Medienspiegel 4. Februar 2023

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/

+++BERN
Asylunterkunft Bern-Brünnen
Das neue Rückkehrzentrum für Männer in Bern-Brünnen wird kritisiert. Die SVP fordert mehr Sicherheit für die Anwohner, die SP findet die Unterkunft menschenunwürdig. Der Kanton hält an der Unterkunft fest und weist die Vorwürfe zurück.
https://tv.telebaern.tv/telebaern-news/asylunterkunft-bern-bruennen-149986208


++++SCHWEIZ
Mehr illegale Grenzübertritte – Grenze zu Italien wird zum Flüchtlingshotspot
Immer mehr Flüchtlinge reisen über die Südgrenze in die Schweiz ein. Der Grenzschutz ist im Dauereinsatz.
https://www.srf.ch/news/schweiz/mehr-illegale-grenzuebertritte-grenze-zu-italien-wird-zum-fluechtlingshotspot


+++DEUTSCHLAND
Ampel-Koalition will Asylverfahren schon in Drittstaaten prüfen
Die Bundesregierung will die Verlegung von Asylverfahren nach Afrika prüfen. Menschenrechte sollen dabei geachtet werden, sagt der Migrationspolitiker Joachim Stamp.
https://www.zeit.de/politik/deutschland/2023-02/fluechtlinge-asylverfahren-verlagerung-drittstaaten
-> https://www.deutschlandfunk.de/stamp-fuer-verlagerung-von-asylverfahren-auch-nach-afrika-100.html
-> https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/regierung-will-verlegung-von-asylverfahren-nach-afrika-pruefen,TUu57jU


+++MITTELMEER
Seenotretter bergen tote Migranten
Die italienische Küstenwache und private Seenotretter haben auf dem Mittelmeer mehr als 140 Geflüchtete in Sicherheit gebracht. Für mindestens zehn Menschen kam die Hilfe jedoch zu spät. Überlebende berichteten von zwei weiteren Toten.
https://www.tagesschau.de/ausland/mittelmeer-migranten-111.html


+++GASSE
Methadonengpass in der Schweiz abgewendet – Echo der Zeit
Um vom Heroin wegzukommen, sind viele Süchtige auf Methadon angewiesen. Letzten Dezember wurde ein dafür wichtiges Medikament, nämlich Methadon in Tablettenform knapp. Doch nun wurde eine Lösung für den Lieferengpass gefunden: Eine Schweizer Pharmafirma kann Methadon-Kapseln im grossen Stil herstellen.
https://www.srf.ch/audio/echo-der-zeit/methadonengpass-in-der-schweiz-abgewendet?partId=12330640
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/drohende-knappheit-engpass-behoben-loesung-beim-methadonmangel


Bettelverbot: Warten, was Basel macht
Regierungsgrat setzt die vorgeschlagene Änderung der Sammelverordnung vorerst aus
https://www.luzerner-rundschau.ch/stadt/detail/article/bettelverbot-warten-was-basel-macht-00221910/


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Demonstranten fordern in Bern würdige Aufnahme von Flüchtlingen
In Bern haben hunderte Menschen gegen die Abschiebung von Flüchtlingen nach Kroatien demonstriert. Das Land sei nicht sicher für Rückführungen.
https://www.nau.ch/news/schweiz/demonstranten-fordern-in-bern-wurdige-aufnahme-von-fluchtlingen-66412553
-> https://www.swissinfo.ch/ger/demonstranten-fordern-in-bern-wuerdige-aufnahme-von-fluechtlingen/48259028
-> https://twitter.com/NetworkMigrant/status/1621864588793839621
-> https://twitter.com/gegen_oben/status/1621910696916131843
-> https://antira.org/2023/01/30/koordinierte-grenzgewalt-gestaerkt-gewaltsame-bundesasylcamps-schoengeredet-klare-egmr-urteile-ignoriert/#Trotz_EGMR-Entscheid_gehen_Dublin-Abschiebungen_nach_Kroatien_weiter
-> Demoaufruf/Texte: https://migrant-solidarity-network.ch/


Farbe für den Securitas Verwaltungsrat Stefan Gerber
Jeden Monat sterben Menschen im schweizer Asylregime weil sie verpügelt, gedemütigt, erniedrigt werden und ihnen Hilfeleistung unterlassen wird. Stefan Gerber ist als Verwaltungsrat bei der Securitas-Gruppe einer der Hauptprofiteure dieses rassistischen Asylsystem und leistet sich damit eine Villa im Solothurner Bonzenquartier Feldbrunnen. Als Zeichen unserer Wut und Trauer haben wir am 1. Februar 2023 das Haus von Gerber mit schwarzer Farbe besprüht. Lassen wir sie nicht mehr ruhig schlafen!
https://barrikade.info/article/5593


SRF-«Arena»: Zuschauer trägt T-Shirt mit Antifa-Aufdruck
In der «Arena» vom Freitag war beim SRF zwischenzeitlich ein Zuschauer in einem Antifa-Shirt zu sehen. Zu einem solchen Vorfall kommt es nicht das erste Mal.
https://www.nau.ch/news/schweiz/srf-arena-zuschauer-tragt-t-shirt-mit-antifa-aufdruck-66412329


+++POLIZEI AG
Die Aargauer Polizist:innen sollen nicht sofort mit Tasern ausgerüstet werden, findet die Aargauer Regierung.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/konzert-in-der-abdankungshalle?id=12330595
-> https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/elektroschock-keine-taser-fuer-die-kantonspolizei-aargau-ld.2410109


+++RECHTSEXTREMISMUS
Weltweit kämpfen extreme Rechte ¬gegen die Gleichstellung von LGBT-Personen
Heilige Familie, heiliger Krieg
Der Kampf gegen LGBTQI-Personen vereint die extreme Rechte weltweit. Es geht um die rigorose Durchsetzung von Geschlechternormen, die im Kapitalismus ihre Funktion weitgehend verloren haben.
https://jungle.world/artikel/2023/05/heilige-familie-heiliger-krieg


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Mann aus Obwalden soll in Österreich über zehn Kinder missbraucht haben – Staatsanwaltschaft prüft Akten auf Delikte im Heimatkanton
Ein junger Mann ist von einem Strafgericht in Österreich wegen sexueller Handlungen mit Minderjährigen verurteilt worden. Nun befinde er sich unter Auflagen auf freiem Fuss und sei wieder in der Schweiz.
https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/obwalden/justiz-mann-aus-obwalden-soll-in-oesterreich-ueber-zehn-kinder-missbraucht-haben-staatsanwaltschaft-prueft-akten-auf-delikte-im-heimatkanton-ld.2410637


+++HISTORY
Interview über Benin-Bronzen: «Nigeria will nicht, dass die Schweizer Museen geleert werden»
Kuratorin Michaela Oberhofer erläutert den Bericht der «Benin Initiative Schweiz», die gemeinsam mit Museumsleuten aus Nigeria die Schweizer Bestände erforscht hat.
https://www.derbund.ch/nigeria-will-nicht-dass-die-schweizer-museen-geleert-werden-378116954822


+++ZÜRICH
nzz.ch 04.02.2023

Im Bundesasylzentrum herrscht Dichtestress. Im Quartier häufen sich die Probleme. Und bald könnten noch mehr Flüchtlinge nach Zürich kommen

Eine Asylunterkunft mitten im Trendviertel: In Zürich-West bereitet diese Mischung Probleme.

Nils Pfändler, Michael von Ledebur

Das Schweizer Asylsystem ist am Anschlag. Das zeigt sich im Trendquartier Zürich-West. Hier steht auf dem Duttweiler-Areal das Bundesasylzentrum, kurz: BAZ. Es ist für 360 Bewohnerinnen und Bewohner vorgesehen. Heute leben hier 450 Flüchtlinge.

Im Zweckbau zwischen Bürobauten, Kunsthochschule und Fünfsternehotel herrscht Dichtestress. Und draussen im Quartier mehren sich die Konflikte.

Kinder berichten von Belästigungen auf dem Schulweg, Frauen meiden nachts die Gegend, auf der nahe gelegenen Stadionbrache kam es zu Vandalismus, ein Supermarkt musste wegen Diebstählen Sicherheitspersonal anstellen. Seit Dezember patrouillieren Sicherheitsleute rund um das BAZ.

Eltern, Anwohnerinnen und Lokalpolitiker, aber auch Geflüchtete und Fachleute tun sich schwer mit der Situation. Und bald könnten noch mehr Flüchtlinge kommen.

129 Tage warten

Ein Mittwochabend Ende Januar. Zwei Dutzend Bewohner des BAZ haben sich im sogenannten Begegnungsraum eingefunden. Eigentlich wäre der Raum für den Austausch mit der Quartierbevölkerung gedacht. Anwohner sind aber keine hier. Es begegnen sich nur Flüchtlinge.

Für sie ist er einer der wenigen verbliebenen Orte, an denen die Flüchtlinge verweilen können. Der Fitnessraum, ein Schulzimmer und mehrere Aufenthaltsräume wurden bereits zu Schlafzimmern umfunktioniert, weil es an Platz mangelt.

Eine fünfköpfige Familie aus Nordmazedonien hat Fertigpizzas gebacken und verteilt sie grosszügig an alle Anwesenden. Im Kocher brodelt Wasser für die nächste Runde Pfefferminztee. Vier Jugendliche sitzen tief in ihren Sesseln und spielen Uno. Ein ernster junger Mann malt ein Plakat mit der Aufschrift «Kurdistan» und hängt es an die Wand neben die Zeichnung eines zerbrochenen Herzens. Ein K und ein M stehen darauf.

In der Ecke des Raumes steht ein Klavier. An den Tasten sitzt, umringt von drei Jugendlichen, ein Mann mit einer Kappe der Schweizer Fussballnati. Er spielt einen iranischen Pop-Song, die Filmmusik von «Pirates of the Caribbean» und Mozarts Klaviersonate Nr. 11. Die Musik übertönt das Wortgewirr aus Paschtunisch, Romani, Kurdisch und Farsi.

Der Mann mit der Schweizerkappe stellt sich als Jason vor. Jason ist 35 Jahre alt, lebte sein Leben lang in Iran und arbeitete dort in der Telekombranche. Dann verhaftete ihn die Polizei – weil er Christ ist, wie er sagt.

18 Tage lang sass Jason im Gefängnis. Nach seiner Freilassung floh er zusammen mit seiner Frau und seiner zweijährigen Tochter per Flugzeug nach Italien, wo er Asyl beantragte.

Die Lebensbedingungen in Italien seien schlecht gewesen, erzählt er in fliessendem Englisch. Die Familie sei deshalb weiter in die Schweiz gezogen. Nun leben die drei zusammen mit vier Fremden in einem Zimmer im BAZ. Bis der Asylentscheid aus Italien eintrifft, sind sie zum Warten verdammt. Wie lange das dauert, kann ihnen niemand sagen.

140 Tage beträgt die maximal vorgesehene Aufenthaltsdauer im BAZ. Wie lange die Leute durchschnittlich bleiben, wird nicht erfasst. Für die gesamte Asylregion Zürich lag der Wert im Jahr 2022 bei 80 Tagen.

Jason hat mitgezählt: Er wohnt schon seit 129 Tagen im «Camp», wie er es nennt. Das Klavier im Begegnungsraum sei das Einzige, was ihn glücklich mache. «Eigentlich», sagt Jason, «eigentlich bin ich seit 129 Tagen nur in diesem Raum.»

Das BAZ als Wahlkampfthema

Keine dreihundert Meter Luftlinie vom Bundesasylzentrum entfernt treffen wir Stefan Urech. Der SVP-Gemeinderat lebt seit seiner Jugend im Industriequartier. Seine Partei hat das BAZ schon bekämpft, bevor es überhaupt stand.

Im Abstimmungskampf 2017 warnte sie auf Plakaten mit einer düsteren Gestalt im Kapuzenpullover vor «mehr Belästigung, mehr Diebstählen und mehr Gewalt». Nun sieht sich Urech bestätigt. Am Donnerstag hat die SVP die Forderung erhoben, das Zentrum mit Videokameras zu überwachen. Sie will das BAZ zum Teil einer Wahlkampagne machen, die unter anderem mit dem berühmten Messerstecher-Sujet aus den 1990er Jahren spielt.

Wir treffen Stefan Urech in einem hippen Café, das auf einem Platz zwischen Firmensitzen international tätiger Unternehmen liegt. Der 35-Jährige bestellt eine Schale, der Barista blickt etwas verwirrt. «Is a Cappuccino okay, too?», fragt er auf Englisch zurück.

Für Urech ist das BAZ in Zürich-West ein Fehler. In seinen Augen hätte man das Asylzentrum ausserhalb Stadt bauen müssen. «Das Quartier sucht noch nach seiner Identität.» Der Wandel vom Industriequartier zum Wohnviertel sei in vollem Gang, die Bevölkerung könne diese Belastung nicht tragen.

Tatsächlich hat sich in den letzten Jahren wohl kaum ein Zürcher Quartier stärker verändert als der Kreis 5. Neubauten schossen aus dem Boden, junge Bäume wachsen in den Parks. Was viele nicht erwartet hatten: Heute leben hier nicht nur Expats, sondern auch viele Familien. Die Schülerzahlen im Schulhaus Pfingstweid sind seit seiner Eröffnung im Jahr 2019 von 183 auf über 250 nach oben geschnellt. Gleichzeitig ist das industrielle Erbe noch immer sichtbar, auch wenn es keine rauchenden Fabrikkamine mehr gibt. Heute spiegelt es sich in den Glasfassaden der Bürokomplexe.

Um seine Argumente zu untermauern, nimmt uns Urech mit auf einen Spaziergang. Wir gehen vorbei am neuen Sitz der Kriminalabteilung der Stadtpolizei, am neuen Werkhof des EWZ und bleiben vor dem 2020 gebauten BAZ stehen. «Die Stadt hat alles im Kreis 5 untergebracht», sagt Urech. Die Lebensqualität der Bewohner werde dadurch aber nicht besser.

Am meisten ärgert sich Urech über die «Schönfärberei» der Linken. Im Abstimmungskampf über das BAZ sei von einer «Bereicherung fürs Quartier», von einem «lebendigen kulturellen Austausch» die Rede gewesen. Davon sei nichts zu spüren. Und statt der angekündigten Familien wohnten heute hauptsächlich junge Männer im Asylzentrum. Das führe zu mehr Belästigungen, Diebstählen und Gewalt – genau so, wie es die SVP vorausgesagt habe.

Die Probleme hätten sich mit der Zunahme der Asylzahlen verschärft. Gemäss Asylstatistik verzeichnete der Kanton Zürich im vergangenen Jahr über 15 000 Zugänge – gleich viele Personen, wie im Jahr davor in der ganzen Schweiz ein Asylgesuch gestellt hatten. Es sind 13 000 Personen mit Schutzstatus S aus der Ukraine und über 2000 Personen aus dem Asylbereich. Die Bewohnerinnen und Bewohner im BAZ stammen vorwiegend aus Afghanistan und der Türkei.

Urech sagt: «Ich sage nicht, dass alle so sind. Aber es gibt hier gewisse Jungs mit einer kriminellen Energie.» Eine Diskussion darüber sei jedoch unmöglich. Allein der Hinweis, dass ein solches Zentrum zu Konflikten führen könne, reiche im Zürcher Stadtparlament aus, dass man in eine rechtsextreme Ecke gerückt werde.

Gegen Ende des Spaziergangs stehen wir auf der Fussgängerbrücke, die das BAZ mit der gegenüberliegenden Schule Pfingstweid verbindet. Von hier aus sieht man den Flüchtlingen durch die Fenster direkt aufs Bett. Die Zimmer sind klein, vier blaue Kajütenbetten mit acht Schlafplätzen stehen dicht an dicht. Junge Männer liegen darauf und starren in ihr Handy.

«Ich würde nicht mit ihnen tauschen wollen», sagt Urech. «Aber ich liebe mein Quartier. Ich muss schauen, dass es den Leuten hier gut geht.»

Sorge um junge Flüchtlinge

Einer der jungen Männer hinter den Fensterscheiben ist Ali. Der 25-Jährige wohnt nach seiner Flucht aus Afghanistan seit einer Woche im Asylzentrum. Er habe zwei Verwandte in der Schweiz. Wo genau, kann er nicht sagen. Irgendwo in der Nähe von Zürich und Basel.

In seiner Heimat habe er als Koch gearbeitet, sagt Ali. Er wolle auch in der Schweiz einen Job finden, eine Familie gründen, ein Leben aufbauen.

Alis Träume sind gross. Die Hürden auf dem Weg dahin auch. Ali spricht kein Wort Deutsch und kein Wort Englisch.

Manche Bewohner des Asylzentrums sind noch deutlich jünger als Ali. Es sind alleine geflüchtete Minderjährige, sogenannte MNA, die als besonders schutzbedürftig gelten. Die momentane Situation trifft sie besonders hart.

Denn für MNA gäbe es eigentlich eigene Unterkünfte. Wegen Platzmangels werden derzeit aber viele von ihnen im BAZ untergebracht – sie machen 114 der 450 Bewohnerinnen und Bewohner aus. Zudem hat der Bund inoffiziell eine neue Unterkategorie von MNA geschaffen: Jugendliche im Alter zwischen 16 und 18 Jahren, welche als nicht besonders vulnerabel erscheinen. Kritiker nennen dieses Vorgehen einen Trick.

Sandra Rumpel ist Psychotherapeutin und Co-Leiterin des Vereins Family-Help, der sich für MNA einsetzt. Rumpel sagt, es sei unter Fachleuten unbestritten, dass diesen in der Kollektivunterkunft BAZ eine Retraumatisierung drohe. «Diese Leute kommen nach langer Flucht an und setzten ihre Hoffnung auf das Zielland. Wird diese Hoffnung unmittelbar enttäuscht, kann das einen Menschen knicken.» Bei jungen Mädchen, zum Teil auch bei den Knaben, bestehe die Gefahr von Missbrauch. Sie drohten in Milieus zu geraten, die später in die Prostitution führen könnten.

Traumatisierte Kinder und Jugendliche brauchten in erster Linie Ruhe, sagt Rumpel, «eine Türe, die sie hinter sich zumachen können». Zwar sei auch in den spezifischen Heimen für MNA nicht alles zum Besten bestellt, aber im BAZ herrsche ein besonders hohes Stresslevel. Mit der Überbelegung werde dies noch schlimmer.

Von der neu eingeführten «Kategorie» von MNA hält Rumpel nichts. Der Eindruck, dass ein Jugendlicher «stabil» sei, könne täuschen. Sie wirkten sehr reif und sähen zum Teil deutlich älter aus, als sie seien. «In unseren Therapieräumen spielen sie mit Teddybären, ohne sich zu schämen. Manch einer fragt, ob er den Bären behalten könne, damit er einen Freund in der Nacht habe.»

Das SEM bestätigt auf Anfrage der NZZ, dass im vergangenen Herbst ein Notfallkonzept zur Betreuung der MNA eingeführt worden sei, weil auch deren Zahl enorm angestiegen sei. Alleine im vierten Quartal 2022 seien schweizweit 800 Gesuche verzeichnet worden, gleich viele wie im ganzen Jahr 2021. Man habe die MNA in zwei Gruppen aufgeteilt, um den jüngeren und vulnerablen weiterhin eine enge Betreuung bieten zu können.

Die Betreuung der älteren habe man mangels ausreichender Personalressourcen «etwas reduzieren» müssen, sie hätten aber weiterhin eigene Schlafräume getrennt von Erwachsenen sowie an zwei bis drei Tagen pro Woche Zugang zu Sozialpädagoginnen.

«Zentralisierung rächt sich»

Luca Maggi, Gemeinderat der Grünen, kritisiert das BAZ seit langem. Er fordert eine dezentrale Unterbringungen der Flüchtlinge. Die gegenwärtigen Probleme ortet er im Innern des Zentrums, nicht ausserhalb. «Der Bund und die Stadt haben es versäumt, würdige Unterbringungsstrukturen zu schaffen. Die Zentralisierung Hunderter von Menschen in solchen Zentren rächt sich.»

Wenn es im Zentrum derart eng sei, sei es klar, dass sich die Menschen lieber im öffentlichen Raum aufhielten. Dass dies zu Konflikten führe, sei nicht erstaunlich. «Wenn nun die Antwort des Bundes ein ausgebauter privater Sicherheitsdienst im öffentlichen Raum ist, finde ich das zynisch.»

Dass die Bevölkerung die vorhandenen Missstände mitbekämen, sei aber nicht nur schlecht. Es sei gerade die Idee gewesen, das Zentrum in der Stadt Zürich an einem Ort zu erstellen, wo Menschen lebten und hinschauten.

Maggis Kritik ist auch eine innerlinke. Sie geht an die Adresse von Stadtrat Raphael Golta (SP). Der Sozialvorsteher befindet sich stets in einer Zwickmühle, weil er das BAZ einst nach Zürich geholt hatte mit dem Versprechen, hier sei eine «andere» Asylpolitik möglich.

Aber letztlich hat der Bund das Sagen.

Golta hat Ende 2022 einen Protestbrief ans SEM geschrieben, in welchem er die engen Platzverhältnisse kritisiert. Diese bestätigt das Sozialdepartement gegenüber der NZZ. Man sei mit dem Bund «im Gespräch», so Goltas Departement.

Noch eine Flüchtlingsunterkunft

Die Situation dürfte sich weiter verschärfen. Die Flüchtlingszahlen bleiben hoch. Und die Stadt Zürich hat vorgesorgt. Keine zehn Gehminuten vom BAZ entfernt, auf dem Teerplatz der Stadionbrache Hardturm, plant sie eine Flüchtlingsunterkunft für bis zu 320 Personen. Das gab der Stadtrat im November bekannt. Das Baugespann für die Containersiedlung steht bereits. Sobald die Baubewilligung vorliegt, wird die Unterkunft innerhalb von sechs Monaten gebaut werden können. Kostenpunkt: 17 Millionen Franken.

Gegen die Pläne regt sich Widerstand. Eltern wollen juristisch gegen die angekündigte Flüchtlingsunterkunft vorgehen. Sie haben einen Verein gegründet, das «Komitee für Sicherheit und Lebensqualität im Hardturm-Quartier».

Einer der Vereinsgründer ist Fabrice Braun. Seine Tochter besucht die Schule Pfingstweid. Er sagt: «Das Quartier ist durch das BAZ bereits stark belastet. Eine weitere Unterkunft verschärft die angespannte Situation.»

Manche Vereinsmitglieder waren schon in den Kampf gegen das BAZ involviert, haben Beschwerden und Rekurse eingereicht. Ohne Erfolg. Nun drohe sich die Geschichte zu wiederholen, sagt Braun: Die Befürchtungen verhallten ungehört, stattdessen werde man mit Allgemeinplätzen und Floskeln abgespeist. «Ein weiteres Mal vermissen wir eine durchdachte, weitsichtige Strategie der Stadtregierung.»

Ein «Durchlauferhitzer»

Ein steiler Erdwall trennt das Baugespann für die geplante Containersiedlung vom begrünten Teil der Stadionbrache. Dort stapft Lorenz de Vallier an einem Januarabend mit schnellen Schritten durch die Dunkelheit. Irgendwo läuft noch ein Wasserhahn, der Brachenwart de Vallier muss ihn zudrehen. Er trägt schweres Schuhwerk, die Stirnlampe über der Wollmütze beleuchtet den Weg.

De Vallier ist Mitglied des Vereins Stadionbrache, der es sich zum Ziel gemacht hat, bis zum Bau des neuen Fussballstadions auf dem Hardturm einen «Begegnungsort» zu schaffen. «Die Brache steht für alle Besucher offen, die sich an die Nutzungsregeln halten», heisst es auf der Homepage.

Seit kurzem sind die Nebeneingänge der Brache aber versperrt, am Haupteingang hängt eine schwere Metallkette. Von 19 bis 8 Uhr bleibt die Brache geschlossen.

Der Grund ist die «unsachgemässe Nutzung» durch die Flüchtlinge aus dem BAZ, wie es de Vallier nennt. Sie hätten Abfall hinterlassen, Sachen beschädigt, Holz verbrannt und dafür nicht das geforderte Geld ins Holzkässeli gelegt. «Die Schliessung finden wir auch nicht toll. Aber wir haben nicht genügend Ressourcen, um jeden Tag 24 Stunden auf alles aufzupassen.»

Für den Missstand verantwortlich macht der Brachenwart nicht die Flüchtlinge, sondern die Strukturen des BAZ. «Es gibt keine Durchmischung, keine Anknüpfungspunkte», sagt er. «Das Asylzentrum ist ein Durchlauferhitzer.» Dabei würde er sich eine engere Zusammenarbeit mit dem Zentrum und seinen Bewohnern wünschen.

De Vallier fürchtet, dass sich die Situation mit dem geplanten Flüchtlingsdorf auf der Brache noch verschlimmert. Und dass dort ebenfalls keine Zusammenarbeit zustande kommt. Vom Plan der Stadt habe der Verein nur durch Zufall erfahren – als de Vallier sah, wie jemand den Platz für das Baugespann ausmass.

Ausser de Vallier sind an diesem kalten Januarabend kaum andere Leute auf der Brache. In der Mitte des Areals lodert ein Feuer. Vier Jugendliche sitzen im Kreis drumherum. Sie tragen Trainerhosen, Turnschuhe und Kapuzenpullover. Aus dem portablen Lautsprecher klingt R&B-Musik.

Der Gesprächigste der Gruppe ist Ahmad. Er sagt freundlich hallo und bietet sogleich einen Sitzplatz am Feuer an. Seine Freunde fragt er: «Kiffen wir eins?» Und während Ahmad den Haschklumpen in seiner Handfläche zerkleinert, erzählt er seine Geschichte.

Zwölf Tage lang sei er in einem viel zu kleinen Boot mit viel zu vielen Menschen auf dem Mittelmeer getrieben. Als er Europa endlich erreicht hatte, begann die Odyssee erst richtig. Er habe in Belgien, Luxemburg, Deutschland und Frankreich gelebt. Am Ende sei er in der Schweiz gelandet, sagt er. Hier, gleich nebenan, im BAZ. So habe er die Brache kennengelernt.

Heute, vier Jahre später, ist Ahmad Koch in einem Zürcher Restaurant, er wohnt in einer WG, spricht gut Deutsch und bringt für das Feuer sein eigenes Holz mit, für 12 Franken im Jumbo gekauft. Er habe trotzdem noch Geld ins Holzkässeli gelegt, sagt er, freiwillig.

Pünktlich, um 18 Uhr 58, verlassen die vier Jugendlichen das Gelände. Zwei Minuten später ist die Tür der Brache zu.
(https://www.nzz.ch/zuerich/zuerich-im-bundesasylzentrum-herrscht-dichtestress-ld.1724000)