Medienspiegel 6. April 2023

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/

+++BERN
Einblick in den Alltag in der Siedlung Viererfeld
Seit dem 11. Juli 2022 leben geflüchtete Personen in der Siedlung Viererfeld. Aktuell befinden sich 250 Personen dort. Der Betrieb hat sich seit der Eröffnung der Unterkunft gut eingespielt. Die Stadt Bern, der Kanton Bern und die Heilsarmee ziehen eine positive Zwischenbilanz.
https://www.bern.ch/mediencenter/medienmitteilungen/aktuell_ptk/einblick-in-den-alltag-in-der-siedlung-viererfeld
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/viererfeld-so-geht-es-den-gefluechteten-im-berner-containerdorf?id=12366592 (ab 01:41)
-> Schweiz Aktuell: https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/viererfeld-be-groesste-mobile-asylunterkunft-der-schweiz?urn=urn:srf:video:04fb5c47-3615-4a4e-ae46-08a2d8c48d5f
-> https://www.jungfrauzeitung.ch/artikel/208917/
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/containersiedlung-viererfeld-bin-zufrieden-so-leben-die-gefluechteten-auf-dem-viererfeld



derbund.ch 06.04.2023

Flüchtlingssiedlung Viererfeld: Im Containerdorf dürfte es bald enger werden

Ein Jahr nach Baubeginn leben rund 250 Personen in der Containersiedlung auf dem Berner Viererfeld. Stadt und Kanton

Andres Marti

Erst am gestrigen Mittwoch wieder hat sich der Kanton mit einem Hilferuf an alle Berner Gemeinden gewendet. Es brauche dringend mehr Unterkunftsmöglichkeiten für Asylsuchende. Gleichzeitig hat es im Containerdorf auf dem Viererfeld viel Platz. Dort zogen am Donnerstag Kanton und Stadt Bern nach neun Monaten Betrieb an einem Medienanlass eine positive Zwischenbilanz.

Aktuell leben auf dem Viererfeld um die 250 Personen mit Schutzstatus S. Theoretisch könnten dort aber bis zu 1000 Personen übernachten. Von den insgesamt fünf Wohntrakten sind drei in Betrieb, die restlichen zwei sind unbewohnt und dienen dem Kanton als Reserve. Wie passt das zum Hilferuf an die Gemeinden für mehr Unterkünfte?

Die Reserve auf dem Viererfeld sei notwendig, um notfalls schnell reagieren zu können, sagt Manuel Michel, kantonaler Leiter des Amts für Integration und Soziales. Wie die meisten Migrationsexperten geht auch Michel davon aus, dass mit den steigenden Temperaturen wieder mehr Asylsuchende in die Schweiz kommen werden. Auch das Staatssekretariat für Migration rechnet wieder mit einer überdurchschnittlich hohen Zahl neuer Asylanträge. Auf dem Viererfeld dürfte es also schon bald enger werden.

Gemischte Nutzung wahrscheinlich

In der Vergangenheit sprach sich Regierungsrat Pierre Alain Schnegg (SVP) wiederholt dagegen aus, auf dem Viererfeld auch Geflüchtete aus anderen Nationen unterzubringen. Wohl auch angesichts der «besorgniserregenden» Lage (Michel) ist von diesem Vorbehalt nun aber nicht mehr viel zu spüren. Michel geht jedenfalls davon aus, dass auf dem Viererfeld schon bald wieder Geflüchtete aus anderen Nationen untergebracht werden könnten.

Widerstand dagegen gibt es kaum. Man habe während der gemischten Nutzung im Dezember und Januar gute Erfahrungen gesammelt, heisst es bei der Heilsarmee, die das Containerdorf betreibt. Damals überwies das Staatssekretariat für Migration in Folge überfüllter Bundesasylzentren notfallmässig und vorübergehend Asylsuchende in die Kantone, deren Verfahren noch nicht abgeschlossen war.

«Das Viererfeld ist geeignet, neben den Menschen aus der Ukraine auch anderen Nationen ein Daheim zu bieten», sagt auch Sozialdirektorin Franziska Teuscher (Grüne). Die Geflüchteten fühlten sich laut Teuscher hier trotz einfacher Wohnverhältnisse wohl und schätzten die zentrale Lage.

Viele finden Wohnung

Der Umstand, dass Schulbetrieb, Gesundheitsversorgung, soziale Beratung und Unterstützung mit Sozialhilfe direkt vor Ort stattfänden, habe sich als Erfolgsfaktor erwiesen, sagt Teuscher. Es bestünden kurze Wege, und die Bewohnerinnen und Bewohner erhielten rasch Antwort auf ihre Fragen. In der internen Schule werden derzeit rund 45 Kinder in sieben Willkommensklassen unterrichtet.

Die Erwachsenen hingegen lernten laut der Stadt Deutsch, suchten eine Wohnung und Arbeit. Sie werden dabei von Fachpersonal, aber auch freiwillig engagierten Menschen unterstützt. Entgegen manchen Erwartungen finden die meisten Schutzsuchende mit Status S nach ein paar Wochen oder Monaten eine eigene Wohnung. Insgesamt haben 320 Menschen die Siedlung wieder verlassen.

Was in der Containersiedlung fehlt, sind Sozialräume für gemeinsames Essen und Beisammensein. Das fensterlose Zelt, welches der Kanton dafür aufgestellt hat, wird von den Bewohnenden wenig genutzt. Um  soziale Aktivitäten in Kleingruppen zu fördern, werden derzeit Tipis erstellt, ein Spielplatz gebaut und der Aussenraum mit Pflanzen aufgewertet. Das Geld dafür hat die Heilsarmee via Spenden aufgetrieben.
(https://www.derbund.ch/im-containerdorf-duerfte-es-bald-enger-werden-834450104191)


+++BASEL
Basel-Stadt sucht verstärkt Gastfamilien für minderjährige Asylsuchende (ab 03:36)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/rtv-startet-mit-sieg-in-playouts?id=12366307
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/basler-bettelverbot-ist-mehrheitlich-verfassungskonform?id=12366637 (ab 19:44)



bzbasel.ch 06.04.2023

Falsche Anschuldigung im Basler Bundesasylzentrum: Der Stein, der nicht traf

Ein Security-Angestellter des Basler Bundesasylzentrums zeigte zwei Männer an, weil sie ihn mit Steinen beworfen und angeblich auch getroffen hatten. Später korrigierte er seine Aussage.

Patrick Rudin

«Ich war im Moment überfordert. Da habe ich einen Fehler gemacht», sagte der 31-jährige Mann aus Weil am Rhein am Donnerstag im Basler Strafgericht.

Die Szene spielte sich im Januar 2021 ab: Zwei Männer erkundigten sich an der Loge des Bundesasylzentrums beim Bässlergut nach einem Freund, erhielten aber keine Auskunft. Als sie nach einer kurzen Diskussion schliesslich frustriert abzogen, kickten sie vor dem Gebäude eine Mülltonne um. Daraufhin sagte der 31-Jährige Sicherheitsangestellte den beiden Männern, sie sollen das Areal nun verlassen.

Die Steine flogen, doch sie trafen nicht

Danach hagelte es von den zwei Männern offenbar Beleidigungen und Todesdrohungen. Sie holten bei der gegenüberliegenden Shell-Tankstelle gar Steine und warfen diese gegen mehrere Mitarbeiter. Getroffen wurde zwar niemand, doch der 31-Jährige sagte der herbeigerufenen Polizeipatrouille später, er sei an der Brust von einem Stein getroffen worden.

Zwei Tage später wiederholte er diesen Vorwurf in der formellen Einvernahme der Staatsanwaltschaft. Dabei zeichnete er auf einem Papier die Grösse des Steines nach. Die Staatsanwaltschaft eröffnete daraufhin gegen die Werfer ein Verfahren wegen versuchter schwerer Körperverletzung. Einen Tag später meldete sich der 31-Jährige erneut und gab zu, dass er eigentlich gar nicht getroffen worden sei.

Bereits am Tag der Auseinandersetzung liess er den angeblichen Treffer auch von einem Logenmitarbeiter rapportieren. Diese Falschrapportierung wertete die Staatsanwaltschaft als Erschleichung einer Falschbeurkundung. Deshalb sowie wegen falscher Anschuldigung klagte sie den 31-Jährigen an und forderte eine bedingte Freiheitsstrafe von acht Monaten.

Streit und Drohungen waren offenbar alltäglich

«Waren solche Situationen Alltag?», fragte Einzelrichter René Ernst den Mann am Donnerstag in der Verhandlung. «Ja, das ist Alltag», bestätigte der 31-Jährige. Psychologische Unterstützung habe er damals nicht erhalten. Gegenüber der Staatsanwaltschaft hatte er später gesagt, er sei damals frustriert darüber gewesen, dass die aggressiven Angreifer meist ungeschoren davonkämen.

Ernst urteilte schliesslich weniger streng als die Staatsanwaltschaft: Zwar gab es am Donnerstag einen Schuldspruch wegen falscher Anschuldigung. Die Falschmeldung im Rapport hingegen sei keine Falschbeurkundung. Auch beim Strafmass war René Ernst deutlich milder: Er verhängte eine bedingte Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu 80 Franken.

Geständnis und Selbstanzeige führen zu massiver Strafmilderung

«Die falsche Anschuldigung als solche ist nicht schön. Aber sie haben nur in einem Punkt gelogen oder übertrieben, wenn auch in einem nicht ganz unentscheidenden Punkt», sagte Ernst. «Der Umgang mit den Leuten dort ist extrem schwierig und belastend. Insofern verstehe ich auf eine gewisse Art, dass Sie sich dazu hinreissen liessen».

Auch habe sich der 31-Jährige selber angezeigt. Dies führe zu einer massiven Strafreduktion. «Sonst wäre das gar nie rausgekommen. Sie haben ein mutiges Verhalten an den Tag gelegt, deshalb ist die Strafe auch eher symbolisch», schloss Ernst.

Mit dem Schuldspruch muss der Mann knapp 900 Franken an Gerichts- und Verfahrenskosten übernehmen. Die Staatsanwaltschaft könnte das Urteil allerdings noch weiterziehen. Der 31-Jährige arbeitet heute in einem anderen Bereich. Der Verfahrensstand der beiden Steinwerfer ist nicht bekannt. Sie haben aber inzwischen vermutlich einen Strafbefehl wegen Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte erhalten.
(https://www.bzbasel.ch/basel/basel-stadt/strafgericht-falsche-anschuldigung-der-stein-der-nicht-traf-ld.2435692)


+++SCHWEIZ
Warum afghanische Geflüchtete in der Schweiz kaum Asyl erhalten
Die Menschenrechtslage in Afghanistan verschlechtert sich unter dem Taliban-Regime laufend. Trotzdem weisen die Schweizer Behörden weiterhin die überwiegende Mehrheit der schutzsuchenden Afghan:innen ab – eine Politik, die in krassem Gegensatz zur Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge in der Schweiz steht.
https://www.swissinfo.ch/ger/warum-afghanische-gefluechtete-in-der-schweiz-kaum-asyl-erhalten/48417574


+++DEUTSCHLAND
Die Zahl der Abschiebungen steigt weiter
Deutschland sorgt sich und schiebt ab
Die flüchtlingsfeindlichen Proteste reißen nicht ab, Umfragen zufolge nehmen entsprechende »Sorgen« in der deutschen Bevölkerung zu. Unterdessen werden wieder mehr Menschen abgeschoben, sogar in den Iran.
https://jungle.world/artikel/2023/14/deutschland-sorgt-sich-und-schiebt-ab


+++EUROPA
Neuer Bericht zur EU-Migrationspolitik: „Widerstand gegen das europäische Grenzregime“
Gewalt, Armut und Perspektivlosigkeit veranlassten auch im vergangenen Jahr unzählige Menschen dazu, lebensgefährliche Wege auf sich zu nehmen, um Sicherheit in Europa zu suchen. Alleine bei dem Versuch, das Mittelmeer zu überqueren, sind seit 2014 mehr als 25.000 Menschen gestorben oder gelten als vermisst. Die Antwort der EU: Militarisierung, Kriminalisierung und Abschottung. Die letzten Jahre haben zu einer stetig zunehmenden Eskalation in der europäischen Migrationspolitik geführt. Von obskuren Abkommen mit außereuropäischen Drittländern, über den Bau von als Aufnahmezentren getarnten Hochsicherheitstrakts bis zu körperlicher Misshandlung von Schutzsuchenden durch vermummte EU-Grenzschutzbeamt*innen.
https://www.pressenza.com/de/2023/04/neuer-bericht-zur-eu-migrationspolitik-widerstand-gegen-das-europaeische-grenzregime/


+++GASSE
Das Bundesgericht heisst eine Beschwerde gegen das Basler Bettelverbot teilweise gut – in Parks sei es unverhältnismässig (ab 03:50)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/keine-fans-in-muttenzerkurve-und-gaestesektor?id=12366442
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/umstrittenes-bettelverbot-bundesgericht-stuetzt-basler-bettelverbot-in-weiten-teilen
-> https://www.watson.ch/schweiz/basel/633680234-bundesgericht-kippt-basler-bettelverbot-betteln-in-parks-ist-zulaessig
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/basler-bettelverbot-ist-mehrheitlich-verfassungskonform?id=12366637 (ab 01:15)
-> https://video.telebasel.ch/content/4062/4063/206367/index.html (ab 03:58)
-> https://www.baseljetzt.ch/bundesgericht-betteln-in-basler-parks-ist-zulaessig/42096
-> https://www.bzbasel.ch/basel/basel-stadt/entscheid-bundesgericht-kippt-rigoroses-basler-bettelverbot-betteln-in-parks-ist-zulaessig-ld.2440166?mktcid=smch&mktcval=twpost_2023-04-06
-> https://www.bazonline.ch/bundesgericht-streicht-parks-von-der-bettelverbots-liste-735471218366
-> https://www.20min.ch/story/betteln-in-parks-muss-erlaubt-sein-bundesgericht-pfeift-kanton-zurueck-186269426188
-> Medienmitteilung Bundesgericht: https://www.bger.ch/files/live/sites/bger/files/pdf/de/1c_0537_2021_2023_04_06_T_d_08_45_27.pdf
-> Urteil Bundesgericht: https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/aza/http/index.php?highlight_docid=aza://13-03-2023-1C_537-2021&lang=de&zoom=&type=show_document


Zürcher Gemeinderat will Basishilfe für Sans-Papiers
Der Zürcher Gemeinderat hat sich für Unterstützung von Ausländern in prekären Situationen ausgesprochen. Zwei Parlamentarische Initiativen forderten wirtschaftliche Hilfe für Sans-Papiers und Ausländer mit schwierigem Zugang zu Sozialhilfe.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/zuercher-gemeinderat-will-basishilfe-fuer-sans-papiers?id=12366322
-> https://www.zueritoday.ch/zuerich/stadt-zuerich/zuercher-gemeinderat-will-basishilfe-fuer-sans-papiers-150880023
-> https://www.pszeitung.ch/demo-basishilfe-genderstern/
-> TalkTäglich: https://tv.telezueri.ch/talktaeglich/umstrittene-nothilfe-fuer-sans-papiers-150422262



tagesanzeiger.ch 05.04.2023

Umstrittene Zürcher Nothilfe: Linke hält an Zulage für Sans-Papiers fest – trotz rechtlichen Bedenken

Der Bezirksrat stoppte ein neues Hilfsprojekt von Stadtrat Raphael Golta (SP). Nun setzen SP, Grüne und AL im Gemeinderat einen zweiten Versuch durch.

Beat Metzler

Das Projekt schien bereits beerdigt. Am Mittwochabend haben ihm SP, Grüne und AL zu einem zweiten Leben verholfen.

Mit einer Mehrheit von 62 zu 57 Stimmen beschlossen sie im Gemeinderat zwei Pilotversuche, die ungefähr der abgeklemmten «wirtschaftlichen Basishilfe» von Stadtrat Raphael Golta (SP) entsprechen. Im Juli 2021 führte der Sozialvorsteher zeitlich beschränkte Notzahlungen ein für Migrantinnen und Migranten, denen es an Existenziellem fehlt. Diese Menschen wenden sich aber nicht an die Sozialhilfe. Sie befürchten, dadurch ihre Aufenthaltsgenehmigung zu verlieren. Oder sie getrauen sich nicht, weil sie Sans-Papiers sind und gar keine Aufenthaltsbewilligung haben.

Die Corona-Massnahmen hatte die Not dieser zwei Gruppen sichtbar gemacht. Hunderte standen damals mitten in der Stadt für kostenlose Lebensmittel an.

Stadt verpasste wichtigen Termin

Im Dezember 2021 stoppte der Bezirksrat das Projekt. Die FDP hatte eine Aufsichtsbeschwerde erhoben und recht erhalten. Der Bezirksrat urteilte, dass die Basishilfe gegen das nationale Ausländerrecht verstosse. Die Stadt wollte diesen Entscheid anfechten, verpasste wegen einer Panne aber die Frist dafür. Die rechtliche Prüfung durch eine höhere Instanz, die der Stadtrat anstrebte, konnte wegen des «peinlichsten Versäumnisses seit langem» (Raphael Golta) nicht stattfinden.

SP, Grüne und AL haben eine leicht angepasste Version der Basishilfe trotz dem Urteil des Bezirksrats wieder gestartet – mithilfe von zwei parlamentarischen Initiativen im Gemeinderat. «So schliessen wir eine Lücke im Sozialsystem und lindern akute Notsituationen», sagte Hannah Locher (SP). Dies sei nötig und wirksam, was eine wissenschaftliche Auswertung bestätigt habe. Die Basishilfe ermögliche den Ärmsten ein menschenwürdiges Leben, sagte Yves Henz (Grüne).

SVP, FDP, GLP und Mitte/EVP beriefen sich auf den Entscheid des Bezirksrats. «Das Anliegen verstösst mehrfach gegen übergeordnetes Recht», sagte Mélissa Dufournet (FDP). Es sei von den Bundesgesetzen gewollt, dass Menschen, die sich illegal in der Schweiz aufhielten, nur minimale Unterstützung bekämen. Ebenso gewollt sei die Verknüpfung des Aufenthaltsstatus mit wirtschaftlicher Unabhängigkeit. Durch die Basishilfe schaffe die Stadt eine unrechtmässige Parallel-Sozialhilfe. Susanne Brunner (SVP) warf der Stadt vor, ständig gegen Gesetze zu verstossen.

Fanny de Weck (SP) sagte, dass die Beträge viel zu tief und zeitlich zu beschränkt seien, um als Sozialhilfe-Ersatz gelten zu können. Stadtrat Raphael Golta wies darauf hin, dass Zürich immer wieder die rechtlichen Grenzen habe austesten müssen, zum Beispiel in der Drogenpolitik. «Der Bund hat mit seinen Gesetzen ein neues Prekariat geschaffen. Dieses Problem müssen jetzt die Gemeinden lösen.»

Weil der erste Versuch bereits acht Monate lief, liegt eine Auswertung der ZHAW vor. Ausbezahlt haben das Geld private Hilfswerke wie etwa die Anlaufstelle für Sans-Papiers. Sie bewilligten rund 100 Gesuche für 229 Personen, davon waren 104 Kinder. Dafür gaben sie 300’000 Franken aus, was 3115 Franken pro Gesuch entspricht. 57 Gesuche lehnten sie ab.

Das neue Pilotprojekt soll drei Jahre dauern, der Gemeinderat stellt dafür insgesamt 5,4 Millionen Franken bereit. Doch am Ende werden wohl die Gerichte entscheiden, ob die Basishilfe wirklich ein zweites Leben erhält.
(https://www.tagesanzeiger.ch/linke-haelt-an-zulage-fuer-sans-papiers-fest-trotz-rechtlichen-bedenken-110367407775)


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Orllati sont pas gonflés ; nous avons dégonflé cent de leurs pneus !
Une centaine de pneus dégonflés sur les chantiers d’Orllati durant la nuit du 4 avril.
Pour mettre un frein à l’industrie d’Orllati, une centaine de pneus ont été dégonflé. Explications.
https://renverse.co/infos-locales/article/orllati-sont-pas-gonfles-nous-avons-degonfle-cent-de-leurs-pneus-3966


BASEL:
Nach Gewalt an Kundgebungen – Basler Linke fordert Demo-Kodex am 1. Mai für eigene Leute
Nachdem mehrere Kundgebungen aus dem Ruder gelaufen sind, will die Basler SP die eigenen Reihen jetzt selbst regulieren. Ob das gelingt, ist fraglich.
https://www.srf.ch/news/schweiz/nach-gewalt-an-kundgebungen-basler-linke-fordert-demo-kodex-am-1-mai-fuer-eigene-leute



Basler Zeitung 06.04.2023

Kritik aus dem eigenen Lager: Zürcher Linke tun Basler Benimmregeln für 1.-Mai-Demo als «Publicity» ab

Nach den Ereignissen vom vergangenen Jahr will sich die Basler SP vom Schwarzen Block distanzieren. Der Zürcher Gewerkschaftsbund hält das für einen «Kindergarten».

Leif Simonsen

Die Basler SP-Co-Präsidentin Jessica Brandenburger erlebte einen seltenen Moment der parteiinternen Einigkeit. Als bekannt wurde, dass das SP-Präsidium gemeinsam mit anderen linken Gruppierungen im Hinblick auf die 1.-Mai-Kundgebung in diesem Jahr Benimmregeln definiert hatte, gratulierten ihr Sozialdemokraten aus den verschiedensten Lagern. «Das passiert sonst wirklich selten bei der SP, wo sich der linke und der sozialliberale Flügel meist nicht vollkommen einig sind.»

Niemand kann etwas dagegen haben, dass sich die Linken endlich vom gewaltbereiten Schwarzen Block distanzieren – vor allem nach den Ereignissen im vergangenen Jahr, als Vermummte Fenster einschlugen und auf den BaZ-Fotografen einprügelten. Könnte man meinen. Aber ausgerechnet aus linken Kreisen wird Kritik an der Idee geäussert, sich vom Schwarzen Block abzugrenzen und diesen allein losziehen zu lassen.

Björn Resenerer, der Sprecher des Gewerkschaftsbunds Zürich, sagt in der NZZ, er vermute, die linken Gruppierungen in Basel seien auf «Good Publicity» aus. Ihr Ziel sei demnach, in der Öffentlichkeit gut dazustehen, statt tatsächlich etwas zu bewirken. Als Organisator der 1.-Mai-Demo in Zürich sehe der Gewerkschaftsbund keinen Grund, einen ähnlichen Konsens zu formulieren. In den vergangenen Jahren habe es am Zürcher Umzug keine Gewalt und keine Krawalle gegeben.

Den linken Gruppierungen in Basel wirft der Zürcher Gewerkschaftsbundsprecher vor, mit ihrer Idee ein «Gewaltnarrativ» zu bedienen. Seit Jahren werde am 1. Mai über Gewalt gesprochen statt über Inhalte. Das wolle man nicht unterstützen. Die ewige Diskussion «Abgrenzen oder nicht» bezeichnet er als «Kindergarten». Auch distanziert er sich vom Begriff Schwarzer Block: Eine solche Organisation gebe es nicht. Zudem sei es unmöglich, festzustellen, wer an einem Umzug linksextrem sei und wer nicht.

Linksextreme willkommen, Gewalttätige nicht

Jessica Brandenburger wehrt sich gegen den Vorwurf, «ein Gewaltnarrativ» zu bedienen. «Ich habe den Eindruck, hier spricht jemand, der nicht im Bild ist über die Geschehnisse in Basel. Es gibt genügend Bilder, die beweisen, dass es an der 1.-Mai-Demo im vergangenen Jahr Gewalt gab.»

Auch widerspricht sie der Einschätzung, wonach es keinen Schwarzen Block gebe. «Im 1.-Mai-Komitee gab es die Bemühungen um einen Kontakt zum Schwarzen Block. Leider kam dieser meines Wissen bis jetzt nicht zustande.»

Brandenburger sieht in der Feststellung des Zürcher Gewerkschaftssprechers, man könne die Linksextremisten ja ohnehin nicht von den anderen Demonstrationsteilnehmenden unterscheiden, auch nicht als Argument gegen das neue Basler Modell. «Linksextrem bedeutet nicht automatisch, dass man gewalttätig ist oder Sachen beschädigt», sagt sie. «Solange man das nicht tut, kann man von mir aus auch als Linksextremer bei uns mitlaufen. Alle Menschen, die unsere Anliegen teilen und friedlich demonstrieren wollen, sind willkommen.»

«Physisch distanzieren»

Eines hat aber freilich auch Brandenburger nicht: die Garantie, dass es dieses Mal klappt mit dem friedlichen Umzug am 1. Mai. «Der Plan ist, dass wir uns physisch distanzieren. Im vergangenen Jahr hat sich der Schwarze Block zwischen das Frontbanner und die Demonstrierenden gedrückt, das soll nicht wieder vorkommen», sagt sie. Wenn dies wieder passiere, würden die «friedlichen» Demonstranten stehen bleiben. «Ich gehe nicht davon aus, dass der Schwarze Block einfach an Ort und Stelle stehen bleiben will», sagt sie.
(https://www.bazonline.ch/zuercher-linke-tun-basler-benimmregeln-fuer-1-mai-demo-als-publicity-ab-449005082363)


ZÜRICH
Gemeinderat und Stadtrat in Zürich verurteilen linksextreme Gewalt (ab 03:40)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/zuercher-gemeinderat-will-basishilfe-fuer-sans-papiers?id=12366322
-> https://www.pszeitung.ch/demo-basishilfe-genderstern/



nzz.ch 06.04.2023

Nach den linksextremen Ausschreitungen in Zürich sagt Stadträtin Karin Rykart: «Wir sind es den Polizisten schuldig, dass wir uns für ihre Sicherheit einsetzen»

Die Sicherheitsvorsteherin muss sich von den bürgerlichen Parteien harsche Kritik gefallen lassen.

Fabian Baumgartner

Linksextreme sind am letzten Samstag durchs Zürcher Langstrassenquartier marschiert und haben eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Auch vor Gewalt gegenüber Polizisten schreckten die Demonstranten nicht zurück. Sieben Ordnungshüter wurden bei den Ausschreitungen an der unbewilligten Demonstration verletzt.

Die Ereignisse vom Wochenende haben im Zürcher Gemeinderat nachgehallt. Die Sicherheitsvorsteherin Karin Rykart nahm am Mittwochabend im Parlament Stellung. Mit Blick auf die verletzten Polizisten sagte sie: «Das hat mich tief betroffen gemacht.»

Unter den Verletzten befand sich auch der Einsatzleiter der Stadtpolizei. Rykart sprach nach dem Angriff mit ihm. Im Parlament sagte sie: «Er hat mir von einem erschreckenden Gewaltpotenzial erzählt.» Die Polizisten seien mit Eisenstangen, Pyros und Steinen angegriffen worden. Minutenlang sei «Ganz Zürich hasst die Polizei» skandiert worden, an den Wänden habe man Slogans wie «Kill cops» lesen können.

Sie, aber auch das Parlament seien dafür verantwortlich, dass die Polizistinnen und Polizisten ihre Arbeit gut und sicher ausführen könnten. «Die Polizistinnen und Polizisten riskieren ihre Gesundheit, um unsere Sicherheit zu gewährleisten. Wir sind es ihnen deshalb schuldig, dass wir uns auch für ihre Sicherheit einsetzen.»

Rykart sagte, es befremde sie, wenn unpersönlich über Polizisten gesprochen werde. «Als wären sie eine Staatsmacht, weit weg vom öffentlichen Leben.»

«Braucht es erst Schwerverletzte oder gar Tote?»

Trotz diesem Votum musste Rykart aus dem bürgerlichen Lager harsche Kritik einstecken. SVP und FDP fanden, sie solle nun endlich entschlossen handeln oder sonst abtreten.

Der SVP-Gemeinderat Stephan Iten fragte: «Braucht es Schwerverletzte oder gar Tote, damit der Stadtrat und die linken Parteien ihre Unterstützung für die militanten Linksextremen endlich aufgeben?» Angesichts von Molotowcocktails und Eisenstangen sprach er von «linksextremem Terrorismus».

FDP-Gemeinderat Andreas Egli sagte, es sei ein Hohn, dass die linke Mehrheit im Gemeinderat nur im gewalttätigen Rechtsextremismus ein Problem sehe, nicht aber im gewalttätigen Linksextremismus. Egli fragte: «Wo bleibt der Aufschrei von SP, Grünen und Gewerkschaften? Sind Polizistinnen und Polizisten keine städtischen Angestellten, für die sie sich ebenfalls einsetzen müssten?»

Die Freisinnigen forderten in ihrer Erklärung, unbewilligte Demonstrationen künftig nicht mehr zu tolerieren und den Umgang mit der Hausbesetzerszene zu revidieren. Christian Traber (Mitte) sprach sich für eine starke Polizei aus. «Eine gut ausgerüstete Polizei ist eminent wichtig. Der geforderte Stellenausbau ist dringend angezeigt.»

AL sieht eine Mitschuld der Polizei

Patrick Hässig (GLP) wählte in einer persönlichen Erklärung scharfe Worte. Er sagte, ein Teil des Parlaments verharmlose die Gewalt. Einige Politiker aus dem linken Lager machten nichts anderes, als die Polizei als überflüssige Truppe hinzustellen. Es brauche deshalb eine Allianz der Vernunft. «Gewalt, egal von welcher Seite, darf nicht toleriert werden.»

Verurteilt wurden die Angriffe auf Polizisten auch von den linken Parteien. Sie warnten aber davor, nun einfach mehr Repression zu fordern. Der SP-Fraktionschef Davy Graf sagte: «Bevor sich jetzt alle zu selbsternannten Sicherheitsexperten küren, würde es sich lohnen, zuerst die Analyse der Ereignisse abzuwarten.»

Und Luca Maggi (Grüne) sagte: «Wenn Hunderte ihrer Wut Raum verschaffen, sollten wir diese Zeichen ernst nehmen.» Er verwahrte sich gegen den Vorwurf, die Ausschreitungen hätten etwas mit fehlender politischer Unterstützung für die Polizei oder zu viel Toleranz gegenüber unbewilligten Demonstrationen zu tun. Mehr Repression werde die Lage eher verschärfen, statt sie zu entspannen, sagte Maggi.

Die AL wiederum verurteilte zwar die Gewalt, ortete aber eine Mitschuld bei der Polizei und ihrem Verhalten. Ihr Sprecher Mischa Schiwow sagte: «Der Polizeieinsatz war keineswegs deeskalierend. Im Gegenteil, die Stimmung wurde noch aufgeheizt.» Die Gewalt sei massiv und erschreckend gewesen – «das können wir teilen». Die von der Polizei ausgehende Gewalt werde in der Debatte aber vollkommen ausgeblendet.

Seine Partei verortet die Gründe für die Wut der Demonstranten in der Entwicklung der Stadt. «Die AL ist nicht bereit, die Geschehnisse allein mit der Gewaltbereitschaft von linksextremen Chaoten zu erklären.» Die Ursachen seien vielmehr in einer Stadt zu suchen, in welcher bezahlbarer Wohnraum zerstört und nichtkommerzielle, kulturelle Freiräume zunehmend eingeschränkt würden, sagte Schiwow.
(https://www.nzz.ch/zuerich/linksextreme-gewalt-in-zuerich-al-sieht-mitschuld-bei-der-polizei-ld.1733330)


+++SPORT
Keine Fans in Muttenzerkurve und Gästesektor
Als Konsequenz der Gewalteskalation nach dem Cuphalbfinal bleiben beim nächsten Heimspiel gegen YB am 16.April Muttenzerkurve und Gästesektor zu. Dies entschied die Basler Polizeidirektorin Stephanie Eymann nach einer dringlichen Sitzung mit Vertretern der Polizei, FCB und Swiss Football League
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/keine-fans-in-muttenzerkurve-und-gaestesektor?id=12366442
-> https://www.nau.ch/sport/fussball/fc-basel-schliesst-muttenzerkurve-gegen-yb-fans-sind-hassig-66468198
-> https://www.blick.ch/sport/fussball/superleague/konsequenzen-nach-joggeli-schande-muttenzerkurve-bei-liga-spiel-gegen-yb-in-basel-geschlossen-id18467266.html
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/ich-habe-sympathien-fuer-personalisierte-tickets?partId=12366616
-> Schweiz Aktuell: https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/massnahmen-nach-joggeli-schande?urn=urn:srf:video:db0e4fbc-7658-458d-893c-15d97c0b244e
-> https://video.telebasel.ch/content/4062/4063/206367/index.html
-> https://www.baseljetzt.ch/fans-toben-nach-ausschluss-der-muttenzerkurve/42185
-> https://www.baseljetzt.ch/fcb-greift-durch-muttenzerkurve-bleibt-beim-naechsten-heimspiel-leer/42050


Ursprung im Familiensektor: So kams zur Joggeli-Schande
Nach dem Cup-Halbfinal gegen YB greifen vermummte FCB-Fans das Sicherheitspersonal an. Auslöser des brutalen Überfalls war ein Vorfall in den Minuten vor dem Spiel.
https://www.blick.ch/sport/fussball/superleague/ursprung-im-familiensektor-so-kams-zur-joggeli-schande-id18466015.html
-> https://www.blick.ch/schweiz/basel/blick-fund-vor-dem-joggeli-gibt-raetsel-auf-liegen-hier-die-stadion-schluessel-der-securitys-id18468133.html


+++BIG BROTHER
Neues System soll Fingerabdrücke und Gesichtsbilder abgleichen
Das künftige Fingerabdrucksystem soll auch Gesichter vergleichen können. Der Bundesrat hat dafür einen Kredit von knapp 25 Millionen Franken gutgeheissen.
https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/neues-system-soll-fingerabdrucke-und-gesichtsbilder-abgleichen-66468105
-> https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-94141.html


EU-Kommission will Reisepässe abschaffen, dafür biometrische Grenzkontrollen
Reisepässe und Personalausweise sollen in der EU komplett digital werden, Grenzkontrollen mit biometrischen Erkennungsverfahren erfolgen. Es hagelt Kritik.
https://www.heise.de/news/EU-Kommission-will-Reisepaesse-abschaffen-dafuer-biometrische-Grenzkontrollen-8679780.html


+++POLICE VD
Entretien avec Evelyn Wilhelm / Justice4Nzoy
Entretien avec Evelyn Wilhelm du collectif Justice4Nzoy
Réalisé par la librairie la dispersion et Enquête Critique
https://renverse.co/infos-locales/article/entretien-avec-evelyn-wilhelm-justice4nzoy-3968


+++POLIZEI ZH
Zürcher Regierung muss sich nach Koch-Areal-Krawallen rechtfertigen: Für Verhaftungen fehlte der Polizei das Personal
Die Stadtzürcher Regierung muss sich im Parlament für den Polizeieinsatz bei der Räumung des Koch-Areals rechtfertigen. Bürgerliche werfen ihr «Laissez faire»-Politik gegen linke Chaoten vor.
https://www.blick.ch/politik/zuercher-regierung-muss-sich-nach-koch-areal-krawallen-rechtfertigen-fuer-verhaftungen-fehlte-der-polizei-das-personal-id18468050.html


+++RASSISMUS
limmattalerzeitung.ch 06.04.2023

Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen: Wie Sascha Ruefer und SRF in Rassismus-Debatte um Granit Xhaka versagen

Starreporter Sascha Ruefer soll Nati-Captain Granit Xhaka rassistisch beleidigt haben. Statt sich zu erklären oder gar zu entschuldigen, gehen er und sein Arbeitgeber SRF auf Tauchstation. Eine Analyse.

Simon Häring, François Schmid-Bechtel

Dem Mann von der Medienstelle beim Schweizer Fernsehen glühen wahrscheinlich die Ohren. Das Telefon schrillt ununterbrochen. Die Drähte laufen heiss. Alle wollen Antworten. Am liebsten von Nati-Reporter Sascha Ruefer selbst oder vom SRF-Oberchef des Bereichs Sports, Roland Mägerle.

Doch die beiden verhalten sich wie die drei Affen: Sie sehen nichts, sie hören nichts und sie sagen nichts.

Kurz: Sie gehen schon am Gründonnerstag auf Tauchstation. Auch auf Anrufe und Textnachrichten reagieren die beiden nicht. Dabei hätten sie viel zu erklären.

Ende März hatte diese Zeitung publik gemacht, dass SRF-Kommentator Sascha Ruefer im Dokumentarfilm « The Pressure Game» eine Aussage hat entfernen lassen, in der er sich über Nati-Captain Granit Xhaka äussert.

Eine gut informierte Person erzählte damals: Im konkreten Fall sei Ruefer zu Xhaka befragt worden. Ruefer habe seine Gedankengänge ausführlich geschildert, dabei über Xhakas ausserordentlichen Wert als Fussballer gesprochen, ihm also die «DNA eines Champions» attestiert, die sich halt vom durchschnittlichen braven, korrekten Schweizer unterscheide.

Sascha Ruefer befürchtete, diese Aussage könne ihm als rassistisch ausgelegt werden. Deshalb zog er sein Zitat zurück. Was der 51-Jährige gesagt haben soll, machte nun die «Wochenzeitung» publik: «Granit Xhaka ist vieles, aber kein Schweizer.»

Was für Ruefer spricht: Er erkannte die Sprengkraft der Aussage. Was gegen ihn spricht: Er hat sich vor laufender Kamera zu einer Äusserung hinreissen lassen, die man beim besten Willen nicht als unproblematisch bezeichnen kann.

Weshalb legt SRF den Kontext nicht offen?

SRF argumentiert weiterhin, die Aussage sei aus dem Kontext gerissen worden. «Sascha Ruefer hat sich zu keinem Zeitpunkt rassistisch geäussert», lässt sich Susan Schwaller, Chefredaktorin Sport, zitieren. Auch sie steht telefonisch nicht zur Verfügung.

Dabei stellen sich zwei Fragen. Erstens: Kann der Kontext so ausgestaltet sein, dass man die Aussage, Xhaka sei alles, nur kein Schweizer, als nicht (mehr) rassistisch bezeichnen kann?

Und zweitens: Wenn dieser Kontext Ruefer entlastet, weshalb legt ihn SRF dann nicht offen? Die Frage – Sie ahnen es – sie bleibt unbeantwortet.

SP-Co-Präsident Wermuth kritisiert Ruefer

Wie schlecht diese Strategie funktioniert, wie verheerend der Aufschrei für den Sender und Ruefer ist, zeigt der mediale Orkan, der über sie hereinbricht. Ex-Nationalspieler mit Migrationshintergrund äussern sich, Politiker wie SP-Co-Präsident Cédric Wermuth («Granit ist heute ein normaler Schweizer Name») sowieso, und auch der Fussballverband lässt ausrichten, man habe die Erklärung zur Kenntnis genommen, wolle jedoch klarstellen, dass «jegliche Aussagen und Kommentare – woher auch immer sie kommen –, welche unsere Nationalspieler wegen deren familiärer Herkunft infrage stellen, aufs Schärfste zu verurteilen und nicht zu akzeptieren sind».

Nur der oberste SRF-Sport-Chef Mägerle und Ruefer selbst schweigen und wollen das Problem aussitzen. Eine Strategie, die der Sender und Ruefer in anderen Fällen aufs Schärfste kritisieren.

Ruefer stellt als Kommentator die Wahl des Nati-Captains infrage, kann sich bei Spielen vor Millionenpublikum in Rage reden. Wie 2018 während der WM, als Xhaka nach seinem Tor gegen Serbien den Doppeladler machte, was Ruefer als «bescheuert», «dämlich» und «dumm» bezeichnete. Währenddessen der serbische Kommentator unaufgeregt bemerkte: «eine Provokation».

Nicht erst seit diesem Vorfall wird das Rollenverständnis von Ruefer kontrovers diskutiert. Viele halten ihn für polemisch und anmassend. Wie obsessiv sich Ruefer an Xhaka abarbeitet, zeigt ein anderes Beispiel. In «The Pressure Game» bemüht er den Vergleich mit Beat Feuz. Dieser würde nie auf die Idee kommen, sich vor der Lauberhornabfahrt ein Tattoo stechen zu lassen.

Damit befeuert Ruefer eine unsägliche Debatte, die das Nationalteam immer wieder umtreibt: nämlich dass es Spieler gibt, die ein bisschen schweizerischer sind als andere.

SRF stellt sich noch bedingungslos vor Ruefer

Man wird den Verdacht nicht los, dass Ruefer die Frage aufwerfen will, wie viel Schweiz mehr als 700 Jahre nach dem Rütlischwur in dieser Nationalmannschaft steckt. Wie absurd das ist, zeigt auch die Tatsache, dass inzwischen 40 Prozent der Bevölkerung einen Migrationshintergrund haben.

Noch stellt sich SRF bedingungslos vor eines der wenigen verbliebenen Aushängeschilder. «Sascha Ruefer ist ein hervorragender Kommentator und Moderator und wird seine Arbeit bei SRF im gewohnten Rahmen fortsetzen», teilt der Sender mit.

Auf die Frage, ob man den Fall mit Ruefer aufarbeiten werde, geht SRF nicht ein. Und hält es damit wie die drei Affen: nichts sehen, nichts hören, nichts sagen.
(https://www.limmattalerzeitung.ch/sport/fussball-nichts-sehen-nichts-hoeren-nichts-sagen-wie-sascha-ruefer-und-srf-in-rassismus-debatte-um-granit-xhaka-versagen-ld.2440455)

-> https://www.20min.ch/story/milaim-rama-kritisiert-sascha-ruefer-wegen-granit-xhaka-aussage-568035452694
-> https://www.watson.ch/sport/kommentar/906740403-granit-xhaka-sascha-ruefer-soll-politischen-einmischungen-sein-lassen
-> https://www.blick.ch/sport/fussball/nati/was-hat-er-ueber-granit-xhaka-gesagt-rassismus-vorwurf-gegen-nati-kommentator-ruefer-id18468430.html
-> https://www.tagesanzeiger.ch/ohne-gegenbeweis-ist-srf-reporter-sascha-ruefer-kaum-zu-retten-1-446497843043
-> https://www.woz.ch/2314/sascha-ruefer/der-schweizer-macher/!5NP496TYSS0H
-> https://ajour.ch/de/story/wie-sascha-ruefer-und-srf-in-rassismusdebatte-um-granit-xhaka-versagen/67824
-> https://www.nau.ch/sport/fussball/srf-reagiert-auf-die-vorwurfe-gegen-sascha-ruefer-66468424
-> https://www.20min.ch/story/sascha-ruefer-jetzt-nehmen-srf-und-die-nati-stellung-165209817986
-> https://www.20min.ch/story/sp-chef-wermuth-appelliert-wegen-xhaka-spruch-an-sascha-ruefer-874543971222


+++RECHTSPOPULISMUS
SVPler steigt ins Musikgeschäft ein: Hess bläst seinen Wählern den Marsch
Für seine Kampagne auf die Wahlen im Herbst hin hat sich der Berner SVP-Nationalrat Erich Hess etwas Besonderes einfallen lassen: Er hat jetzt einen eigenen Marsch.
https://www.blick.ch/politik/svpler-steigt-ins-musikgeschaeft-ein-hess-blaest-seinen-waehlern-den-marsch-id18468987.html


Junge SVP Aargau will Sozialhilfebezüge kürzen: «So ein Verhalten wird nicht toleriert»
Immer mehr Menschen leben immer länger von Sozialhilfe. Das passt der Jungen SVP Aargau überhaupt nicht. Sie lanciert darum am Donnerstag die Volksinitiative «Arbeit muss sich lohnen» und will damit Sozialhilfebezüger das Geld künftig kürzen.
https://www.argoviatoday.ch/videos/junge-svp-aargau-will-sozialhilfebezuege-kuerzen-so-ein-verhalten-wird-nicht-toleriert-150899482?autoplay=true&mainAssetId=Asset:150899982


+++RECHTSEXTREMISMUS
„#Thread
Vom 31.3. – 2.4. trafen sich rund 30 Identitäre aus #Deutschland und der #Schweiz zum jährlichen „Aktivistenwochenende“ der IB-Regionalgruppe „Wackre Schwaben“. Der übliche rechte Lager-Kanon wurde abgespult: Indoktrinierung, Wehrsport, völkischer Liederabend. #nonazis“
Mehr: https://twitter.com/IbDoku/status/1643987579463925764


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
„Querdenker“ und „Reichsbürger“: Warum immer wieder Stuttgart?
Es mehren sich Fälle, die mit in Stuttgart verwurzelten Verschwörungserzählungen zu tun haben. Das ist kein Zufall.
https://www.fr.de/politik/reichsbuerger-querdenken-corona-verschoerung-radikal-stuttgart-schwaben-wuerttemberg-92194075.html


«Aufrecht Schweiz» will in die Schweizer Politik – 10vor10
Bei den kantonalen Wahlen im Tessin konnten ehemalige Corona-Massnahmenkritiker auf Anhieb zwei Sitze im Parlament erobern. Jetzt will die Organisation «Aufrecht Schweiz» auch bei den eidgenössischen Wahlen im Herbst den Sprung in den Nationalrat schaffen. Welche Chancen hat die Protest-Bewegung und was könnte sie im Parlament bewirken?
https://www.srf.ch/play/tv/10-vor-10/video/aufrecht-schweiz-will-in-die-schweizer-politik?urn=urn:srf:video:4f292514-1c29-4b07-b285-c2e574a59d22


+++ANTI-WOKE-POPULISMUS
Genderstern: Stadtzürcher SVP scheitert mit Angriff auf gendergerechte Sprache
Der Zürcher Gemeinderat hat sich für die Verwendung des sogenannten Gendersterns ausgesprochen. Die SVP scheiterte mit einem Postulat, das sich gegen dessen Verwendung in Texten der Stadtverwaltung wendete.
https://www.zueritoday.ch/zuerich/stadt-zuerich/stadtzuercher-svp-scheitert-mit-angriff-auf-gendergerechte-sprache-150882394
-> https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/stadtzuercher-svp-scheitert-mit-angriff-auf-gendergerechte-sprache-00209480/



tagesanzeiger.ch 06.04.2023

Essay zum angeblichen Woke-Wahn – Das neue Schreck­gespenst der Konservativen: Wokeness

«Sozialismus» zieht als Vorwurf an die Linke nicht mehr. Deshalb reden konservative Publizisten und Politikerinnen nur noch von «Cancel-Culture». Das behauptet ein US-Magazin – zu recht.

Sandro Benini

Die Finanzkrise 2008, die Corona-Pandemie und jetzt die Credit Suisse und die amerikanischen Regionalbanken: Dreimal binnen relativ kurzer Zeit mussten Regierungen und Zentralbanken globale wirtschaftliche und politische Schreckensszenarien verhindern oder zumindest deren Folgen mildern.

Unabhängig davon, ob der Staat mitschuldig an den jeweiligen Krisen war: Seine Eingriffe wurden auch von jenen begrüsst, die sich sonst als Verfechter von freier Marktwirtschaft, Wettbewerb, Selbstverantwortung und Staatsskepsis gebärden. Sie setzen sich damit dem Vorwurf der Doppelmoral aus. «Am Sonntag verteufelt man den Staat, und am Montag ruft man nach ihm», sagte Mitte-Präsident Gerhard Pfister kürzlich im «SonntagsBlick».

Aber auch jenseits akuter Krisen ist das angebliche wirtschaftspolitische Distinktionsmerkmal zwischen rechts und links weitgehend verschwunden, das da lautete: Die Rechte steht für fiskalpolitische Disziplin und staatliche Sparsamkeit, die Linke für Umverteilung und staatlichen Interventionismus. 2016 versprach Donald Trump, mindestens doppelt so viel in die Infrastruktur zu investieren wie die 275 Milliarden, die Hillary Clinton budgetieren wollte. Als sie dann an der Macht waren, haben es die Republikaner tunlichst unterlassen, Obamacare abzuschaffen, die Krankenversicherung, die sie zuvor als «sozialistisch» dämonisiert hatten.

Würde die gegenwärtige rechte italienische Regierungskoalition ihre versprochenen sozialen Segnungen und Wahlgeschenke tatsächlich ausschütten, resultierte laut Ökonomen während 5 Jahren ein Budgetdefizit von 6 Prozent. Die marktliberale britische Ex-Premierministerin Liz Truss hat Börsen und Investoren im vergangenen Oktober nicht nur mit ihren radikalen Steuersenkungsplänen aufgeschreckt, sondern auch mit der Ankündigung, die Heizkosten sämtlicher Haushalte für zwei Jahre einzufrieren – auf Staatskosten natürlich.

Marine Le Pen versprach im letzten Wahlkampf, die Autobahnen zu verstaatlichen, um deren Gebühren zu senken, ausserdem gelobte sie, die Löhne von Gesundheitspersonal und Lehrerinnen und Lehrern um 30 Prozent zu erhöhen. Und die Schweizer SVP hat kein Problem damit, die Landwirtschaft jährlich mit mehr als 4 Milliarden Franken aus den Kassen der öffentlichen Hand zu subventionieren.

Laut der deutschen «Zeit» veröffentlichen inzwischen «selbst Zentralorgane des Marktliberalismus wie die Industrieländer-Organisation OECD oder der Internationale Währungsfonds Stellungnahmen, die auch die Jusos verfasst haben könnten».

Mit anderen Worten: Ein Staat, der solche Marktliberale, Kapitalisten und Rechte hat, braucht die Sozialistinnen wahrlich nicht zu fürchten.

Der wöchentliche Woke-Artikel in der NZZ

Die linksliberale US-Publikation «The Atlantic» hat kürzlich die These aufgestellt, es gebe einen Zusammenhang zwischen solchen Vorgängen und dem Phänomen, dass konservative Zeitungen – im deutschen Sprachraum sind es unter den ernst zu nehmenden vor allem die NZZ und die «Welt» – den Woke-Warnartikel zu einer eigenen Textgattung herangezüchtet hätten. Genauso wie es kein Zufall sei, dass etwa die US-Republikaner den linken «Woke-Wahn» zu einem zentralen Wahlkampfthema machten. Dasselbe gilt für die SVP (die im «Atlantic» allerdings nicht erwähnt wird).

«Wokeness hat den Sozialismus als grosses konservatives Schreckgespenst verdrängt», lautet der Titel des Beitrages im «Atlantic».

Dieser Lesart zufolge steckt hinter der Behauptung, es komme zu immer mehr und immer gravierenderen Fällen von Cancel-Culture und woken Umtrieben, nicht zuletzt eine politisch motivierte Wahrnehmungsverschiebung. Wenn einen die Realität zwingt, milliardenschwere staatliche Rettungsaktionen zu befürworten und man – bis vor kurzem auch verlockt von niedrigen Zinsen – zumindest in Wahlkampfbroschüren selber verspricht und verteilt wie der Weihnachtsmann, kann man der Linken nicht mehr glaubwürdig vorwerfen, sie sei verschwenderisch.

Den einen Vorwurf (Sozialismus) hat die Realität entkräftet, also zwingt einen die Themenkonjunktur, sich auf etwas anderes einzuschiessen (Wokeness).

Das stärkste Indiz für die These der je nach Themenkonjunktur an- und abschwellenden Antiwoke-Erregung ist, dass schon vor mehr als einem Vierteljahrhundert sehr ähnliche Warnungen wie heute erklangen, bloss hiess das Schreckgespenst damals nicht Wokeness oder Cancel-Culture, sondern politische Korrektheit. Befürchtungen, die Universitäten könnten links unterwandert und zu Brutstätten der Intoleranz werden, gehen sogar bis in die 1950er-Jahre zurück.

Liest man nach, was früher so geschrieben wurde, stellt man mit einer gewissen Verblüffung fest: dieselbe atemlose Empörung, schon damals. Dieselben Floskeln, dieselben furchteinflössenden Prophezeiungen. Im Juni 1999 schreibt Claus Nordbruch, Autor eines Buches mit dem Titel «Sind Gedanken noch frei? Zensur in Deutschland» in der NZZ: «Die selbst ernannten ‹politisch Korrekten› wähnen sich im Besitz der alleinigen Wahrheit und verweigern deshalb jedes Recht auf Widerspruch. Dieses verordnete Denkverbot führt schliesslich zur Verkümmerung der Geistesfreiheit im ehemaligen Land der Denker.»

«Mich kotzt diese politische Korrektheit langsam an», verkündete der Regisseur Stefan Bachmann 1998 im «Tages-Anzeiger».

Der in Stanford lehrende deutsche Literaturwissenschaftler Adrian Daub zitiert in seinem Buch «Cancel Culture Transfer. Wie eine moralische Panik die Welt erfasst» eine Ausgabe des «Spiegels» aus dem Jahre 1993. Darin wird politische Korrektheit als «Liturgie der inhumanen Denk- und Kampfschablonen, des linken Konformitätsdrucks und letztlich der Zensur» verurteilt. Knapp zehn Jahre später wüten laut demselben Magazin immer noch – oder erneut – «selbst ernannte Gesinnungspolizisten».

Zehn Jahre ist es auch her, dass die beiden deutschen Journalisten Michael Brückner und Udo Ulfkotte ein Buch mit dem Titel «Politische Korrektheit: Von Gesinnungspolizisten und Meinungsdiktatoren» geschrieben haben, während, wie Daub erwähnt, schon 1995 Michael Behrens und Robert von Rimscha in einem Buchtitel vor «Politischer Korrektheit in Deutschland – Eine Gefahr für die Demokratie» warnten. Ein paar Jahre später ist im Titel einer Kampfschrift vom «Schlachtfeld der Tugendwächter» die Rede.

Daub zitiert auch das «Time Magazine», das bereits 1988 beklagt, Homer, Darwin und Dante seien aus politischen Gründen vom Lehrplan der Universität Stanford verbannt worden. Um die Jahrtausendwende trifft es dann laut «Süddeutscher Zeitung» Shakespeare, Goethe und Molière.

Wie der Wolf im Märchen

Es ist wie im Märchen vom Schafhirten, der ständig falschen Alarm wegen des bösen Wolfs schlägt. Versuchen linke Tugendwächter seit 30 Jahren vergeblich, eine «Meinungsdiktatur» zu errichten? Oder leben wir seit Jahrzehnten in diktatorischen Verhältnissen? Wie plausibel ist das?

Deshalb, liebe antiwoke Feuilletonredaktoren und Meinungsjournalistinnen, liebe rechte Wahlkampfmanager und sonstige Widersacher des sogenannten Woke-Wahns: Sollte es euch irgendwann langweilig werden, ständig das Nebelhorn des angeblichen Meinungspluralismus zu tuten, gäbe es ein paar Fragen, die vielleicht dazu beitragen, die Debatte etwas differenzierter und vor allem kurzweiliger zu machen.

Könnte es sein, dass Begriffe wie «Meinungsdiktatur», «Gesinnungspolizei», «Tugendterror», die einem in euren Texten entgegenklappern wie Gespenster in einer Geisterbahn, ziemlich frivol sind? Wollen wir mal die russische Kriegsgegnerin und politische Gefangene Sascha Skotschilenko, den zu 9 Jahren Gefängnis verurteilten kubanischen Rapper und Dissidenten Maykel Osorbo, die chinesische Menschenrechtsaktivistin Cheng Jianping fragen, was Meinungsdiktaturen und Gesinnungswächter draussen in der realen Welt so anrichten?

Oder waren die früheren Diktaturdiagnosen doch etwas übertrieben, während es jetzt ernst gilt? Bloss, wie könnt ihr sicher sein, dass man in zwanzig oder dreissig Jahren euer aufgeregtes Brimborium um Woke-Wahn und Cancel-Culture nicht ähnlich betrachten wird wie wir Heutigen das frühere um politische Korrektheit? Oder, noch früher, um lange Haare bei Männern und kurze bei Frauen?

Wenn der «Meinungskorridor» – noch so eine Platzpatrone aus der verbalen Asservatenkammer antiwoker Freiheitsbrigaden – seit Jahren und Jahrzehnten immer enger und enger wird: Warum ist er dann nicht längst so eng wie das biblische Nadelöhr? Und wie um Gottes willen schafft ihr es, euch da Woche für Woche durchzuquetschen?

Und woher kommt eigentlich eure Obsession mit dem Ausdruck «selbst ernannt»? Allein in den letzten paar Monaten traten bei euch auf: die «selbst ernannte Sprachpolizei», die «selbst ernannten Opfergruppen», die «selbst ernannten Retter der Menschheit», der «Furor der woken Sprachreiniger und die Wut der selbst ernannten antiwoken Sprachretter» (alles Beispiele aus der NZZ).  Ferner «selbst ernannte Social-Justice-Warriors» und «selbst ernannte Hüter der Hochmoral» («Weltwoche»), «selbst ernannte Solidarische» («Welt») und «selbst ernannte Progressive» («Schweizer Monat»). Es gäbe sicher noch viele weitere Beispiele, aber die Suche danach wird schnell ebenso öde wie das Wort.

Gefährliche Gehirnchirurgin

Jemanden als «selbst ernannt» zu charakterisieren, ist dann aussagekräftig, wenn diese Person sich eine Funktion oder Stellung anmasst, die eine private oder öffentliche Institution verleihen müsste. Eine selbst ernannte Gehirnchirurgin, die ist tatsächlich gefährlich. Für Verfechterinnen einer politischen Meinung oder eines sozialen Anliegens, für moralisch Empörte oder Verbreiter ideologischen Unsinns gibt es zum Glück keine ernennende Instanz, weshalb in solchen Zusammenhängen letztlich alle «selbst ernannt» sind – auch ihr, geschätzte – sagen wir mal – «selbst ernannte Woke-Unkrautjäter» und «selbst ernannte Sprach-Mumifiziererinnen».

Eine von vielen Floskeln, die darauf hindeuten, zu welch fingerfertig hergestellter Dutzendware mittlerweile die meisten woke-kritischen Texte geworden sind, ist «selbst ernannt» allemal.

Die Anliegen von sozial- und kulturpolitischen Jugendbewegungen sind im Kern oft berechtigt, und das gilt auch für die Woke-Bewegung. Dass deren Aktivistinnen und Aktivisten dazu neigen, ihre Forderungen zu übertreiben und ihre Kritik am Bestehenden zu dramatisieren, ist offenkundig. Jugendbewegungen sind im historischen Rückblick trotzdem meist weniger umwälzend, als es denjenigen erscheint, deren Privilegien, Gewohnheiten und Überzeugungen sie angreifen. Die Befürchtung, ideologische Unruhestifter könnten Sitte und Moral unterminieren, individuelle Freiheiten aushöhlen, die viel zitierte Grenze des Sagbaren und Erlaubten dauerhaft enger ziehen, auch jenseits von ausgehandelten, seit je dem sozialen Wandel unterliegenden Werten und Gepflogenheiten – diese Angst hat sich in der Nachkriegszeit als weitgehend unbegründet erwiesen. Zumindest in den offenen, liberal- demokratischen Gesellschaften.

Was uns tatsächlich bedroht

Es stimmt, dass Wörter, die vor kurzem noch selbstverständlich waren (wie das N-Wort), heute tabu sind – zu recht. Dafür werden aber Themen, die man früher nicht einmal im privaten Gespräch angeschnitten hätte, etwa in den Bereichen Sexualität und Körperlichkeit, im Frühstücksfernsehen besprochen. Dass die Exzesse der Woke-Bewegung, die es durchaus gibt, von deren Anhängerinnen und Verfechtern auch längerfristig als unverhandelbar deklariert werden und demzufolge die Freiheit dauerhaft untergraben — dieser Beweis steht aus.

Was die offene demokratische Gesellschaft tatsächlich bedroht, sind nicht die Woken, sondern Rechtspopulisten in Regierungsgebäuden, wie Orban oder noch vor kurzem Trump und Bolsonaro. Indem ein Teil derjenigen, die am lautesten über den Woke-Wahn ablästern, solch autoritäre Figuren verteidigen oder verharmlosen, steuern sie eine realsatirische Fussnote zum Kapitel «Verlogenheit» bei.

Um zum Schluss nochmals auf die These des «Atlantic» zurückzukommen: Wenn der Sozialismus-Vorwurf an die Linke nicht mehr richtig zieht – zumindest dafür können die Jungen, die Woken, die Trans-Aktivistinnen und inkludierenden Genderstern-Bewegten nichts.



Was genau heisst „woke“?

Der Begriff «woke» heisst so viel wie «wach» oder «erwacht». Er stammt aus dem afroamerikanischen Englisch und steht für ein «erwachtes» Bewusstsein für die Rechte von Transpersonen, für mangelnde soziale Gerechtigkeit, Rassismus, sexuelle Diskriminierung.

Der Begriff «Cancel culture» bezeichnet systematische Bestrebungen, um Personen oder Organisationen auszuschliessen, denen beleidigende, diskriminierende, rassistische, antisemitische, verschwörungsideologische, bellizistische, frauenfeindliche, frauenverachtende, homophobe Aussagen beziehungsweise Handlungen vorgeworfen werden. Das Schlagwort erlangt häufig grosse mediale Aufmerksamkeit. (Quelle: Wikipedia)

Einen Beitrag zur Geschichte des Wortes «woke» finden Sie hier.
https://www.tagesanzeiger.ch/wieso-woke-alle-nervt-853452996732
(https://www.tagesanzeiger.ch/das-neue-schreckgespenst-der-konservativen-wokeness-605898321782)


+++HISTORY
Eine Mumie zwingt der Schweiz eine schwierige Debatte auf
Die Schweiz beherbergt kulturelle Schätze, die Fragen aufwerfen. Diskutiert wird dies zurzeit am Fall der Mumie Schepenese in St. Gallen.
https://www.swissinfo.ch/ger/eine-mumie-zwingt-der-schweiz-eine-schwierige-debatte-auf/48408652



nzz.ch 06.04.2023

Im Streit um die «Mohren»-Inschriften in der Altstadt Zürichs wehrt sich der Heimatschutz: «Auch Schauplätze von Jahrhundertverbrechen wie Konzentrationslager werden nicht einfach beseitigt»

Der Rechtsstreit um die Inschriften geht weiter: Der Stadtrat zieht den Fall vor Verwaltungsgericht. Evelyne Noth, Präsidentin des Stadtzürcher Verbandes, sagt, warum sich der Heimatschutz wehrt.

Michael von Ledebur

Frau Noth, laut einem ETH-Bericht ist der Begriff «Mohr» eindeutig rassistisch. Dennoch bekämpfen Sie die Abdeckung entsprechender Inschriften im Niederdorf weiterhin gerichtlich. Warum?

Weil sie Teil des baukulturellen Erbes und Teil der Altstadt sind. Hausnamen dienten früher zur Adressfindung. Sie sind ein wichtiger Teil einer geschützten Liegenschaft – wie die Fassade, das Fenster, das Dach oder der Türsturz. Namen sagen viel über die Kulturgeschichte unserer Gesellschaft aus.

Wieso hat der ETH-Bericht an Ihrer Einschätzung nichts geändert?

Der ETH-Bericht ist aus unserer Sicht sehr einseitig und undifferenziert. Mit vielen Aspekten hat sich das Autorenduo nicht richtig auseinandergesetzt. Andere Fragen werden nicht sauber voneinander getrennt behandelt. Am Ende steht dann die Schlussfolgerung, der Begriff sei von Beginn weg abwertend gebraucht worden.

Und das trifft Ihrer Meinung nach nicht zu?

Wenn es um die Häusernamen geht, stimmt das Verdikt mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht. Dass Häuser nach abwertenden Begriffen benannt wurden, kam im Spätmittelalter extrem selten vor. Ein Hauseigentümer wird kaum sein eigenes Haus mit einem durchwegs negativ besetzten Namen versehen haben. Häuser wurden nach Personen benannt oder nach Familiennamen. Der Name ist die Visitenkarte des geschützten Hauses.

Im Bericht steht, die Einschätzung des Heimatschutzes sei «wissenschaftlich unhaltbar» und Ausdrucksform von «kolonialer Amnesie». Was sagen Sie dazu?

Da das Gerichtsverfahren jetzt weitergeht, werden wir zu dieser Behauptung Stellung beziehen.

Die Stadt, die den Bericht ja bestellt hat, vertritt die Auffassung, dass diese Inschriften verletzend seien. Können Sie dies nachvollziehen?

Rassismus ist sehr ernst zu nehmen, man darf ihn nicht tolerieren. Das steht ausser Frage. Heute wirkt der Begriff politisch inkorrekt. Aber damals, als man diese Häuser benannt hat, waren die Häusernamen nicht negativ konnotiert, der Begriff wurde nicht als Schimpfwort verwendet. Nun geht es darum, einen guten Umgang mit diesem Erbe zu finden.

Gerade dies erweist sich als enorm aufwendig. Die Stadt Zürich schafft es nicht, Klarheit zu schaffen, obwohl sich mittlerweile das Baurekursgericht und Wissenschafter in Auftrag der ETH ausführlich mit der Frage befasst haben.

Darüber staune ich selbst. Die naheliegendste Lösung liegt doch auf der Hand: Man lässt die Inschriften als Teil der geschützten Fassade bestehen, setzt sie aber in einen Kontext, am besten mit einer Erklärtafel. Man distanziert sich auf diese Weise von einem allfälligen rassistischen Bezug der Inschriften in der Gegenwart. Und man erklärt den historischen Kontext und versucht diese Spuren der Vergangenheit aufzuarbeiten und nicht zu beseitigen. Das wäre für alle Beteiligten die beste Lösung.

Jene, die sich von den Inschriften verletzt fühlen, würden Ihnen da wohl widersprechen.

Selbst wenn die Hausnamen zu allen Zeiten negativ konnotiert gewesen wären, wäre eine Kontextualisierung die richtige Lösung. Der Umgang mit problematischen Bezeichnungen und Denkmälern im öffentlichen Raum ist sehr aktuell. Nehmen Sie das Beispiel eines Sandsteinreliefs in Wittenberg in Deutschland, das extrem judenfeindlich ist. Auch das hat man stehen gelassen und kontextualisiert. Aus dem Schandmal wurde ein Mahnmal gemacht. Es ermöglicht jedem, problematische Denkmäler selber zu deuten.

Was in Zürich mit diesen Inschriften gefordert wird, ist weder verhältnismässig noch hilfreich. Denkt man diesen Ansatz zu Ende, müssten etliche historische Zeugnisse in Europa und Zürich beseitigt werden. Denkmäler erinnern häufig an schreckliche Praktiken, die Verletzung von Menschenrechten oder die koloniale Vergangenheit.

Auch Schauplätze der Jahrhundertverbrechen des 20. Jahrhunderts – wie Konzentrationslager – werden in offenen Gesellschaften nicht einfach beseitigt, sondern als Gedenkstätten ausgestaltet. Moderner Denkmalschutz, wie wir ihn verstehen, bedeutet, dass wir die baukulturellen Zeugen erhalten und den Diskurs eröffnen über deren Bedeutung. Nicht nur die positiv gewerteten Denkmäler sind wichtig, sondern auch jene, bei denen wir uns noch nicht einig sind, was wir von ihnen halten sollen.

Der Bericht legt nahe, dass die «Mohren»-Inschriften jüngeren Datums sind und aus den 1930er Jahren stammen. Müsste dies nicht Anlass dazu geben, Ihre Haltung zu überdenken?

Die Hausnamen figurierten immer an den Häusern, sonst wäre die Adressfindung nicht hilfreich gewesen. Der Hausname ist historisch bedingt und ein Kulturname, der auf die Tätigkeiten der Menschen hinwies. Im Fall des Hauses Neumarkt 13 mit der Inschrift «zum Mohrenkopf» wurde der Name 1443 urkundlich belegt und war bis Anfang des 19. Jahrhunderts in Gebrauch. Hausnamen, Fassaden und Türrahmen wurden immer wieder ersetzt und manchmal auch neu gestaltet. Ob man daraus wirklich schliessen kann, es habe sie davor nicht gegeben, bezweifle ich. Dies wurde im Bericht nicht abgeklärt.

Im Bericht liest man auch, am Niederdorf sei kaum etwas ursprünglich. Vielmehr hätten die Leute vor rund hundert Jahren die heruntergekommene Altstadt nach eigenen Vorstellungen von den alten Zeiten rekonstruiert. Sehen Sie sich da als Denkmalschützerin infrage gestellt?

Jeder Ort und auch jeder Stadtteil entwickelt sich. In jedem Stadtteil gibt es sehr alte Teile und andere, die jüngeren Datums sind. Aber auch dies ist Teil der Kulturgeschichte: wie nachfolgende Generationen mit dem baukulturellen Erbe umgingen. Selbst wenn die Inschriften später angebracht worden sein sollten, wären sie deshalb immer noch Teil der geschützten Fassade und erhaltenswert. Sonst müsste man allen Gebäuden, die jünger sind als ein paar Jahrhunderte, den Schutzwert absprechen. Das wäre absurd.

Der Streit um die Inschriften dürfte vor Gericht weitergehen. Ihr Vorstand hat viele Berührungspunkte mit der Stadt. Ist das Verhältnis getrübt?

Unser Verein hat eine statutarische Zweckbestimmung, die wir erfüllen müssen. Wir greifen korrigierend ein, indem wir Verfahren führen. Die Stadt hat ihre politische Agenda. Diese Aufgaben sind sehr unterschiedlicher Natur, und es ist nicht Neues, dass wir deswegen anderer Meinung sind als die Stadt. Wir können damit umgehen. Speziell ist in diesem Fall, dass das Urteil des Baurekursgerichts klar und sehr sorgfältig begründet war. Deshalb ist es für uns unverständlich, dass die Stadt das Urteil eines Fachgerichtes nicht akzeptiert.

Wir sind immer gesprächsbereit. Und wir haben mit der Kontextualisierung einen gangbaren Weg vorgeschlagen, der, wie uns scheint, auch in der Öffentlichkeit breit akzeptiert ist. Aber wenn die Stadt den Fall nun weiterzieht, werden wir unsere Auffassung auch vor Verwaltungsgericht vertreten.



Stadtrat akzeptiert Urteil nicht

mvl. Der Zürcher Stadtrat akzeptiert das Urteil des Baurekursgerichts in Sachen Inschriften nicht und zieht den Fall an die nächste Instanz, an das Verwaltungsgericht, weiter. Dies bestätigte ein Sprecher der Stadt auf Anfrage der NZZ. Die Stadt hatte die beiden Inschriften an den Häusern «zum Mohrenkopf» und «zum Mohrentanz» abdecken wollen. Dagegen hatten der kantonale und der städtische Heimatschutz Beschwerde eingelegt und vor Baurekursgericht Recht erhalten.

Das Erscheinungsbild und die Aussagekraft der Häuser als baugeschichtliche Zeugen würden dauerhaft und auf unbestimmte Zeit beeinträchtigt; zudem bestehe kein öffentliches Interesse an einer Abdeckung, hiess es im Urteil. Stadtpräsidentin Corine Mauch (SP) hatte den Schritt an die nächste Instanz kürzlich angedeutet: In einem Fall, der politisch derart beachtet werde, sei Klärung angezeigt.
(https://www.nzz.ch/zuerich/im-streit-um-die-mohren-inschriften-in-der-zuercher-altstadt-wehrt-sich-der-heimatschutz-auch-schauplaetze-von-jahrhundertverbrechen-wie-konzentrationslager-werden-nicht-einfach-beseitigt-ld.1733213)


++++KNAST
Personalmangel gefährdet Sicherheit im Gefängnis Zürich West
Erst vor einem Jahr eröffnet, ist das neue Gefängnis Zürich West bereits am Anschlag. Grund ist eine mangelhafte Personalplanung. Es wurden viel zu wenig Stellen geschaffen. Der Regierungsrat will jetzt rasch handeln, denn er sieht die Sicherheit des Betriebs gefährdet.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/personalmangel-gefaehrdet-sicherheit-im-gefaengnis-zuerich-west?id=12366454
-> https://www.zueritoday.ch/zuerich/stadt-zuerich/82-zusaetzliche-angestellte-gegen-ueberlastung-im-neuen-zuercher-gefaengnis-150890195?autoplay=true&mainAssetId=Asset:145983584
-> https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/im-neuen-zuercher-gefaengnis-braucht-es-massiv-mehr-personal-00209508/
-> https://www.zh.ch/de/news-uebersicht/medienmitteilungen/2023/04/sicherstellung-betrieb-gefaengnis-zuerich-west.html
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/gefaengnis-zuerich-west-am-limit-planungsdebakel-gefaehrdet-sicherheit-im-neuen-gefaengnis
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/thomas-minder-will-staenderat-bleiben?id=12366685
-> Schweiz Aktuell: https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/planungs-debakel-beim-neuen-gefaengnis-zuerich-west?urn=urn:srf:video:0b05c318-31db-48f1-82d9-e1e83d2da314
-> https://tv.telezueri.ch/zuerinews/planungsdebakel-beim-gefaengnis-zuerich-west-150899937
-> https://www.blick.ch/schweiz/zuerich/zuercher-justizbeamte-ueberfordert-haeftlinge-verwechselt-und-irrtuemlich-freigelassen-id18469000.html
-> https://www.20min.ch/story/chaos-im-neuen-gefaengnis-vier-haeftlinge-verwechselt-und-entlassen-522965662575



tagesanzeiger.ch 06.04.2023

Polizei- und Justizzentrum (PJZ) Zürich: Chaotische Zustände im neuen Gefängnis Zürich-West

Im neuen Grossgefängnis kam es zu schwerwiegenden Pannen – bis hin zur Freilassung von falschen Häftlingen. Nun braucht es deutlich mehr Personal.

René Laglstorfer

Kritiker sprachen von einem 570 Millionen Franken teuren «Justizpalast» und von einer «verbotenen Stadt» auf dem riesigen Areal des ehemaligen Güterbahnhofs. Befürworter argumentierten, das neue Polizei- und Justizzentrum (PJZ) werde die Abläufe dank der kürzeren Wege vereinfachen, den Zürcher Justizapparat effizienter machen und durch die Zusammenlegung von 30 Standorten der Strafverfolgungsbehörden obendrein 13 Millionen Franken einsparen – pro Jahr. Die Erwartungen an die Funktionalität des komplexen Zweckbaus samt Hightech-Sicherheitsvorkehrungen waren gross. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter «arbeiten wie ein Räderwerk zusammen und sorgen gemeinsam für die Sicherheit im Kanton Zürich», heisst es auf der PJZ-Website.

Aber schon kurz nach der Eröffnung brauchen diese Räder eine Generalüberholung. Am Donnerstag gab der Regierungsrat bekannt, dass man sich bei der Personalplanung für das Gefängnis Zürich-West (GZW) verrechnet habe und ausserplanmässig 82 zusätzliche Stellen für den Betrieb benötige, was Mehrkosten von rund 10 Millionen Franken pro Jahr verursache.

«Schwerwiegende Sicherheitspannen»

Angefangen hat es aber schon vorher: Mitte Januar berichtete die NZZ, der U-Haft-Teil mit 117 Haftplätzen könne erst in der zweiten Jahreshälfte 2023 in Betrieb gehen. Als Gründe nannte die Zürcher Justizdirektion hinter vorgehaltener Hand Probleme bei der Anstellung und der Ausbildung von Wachpersonal und ganz allgemein den Fachkräftemangel. Lediglich die vorläufige Polizeihaft, die nicht länger als 96 Stunden dauern darf, konnte ab April 2022 planmässig im neuen PJZ mit 124 Einzelzellen starten.

Mehrere gut informierte Quellen sagen nun jedoch unabhängig voneinander, dass für die monatelange Verzögerung des U-Haft-Teils in Wahrheit tiefgreifende strukturelle Probleme verantwortlich seien, wodurch schwerwiegende Sicherheitspannen passiert seien.

Zuvor problemlose Abläufe «an die Wand gefahren»

So soll überfordertes Wachpersonal wiederholt die falschen Häftlinge aus der vorübergehenden Polizeihaft freigelassen und im Gegenzug andere Insassen länger in Haft belassen haben, als eigentlich vorgesehen war. Ausserdem sollen Wachleute mehrfach zur falschen Zeit einen Gefangenentransport durchgeführt und manche Inhaftierte an den falschen Ort gebracht haben.

Des Öfteren hätten auch die strengen Haftfristen bis zur Vorführung von Tatverdächtigen vor den Haftrichter nicht eingehalten werden können, sagen mehrere Insider. Sie sprechen von «völlig chaotischen Zuständen» und jahrzehntelang problemlosen Abläufen, die nun im neuen «Hightech-Gebäude an die Wand gefahren» würden. Der Ärger bei Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft soll entsprechend gross sein.

Verantwortlich für die Misere sei eine tiefgreifende strukturelle Umstellung: Das neue Gefängnis Zürich-West ersetzte das provisorische Polizeigefängnis (Propog) auf dem Kasernenareal. Damit wechselte auch die Zuständigkeit für die Aufsicht und die Betreuung der Häftlinge von der Kantonspolizei zum Amt für Justizvollzug und Wiedereingliederung (JuWe). Ein Insider sagt: «Das Untersuchungsgefängnis im PJZ ist für das JuWe ein wirklich völlig neues Geschäftsfeld.»

Quereinsteiger kündigen wieder

Etwa 60 Personalstellen seien deshalb von der Kantonspolizei zum JuWe gewandert, die bisherigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter blieben aber bei der Kapo. Anstatt an einem Strang zu ziehen, würden sich Polizei und Justizvollzug teilweise skeptisch gegenüberstehen, sagen Insider. Als Reaktion suchte das JuWe ab dem 4. Quartal 2020 zunächst nach 100 neuen Wachmännern und -frauen für den Betrieb des Gefängnisses im PJZ. Dabei hätten sehr viele branchenfremde Bewerber, die vorher etwa in der Gastronomie oder der Grafik tätig waren, nach einem mehrstufigen Auswahlverfahren eingestellt und ausgebildet werden müssen. Derzeit arbeiten 114 Personen im Gefängnis Zürich-West.

Die Ausbildung zur Fachfrau oder zum Fachmann Justizvollzug dauert zwei Jahre. Zudem müssen die Quereinsteiger während der Anstellung eine 17-wöchige Ausbildung im Schweizerischen Kompetenzzentrum für den Justizvollzug in Freiburg absolvieren. Doch viele sollen bereits wieder gekündigt haben – wie viele, will die Justizdirektion nicht sagen. Auch die Durchmischung von erfahrenem Wachpersonal mit den neuen Mitarbeitenden soll laut Insidern nicht funktionieren. Zudem soll darauf verzichtet worden sein, die neuen Wachfrauen und -männer im alten Propog einzuarbeiten, was sich nun räche.

Die Folgen der «Unterbesetzung»

Diese Zeitung konfrontierte die Justizdirektion am Dienstag mit den Vorfällen im Gefängnis Zürich-West. Einen Fragenkatalog beantwortete die Justizdirektion zunächst nicht. Am Donnerstagmorgen versandte der Regierungsrat dann die Mitteilung über die Aufstockung um 82 zusätzliche Stellen.

Der Regierungsrat schreibt, dass das Betriebskonzept und die Personalplanung im Gefängnis Zürich-West auf veralteten Planungen beruhten. Der Stellenbedarf nach Inbetriebnahme der vorübergehenden Polizeihaft im April 2022 sei «deutlich zu tief» berechnet worden – von wem, wird offengelassen. Aus einem Regierungsratsbeschluss von 2019 zum PJZ geht jedoch hervor, dass zwei externe Beratungsfirmen mit der Stellenberechnung beauftragt waren.

In der ursprünglichen Planung sei fälschlicherweise davon ausgegangen worden, dass ein 24-Stunden-Betrieb dreimal mehr Personal brauche als ein Einschichtbetrieb. Nun brauche es aber gemäss aktuellen Vorgaben des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) fünfmal so viele Wachleute.

Die Folgen der Unterbesetzung im Gefängnis Zürich-West seien «offensichtlich», heisst es weiter in der Medienmitteilung. Die bestehenden Mitarbeitenden seien stark belastet und hätten in kurzer Zeit erheblich Überzeit angehäuft. Die Fluktuation sei hoch und die Stimmung angespannt. Bisher sei es zu «keinen schwerwiegenden Zwischenfällen» gekommen. «Ein Andauern dieses Zustands würde jedoch die Sicherheit des Betriebs und damit der zentralen Drehscheibe des Zürcher Sicherheitssystems gefährden», schreibt der Regierungsrat.

Gefangene «verwechselt»

Eine Analyse des JuWe habe ergeben, dass es 105,5 zusätzliche Stellen brauche, um im Gefängnis Zürich-West sämtliche arbeits- und personalrechtlichen Vorgaben einzuhalten und einen stabilen Betrieb zu gewährleisten. 23 Stellen liessen sich «in absehbarer Zeit durch bessere Betriebsabläufe und eine höhere Effizienz kompensieren». Die Mehrkosten für die 82 bewilligten Stellen beziffert der Regierungsrat auf 9,5 Millionen Franken für 2024 und 10,8 Millionen Franken ab dem Jahr 2025.

Konkrete Fragen dieser Zeitung zu den Vorfällen im Gefängnis Zürich-West will die Justizdirektion nicht beantworten. Sie schreibt: «Fragen zum Betrieb werden aus Sicherheitsgründen nur gegenüber den kantonsrätlichen Aufsichtskommissionen beantwortet.»

Erst am Donnerstag bestätigt Roland Zurkirchen, Direktor der Untersuchungsgefängnisse Zürich, auf Nachfrage, dass es vier Häftlinge im Gefängnis Zürich-West gab, die irrtümlich aus der Polizeihaft entlassen wurden. Im Gegenzug mussten vier andere Gefangene länger in Haft bleiben. Das überforderte Wachpersonal habe die Inhaftierten «verwechselt», so Zurkirchen.
(https://www.tagesanzeiger.ch/chaotische-zustaende-im-neuen-gefaengnis-zuerich-west-113853474887)



nzz.ch 06.04.2023

Planungsdebakel beim Gefängnis Zürich-West: «Jemand, der hätte drinbleiben müssen, kam wieder raus»

Roland Zurkirchen, der Direktor der Untersuchungsgefängnisse Zürich, nimmt Stellung zur gegenwärtigen Situation und zu den hundert Stellen, die neu geschaffen werden müssen.

Tobias Marti

Justizdirektorin Jacqueline Fehr (SP) muss ausserplanmässig zusätzliche Stellen für das Gefängnis Zürich-West beantragen, wie der Zürcher Regierungsrat am Donnerstag mitteilt. Das seit einem Jahr in Betrieb stehende Gefängnis Zürich-West ist das Herzstück des neuen Zürcher Polizei- und Justizzentrums (PJZ) in Zürich-West.

Nun hat der Regierungsrat 82 neue feste sowie 23 befristete Stellen gesprochen. Die Regierung rechnet mit Mehrkosten von 9,5 Millionen Franken im Jahr 2024 und mit 10,8 Millionen Franken Mehrkosten im Jahr 2025, wie er in seiner Mitteilung schreibt.

Nach nur einem Jahr Betrieb, in dem erst die vorläufige Festnahme läuft, hatte sich herausgestellt, dass man sich beim Personalbedarf des Gefängnisses Zürich-West (GZW) verrechnet hat. Der Bedarf sei damals auf der Grundlage des PJZ-Gesetzes festgelegt worden.

Nach Inbetriebnahme des ersten Teils des Gefängnisses, welcher der vorläufigen Festnahme dient, sei rasch klargeworden, dass dieser Stellenbedarf im Vorfeld deutlich zu tief angesetzt worden sei.

So sei man bei der ursprünglichen Planung fälschlicherweise davon ausgegangen, dass ein 24-Stunden-Betrieb dreimal mehr Personal brauche als ein Einschichtbetrieb. Nun zeigt sich laut Regierungsrat aber, dass dieser sogar fünfmal mehr Personal braucht.

Die Haftbedingungen zu reformieren, das hatte sich Justizministerin Jacqueline Fehr (SP) zuoberst auf die Fahne geschrieben. Bisher hat sie zum Planungsdebakel keine Stellung genommen.

Der Kanton Zürich stand in der Vergangenheit wegen des strengen Haftregimes und der veralteten Infrastruktur immer wieder in der Kritik, unter anderem von der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter.

Roland Zurkirchen ist der Direktor der Untersuchungsgefängnisse Zürich. Er nimmt gegenüber der NZZ Stellung zum zusätzlichen Stellenbedarf.

Herr Zurkirchen, wann haben Sie gemerkt, dass es im Gefängnis Zürich-West so nicht geht?

Nach dem dritten Tag kam das erste Telefon der Gefängnisleitung, die meldete, man sei bereits am Limit. Wir versuchten es mit personeller Unterstützung aus anderen Gefängnissen; wir gingen davon aus, dass es sich einspielt. Dieser Effekt hat sich nur teilweise eingestellt. Also verlangten wir eine neue Stellenberechnung, und eine externe Firma kam dann auf die 105 zusätzlichen Stellen. Derzeit haben wir 114 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Nach nur einem Jahr Betrieb stellt sich heraus, dass Sie sich bei dem Personal des Gefängnisses Zürich-West komplett verrechnet haben. Wie kann es zu einem solchen Planungsversagen kommen?

Für die Eröffnung war das Gesetz aus dem Jahr 2003 die Basis. Gestützt darauf wurde der Stellenbedarf festgelegt. Es war klar, dass wir mit dieser Zahl von Stellen starten müssen. Wir haben es versucht, aber nur mit massiven Aufwänden konnten wir den Betrieb im Bereich der vorläufigen Haft sicherstellen. Und nur dank externen Dienstleistern.

Man hat die Planungsgrundlagen seit 2015 nicht verändert, der Stellenplan basiert sogar auf Berechnungen aus dem Jahr 2003. Warum hat man es nicht vorher kommen sehen, dass es mehr Personal braucht?

Vor zwanzig Jahren wurde falsch gerechnet, das waren illusorische Annahmen. Man hat einfach die Erfahrungen der Untersuchungshaft hochgerechnet.

Aber warum konnte man das Gesetz nicht anpassen?

Das Zürchervolk hat zweimal über das PJZ abgestimmt. Damit war klar, dass der Volkswille respektiert werden musste und dass an dieser Basis nicht mehr gerüttelt werden konnte.

Bei was genau hat man sich verrechnet?

Ein Nachtdienst, der permanent besetzt sein muss, wurde damals mit drei Personen geplant. In der Praxis zeigt sich, dass ein durchgehender 24-Stunden-Dienst fünf Mitarbeiter braucht. Es benötigt auch mehr Personal aufgrund von Ferien, Ausbildung und anderem.

Von wie vielen externen Dienstleistern, die zum Einsatz kamen, sprechen Sie?

Das sind vier oder fünf Leute im Sicherheitsdienst. Im Gesundheitsdienst etwa gleich viele. Dazu wurde die interne Reinigung ausgelagert. Das soll wieder heruntergefahren werden.

Regierungsrätin Jacqueline Fehr reformiert gerade die Untersuchungshaft. Führt diese Reform zu einem höheren Personalaufwand?

Der höhere Personalaufwand geht vor allem auf die vorläufige Festnahme und den dafür nötigen 24-Stunden-Betrieb zurück.

Bringt man mit der Situation im PJZ das Sicherheitssystem im Kanton in Schieflage?

Kritisch für den Justizvollzug wäre es tatsächlich geworden, wenn man jetzt nicht gehandelt hätte. Was die Eröffnung der vorläufigen Festnahme im Gefängnis Zürich-West angeht: Innert sieben Tagen sind wir von null auf hundert hochgefahren. Das war ein Hosenlupf. Und es kam zu Vorfällen, aber wir kamen glimpflich davon.

Zu hören ist aber von sehr groben Fehlern. Etwa, dass falsche Personen aus der Polizeihaft entlassen worden seien.

Ja, solche Vorfälle gab es. Also dass jemand, der hätte drinbleiben müssen, wieder rauskam. Aber das waren absolute Einzelfälle. Wir haben 12 000 Ein- und Austritte pro Jahr. Diese Fälle hingen damit zusammen, dass wir die gesamte Dokumentation neu lernen mussten. Die Fälle machten aber klar, dass wir handeln müssen.

Fälschlicherweise freigelassene Häftlinge ist für ein Gefängnis doch der Super-GAU?

Dazu muss man sagen: In dem einen Fall, über den wir hier reden, war es so, dass die Person als Bussenersatz im Gefängnis sass. Das war jetzt kein Sexualstraftäter und kein Gewalttäter.

Aber das war purer Zufall, dass es glücklicherweise ein solcher Inhaftierter war.

Natürlich, das war Glück im Unglück.

Was ist mit dem fehlbaren Mitarbeiter passiert?

Wir haben eine Fehlerkultur, die besagt, dass Mitarbeiter solche Fehler melden sollen. Wir versuchen, daraus zu lernen. Die Person wurde deswegen nicht entlassen. Da lief eine ganze Kette schief, es ist schwierig, den Fehler auf eine Person zurückzuführen.

Und welche weniger schweren Vorfälle sind passiert?

Im Umgang mit sehr renitenten Inhaftierten gelangen wir an unsere Grenzen. Es gab Vorfälle, bei denen Mitarbeiter traktiert wurden, also körperlich zu Schaden kamen. Oder dass Inhaftierte sich untereinander in die Haare gerieten.

Bis jetzt läuft im Gefängnis Zürich-West erst die vorläufige Festnahme. Die U-Haft hätte in der zweiten Jahreshälfte mit Verspätung in Betrieb genommen werden sollen. Ist das noch realistisch?

Mit der Stellenerhöhung werden wir die U-Haft in der zweiten Hälfte aufmachen können. Ohne diesen Schritt wäre das nicht realistisch gewesen. Wir haben jetzt schon drei Viertel des Gebäudes in Betrieb, arbeiten aber mit der Hälfte des Personals, das wir brauchten. Gerade für unsere Mitarbeiter ist die Eröffnung der U-Haft wichtig, damit sie nicht immer in den hochgetakteten Abläufen im Bereich der vorläufigen Festnahme arbeiten müssen.

Im GZW musste man einen völlig anderen Betrieb aufbauen als bisher bekannt. Hat man dies unterschätzt?

Wir haben allgemein die Komplexität und auch die langen Wege unterschätzt. Zu Beginn machten wir Tests, wie lange man von A nach B geht. Man gab sich Mühe, extra langsam zu gehen. Aber es zeigte sich, dass mit einem Inhaftierten, der natürlich mässig motiviert ist, sich zu bewegen, die gleiche Strecke doppelt so lange dauerte.

Die Rede ist von hoher Fluktuation. Wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind bereits wieder gegangen?

In Zahlen kann ich es nicht sagen. Wir liegen im Bereich von 8 bis 9 Prozent, sonst in der Gefängniswelt sind es 2 bis 3 Prozent.

Sie sagen, die Mitarbeiter seien stark belastet. Was heisst das?

Sie melden uns, man habe im Job etwas anderes erwartet. Jemand, der 60 Prozent angestellt ist, muss plötzlich sehr viel mehr Dienste übernehmen, auch übers Wochenende. Plötzlich kommt so eine Person auf ein Vollzeitpensum. Allen war klar, dass man Schicht arbeiten muss, aber in der jetzigen Intensität ist das schwierig. Am Anfang waren wir alle euphorisch, wir haben schliesslich ein neues Gefängnis eröffnet. Alle leisteten einen Sondereffort, aber das darf nicht zu lange dauern.

Gefängnisaufseher sind heute halbe Sozialarbeiter. Das Jobprofil hat sich verändert. Sind die Anforderungen zu hoch?

Wenn wir die Stellen ausschreiben, finden wir genügend Interessierte. Das sind alles Quereinsteigerinnen. Das ist generell so, es gibt keinen Markt für Aufseher. Wir haben im Moment noch einen Pool an Interessierten. Grundsätzlich sind aber alle branchenfremd, sie werden mit Training on the Job, mit internen und später externen Kursen ausgebildet und eingearbeitet.

Auch das Essen für die Inhaftierten sei miserabel, ist zu vernehmen. Sind die Köche auch Externe?

Es wurde kritisiert, dass es kein Fleisch gebe. Wir entschieden uns für eine vegetarische Verpflegung, damit für alle etwas passt. Ich habe die Kritik gehört, dass die Portionen knapp bemessen seien. Auch daran arbeiten wir.

Zu wenig Personal und fälschlich entlassene Häftlinge – was wirft das für ein Licht?

Ich glaube, dass wir seit der Eröffnung auf dem Boden der Realität angelangt sind. Wir müssen besser werden. Mit den zusätzlichen Stellen, die der Regierungsrat nun bewilligt hat, wird uns das gelingen.
(https://www.nzz.ch/zuerich/planungsdebakel-im-gefaengnis-zuerich-west-viel-zu-wenig-stellen-ld.1733320)