Massvolle Friedensdemo, britisches Migrationspaket, staatliche Feigenblätter

Was ist neu?

Massvoll-Querfront: Wie kämpfen wir gegen den Krieg?

Die Querfront hat seit dem Beginn des Angriffskrieges auf die Ukraine ein neues Thema gefunden. Am Samstag riefen „Massvoll“, „Junge SVP“ und weitere zur „Friedensdemo“ nach Bern auf. Der Bundesplatz füllte sich. Wie bereits während der Pandemie tummelten sich auch altbekannte und neu organisierte Faschos und deren Organisationen wie „Junge Tat“ „WG“ oder „Freiheitstrychler“ unter den Demoteilnehmenden. Von Abgrenzungsbedürfnis oder Berührungsängsten ihnen gegenüber war von den „anderen“ Demoteilnehmenden nichts zu spüren. Die Faschos durften auf der Demo sogar für „Sicherheit“ sorgen und stramm patrouillieren.

Bild: Zu Beginn der Demo wurde der Harus-Gruss, also der Führergruss der Frontenbewegung in der Schweiz zur Zeit von Faschismus und Nationalsozialismus, geschrien.

In den Reden wurde der tiefsitzende Nationalismus dieser Bewegung deutlich. Hier ein paar Klischees, die wiedergegeben wurden:

(1) Die Nation ist in Gefahr: Rimoldi von Massvoll feierte den Mobilisierungserfolg der „Querfront von links bis rechts“ und rief dazu auf, diese zu stärken. Nur sie könne die Schweiz vor dem drohenden Untergang im dritten Weltkrieg bewahren.

(2) Die Gefahr droht von Innen: Die Regierungen auf beiden Seiten der Front seien Schuld am Krieg. Wie während der Pandemie zeige sich auch hier, dass Misstrauen und Ablehnung gegenüber Bundesrat und Parlament das einzig Richtige sei.

(3) Die Gefahr droht von Aussen: Die Schweiz dürfe sich nicht noch mehr am fremden Krieg beteiligen. Ansonsten würden bald auch Schweizer Soldat*innen an der Front sterben. Deshalb: Keine Waffenlieferungen an die Ukraine, ein Ende der Sanktionen gegen Russland und eine Stärkung der „bewaffneten Neutralität“ der Schweiz.

(4) Die Nation muss wiedergeboren werden: Den positiven Gegenpol zur korrupten Regierung und zur Lügenpresse bilden die einfachen Leute, die für die Wahrheit einstehen. Sie müssten heute, die in in Schieflage geratene Schweiz zu einer Art Neustart verhelfen.

(5) Mystifizierung und Konstruktion von Nationalheld*innen: Immer wieder war in den Reden vom Mönch Nikolaus von der Flüe die Rede. Dieser wird glorifiziert, weil er den Eidgenoss*innen bereits im 15. Jahrhundert riet: „Mischt Euch nicht in fremde Händel!“

Seit über einem Jahr dauert der unerträgliche Angriffskrieg auf die Ukraine an. Schuld daran ist das russische Regime, das den Krieg angeordnet hat. Die Gründe für den Angriff scheinen im russischen Nationalismus und in Machtinteressen des Regimes zu liegen. Putin strebt mit diesem Krieg nach einer verbesserten Position innerhalb der weltweiten Staatenkonkurrenz.

Angesichts der Skrupellosigkeit des Aggressors ergriffen in der Ukraine viele die Flucht. Um ihr Leben und ihren Lebensraum zu erhalten, griffen jedoch auch viele zur Waffe. Dass in der Ukraine ein Jahr nach Kriegsbeginn und nach hunderttausenden Toten die Unterstützung der nationalen Armee und der rechtsnationalistischen Führung kaum Risse zeigt, ist zweifelsohne auch dem ukrainischen Nationalismus und verbreiteten Interesse an einem starken ukrainischen Staat geschuldet.

In Westeuropa wurde die Ukraine nach Kriegsbeginn innerhalb weniger Tagen kulturell und politisch zu einem Teil Europas gemacht. Die Dominanzgesellschaft identifiziert sich stark mit dem Leid der ukrainischen Bevölkerung und befürwortet die grenzenlose Aufnahme von ukrainischen Geflüchteten. Im Vergleich zu anderen Geflüchteten werden Ukrainer*innen als Teil eines gemeinsamen „Wir“ verstanden, das sich gegen die Bedrohung von Aussen schützen muss und deshalb solidarisch zusammenhält. Über Nacht wurde auch die rechtsnationalistische Regierung Selenskis zur aufrichtigsten Kraft heraufbeschworen, die für die Demokratie und den Frieden in Europa kämpfe. Das Land brauche deshalb grenzenlos Waffen und Munition und finanzielle Unterstützung.

Innerhalb der europäischen Staaten wurde es seit Kriegsbeginn in Windeseile möglich, was kurz davor politisch undenkbar gewesen wäre. Regierungen einigen sich auf antirussische Sanktionen, die bisher vorwiegend die russische Bevölkerung treffen, Parlamente winken milliardenhohe Militärbudgets durch, Medien berichten mit Schreckensbildern und Diskursen, die die Weltordnung des Kalten Krieges aufleben lassen, (Militär-)Expert*innen erhalten extreme Aufmerksamkeit für nationalistisch, militaristisch, westlich geprägte Analysen über den Krieg. Auch hinter diesen Entwicklungen stecken Nationalismus und staatliche Machtinteressen als starke Treiber.

Die beiden Treiber vermögen es auch, die Praxis der Biden-Regierung in den USA zu erklären. Über die NATO verfolgen die USA eine Politik, die ihre Position als weltweite Grossmacht erhält und stärkt. Das vergangene Kriegsjahr hat jedoch deutlich gemacht, was sich seit längerem abzeichnet. Die USA ist politisch und wirtschaftlich nicht mehr die unangefochtene alleinige Grossmacht dieser Welt. Am ehesten scheint sie es militärisch noch zu sein. Sie verfügt weltweit über hochgerüstete Militärbasen und kann mit vernichtenden nuklearen Waffen drohen.

Seit Kriegsbeginn sterben, leiden, fliehen Menschen auf beiden Seiten der Front. Krieg ist für uns einfache Menschen immer nur schlecht. Bis hier hin stimmen die Positionen der Querfront. Doch friedliche Antworten auf den Angriffskrieg, auf das weltweite Aufrüsten, den Militarismus der Staaten, das Erstarken der Diabolisierung des vermeintlich Fremden und die Glorifizierung des vermeintlich „Eigenen“ liegen nicht in noch mehr Nationalismus und stärker aufgerüsteten Staaten. Nationalismus und die weltweite Staatenkonkurrenz sind die Grundtreiber der herrschenden Konflikte. Zur Herstellung von weltweiter Sicherheit braucht es nicht mehr Nationalismus und Staat sondern viel weniger davon. Nachhaltiger Frieden ist durch einen Ausstieg aus dieser Matrix zu erlangen.

Kurzfristig bietet der Abolitionismus gute Orientierungshilfen. Es braucht einerseits einen Abwehrkampf gegen alles, was die beiden Treiber (diskursiv, finanziell, institutionell, politisch) stärkt. Dabei müssen wir davon absehen, uns positiv oder negativ auf Regierende zu beziehen, indem wir uns künstlich in ihre Position versetzen. Wir haben gesellschaftlich schlicht eine andere Position. Nur von dieser aus können wir Politik betreiben. Andererseits braucht es einem positiven Aspekt des Aufbaus von neuen Formen des Zusammenlebens. Angesichts der Allgegenwärtigkeit des Nationalismus und des Staates gibt es im Alltag viele Gelegenheiten, um den Kampf für einen anderen Raum mit mehr solidarischen, gleichberechtigten und befreiteren Beziehungsweisen weltweit zu führen.

https://twitter.com/farbundbeton/status/1634554970719526912
https://www.derbund.ch/corona-gegner-und-jsvp-rufen-zur-demo-auf-886683145810
https://www.youtube.com/watch?v=dvvr_7tBsYY&feature=youtu.be

Neuer Abschiebedeal zwischen der Schweiz und Guinea-Bissau

Bild: Der Deal erleichtert die systematische Abschiebung von illegalisierten Personen.

Das Staatsekretariat für Migration (SEM) schreibt in gewohnt nüchterner Sprache, über das, was von betroffenen Personen als Folter beschrieben wird: „Auch wenn nur wenige Staatsangehörige aus Guinea-Bissau ein Asylgesuch in der Schweiz stellen, ermöglicht das Abkommen, Fragen in Bezug auf die Identifizierung von illegal anwesenden Personen und die Ausstellung der für die Rückkehrorganisation benötigten Reisedokumente zu regeln.“ Im Gegenzug, dass Herrschenden in Guinea-Bissau die Ausschaffungen akzeptieren, beabsichtigt das SEM, „sich in konkreten Projekten vor Ort zu engagieren. Dazu gehört insbesondere ein Projekt zur Digitalisierung des Zivilstandsregisters.“

https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-93335.html

Grossbritannien: neues Gesetzespaket zur Migrationspolitik

Am 7. März hat die britische Regierung von Rishi Sunak ein neues Gesetzespaket zur Migrationspolitik vorgestellt: Wer künftig ohne Einreisepapiere in Grossbritannien ankommt, soll festgenommen und nach maximal 28 Tagen in das Herkunftsland oder ein Drittland ausgeschafft werden, wie z.B. Ruanda. Dabei soll den Menschen das Recht, Asyl zu beantragen, verwehrt bleiben.

Rishi Sunak will Flucht und Migration über den Ärmelkanal stoppen

Weitere Regelungen sollen verbieten, dass eine Person, die einmal ohne entsprechende Papiere nach Grossbritannien eingereist ist, diese Land je wieder betreten darf. Oder dass jeglichen Personen, die sich vorher in einem sog. sicheren Drittstaat wie z.B. Frankreich aufgehalten haben, im Vorherhein kein Recht auf Asyl haben.

Faktisch würde mit diesem Gesetzespaket das Recht auf Asyl in Grossbritannien abgeschafft. Die sog. legale Wege, um als flüchtende Person nach Grossbritannien zu gelangen, gibt es nicht bzw. nur in absoluten Ausnahmefällen, wie z.B. für Menschen aus der Ukraine. Vor diesem Hintergrund ist einmal mehr zu kritisieren, wie der Begriff der «illegalen Migration» von den Medien unkommentiert aufgegriffen wird. Wenn nicht-illegalisierte, sichere Fluchtrouten nach Europa verschlossen sind, wie soll eine Einreise dann möglich sein?

In dem das Recht auf Asyl praktisch aufgehoben werden soll, verstösst dieser Vorschlag gegen internationales Recht sowie die UN-Flüchtlingskonvention. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Gesetzesentwürfe in baldiger Zeit 1:1 umgesetzt werden. So wird beispielsweise auch das Abkommen mit Ruanda seit Monaten vor Gericht verhandelt.

Was dieser Gesetzesentwurf aber einmal mehr zeigt: Die Diskussion gegen migrierende und flüchtende Menschen wird von der britischen Regierung bewusst angeheizt. Härte gegenüber Menschen on the Move zu demonstrieren, ist ein bewusste politische Strategie: Wähler:innen für die Tories sollen gewonnen werden. Rishi Sunak will das Versprechen des Brexit auch hier demonstrieren: Taking Back Control

Dafür arbeitet Rishi Sunak in der Migrationsbekämpfung mit Frankreich zusammen. An einem Treffen mit Emmanuel Macron am 10. März wurden dann auch in den nächsten drei Jahren 500 Millionen von Grossbritannien an Frankreich gesprochen. Damit soll ein neues Internierungslager in Nordfrankreich finanziert werden. Die jährlichen Zahlungen von London an Paris werden mehr als verdoppelt. Damit soll eine neue Kommandozentrale für 541 Millionen Euro entstehen, ausserdem sollen 500 zusätzliche Grenzbeamt:innen sowie moderne Drohnen und Überwachungstechnologie eingesetzt werden.

Das Narrativ von Migration als Bedrohung und Problem, das es zu lösen gilt, dominiert die Diskussion um Migrationspolitik überall in Europa und auch in Grossbritannien. Die Sichtweise, dass dieses Narrativ selbst das Problem darstellt, bleibt rund um die neuen Gesetzesentwürfe und die Berichterstattung darüber weitgehend unsichtbar.

https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/britische-regierung-verschaerft-asylrecht?urn=urn:srf:video:1ca2d674-21b1-4653-bcca-53679387331c
https://www.deutschlandfunk.de/uk-rishi-sunaks-migrationsplaene-taking-back-control-dlf-7967c801-100.html
https://www.srf.ch/news/international/grossbritannien-frankreich-sunak-und-macron-sagen-der-illegalen-migration-den-kampf-an

Was geht ab beim Staat?

Über die Rolle staatlicher Kommissionen, Feigenblätter und Chefposten

Die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) hat die Aufgabe, bei Freiheitsentzug die Einhaltung der Verhältnismässigkeit von Zwang und Gewalt zu beobachten und zu überprüfen. Auch bei Sonderflügen und Zwangsausschaffungen sind ihre Mitglieder dabei. Doch was bringt beobachten und prüfen? Und für wen?

Die NKVF hat den gesetzlichen Auftrag, durch Kontrollbesuche zu überprüfen, ob in Einrichtungen mit Freiheitsentzug (Gefängnis, Psychiatrie, Nothilfecamps etc.) die Menschen- und Grundrechtkonformität eingehalten werden. Sie schreibt Berichte und auf deren Grundlage werden «Dialoge» mit den Behörden geführt, die dann zur Verbesserung der Situation der Personen in Gefängnissen und anderen Institutionen mit Freiheitsentzug und Zwangsmassnahmen führen sollen. Sie begleitet als beobachtende Instanz auch Abschiebungen auf der Vollzugstufe 4, d.h. Sonderflüge. Dabei, so die NKVF auf ihrer Homepage, überprüft sie die verhältnismässige Anwendung von Zwang, wenn die Personen im Camp abgeholt werden, in der Ausschaffungshaft, auf dem Weg zum Flug und auf dem Flug selbst. Die Beobachtungen und daraus folgenden Empfehlungen, so die NKVF, werden im «Rahmen eines institutionalisierten Fachdialogs» regelmässig mit Vertreter*innen des SEM, der Kantonalen Konferenz der Polizeikommandanten Schweiz (KKPKS) und der Vereinigung Kantonaler Migrationsbehörden (VKM) «diskutiert». Zudem gibt es auch ein Forum mit behördlichen und zivilgesellschaftlichen Organisationen wie der Eidgenössischen Kommission für Migration, der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, dem Schweizerischen Roten Kreuz aber auch der Flughafenpolizei und noch einigen weiteren, an denen die Beobachtungen «kritisch beleuchtet würden».

Im November 2021 überprüfte die NKVF erfreulicherweise die Rückkehrzentren im Kanton Bern. Sie kam unter anderem zum Schluss, dass die «Lebensbedingungen der Bewohnenden in den Rückkehrzentren des Kantons Bern für Familien mit Kindern nicht menschenwürdig sind.» Allgemein stellte sie fest, dass die Kommission die Überprüfung zu einer Zeit durchgeführt habe, in der die Belegung aufgrund der Pandemie auf 60% reduziert sei. Die Belegung zu erhöhen bzw. die vorgesehene maximale Kapazität auszuschöpfen, würde die bereits bei aktueller Belegung kritische Situation zusätzlich verschlechtern und wäre für die Bewohnenden in jedem Fall «unzumutbar». Das sind deutliche Worte in der Einleitung des Berichts. Im Februar 2022 wurden sehr viele Personen ins Nothilfecamp in Gampelen gebracht, weil die Container in Biel geschlossen wurden. Die Bewohnenden in Gampelen informierten in einem Brief die NKVF über diesen Anstieg und baten die Kommission um Unterstützung. Dies, so die Antwort nach mehrmaligen Nachfragen, liege nicht in ihren Zuständigkeiten. Was also geschieht, wenn sich die Behörden um die Empfehlungen und Berichte der NKVF foutieren und diese als Antwort auf Anfrage nach Unterstützung erläutert, sei nicht ihre Angelegenheit.​​​​​​​​​​​​​​

Am 16. Februar 2023 wurde in Oberembrach (ZH) eine Familie mit Kindern im Alter von fünf, drei und zwei Jahren im Asylcamp Sonnenbühl von der Polizei abgeholt. Die Polizei fesselte die Mutter an den Händen und den Vater am ganzen Körper, setzte ihm einen Helm auf den Kopf und steckte ihm einen Gegenstand in den Mund, um ihn zu knebeln. Zusammen mit ihren Kindern wurden sie von mehr als einem Dutzend Polizist*innen abgeführt und nach Kroatien ausgeschafft. Anwesend war eine Begleitperson der Nationalen Kommission gegen Folter, die diese Ausschaffung beobachtete und nach der Verhältnismässigkeit der Massnahmen befragte. Im Gespräch mit der Rundschau des schweizerischen Fernsehens, die eine Reportage dieser Ausschaffung erstellte, erklärte die Vizepräsidentin der Kommission: «Unser Mandat ist ganz klar, wir beobachten, wir haben keine Kompetenz und dürfen auch nicht einschreiten. Wir beobachten was passiert“.

Dies, so die Vizepräsidentin weiter, führe durchaus zu einem Wandel und einem bewussteren Vorgehen und von dem her bringe dies viel, das einfach jemand dabei sei und zuschaue. Wenn man die Ausschaffung der Familie anschaut, dann scheinen die Berichte der NKVF, die Beobachtungsposition und die Gespräche, die sie mit Behörden führen, von der Kantonspolizei Zürich zumindest, nicht beachtet worden zu sein. Die NKVF schreibt nämlich in Bezug auf Fesselung, dass „Eltern nicht in Anwesenheit ihrer Kinder gefesselt werden sollen.“ Dies könne nur wenn absolut notwendig, als „verhältnismässig“ angesehen werden.

In den zwei Beispielen zeigt sich, dass die Arbeit der NKVF und ihre Haltung weder von der Polizei noch von den zuständigen kantonalen Behörden beachtet wurde. Das SEM schweigt zu beiden Fällen. Die Anfrage auf Unterstützung der betroffenen Personen wird ignoriert. Bei der Ausschaffung wird nicht eingegriffen, obwohl die Empfehlungen verletzt wurden. Wem also helfen die Berichte der NKVF? Eventuell den Behörden, die erläutern können, dass es eine Kommission gebe, mit denen sie im Austausch seien. Wenn die NKVF weder in der Öffentlichkeit klarer Position ergreifen kann noch auf Unterstützungsanfragen eingeht, verkommt sie zum Feigenblatt der Behörden.

Die Präsidentin der NKVF, Regula Mader, tritt im Übrigen im April eine neue Stelle an: Vizedirektorin beim Staatssekretariat für Migration. So vehement kann sie die Praxis des SEM nicht kritisiert, wenn sie nun einen Chefposten erhält.

https://www.srf.ch/play/tv/sendung/rundschau?id=49863a84-1ab7-4abb-8e69-d8e8bda6c989
https://migrant-solidarity-network.ch/2023/02/16/stopdublinkroatien-familie-mit-drei-kleinen-kindern-nach-kroatien-abgeschoben/

https://www.derbund.ch/die-unbeirrbare-673780753945

https://www.nkvf.admin.ch/nkvf/de/home.html

Was ist aufgefallen?

Trotz ausstehender Beschwerde vor dem UN-Kinderrechtsausschuss: Familie nach Kroatien ausgeschafft

Heute, 8. März 2023 in den frühen Morgenstunden kam die Polizei ins Nothilfecamp in Balmberg, Solothurn und riss 4 Kinder und ihre Eltern aus dem Schlaf. Dem Mann wurden Handschellen angelegt, die Frau wurde gefesselt. Zusammen mit einem weiteren Passagier, wurde die ganze Familie nach Kroatien abgeschoben.

Seit Monaten protestieren betroffene Personen gegen ihre Ausschaffung nach Kroatien

In Kroatien erlebte die Familie aus Burundi auf ihrer Durchreise schwerste Gewalt. Die Misshandlungen, denen die Familie in Kroatien ausgesetzt war, waren so brutal, dass eine Beschwerde beim UN-Kinderrechtssausschuss eingereicht wurde. Der Anwalt der Familie, Guido Ehrler, informierte die Einwanderungsbehörde des Kantons Solothurn über die Beschwerde und darüber, dass mit großer Wahrscheinlichkeit superprovisorische Maßnahmen zur Aussetzung der Abschiebung ergriffen würden. Die Polizei wartete die Antwort des UN-Ausschusses nicht ab und schickte die Familie stattdessen unter Zwang zurück. Und wollte dabei nicht gesehen werden. Zeug:innen im Camp, die die Abschiebung filmen wollten, wurden scheinbar daran gehindert: «Die Sicherheitskräfte hinderten uns sogar daran, zuzuschauen», sagen sie. Mindestens neun Beschwerden gegen Schweizer Entscheidungen zur Rückführung nach Kroatien seien bei den UN-Ausschüssen für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau (CEDAW), für die Rechte des Kindes (CRC-IC) und gegen Folter (CAT) anhängig. Die Migrationsbehörde des Kantons Solothurn wusste wohl, dass die Abschiebung verhindert werden würde. Sie zog es vor, unter völliger Missachtung der Grundrechte und gegenüber den Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit vorzugehen.

Was war eher gut?

FRB gegen strukturellen Rassismus

«Struktureller Rassismus ist eine Realität.» Ungewohnt klar positioniert sich die Fachstelle für Rassismusbekämpfung  (FRB) des Bundes. Sie hat eine Kurzfassung ihrer «Grundlagenstudie zum strukturellen Rassismus in der Schweiz» veröffentlicht. Damit will sie einen «Beitrag zur Sichtbarmachung von strukturellem Rassismus in der Schweiz und dessen diskriminierenden Auswirkungen» leisten. Die staatliche Stelle verurteilt strukturellen und somit staatlichen Rassismus erfreulich klar: «Es steht aber ausser Frage, dass Rassismus, welcher Art auch immer, benachteiligt, entwürdigt, auch krank macht und mitunter tötet».

Bild: Struktureller Rassismus zieht wie ein roter Faden durch das Leben der Betroffenen.

Erstaunlich und neu ist der zutreffende Titel der Studie. Es scheint, dass sich in der FRK jemand dafür eingesetzt hat, dass auch eine staatliche Stelle die Dinge beim Namen nennt. In der Kurfassung der Studie wird grafisch dargestellt, dass sich struktureller Rassismus für die Betroffenen wie ein roter Faden durch ihr Leben zieht. Die FRB weist darauf hin, dass struktureller Rassismus im Gesundheitswesen, in der Bildung, in den Medien und im Internet sowie im Bereich Alltag, öffentlicher Raum und Familie weniger dokumentiert ist und es noch Wissenslücken gibt. Besser dokumentiert und nachgewiesen ist struktureller Rassismus in den Bereichen Arbeit, Wohnen, Behörden und Einbürgerung sowie teilweise bei der sozialen Sicherung und bei Polizei und Justiz. Laut der FRB lädt die Studie dazu ein, Wissenslücken zu schliessen und Massnahmen zu planen.

In ihren Schlussfolgerungen fordert die FRB einen Perspektivenwechsel. Es brauche einen kritischen Blick auf die Strukturen und Institutionen, wenn der Schutz vor Rassismus nachhaltig verankert und umgesetzt werden soll. Allerdings liegen viele «Massnahmen» auf der Hand, um zumindest einen Teil des strukturellen Rassismus zu bekämpfen: «Massnahmen», welche von migrantischen Menschen in Kampagnen, Demos und Aktionen wiederholt gefordert wurden.

Ein Beispiel: Bleiberecht für alle und eine Aufenthaltsbewilligung mit gleichen Rechten für alle. Die rechtliche Ungleichstellung durch verschiedenste Aufenthaltsbewilligungen mit unterschiedlichen Entrechtungen und deren Auswirkungen ziehen sich für die Betroffenen wie ein roter Faden durch alle Lebensbereiche. Zum Beispiel erfahren Menschen mit einer vorläufigen Auftenthaltsbewilligung (F- Ausländer*in) immense Benachteiligungen, die sich auf alle Lebensbereiche auswirken: bei der Sozialhilfe, bei der Arbeit oder Arbeitssuche, bei der Wohnungssuche, im Alltag: z.B. beim Abschliessen eines Handyabos, im Gesundheitswesen, in der Bildung etc.

Diese strukturell verankerten Rassismen können mit einer Änderung des Ausländer*innen und Asylgesetzes nachhaltig überwunden werden. Dafür hat die FRB noch keine klaren Worte gefunden.

https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-93602.html
https://www.edi.admin.ch/edi/de/home/fachstellen/frb/publikationen/KurzfassungStudieStrukturellerRassismus.html

https://www.edi.admin.ch/dam/edi/de/dokumente/FRB/Neue%20Website%20FRB/Aktuell/Bericht%20SFM%20Struktureller%20Rassismus_D_2022.pdf.download.pdf/Bericht%20SFM%20Struktureller%20Rassismus_D_2022.pdf

Was schreiben andere?

Tunesien: Rassistische und faschistische Angriffe auf Schwarze Menschen

In den vergangenen Wochen ist der in Tunesien ohnehin existierende Rassismus mit brutalen Angriffen auf Menschen aus zentral- und westafrikanischen Ländern eskaliert. In einer Welle repressiver Gewalt kommt es zu willkürlichen Verhaftungen, staatlich gedeckter Polizeigewalt und Angriffen durch organisierte und nicht-organisierte Gruppen aus der Bevölkerung.

Antirassistische Kundgebung in Tunis am 4. März 2023

Ein Beitrag von solidarischen Aktivist*innen aus Tunesien.

Schwarze Menschen werden schwer verletzt, bewohnte Häuser angezündet. Menschen werden von heute auf morgen entlassen, Familien von ihren Vermieter*innen vor die Tür gesetzt, andere haben ihre Häuser mehrere Tage lang nicht verlassen können, weil sie Angst haben, angegriffen oder von der Polizei kontrolliert und festgenommen zu werden. Eine unbekannte Zahl von Menschen ist verschwunden.

Die Gewalt gegen Schwarze Menschen wurde durch die Veröffentlichung einer Pressemitteilung von Präsident Kaïs Saïed, die nach einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates am 21. Februar geteilt wurde, befeuert. In der Pressemitteilung bedient Saïed Verschwörungserzählungen über Migration, spricht vom „großen Bevölkerungsaustausch“, der „die demographische Zusammensetzung Tunesiens verändert“ und ruft zu „dringenden Maßnahmen auf, um dieses Phänomen zu stoppen“. Seitdem haben sich die Gewalt und der Terror, unter denen Schwarze Menschen in Tunesien leiden, extrem verschärft.

Die Situation kann sich in den kommenden Tagen und Wochen nur verschlimmern. Die Menschen sind gezwungen sich zu verstecken, mit dem Verlust ihres Wohnraums bleibt dann nur noch die Straße. Sämtliche Unterstützung wird vom Staat kriminalisiert. Es braucht dringend finanzielle Unterstützung, um den Zugang zu medizinischer Versorgung, sicheren Unterkünften und sicherem Transport zu gewährleisten. Außerdem müssen Grundbedürfnisse wie Lebensmittel und Elektrizität sowie finanzielle Unterstützung, um den plötzlichen Einkommensverlust auszugleichen, gesichert werden. Ein Spendenaufruf zur Unterstützung der Betroffenen auf konnect.network war erfolgreich, das Spendenziel konnte bereits nach wenigen Tagen zu 100% erreicht werden: https://konnect.network/admin/money-pot/63fb4bee195649d7efc37fe3.

Für mehr Informationen:
https://www.aljazeera.com/news/2023/2/22/tunisias-saied-says-migration-aimed-at-changing-demography
https://www.theguardian.com/global-development/2023/feb/23/tunisia-president-kais-saied-calls-for-halt-to-sub-saharan-immigration-amid-crackdown-on-opposition
https://inkyfada.com/fr/2023/02/26/violences-racisme-tunisie/
https://migration-control.info/on-the-racist-events-in-tunisia-background-overview/

Was steht an?

Wissen ist Ressource – Hören wir geflüchteten Frauen zu!
25.03.2023 I 14:00 I Restaurant Dock 8, Holligerhof 8, 3008 Bern
Veranstaltung im Rahmen der 13. Aktionswoche gegen Rassismus mit verschiedenen Workshops und einer Podiumsdiskussion.
Über Pflichten von Geflüchteten wird oft gesprochen. Aber welche Rechte und Chancen haben sie überhaupt? Und wie steht es eigentlich um ihre Sicherheit, zum Beispiel in Asylunterkünften? Geflüchtete Frauen sprechen über ihre Situation in der Schweiz. Gemeinsam lernen wir von ihren Erfahrungen und nutzen dieses Wissen als Ressource, um Diskriminierung und Rassismus zu erkennen und gemeinsam zu überwinden.
https://wirallesindbern.ch/2023/03/05/wissen-ist-ressource-hoeren-wir-gefuechteten-frauen-zu/

Lesens -/Hörens -/Sehenswert

Tunesisches Tagebuch
In den kommenden Monaten wird borderline-europe ein tunesisches Tagebuch unserer Freiwilligen Ludovica
Gualandi veröffentlichen, die vor Ort ist und ihre Eindrücke zu verschiedenen Migrationsthemen vermittelt.
https://www.borderline-europe.de/sites/default/files/projekte_files/Tunesisches%20Tagebuch%20-%20Deutsch%20%20-%201.pdf

»Sie hatten keine Chance«
Viele der Geflüchteten, die vergangene Woche bei Crotone in Italien ertrunken sind, haben Angehörige in Deutschland. Einer von ihnen ist Alauddin Mohibzada. Seine Tante und drei ihrer Kinder sind ertrunken. Im Gespräch mit PRO ASYL berichtet er, wie er versucht, sich um die Überlebenden zu kümmern und den Toten die letzte Ehre zu erweisen.
https://www.proasyl.de/news/sie-hatten-keine-chance/

Ökofaschismus : Sie lieben Pflanzen, um Hass auf Menschen zu propagieren
Zwei Experten für rechtsradikale Bewegungen warnen, dass die Klimakrise einem neuen Faschismus den Boden bereiten könnte.
https://www.woz.ch/2310/oekofaschismus/sie-lieben-pflanzen-um-hass-auf-menschen-zu-propagieren/!FXR6BAGWKTBT

Kein Einzelfall, kein Zufall, kein Unfall – Patriarchale Gewalt in Asyllagern jenseits rassistischer Zuschreibungen
Kommentar zum Artikel «Vor aller Augen» in der NZZ am Sonntag vom 26. Februar 2023 über Mord an Jamilia 1 in der Nacht vom 23. auf den 24. April 2022 in der Kollektivunterkunft Büren an der Aare.
https://migrant-solidarity-network.ch/2023/03/08/kein-einzelfall-kein-zufall-kein-umfall-patriarchale-gewalt-in-asyllagern-jenseits-rassistischer-zuschreibungen/