht gesehen habe oder ich dann nicht einspringen konnte, wurde mir von der Chefin Egoismus vorgeworfen. Ich sei nicht zuverlässig und schade meinem Team. Teilweise habe ich sieben Tage durchgearbeitet. Es war nicht erlaubt, untereinander Arbeitstage abzutauschen. Meine fünf Wochen Ferien konnte ich nicht frei wählen, die Ferien wurden mir zugeteilt.»

Als eine ORS-Mitarbeiterin eine Handoperation nicht mehr weiter hinauszögern konnte, informierte sie drei Wochen vor dem Termin ihre Vorgesetzte. Diese forderte, sie solle die Operation verschieben und drohte mit Konsequenzen, wenn sie den Termin wahrnehme. Auf Wünsche betreffend Schichten werde grundsätzlich nicht eingegangen. Es heisst einfach: «Wenn es dir nicht passt, kannst du ja gehen.»

Korpsgeist: nicht aufmucksen, nicht helfen

Wer sich gegen die Arbeitsbedingungen wehrte oder sich für die Rechte von Geflüchteten einsetzte, machte sich in der Chefetage der ORS unbeliebt: «Ich meldete einen Mitarbeiter, der sich mehrfach rassistisch geäussert hatte. Er bezeichnete etwa alle ukrainischen Frauen als Schlampen und alle Männer aus muslimischen Ländern als Frauenbelästiger. Einmal hat er zwei Jugendliche angeschrien und ist ihnen körperlich sehr nahe gekommen. Er hat ihnen vorgeworfen, sie würden schon den ganzen Tag Frauen belästigen, was nicht stimmte. Ich habe die Jugendlichen darauf hingewiesen, dass sie sich beschweren könnten, was sie auch taten. Was folgte? Ich musste bei der Chefin vortraben und erhielt eine Standpauke. Ich würde dem Team in den Rücken fallen. Der Mitarbeiter verleumdete mich und unterstellte mir ein Verhältnis mit den Jugendlichen.»

«Ich wollte einem Geflüchteten helfen, einen Arzttermin zu erhalten. Ich wurde zurückgepfiffen, Extrabehandlungen würden nicht toleriert. Die ORS-Chefin warf mir vor, ich würde mir etwas herausnehmen und meinen, dass ich etwas Besseres sei – nur weil ich einen Arzttermin organisieren wollte. Ein andermal beschwerte sich ein Jugendlicher bei mir, er sei von der Securitas gepackt und von einem Mitarbeiter respektlos behandelt worden. Als ich den Vorfall melden wollte, sagte meine Chefin, das sei ein Vorwurf gegen das Team und ich solle besser schweigen.»

Platzmangel: auf dem Gang schlafen

Die Unterkünfte sind überfüllt. Unbegleitete minderjährige Asylsuchende (UMA) müssen gemäss Handbuch des SEM getrennt von Erwachsenen, in kleineren Gruppen untergebracht werden. Aufgrund des Platzmangels vergrösserte die ORS die Gruppen, in den Zimmern gab es kaum noch Platz zum Durchkommen. Viele der UMA sind traumatisiert, einige hatten Angst oder riefen um Hilfe, manchmal fiel auch jemand in Ohnmacht.

Wegen des Platzmangels mussten einige auf dem Gang schlafen. Das SEM unternahm nichts gegen diese Zustände. Erst als es zu Gewaltvorfällen kam, verlegte das SEM einen Teil der UMA ins Bundesasylzentrum Kappelen. Dort wurden und werden die UMA wie Erwachsene behandelt, es gibt weder spezielle Angebote noch Sozialpädagog:innen, wie sie im BAZ Ziegler vorgesehen sind.

Gesundheitsversorgung: mies, wenn überhaupt

Viel Kritik gibts an der Gesundheitsversorgung im BAZ Ziegler. So erhielt eine schwangere Frau trotz ihrer Bitte keinen Arzttermin. Die zuständige Pflegerin behauptete, die Frau sei laut Rapport gar nicht schwanger. Diese war damals jedoch im vierten Monat und spürte, dass etwas nicht in Ordnung war. Sie wurde allein gelassen und bekam keine Ärztin zu Gesicht. Kurz darauf verlor sie ihr Baby, war ausser sich vor Trauer und Wut und musste zur Nachversorgung ins Spital gebracht werden. Die Pflegerin sagte später zu einer ORS-Mitarbeiterin, die Frau würde schon ziemlich dramatisieren. Sie wurde nach Kappelen verlegt …

Eine andere Frau, welche gerade den dritten negativen Asylentscheid erhalten hatte, schloss sich in der Toilette ein und erlitt einen Zusammenbruch. Als man dies bemerkte, brach man die Toilettentür auf. Die Frau sass zusammengesunken auf der Toilette. Der anwesende Pfleger entschied, er sei nicht zuständig, da die Frau im BAZ Kappelen wohne und nicht im BAZ Ziegler. Er diskutierte mit den Anwesenden vom ORS- und Securitas- Personal, ob die Frau, allenfalls von einem Zivildienstleistenden begleitet, im ÖV oder im Taxi nach Kappelen geschickt werden solle. Eine Aussage des Pflegers: «Was will man da machen? Das ist einfach eine psychische Überreaktion.»

Die medizinische Versorgung im BAZ Ziegler ist grundsätzlich problematisch. Oft reiche es nicht, einen Arzttermin zu haben, man müsse drei- oder viermal mit einem medizinischen Problem kommen – z.B. mit starken Zahnschmerzen –, bis man endlich Hilfe erhalte. Immer wieder würden Behandlungen auch abgelehnt, was Betroffene – oft UMA – verzweifeln liesse. Sie schrien dann herum, würden gegen die Mauern schlagen oder ihren Kopf gegen die Wand hämmern. UMA würden dann oft vermerkt und als auffällig bezeichnet – mit negativen Konsequenzen für sie.

Weitere Beispiele für die miese Behandlung von UMA:
– Eine Pflegende habe sich demonstrativ die Nase zugehalten, als sie an ein paar UMA vorbeiging.
– Wegen Diphterie müssten sich UMA bis zu 30 Tage in Quarantäne begeben. Einzelne verletzten sich dabei selber oder verübten Suizidversuche.
– Viele UMA hätten Krätze. Dagegen würden Jugendliche oft mehrere Male behandelt, weil nicht dokumentiert und rapportiert sei, dass die Behandlung schon erfolgt sei. Dies geschehe auch, weil es an Dolmetscher:innen fehle und die Pflegenden sich dementsprechend nicht mit den Jugendlichen unterhalten könnten.
– Traumatisierte UMA erhielten keine richtige Behandlung, denn: «Vielleicht lohnt sich eine Therapie nicht, da wir nicht wissen, ob die Person in der Schweiz bleiben kann.» Dafür verteile die Pflege teilweise starke Medikamente, etwa gegen Epilepsie. Die Einnahme werde nicht beaufsichtigt, sondern den anderen UMA übertragen. Als Folge seien UMA ohnmächtig geworden, hätten nach Luft ringen müssen oder starke Krämpfe bekommen. Man habe Jugendlichen auch Quetiapin, ein Medikament zur Behandlung von Schizophrenie und bipolaren Störungen, einfach in die Hand gedrückt. Dieses könnten sie Kolleg:innen geben, falls diese in Ohnmacht fallen würden …

Schikanen und Skandale

Die Mitarbeitenden des BAZ Ziegler wirken ernüchtert. Sie erzählen, dass Kleider gebunkert würden. Mitarbeitende dürften sie nicht frei verteilen. Eine Person, die ohne Unterhosen geflüchtet war, habe vier Tage warten müssen, bis sie endlich Kleider erhalten habe.

Im gleichen Gespräch berichtete eine Betreuerin Ungeheuerliches: Ein Jugendlicher wandte sich an sie, weil er im BAZ in seinem Zimmer vergewaltigt worden sei. Er wollte nicht mehr zurück in dieses Zimmer und wollte auch nicht mehr im BAZ Ziegler bleiben. Die Mitarbeiterin meldete die Vergewaltigung. Anstelle eines sicheren Aufenthaltsortes und professioneller Betreuung erhielt der Jugendliche für drei Tage das Zimmer neben der Eingangsloge. Dieses Zimmer benutzt die ORS normalerweise zur Bestrafung von Personen, die z.B. ausserhalb der Ausgehzeiten ins BAZ zurückkommen. Der UMA musste während der ganzen Zeit in diesem Zimmer bleiben und konnte seine Kleider nicht wechseln. Die Mitarbeitenden wurden angewiesen, mit niemandem darüber zu sprechen, da es eine Polizeiangelegenheit sei.

augenauf Bern
(https://www.augenauf.ch/images/BulletinProv/Bulletin_113_Maerz_2023.pdf)


-> https://www.baerntoday.ch/bern/stadt-bern/insider-berichten-ueber-notstand-in-berner-asylzentrum-151048279
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/gewalt-und-missbrauch-im-bundesasylzentrum-in-bern-soll-es-missstaende-geben
-> https://www.20min.ch/story/totgeburt-schlaegereien-uebergriffe-das-sagen-insider-uebers-bundesasylzentrum-748905737328
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/vorwuerfe-bezueglich-bundesasylzentrum-im-ziegler-seien-haltlos?id=12371595


+++SCHWEIZ
Kürzere Frist für Familiennachzug: Vorläufig Aufgenommene dürfen ihre Familien früher in die Schweiz holen
Gemäss einem Urteil aus Strassburg muss die Schweiz die Frist für Familiennachzug verkürzen. Drei Jahre sind laut dem Gericht zu lange.
https://www.derbund.ch/vorlaeufig-aufgenommene-duerfen-ihre-familien-frueher-in-die-schweiz-holen-897655009864



nzz.ch 17.04.2023

Immer mehr minderjährige Flüchtlinge wollen in die Schweiz – und stellen die Behörden zunehmend vor mehr Probleme

Für unbegleitete Teenager aus Afghanistan und Syrien fehlen Unterkünfte und Betreuungspersonal.

Irène Troxler

Seit der Corona-Pandemie ist nicht nur die Zahl der Personen, die in der Schweiz um Asyl bitten, stark angestiegen. Es kommen auch immer mehr unbegleitete Minderjährige. Dabei handelt es sich vorwiegend um männliche Jugendliche im Alter von 16 und 17 Jahren. Im Jahr 2022 waren es insgesamt 2450, was 10 Prozent aller Asylsuchenden entspricht. Die wichtigsten Herkunftsländer sind Afghanistan, Syrien und verschiedene afrikanische Staaten. Diese jungen Männer stellen die Behörden zunehmend vor Probleme. Weil sie besonders schutzbedürftig sind, ist die Betreuung von Jugendlichen aufwendiger als die von Erwachsenen. Man kann sie auch nicht in Zivilschutzanlagen unterbringen, wenn alle anderen Plätze voll sind.

Überbelegung in Basel

Im Raum Basel hat jüngst das Bundesasylzentrum Bässlergut für Kritik gesorgt. Es ist ausgelegt für 100 unbegleitete Minderjährige. Untergebracht sind dort nun aber 320. Im angrenzenden Park verschärfen sich deswegen gemäss «Nebelspalter» gerade die Nutzungskonflikte. Eltern würden ihren Kindern nicht mehr erlauben, im benachbarten Park zu spielen.

Auch im Kanton Zürich hat der Umgang mit unbegleiteten Minderjährigen letztes Jahr für Schlagzeilen gesorgt. Die starke Überbelegung des Jugendheims Lilienberg war bereits bekannt, als eine unabhängige Betriebsprüfung ergab, dass auch die Situation der sozialen und pädagogischen Betreuung «besorgniserregend» sei. Es folgte eine aufgeregte politische Debatte mit Schuldzuweisungen an die Regierung und an die Betreiberin der Unterkunft, die Asylorganisation Zürich (AOZ). Das kantonale Sozialamt beauftragte die AOZ daraufhin, die Belegung des Zentrums von 90 auf maximal 60 Personen zu reduzieren.

Unterkünfte und Personal fehlen auch in Zürich

Diese Reduktion sei bis heute nicht gelungen, räumt Martin Roth, Mediensprecher der AOZ, auf Anfrage ein. Da weiterhin zahlreiche unbegleitete Minderjährige einträfen, brauche man mehr Zeit, um das Ziel zu erreichen. Obwohl der Kanton neue Wohngruppen eröffnet habe, lebten derzeit immer noch knapp 90 Jugendliche im Lilienberg. Auch personell bleibe die Situation angespannt. «Wir suchen laufend Personal», sagt Roth. Immerhin habe sich die Raumsituation etwas entspannt, da die Jugendlichen jetzt nicht mehr im Heim selbst unterrichtet würden, sondern in Affoltern am Albis zur Schule gingen. Die ehemaligen Schulzimmer stünden nun als Aufenthalts- und Begegnungsräume zur Verfügung.

Grundsätzlich werden minderjährige Jugendliche in der Schweiz eingeschult, auch wenn sie vom Alter her eigentlich nicht mehr schulpflichtig wären. Herausfordernd ist die Suche nach einer Anschlusslösung. Die Stadt Zürich beispielsweise hat ein eigenes Angebot für unbegleitete Flüchtlinge im Alter von 18 bis 25 Jahren aufgebaut. Sie werden beim selbständigen Wohnen und bei der weiterführenden Schul- oder Berufsbildung unterstützt.

Schwyz kündigt Aufnahmevereinbarung

Der Kanton Schwyz bringt unbegleitete Minderjährige im Asylzentrum Biberhof in Biberbrugg unter. Bis heute werden dort auch junge Asylsuchende aus den Kantonen Obwalden, Nidwalden, Zug und Schwyz betreut. Damit ist jetzt aber Schluss. Schwyz hat die Vereinbarung kürzlich gekündigt. Der Grund: Im vergangenen Jahr stieg die Zahl der zugewiesenen Minderjährigen sprunghaft an, von 36 auf 87. Daher hat der Kanton Schwyz Mitte März eine Klausel aktiviert, die zum Schutz einer Überbelastung vorsieht, die Jugendlichen wieder auf die anderen Kantone zu verteilen.

Die Betreuung erfordere einen grösseren Aufwand, schreibt der Kanton Schwyz in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage. Allerdings scheinen die Integrationsbemühungen relativ erfolgreich zu sein. Von insgesamt 92 Teenagern, die mittlerweile volljährig sind, seien gut 54 Prozent entweder in einer Lehre, an einer Universität (eine Person) oder sie hätten eine Arbeit gefunden, schreibt der Kanton. 12 Prozent besuchten ein Brückenangebot oder eine weiterführende Schule. 22 Prozent nähmen Deutschkurse.

Kritik an Spezialbehandlung für ältere Minderjährige

Wegen des grossen Zulaufs hat auch das Staatssekretariat für Migration (SEM) Mühe, genügend Sozialpädagogen zu finden für die Betreuung der Minderjährigen in den Bundesasylzentren. Aus diesem Grund habe man die Kategorie der «selbständigen unbegleiteten Minderjährigen» geschaffen, sagt Samuel Wyss, Mediensprecher des SEM. Darunter fallen die 16- bis 17-Jährigen. Diese Unterscheidung erlaube es, den unter 16-Jährigen eine intensivere Betreuung zukommen zu lassen, sagt Wyss. Die Schweizer Flüchtlingshilfe kritisiert diese Unterkategorie allerdings als nicht konform mit der Kinderrechtskonvention der Uno. Auch 17-Jährige seien noch minderjährig und müssten entsprechend betreut werden.
(https://www.nzz.ch/schweiz/fuer-die-teenager-aus-afghanistan-und-syrien-fehlen-unterkuenfte-und-betreuungspersonal-ld.1733942)


+++EUROPA
EVP-Chef Manfred Weber: »Die EU schlafwandelt in eine neue Migrationskrise«
In den vergangenen Monaten sind Zehntausende Menschen übers Mittelmeer in die EU gekommen. EVP-Chef Manfred Weber fordert deshalb einen Flüchtlingspakt mit Tunesien – und eine Debatte im EU-Parlament.
https://www.spiegel.de/ausland/manfred-weber-evp-die-eu-schlafwandelt-in-eine-neue-migrationskrise-a-f2ead8bf-0668-48b8-9312-618a0271abca?utm_source=dlvr.it&utm_medium=twitter#ref=rss


Flüchtlingsdeal zwischen EU und Türkei: Perspektiven statt Grenzen
Die EU setzt auf den Migrationsdeal mit der Türkei und die Verlagerung des Grenzschutzes. Sinnvoller wäre, Flüchtenden eine Zukunft zu ermöglichen.
https://taz.de/Fluechtlingsdeal-zwischen-EU-und-Tuerkei/!5925878/


++TUNESIEN
Tunesien ist kein sicheres Herkunftsland und kein sicherer Ort für aus Seenot Gerettete
Gemeinsame Erklärung von zivilen Seenotrettungsorganisationen und Solidaritätsnetzwerke für Geflüchtete
https://migrant-solidarity-network.ch/2023/04/17/tunesien-ist-kein-sicheres-herkunftsland-und-kein-sicherer-ort-fuer-aus-seenot-gerettete/
-> https://alarmphone.org/en/2023/04/17/tunisia-is-neither-a-safe-country-of-origin-nor-a-place-of-safety-for-those-rescued-at-sea/?fbclid=IwAR0sIdvvguJnp691_NH6xtZYzevdkO2gHAQkKzOVU66TpuDabhA81fRn4HI


Migrationsabkommen mit Tunesien Zusammenarbeit beenden – oder ausbauen?
Mehrere Hilfsorganisationen fordern die EU auf, das Migrationsabkommen mit Tunesien zu beenden. Migranten litten dort unter Menschenrechtsverletzungen und Rassismus. EVP-Chef Weber will dagegen ein weiteres Abkommen mit dem nordafrikanischen Land.
https://www.tagesschau.de/ausland/europa/tunesien-fluechtlinge-mittelmeer-101.html


Beat Stauffer: «Die Stimmung in Tunesien ist auf dem Nullpunkt»  – Rendez-vous-Tagesgespräch
Die Zahl der Menschen, die über das Meer nach Italien flüchten ist viel höher als in den letzten Jahren. Ein Grund dafür ist die Situation in Tunesien. Das Land erlebt eine der schwersten Krisen seit der Unabhängigkeit.
https://www.srf.ch/audio/tagesgespraech/beat-stauffer-die-stimmung-in-tunesien-ist-auf-dem-nullpunkt?id=12371130


+++GASSE
Markanter Anstieg der Übernachtungen im Pfuusbus
Letzten Winter haben die Übernachtungen im Pfuusbus der Sozialwerke Pfarrer Sieber um fast einen Viertel zugenommen. Eine grosse Herausforderung für die Betreiber, denn viele Obdachlose kämpfen auch mit psychischen Problemen.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/markanter-anstieg-der-uebernachtungen-im-pfuusbus?id=12371244
-> https://www.swsieber.ch/aktuell/
-> https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/pfuusbus-verzeichnet-deutlich-mehr-uebernachtungen-00210204/
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/zkb-chef-bekommt-keinen-lohndeckel?id=12371559 (ab 05:08)


Zustände auf der Dreirosenanlage lassen einmal mehr aufhorchen: «Es braucht langfristige Lösungen»
Die Situation auf der Dreirosenlage hat sich deutlich verschlechtert. Das zeigt die Bilanz der 28-köpfigen «Begleitgruppe Dreirosenanlage». Das Protokoll beleuchtet massive Missstände.
https://www.baseljetzt.ch/zustaende-auf-der-dreirosenanlage-lassen-einmal-mehr-aufhorchen-es-braucht-langfristige-loesungen/46461



nzz.ch 17.04.2023

Warum Chur zu einem absoluten Hotspot der Kriminalität wurde

In Chur gibt es immer noch eine offene Drogenszene. Seit die Süchtigen vermehrt Kokainbase konsumieren, steigt die Zahl der Verbrechen rasant an.

Isabelle Wachter (Text), Dominic Steinmann (Bilder)

«Chur ist aus Sicht eines Süchtigen die tollste Drogenszene in der Schweiz», sagt Andres* (39). Jahrelang war er heroin- und kokainabhängig und kennt sich daher in der Szene bestens aus. Seit drei Jahren ist er «clean». In anderen Schweizer Städten gebe es nichts Vergleichbares. Denn im Stadtgarten bieten die Dealer fixfertig produzierte Kokainbase-«Steinchen» ab 10 Franken an. Sogar die Pfeife zum Rauchen bekommt man dazu.

In Basel, Zürich oder Bern gebe es hingegen ein Gassenzimmer. Wolle man in diesen Konsumraum, müsse man sich das Kokain in Pulverform besorgen und dann vor Ort selbst zu Base verarbeiten, erklärt Andres. «Stoff beschaffen ist ein enormer Stress. Bei Kokainbase sogar noch viel mehr als beim Heroin, da man viel schneller Nachschub benötigt.»

Diese Schilderungen erinnern an die «Filterlifixer» vom Platzspitz in den 1990er Jahren. Auch sie stellten ihren Kunden sämtliche Utensilien für den Drogenkonsum zur Verfügung. Damals war Heroin die Trendsubstanz, mittlerweile gilt sie als «Loser-Droge». Bis heute wirken die Bilder des Drogenelends am Limmatufer abschreckend auf junge Leute. Jetzt avanciert Kokainbase immer mehr zur bevorzugten Droge, obwohl die Abhängigkeit davon nicht weniger schlimm ist.

Unbeschreibliche Euphorie

Andres’ Weg zu einem drogenfreien Leben war lange und mit vielen Stolpersteinen versehen. Denn als er endlich den Heroin-Entzug durchgestanden hatte, begann er dafür im Churer Stadtgarten zu «basen», wie er es nennt. Die Wirkung von Kokainbase sei keineswegs mit derjenigen von gesnifftem Kokain vergleichbar, das an Partys konsumiert werde und die Leute wacher mache, aber in der Regel nicht wirklich berausche.

Die zugrunde liegende Substanz ist aber dieselbe. Um Base herzustellen, kochen die Konsumenten Kokainpulver mit Ammoniak in einem Löffel auf und kratzen dann die entstandenen «Steinchen» heraus. Diese Kristalle legen sie dann zum Rauchen in eine Glaspfeife. Durch das Aufkochen mit Ammoniak wird das Kokain in seine freie Base umgewandelt. Daher wird Kokainbase auch Freebase genannt. Wird beim Prozess Backpulver anstelle von Ammoniak verwendet, so heisst das Endprodukt Crack. Die Wirkung ist die gleiche.

«Wenn du an der Pfeife ziehst, dann dauert es zwei Sekunden, und dann fühlt es sich an, als ob dein Kopf explodieren würde. Der ganze Körper wird von einer unbeschreiblichen Euphorie durchflutet», sagt Andres. Der Rausch lasse aber nach 10 bis 15 Minuten nach. Man tue alles, um den nächsten «Flash» zu erleben.

Der florierende Handel mit Kokainbase auf offener Gasse ist eine der Hauptursachen für die Zustände in Chur: «Im Stadtgarten habe ich gesehen, dass Süchtige gestohlene Filets aus dem Lebensmittelladen gegen Kokainbase tauschen.» Auch Kleider, an denen noch Preisschilder hängen, würden feilgeboten. Bestimmt aus den Boutiquen der nahe gelegenen Altstadt entwendet.

Kokainbase befeuert Beschaffungskriminalität

Die Entwicklung in Chur spiegelt sich auch in der Kriminalstatistik 2022 wider. So haben die Vermögensdelikte in der Stadt um fast 30 Prozent zugenommen im Vergleich zum Vorjahr. Gab es im Jahr 2021 noch 1635 Diebstähle, waren es im letzten Jahr 2354.

Barbara Hubschmid, Chefin der Kriminalpolizei Graubünden, bestätigt dies: «Seit dem Jahr 2017 steigt der Basekonsum in der Stadt. Dadurch hat auch die Beschaffungskriminalität zugenommen.»

Süchtige treiben sich in Parkhäusern herum und suchen nach Geldbörsen und Handys, die sich in unverschlossenen Fahrzeugen befinden, stehlen Serviceportemonnaies in Restaurants und begehen Ladendiebstähle. Auch die Anzahl Einschleichdiebstähle hat zugenommen. Manche flitzen in unverschlossene Wohnungen und sammeln rund um den Eingang alles ein, was zu Geld gemacht werden kann, wie Hubschmid erklärt.

Es sei ihnen egal, wenn sie die Leute, die dort wohnen, sehen. Würden sie von der Polizei verhaftet, geben die Straftat bei der Einvernahme meist zu. Deshalb wünscht sich die Polizei mehr Handhabe bei der Strafverfolgung. «Teilweise begehen die Suchtkranken 40 bis 50 Delikte, bis wir sie in Haft nehmen können», sagt Hubschmid.

Prävention und Schadensminderung

Auch heute noch, drei Jahre nach seinem Entzug, sei Chur für ihn ein «ganz gefährliches Pflaster», so Andres. «Immer wenn ich mit dem Bus am Stadtgarten vorbeifahre, hyperventiliere ich fast.» Es koste ihn enorme Willenskraft, nicht auszusteigen und in den Park zu gehen, um zu basen. Wenn er nur schon darüber spreche, bekomme er Gänsehaut.

Einmal abhängig, sei es schwierig, die Sucht in den Griff zu bekommen. Zwar macht Kokainbase im Gegensatz zu Heroin körperlich nicht abhängig, psychisch dafür umso mehr. Der Konsum von Kokainbase führt ausserdem zu erheblichen Lungenschäden und im schlimmsten Fall zu Atem- und Herzstillstand. Manche Konsumenten entwickeln zudem depressive oder wahnhafte Psychosen.

Andres ist es ein Anliegen, junge Menschen über die Folgen von Drogenkonsum aufzuklären. Deshalb engagiert er sich in der Prävention. Und auch für die, die bereits süchtig sind, setzt er sich ein. «In Chur braucht es endlich einen Konsumraum. Nur so wird man die offene Drogenszene je in den Griff bekommen.»

Aber würde denn ein Konsumraum in Chur, «der tollsten Drogenszene in der Deutschschweiz», überhaupt funktionieren? «Davon bin ich überzeugt. Es würde die Situation entschärfen», sagt Margrith Meier, Betriebsleiterin des Ambulatoriums Neumühle für opiatgestützte Behandlung. Damit die Suchtkranken den Konsumraum aber auch nutzen, müsse er zentral liegen und der Drogenhandel in kleinen Mengen von der Polizei toleriert werden.

Fachleute sprechen dabei vom «Ameisenhandel». In anderen Städten wird er zu bestimmten Zeiten auf den Vorhöfen der Konsumräume geduldet. Das ist zwar eine gesetzliche Grauzone. Doch es verhindere, dass Suchtkranke und die meist ebenfalls abhängigen Kleindealer kriminalisiert werden.

Zudem können Sozialarbeiter und Pflegepersonal die Süchtigen besser beraten und medizinisch versorgen. Der Konsum wird hygienischer, wodurch wiederum Krankheiten, die zusätzliches Leid und Folgekosten verursachen, vermieden werden können.

Politische Querelen

Umso erstaunlicher ist es, dass Chur Jahrzehnte nach der Einführung in vielen Schweizer Städten noch immer keinen Konsumraum hat. Zwar gab es schon in den 1990er Jahren, als die Suchtkranken vom Platzspitz in ihre Heimatkantone zurückgeführt wurden, Bestrebungen, einen Konsumraum zu eröffnen.

Der Stadtrat führte im März 1997 eine konsultative Volksabstimmung durch, bei der es um die Frage ging, ob die Stadt einer privaten Trägerschaft städtischen Boden für die Errichtung eines Gassenzimmers zur Verfügung stellt. Die Bevölkerung lehnte dies an der Urne jedoch knapp ab. So ging das Treiben hinter den Mauern des Stadtgartens weiter.

«In ländlichen Gegenden ist es schwieriger, die Bevölkerung vom Nutzen von Konsumräumen zu überzeugen. Die Leute sind traditioneller eingestellt, und die meisten von ihnen waren in ihrem Leben selten oder nie mit Drogenabhängigen konfrontiert», sagt Margrith Meier.

Wie wenig vertraut die Politik mit der Thematik ist, zeigt das Beispiel des Bündner Sozialdirektors Marcus Caduff. Obwohl er für das Dossier zuständig ist, erklärte er gegenüber der NZZ noch vor zwei Jahren, dass er erst habe lernen müssen, dass Sucht eine Krankheit sei. Caduff macht kein Hehl daraus, dass er sich auch heute noch nicht für die Idee erwärmen kann. «Die Drogenszene verschwindet nicht nur wegen des Konsumraums. Es gibt weder eine Evidenz für eine Zu- noch für eine Abnahme der Beschaffungskriminalität durch das Vorhandensein eines solchen Raums.»

Ganz anders verhält sich das bei seinem Pendant bei der Stadt. SP-Mann Patrik Degiacomi wuchs mit einer alleinerziehenden Mutter auf, die alkoholkrank war. Bereits als kleiner Junge hat er gelernt, was Sucht bedeutet. Es sei ihm früh klargeworden, dass er nicht aus der Mitte der Gesellschaft stamme. Sein Vollzeitstudium an der Universität Freiburg musste er aus finanziellen Gründen abbrechen. Anschliessend absolvierte er ein berufsbegleitendes Studium in sozialer Arbeit.

«Nichts tun ist keine Option. Der Konsumraum ist nötig, damit wir den öffentlichen Drogenkonsum und den Kleinhandel so gut wie möglich unterbinden können. Sie könnte sonst eine Sogwirkung entwickeln», sagt Degiacomi. Er weist darauf hin, dass sich direkt neben dem Stadtgarten schliesslich eine Primarschule, eine Lehrlingsunterkunft und die kaufmännische Berufsschule befänden.

Unter dem Eindruck der Zustände im Stadtgarten ist nun allerdings Bewegung ins Spiel gekommen. «Wir nähern uns bei der Raumsuche der Zielgeraden. Bei voller Unterstützung durch den Kanton und den Verein Überlebenshilfe Graubünden kann die Eröffnung eines Konsumraumes im Winter 23/24 Realität werden», so Degiacomi. Möglich ist dies geworden, weil die Stadt die Finanzierung übernommen hat, obwohl nach ihrer Ansicht eigentlich der Kanton zuständig wäre. So kommt es zum Kompromiss – und Stadt und Kanton suchen gemeinsam nach einer geeigneten Liegenschaft in der Stadt.

Doch ob die Szene wirklich ganz verschwindet, ist offen. Zutritt zum Konsumraum sollen nur Personen aus dem Kanton Graubünden haben – und dies, obwohl Chur auch Anziehungspunkt für Süchtige aus benachbarten Regionen wie dem Sarganserland und dem Rheintal ist.

Andres ist froh, dass er keinen Konsumraum mehr besuchen muss. Er schaut zuversichtlich in die Zukunft. «Base und Heroin rühre ich nicht mehr an. Aber aus meinem Kopf werde ich es wohl ein Leben lang nicht mehr bringen.»

* Name von der Redaktion geändert.
(https://www.nzz.ch/schweiz/immer-wenn-ich-mit-dem-bus-am-stadtgarten-chur-vorbeifahre-hyperventiliere-ich-fast-ld.1733654)


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Déclaration de notre camarade G. devant les juges.
Voici la déclaration faite par notre camarade G. lors de son procès pour son engagement internationaliste. Le tribunal n’ayant pas pu prouver quelle avait été la nature de ses activités au Rojava, il a été acquitté.
https://renverse.co/analyses/article/declaration-de-notre-camarade-g-devant-les-juges-3980


Jusos mischen sich unter den Umzug
Rund ein Dutzend Jungsozialistinnen und Jungsozialisten (Juso) haben sich unerlaubterweise in den Umzug gedrängt. Sie sind mit Regenbogenfahnen und einem Transparent «Sächslitüüte hätt uusglüüte» mitgelaufen. Nach etwa drei Minuten hat die Stadtpolizei sie weggeführt und ihnen die Fahnen weggenommen.
https://www.tagesanzeiger.ch/das-wetter-ist-den-zuenftern-hold-136496712397
-> https://www.20min.ch/story/hier-ist-der-saechsilueuete-boeoegg-unterwegs-zum-bellevue-512203534655?version=1681744400772
-> https://twitter.com/jusozueri/status/1647977315857571844


Waldbesetzer lassen Ultimatum in Rümlang verstreichen
Die Waldbesetzerinnen und Waldbesetzer haben ihr Protestcamp in Rümlang nicht aufgegeben. Damit ignorieren sie ein Ultimatum der Gemeinde. Wie diese weiter vorgehen will, liess sie aber offen.
https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/waldbesetzer-lassen-ultimatum-in-ruemlang-verstreichen-00210183/


Angriff gegen die Lobby der Kriegsindustrie – heraus zum 1. Mai!
Wir haben in der Nacht vom Sonntag auf den Montag die Swissmem in Winterthur mit Farbe angegriffen. Der Branchenverband Swissmem lobbyiert angesichts des Kriegs in der Ukraine auf allen Kanälen für eine Lockerung des Kriegsmaterialexportgesetzes. Wir halten dem entgegen: nicht Waffen, Tod und Zerstörung sondern die internationale Solidarität der Arbeiter:innenklasse kann Frieden und ein gutes Leben für alle erkämpfen. Heraus zum 1. Mai!
https://barrikade.info/article/5881


Vandalismus in der Romandie: Umweltaktivisten verwüsten drei Golfplätze
Drei Golfplätze in der Schweiz wurden von Umweltaktivisten verwüstet. Die Aktion wurde von der Gruppe «Grondement des terres» durchgeführt.
https://www.blick.ch/schweiz/westschweiz/waadt/vandalismus-in-der-romandie-umweltaktivisten-verwuesten-drei-golfplaetze-id18496289.html


Recours refusé mais on baisse pas les bras !
Le recours contre la détention provisoire de Jérémy* a été refusé. On ne baisse pas les bras !
 Le jeudi 13 avril, la chambre pénale de recours a refusé de libérer Jérémy* et a confirmé sa détention préventive jusqu’au 15 juin au moins. Le comité de soutien à Jérémy* est consterné par cette décision. Un mois d’enfermement à Champ-Dollon est déjà un mois de trop, il est inacceptable que notre ami et camarade y reste deux mois de plus !
https://renverse.co/infos-locales/article/recours-refuse-mais-on-baisse-pas-les-bras-3984



bernerzeitung.ch 17.04.2023

Strafe für Strassenblockade: Klimaaktivisten fordern Berner Gerichte heraus

Die Protestgruppe blockierte die Lorrainebrücke und wird nun der Nötigung beschuldigt. Ist das zu streng? Selbst die Gerichte sind sich nicht einig.

Michael Bucher

Strassen blockieren und damit den verpönten Autoverkehr ausbremsen hat sich zu einem beliebten Protestmittel der Klimabewegung entwickelt. Die jüngste und aufsehenerregendste Aktion fand am Karfreitag statt, als sich sieben Aktivistinnen und Aktivisten vor dem Gotthardtunnel auf der Autobahn festklebten.

Auch Bern geriet schon ins Visier der sogenannten Klima-Kleber. Etwa letzten Oktober, als sechs Mitglieder der Bewegung «Renovate Switzerland» an einem Samstagnachmittag die Lorrainebrücke blockierten. Drei von ihnen klebten ihre Hände mit Sekundenkleber am Asphalt fest. Die Polizei war schnell vor Ort, und nach rund 30 Minuten rollte der Verkehr wieder.

Nun wurde das erste Mitglied der Gruppe verurteilt, wie ein Strafbefehl zeigt, der dieser Zeitung vorliegt. Eine 42-jährige Frau aus dem Seeland kassierte eine Geldstrafe auf Bewährung in der Höhe von 960 Franken. Zudem muss sie eine Busse inklusive Gebühren von 720 Franken zahlen. Während jene Strafe rechtskräftig ist, wehrt sich mindestens eine beteiligte Person gegen ihren Strafbefehl, wie es bei der Berner Staatsanwaltschaft auf Anfrage heisst. Das bedeutet, dass es zur Gerichtsverhandlung kommt.

Eintrag ins Strafregister

Derzeit sind schweizweit Dutzende Beschwerden in ähnlichen Fällen hängig. Dies, obwohl die Klimastreikenden immer wieder betonen, bei ihrem zivilen Ungehorsam Bussen bewusst in Kauf zu nehmen. Die Beschwerden haben vor allem mit der Schwere der Strafe zu tun. So zeigt sich, dass die jeweiligen Staatsanwaltschaften die Protestierenden nicht bloss wegen eines harmlosen Verstosses gegen das Strassenverkehrsgesetz büssen, sondern ihnen zudem eine ungleich schwerwiegendere Nötigung vorwerfen. Begründet wird diese damit, dass durch die Blockade Autofahrende ungewollt im Stau stecken bleiben und so womöglich Termine verpassen würden.

Das hat zur Folge, dass die Strassenblockierer zusätzlich einen Eintrag ins Strafregister erhalten. Erst letzte Woche versuchte eine Aktivistin aus der Gesundheitsbranche das Zürcher Obergericht davon zu überzeugen, dass ein Strafregistereintrag wegen einer friedlichen Demo völlig übertrieben sei. Es blieb jedoch beim Versuch.

Dass der Vorwurf der Nötigung auch in der Rechtsprechung umstritten ist, zeigen diverse Gerichtsurteile. Zum Beispiel jenes des Regionalgerichts Bern-Mittelland von Anfang März. Angeklagt war ein 69-Jähriger, der einmal die Bundesgasse in Bern und einmal die Uraniastrasse in Zürich zusammen mit anderen Aktivisten blockiert hatte. Die Richterin sprach den Mann schliesslich vom Vorwurf der Nötigung frei.

Sie begründete ihren Entscheid damit, dass es dem friedlichen Sitzstreik an der «nötigen Intensität» gefehlt habe, um von Nötigung zu sprechen. Die Richterin meinte aber auch: «Anders wäre es gewesen, hätten die Demonstrierenden eine Autobahn blockiert.» Der Wegfall der Nötigung verringerte die ursprüngliche Busse um 500 Franken, auch die bedingte Geldstrafe fiel dadurch weg.

Befangener Richter?

Auch in Zürich kam es in der Vergangenheit am Bezirksgericht zu zahlreichen Freisprüchen in Sachen Nötigung. Betroffen waren Blockadeaktionen auf der Quaibrücke und der Uraniastrasse – beide sind vom Verkehrsaufkommen her mit der Berner Lorrainebrücke vergleichbar.

Doch wie sich zeigt, sieht man die Sachlage eine Instanz höher ganz anders. So hat das Zürcher Obergericht jüngst in einigen Fällen die Freisprüche wieder in Schuldsprüche umgewandelt. Eine endgültige Klärung der Nötigungsfrage wird es wohl erst geben, wenn das Bundesgericht als höchste Instanz im Land ihr erstes Urteil dazu gefällt haben wird.

Wie aufgeladen das Thema selbst in den Gerichtsstuben ist, zeigt folgende Episode: Ein Zürcher Bezirksrichter sprach mehrere Strassenblockierer aus Prinzip frei, weil die Meinungsäusserungs- und Versammlungsfreiheit geschützt werden müsse. Die Staatsanwaltschaft stellte daraufhin ein Ausstandsbegehren, da der Richter offenbar Sympathien für die Aktivisten hege und befangen sei. Die Sache liegt mittlerweile beim Bundesgericht. Bis dieses entschieden hat, ist es besagtem Richter untersagt, in Klimaprozessen zu entscheiden.
(https://www.bernerzeitung.ch/klimaaktivisten-fordern-berner-gerichte-heraus-360804168170)


+++REPRESSION FR
Arsenal répressif anti-terroriste déployé par l’État français à l’encontre d’un militant écologiste suisse
Le 24 mars dernier, dans le cadre de la mobilisation contre les méga-bassines, un ressortissant suisse a été arrêté puis expulsé. Une criminalisation croissante des militant·es écologistes.
 https://renverse.co/infos-locales/article/arsenal-repressif-anti-terroriste-deploye-par-l-etat-francais-a-l-encontre-d-un-3983


+++SPORT
FCB handelt nach Fangewalt und trennt sich von Sicherheitsfirma
Der Club teilt heute mit, dass er künftig mit einer der drei Sicherheitsfirmen nicht mehr zusammenarbeiten möchte, sondern sich auf die beiden anderen Firmen Pantex AG und Stadiondienst AG beschränken möchte. Dies im Zuge der Ausschreitungen an einem Heimspiel des FCBs vor knapp zwei Wochen.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/fcb-handelt-nach-fangewalt-und-trennt-sich-von-sicherheitsfirma?id=12371589
-> https://www.fcb.ch/aktuell/news/alle-news/anpassungen-im-sicherheitsbereich/



Basler Zeitung 17.04.2023

Nach den Joggeli-Ausschreitungen: Die Firma Protectas quittiert ihren Dienst im St.-Jakob-Park

Der FCB kündigt als Folge der jüngsten Ausschreitungen Änderungen im Sicherheitskonzept an. Neu liegen alle Dienste in diesem Bereich bei der Pantex AG.

Tilman Pauls

Die schweren Ausschreitungen nach dem Cup-Halbfinal sind inzwischen fast zwei Wochen her. Und nach der Sektorensperrung im Ligaspiel gegen die Young Boys am Sonntag haben die Vorfälle weitere Folgen: Der FCB passt sein Sicherheitskonzept in gewissen Aspekten an, wie der Club am Montag kommuniziert hat.

Unter anderem wird das Sicherheitsunternehmen Protectas künftig nicht mehr den Ordnungsdienst bei gewissen Basler Heimspielen übernehmen. Dies allerdings aus eigenem Antrieb: Mehrere Quellen bestätigen, dass die Firma nach den Angriffen auf ihre Mitarbeitenden von sich aus auf Einsätze im Joggeli verzichtet.

Protectas selber will sich nicht dazu äussern und reagiert auf eine entsprechende Anfrage mit der Antwort: «Bei Informationsanfragen zu diesem Thema bitten wir Sie, sich direkt an unseren Kunden zu wenden.» Dieser Kunde – der FCB – dementiert den Umstand nicht, dass die Trennung von Protectas ausging.

Mehr als zehn Jahre war es der Fall, dass das Unternehmen bei Hochrisikospielen neben dem Stadiondienst der Basler beigezogen wurde, um die Sicherheit im Stadion zu gewährleisten. Dies wird nun künftig die Pantex AG übernehmen, die seit dem letzten November der offizielle Sicherheitspartner des FCB ist.

Dies könnte sich auch auf das Erscheinungsbild innerhalb des Stadions niederschlagen: Der schwer gepanzerte Ordnungsdienst der Protectas – für gewisse Teile der Fans allein nur schon darum eine Provokation – könnte durch weniger schwer ausgerüstete Personen ersetzt werden.

«Mit diesem Schritt werden der bereits vorher vom FCB eingeschlagene Weg und die Philosophie der Deeskalation weitergeführt und bekräftigt», teilt der Club mit. Für allfällige kritische Situationen, die jederzeit entstehen könnten, stehe neben den Pantex-Kräften auch die Polizei unterstützend zur Verfügung.

Zudem teilt der Club mit, dass neben dem leicht angepassten Sicherheitsdispositiv künftig ein «verstärkter und erweiterter Dialog mit verschiedenen Fangruppierungen» geführt werde. Der FCB schreibt: «Auch dieser Prozess wurde bereits kurz nach den Ausschreitungen von vorletzter Woche in die Wege geleitet.»
(https://www.bazonline.ch/die-firma-protectas-quittiert-ihren-dienst-im-st-jakob-park-469023937581)



luzernerzeitung.ch 17.04.2023

Nach erneutem Gummischrot-Einsatz bei Fanmarsch: So viel kosten die Einsätze der Luzerner Polizei

Trotz regelmässiger Ausschreitungen gibt es in Luzern einen Abwärtstrend, was die Kosten für die Polizei-Einsätze bei Super-League-Spielen betrifft. Wir zeigen, warum.

Simon Mathis, Lukas Zwiefelhofer, Roman Hodel

Rund 2000 Fans des FC Zürich sind am Samstag zum Super-League-Match nach Luzern gereist – einige, um einmal mehr zu randalieren. So teilte die Luzerner Staatsanwaltschaft in der Nacht auf Sonntag mit, dass FCZ-Anhänger nach dem Spiel während des bewilligten Fanmarsches zum Bahnhof an der Voltastrasse zwei Autos und eine mobile Toilette beschädigt haben. Chaoten bewarfen die Polizei zudem mit Flaschen. Die Polizei musste Gummischrot einsetzen.

Der erneute Vorfall erregt die Gemüter. So kritisiert Mitte-Kantonsrat Adrian Nussbaum (Hochdorf) auf Twitter, er habe kein Verständnis für den «Kuschelkurs» des Justiz- und Sicherheitsdirektors Paul Winiker (SVP). Nussbaum hatte nach Ausschreitungen im März von Basler Fussballchaoten in Luzern in einem Vorstoss unter anderem gefordert, den FCL zu verpflichten, bei künftigen Ausschreitungen die Kosten zu 100 Prozent zu übernehmen. Der Kantonsrat erachtete das Problem pöbelnder Fans allerdings als nicht dringlich.

    @PaulWiniker Wo bleiben die versprochenen Masnahmen? Luzerner Lösung? Oder muss zuerst einer deiner Polizisten verletzt werden? Ich habe Null-Komma-Null Verständnis für deinen Kuschelkurs! https://t.co/qAeQcjHbE7
    — Adrian Nussbaum (@AdrianNussbaum) April 16, 2023

FCL übernimmt 80 Prozent des Kosten für Polizei-Einsätze

Wie kostspielig sind eigentlich die Einsätze der Luzerner Polizei, die bei Fussballspielen entstehen? Und: Wie viel davon müssen die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler berappen? Die kantonale Justiz- und Sicherheitsdirektion (JSD) nennt auf Anfrage keine Personalkosten zu einzelnen Einsätzen der Polizei. Grund: «Aus den konkreten Zahlen lässt sich auf das jeweilige Sicherheitsdispositiv schliessen. Weder die Polizei noch das Departement geben diese Details bekannt», erläutert JSD-Mediensprecher Erwin Rast.

Eine grobe Rechnung lässt sich dennoch anstellen. Der Kanton gibt auf Anfrage nämlich bekannt, wie viel die Ordnungsdiensteinsätze im Rahmen der regulären Meisterschaft zu Buche schlugen. Dazu muss man wissen, dass der Kanton seit einigen Jahren eine Vereinbarung mit dem FCL abgeschlossen hat. Alljährlich wird dem Fussballklub eine Pauschale für die Sondereinsätze berechnet, die 80 Prozent der Gesamtkosten des Vorjahres ausmacht. Aus den Zahlen lässt sich schliessen, dass die Kosten tendenziell rückläufig sind.

Spiele mit hohem Risiko werden mit 50’000 Franken verrechnet

Im Jahr 2016 kosteten die Sondereinsätze rund 1,09 Millionen Franken. 870’000 Franken davon übernahm der FCL, die restlichen 218’000 Franken der Kanton Luzern, also letztlich die Steuerzahlenden. 2019 sanken die Gesamtkosten auf ungefähr 750’000 Franken. «Wir stellen fest, dass die Kosten sukzessive abgenommen haben», hält Rast fest. «Dies deshalb, weil die Polizei ihre Einsatztaktik anpasste und auch der FCL seinerseits entsprechende Massnahmen eingeleitet hat. Im Weiteren hängt es aber auch davon ab, welche Teams in der obersten Liga spielen.»

Aktuellere Zahlen, vor allem würden natürlich jene aus der laufenden Saison interessieren, kann der Kanton nicht nennen – wobei zu beachten ist, dass die Daten aus den Jahren 2020 und 2021 aufgrund von Corona ohnehin nicht repräsentativ sind. In den Zahlen nicht eingerechnet sind Spiele, die ausserhalb der Super League stattfinden, also zum Beispiel Freundschafts- oder Cupspiele respektive Spiele der Schweizer Nationalmannschaft. Für diese Spiele wird eine Pauschale verrechnet. Spiele mit geringem Sicherheitsrisiko bleiben unentgeltlich. Bei einem mittleren Sicherheitsrisiko verrechnet der Kanton 25’000 Franken, bei einem hohen Sicherheitsrisiko 50’000 Franken.
-> https://img.chmedia.ch/2023/04/17/6a31af53-0bf6-4c74-a4f9-f171c5776279.png

Im Jahr 2019 fanden 18 Super-League-Spiele statt. Geht man von den jährlichen Kosten von 750’000 Franken aus, kostete ein Polizei-Einsatz pro Spiel durchschnittlich ungefähr 41’700 Franken. An den Steuerzahlenden hängen blieben also im Schnitt 8340 Franken pro Spiel. Diese Zahl muss allerdings mit Vorsicht gelesen werden: Denn es ist davon auszugehen, dass diese Kosten je nach Spiel stark schwanken. Die Leistung der sogenannten polizeilichen Grundversorgung sind in dieser Zahl ebenfalls nicht eingerechnet,denn pro Veranstaltung leistet die Polizei 200 unentgeltliche Einsatzstunden – davon profitieren indes alle Veranstalter, nicht nur der FCL.

SBB haben Kosten von bis zu 300’000 Franken jährlich

Auch für die SBB haben die regelmässigen «Scharmützel» der Fan-Chaoten finanzielle Konsequenzen. Die beiden Extrazüge, welche die SBB den FCZ-Anhängern am Samstag zur Verfügung gestellt hat, seien dieses Mal zwar nicht beschädigt worden. Die SBB teilt jedoch mit, dass Sachbeschädigungen an Extrazügen für sie jährlich Kosten von zirka 200’000 bis 300’000 Franken verursachen würden.

Grundsätzlich müssten Verursacher von Sachbeschädigungen den Schaden selber bezahlen. In manchen Fällen wäre es jedoch schwierig, die Strafhandlungen bestimmten Personen zuzuordnen und diese strafrechtlich zu verfolgen. In solchen Situationen erstatte die SBB Anzeige gegen unbekannt.

Mobility nimmt Politik und Klubs in die Pflicht

Zurück zum Samstag. Eines der beiden beschädigten Autos gehört der Carsharing-Firma Mobility. Der entstandene Schaden belaufe sich auf mehrere tausend Franken, erklärt Sprecher Stefan Roschi. Die Reperaturkosten seien abzüglich des Selbstbehaltes versichert.

In Luzern sei es nicht das erste Mal, dass nach einem Fussballspiel Sachbeschädigungen an Fahrzeugen zu verzeichnen sind. Roschi betont: «Wir hoffen und erwarten, dass die Täterschaft gefunden und zur Rechenschaft gezogen wird. Zudem wünschen wir uns, dass die Politik und die Fussballklubs Lösungen finden, damit rund um solche Veranstaltungen nicht immer wieder Autos, Busse und Züge beschädigt werden.»
(https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/stadt-region-luzern/fussballchaoten-nach-erneutem-gummischrot-einsatz-bei-fanmarsch-so-viel-kosten-die-einsaetze-der-luzerner-polizei-ld.2443558)


+++BIG BROTHER
Frühjahrsputz beim NDB: Geheimdienst-Führung muss sich neu auf ihre Stellen bewerben
Bundesrätin Viola Amherd hat eine Findungskommission eingesetzt – einzig der neue Geheimdienstchef Christian Dussey hat seinen Job auf sicher. Angepeilt wird ein Kulturwandel im Nachrichtendienst.
https://www.watson.ch/schweiz/geheimdienste/262413474-fruehjahrsputz-beim-ndb-geheimdienst-fuehrung-muss-sich-neu-bewerben
-> https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/geheimdienstfuhrung-muss-sich-neu-bewerben-66474740
-> https://www.blick.ch/politik/alle-ausser-dem-direktor-geheimdienstkader-muessen-sich-neu-bewerben-id18494659.html
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/nachrichtendienst-des-bundes-geschaeftsleitung-des-ndb-muss-sich-neu-bewerben


+++FRAUEN/QUEER
Der lange Weg einer «Geschlechtsumwandlung» – 10vor10
«Es ist, als ob man immer lügt»: Letztes Jahr konnte Justin sein amtliches Geschlecht offiziell anpassen lassen – von weiblich zu männlich. Sein langer Weg vom Transjugendlichen zum erwachsenen Mann.
https://www.srf.ch/play/tv/10-vor-10/video/fokus-der-lange-weg-einer-geschlechtsumwandlung?urn=urn:srf:video:a28aec55-2a26-4868-80e0-5625ae37a207


+++RASSISMUS
ANTIRA-WOCHENSCHAU: Suizid in Administrativhaft, Notstand in Italien, Verschwörungstheorien im Volkshaus
https://antira.org/2023/04/17/suizid-in-administrativhaft-notstand-in-italien-verschwoerungstheorien-im-volkshaus/


Heikle Figuren: Sind Afrikaner im Bast-Röckli beim Eierauflesen in Auenstein rassistisch?
Das Eierauflesen in Auenstein ist eine jahrzehntelange Tradition. Wir berichteten gestern über den Brauch. Beim Wettkampf zwischen Winter und Frühling waren junge Männer anwesend, die schwarz angemalt waren und einen Bastrock trugen. Dies sei rassistisch, heisst es bei Human Rights Switzerland. Kein Problem, sagt hingegen die Auensteiner SVP-Grossrätin Maya Meier.
https://www.telem1.ch/aktuell/heikle-figuren-sind-afrikaner-im-bast-roeckli-beim-eierauflesen-in-auenstein-rassistisch-151057852
-> https://www.aargauerzeitung.ch/international/auenstein-kritik-an-eierauflesen-dass-wir-im-2023-noch-darueber-sprechen-muessen-ld.2443891


+++HISTORY
Hast du gewusst? Das Sächsilüüte war am Anfang eine Demo gegen Wohnungsnot
Das Sächsilüüte hat seine Anfänge nicht bei den Zünften, sondern im Kratzquartier. Weil das Armenquartier abgerissen werden sollte, verbrannten Bewohner einen «Böögg» – die Verkörperung eines «bürgerlichen Zürchers von der rechten Limmatseite».
https://www.20min.ch/story/hast-du-gewusst-der-boeoegg-war-einst-ein-immobilien-hai-494748920018