Medienspiegel 11. April 2023

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/

+++AARGAU
«Wir haben immer mehr Asylanten» – «Ich habe mehr Angst vor Zugausfällen»: Heimgartner und Kälin über Gewalt an Bahnhöfen
Die Anzahl der Gewaltdelikte nimmt zu. Die beiden Aargauer Nationalrätinnen Stefanie Heimgartner (SVP) und Irène Kälin (Grüne) diskutierten im «Talk Täglich» über die Gründe und mögliche Lösungsansätze.
https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/talk-taeglich-wir-haben-immer-mehr-asylanten-ich-habe-mehr-angst-vor-zugausfaellen-heimgartner-und-kaelin-ueber-gewalt-an-bahnhoefen-ld.2441314
-> https://www.telem1.ch/talktaeglich/gewalt-an-den-bahnhoefen-150473664



aargauerzeitung.ch 11.04.2023

Rekord bei minderjährigen Flüchtlingen im Aargau: Günter Marz vom Sozialdienst über den Fall Windisch, Betreuung und Risikofaktoren für Kriminalität

Günter Marz ist beim Kantonalen Sozialdienst zuständig für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMA). Er spricht über den Fall Windisch, Herausforderungen in der Betreuung und sagt, warum die Jungs trotz vieler Risikofaktoren für Kriminalität die Jugendanwaltschaft nicht auf Trab halten.

Interview: Noemi Lea Landolt, Bilder: Mathias Förster

Letztes Jahr haben in der Schweiz mehr als 2000 Jugendliche, die ohne ihre Eltern geflüchtet sind, ein Asylgesuch gestellt. Weil sie minderjährig sind, gelten in Bezug auf Unterbringung und Betreuung höhere Anforderungen. Das stellt den Kanton vor grosse Herausforderungen.

Letztes Jahr hat er in Villmergen eine neue Unterkunft für unbegleitete minderjährige Asylsuchende (UMA) eröffnet. Doch diese Plätze reichen nicht. Deshalb plant der Kanton weitere Unterkünfte. In Gebenstorf und in Windisch. Die Pläne in Windisch sorgten während Tagen für Schlagzeilen. Mieterinnen und Mieter haben die Kündigung erhalten, weil der Kanton in den Liegenschaften an der Zelgli- und Mülligerstrasse – bis sie abgebrochen und neu gebaut werden – eine Unterkunft für minderjährige Flüchtlinge plant.

Günter Marz arbeitet beim Kantonalen Sozialdienst. Er ist als Bereichsleiter für die UMA zuständig.

Wo waren Sie, als die ersten Artikel zum Fall Windisch veröffentlicht wurden?

Günter Marz: Ich war in einer Sitzung.

Was ging Ihnen durch den Kopf?

Mir war ab dem ersten Artikel klar, dass das ein riesiges Thema werden wird und dass es nicht möglich sein wird, unsere Sicht der Dinge rechtzeitig darzulegen.

Als UMA-Bereichsleiter sassen Sie mit Vertreterinnen und Vertretern der Gemeinde Windisch am Tisch. Wie haben Sie diese Gespräche erlebt?

Zu einzelnen Gesprächen äussere ich mich grundsätzlich nicht.

Dann frage ich allgemeiner: Welche Befürchtungen äussern Gemeinden, wenn es darum geht, in ihrem Dorf eine UMA-Unterkunft zu eröffnen?

Grundsätzlich fragen sich alle Gemeinden dasselbe: Was bedeutet es, wenn wir plötzlich 50, 60 oder 70 geflüchtete Jugendliche in unserer Gemeinde haben? Und auch die Schule ist im Zusammenhang mit Jugendlichen ein Thema, weil ein Teil der minderjährigen Geflüchteten schulpflichtig ist.

Wie reagieren Sie auf Befürchtungen der Gemeinden?

Wir nehmen die Befürchtungen der Gemeinden ernst und sagen zu, dass wir für einen reibungslosen Betrieb unser Möglichstes tun werden. Wir bieten kurze und zuverlässige Kommunikationswege, die für Behörden und Anwohner offenstehen. Es geht darum, Vertrauen zu schaffen und dieses Vertrauen dann im laufenden Betrieb zu bestätigen.

Es gibt bereits UMA-Unterkünfte in Aarau, Unterentfelden und Villmergen. Wie sind da die Rückmeldungen?

Wenn eine Unterkunft in Betrieb ist, stellt sich in der Regel heraus, dass die meisten Befürchtungen unbegründet sind. Natürlich gibt es ab und zu Themen, die mit den Gemeinden geklärt werden müssen. Da ist es wichtig, dass die Gemeinden eine Ansprechperson haben. Die Gemeinden können den Kantonalen Sozialdienst über eine Hotline jederzeit erreichen.

Sie sind selbst Gemeinderat von Thalheim und für das Sozialwesen zuständig. Hilft Ihnen das in Verhandlungen mit Gemeinden?

In der Region Brugg kennt man sich unter den Gemeinderäten. Ich mache das in solchen Verhandlungen aber nicht zum Thema. Ich sitze als UMA-Bereichsleiter und Vertreter des Kantonalen Sozialdienstes (KSD) am Tisch und nicht als Gemeinderat. Es ist mir wichtig, diese Rollen zu trennen. Natürlich ist mir bewusst, was die aktuelle Situation für die Gemeinden bedeuten kann. Ich bin aber überzeugt, dass diese Herausforderungen allen Mitarbeitenden im KSD bewusst sind. Dafür muss man nicht selbst Gemeinderat sein.

Mit welchen Herausforderungen kämpfen Sie als Kleinstgemeinde aufgrund der steigenden Asylzahlen?

Mir ist die Trennung von Beruf und Amt wichtig. Deshalb äussere ich mich hier nur als UMA-Bereichsleiter.

Als Bereichsleiter UMA sind Sie dafür zuständig, dass minderjährige Flüchtlinge, die ohne ihre Eltern flüchten, ein Bett haben. Im Februar rechneten Sie damit, dass der Kanton dieses Jahr 160 zusätzliche Plätze für UMA schaffen muss. Gilt das noch?

Wir gehen derzeit davon aus, dass das noch gilt. Die Asylgesuche von Minderjährigen waren Anfang 2023 stark rückläufig. Das wird sich hoffentlich beruhigend auswirken. Letztes Jahr haben 2450 UMA in der Schweiz Asyl beantragt. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) rechnet dieses Jahr mit gleich vielen Gesuchen. Wir richten unsere Planung so aus, dass wir diese Zuweisungen aufnehmen können.

Wie viele freie Plätze für UMA hat es im Moment?

Knapp ein Dutzend.

Wie wollen Sie das schaffen? Neue Unterkünfte, etwa jene in Gebenstorf mit 50 Plätzen, können Sie erst im Juli in Betrieb nehmen.

Wir hoffen, dass wir mit den bestehenden Strukturen über die Runden kommen, bis die Unterkunft in Gebenstorf parat ist und vielleicht auch die Unterkunft in Windisch belegt werden kann. Um das zu bewerkstelligen, möchten wir unter anderem neben der UMA-Unterkunft in Villmergen Container aufstellen. Es gab aber eine Einsprache gegen das Baugesuch.

Im Februar haben Sie anlässlich eines Besuchs in der UMA-Unterkunft in Villmergen gesagt, Sie möchten verhindern, dass plötzlich vier statt zwei Jugendliche ein Zimmer teilen müssen. Ist Ihnen das gelungen?

Bis jetzt, ja. Im Moment versuchen wir, die bestehenden Unterkünfte zu erweitern, anstatt die Zimmer noch stärker zu belegen. In Aarau können wir den Dachstock nutzen. In Unterentfelden, wo es bereits eine UMA-Unterkunft gibt, können wir in der Unterkunft für Erwachsene im Hotel T8 maximal 28 Plätze für Jugendliche nutzen.

Wie viele UMA werden dem Kanton Aargau pro Woche zugewiesen?

Ab Mitte April sind bereits zirka zehn Jugendliche pro Woche angekündigt. In den Unterkünften ist derzeit ein Kommen und Gehen. Neue Jugendliche ziehen ein, jene, die volljährig werden, müssen ausziehen.

Am 16. Februar hat Regierungsrat Jean-Pierre Gallati beim Staatssekretariat für Migration (SEM) einen Zuweisungsstopp für minderjährige Flüchtlinge für vier Wochen beantragt. Warum war dieser Schritt nötig?

Von Anfang November bis Mitte Februar haben wir doppelt so viele UMA aufgenommen wie prognostiziert. In diesen knapp vier Monaten sind uns mehr als 150 Jungs zugewiesen worden. Die Prognosen des SEM im Szenario mittel bis hoch lagen bei 20 Zuweisungen pro Monat.

Und Reservestrukturen hatten Sie damals keine.

Doch, aber nicht für so viele Zuweisungen. Wir mussten Massnahmen ergreifen und haben Jugendliche, die bald volljährig wurden, vorzeitig in Gemeinden weitervermittelt. Zusammen mit den Plätzen im Hotel T8 in Unterentfelden, im Dachstock in Aarau und den zusätzlichen Plätzen der Sofa-Stiftung in Brugg, die uns seit Februar zur Verfügung stehen, sind wir bis jetzt gut über die Runden gekommen.

Steht zur Debatte, eine Erwachsenenunterkunft als zusätzliche UMA-Unterkunft zu nutzen?

Natürlich überlegen wir uns das. Die UMA-Unterkunft in Villmergen war ja früher auch eine Erwachsenenunterkunft. Eine solche Umnutzung ist aber nie einfach, weil es für die Erwachsenen, die jetzt dort leben, bedeutet, dass sie umziehen müssen.

Warum nutzen Sie das Hotel Aarehof in Möriken nicht als Unterkunft für Minderjährige? Das wäre doch geeignet mit den vielen kleinen Zimmern.

Das haben wir uns überlegt. Aber bei Unterkünften für Jugendliche gibt es nach unserer Einschätzung eine kritische Grösse, ab der es schwierig werden kann, sie zu führen. Im Hotel Aarehof hat es Platz für 140 Personen. Im Aargau fehlt uns die Erfahrung mit einer so grossen UMA-Unterkunft. Davor habe ich Respekt, weil ich nicht weiss, ob das von der Betreuung her gut machbar ist.

Vor zwei Wochen ist die Kriminalstatistik veröffentlicht worden. Sie zeigt, dass Gewaltdelikte in der Schweiz zugenommen haben. Täter sind oft junge Männer, viele haben eine ausländische Herkunft. Zeigt sich das auch in den UMA-Unterkünften?

Der Kantonale Sozialdienst hatte kürzlich einen Austausch mit den kantonalen Sicherheitsbehörden, bei dem bestätigt wurde, was wir vermutet haben: Unsere Jungs nicht übermässig auffällig. Und auch Kleinkriminalität wie Ladendiebstähle treten nicht gehäuft auf.

Worauf führen Sie das zurück? Risikofaktoren, um in eine negative Spirale zu geraten, gäbe es zuhauf: Die minderjährigen Flüchtlinge sind traumatisiert, sie müssen in einem fremden Land Fuss fassen und haben kaum Geld.

Die Jungs haben tatsächlich viele Risikofaktoren für Kriminalität. Gleichzeitig können sie es sich schlicht nicht leisten, mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten. Sie wissen, dass sie damit ihre Zukunft in der Schweiz aufs Spiel setzen. Da können sie beruflich noch so gut integriert sein, mit einem gröberen Delikt im Strafregister ist es nicht realistisch, dass nach fünf Jahren ein Härtefallgesuch bewilligt würde. Diese Botschaft geben wir ihnen auch mit auf den Weg.

Sie haben früher bei der Jugendanwaltschaft gearbeitet. Da hatten Sie also nicht ständig mit UMA zu tun?

Nein. Natürlich hatten wir Fälle und es gibt auch heute immer wieder schwierige Fälle. Aber die Gruppe der minderjährigen Geflüchteten hat die Jugendanwaltschaft meines Wissens nie übermässig beschäftigt.

Wie eng ist der Kontakt zur Jugendanwaltschaft oder Polizei? Erhalten Sie jedes Mal eine Meldung, wenn einer der Jungs etwas klaut oder schwarzfährt?

Wir erhalten wenn nötig Meldungen, wenn etwas passiert ist, und sprechen die Vorfälle an.

Gibt es Entwicklungen, die Sie beunruhigen?

Jugendliche funktionieren beziehungsorientiert. Beziehungsarbeit wird sicher nicht einfacher, je mehr UMA wir betreuen müssen. Meine Sorge ist, dass wir beunruhigende Entwicklungen bei einzelnen Jugendlichen übersehen, wenn wir immer mehr Jugendliche betreuen müssen. Vor allem weil die Nachrekrutierung von Fachpersonal immer schwieriger wird.

Und dann kollabiert das ganze System?

Nein. Ich habe keine Angst, dass uns die ganze UMA-Betreuung um die Ohren fliegt. Dafür arbeiten wir zu engagiert. Es ist mehr die Angst vor dem Einzelfall, den man vielleicht nicht rechtzeitig erkennt und der dann eskaliert.

Die Betreuungspersonen in den Unterkünften sind im Moment sehr gefordert. Was können Sie als Chef tun, um sie zu entlasten?

Es ist so, dass wir unseren Leuten bei diesen enormen Zuweisungszahlen im Moment einiges zumuten. Trotzdem sind sie motiviert unterwegs. Dafür bin ich wahnsinnig dankbar. Als Chef versuche ich, für sie da zu sein. So oft das geht. Auch am Abend und am Wochenende. Es ist meine Aufgabe, ihnen Vertrauen zu schenken, sie zu unterstützen und den Druck von ihnen – wo möglich – wegzunehmen. Ich führe risikoorientiert und versuche auch in dieser Situation, die grösseren Betreuungsrisiken im Blick zu behalten und fordere das auch ein.

Wer nimmt Ihnen den Druck ab?

Pia Maria Brugger Kalfidis, Co-Leiterin des Kantonalen Sozialdienstes, und Stephan Müller, mein direkter Vorgesetzter. Ohne sie würde es nicht gehen. Wir sind im UMA-Bereich in den letzten eineinhalb Jahren bei den Plätzen um 500 Prozent gewachsen und beschäftigen dreimal so viele Mitarbeitende – und wir werden noch weiter wachsen.

Was treibt Sie an, trotz enormer Herausforderungen, diesen Job zu machen?

Ich bin jetzt seit 30 Jahren Sozialarbeiter und habe es noch keinen Tag bereut. Mit unserer Arbeit können wir den Jungs, die mit nichts hierherkommen, helfen, hier ein Fundament zu legen. Zu sehen, dass einer nach eineinhalb Jahren eine Lehrstelle findet oder zu sehen, wie sie trotz traumatischer Flucht zusammen lachen, tanzen und essen, das ist ein cooles Gefühl. Dass wir das ermöglichen können, treibt mich an.


Zur Person

Günter Marz

Der 52-Jährige hat in den 90er-Jahren Soziale Arbeit studiert. Seit September 2021 ist er UMA-Bereichsleiter beim Kantonalen
(https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/interview-rekord-bei-minderjaehrigen-fluechtlingen-im-aargau-guenter-marz-vom-sozialdienst-ueber-den-fall-windisch-betreuung-und-risikofaktoren-fuer-kriminalitaet-ld.2439051)


+++BASEL
Nutzung der temporären Asylunterkunft in der Zivilschutzanlage Bonergasse wird verlängert
Die Zahl der Asylgesuche in der Schweiz bleibt hoch. Aufgrund der Prognosen ist davon auszugehen, dass sich die Lage in naher Zukunft nicht wesentlich entspannt. Deshalb ist das Staatssekretariat für Migration (SEM) darauf angewiesen, bestehende temporäre Zusatzunterkünfte wenn möglich weiter zu nutzen. Basel-Stadt hat sich damit einverstanden erklärt, die Zivilschutzanlage an der Bonergasse 30 in Kleinhüningen dem SEM mit bis zu 100 genutzten Plätzen bis Ende Jahr weiter zu vermieten.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-94171.html


+++ITALIEN
Tot oder eingepfercht
Unterbringungskrise auf Lampedusa spitzt sich zu: Italienische Regierung erwägt Ausrufung von Notstand. Kein Interesse an namenlosen Opfern
https://www.jungewelt.de/artikel/448659.festung-europa-tot-oder-eingepfercht.html


Wegen Migration: Italien beschliesst Ausnahmezustand
Die hohe Zahl Migranten, die über die Mittelmeerroute ins Land kommen, bereitet Italien Probleme. Nun hat die Regierung den Ausnahmezustand ausgerufen.
https://www.blick.ch/ausland/wegen-migration-italien-beschliesst-ausnahmezustand-id18479554.html
-> https://www.20min.ch/story/italien-erklaert-migrations-notstand-auch-in-deutschland-wird-jetzt-laut-gewarnt-866571447530
-> https://www.zeit.de/politik/ausland/2023-04/mittelmeerroute-italien-notstand-gefluechtete


+++EUROPA
Frontex: Eiskalte Abschottung made in Europe (6/7)
Teil 6 – Grundrechtsbeauftragte kaltgestellt
Der massive Ausbau von Frontex sollte mit der Anstellung von Grundrechtebeobachter*innen einhergehen, dies hatte der damalige Direktor Fabrice Leggeri aber verschleppt. Es fragt sich, was dieses Personal überhaupt ausrichten soll.
https://sea-eye.org/frontex-eiskalte-abschottung-made-in-europe-grundrechtsbeauftragte-kaltgestellt/


+++GASSE
Gewalt an den Bahnhöfen
Die Gewalt an Bahnhöfen nimmt zu. Eine Spezialauswertung der Kriminalstatistik belegt diesen beunruhigenden Trend. Auch an Aargauer Bahnhöfen steigt die Gewalt. Im Talk Täglich diskutieren Irène Käline (NR Grüne AG) und Stefanie Heimgartner (NR SVP AG) wie man die zunehmende Gewalt in den Griff bekommen könnte und ob es dafür mehr Polizisten im Aargau braucht.
https://www.telem1.ch/talktaeglich/gewalt-an-den-bahnhoefen-150473664


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Ostermarsch: Unterschiedliche Haltungen zum Krieg in der Ukraine
Am diesjährigen Ostermarsch hielt die 19-jährige Thunerin Magdalena Erni eine der Reden auf dem Münsterplatz. Sie ist seit Januar Co-Präsidentin der Jungen Grünen Schweiz. Sie erwähnte die Frage der Waffenlieferungen an die Ukraine nicht – die Meinungen dazu seien unterschiedlich.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/ostermarsch-unterschiedliche-haltungen-zum-krieg-in-der-ukraine?id=12367831


Besetzte Häuser sollen weiterhin geräumt werden können – die Luzerner Regierung lehnt einen Vorstoss der SP ab, strengere Bedingungen für Hausräumungen fordert. (ab
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zentralschweiz/casagrande-der-inbegriff-des-luzerner-souvenirgeschaefts-wird-75?id=12367974 (ab 00:52)
-> https://www.zentralplus.ch/wohnen-bauen/raeumungen-leerer-haeuser-verhindern-regierung-winkt-ab-2536139/


Zürcher Obergericht: Klimaaktivistin zu Geldstrafe verurteilt
Das Obergericht hat den umstrittenen Freispruch einer Westschweizer Aktivistin gekippt, die an der Blockade der Zürcher Quaibrücke beteiligt war.
https://www.tagesanzeiger.ch/klimaaktivistin-zu-geldstrafe-verurteilt-204897772222
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/extinction-rebellion-zuercher-obergericht-kippt-freispruch-fuer-klimaaktivistin
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/verhilft-eine-messe-den-zuercher-schulen-zu-lehrpersonen?id=12368160 (ab 04:35)
-> https://www.watson.ch/schweiz/justiz/298725405-zuercher-obergericht-kippt-freispruch-fuer-extinction-rebellion-aktivistin



nzz.ch 11.04.2023

Der Zürcher Bezirksrichter Harris stand in der Kritik. Jetzt ist klar: Sein Freispruch einer Klimaaktivistin hat vor Obergericht keinen Bestand

Der Bezirksrichter Roger Harris darf nach mehreren Freisprüchen keine Klimafälle mehr beurteilen. Nun hat das Obergericht als zweite Instanz eine Klimaaktivistin schuldig gesprochen.

Tom Felber

Im letzten Herbst geriet der Zürcher Bezirksrichter Roger Harris in die Schlagzeilen. Dies, nachdem er in Strafprozessen im August und im September mehrere Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Extinction-Rebellion-Demonstration vom 20. Juni 2020 auf der Zürcher Quaibrücke vom Vorwurf der Nötigung freigesprochen hatte.

Am Dienstag hat nun die II. Strafkammer des Obergerichts in einem Berufungsprozess über den ersten dieser Harris-Freisprüche inhaltlich urteilen müssen. Und die zweite Instanz kam zu einem gegenteiligen Schluss: Eine 31-jährige Hebamme ist wegen Nötigung und Störung von Betrieben, die der Allgemeinheit dienen, zu einer bedingten Geldstrafe von 10 Tagessätzen à 100 Franken verurteilt worden.

Ende September war Roger Harris vom Online-Magazin «Republik» dahingehend zitiert worden, dass er auch in Zukunft nicht mehr bereit sei, friedliche Demonstranten zu verurteilen, und Klimaaktivisten weiterhin freisprechen werde.

Die Zürcher Staatsanwaltschaft stellte daraufhin in zwei weiteren bezirksgerichtlichen Verfahren, bei denen Harris im November und im Dezember als Einzelrichter hätte wirken sollen, Ausstandsbegehren wegen Befangenheit. Die III. Strafkammer des Obergerichts hiess diese gut und hielt unter anderem fest, dass Äusserungen des Richters den Anschein erweckt hätten, es fehle ihm an der gebotenen Distanz.

Beschwerden gegen die beiden Ausstandsbegehren sind am Bundesgericht immer noch hängig.

Die Staatsanwaltschaft zog alle Freisprüche ans Obergericht weiter. Der Bezirksrichter Harris urteilt auf Anweisung des Bezirksgerichts weiterhin nicht mehr über Fälle von Klimaaktivisten. Die SVP-Fraktion lancierte im Kantonsrat einen Vorstoss, in dem sie wissen wollte, ob Harris als Richter überhaupt noch tragbar sei.

In der Antwort hielt das Obergericht fest, Harris sei weiterhin in der Lage, «frei und unabhängig» zu urteilen. Er habe sich im Gericht lediglich «unnötig und ungeschickt» ausgedrückt. Personalrechtliche oder aufsichtsrechtliche Massnahmen müssen laut dem Obergericht darum nicht ergriffen werden.

Hebamme muss zusätzliche Kosten bezahlen

Dutzende von Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Quaibrücke-Blockade, die ihre Strafbefehle akzeptiert und nicht angefochten hatten, sind wie die Hebamme, aber rechtskräftig zu ebenfalls 10 Tagessätzen verurteilt worden. Die Beschuldigte muss nun allerdings noch zusätzliche Verfahrens- und Gerichtskosten von rund 5200 Franken bezahlen.

Im erstinstanzlichen, schriftlichen Urteil war der Einzelrichter Harris zwar zu dem Schluss gekommen, dass die Beschuldigte den Tatbestand der Nötigung sowohl in objektiver als auch in subjektiver Weise erfülle. Eine Verurteilung sei im konkreten Fall aber nicht verhältnismässig. Dazu führte Harris angeblich vergleichbare Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Strassburg (EGMR) an.

Bei der Sperrung der Quaibrücke habe es sich nicht um eine schwere Störung des öffentlichen Lebens gehandelt. Es bestehe Versammlungs- und Meinungsfreiheit, das Verhalten der Aktivisten habe das im Rahmen einer politischen Auseinandersetzung in einem Rechtsstaat «duldbare Mass» nicht überschritten.

Foto zeigt Beschuldigte mit Transparent

Am 20. Juni 2020 hatten Aktivisten der Gruppe Extinction Rebellion ab 12 Uhr die Quaibrücke gesperrt. Um eine Bewilligung für ihre Demonstration hatten sie bewusst nicht nachgesucht. Trotz Abmahnung durch die Polizei verblieben 255 Demonstranten auf der Brücke und setzten sich zum Teil auf den Boden. Die Polizei musste die Brücke sperren und die Kundgebungsteilnehmer zum Teil einzeln wegtragen. Die Sperrung dauerte bis 15 Uhr 30.

Der Hebamme wird dabei konkret vorgeworfen, sich nach der Abmahnung noch weitere 41 Minuten auf der Brücke aufgehalten zu haben. Zudem ist auf einem Foto zu sehen, wie sie ein Transparent hält.

In der Befragung durch die Oberrichter bestätigt die Frau ihre Anwesenheit auf der Brücke. Sie sei aber als Sanitäterin für medizinische Notfälle in offiziellem Auftrag der Organisatoren im Einsatz gewesen und habe deshalb auch eine weisse Weste getragen. Sie habe sich nicht an der Sitzblockade beteiligt und damals angenommen, dass ihr Verbleiben auf der Brücke von der Polizei bewilligt gewesen sei.

«Wie trotzige kleine Kinder»

Diese Aussage qualifiziert der Staatsanwalt Daniel Aepli in seinem Plädoyer als «Schutzbehauptung». Auch der Bezirksrichter habe das nicht akzeptiert. Im Weiteren stellt er klar, dass man mit der Meinungs- und Versammlungsfreiheit keine Straftaten rechtfertigen dürfe. Er beantragt eine bedingte Geldstrafe von 10 Tagessätzen à 110 Franken.

Er habe die vom Bezirksrichter Harris zitierten EGMR-Entscheide gelesen. Harris habe dabei «Äpfel mit Birnen verglichen». Die Urteile seien zum Teil aus dem Zusammenhang gerissen und gar nicht vergleichbar. Der entscheidende Punkt sei, dass in diesem Fall die Blockade das erklärte Ziel und der Zweck der Aktion und nicht nur eine «Nebenfolge» gewesen sei, wie in den zitierten EGMR-Fällen.

Es habe sich zudem um eine schwere Störung des öffentlichen und des privaten Verkehrs gehandelt. Es seien allein über 200 Bus- und Tramverbindungen tangiert worden. Die Kundgebungsteilnehmer hätten die Handlungsfreiheit von unzähligen anderen Menschen eingeschränkt, indem sie «wie kleine Kinder trotzig auf die Strasse gesessen» seien, um «damit die Welt zu verändern». Es gebe in der Schweiz genügend andere Möglichkeiten, politisch seine Meinung zu äussern.

Der Verteidiger Marcel Bosonnet stellt sich hingegen auf den Standpunkt, die Freisprüche lägen im Rahmen der Rechtsprechung des EGMR und zitiert aus Entscheiden, die Vorfälle in der Türkei, Rumänien und Litauen betreffen. Es handle sich um identische Fälle, bekräftigt er und plädiert auf eine Bestätigung des Freispruchs.

Zudem sei die Beschuldigte als Sanitäterin – wie zwei ihrer Kolleginnen – im Einsatz gestanden. Eine Verurteilung verstosse gegen die Gleichbehandlung der drei Frauen. Gegen die zwei Kolleginnen habe es nämlich Nichtanhandnahmeverfügungen gegeben.

Der Staatsanwalt Aepli begründet dies in seiner Replik damit, dass man hinsichtlich der zwei Kolleginnen keine Beweise und Fotos habe, die einen Aufenthalt während der Blockade auf der Brücke belegen würden.

Kein Anspruch auf möglichst viel Medienaufmerksamkeit

Das Obergericht fällt schliesslich seinen Schuldspruch nicht unerwartet. Auch die Oberrichter nehmen der Beschuldigten ihre Rolle als Sanitäterin nicht ab. «Für uns sieht diese Weste wie eine Weste der Organisatoren aus, nicht wie eine Weste der Sanität», hält der Gerichtsvorsitzende Beat Stiefel fest.

Er begründet im Weiteren, der Sachverhalt für eine Nötigung und eine Störung von Betrieben, die der Allgemeinheit dienen, sei erstellt. Selbstverständlich sei die EGMR-Rechtsprechung zu beachten, und Verkehrsbehinderungen als Begleiterscheinungen von Kundgebungen seien fraglos hinzunehmen.

Dieser Fall sei aber tatsächlich anders gelagert als die zitierten EGMR-Entscheide. Es gebe durchaus auch EGMR-Entscheide in ähnlichen Fällen, die zu Verurteilungen geführt hätten. In diesem Fall sei der eigentliche Nötigungszweck die Blockade des Verkehrs auf der Quaibrücke gewesen, und es sei – im Gegensatz zur Meinung der Vorinstanz – eine ganz erhebliche Beeinträchtigung des Verkehrs resultiert.

Die Polizei habe zunächst ja sogar noch 30 Minuten Blockade auf der Brücke toleriert, bevor sie abgemahnt habe. Das weitere Vorgehen der Demonstranten habe dann aber die übliche Toleranz der Behörden gesprengt.

Die Klimaaktivisten hätten ja auch unmittelbar nebenan auf dem Sechseläutenplatz oder dem Bürkliplatz für ihre politischen Anliegen demonstrieren können. Sie hätten mit der Blockade aber einfach eine grössere mediale Aufmerksamkeit erreichen wollen. Die übrigen Verkehrsteilnehmer seien dafür als Statisten missbraucht worden. Gemäss Bundesgericht bestehe aber kein verfassungsrechtlicher Anspruch auf möglichst viel Medienaufmerksamkeit.

Urteil SB220594 vom 11. 4. 2023, noch nicht rechtskräftig.
(https://www.nzz.ch/zuerich/zuerich-klimaaktivistin-nach-freispruch-doch-schuldig-gesprochen-ld.1733526)



Geeinderatsantwort auf Interpellation Fraktion GB/JA! (Jelena Filipovic/Lea Bill, GB/Mahir Sancar/Anna Jegher, JA!): Wie kommt es zur willkürlichen Bewilligungspraxis der Berner Orts- und Gewerbepolizei? (PDF, 129.3 KB)
https://www.bern.ch/politik-und-verwaltung/gemeinderat/aktuelle-antworten-auf-vorstosse/publizierte-antworten-am-11-april-2023/interpellation-fraktion-gbja-wie-kommt-es-zur.pdf/download


Aktivisten verlassen Wald in Rümlang ZH vorerst nicht
Die knapp zwei Dutzend Umweltaktivistinnen und -aktivisten harren auch nach einem Treffen mit Behördenvertretern im besetzten Waldstück in Rümlang ZH aus. Ein nächstes Treffen für Mittwochmittag sei bereits geplant, teilte die Gemeinde am späten Dienstagabend mit.
https://www.watson.ch/schweiz/z%C3%BCrich/491994616-aktivisten-verlassen-wald-in-ruemlang-zh-vorerst-nicht
-> https://www.zueritoday.ch/zuerich/kanton-zuerich/aktivisten-verlassen-wald-in-ruemlang-vorerst-nicht-150969546?autoplay=true&mainAssetId=Asset:150937505



tagesanzeiger.ch 11.04.2023

Linksextreme Ausschreitungen in Zürich: Polizei verhaftete nach Krawall-Demo unbeteiligte Frauen

Zwei Frauen, die nach eigener Aussage vorletzten Samstag unschuldig eingekesselt, gefesselt und eingesperrt wurden, fordern nun von der Polizei eine Entschuldigung.

David Sarasin, René Laglstorfer

«Ich kann heute noch nicht glauben, was an dem Abend geschehen ist», sagt Alexandra P. «Wir hatten keine Ahnung, warum wir überhaupt verdächtigt und fast vier Stunden festgehalten wurden.»

In der Samstagnacht vom 1. auf den 2. April war sie mit ihrer Freundin Julia S. gegen 23 Uhr auf dem Nachhauseweg. Sie kamen gerade von einem Nachtessen mit anschliessendem Barbesuch unweit der Langstrasse. An der Ecke Diener-/Langstrasse gerieten sie und zahlreiche andere Partygänger in einen Polizeikessel. «Plötzlich waren wir umzingelt von behelmten Polizisten», erzählt Julia S. Beide Frauen wollen in diesem Zusammenhang nicht mit vollem Namen in der Zeitung genannt werden.

Es war die Nacht, in der Linksextreme durch die Kreise 4 und 5 wüteten. Die unbewilligte Demo endete mitten im bevölkerten Ausgehquartier. Videoaufnahmen zeigen chaotische Bilder: eingeschlagene Scheiben, Wasserwerfer, Tränengas. Die Stadtpolizei schrieb danach von beträchtlichen Sachbeschädigungen und sieben verletzten Polizisten.

An die Demo mit Plateauschuhen?

Chaotisch klingen auch die Berichte aus dem Kessel, wo Julia S. und Alexandra P. mit weiteren rund 50 Personen ausharren mussten. «Wir versuchten mehrmals, gegenüber der Polizei zu belegen, dass wir nichts mit der Demonstration zu tun haben», sagt Julia S. Sie hätten darlegen wollen, dass sie nur eins trinken waren und selbst ihre Kleider – die Plateauschuhe, der knöchellange schwarze Rock von Julia S., die silbern reflektierende Kapuzenjacke von Alexandra P. – auf ihre Unschuld hinweisen würden.

Den beiden Frauen wurden nach einer halben Stunde Kabelbinder angelegt. Gefesselt wurden sie mitten durchs Partyvolk geführt – und wieder zurück. Videoaufnahmen, die bald in den sozialen Medien kursierten, zeigen die Verhaftung. Ein Bild von Julia S., wie sie in Handschellen durch die Langstrasse geführt wird, erschien in der Hauptsendung von TeleZüri. Darunter stand: «Chaoten».

Nach 30-minütigem Warten im Kessel mussten die Freundinnen während einer Stunde in einem dunklen Polizeikastenwagen verharren, festgebunden am Sitz. Weitere zwei Stunden warteten sie in einer Zelle der Polizeistation im Kreis 5 auf eine allfällige Einvernahme.

Diese Geschichte erzählen die 33- und die 29-Jährige, beide im Kunstbereich tätig, dieser Zeitung in mehreren Gesprächen. Die Chronologie des Abends belegen zudem Bankkontoauszüge, Zahlungsbelege, Aussagen von Restaurantangestellten und Whatsapp-Chatprotokolle sowie Videos und Fotografien.

Die Stadtpolizei räumt Schwierigkeiten bei den Kontrollen ein. Mediensprecherin Judith Hödl sagt, dass die Polizei im Vorfeld keinerlei Kenntnis von der Demonstration gehabt habe und die Kontrollaktion deshalb spontan und mit den vorhandenen Ressourcen habe durchführen müssen. Eine eingehende Kontrolle der Personen vor Ort sei nicht möglich gewesen, weil die Einsatzkräfte immer wieder mit Flaschen beworfen worden seien.

Die Erzählung der beiden Unbeteiligten wirft trotzdem Fragen auf: War der Polizeikessel, in dem sich auch zahlreiche Unbeteiligte befanden, verhältnismässig? War der Kessel die einzige Möglichkeit der Polizei und Julia S. und Alexandra P. einfach eine Art bedauernswerter «Beifang»?

Es bestand ein Anfangsverdacht

17 von den rund 50 Personen, die eingekesselt wurden, nahm die Polizei für weitere Abklärungen fest. 14 wurden in der gleichen Nacht wieder freigelassen, darunter Alexandra P. und Julia S.. Den Vorwurf, dass die falschen Personen eingekesselt wurden, weist die Stadtpolizei zurück.

«Die Einkesselung war gerechtfertigt. Die dabei vorgenommenen vorläufigen Festnahmen erfolgten aufgrund eines begründeten polizeilichen Anfangsverdachts», sagt Judith Hödl. Die Frage, worin dieser bei Julia S. und Alexandra P. bestand, beantwortet die Stapo nicht. Teile der Demo hätten sich bei der Piazza Cella unters Partyvolk gemischt. Laut Hödl konnte bei den kontrollierten Personen aus dem Kessel auch Demo- und Vermummungsmaterial sichergestellt werden.

Einkesselungen der Polizei gaben in den vergangenen Jahren immer wieder zu reden. Nach der 1.-Mai-Demo von 2011 reichten drei ebenfalls über Stunden festgehaltene und gefesselte Männer eine Anzeige wegen Freiheitsentzug ein. Das Bundesgericht wies ihre Beschwerden später ab.

Aufgrund von Erfahrungen der Vorjahre zum 1. Mai und der konkreten Situation an besagtem Tag sei das Vorgehen gerechtfertigt gewesen, argumentierte das Gericht. Die Polizei habe im Interesse der Öffentlichkeit einschreiten dürfen, dafür bestehe auch eine ausreichende gesetzliche Grundlage.

Beschwerdebrief an die Polizei

Julia S. und Alexandra P. ziehen ihren Fall nicht vor Gericht. Doch sie schrieben einen Beschwerdebrief an die Stapo, worin sie ihre Vorwürfe noch einmal zusammenfassen. Darin heisst es: «Wir verlangen von der Stadtpolizei Zürich eine offizielle Entschuldigung für die Festnahme und eine Richtigstellung der Tatsachen in Bezug auf die unschuldigen Verhafteten.»

Judith Hödl von der Stadtpolizei sagt, dass jede Beschwerde sorgfältig geprüft und mit den involvierten Stellen innerhalb der Stadtpolizei und den Betroffenen besprochen und geklärt werde.

Für Julia S. und Alexandra P. bleibt eine Nacht, die sie so schnell nicht vergessen werden. Als Julia S. die Wache gegen 3 Uhr verlassen konnte, schrieb sie eine Whatsapp-Nachricht an ihren Vater. «Du glaubst nicht, was mir gerade passiert ist …»
(https://www.tagesanzeiger.ch/polizei-verhaftete-nach-krawall-demo-unbeteiligte-frauen-810219179774)


+++KNAST
«Groteske Bevormundung»: Zwangs-Vegi-Menu in Zürcher Gefängnis verärgert Fleischesser
Im Gefängnis Zürich-West werden vorläufig festgenommene Personen rein vegetarisch verpflegt. Der Verein Carna Libertas fordert nun ein Ende der «Bevormundungspraxis».
https://www.20min.ch/story/zwangs-vegi-menu-in-zuercher-gefaengnis-veraergert-fleischesser-259320262370
-> https://www.zueritoday.ch/zuerich/fleisch-fans-aergern-sich-ueber-vegi-menues-im-gefaengnis-zuerich-west-150965299?autoplay=true&mainAssetId=Asset:146000875


+++BIG BROTHER
NDB verschweigt Details zur Kabelaufklärung
2016 sagte das Stimmvolk Ja zum Nachrichtendienstgesetz. Seither darf der Schweizer Geheimdienst, der Nachrichtendienst des Bundes NDB, alle Personen in der Schweiz mit der sogenannten Kabelaufklärung ohne Anlass und Verdacht überwachen.
Ein massiver Eingriff in die Grundrechte sei dies, sagt die Digitale Gesellschaft und zog vors Bundesverwaltungsgericht. Der Nachrichtendienst könne auch Retrosuchen durchführen, also Wochen später den Internetverkehr nach bestimmten Stichworten durchsuchen, erklärt der Mediensprecher der Digitalen Gesellschaft, Rechtsanwalt Martin Steiger, im Interview mit RaBe.
https://rabe.ch/2023/04/11/ndb-gibt-details-zur-kabelaufklaerung-nicht-bekannt/


+++POLICE BE
derbund.ch 11.04.2023

Gewaltsame Festnahme in Bern: Schlag gegen Kopf bleibt ohne Konsequenzen

Ein Polizist schlug einem Mann bei der Festnahme gegen den Kopf. Das Vorgehen sei legitim gewesen, findet die Kantonspolizei Bern nach einer internen Untersuchung.

Michael Bucher

Ist es ein Fall von Polizeigewalt? Letzten Dezember schlug ein Polizist während einer Festnahme auf der Schützenmatte in Bern einem bereits am Boden liegenden und fixierten Mann mit der Faust gegen den Kopf. Ein Passant hatte die Szene gefilmt und dem Onlinemagazin «Hauptstadt» zugespielt, welches danach darüber berichtete.

Nun ist klar, dass der gewaltsame Einsatz für den Polizisten ohne Folgen bleibt. Die internen Abklärungen hätten ergeben, «dass die involvierten Mitarbeitenden nicht widerrechtlich gehandelt und grundsätzlich die ausgebildeten Techniken angewendet haben», teilte die Medienstelle der Kantonspolizei Bern gegenüber der «Hauptstadt» mit.

Faustschläge sind bei Festnahmen nicht verboten. Sie werden als «Ablenkungsschläge» bezeichnet und sind schweizweit Teil der Polizeiausbildung. Gegen den Kopf sind solche Schläge jedoch nur in einer Notwehrsituation zulässig. Eine solche sah die Kantonspolizei im vorliegenden Fall offenbar vorliegen.

Bereits im Dezember hielt sie fest, der Mann habe «aufbrausend» auf die Personenkontrolle reagiert und «massiven Widerstand» geleistet. Auch habe er sich geweigert, die Hände aus den Taschen zu nehmen. Um die Verkrampfung des Mannes zu lösen, sei es zum Faustschlag gekommen. Der Festgenommene war in einem anderen Kanton zu einer mehrmonatigen Haftstrafe ausgeschrieben.

Nach der Festnahme in Bern kommt laut Kapo eine Anzeige hinzu wegen Hinderung einer Amtshandlung und Verstosses gegen das Ausländer- und Integrationsgesetz. Dadurch, dass es die Kantonspolizei bei der internen Untersuchung belässt, droht auch kein juristisches Verfahren mehr. Denn der Verhaftete hatte keine Anzeige gegen die Polizisten erstattet.

Zu einer ähnlichen Situation kam es in Bern im Oktober 2021 an einer Demonstration gegen die Corona-Massnahmen. Auch damals versuchten mehrere Einsatzkräfte einen am Boden liegenden Mann unter Kontrolle zu bringen. Ein Polizist verpasste dem Massnahmenkritiker dabei mehrere Faustschläge gegen den Oberkörper, wie ein auf Social Media kursierendes Video zeigte.

In jenem Fall hat der Festgenommene jedoch Anzeige eingereicht, wie die Kantonspolizei Bern auf Anfrage dieser Zeitung bestätigt. Dadurch landete der Fall zur Untersuchung bei der Berner Staatsanwaltschaft für Besondere Aufgaben. Der Fall ist derzeit noch hängig.

Auf dem Video eines Passanten ist die umstrittene Festnahme auf der Schützenmatte zu sehen.
Quelle: Youtube/«Hauptstadt»
https://youtu.be/oLJf_hHfM3g
(https://www.derbund.ch/schlag-gegen-kopf-bleibt-ohne-konsequenzen-445149233945)


+++POLIZEI INT
Simin Jawabreh: Polizeikritik und Abolitionismus
Die Polizei hat seit ihrer Entstehung primär die Aufgabe, die herrschenden Verhältnisse – also das kapitalistische Herrschaftssystem – zu erhalten. Sie schützt Eigentumsverhältnisse und erhält unterdrückende gesellschaftliche Strukturen wie Rassismus. Der kapitalistische Staat ist auf die Kriminalisierung und polizeiliche Repression ökonomisch und rassistisch marginalisierter Menschen angewiesen. Racial Profiling stellt dabei ein zentrales Element dieser Unterdrückung dar. Der Mord an Nzoy ist dafür nur ein Beispiel von vielen in der Schweiz. Im vorherrschenden System kann es keine Polizei geben, die keine rassistische Gewalt ausübt. Der Abolitionismus geht deswegen einen Schritt weiter und fragt, wie eine Gesellschaft ohne Polizei aussehen könnte.
https://sozialismus.ch/antirassismus/2023/simin-jawabreh-polizeikritik-und-abolitionismus/


+++RASSISMUS
ANTIRA-WOCHENSCHAU: Pushbacks in Bussen, Polizeirassismus in Deutschland, Foltergrenzen in Europa
https://antira.org/2023/04/11/pushbacks-in-bussen-polizeirassismus-in-deutschland-foltergrenzen-in-europa/


+++RECHTSPOPULISMUS
SVP-Wahlkampf im Paul-Grüninger-Stadion
Die Ständeratskandidatin der SVP, Esther Friedli, tritt am Heimspiel des SC Brühl im Paul-Grüninger-Stadion an der Seite des Hauptsponsors auf und spendiert Bier für die Matchbesucher:innen. Wieso bietet ihr der Verein diese Plattform? Und sowieso: Was ist los beim SCB?
https://www.saiten.ch/svp-wahlkampf-im-paul-grueninger-stadion/


+++RECHTSEXTREMISMUS
Online-Gaming: Rechtsextreme unterwandern Kinderspiele
Über Nazi-Memes lachen, Attentate nachspielen und sich auf diesem Wege radikalisieren: Junge Spieler von Online-Games wie Roblox laufen Gefahr, in rechtsextreme Strukturen abzurutschen, zeigt eine SWR-Recherche.
https://www.tagesschau.de/investigativ/report-mainz/vollbild-online-spiele-rechtsextreme-101.html


+++HISTORY
Wandbild Wylergut wird ins Historische Museum verlegt
Ein Wandalphabet im Schulhaus Wylergut enthält Darstellungen von Menschen, die heute als koloniale Stereotypen erkannt werden. Das Siegerprojekt eines städtischen Wettbewerbs sieht deshalb die Verschiebung des Wandbildes in ein Museum vor. Nun kann das Projekt realisiert werden: Das Wandbild geht als Schenkung an das Bernische Historische Museum. Dort wird 2024 eine Ausstellung stattfinden, welche das Werk kontextualisiert und eine öffentliche Debatte ermöglicht. Bald beginnen im Schulhaus die Arbeiten für die Abnahme.
https://www.bern.ch/mediencenter/medienmitteilungen/aktuell_ptk/wandbild-wylergut-wird-ins-historische-museum-verlegt
-> https://www.20min.ch/story/umstrittenes-wandbild-in-berner-schule-wandert-ins-museum-205278337995
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/feuerwehr-und-sanitaetspolizei-geben-beim-marketing-gas?id=12367980 (ab 03:14)
-> https://frapp.ch/de/articles/stories/rassistisch-gepragtes-bild-verlasst-schule
-> https://www.blick.ch/schweiz/wandbild-wylergut-rassistisch-gepraegtes-bild-verlaesst-schule-id18477540.html
-> https://www.baerntoday.ch/bern/stadt-bern/rassistisches-wandbild-wylergut-geht-an-das-bernische-historische-museum-150959990
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/rassismus-debatte-in-bern-umstrittene-wandmalerei-wandert-vom-schulhaus-ins-museum
-> https://tv.telebaern.tv/telebaern-news/umstrittenes-wandbild-soll-in-museum-verlegt-werden-150967411
-> https://www.neo1.ch/artikel/wandbild-wylergut-geht-an-das-bernische-historische-museum
-> https://www.watson.ch/schweiz/rassismus/276591907-umstrittenes-wandbild-wylergut-geht-an-das-bernische-historische-museum



derbund.ch 11.04.2023

Wandbild-Debatte geht weiter: Ins Museum mit kolonialistischen Bildern – oder doch nicht?

Die Stadt Bern will das künstlerisch dargestellte Wandalphabet aus der Schule Wylergut entfernen lassen. Der Abbruch des Bilds musste aber vorerst gestoppt werden.

Quentin Schlapbach, Michael Feller

Jetzt kommt es wirklich weg: Das umstrittene Wandbild im Schulhaus Wylergut soll ins Bernische Historische Museum (BHM) verlegt werden. Am Dienstagmorgen informierte Franziska Burkhardt, Kulturbeauftragte Stadt Bern, gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern des BHM, der Hochschule der Künste (HKB) und des Kollektivs «Das Wandbild muss weg!» über das Vorgehen.

Das Bild soll Stück für Stück abgetragen und ins BHM verlegt werden. Dort wird das Werk und die darin enthaltenen Darstellungen von kolonialen Stereotypen im Rahmen einer Ausstellung thematisiert. Im Sommer 2020 wurden drei problematische Darstellungen von einer Aktivistengruppe schwarz übermalt und sind seither nicht mehr zu sehen.

Gegen die Pläne der Stadt regt sich aber Widerstand. Ein Berner Anwalt hat gegen den Abbruch des Wandbilds eine baupolizeiliche Anzeige eingereicht. Er fordert, dass in einem Baubewilligungsverfahren über die Verlegung des Bilds ins BHM entschieden werden muss. Der Abbruch, der eigentlich in diesen Tagen geplant war, musste deshalb vorübergehend gestoppt werden.

Weshalb kam es überhaupt zur Kontroverse über das Bild? Wird es im Museum wieder vollständig restauriert? Wie geht es weiter mit der baupolizeilichen Anzeige? Und was wird künftig anstelle des Wandbilds zu sehen sein? Wir klären die wichtigsten Fragen und Antworten.

Weshalb wird dieses Wandbild entfernt?

Das Wandbild Wylergut wurde 1949 von den beiden sozial engagierten Künstlern Eugen Jordi und Emil Zbinden erschaffen. Das Werk ist ein Abc, bei dem jeder Buchstabe mit einer Abbildung illustriert wird. Die Bildfelder C, I und N zeigen drei stereotyp dargestellte Menschen aus Asien, Afrika und Amerika.

Darüber diskutiert wurde innerhalb der Schule bereits in den 1980er-Jahren, die öffentliche Debatte um das Wandbild begann aber erst im Frühjahr 2019, als der «Berner Rassismusstammtisch» bei der Stadt eine Beschwerde gegen die Darstellung einreichte. Die Stadt Bern rief in Folge einen öffentlichen Ideenwettbewerb aus, der darüber befinden sollte, wie mit dem Wandbild umzugehen ist.

Die Kommission für Kunst im öffentlichen Raum amtete als Fachjury und prüfte 27 Projekte. Einstimmig kürte die Jury im Frühjahr 2021 das Projekt der Gruppe «Das Wandbild muss weg!» zum Sieger. Das siebenköpfige Kollektiv fordert eine Verschiebung des Wandbilds in ein Museum, wo es in einem angemessenen Rahmen thematisiert werden kann.

Woher kommt Widerstand?

Das Onlinemagazin «Journal B» vermeldete Ende März 2023, dass ein «baurechtlich versierter Berner Anwalt» eine baupolizeiliche Anzeige gegen den Abbruch des Werkes eingereicht hat. Wie andere Kritiker fordert er, dass der Umgang mit dem historischen Erbe vor Ort stattfinden muss und nicht einfach verlegt werden kann.

Die Stadt Bern behauptet zwar, dass die Abbrucharbeiten sowohl mit dem Denkmalschutz als auch mit den Baubehörden abgestimmt und koordiniert waren. Dennoch hat sie die Arbeiten im Zuge der Anzeige temporär gestoppt. Zwei Buchstabenbilder – der U und der P – sind allerdings bereits von der Wand abgenommen worden. Es handelte sich dabei um einen ersten Testabbruch.

Wann und wo findet die Ausstellung statt?

Geplant ist, dass die Ausstellung im Frühjahr 2024 im Bernischen Historischen Museum stattfinden soll. Das Kollektiv «Das Wandbild muss weg!» erhält dafür ein Gastkuratorium. Mit diesem Schritt gebe das BHM die Deutungshoheit über das Werk bewusst ab, sagt Direktor Thomas Pauli-Gabi. «Wir wollen so echte Teilhabe ermöglichen.»

Die baurechtliche Beschwerde gegen den Abbruch stellt den Zeitplan nun allerdings infrage. Es ist theoretisch denkbar, dass ein Entscheid bis vor Bundesgericht gezogen werden könnte. «Im schlimmsten Fall verschieben wir die Ausstellung», sagt Pauli-Gabi.

Werden die schwarz übermalten Stellen restauriert?

Im Juni 2020 übermalte ein anonymes Kollektiv die drei problematischen Darstellungen. In einem Bekennerschreiben kritisierte es den «heuchlerischen» Umgang der Stadt Bern mit dem Kulturerbe aus der Kolonialzeit. Der Berner Gemeinderat «bedauerte» zwar damals den Vandalenakt. Gleichzeitig äusserte er aber auch Verständnis für die Wut der anonymen Täterschaft. Aus diesem Grund verzichtete er auf eine Anzeige, was ihm viel Kritik einbrachte – auch seitens des Wylergut-Schulleiters Jürg Läderach.

Die übermalten Stellen sollen nun auch im Museum als «historisches Dokument» so belassen werden. Laut Thomas Pauli-Gabi sind diese Teil der öffentlichen Debatte, welche das Werk in den letzten Jahren auslöste. Ob Fotos des ursprünglichen Bildes gezeigt werden, ist derweil noch offen.

Wie lässt sich das Wandbild überhaupt entfernen?

Sobald die Anzeige aus dem Weg geräumt ist, wird die Hochschule der Künste Bern die Federführung über die Abbrucharbeiten übernehmen. Zur Anwendung soll das sogenannte Stacco-Verfahren kommen, eine spezielle Restaurierungstechnik für Wandmalereien.

Dabei werden chemischen Präparate auf die Wand aufgetragen, die das Bild festigen. Im Anschluss wird das Kunstwerk Stück für Stück abgetragen. Laut Christel Meyer-Wilmes, welche die Arbeiten der HKB koordiniert, handelt es sich bei vorliegenden Fall um «eine Massnahme mit Ausnahmecharakter».

Was kommt anstelle des Wandbilds?

Diese Frage bleibt vorerst offen. Vera Ryser, die Teil des Kollektivs «Das Wandbild muss weg!» ist, sagt, dass zuerst eine Art «Verlernprozess» an der Schule stattfinden müsse. Dem Kollektiv sei es wichtig, dass die Schülerinnen und Schüler und auch die Lehrpersonen hierbei mit einbezogen würden.

Was kostet die ganze Aktion?

Die Stadt Bern sprach für das Projekt bisher 55’000 Franken gut. Die Kosten für die Verlegung des Wandbilds belaufen sich aber letztendlich auf rund 250’000 Franken. Das Kollektiv «Das Wandbild muss weg!» konnte das restliche Geld bei Stiftungen, der Burgergemeinde Bern, Pro Helvetia und dem Bund sammeln.
(https://www.derbund.ch/die-wandbild-debatte-soll-im-museum-fortgesetzt-werden-864511453079)



hauptstadt.be 11.04.2023

R wie Rassismus ins M wie Museum

Das Wandbild im Schulhaus Wylergut, das koloniale Stereotypen enthält, soll im nächsten Frühjahr im Bernischen Historischen Museum ausgestellt werden. Sofern alles nach Plan läuft.

Von Andrea von Däniken (Text) und Christine Strub (Bilder)

Bei den Buchstaben P und U des gemalten Alphabets, aus dem das Wandbild im Schulhaus Wylergut besteht, klafft eine Lücke. Die Kacheln mitsamt Feinputz sind fein säuberlich herausgeschnitten. Sie sind der Grund, weshalb die Stadt Bern die Medien am Dienstagmorgen in das Schulhaus eingeladen hat.

Das seit dem Frühjahr 2019 vieldiskutierte Wandbild (siehe Kasten unten) soll bis Ende Jahr entfernt werden. Die Stadt übergibt es dem Bernischen Historischen Museum (BHM) per Schenkungsvertrag. Im Frühjahr 2024 plant das BHM zum Wandbild eine Ausstellung mit dem Ziel, «Räume für einen offenen und mehrstimmigen Diskurs über die komplexen Entstehungs- und Wirkungsgeschichten zu ermöglichen». Das verkünden Vertreter*innen von Kultur Stadt Bern, des BHM, des Vereins «Das Wandbild muss weg!» und der Hochschule der Künste Bern (HKB) im Gang des Schulhauses gleich neben dem Wandbild, um das sich alles dreht.

Das Bild sei ein Zeugnis einer aktuellen Debatte zum kolonialen Erbe, es solle ins kollektive Gedächtnis der Gesellschaft aufgenommen werden und gehöre deshalb ins Historische Museum, sagt BHM-Direktor Thomas Pauli-Gabi. Dem Verein «Das Wandbild muss weg!» wird hierfür ein Gastkuratorium gewährt, weil, so Pauli-Gabi, «das BHM nicht von Haus aus sprechen will. Es sollen verschiedene Stimmen zu Wort kommen». Eine Veranstaltungsreihe werde die Ausstellung begleiten und den Diskurs fördern.

Es sei ein mutiger Schritt für das Bernische Historische Museum, sagt Pauli-Gabi: «Mit diesem Projekt wollen wir Deutungshoheit abgeben und Menschen eine Stimme geben, die bisher keine Stimme hatten, und ihnen Teilhabe gewähren.»

Die Slam-Poetin Fatima Moumouni, Mitglied des Vereins «Das Wandbild muss weg!»,  hielt vor den Medien fest: «Wir standen vor dem Wandbild und fanden: Das geht irgendwie nicht.» Es sei nicht möglich, eine Kontextualisierung am jetzigen Standort des Bilds innerhalb der Schule zu machen. «Die Verschiebung ins Museum ist notwendig, weil das Wandbild stereotype Darstellungen nicht-weisser Menschen in eine Reihe mit Tieren, Pflanzen und Gegenständen einordnet», fügt Vera Ryser, ebenfalls Mitglied des Vereins, an.

Lange Planungszeit, unklarer Zeitplan

Seit dem Juryentscheid vom Frühjahr 2021 steht fest, dass der siegreiche Verein das Wandbild zügeln wird. Jetzt, zwei Jahre später, soll das Projekt starten. Bis Ende Jahr sollte das Wandbild im sogenannten Staccoverfahren, einer möglichst substanzerhaltenden Abnahmetechnik, von der Wand entfernt worden sein.

Allerdings sind die Abnahmearbeiten unterbrochen worden, bevor sie richtig begonnen haben. Ein Berner Anwalt hat mit einer baupolizeilichen Anzeige erwirkt, so das Onlinemagazin Journal B, «dass die Vorarbeiten zur Entfernung des ‹Illustrierten Wandalphabets› im Schulhaus Wylergut eingestellt werden.» Er fordert ein ordentliches Baubewilligungsverfahren.

Die Züglete des Wandbilds werde sich verzögern, bestätigt Franziska Burkhardt, Kulturbeauftragte der Stadt Bern. Mit den baupolizeilichen Gegebenheiten und der Denkmalpflege habe sich die Stadt auseinandergesetzt. Doch ein konkreter Zeitplan für das Projekt liege nicht vor. «Es ist zu bedauern, dass wir den in den letzten Jahren nicht gemacht haben», räumt  Burkhardt ein.

Der Direktor des BHM, Thomas Pauli-Gabi, reagiert allerdings flexibel: Wenn das Wandbild nicht rechtzeitig bis zum Ausstellungsstart im April 2024 im Museum sei, «finden wir schon eine Lösung». Man könne auch den ganzen Prozess thematisieren, schlägt er vor. Eine  Ausstellung werde so oder so stattfinden, sagt Pauli-Gabi.

Die Entfernung von zwei Kacheln nehme eine Woche Arbeit in Anspruch, so Christel Meyer-Wilmes von der HKB. Noch ist es also nicht unmöglich, dass die Ausstellung wie geplant stattfinden kann

Verlernprozess durch Leerstelle

Die Leerstelle an der Wand soll vorerst so bleiben, um den Verlernprozess zu thematisieren. Die Lehrer*innenschaft sei involviert, es werde Workshops geben, sagt Ryser.

Der Verein sei mit einer Künstlerin in Kontakt, die temporär etwas aus der Wand machen solle, so Fatima Moumouni: «Es soll nicht wieder ein Werk für immer hier platziert werden.» Dies habe sich ja nicht bewährt.



Warum ist ein Wandbild von 1949 in einer Schule so wichtig geworden?

Die beiden sozial engagierten Künstler Eugen Jordi (1894-1983) und Emil Zbinden (1908-1991) haben 1949 im Auftrag der Stadt und im Rahmen von zwei weiteren Wandbildern im Schulhaus Wylergut das Alphabet gemalt.

Heute sind auf dem Wandbild die Buchstaben C, I und N jeweils mit einer Zeichnung überklebt, die nur die Buchstaben abbilden und ohne eine Assoziierung, wie sie bei allen anderen Buchstaben (Affe bei A, oder Ziege bei Z) gemalt ist. Diese Buchstaben haben seit 2019 für viel Lesestoff gesorgt. Bei C war eine stereotype Darstellung eines nicht-weissen Menschen zu sehen, beim Buchstaben I eine indigene Person Amerikas und bei N einen schwarzen Menschen. Das Wort, das man damit verbindet, gilt heute als rassistisch. Diese Bilder wurden im Sommer 2020 von Unbekannten übermalt.

Die Stadt Bern reagierte 2019 auf eine Beschwerde aus der Zivilgesellschaft und schrieb im August des gleichen Jahres einen Wettbewerb aus, mit der Frage, wie heute mit dem Wandbild im Schulzusammenhang umzugehen ist. Es gab ein zweistufiges Verfahren: 27 Teams reichten Projektskizzen ein, davon wurden fünf eingeladen, ihr Projekt auszuarbeiten und der Jury vorzulegen.

Entgegen der ursprünglichen Wettbewerbsausschreibung der Stadt erteilte die Jury 2021 dem der Verein «Das Wandbild muss weg!» den Zuschlag: Das Wandbild soll nicht im Schulhaus bleiben, sondern ins Museum transferiert werden, wo es besser kontextualisiert werden könne. Die Ausschreibung hingegen verlangte eine «auf Dauer angelegte künstlerische Arbeit vor Ort», und «einen konkreten Input für die zeitgemässe Verhandlung des Wandbildes im Schulalltag.» Das Budget, das die Stadt dafür zur Verfügung stellt: 55’000 Franken.

Ein Wandbild zu entfernen und unbeschädigt ins Museum zu dislozieren ist aber teurer. Das Projekt kostet laut den Initiant*innen insgesamt 250’000 Franken. Diese Zusatzkosten muss der Verein selbst tragen, respektive durch Fundraising decken. Durch Beiträge unter anderem der Eidgenössischen Kommission für Migrationsfragen (EKM), der Burgergemeinde Bern, der Stiftung Pro Helvetia und der Fachstelle für Rassismusbekämpfung soll das laut dem Verein möglich sein.
(https://www.hauptstadt.be/a/wandbild-wylergut-geht-ins-museum)



Juso bejubelt 10. Todestag von Margaret Thatcher
Die Juso feiert den 10. Todestag der Eisernen Lady Margaret Thatcher. Im Netz werden sie dafür stark kritisiert und verspottet.
https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/juso-bejubelt-10-todestag-von-margaret-thatcher-66470552


Wie Menschen mit Behinderung zu Verdächtigen wurden
Im nationalen Wahlkampf 2004 machte Christoph Blocher „Scheininvalide“ zur Zielscheibe einer SVP-Hetzkampagne. Bezüger*innen von IV-Leistungen würden sich Renten erschleichen wollen. Die Defizite der Invalidenversicherung haben aber keinesfalls mit Missbrauch zu tun, wie die Geschichte zeigt.
https://daslamm.ch/wie-menschen-mit-behinderung-zu-verdaechtigen-wurden/


+++FUNDIS
#ReclaimVolkshaus! Keine Bühne für Antisemit:innen! Kein Geschäft mit braunen Esoteriker:innen!
Das Zürcher Volkshaus war einst ein Ort der Solidarität und des Fortschritts – und gemäss Leitbild ist es dieser Tradition auch heute noch verpflichtet. Doch seit einigen Jahren werden die Volkshaus-Räume zunehmend auch an hochproblematische Gruppen vermietet. Darunter allerlei Scharlatane, Sekten-Gurus und Coronaleugner:innen.
Nun soll am 27. und 28. Mai auch noch der Mega-Kongress «Vision des Guten – Manifest der neuen Erde» über die Bühne des Theatersaals.
https://barrikade.info/article/5865



tagblatt.ch 11.04.2023

Mutmasslicher Kindesmissbrauch, Verschwörungstheorien und Hitlers «Mein Kampf»: Im Erzbistum Vaduz sammeln sich dubiose Pfarrer

Noch dieses Jahr muss Erzbischof Wolfgang Haas dem Papst seinen Rücktritt anbieten. In den 25 Jahren seiner Regentschaft hat er das Bistum Vaduz zu einem Nest für eine Clique reaktionärer und verhaltensauffälliger Prediger gemacht.

Enrico Kampmann

«Nimm auf einen Mächtigen keine Rücksicht, sondern verteidige die Wahrheit bis in den Tod, so wird Gott der Herr für dich streiten.» Dieses Bibelzitat findet sich auf der Website von Thomas Jäger. Der Anlass: Das Fürstliche Landgericht in Vaduz hat den ehemaligen Pfarrer von Ruggell vom Vorwurf des Konsums pornografischer Darstellungen Minderjähriger freigesprochen.

Zwar wurden 196 Internetseiten mit Kinderpornos im Browserverlauf von Jägers Handy gefunden. Doch der Richter argumentierte, dass Browserdaten allein nicht genügten, um den «wissentlichen Konsum» nachzuweisen. Ein dringender Verdacht ist am Ende eben kein Beweis.

Jäger proklamiert auf seiner Website nun seine «bewiesene» Unschuld und inszeniert sich als Opfer einer Hetzkampagne. Allerdings vergisst er zu erwähnen, dass gegen ihn noch ein zweites Verfahren läuft. Er soll 2019 versucht haben, ein achtjähriges Mädchen zu missbrauchen.

Jäger war 2012 bis 2019 Pfarrer von Ruggell. Sein Heimatbistum Limburg hatte ihn wegen Bedenken, dass er «nicht reif genug» sei, nicht zum Priester weihen wollen. Also ging er 2006 nach Vaduz, wo ihn Erzbischof Wolfgang Haas umgehend ordinierte. Jäger ist in dieser Hinsicht kein Einzelfall. Seit nunmehr 25 Jahren pilgern anderswo unerwünschte sowie ultrakonservative Gottesmänner ins kleine Liechtenstein, um sich von Erzbischof Haas ins Priesteramt erheben zu lassen.

Das ungewollte Bistum

Einer der vehementesten Kritiker der Kirchenpolitik des Liechtensteiner Erzbischofs ist der promovierte Theologe Günther Boss. Boss ist selbst praktizierender Katholik und theologischer Berater des Vereins für eine offene Kirche.

Der Liechtensteiner kennt den Bischof aus früheren Zeiten persönlich. Kaum jemand hat die Entstehung des «Systems Haas», wie er es nennt, so eng mitverfolgt wie Boss. Im Januar sagte er gegenüber der «Süddeutschen Zeitung» (SZ): «Vaduz ist ein Auffangbecken für kirchenpolitisch reaktionäre und politisch ultrarechte Priester geworden. Und der Erzbischof ist ein Fundamentalist, angesiedelt am äussersten rechten Rand der Katholischen Kirche. Genau diese Klientel sammelt sich um ihn, und er verteilt sie weiter.»

Haas und seine Pfarrer-Clique hielten an Lehren und Bräuchen fest, die innerhalb des Katholizismus spätestens seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) überholt seien, erklärt Boss bei einem Kaffee in einer Konditorei nicht weit von der Kathedrale St. Florin in Vaduz. So lehnt Haas unter anderem weibliche Seelsorgerinnen ab sowie Laienprediger. Homosexualität und Sex vor der Ehe sind tabu. Und wer im Fürstentum kirchlich heiraten möchte, hat einen obligatorischen, vom Bistum angebotenen Ehevorbereitungskurs zu besuchen.

Der reaktionäre Kurs trifft von jeher auf Widerstand. Als Wolfgang Haas noch Bischof von Chur war, kam es wiederholt zu Konflikten. Um Ruhe einkehren zu lassen, spaltete Papst Johannes Paul II Liechtenstein 1997 vom Bistum Chur ab und beförderte Haas zum ersten Erzbischof von Vaduz.

Über 1000 Menschen gingen damals gegen den päpstlichen Entscheid auf die Strasse, 8500 Menschen unterschrieben eine entsprechende Petition, das Parlament lehnte das neue Erzbistum mit 24 zu einer Stimme ab. Der Papst blieb unbeirrbar.

Glühende Anhänger

Trotz vieler unzufriedener Katholiken im Land hat Haas auch glühende Anhänger. «Es gibt Leute, die mir sagen, er habe sie vom Alkoholismus geheilt», erzählt Günther Boss. «Manche fallen vor ihm auf die Knie und küssen ihm den Ring. Haas ist für sie ein Heiliger.»

Und die Schafe verteidigen ihren Hirten. «Ich wurde wegen meiner Kritik an Haas sicher schon fünfzigmal in die Hölle gewünscht», sagt Boss lachend. Unter anderem in mehreren Leserbriefen des einzigen Landtagsabgeordneten, der 1997 für das Erzbistum stimmte. Zweimal sei Boss von Haas-Anhängern auch tätlich angegriffen worden.

«Er ruht sehr stark in sich selber. Das fasziniert manche Menschen», sagt Boss über den Bischof. «Haas ist fest davon überzeugt, dass er nicht zufällig zum Bischof gewählt worden, sondern von Ewigkeit her von Gott dazu bestimmt ist.»

Dementsprechend sei er kritikresistent, Einflussnahme von aussen unerwünscht. Selbst vonseiten des Papstes Franziskus, dem er sich bisweilen öffentlich widersetzt. Auch gehört Vaduz, eines der kleinsten Bistümer überhaupt, weder der Schweizer noch sonst einer Bischofskonferenz an. «Wir sind komplett isoliert», sagt Günther Boss, «wie unter einer Käseglocke».

Dass der Erzbischof sein kleines Bistum auf eigenwillige Weise führt, wird spätestens nach einem Blick auf die in Vaduz inkardinierte Priesterschar offensichtlich. Einem als «nur für den Amtsgebrauch» gekennzeichneten Personalverzeichnis ist zu entnehmen, dass insgesamt 66 Priester zum Erzbistum Vaduz gehören.

Unter ihnen befinden sich laut Recherchen der SZ 14 Schweizer, 33 Deutsche und 10 Österreicher. Liechtenstein hat 10 Pfarreien. Zum Vergleich: Das Bistum St.Gallen zählt 142 Pfarreien und 138 Priester. Vaduz beschäftigt also rund 7-mal mehr Priester pro Pfarrei.

Dass das kleine Erzbistum eigentlich gar nicht so viele Pfarrer bräuchte, zeigt sich daran, dass die meisten von Haas geweihten Priester nicht mehr in Liechtenstein tätig sind – oder es gar nie waren. Viele von ihnen sind in der Weltkirche verteilt und haben laut Boss keinerlei Bezug zu Vaduz.

Aber Haas sei dafür bekannt, dass er jeden Willigen zum Priester weihe, solange dieser bloss rückschrittlich genug eingestellt sei. Anders als andere Bistümer, verlange er weder einen Pastoralkurs noch eine praktisch-seelsorgerliche Ausbildung.

Die Impfung und der Satan

Nebst der ausserordentlich hohen Anzahl Priester fällt auf, dass viele von ihnen auffälliges Verhalten an den Tag legen. Pfarrer Thomas Jäger, bei dem nebst Kinderpornografie auch Hitlers «Mein Kampf» und Kontaktdaten von Neonazis gefunden wurden, bildet nur die Spitze des Eisbergs.

Da ist zum Beispiel Markus Doppelbauer, 2006 in Vaduz inkardiniert und Mitgründer des ultrarechtskonservativen Videoportals «Gloria.tv». 2013 geriet das Portal in die Schlagzeilen, nachdem dort der Holocaust geleugnet und deutsche Bischöfe mit Hakenkreuzen dargestellt worden waren, weil diese die «Pille danach» in katholischen Krankenhäusern erlaubt hatten.

Oder Werner Fimm, ab 2004 Pfarrer in Triesen und seit 2014 von Haas für die Evangelisation freigestellt. In seinen auf Youtube einsehbaren Predigten proklamiert er unter anderem, dass Tätowierungen «dem Satan den Weg ebnen, um von einem Menschen Besitz zu ergreifen». Ebenso ist auf dem Tonmitschnitt einer Predigt zu hören, wie er die Corona-Impfung als «Köder, den der Satan legt», bezeichnet. Diese komme von Handlangern des Teufels, «die jahrzehntelang Kinder im Mutterschoss umgebracht haben».

Youtube scheint unter den Haas-Zöglingen eine populäre Plattform zu sein. Der promovierte Theologe Johannes Maria Schwarz, ordiniert 2004 in Vaduz, betreibt den Kanal Kathmedia, wo er seine «Gedanken zu Theologie, Philosophie, Gott und Welt» teilt. Seine Doktorarbeit schrieb er beim Luganer Theologieprofessor Manfred Hauke. Hauke muss sich demnächst vor Gericht verantworten, weil er Homosexuelle in einem Aufsatz unter anderem als «Plage», als «eine Kolonie von Parasiten» oder gar als «Krebsgeschwür» bezeichnet hat.

Dann ist da noch Sebastian Harvardt, der Kaplan von Triesen. Laut Gottesdienstbesuchern äusserte sich dieser skeptisch über die Coronaimpfung und gab gegenüber dem «Liechtensteiner Vaterland» später «AUF1.TV» als Quelle an. Ein österreichischer Kanal, der dafür bekannt ist, rechtsextreme und verschwörungsideologische Inhalte zu verbreiten. Ausserdem erklärte er in einer Messe, dass «der ein oder andere Journalist es verdient» hätte, vom Blitz getroffen zu werden.

Und zuletzt – ohne den geringsten Anspruch auf Vollständigkeit – Georg Hirsch, Pfarrer von Triesenberg. An seiner Kirche ist auf einem Aushang zu lesen, dass von der Kommunion ausgeschlossen ist, wer «eine schwere Sünde» begangen hat. Dazu zählen gemäss dem Zettel das Versäumen der wöchentlichen Sonntagsmesse und das Zusammenleben von Paaren, die nicht kirchlich verheiratet sind.

Beschleunigte Säkularisierung

Liechtensteinerinnen und Liechtensteiner zahlen keine Kirchensteuern. Die Kirche wird aus Staatsgeldern finanziert, folglich treten die meisten auch dann nicht offiziell aus der Kirche aus, wenn sie nichts mehr mit ihr am Hut haben. Günther Boss ist überzeugt: «Wenn man bei uns in Liechtenstein eine Kirchensteuer einführen würde, käme es zu einer Austrittswelle.»

Laut Boss hat der Kirchgang «extrem abgenommen». Belegen lässt sich das nicht. Offizielle Zahlen gibt es nicht, und das Bistum reagierte nicht auf eine Anfrage. Doch Boss sagt, Liechtenstein sei bis in die 1980er-Jahre ein weitgehend katholisches Milieu gewesen. Seit der Erschaffung des Erzbistums habe das Land aber eine «beschleunigte Säkularisierung» durchlaufen. «Was in Städten wie Zürich ein Jahrhundert gebraucht hat, haben wir in den letzten 25 Jahren durchgemacht.»

Eine grosse Zahl habe sich ganz von der katholischen Kirche abgewandt. Viele der praktizierenden Katholikinnen und Katholiken gingen heute lieber über die Grenze nach Buchs oder Feldkirch in den Gottesdienst, so wie Boss selbst. «Wir haben unsere Heimat in der Kirche verloren. Sie wurde uns genommen.»

Lange wird der Erzbischof voraussichtlich nicht mehr über sein Ländle walten. Im August wird Haas 75 Jahre alt und muss Papst Franziskus seinen Rücktritt anbieten. Ob sein Rücktritt die Käseglocke tatsächlich öffnet, wagt Boss zu bezweifeln. Die Haas-Prediger im Bistum werden schliesslich noch eine Weile bleiben.
(https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/ressort-ostschweiz/bistum-vaduz-mutmasslicher-kindesmissbrauch-verschwoerungstheorien-und-hitlers-mein-kampf-im-erzbistum-vaduz-sammeln-sich-dubiose-pfarrer-ld.2439473)