Themen
- Italien-Libyen Abkommen: 5 Patrouillenboote für die libysche Küstenwache
- SVP-Wahlkampftreiber: Überbevölkerungspanikmache, Asylrassismus und Anti-Woke
- Europäische Asylagentur empfiehlt Schutzstatus für alle Frauen aus Afghanistan
- Before we die
- Bern: Demo gegen Dublin-Abschiebungen nach Kroatien
- Migrant*innen werden in Norditalien willkommen geheissen
Was ist neu?
Italien-Libyen Abkommen: 5 Patrouillenboote für die libysche Küstenwache
Die faschistische Premierministerin Italiens, Giorgia Meloni, ist nach Libyen gereist. Dort hat sie einen Vertrag im Umfang von rund 7,4 Milliarden Euro unterzeichnet: Zwei neue Gasfelder sollen bis 2026 erschlossen werden, gleichzeitig will Italien die libysche Küstenwache verstärken – fünf neue, schnellere Patrouillenboote sollen ihr zur Verfügung gestellt werden.
Es sei ein «historisches Abkommen», sagt Meloni. Die Idee, dass Italien als Knotenpunkt für Erdgas von Afrika nach Europa fungieren soll, ist nicht neu. So hat die italienische Regierung nebst dem Abkommen mit Libyen auch erst vor wenigen Tagen ein Abkommen mit Algerien abgeschlossen, um russisches Gas und Öl zu ersetzen. Die Regierung unter Meloni konzentriert sich auch wirtschaftlich wieder stärker auf die Mittelmeerregion.
Neu ist auch nicht die Verknüpfung von Wirtschaftsabkommen mit Migrationsfragen. Und die angekündigte verstärkte Unterstützung für die libysche Küstenwache passt in die von Meloni angekündigte harsche Politik gegen Migrierende. Mit Unterstützung von Italien soll die libysche Küstenwache migrierende Menschen auf dem Mittelmeer davon abhalten, nach Europa zu gelangen. Ob die fünf zusätzlichen, schnelleren Boote tatsächlich von Nutzen sein werden, wird sich zeigen. Was aber das Italien-Libyen-Abkommen einmal mehr klar zeigt: Europäische Regierungen sind Libyen näher, als es Internierungslager, Folter und Pull-Backs zulassen dürften. Europäische Regierungen wissen von den zahlreichen Menschenrechtsverletzungen, die migrierende Menschen in Libyen erleiden müssen. Und trotzdem wird Libyen von Europa fleissig unterstützt: mit Geld (ca. 500 Millionen Dollar seit 2015), Ausrüstung und Unterstützung bei der Ausbildung der sog. libyschen Küstenwache durch europäische Behörden. Auch die sog. libysche Such- und Rettungszone (SAR), die eine libysche Küstenwache erst ermöglicht, ist ein Resultat europäischer Politik.
Während sich andere Regierungen noch distanzierter zeigen, von Menschenrechten sprechen und sich gerne als deren Beschützer*innen darstellen, schüttelt Meloni dem libyschen Regierungschef Abdul Hamid Dbaiba freundlich die Hand.
Was ist aufgefallen?
SVP-Wahlkampftreiber: Überbevölkerungspanikmache, Asylrassismus und Anti-Woke
Diesen Herbst sind Wahlen und jetzt ist Wahlkampf. Nebst der Dämonisierung von geflüchteten Personen mobilisiert die SVP vorwiegend mit Hetze gegen Wokeness und mit Überbevölkerungspanikmache. Ein Blick ins diskursive Gruselkabinett der wähler*innenstärksten Partei dieses Landes.
Der potenziell gefährlichste Treiber des SVP-Wahlkampfes ist die Panikmache vor einer überbevölkerten Schweiz. „Die Schweiz ist in den letzten 20 Jahren 16-mal schneller gewachsen als Deutschland. Ein relatives Wachstum von 21% belastet unsere Umwelt, unsere Infrastruktur und uns als Gesellschaft“ Schuld an den Problemen sei die Migration:
(1) „Zuwanderung verunmöglicht die Erreichung der Klimaziele (…)“ Herr und Frau Schweizer haben ihren Treibhausgasausstoss in der Schweiz um 33% reduziert und hätten damit die Zwischenziele des Pariser Klimaabkommens bis 2020 mehr als deutlich erreicht. (…) Doch das Bevölkerungswachstum führte dazu, dass der Gesamtausstoss der Schweiz nur um 15% gesenkt werden konnte.“
Nur ist es dem Weltklima einerseits scheissegal, auf welcher Seite einer Landesgrenze Treibhausgase ausgestossen werden. Und andererseits existieren mit CO2-Zertifikathandel, Kompensierungen im Ausland, etc. viele Instrumente um die Bilanz zu beschönigen. Und zusätzlich fragt mensch sich bei dieser Argumentation: Wenn das Bevölkerungswachstum durch eine erhöhte Geburtenrate von Bio-Schweizer*innen zustande gekommen wäre, würde die SVP zum Schutz des Klimas dann eine Ein-Kind-Politik fordern?
(2) Migration ist auch für die Zersiedelung und die Überbauungen verantwortlich: „Dies gefährdet unsere Ernährungssicherheit und schadet der Landwirtschaft. (…) Wollen wir unser Land komplett zubetonieren?“
Ja, zumindest die SVP will das. Ihre Umwelt-, Wirtschafts-, Finanz und insbesondere Verkehrspolitik führt unter anderm genau dazu, dass immer mehr Flächen versiegelt und mehr Beton verbaut wird. Aber auch dieser Punkt wird alleinig der Migration in die Schuhe geschoben. Oder glauben die Migrationsexpert*innen in der SVP etwa tatsächlich, dass sich ihre Partei nicht mehr für den motorisierten Individualverkehr einsetzt, wenn die Migration begrenzt würde?
(3) Migration sei auch schuld an der Gentrifizierung: „Einer der Hauptgründe für Wohnungsmangel und explodierende Mieten ist die masslose Zuwanderung.“
Nein. Schuld daran sind unter anderem die Privatisierung des Wohnungsmarktes, die Immobilienspekulation, der Abbau des Sozialstaates oder plakativ gesagt – der Kapitalismus.
Dass sich die Argumente der SVP bezüglich Folgen der Zuwanderung inhaltlich leicht widerlegen lassen, sollte uns aber keineswegs in Sicherheit wiegen. Gerade die permanete Wiederholung solcher, wenn auch nicht auf Fakten basierenden Thesen, stärkt die oft verdrehte Wahrnehmung ihrer Wähler*innenschaft. Ausserdem möchte die SVP auch genau solche Diskussionen anstossen um ihre grundsätzliche Position zu verschleiern. Und diese ist generell fremdenfeindlich, rassistisch und auf Abschottung aus. Nur die Begründungen für ihre Forderungen wechseln ab und an.
Der zweite Treiber ist klassisch und besteht aus der rassistischen Asylpolitik und der Hetze gegen geflüchtete Personen. Startpunkt der SVP-Analyse: Das Asylsystem sei gescheitert: „Es kommen zu viele und die falschen Ausländer.“ Die SVP fordert, dass es keine Asylverfahren in der Schweiz mehr geben solle. Zum einen solle der Bundesrat „umgehend Szenarien prüfen, wie Asylverfahren ins Ausland ausgelagert und vor Ort Hilfs- und Schutzzentren geschaffen werden können“. Zum anderen sollen Asylgesuche „künftig nur noch an der Grenze in einem neu zu schaffenden Transitraum (ähnlich den Flughäfen) gestellt werden. Die Asylsuchenden befinden sich dann nicht auf schweizerischem Boden und können, sofern auf das Gesuch eingetreten werden muss, bei einem negativen Entscheid direkt in das Land rücküberstellt werden, aus welchem sie in die Schweiz einreisen wollten.“ Nebst diesen entrechtenden Vorschlägen schürt die SVP anti-muslimischen Rassismus. Wenn Muslime Asyl beantragen würden, seien die Folgen dramatisch: „Das zeigen die zunehmenden Fälle häuslicher Gewalt bis hin zu Mord.“ Wer diese Analyse nicht teile, verrate „damit die Schweizer Frauen und Mädchen.“
Dritter Treiber des SVP-Wahlkampfes ist die destruktive Hetze gegen Gender, Wokeness und Cancel Culture. Die JSVP twittert hierzu: „Der Woke-Wahn muss in unserem Land im Keim erstickt werden! Nein zu dieser totalitären Ideologie, die uns vorschreibt, wie wir zu reden, zu denken und zu leben haben!“ An der SVP-Delegiertenversammlung nahm das Thema viel Raum ein. Die Partei verspricht systematisch gegen Gendersternchen und Gleichstellungsbüros kämpfen zu wollen: «Wir werden auf allen politischen Ebenen Vorstösse zu diesen Themen einreichen», kündigte SVP-Programmchefin Esther Friedli an. Die Woke-Bewegung, die für ein stärkeres Bewusstsein betreffend Diskriminierung, gegenseitigen Respekt und einen besseren Diskriminierungsschutz einsteht, wird von der SVP bewusst in eine ganz andere Ecke gestellt. «Diese Kultur und das Verhalten ihrer Vertreter haben ganz klar religiös-fanatische Züge, denn sie propagieren, die einzige Wahrheit zu kennen», sagte Esther Friedli. Die emotionalen Anti-Woke-Positionen dürfte viele alte weisse Männer sowie andere ansprechen, die nervig, reflexartik, hartnäckig unreflekiert behaupten, geknechtet zu werden, sobald sich Menschen zusammentun, um einen Raum etwas weniger rassistisch, (hetero-) sexistisch oder klassistisch zu gestalten.
https://twitter.com/jungesvp/status/1620752307972608001
https://www.svp.ch/aktuell/publikationen/medienmitteilungen/es-kommen-zu-viele-und-die-falschen-auslaender-keine-asylverfahren-mehr-in-der-schweiz/
https://www.svp.ch/wp-content/uploads/230131_Migrationspapier-D.pdf
https://twitter.com/svpzh/status/1621071619644080128
https://twitter.com/svpzh/status/1614212253859074049
https://twitter.com/svpzh/status/1617808111317942273
https://twitter.com/SVPch/status/1617474387657072640
https://www.srf.ch/news/schweiz/debatte-im-wahljahr-laesst-sich-mit-cancel-culture-und-wokeness-politik-machen
https://www.woz.ch/2305/wokeness-wahn/im-land-der-nebelkerzen/!PXPFQ0NTA13M
Was nun?
Europäische Asylagentur empfiehlt Schutzstatus für alle Frauen aus Afghanistan
https://www.fluechtlingshilfe.ch/publikationen/standpunkt/de
https://www.srf.ch/news/schweiz/humanitaere-visa-viele-afghanische-fluechtende-hoffen-vergeblich-auf-aufnahme
https://www.proasyl.de/news/verfolgt-weil-sie-frauen-sind-afghanische-frauen-muessen-als-fluechtlinge-anerkannt-werden/
Was schreiben andere?
Before we die
Wo gabs Widerstand?
Bern: Demo gegen Dublin-Abschiebungen nach Kroatien
Rund 1’000 Personen demonstrierten am Samstag in Bern gegen die Dublin-Abschiebungen nach Kroatien. Kritisiert wurde die menschenverachtende Brutalität der kroatischen Polizei, angeprangert das aktive Wegschauen der Schweizer Behörden. Hunderte geflüchtete Personen mit Dublin-Negativentscheid waren aus Bundesasylcamps und kantonalen Camps der gesamten Schweiz angereist.
Die selbst betroffenen Personen bildeten die Mehrheit der Demonstrierenden. Auf dem Bundesplatz und während der Demo zum Berner Rathaus waren daher die Angst vor einer drohenden Kroatien-Abschiebung, wo traumatisierende Gewalterfahrungen gemacht wurden, sowie die Dringlichkeit der Forderungen #StopDublinKroatien stark zu spüren. Die schweizweite Organisierung und Mobilisierung wurde von vielen als grosser Erfolg betrachtet. Ein Erfolg gegen die Isolation der Asylcamps. Ein Erfolg gegen die Unsichtbarmachung der Leben und Interessen von asylsuchenden Personen in der Schweiz. Ein Erfolg, der Hoffnung und Energie gibt, um weiterzukämpfen.
Die nächsten Schritte in diesem Kampf sind noch zu definieren. Nach dieser Demonstration, der Petitionsübergabe im Dezember, sowie den aufwändig zusammengetragenen, erschütternden Erfahrungsberichten ist klar, dass es den betroffenen Personen gelang, sich zu vernetzen und zu organisieren. Zudem ist die Entschiedenheit angesichts der Dringlichkeit und der Angst sehr hoch. Die nächsten Aktionen hängen aber auch vom Umfeld ab. So mobilisierten sich bisher abgesehen von den betroffenen Personen nur wenig weitere Personen, Kollektive, Parteien, Kirchen, Organisationen, NGOs usw.. Das soll nicht so bleiben.
Ausstehend sind auch die Einordnung der Bewegung und der Forderungen durch die Mainstreammedien in der Deutschschweiz, sowie die Positionierung der neue Departementsvorsteherin Baume-Schneider. Beides dürfte einen gossen Einfluss auf die Praxis des SEM haben. Leicht positive Signale kamen bisher zum einen vom Bundesverwaltungsgericht, das die Beschwerde der kurdischen Journalistin Perihan Kaya gutheisst. Das SEM habe Formfehler begangen und müsse in diesem Fall erneut über die Bücher. Zum anderen sprach der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Kroatien im Januar schuldig. Der Staat sei für den Tod und die Misshandlung von geflüchteten Personen unter staatlicher Obhut verantwortlich. Das SEM wird sich auch hierzu äussern müssen.
https://twitter.com/NetworkMigrant/status/1621864588793839621
SEM muss Perihan Kayas Fall erneut prüfen
https://rabe.ch/2023/01/31/sem-muss-perihan-kayas-fall-erneut-pruefen/
Migrant*innen werden in Norditalien willkommen geheissen
Was steht an?
Vergangenen Mittwoch konnten mehrere Menschen nur noch leblos vor der Küste Libyens geborgen werden nachdem ihr Boot Schiffbruch erlitten hatte. In diesem Moment befindet sich eine Gruppe seit gut einer Woche auf einer kleinen Insel auf dem Fluss Evros, gefangen an der Grenze zur Festung Europa. Und so wiederholt sich die Gewalt an den europäischen Aussengrenzen, immer und immer wieder. (…)
Deshalb: Kommt am Montag, 6. Februar um 19:00 Uhr zur Rathausbrücke in Zürich, um gemeinsam zu trauern, wütend zu sein und ein Zeichen zu setzen, dass kein Mensch an den Grenzen zu Europa ohne Konsequenzen verschwindet!
https://missingattheborders.org/en/index.php?p=news/2022/6-febbraio-2023-migrare-e-un-diritto
https://www.sentitreff.ch/de/Februar_2023
https://www.stadt-zuerich.ch/kultur/de/index/institutionen/ausstellungen_stadthaus/Kolonialismus/Begleitveranstaltungen.html
Lesens- Sehens- Hörenswert
der Kolonialismus».
Die versteckten Kinder der Saisonniers
«Kulturplatz» beleuchtet ein dunkles Kapitel Schweizer Geschichte, gemeint sind die Zehntausenden Saisonniers, die in der Schweiz billig arbeiten sollten, sich aber nicht integrieren durften. Diese Menschen und vor allem ihre Kinder erlebten Schlimmes. Da Familiennachzug lange verboten war, kamen viele Kinder ins Heim oder wurden versteckt. Nur wenige haben bisher darüber gesprochen, nun scheint die Zeit reif.
https://www.srf.ch/play/tv/kulturplatz/video/die-versteckten-kinder-der-saisonniers?urn=urn:srf:video:59e4133d-a6e8-4835-afaa-3dfd2077082d
UNO-Menschenrechtsrat: Schweiz muss mehr tun
Die Menschenrechtssituation in der Schweiz wurde heute vom UNO-Menschenrechtsrat kritisch begutachtet. «Die Empfehlungen der einzelnen Staaten im Rahmen der Allgemeinen regelmässigen Überprüfung (Universal Periodic Review UPR) ergeben ein realistisches Bild: «In der Schweiz gibt es beim Menschenrechtsschutz weiterhin Lücken», sagt Matthias Hui von der NGO-Plattform Menschenrechte Schweiz.
https://www.humanrights.ch/de/stellungnahmen/uno-menschenrechtsrat-schweiz-2023
Rumänien missbraucht Rückübernahmeabkommen: Dublin-Fällen droht Kettenabschiebung nach Serbien
An der rumänisch-serbischen Grenze sind rechtswidrige Zurückweisungen Alltag. KlikAktiv, der serbische PRO ASYL-Kooperationspartner, dokumentiert, dass Rumänien dafür auch das Rückübernahmeabkommen zwischen der EU und Serbien missbraucht. Asylsuchenden, die unter der Dublin-Verordnung nach Rumänien abgeschoben werden, droht die Kettenabschiebung.
https://www.proasyl.de/news/rumaenien-missbraucht-rueckuebernahmeabkommen-dublin-faellen-droht-kettenabschiebung-nach-serbien/
The escape diaries
A series about the personal experiences of African students who fled the war in Ukraine.
https://www.infomigrants.net/en/tag/the%20escape%20diaries/