Medienspiegel 18. Januar 2023

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/

+++LUZERN
Zu wenige Asylplätze: Luzerner Gemeinden müssen bezahlen
Im Sommer kündete der Kanton Luzern an: Um die geflüchteten Menschen, die in der Schweiz Schutz suchen, unterbringen zu können, müssen alle Gemeinden eine bestimmte Anzahl an Asylplätzen bereitstellen können. Wer die Anforderungen des Kantons nicht erfüllt, muss zahlen. Nun sind die Rechnungen des Kantons bei 61 Gemeinden eingetroffen. Die Gemeinde Malters zum Beispiel muss über 100’000 Franken bezahlen. Doch einige Gemeinden kritisieren das System des Kantons Luzern.
https://www.neo1.ch/artikel/zu-wenige-asylplaetze-luzerner-gemeinden-muessen-bezahlen


+++ZÜRICH
21 Millionen bewilligt – Stadt Zürich plant Flüchtlingsdorf auf Hardturmbrache
Die Stadt Zürich bereitet sich auf steigende Flüchtlingszahlen vor. Bei Bedarf will sie auf der Hardturmbrache ein temporäres Container-Dorf erstellen. Dieses könnte schnell gebaut werden und Platz für bis zu 320 Personen bieten.
https://www.zueritoday.ch/zuerich/stadt-zuerich/stadt-zuerich-plant-fluechtlingsdorf-auf-hardturmbrache-149725497


+++WALLIS
Widerstand gegen Asylzentrum im Oberwallis – Schweiz Aktuell
Aktuell beherbergt der Kanton Wallis rund 5’600 Geflüchtete: 84 Prozent das französischsprachige Unterwallis und nur 16 Prozent das deutschsprachige Oberwallis. Neu müsste das Oberwallis 400 Personen übernehmen, doch dagegen gibt es Widerstand.
https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/widerstand-gegen-asylzentrum-im-oberwallis?urn=urn:srf:video:bf37ff39-731a-4513-99cb-862f33cd357a


+++ITALIEN
Angekettet auf der Fähre – Wie Italien illegal Flüchtlinge abschiebt
Fährschiffe transportieren tausende Touristen zwischen Italien und Griechenland. Unter Deck passiert gleichzeitig Unmenschliches: Flüchtlinge werden angekettet und in Schächten oder defekten Toiletten eingesperrt.
https://www.srf.ch/news/pushbacks-eingesperrt-auf-der-touristenfaehre-im-mittelmeer
-> Echo der Zeit: https://www.srf.ch/audio/echo-der-zeit/italien-befoerdert-fluechtlinge-illegal-nach-griechenland-zurueck?partId=12320983
-> Rundschau (ab 27:37): https://www.srf.ch/play/tv/rundschau/video/soeldner-fuer-die-ukraine-lehrlinge-gesucht-gefesselt-unter-druck?urn=urn:srf:video:1ca23001-66fd-4db6-9b36-bd4b1efeb1d4 (ab


+++EUROPA
Whistleblower gegen Grenzschützer: „Schlag Alarm!“
Die EU-Grenzschutzagentur Frontex streitet Fehlverhalten ab. Die NGO „Frag den Staat“ ruft nun Mitarbeiter:innen dazu auf, Missstände zu melden.
https://taz.de/Whistleblower-gegen-Grenzschuetzer/!5906339/


+++FREIRÄUME
tagesanzeiger.ch 18.01.2023

Nach Hausbesetzung in Zürich: Parlament will neue Nutzung für EWZ-Kesselhaus

Im kurzzeitig besetzten EWZ-Gebäude am Letten soll ein «selbstorganisiertes Kulturhaus» entstehen. Dies verlangt eine knappe Mehrheit im Zürcher Stadtparlament.

Martin Huber

Mit 62 zu 52 Stimmen hat der Gemeinderat am Mittwochabend ein Postulat von AL und Grünen überwiesen. Dieses fordert die Stadtregierung auf, zu prüfen, wie im ehemaligen Kesselhaus des Elektrizitätswerks Letten ab sofort und für mehrere Jahre eine «selbstorganisierte Nutzung für kulturelle und politische Veranstaltungen» entstehen kann.

Bekanntheit erlangte das EWZ-Kesselhaus Anfang November. Damals besetzten Linksautonome gut eine Woche lang das Gebäude an der Limmat. Dann zogen sie ab, kurz bevor die Stadtpolizei zur Räumung auffuhr. Das städtische Elektrizitätswerk (EWZ) als Besitzerin des Hauses hatte sofort klargemacht, dass es die Besetzung nicht dulden würde, weil das Dach einstürzen könnte und sich das benachbarte Kraftwerk Letten in Gefahr befinde.

Unkommerzielle Freiräume und Treffpunkte würden in der Stadt zunehmend rarer, begründete Michael Schmid (AL) den Vorstoss. Das alte EWZ-Gebäude sei für diese Nutzung bestens geeignet, das Gebäude könnte mit wenig Aufwand und Geld zu einem Kulturort mit Publikumsnutzung umgewandelt werden. Martin Busekros (Grüne) bezeichnete es als «skandalös», dass das EWZ die Halle leer stehen und verlottern lasse. Patrick Tscherrig (SP) erinnerte daran, dass Besetzungen in Zürich schon oft «wichtige Entwicklungen» angestossen hätten.

Johann Widmer (SVP) warnte vor Steuergeldverschwendung und rechtsfreien Räumen «wie im Koch-Areal». Benedikt Gerth (Die Mitte) wies auf die Baufälligkeit des Gebäudes hin, eine Sanierung für die verlangte Zwischennutzung würde sehr teuer werden. Dieses Geld solle die Stadt besser für die Schaffung von neuem Wohnraum verwenden.

Sanierung soll 11 Millionen Franken kosten

Stadtrat Michael Baumer (FDP) erklärte, er persönlich würde eine kulturelle Nutzung an dem Ort begrüssen. Man habe das auch geprüft, sei aber zum Schluss gekommen, dass es ohne grössere Investitionen bei sanitären Anlagen, Heizung und Fluchtwegen nicht möglich sei. Zudem befinde sich das Kesselhaus weiterhin im Sicherheitsperimeter des Elektrizitätswerks Letten.

Deshalb werde das EWZ die Halle voraussichtlich bis 2027 weiterhin als Lager nutzen. Den Platz brauche man, solange das EWZ-Areal Herdern an der Pfingstweidstrasse saniert werde.

Für die Zeit nach 2027 evaluiere der Stadtrat derzeit mögliche Nutzungen. Eine Sanierung des Gebäudes dürfte bis zu elf Millionen Franken kosten. Aufgrund des Postulats will Baumer nun allerdings nochmals prüfen, ob mit wesentlich weniger Geld nicht doch eine raschere, temporäre Nutzung möglich wäre. «Versprechen kann ich allerdings nichts», sagte er im Rat.
(https://www.tagesanzeiger.ch/parlament-will-neue-nutzung-fuer-ewz-kesselhaus-775104442985)



nzz.ch 18.01.2023

Trotz Sicherheitsbedenken: Stadtrat prüft Zwischennutzung des kürzlich besetzten Kesselhauses des EWZ

Rot-grüne Politiker loben im Stadtparlament die Besetzerszene und machen Druck auf den Stadtrat.

Jan Hudec

Am 30. Oktober drangen mehrere Dutzend Menschen in das ehemalige Kesselhaus des Elektrizitätswerks der Stadt Zürich (EWZ) an der Limmat ein und besetzten es. Die Aktivisten wollten dem alten Fabrikgebäude nach eigenen Angaben «neues Leben einhauchen». Der Werkhof sollte zu einem «Sprungbrett für kulturpolitische Freiräume» werden. Die Stadt war wenig erfreut über die Aktion und liess das Haus nach einer Woche räumen. Unter anderem auch, weil das Gebäude einsturzgefährdet sei.

Mehr Freude an der Besetzung hatten hingegen einige Parlamentarier. In einem Postulat forderten AL und Grüne den Stadtrat auf, zu prüfen, wie im Kesselhaus «ab sofort und für mehrere Jahre eine selbstorganisierte Nutzung für kulturelle und politische Veranstaltungen, Selbsthilfewerkstätten und eine Küche ermöglicht werden kann». Die Forderung wurde am Mittwochabend im Stadtparlament diskutiert.

Politiker von AL, Grünen und SP bedankten sich bei den Besetzern für ihr Vorgehen. Damit hätten sie darauf aufmerksam gemacht, dass die Halle an bester Lage leer stehe. Angesichts des eklatanten Mangels an Treffpunkten für Menschen, die sich die Nutzung von kommerziellen Kulturangeboten nicht leisten könnten, sei es dringend, dass das Kesselhaus neu genutzt werde, befand Michael Schmid (AL).

Die Einwände der Stadt empfand er als vorgeschoben. Natürlich brauche es einige Anpassungen am Gebäude, namentlich fehle es an Toiletten. Aber dafür müssten sicher nicht 11 Millionen Franken ausgegeben werden. Es gehe auch einfacher. «Es braucht keinen Umbau zu einem perfekten Veranstaltungsort. Es braucht eine Zwischennutzung.»

Besetzer-Groove im Parlament

Martin Busekros (Grüne) bezeichnete es als skandalös, dass der Stadtrat das Gebäude habe verlottern lassen und eine Halle an bester Zentrumslage leer stehe, obwohl man in der Stadt ständig über Platzmangel klage. «Wir fordern die sofortige Freigabe und ein Ende der unnötigen Besetzung des Kesselhauses durch das EWZ!» Moritz Bögli von der AL sympathisierte ganz unverhohlen mit der Besetzerszene, als er die Besetzung des Kesselhauses als legitim bezeichnete.

Das rief die SVP auf den Plan, die davor warnte, im Kesselhaus würden rechtsfreie Räume geschaffen. «Dass dafür Steuergelder verschwendet werden sollen, lehnen wir entschieden ab», sagte Johann Widmer. Bei der FDP stiess man sich an der Widersprüchlichkeit der Linken. Martina Zürcher (FDP) erinnerte daran, dass sich Veranstalter in der Stadt an unzählige Regeln halten müssten im Bereich Brandschutz, Gesundheitsschutz oder Hygiene. «Geht es dann um sogenannte unkommerzielle Angebote, sollen jene Vorgaben, welche die rot-grüne Politik definiert hat, plötzlich nicht mehr gelten.»

Benedikt Gerth (Mitte) erinnerte derweil daran, dass das Dach im Kesselhaus einsturzgefährdet sei. «Natürlich würde sich der Ort für eine kulturelle Nutzung anbieten, aber dazu wären hohe Investitionen nötig.»

Sanierung unumgänglich

Stadtrat Michael Baumer (FDP) sah es ähnlich. «Sie können die Sicherheitsfrage vielleicht auf die leichte Schulter nehmen, aber wir machen das nicht.» Baumer streckte der Linken jedoch auch die Hand aus. Denn es sei tatsächlich so, dass das EWZ das Gebäude künftig nicht mehr brauche. Deshalb habe man eine neue Nutzung geprüft, «und eine kulturelle käme sicher infrage». Eine Sanierung sei aber unumgänglich, und das werde einiges kosten, nicht zuletzt, weil das Haus im Inventar der kunst- und kulturhistorischen Schutzobjekte von kommunaler Bedeutung stehe. Der Stadtrat sei aber trotzdem bereit, zu prüfen, ob mit einfacheren Massnahmen zumindest eine Zwischennutzung ermöglicht werden könnte.

Das Postulat wurde vom Parlament schliesslich mit 62 zu 52 Stimmen überwiesen.
(https://www.nzz.ch/zuerich/zuerich-will-nach-besetzung-zwischennutzung-von-kesselhaus-pruefen-ld.1722009)


+++GASSE
bzbasel.ch 18.01.2023

Härtere Drogen aber weniger Gewalt auf der Dreirosen-Anlage – die Begründung des Kantons lässt aufhorchen

Der Drogenhandel werde zunehmend professionalisiert, heisst es in einem Bericht des Kantons zu den Rangerdiensten auf der Dreirosen-Anlage. Das senke zwar das Konfliktpotenzial, hält der Kanton fest – dennoch habe das Sicherheitsgefühl der Parkbesuchenden abgenommen.

Zara Zatti

Massenschlägereien, Messerattacken, Raubüberfälle und Drogenhandel: Die Dreirosenanlage im Kleinbasel machte in den letzten Jahren vor allem mit Negativschlagzeilen auf sich aufmerksam. Um die Situation zu deeskalieren, setzte der Verein Diakonische Stadtarbeit Elim im Auftrag des Kantons im Jahr 2020 zum ersten Mal einen Rangerdienst ein. An mehreren Tagen in der Woche waren zwei Ranger auf der Anlage unterwegs, suchten das Gespräch mit Menschen, die sich nicht an die Regeln hielten, schlichteten und markierten Präsenz.

Da sich die Lage durch den Rangerdienst entspannt hat, wurde dieser auch in den letzten beiden Jahren eingesetzt. Statistisch gesehen hätten im Jahr 2022 im Vergleich zu den Vorjahren weniger Gewaltdelikte auf der Anlage stattgefunden, heisst es in einem Bericht zum Rangerdienst der Kantons- und Stadtentwicklung. So sind von Mai bis Oktober 2022 zwölf Meldungen zu Gewaltdelikten bei der Kantonspolizei eingegangen, in den zwei Jahren davor waren es 21.

Weniger Gewalt wegen organisierteren Drogenhandels

Die möglichen Gründe für den Rückgang überraschen: So habe sich die Drogenszene auf der Dreirosenanlage seit dem letzten Jahr verändert und professionalisiert. Im Jahr 2021 wurden laut Bericht noch vor allem kleinere Drogenmengen im Bekanntenkreis verkauft – letztes Jahr wurden Cannabis und vor allem Kokain im grösseren Stil und organisierter feilgeboten.

Die neuen hierarchischen Machtverhältnisse in der Drogenszene könnten zu weniger Rangkonflikten unter den Kleindealern geführt haben, hält der Bericht fest. Die Kantonspolizei Basel-Stadt spricht auf Anfrage jedoch von einer Verschlechterung der Situation im Bereich des Betäubungsmittelhandels.

Die Ranger, die letztes Jahr von Mai bis November an ausgewählten Tagen jeweils für vier Stunden unterwegs waren, beobachteten in über 714 Fällen einen Drogenhandel oder -konsum. Interveniert haben sie 29 Mal. Im Vorjahr waren es noch 46 Mal. Der Rückgang wird damit erklärt, dass die neuen Drogenhändler im Gegensatz zu den Kleindealern nicht mehr so oft vor dem Jugendzentrum aktiv waren. Mit der Kantonspolizei wurde vereinbart, dass die Ranger nur noch intervenieren, wenn in der Nähe des Jugendzentrums, der Freizeithalle oder auf dem Schulgelände konsumiert oder gedealt wird.

Mehr Meldungen bei der Kantonspolizei sind letztes Jahr auch wegen Diebstählen eingegangen. Probleme bereitet hätten ausserdem «minderjährige Asylsuchende ohne Tagesstruktur, welche sich im berauschten Zustand aggressiv verhalten haben», heisst es im Bericht des Kantons. Auch zu sexuellen Belästigungen von Sportlerinnen sei es gekommen. Eine digitale Befragung von Quartierbewohnenden und Parkbesuchenden zeigte ausserdem: Im letzten Jahr fühlten sich mehr Teilnehmende unsicher oder unwohl auf der Anlage.

Rangerdienst sucht Finanzierung auch für die Wintermonate

Christian Platz ist Präsident der Jugendarbeit (Juar) Basel, die im Brückenkopf ein Jugendzentrum, das «RiiBistro», und die Freizeithalle Dreirosen betreibt. Von einer Entspannung der Situation kann er nicht berichten, auch wenn die Rangerdienste eine gewisse Entlastung der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit sich gebracht habe: «Es eskaliert immer wieder, die Probleme nehmen eher zu als ab.» Eine Zeit lang habe man etwa einen Vorfall pro Woche registriert. «Mittlerweile sind wir schon froh, wenn nicht jeden Tag irgendetwas ist.»

Immer wieder komme es zu Beschimpfungen des Personals der Jugendarbeit und zu Streitereien zwischen Personen, die sich auf der Anlage aufhalten. «Häufig steigert sich das zu gewalttätigen Auseinandersetzungen und wir müssen die Polizei rufen.» Junge Frauen würden häufig «aufs gröbste verbal angemacht».

Christian Platz würde sich den Rangerdienst auch während den Wintermonaten wünschen: «Wenn die Quartierbevölkerung den Park wegen der Kälte nicht nutzt, ist die Situation noch schlimmer.» Für die Sommermonate ist der Rangerdienst auch dieses Jahr gesichert, für die Wintermonate sucht der Betreiberverein Elim zurzeit eine Projektfinanzierung.
(https://www.bzbasel.ch/basel/basel-stadt/neuer-bericht-haertere-drogen-aber-weniger-gewalt-auf-der-dreirosen-anlage-die-begruendung-des-kantons-laesst-aufhorchen-ld.2402388)


+++SEXWORK
Kanton Basel-Stadt soll Ausstiegsprogramme für Prostituierte ausarbeiten
Der Grosse Rat will Menschen, die aus der Sexarbeit aussteigen wollen, besser unterstützen. Die Regierung muss nun prüfen, welche Möglichkeiten es dafür gibt.
https://www.bzbasel.ch/basel/basel-stadt/sexarbeit-kanton-basel-stadt-soll-ausstiegsprogramme-fuer-prostituierte-ausarbeiten-ld.2402566


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Repression: «Ist das euer Ernst?»
In Basel stehen Ende Januar sechs junge Erwachsene vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft fordert ein Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung – obwohl ihnen bloss vorgeworfen wird, Plakate gekleistert zu haben.
https://www.woz.ch/2303/repression/ist-das-euer-ernst/!16D626T404RC


Anti-WEF-Demo in Zürich: «Wieder muss der Steuerzahler die Kosten der Demo begleichen»
Hunderte WEF-Gegner demonstrierten am Dienstag in Zürich. Es wurden Pyros gezündet und Fassaden beschmiert. «Menschen sollen das Demonstrationsrecht ausüben dürfen», heisst es bei der SP. Die SVP fordert für die WEF-Gegner Konsequenzen.
https://www.zueritoday.ch/zuerich/stadt-zuerich/wieder-muss-der-steuerzahler-die-kosten-der-demo-begleichen-149727817


+++REPRESSION DE
Nach der Razzia bei Radio Dreyeckland: „Diese Durchsuchung ist schlichtweg ein Skandal“
Der Politikwissenschaftler und Co-Chefredakteur von netzpolitik.org, Daniel Leisegang, sieht in der Durchsuchung des freien Radiosenders „Radio Dreyeckland“ eine Verletzung der Pressefreiheit. Da seien Daten mitgenommen worden und damit Redaktionsgeheimnisse, die geschützt sind, so Leisegang. Er halte das für „hochproblematisch für den Journalismus insgesamt“.
https://www.swr.de/swr2/leben-und-gesellschaft/diese-durchsuchung-ist-schlichtweg-ein-skandal-politikwissenschaftler-daniel-leisegang-kritisiert-razzia-bei-radio-dreyeckland-in-freiburg-100.html
-> https://www.heise.de/news/Polizeidurchsuchung-wegen-Link-Kritik-an-gezieltem-Einschuechterungsversuch-7462655.html
-> https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/durchsuchung-bei-radio-dreyeckland-freie-radios-sind-nicht-genug-geschuetzt



derbund.ch 18.01.2023

Protokoll des Endkampfs: Aktivisten verlassen Tunnel – dank eines Schweizer Verhandlungsprofis

Tagelang harren zwei Klimaaktivisten mit den Pseudonymen Brain und Pinky in Lützerath aus. Dann verhandelt Matthias Schranner mit ihnen.

Lisa Füllemann

 Fünf Tage lang harrten die zwei Klimaaktivisten Pinky und Brain in einem selbst gegrabenen Tunnel in Lützerath aus. Weltweit berichteten Medien über die ungewöhnliche Protestaktion gegen die Abbaggerung des Orts zwecks Förderung von Braunkohle. Ein Verhandlungsteam der Polizei verhandelte tagelang mit dem Duo – vergeblich. Anfang Woche kamen Pinky und Brain plötzlich freiwillig an die Erdoberfläche, Lützerath ist damit endgültig geräumt. Wie jetzt bekannt wurde, ist die reibungslose Bergung der Aktivisten einem Verhandlungsprofi aus der Schweiz zu verdanken: Matthias Schranner.

Der 59-Jährige war früher Verhandlungsführer bei der deutschen Polizei und wurde unter anderem vom FBI ausgebildet, wie er am Telefon verrät. Dort verhandelte er bei extremen Situationen, etwa Geiselnahmen. Nach 17 Jahren bei der Polizei machte er sich selbstständig und gründete das «Schranner Negotiation Institute» – eine Beratungsfirma, die Kunden auf der ganzen Welt bei schwierigen Verhandlungen unterstützt. Dazu gehören Konzerne, Regierungen, aber auch die UNO.

Der Energiekonzern RWE engagierte Schranner, die Verhandlung mit den zwei Aktivisten zu übernehmen, nachdem das Mandat der Polizei am Sonntagabend um 19 Uhr abgelaufen war. «Ab diesem Zeitpunkt handelte es sich nicht mehr um eine Räumung, sondern um eine Rettung», erklärt der Verhandlungsexperte. Die Polizei habe keine rechtliche Handhabe mehr gehabt, weshalb die Verantwortung an die RWE übergegangen sei – als Verwaltungsjurist kennt sich Schranner mit komplexen rechtlichen Situationen aus.

Zuerst habe er die Lage zusammen mit der RWE und der Polizei analysiert und einen Verhandlungsplan aufgestellt. Entscheidend sei dabei gewesen, dass die zwei Aktivisten freiwillig in den Tunnel gegangen waren: «Es war eine bewusste Entscheidung – das ist der grosse Unterschied zu anderen Verhandlungen.» Bei Geiselnahmen, Entführungen oder Selbstmordversuchen seien die Personen in einer emotionalen, aussergewöhnlichen Lage und gestresst. «Das war in diesem Fall nicht so. Die Aktivisten waren sachlich und hatten einen Plan.»

Energiekonzern wollte zweiten Tunnel bauen

Teil der Verhandlungsstrategie sei es gewesen, dass man die Aktivisten nicht zu überzeugen versuchte. «Rufe wie ‹Es reicht, kommt jetzt raus› waren tabu», sagt Schranner. Stattdessen habe man die Entscheidung, wie es weitergehe, stets den Aktivisten überlassen. Es sei bei Verhandlungen wichtig, dass Konsequenzen angesprochen, aber nicht als Drohung formuliert würden.

«Wir haben gesagt: ‹Es ist eure Entscheidung, ob ihr rausgeht und wann ihr rausgeht. Aber ihr müsst wissen, wie die Lage da draussen aussieht.›» Die Verhandlungen waren laut Schranner aber an einen klaren Zeitplan gebunden, ein weiteres A und O bei seinen heiklen Aufträgen. Deadlines müssten klar kommuniziert werden und dürften auf keinen Fall geändert werden. «In diesem Fall war das Credo: Wir können reden, aber nur bis Montag, 12 Uhr. Dann wird etwas passieren.»

RWE hätte dann Strafanzeige gegen das Duo eingereicht und mit dem Bau eines zweiten Tunnels begonnen, um zu den Aktivisten vorzudringen. Doch diese Bauarbeiten wären laut Schranner ein Risiko für den bestehenden Tunnel gewesen: «Es ist immer gefährlicher geworden, weil es tagelang geregnet hat und der Boden sehr weich wurde, der Tunnel hätte jederzeit einstürzen können.»

Also fragte Schranner die Aktivisten, was sie eigentlich wollen – «denn man kann nur verhandeln, wenn man eine Forderung hat». Tatsächlich erhielt Schranners Team einen Katalog mit sechs klaren Forderungen. Details zu den Punkten auf der Liste dürfe er nicht nennen, doch innerhalb von 30 Minuten sei es ihm gelungen, die Forderungen intern abzuklären und den Aktivisten Zugeständnisse anzubieten.

Der Einsatz in Lützerath war für Schranner aussergewöhnlich

Gemäss Informationen des «Spiegels» habe der Energiekonzern den Männern in Aussicht gestellt, auf die «Stellung eines Strafantrags» und die «Geltendmachung von Kosten» zu verzichten, falls sie den Tunnel freiwillig verlassen. Pinky und Brain hätten zudem unter anderem verlangt, dass der Energiekonzern sie nicht wegen Hausfriedensbruch anzeige und dass sie Lützerath vermummt verlassen dürfen, ohne dass die Polizei ihre Personalien und Fingerabdrücke aufnimmt. Zudem sollte die Polizei keine Fotos von ihnen machen und ihre Taschen und Kanister, die sie bei sich trugen, nicht durchsuchen.

Drei Stunden nach Beginn der Verhandlungen durch Schranner kam es zu einer Einigung mit den Aktivisten. Pinky und Brain stimmten zu, den Tunnel bis Montagmittag zu räumen. Als die zwei aus dem Tunnel kamen, habe er kurz mit ihnen gesprochen, sagt Schranner. «Ich habe gesagt, dass ich mich freue, dass sie wieder gesund am Tageslicht seien.»

Schranner ist ein geübter Verhandlungsführer – doch der Einsatz in Lützerath sei für ihn eine aussergewöhnliche Situation gewesen. «Normalerweise bitten Menschen in Gefahr um Hilfe. Die beiden Aktivisten waren in Gefahr und wollten keine Hilfe.» Stattdessen hätten sie damit gedroht, sich im Falle eines Räumungsversuchs an Ort und Stelle anzuketten.

Und was passiert jetzt mit den zwei Aktivisten? Videos zeigen, wie sie etwas desorientiert den Rettungsschauplatz inspizieren, den sie verursacht haben. Dann verschwanden Pinky und Brain. Am selben Abend meldeten sie sich mit einem Statement und gestanden darin ihre Niederlage ein. Aufgeben wollen sie deswegen aber nicht. «Dieser eine Kampf ist verloren, doch der Kampf für soziale Gerechtigkeit muss weitergehen», heisst es darin.



Verhandlungsexperte Matthias Schranner

Der Verhandlungsexperte Matthias Schranner berät seit 18 Jahren Kunden, Organisationen, Unternehmen und Regierungen in schwierigen Verhandlungen. Schranner hat mehrere Bücher geschrieben und ist zudem Lehrbeauftragter an der Universität St. Gallen.
(https://www.derbund.ch/aktivisten-verlassen-tunnel-dank-eines-schweizer-verhandlungsprofis-962604421126)



Statement der Anarchist*innen aus dem Lützerather Tunnel

Lützerath ist beinahe vollständig zerstört und mit unserem Verlassen des Tunnels heute morgen auch komplett geräumt. Mit gemischten Gefühlen beobachten wir, wieviel Aufmerksamkeit die Medien dem Tunnel geschenkt haben. Die Fragen, die uns am häufigsten gestellt wurden (wie es uns geht, was wir da unten gemacht haben, wie wir den Tunnel gebaut haben), sind absolut irrelevant und gehen komplett am eigentlichen Thema vorbei. Der Tunnel an sich hat keine Bedeutung, die entscheidendere Frage ist, warum er gebaut und besetzt wurde. Zu Baubeginn standen wir vor der Situation, dass ein multinationaler Großkonzern mit Unterstützung der Politik und auf Grundlage eines Gesetzes aus der Nazizeit einen der besten Lössböden Deutschlands sowie eine ganzes Dorf zerstören wollte, um mit der Förderung des ineffizientesten fossilen Energieträgers seine Profite zu steigern. Wie viele andere in Lützerath wollten wir auf diesen Missstand aufmerksam machen und die Gesellschaft auffordern, sich dem notwendigen aktiven Widerstand gegen diese Absurdität anzuschließen. Wir sind erschüttert über die Zerstörungswut, mit der sich die Polizei wieder einmal zum Handlanger eines Großkonzerns gemacht hat; es gibt ein Recht auf Dienstverweigerung und alle an der Räumung beteiligten Polizeikräfte haben sich bewusst dafür entschieden, dort ihren Beitrag zur Klimakatastrophe zu leisten. Dass sie das mit der Unterstützung der schwarz-grünen Landesregierung tun, zeigt uns wieder einmal, wie wenig sich staatliche Autoritäten um das Gemeinwohl kümmern, und dass wir den notwendigen sozialen Wandel selbst in die Hand nehmen müssen.

Dieser eine Kampf ist verloren, doch der Kampf für soziale Gerechtigkeit muss weiter gehen. Noch immer sind Aktivist*innen wegen ihres Einsatzes für Klimagerechtigkeit in Haft, noch immer arbeiten Viele für den Profit der Wenigen und die Kohle unter Lützerath liegt noch immer im Boden…
(https://paste.systemli.org/?54dbccb4f3a694a2#7g8WrMLrYTiU9FHw5qP7TrnRodoY9qg5w69hJL87V2kz)


+++KNAST
Probleme im Polizei- und Justizzentrum: Betrieb der U-Haft im PJZ verzögert sich um mehr als sechs Monate
Erst in der zweiten Hälfte 2023 werden Untersuchungshäftlinge im Zürcher Polizei- und Justizzentrum PJZ untergebracht. Über die Gründe schweigt die Justizdirektion.
https://www.tagesanzeiger.ch/betrieb-der-u-haft-im-pjz-verzoegert-sich-um-mehr-als-sechs-monate-183572464042



nzz.ch 18.01.2023

Auch Monate nach der grossen Eröffnung sitzt noch kein einziger U-Häftling im neuen Zürcher Polizei- und Justizzentrum

Das U-Haft-Regime wird erst «in der zweiten Jahreshälfte 2023» in Betrieb genommen. Über die Gründe schweigt Jacqueline Fehrs Justizdirektion.

Tobias Marti

Bei der Eröffnung kam Volksfeststimmung auf: Hunderte interessierte Bürgerinnen und Bürger nahmen das neue Zürcher Polizei- und Justizzentrum (PJZ) persönlich in Augenschein, die zahlreichen Behördenmitglieder fanden lobende Worte, und eine begrenzte Anzahl Auserwählter durfte sogar mit auf einen kurzen Rundgang im Innern.

Das war im Oktober, seither prägt der «imposante Stadtbaustein», wie das Architekten-Magazin «Hochparterre» den Justiz-Koloss adelte, das Antlitz von Zürich West.

Die Erwartungen an den ausgeklügelten Zweckbau sind hoch, was einerseits mit dessen langer Entstehungsgeschichte zu tun hat, andererseits mit den Baukosten von 570 Millionen Franken.

Der Zürcher Justiz-Apparat soll mit dem PJZ effizienter werden, die Abläufe einfacher, wie die Justizdirektion argumentierte. Statt wie bisher an dreissig Standorten verteilt, ist nun alles beisammen: etwa die Kantonspolizei Zürich, die Staatsanwaltschaft oder das Gefängnis Zürich West.

Das bedeutet weniger lange Transporte zu den Einvernahmen, da sich die Untersuchungshäftlinge bereits in der Nähe der Staatsanwaltschaft befinden.

Nur, auch Monate nach der Eröffnung sass noch kein einziger Untersuchungshäftling in einer der neuen Zellen. Denn das Untersuchungsgefängnis innerhalb des PJZ ist noch gar nicht in Betrieb, wie die Justizdirektion gegenüber der NZZ bestätigt.

Derzeit läuft dort erst der Bereich der «vorläufigen Festnahme», wie die Polizeihaft genannt wird, die aber nicht länger als 96 Stunden dauern darf. So seien seit der Eröffnung schon über 8800 Personen vorläufig festgenommen wurden. Momentan seien über die Hälfte der verfügbaren Zellen in Betrieb genommen, schreibt die Behörde.

Das neue Gefängnis Zürich West verfügt über 241 Haftplätze. 117 für U-Häftlinge, dazu 124 Einzelzellen für vorläufig Festgenommene.

Aber ausgerechnet die Untersuchungshaft lässt weiter auf sich warten. Diese umstrittenste und härteste aller Haftformen zu reformieren, hatte sich Justizministerin Jacqueline Fehr (SP) zuoberst auf die Fahne geschrieben.

In der Vergangenheit sprach die Justizdirektion stets vage von einer Inbetriebnahme im PJZ «im nächstem Jahr». Eine etappierte Inbetriebnahme sei stets gegenüber Öffentlichkeit und Politik kommuniziert worden, rechtfertigt sich die Behörde auch am Dienstag.

Jetzt wird klar, dass die Untersuchungshaft nun erst «in der zweiten Jahreshälfte 2023 in Betrieb genommen werden soll», wie die Direktion gegenüber der NZZ mitteilt. Seit der Eröffnung im Oktober ist dann weit über ein halbes Jahr vergangen.

Die Verzögerung beim PJZ ruft nun die Politik auf den Plan. So reicht der SVP-Kantonsrat Daniel Wäfler eine Anfrage dazu im Kantonsrat ein. Darin will er unter anderem wissen, wann die U-Haft im PJZ denn nun starte, was die Gründe für die Verzögerung seien und was so ein leerstehendes Gefängnis koste.

Die Erwartung sei gewesen, dass das PJZ Anfang 2023 in einen Vollbetrieb wechsle, sagt Wäfler auf Anfrage. «Wir wissen, dass es Zeit braucht, um Personal zu finden, und dass es gewisse Startschwierigkeiten geben kann. Aber eine solche Verzögerung haben wir nicht erwartet», sagt der Politiker weiter.

Und dies sei zumindest den SVP-Mitgliedern der Kommission für Justiz und öffentliche Sicherheit auch nie so kommuniziert worden.

Über die Gründe für die Verzögerung schweigt sich Fehrs Direktion auf Anfrage aus und begründet dies mit ebenjener kantonsrätlichen Anfrage, für deren Beantwortung dem Regierungsrat nun drei Monate bleiben. Also genügend Zeit bis nach den Wahlen im kommenden Monat.

Auch Thomas Manhart, von 2007 bis 2019 der Leiter des Justizvollzugs Zürich, weiss konkret nicht, warum es zu der Verzögerung kommt. Er kann sich aber vorstellen, dass die Personalsuche eine Herausforderung darstellt. Man müsse einen völlig anderen Betrieb aufbauen als bisher, wozu es geeignete Leute brauche, sagt Manhart zur NZZ.

Viele im Justizvollzug seien Berufsumsteiger, die zuerst angelernt werden müssten, erklärt Manhart weiter. Bei Dutzenden neuen Mitarbeitern komme es beim bestehenden Personal zu grösseren Umstellungen, weil diese die Neuen auch begleiten müssten. Schliesslich brauche es eine gute Durchmischung von erfahrenen und neuen Leuten.

Eine weitere Herausforderung kann laut Manhart die Totalsanierung des alten Gefängnisses im Bezirksgebäude an der Badenerstrasse darstellen. Weil dieses für dessen Umbau geleert werden muss und dafür Plätze anderswo benötigt werden, könnte das zu Koordinationsproblemen führen.

Und zu guter Letzt könnten laut Manhart auch einfach technische oder bauliche Probleme der Grund für die Verzögerungen sein.

So oder so: Solange die Justizdirektion sich nicht transparent dazu äussert, bleiben die Gründe für das verzögerte Anlaufen des Zürcher U-Haft-Regimes im PJZ im Dunkeln.

Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels hiess es, die Polizeihaft dürfe nicht länger als 48 Stunden dauern. Richtig ist, dass die Polizeihaft nicht länger als 96 Stunden dauern darf.
(https://www.nzz.ch/zuerich/pjz-in-zuerich-neue-u-haft-immer-noch-nicht-in-betrieb-ld.1721772)


+++POLICE BE
derbund.ch 18.01.2023

Gewaltsame Festnahme in Bern: Polizistin blitzt vor Gericht ab

Ging die Polizei bei einer Festnahme zu hart vor? Ein Gericht wird die Frage klären müssen. Eine Polizistin unterliegt derweil in einem Nebenverfahren.

Michael Bucher

Ein betrunkener, torkelnder Mann wird von einer Polizeipatrouille kontrolliert. Beim fremdsprachigen Mann finden die Polizisten keinen Ausweis, dafür Kokainrückstände. Für weitere Abklärungen wollen sie ihn auf die Wache mitnehmen. Gegen die Handschellen wehrt sich der Mann und schlägt um sich. Die Polizisten reichen daraufhin Anzeige ein wegen Gewalt und Drohung gegen Beamte. Die Staatsanwaltschaft glaubt den übereinstimmenden Aussagen der Polizisten. Der Mann erhält eine Busse.

Es ist nicht verfehlt, zu behaupten: Die Festnahme beim Berner Bahnhofplatz am Morgen des 11. Juni 2021 hätte unter normalen Umständen genau so geendet. Doch die Umstände sind anders. Journalistinnen und Journalisten dieser Zeitung beobachten die Festnahme. Sie scheint übertrieben hart. Sie berichten darüber – inklusive Fotos. Ein Anwalt nimmt sich dem Opfer an. Aufgrund der unabhängigen Zeugenaussagen und der Fotos kommt die Staatsanwaltschaft zum Schluss, der 28-Jährige habe die Polizisten nicht angegriffen. Sie stellt das Verfahren gegen den – mittlerweile ausgeschafften – Marokkaner ein.

«Nachgeschobene Aussage»

Doch es kommt noch dicker: Gleichzeitig klagt die Staatsanwaltschaft für besondere Aufgaben zwei beteiligte Polizisten wegen Amtsmissbrauchs und Tätlichkeiten an. Diese werden sich vor Gericht verantworten müssen. Einer von ihnen kniete zum Montieren der Handschellen auf den Hals- und Nackenbereich des Mannes. Der andere stiess ihn laut Anklageschrift «bewusst und mit unnötig starkem Schwung» ins Fahrzeug, wodurch sich der Festgenommene am Kopf verletzte.

Dass nur der Polizei fehlerhaftes Verhalten vorgeworfen wird, stiess einer involvierten Polizistin offenbar sauer auf. Gegen die Einstellung des Verfahrens gegen den Marokkaner reichte sie deshalb als Privatklägerin Beschwerde ein. Denn dieser soll sie während der Festnahme gekniffen haben.

Mit ihrer Beschwerde ist die Polizistin nun vor dem Berner Obergericht abgeblitzt, wie der nun publizierte Beschluss der zuständigen Beschwerdekammer zeigt. Die Kammer kritisiert, dass die Polizistin erst fünf Monate nach dem Vorfall vorbrachte, sie sei gekniffen worden, während im ursprünglichen Anzeigerapport bloss von einem «Klemm- und Greifversuch» die Rede gewesen sei. Wie die Staatsanwaltschaft spricht auch das Gericht von einer «nachgeschobenen Aussage».

Unnötige Fesselung?

Das Gericht anerkennt zwar, dass sich der Mann gewehrt hat. Doch das sei erst geschehen, als ihm die Polizisten die Hände hinter dem Rücken fesseln wollten. Davor habe er sich kooperativ verhalten. Der Marokkaner wollte den Polizisten laut eigenen Angaben mitteilen, dass er aufgrund eines Rückenleidens keine Fesselung hinter dem Rücken wolle. Dass er damit nicht durchdrang, hatte laut Gericht in erster Linie mit sprachlichen Problemen – der Mann sprach Italienisch – zu tun. Ausserdem könne von Gewalt gegen Beamte keine Rede sein, «wenn ein Täter einzig mit den Armen herumrudere oder bloss um sich schlage», heisst es weiter.

Die Staatsanwaltschaft liess es sich in ihrer Stellungnahme nicht nehmen, den Einsatz als Ganzes als unverhältnismässig zu kritisieren. Um den Beschuldigten auf die Polizeiwache zu bringen, hätte es mildere Mittel gegeben, als ihm die Hände auf dem Rücken zu fesseln, schreibt sie.

Während der Untersuchung mussten mehrere Journalisten dieser Zeitung als Zeugen bei der Staatsanwaltschaft aussagen. Der Verfasser dieses Artikels ist keiner von ihnen.
(https://www.derbund.ch/polizistin-blitzt-vor-gericht-ab-596568077679)


+++RECHTSPOPULISMUS
Rechtsliberale Experimente : Der Klub der rechten Apostel
Zwei Chefberater von Donald Trump haben in Zug einen Thinktank für «globale Freiheit» ins Leben gerufen. Am Gründungsanlass sprach der Schweizer US-Botschafter über die «woke Inquisition».
https://www.woz.ch/2303/rechtsliberale-experimente/der-klub-der-rechten-apostel/!M4EQXWTQ8R36


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Umstrittener «Friedensforscher» Ganser tritt im Stadtcasino auf
Der Historiker Daniele Ganser tritt Ende April im Stadtcasino auf. Das Thema: Warum ist der Ukraine-Krieg ausgebrochen? Sein Auftritt löst schon im Vorfeld Kontroversen aus.
https://www.baseljetzt.ch/umstrittener-friedensforscher-ganser-tritt-im-stadtcasino-auf/4422
-> https://www.20min.ch/story/greenfield-macher-veranstalten-ukraine-referat-mit-umstrittenem-historiker-651252718300


Verschwörungsbooster: Daniele Ganser will große Hallen füllen
Aktuell tourt der „Friedensforscher“ und zuweilen auch als Verschwörungstheoretiker oder -ideologe bezeichnete Daniele Ganser durch die Schweiz, Österreich und Deutschland. Unterdessen beschert ihm das Schlagzeilen.
https://www.endstation-rechts.de/news/verschwoerungsbooster-daniele-ganser-will-grosse-hallen-fuellen



Basler Zeitung 18.01.2023

Verschwörungserzählung: «Satanic Panic» bei der Staats­anwaltschaft?

Die Staatsanwaltschaft Solothurn steht nach SRF-Recherchen in der Kritik. Wer hat sich alles in eine Verschwörungserzählung verrannt?

Mirjam Kohler

Durch Kliniken und Psychotherapiepraxen wabert eine Verschwörungserzählung. Das haben Recherchen von «SRF rec.» gezeigt. «Satanic Panic» nennt sich das Phänomen. Menschen sind davon überzeugt, von geheimen Elitezirkeln bei satanistischen Ritualen missbraucht worden zu sein. Diese Zirkel sollen so mächtig sein, dass sie sich der Strafverfolgung entziehen können.
– SRF-Video: https://youtu.be/4GK0DETWYPQ

Zum Beispiel, so die Verschwörungserzählung, könnten die geheimen Elitezirkel ihre Opfer regelrecht «programmieren». So würden die angeblichen Opfer ruhig gehalten und würden wiederum an den Ritualen teilnehmen.

Ausserdem sollen Mitglieder von Strafverfolgung und Justiz ebenfalls Teil der Zirkel sein. So erklären die Verschwörungsgläubigen, dass weltweit noch kein Fall dieser satanistischen Zirkel nachgewiesen werden konnte.

SRF hat in der Sendung «Rundschau» vergangene Woche einen solchen Fall detailliert nachgezeichnet. Leonie, eine psychisch kranke Frau aus dem Kanton Solothurn, erzählte – und belegte gegenüber der Redaktion mit umfangreichen Akten –, wie ihr von ihrer eigenen Psychotherapeutin suggeriert wurde, dass sie Opfer ritueller Gewalt geworden sei.

Die «SRF rec.»-Recherchen legen nahe, dass sich nicht nur Therapeutinnen und Ärzte in der Verschwörungserzählung verloren haben, sondern auch die Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb), Polizei und Staatsanwaltschaft. Die satanistische rituelle Gewalt wurde von Leonies Behandlerinnen und involvierten Behörden als real existierende Gefahr angesehen, vor der man die 28-Jährige schützen müsse. Doch in der Realität gibt es keinerlei Beweise für eine solche Täterschaft.
-> SRF-Video: https://youtu.be/wzVe684qbOY

Die leitende Ärztin einer Psychiatrie schrieb in ihrem «Tatsachenbericht»: «(Leonie) wurde für die Sekte gezeugt und für die Sekte von klein auf programmiert. (…) In Voll- und Leermondnächten treffen sich die Männer in schwarzen Kutten und roten Augen auf dem Friedhof. Sie bringen im Kofferraum nackte Mädchen mit (…). Eines der Mädchen muss einen Fetus schlachten. Das Blut wird zur Reinigung getrunken, das kleine Herz gegessen …»

Verfiel der Ermittler der Verschwörungserzählung?

Die Konsequenzen für Leonie waren gravierend. So wurde sie beispielsweise in der Klinik im Psychiatriezentrum Münsingen (PZM) nächtelang ans Bett fixiert, auch weil die Behandler offenbar verhindern wollten, dass Leonie zu ihren angeblichen Peinigern geht. Ihr genereller Zustand verschlechterte sich durch die Fehltherapie deutlich, sagt sie.

Das Handeln der zuständigen Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurns wirft gemäss den SRF-Recherchen Fragen auf. Obwohl bereits beim ersten Dokument, das als Grundlage für die Strafverfolgung dienen sollte, klare Muster der «Satanic Panic» erkennbar waren, ermittelte der fallführende Staatsanwalt ausführlich.

Er liess Leonie etwa überwachen, um die Machenschaften des geheimen Zirkels beweisen zu können. Natürlich umsonst. Die Staatsanwaltschaft Solothurn musste sich deswegen den Vorwurf gefallen lassen, dass ihr Mitarbeiter selbst der «Satanic Panic» aufgesessen war. Die Behörde streitet das vehement ab. Die Ermittlungsmassnahmen seien gerechtfertigt gewesen.

Die Staatsanwaltschaft Solothurn hat nicht grundsätzlich die Tendenz, der «Satanic Panic» auf den Leim zu gehen. Der bisher prominenteste Fall von «Satanic Panic» in der Schweiz, der «Fall Nathalie», wurde ebenfalls durch die Staatsanwaltschaft Solothurn bearbeitet. Das Ermittlungsverfahren wurde abgeschlossen – mit dem Fazit, dass an den Erzählungen, die dem Kind durch sein Umfeld eingeredet wurden, absolut nichts dran sei.

In Basel werden die Mitarbeitenden geschult

Auf eine Nachfrage dieser Zeitung zum «Satanic Panic»-Fall Leonie reagiert die Behörde irritiert. Die Anfrage entbehre «jeglicher sachlichen Grundlage», und der Vorwurf, dass einzelne Mitarbeitende der Staatsanwaltschaft selbst an die Verschwörungstheorie glauben, sei «deplatziert».

Wie gehen die Staatsanwaltschaften beider Basel mit der «Satanic Panic» um? Martin Schütz, Sprecher der Basler Staatsanwaltschaft, schreibt auf Anfrage, dass sich die Behörde der Existenz der «Satanic Panic» bewusst sei. Strafverfahren seien unabhängig und ergebnisoffen zu führen, und die «Einstellungen und Prägungen unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dürfen in ihrem Berufsalltag keine Rolle spielen».

Darauf würden Vorgesetzte aufmerksam achten und «allfällige Feststellungen in dieser Richtung» umgehend thematisieren. Das passiere aber ausserordentlich selten. Generell sei ein «Tunnelblick» immer schlecht für die Ermittlungen.

Die Mitarbeitenden würden in internen und externen Weiterbildungen auf solche Thematiken sensibilisiert. Im Oktober 2022 habe beispielsweise ein Kaderanlass zum Thema Verschwörungserzählungen stattgefunden.

Michael Lutz von der Baselbieter Staatsanwaltschaft erklärt, dass die Strafverfahren jeweils von mehreren Personen bearbeitet und regelmässig durch Vorgesetzte überprüft würden.
(https://www.bazonline.ch/satanic-panic-bei-der-staatsanwaltschaft-279410792373)


+++HISTORY
Weiße Täterinnen in der Sklaverei: Eliza Ripley und Patty Cannon
Frauen waren im brutalen System der Sklaverei nicht nur Opfer der Versklavung oder stumme Ehefrauen von Plantagenbesitzern. Ein Blick auf weiße Frauen, die schwarze Menschen in Unfreiheit hielten.
https://geschichtspodcasts.de/episode/her-57/weisse-taterinnen-in-der-sklaverei-eliza-ripley-und-patty-cannon/herstory-starke-frauen-der-geschichte


Schwarze Rebellinnen gegen die Sklaverei: Breffu und Nanny of the Maroons
Frauen waren im brutalen System der Sklaverei nicht nur Opfer der Versklavung oder stumme Ehefrauen von Plantagenbesitzern. Ein Blick auf schwarze Frauen, die aktiven Widerstand gegen ihre Versklavung leisteten.
https://geschichtspodcasts.de/episode/her-56/schwarze-rebellinnen-gegen-die-sklaverei-breffu-und-nanny-of-the-maroons/herstory-starke-frauen-der-geschichte


+++MEDIENSPIEGEL LÜTZERATH-RÄUMUNG 18.01.2023:
-> https://www.l-iz.de/politik/engagement/2023/01/erklarung-raeumung-lutzerath-508052
-> https://www.derstandard.at/story/2000142681017/luetzerath-raeumung-vorne-hat-jeder-schlaege-von-der-polizei-abbekommen?ref=rss
-> https://www.zeit.de/2023/04/gruene-luetzerath-klimapolitik-tarek-al-wazir-timon-dzienus/komplettansicht
-> https://www.zdf.de/politik/frontal/kohleabbau-und-klimawandel-wie-luetzerath-die-gruenen-spaltet-klimaziel-100.html
-> https://www.zdf.de/nachrichten/politik/luetzerath-verletzte-demonstranten-polizeigewalt-100.html
-> https://www.jungewelt.de/artikel/443109.pressefreiheit-journalisten-nicht-erw%C3%BCnscht.html
-> https://www.woz.ch/2303/klimablockaden/luetzerath-wird-bleiben/!AK7G49SW0RSG
-> https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2023-01/greta-thunberg-inszenierung-luetzerath-polizei