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+++BERN
Überbrückungshilfe: Stadt Bern startet Pilotprojekt
Die Stadt Bern startet ein Pilotprojekt für Überbrückungshilfen. Es beinhaltet niederschwellige Hilfen für armutsbetroffene Menschen, die keine Sozialhilfe beziehen. Mit der Durchführung des einjährigen Pilotprojekts wurde die Fachstelle Sozialarbeit der römisch-katholischen Gesamtkirchgemeinde Bern und Umgebung (FASA) beauftragt.
https://www.bern.ch/mediencenter/medienmitteilungen/aktuell_ptk/ueberbrueckungshilfe-stadt-bern-startet-pilotprojekt
-> https://rabe.ch/2023/01/17/neues-auffangnetz-abseits-der-sozialhilfe/
-> Schweiz Aktuell: https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/stadt-bern-will-armutsbetroffenen-via-kirche-helfen?urn=urn:srf:video:a5e270d4-8f6b-4c50-9a28-6eea81b98f73
-> https://tv.telebaern.tv/telebaern-news/ueberbrueckungshilfe-stadt-bern-149713224
-> https://www.baerntoday.ch/bern/stadt-bern/koennen-augen-nicht-verschliessen-stadt-bern-will-versteckte-armut-lindern-149707251
-> https://www.neo1.ch/artikel/die-stadt-bern-will-sozial-schwachen-besser-helfen
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derbund.ch 17.01.2023
Kirche und Stadt wollen helfen: Wenn Menschen aus Angst auf Sozialhilfe verzichten
Ausländerinnen und Ausländer meiden oft den Gang aufs Sozialamt. Deshalb lanciert die Stadt Bern jetzt eine neue Überbrückungshilfe.
Marius Aschwanden
Zu Hunderten standen während der Corona-Pandemie plötzlich Frauen, Männer und Kinder in langen Schlangen vor den Essensabgabestellen. Es waren Bilder, die es in der reichen Schweiz schon lange nicht mehr gegeben hat. Damit sie nicht zur Tagesordnung werden, wird die Stadt Bern nun aktiv.
«Corona hat uns drastisch vor Augen geführt, dass wir ein bedeutendes Problem mit versteckter Armut haben», sagte Gemeinderätin Franziska Teuscher (GB) anlässlich einer Medienkonferenz. Störend ist für sie besonders die Tatsache, dass es viele Menschen gibt, die keine Sozialhilfe in Anspruch nehmen, obschon sie die Kriterien dafür eigentlich erfüllen würden.
Genau da will Teuscher nun anknüpfen mit einer niederschwelligen «Überbrückungshilfe». Das lancierte Pilotprojekt sei die vorläufige Antwort der Stadt Bern auf die «versteckte Armut» und die bestehenden «Lücken im Auffangnetz», wie es die Gemeinderätin ausdrückte.
Rund ein Viertel verzichtet
Klar ist: Dass Personen trotz Anspruch auf Sozialhilfe verzichten, ist kein neues Phänomen. Armutsforscher Oliver Hümbelin von der Berner Fachhochschule hat schon 2016 für den gesamten Kanton untersucht, wie viele Leute keine finanzielle staatliche Unterstützung beziehen. Sein Resultat: Rund ein Viertel aller Bernerinnen und Berner mit Anspruch auf Sozialhilfe macht diesen nicht geltend. Allein in der Stadt Bern würde das 1500 Personen entsprechen.
Die Gründe dafür sind vielfältig, wie Hümbelin in seiner Studie schrieb: Neben einem Autonomieverlust nennt er fehlendes Wissen, die Komplexität der Anspruchsbedingungen, gesellschaftliche Stigmatisierung oder vorhandene familiäre Unterstützung als Faktoren.
Gemeinderätin Teuscher machte auf einen weiteren Punkt aufmerksam: die 2019 in Kraft getretenen Verschärfungen im Ausländerrecht. Seit damals droht einer Person, die Sozialhilfe bezieht, der Entzug der Aufenthaltsbewilligung. «Migrantinnen und Migranten, Sexarbeiterinnen und Personen ohne festen Wohnsitz werden faktisch aus dem Hilfssystem ausgeschlossen», so Teuscher. Noch weniger Spielraum hätten Sans-Papiers.
Deshalb will die Stadt ihren Fokus bei der Überbrückungshilfe auf diese Personengruppen legen. Um ihnen die Angst vor den Behörden oder damit verbundenen negativen Konsequenzen zu nehmen, arbeitet das Sozialamt mit der römisch-katholischen Gesamtkirchgemeinde Bern und Umgebung zusammen. Sie klärt den Anspruch auf Unterstützung ab, vernetzt sich mit weiteren Organisationen und leistet die Direkthilfe.
Stadt stellt 220’000 Franken bereit
Übernommen werden Ausgaben in den Bereichen Wohnen, Essen, Kleidung und Gesundheit. Bargeld wird nicht abgegeben. Die Hilfe ist zudem zeitlich und finanziell limitiert. Eine Einzelperson bekommt höchstens 3000, ein Paar 5000 Franken bis Ende 2023. Pro Kind kommen noch einmal 500 Franken dazu. Insgesamt kostet das Projekt 220’000 Franken, die vom Stadtrat bereits bewilligt worden seien.
Neben der finanziellen Hilfe wird mit den Betroffenen auch eine Standortbestimmung vorgenommen, um einen Ausweg aus der Krise zu finden und so negative langfristige Folgen vermeiden zu können. Bei betroffenen Schweizerinnen und Schweizern gehe es hingegen von Beginn weg darum, sie zu einem Sozialhilfeantrag zu motivieren.
Ob die Verschärfung des Ausländerrechts 2019 tatsächlich dazu geführt hat, dass Ausländerinnen und Ausländer vermehrt davor zurückschrecken, Sozialhilfe zu beziehen, ist nicht erwiesen. Eine Studie von Anfang 2022 fand allerdings Anhaltspunkte dafür. So seien sowohl Hilfswerke als auch Sozialdienste seither regelmässiger mit solchen Leuten konfrontiert. Zudem zeigte die durchgeführte Umfrage, dass seit 2019 die Migrationsbehörden vermehrt die Integrationskriterien überprüfen würden – inklusive Bezug von Sozialhilfe.
Und schliesslich zeigte sich auch, dass zwischen 2016 und 2019 der Sozialhilfebezug von Ausländern deutlich zurückging, währenddessen er bei Schweizern etwa konstant geblieben ist. Auch dies deuten die Autoren als Anhaltspunkt.
Es gibt keinen Datenaustausch
Deshalb, so Claudia Hänzi, Leiterin des Stadtberner Sozialamts, sei es von zentraler Bedeutung, dass die Überbrückungshilfe nicht als Leistung der öffentlichen Hand wahrgenommen werde. «Sondern als solche, die unabhängig vom Regelsystem der Sozialhilfe funktioniert.» So gebe es beispielsweise auch keinen Datenaustausch zwischen der Kirche und der Stadt.
Begleitet wird das Pilotprojekt von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Bewährt sich dieses, wird im Herbst über eine Verlängerung bis Ende 2024 befunden. Die Schlussergebnisse würden anschliessend die Entscheidungsgrundlage dafür liefern, ob die Überbrückungshilfe auch über das Jahr 2024 weitergeführt werde, so Gemeinderätin Teuscher.
Nämlich so lange, bis ihr eigentliches Ziel erreicht ist: eine Anpassung der Sozialhilfegesetzgebung und des Ausländerrechts. Sodass die Sozialhilfe «wieder die Funktion eines echten Auffangnetzes ohne Löcher bekommt».
(https://www.bernerzeitung.ch/wenn-menschen-aus-angst-auf-sozialhilfe-verzichten-325012799536)
+++AARGAU
Asylnotlage im Aargau: Voreiliger Entscheid?
Die Asyl-Unterkünfte sind voll, es braucht dringend zusätzliche Plätze. Die Aargauer Regierung hat deshalb den Asylnotstand ausgerufen. Unterirdische Unterkünfte können nun schneller bereitgestellt werden und der Kanton könnte sogar geeignete private Liegenschaften beschlagnahmen. Ist die Situation wirklich so prekär oder handelt der Aargau voreilig und überrumpelt betroffene Gemeinden? Die Aargauer Nationalrätinnen Yvonne Feri SP und Martina Bircher SVP diskutieren es im TalkTäglich auf Tele M1.
https://www.telem1.ch/talktaeglich/asylnotlage-im-aargau-voreiliger-entscheid-149570969
-> https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/talk-taeglich-bircher-will-fluechtlinge-an-der-eu-aussengrenze-abfangen-feri-die-unterbringung-bei-privaten-forcieren-ld.2401370
Asylunterkunft in Zivilschutzanlage – so reagiert der Gemeinderat
200 Personen könnten in der Unterkunft in Birmenstorf leben. Der Gemeinderat hofft, dass ein Bezug trotz erfolgter Vorbereitungen nicht nötig sein wird.
https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/baden/birmenstorf-asylunterkunft-in-zivilschutzanlage-so-reagiert-der-gemeinderat-ld.2401712
+++LUZERN
Fehlende Asylplätze: Malters muss über 100’000 Franken Busse zahlen
Gemeinden welche zu wenig Plätze für Geflüchtete aus der Ukraine werden zur Kasse gebeten. Der Kanton Luzern hat gestern veröffentlicht, welche Gemeinden das sind. Weit oben auf der Liste stehen die Gemeinden Malters und Horw. Sie sind nicht ganz einverstanden mit dem Kanton. Bei beiden geht es um viel Geld.
https://www.tele1.ch/nachrichten/fehlende-asylplaetze-malters-muss-ueber-100000-franken-busse-zahlen-149713435
+++SOLOTHURN
solothurnerzeitung.ch 17.01.2023
Hierbleiben um jeden Preis: Aus dem Leben eines Äthiopiers, der lieber unter prekären Bedingungen in Selzach bleibt, als das Land zu verlassen
Mohammed Yesuf flüchtete 2016 aus Äthiopien in die Schweiz. Weil die Behörden nicht glauben, dass ihm dort Gefahr droht, wurde sein Asylgesuch abgelehnt. Seither lebt er von Nothilfe in Selzach.
Raphael Karpf
«Ich, Mohammed Yesuf, geboren am 20. Oktober 1984, erhebe diese Beschwerde. Ich musste meine Heimat Äthiopien im Oktober 2014 verlassen. Die äthiopischen Behörden wollten mich wieder festnehmen und foltern. Ich musste gefährliche Wege zu Fuss zurücklegen und auf einem überfüllten Boot das Meer überqueren. Ich kam am 21. Juni 2015 in die Schweiz und beantragte hier Asyl. Ich schwöre bei Gott, dass ich die Wahrheit gesagt habe. Warum das Staatssekretariat für Migration mir nicht glaubt, ist mir unklar.»
So lautet ein Auszug aus der Beschwerde von Mohammed Yesuf beim Bundesverwaltungsgericht gegen sein abgelehntes Asylgesuch.
Mohammed Yesuf kam vor sieben Jahren in die Schweiz. Dass er hier kein Asyl erhalten würde, erfuhr er vor fünf Jahren. Seither lebt er von Nothilfe im Kanton Solothurn, aktuell im Asylzentrum in Selzach.
Nothilfe, das bedeutet Existenzsicherung: ein Dach über dem Kopf, medizinische Versorgung, neun Franken pro Tag fürs Essen. Nothilfe, das bedeutet aber auch: Yesuf darf nicht arbeiten, er darf keine Deutschkurse besuchen, auch sonst keinerlei Programme, die die Integration zum Ziel haben. Abends gilt Anwesenheitspflicht im Asylzentrum.
Die Nothilfe ist als Übergangslösung gedacht. Für Personen, die das Land schnellstmöglich verlassen müssen. Trotzdem kommt es immer wieder vor, dass Menschen wie Mohammed Yesuf jahrelang auf diese Weise dahinvegetieren. Er ist kein Einzelfall.
Aufgewachsen in einer Familie von Viehbauern
Seine Geschichte hat Yesuf mittlerweile mehrfach erzählt. Zweimal den Mitarbeitenden beim Staatssekretariat für Migration (SEM). Später Freunden, die er hier gefunden hat. Nun auch noch einem Journalisten. Yesuf spricht wenig und leise, schaut dabei auf seine Hände.
Aufgewachsen ist er mit sieben Geschwistern und der Mutter auf einem Bauernhof in der Region Benishangul. Sie waren Viehbauern. Als seine Geschwister auszogen, brach Mohammed die Schule ab, um der Mutter auf dem Hof zu helfen.
Als 2012 die Oppositionspartei Semayawi gegründet wurde, sympathisierte Yesuf mit ihr. Den Mitgliederbeitrag konnte er sich nicht leisten. Doch er nahm an Versammlungen unter dem grossen Baum im Dorf teil, versuchte Jugendliche von demokratischen Werten, Menschenrechten oder der Gleichheit der Ethnien zu überzeugen.
Drei Monate im Gefängnis
Obwohl die Partei legal war, wurde, wer an den Versammlungen teilnahm, mehrmals vorübergehend verhaftet und geschlagen, so auch Yesuf. Anfang 2014 wurde er ohne Gerichtsverfahren für drei Monate ins Gefängnis gesteckt. Zusammen mit etwa hundert Personen wurde er in einer kleinen Zelle festgehalten, kaum Platz, sich hinzulegen, keine medizinische Versorgung.
Nach seiner Freilassung engagierte sich Yesuf weiter für die Partei. Einige Monate später organisierte die Regierung eine obligatorische Versammlung in Yesufs Dorf. Er nahm nicht teil, denn er war gerade zu Besuch bei seiner Tante. Dort erfuhr er, dass mehrere Jugendliche an dieser Versammlung verhaftet wurden und dass nach denen, die nicht anwesend waren, gefahndet wurde. Via Facebook erfuhr er, dass manche Jugendliche verschwunden sind. Yesuf fürchtete um sein Leben und beschloss zu flüchten.
Seine Mutter verkaufte ein Stück Land und etwas Vieh, um die benötigten 8000 Dollar für die Reise aufzutreiben. Mit dem öffentlichen Verkehr und einem Traktor fuhr Yesuf an die Grenze zum Sudan, die er zu Fuss überquerte. Von dort ging es weiter nach Libyen, wo ihm Schlepper seinen Pass abnahmen. Anschliessend reiste er illegal mit einem Boot übers Mittelmeer nach Italien und schliesslich mit dem Zug in die Schweiz, wo er um Asyl bat.
Die Behörden glauben ihm nicht
Das ist die Kurzfassung von Yesufs Geschichte. Würden Sie sie glauben?
«Ich glaube sie», sagt Nik Wepfer. Der ehemalige SP-Kantonsrat hat Yesuf im Café Wortschatz in Balsthal kennen gelernt. Sie haben sich angefreundet, Wepfer hilft Yesuf, wo er kann.
Die Behörden glauben Yesuf nicht. Es gebe erhebliche Zweifel, dass er die Wahrheit sage, steht im negativen Asylentscheid. Wieso er als Sympathisant einer legalen Partei verfolgt worden sein soll, sei nicht ersichtlich. Auch wird bezweifelt, dass sich die Behörden überhaupt für ihn interessiert hätten. Anders könne man es sich nicht erklären, dass er nach seiner Freilassung weiterhin an den angeblich verbotenen Versammlungen teilgenommen habe, obwohl die Polizei davon gewusst habe.
Auch die Art und Weise, wie Yesuf die Fragen beantwortete, waren für das SEM ein Zeichen dafür, dass er die Geschichte erfunden hätte. Er könne zwar alle Fragen beantworten, jedoch sehr knapp und mit eher allgemeinen Aussagen.
Alles in allem seien «keine überzeugenden Anhaltspunkte erkennbar», dass er in Äthiopien unmittelbar gefährdet sein soll. Also muss Yesuf das Land verlassen.
Gericht bestätigt negativen Entscheid
Das bestätigte auch das Bundesverwaltungsgericht nach Yesufs Beschwerde im August 2017. Wobei es sich gar nicht im Detail mit dem Fall beschäftigte.
Yesuf beantragte die sogenannte unentgeltliche Rechtspflege, dass also der Staat für die Verfahrenskosten aufkomme, weil er sich den Gang vor Gericht nicht leisten kann. Diese wird nur bewilligt, wenn die Beschwerde nicht als aussichtslos gilt.
Also hat das Gericht den Fall summarisch geprüft. Es kam zum Schluss, die Argumentation des SEM sei schlüssig. Damit es die Beschwerde auch noch im Detail behandelt, muss Yesuf einen Kostenvorschuss von 750 Franken leisten. Dieses Geld hat er nicht.
Seit fünf Jahren auf Nothilfe angewiesen
Das war vor über fünf Jahren. Seither müsste er das Land verlassen. Wieso das bisher nicht geschehen ist, ist von aussen schwierig zu beurteilen. Weder das kantonale Migrationsamt, welches die Rückführung vollziehen müsste, noch das Staatssekretariat für Migration beantworten konkrete Fragen zum Fall. Yesuf selbst wird ebenfalls im Dunkeln gelassen.
Anfang November musste er in Bern antraben, vermutlich, um die Rückführung zu besprechen. Vor Ort sei die Sitzung ohne Begründung wieder abgesagt worden.
Als Nik Wepfer Yesuf vor rund eineinhalb Jahren kennen lernte, versprach er ihm, sämtliche Briefe der Behörden mit ihm anzuschauen und sie ihm zu erklären. «Aber es kommt ja gar nichts», sagt Wepfer. «Ich finde es unmenschlich, jemanden so lange warten zu lassen. Seit Jahren muss er jeden Tag Angst haben, dass er abgeholt wird.»
Klar ist: Yesuf will um keinen Preis zurück. Auf seinem Handy zeigt er Fotos von Massengräbern. Er spricht von ethnischen Säuberungen in Äthiopien. Auch Verwandte von ihm seien getötet worden. «Ich kann nicht zurück.» Freiwillig wird er das Land nicht verlassen.
Zwangsrückführungen sind selten
Klar ist auch: Zwangsrückführungen nach Äthiopien werden grundsätzlich gemacht. Aber äussert selten. Letztes Jahr schweizweit gar keine, in den vergangenen Jahren waren es jeweils einzelne. Allgemein schreibt das SEM: Man beobachte die Lage in Äthiopien genau, werte auch Berichte von UNO- sowie Menschenrechtsorganisationen aus. Konkret würde jede Rückführung sorgfältig geprüft und nur vollzogen, wenn «keine Hinweise auf eine konkrete Gefährdung vorliegen».
Man gehe aber nicht von einer landesweiten Situation allgemeiner Gewalt aus, es gebe keine Veranlassung, Rückführungen ganz grundsätzlich auszusetzen.
Amnesty International ist anderer Meinung. Die Menschenrechtsorganisation empfiehlt, von Zwangsrückführungen nach Äthiopien abzusehen. Man beobachte einen ernsthaften Anstieg allgemeiner Gewalt in verschiedenen Regionen, heisst es. Es gebe keinen Teil des Landes, der «vorhersehbar sicher» sei, sodass Geflüchtete zurückgeschafft werden können.
Ist der fehlende Pass entscheidend?
Klar ist schliesslich auch: Äthiopien nimmt Flüchtlinge nur zurück, wenn sie Papiere haben. Gut möglich, dass auch das der Grund ist, dass Yesuf noch hier ist. Es gebe keine Möglichkeit, seine Familie zu kontaktieren, sagte Yesuf bei einer Befragung durch das SEM. Seine Eltern hätte man kontaktieren wollen, um seine Identität zu bestätigen.
Doch die Familie sei innerhalb Äthiopiens geflüchtet, durch einen Bekannten wisse er in etwa, wo sie sich aufhalte, Kontakt habe er aber seit zwei Jahren keinen mehr gehabt, sagt Yesuf. Somit ist vorderhand unklar, wie es mit ihm weitergeht.
Um sich zu beschäftigen, besucht Yesuf gratis Deutschkurse, organisiert von der Caritas oder im Café Wortschatz in Balsthal. Er hat kleine Arbeitseinsätze, Wohnungen putzen, im Garten helfen, er reinigt auch das Asylzentrum. Von der ORS, der Organisation, die das Zentrum betreibt, wird er als «zuverlässig, sehr engagiert, hilfsbereit und höflich» beschrieben.
Als sein Asylgesuch noch hängig war und Yesuf arbeiten durfte, war er für eine Firma im Lager tätig. Nicht für Geld arbeitete er – er verdiente drei Franken am Tag, mit dem Rest des Lohns wurde ein Teil der Sozialhilfe zurückbezahlt –, sondern um aus dem Asylzentrum herauszukommen. Um etwas zu tun zu haben. Im März 2020, beim Corona-Shutdown, half er als Freiwilliger beim Sozialwerk Pfarrer Sieber in Zürich, Essen an Bedürftige zu verteilen.
«Kann dieses Vorgehen nicht verstehen»
Wepfer schüttelt den Kopf. «Unter keinem Gesichtspunkt kann ich dieses Vorgehen verstehen. Mohammed möchte und kann arbeiten. Er bräuchte keine Nothilfe, könnte seit fünf Jahren Steuern bezahlen, dem Staat dienen. Stattdessen lässt man ihn jahrelang im Asylzentrum sitzen. Wenn man da nicht krank oder straffällig wird, muss man ganz stark sein.»
Yesuf ist kein Einzelfall. Rund 140 Menschen leben aktuell im Kanton Solothurn, deren Asylgesuche vor mindestens einem Jahr abgelehnt worden sind.
Tatsächlich gibt es die gesetzliche Möglichkeit, dass auch Menschen mit negativem Bescheid arbeiten und in eine eigene Wohnung ziehen dürfen. Durch die sogenannte vorläufige Aufnahme. Diesen Status erhalten Menschen, die zwar kein Anrecht auf Asyl haben, bei denen aber klar ist, dass eine Wegweisung «nicht zulässig, nicht zumutbar oder nicht möglich» ist. So werden beispielsweise seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan Flüchtlinge von dort vorläufig aufgenommen.
Der Unterschied zu Yesuf und all den anderen im Nothilferegime ist ein theoretischer. Bei ihnen wird eine Rückführung grundsätzlich als möglich bezeichnet. Auch wenn sie in der Praxis über Jahre nicht möglich ist.
Ärztinnen und Ärzte intervenierten
Anfang Jahr haben rund 500 Ärzte, Psychiaterinnen, Psychologen und Therapeutinnen einen offenen Brief an die Kantone und den Bund verschickt. Sie schreiben: «Die meisten Abgewiesenen leben oft jahrelang unter prekären und unmenschlichen Bedingungen.» Kritisiert werden extreme Armut, fehlende Privatsphäre in den Zentren, soziale Isolation aufgrund des Beschäftigungsverbots sowie unzureichende therapeutische Angebote für Menschen mit psychischen Beschwerden oder Traumas.
Gefordert werden verschiedene Massnahmen, um die Situation dieser Menschen zu verbessern. «Die Nothilfe wurde als vorübergehende Lösung konzipiert. Als Langzeitmassnahme ist sie unhaltbar, zermürbend, unmenschlich, grausam», heisst es im Brief.
Die Sozialdirektorenkonferenz (Solothurn wird durch Susanne Schaffner vertreten) und die Justiz- und Polizeidirektorenkonferenz (Solothurn wird durch Susanne Schaffner und Sandra Kolly vertreten) haben gemeinsam auf diesen Brief geantwortet.
Die Behörden hoffen, die Menschen gehen freiwillig
In dieser Stellungnahme wird betont, dass sich die Kantone an Bundesgesetze halten müssen. Man versuche zwar, die Kantone für die schwierigen Lebenssituationen der nothilfebeziehenden Personen zu sensibilisieren. Aber diese Menschen grundsätzlich anders zu behandeln, sei ohne Gesetzesänderung nicht möglich.
Weiter wird in diesem Brief erklärt: Die Nothilfe soll nur das absolute Minimum decken, damit betroffene Personen «ihrer Ausreisepflicht freiwillig nachkommen, da sie praktisch keinen materiellen Anreiz zum Verbleiben in der Schweiz mehr haben». Aus demselben Grund seien auch keinerlei Integrations- oder Beschäftigungsmassnahmen vorgesehen.
Wirkt diese Taktik? Führt diese Behandlung dazu, dass Mohammed Yesuf von sich aus das Land verlässt? Seine Antwort fällt kurz aus: «Ich kann nicht zurück.»
Dann schaut er von seinen Händen auf und wird nachdrücklicher: «Ich möchte hierbleiben, arbeiten, für mein Leben bezahlen, wie alle anderen auch. Ich kam mit anderen Flüchtlingen aus Libyen hierher. Wieso werden sie akzeptiert, ich aber nicht? Ich bin auch ein Mensch, bin gesund und habe Kraft. Ich will meine Freiheit und nicht in diesem Camp bleiben.»
(https://www.solothurnerzeitung.ch/solothurn/kanton-solothurn/nothilfe-im-kanton-solothurn-hierbleiben-um-jeden-preis-aus-dem-leben-eines-aethiopiers-der-lieber-unter-prekaeren-bedingungen-in-selzach-bleibt-als-das-land-zu-verlassen-ld.2392069)
+++ZÜRICH
So sieht die Asylunterkunft im Ex-Polizeigebäude aus
Ein neues Durchgangszentrum auf dem Zürcher Kasernenareal bietet Platz für rund 300 Asylbewerbende. Grund für die Zwischennutzung der ehemaligen Polizeikaserne sei die angespannte Situation im Asylwesen, so der Kanton.
https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/zuerich/zuercher-kasernenareal-so-sieht-die-asylunterkunft-im-ex-polizeigebaeude-aus-ld.2401672
+++SCHWEIZ
Abschiebungen um jeden Preis
Der Bund schiebt Ausländer in gecharterten Privatflugzeugen ab und vertuscht die Flüge. Werden die Menschenrechte eingehalten? Jetzt schaltet sich die Antifolterkommission ein.
https://www.republik.ch/2023/01/17/abschiebungen-um-jeden-preis
+++DEUTSCHLAND
Viele Flüchtlinge sind zu Unrecht in Abschiebehaft
Der Anwalt Peter Fahlbusch vertritt Menschen, die abgeschoben werden sollen und zuvor in Haft sitzen – jeder zweite zu Unrecht. Das ist teuer und hat keinen belegten Nutzen, aber die Regierung tastet den Missstand nicht an.
https://www.sueddeutsche.de/politik/abschiebung-haft-fluechtlinge-1.5733277
+++OSTEUROPA
Migranten an Ungarns Grenze: Vor den Zäunen
Migranten wollen über die serbisch-ungarische Grenze in die EU kommen. Menschen wie Nicolai Kißling versuchen zu helfen, können aber nur wenig tun.
https://taz.de/Migranten-an-Ungarns-Grenze/!5906282/
+++GASSE
bernerzeitung.ch 17.01.2023
Zwang zu Videoüberwachung: Breiter Widerstand gegen die «Lex Reitschule»
Der Kanton Bern will Gemeinden zwingen können, Hotspots mit Kameras zu überwachen. Das ist umstritten und könnte ein Fall für die Gerichte werden.
Michael Bucher
Erhält die Kantonspolizei Bern mehr Kompetenzen, beschränkt sich der Widerstand in der Regel auf die linken Parteien. In der Vernehmlassung zum teilrevidierten Polizeigesetz, die am 6. Januar endete, reicht die Kritik jedoch weit in die Mitte hinein. Selbst die SVP muckt auf.
Konkret geht es um jene Bestimmung, wonach die kantonale Sicherheitsdirektion an öffentlichen Orten mit «erhöhter Gefahrenlage» gegen den Willen der Gemeinde eine Videoüberwachung anordnen kann. Vorausgesetzt, die Gemeinde bleibt trotz «entsprechender Empfehlung» untätig. Die Kosten für die aufgezwungene Videoüberwachung müsste danach die Gemeinde berappen.
Reitschule im Visier?
SP, die Grünen, GLP und EVP lehnen das Ansinnen dezidiert ab. Es sei ein Angriff auf die in der Kantonsverfassung geschützte Gemeindeautonomie. Die SVP stört sich primär daran, dass der Videozwang nicht etwa vom Gesamtregierungsrat beschlossen werden soll, sondern allein von Sicherheitsdirektor Philippe Müller (FDP).
Ebenso lehnen die Städte Bern und Biel die Zwangsbestimmung ab. Der Widerstand beschränkt sich jedoch nicht auf die Städte. Deutliche Kritik gibt es auch vom Gemeindeverband. «Demokratiepolitisch wäre eine solche Regelung höchst problematisch», schreibt dieser in seiner Vernehmlassungsantwort. Das Konzept sei ausserdem zu wenig «ausgereift», es fehle an sachlichen Kriterien. «Damit besteht die Gefahr einer willkürlichen und politisch motivierten Anordnung von Videoüberwachungen», so das Fazit.
Diesen Verdacht hegte Biels Stadtpräsident Erich Fehr (SP) bereits letzten Herbst, als er gegenüber dieser Zeitung sagte, es handle sich dabei um einen «Angriff auf links-grün regierte Städte». Andere Stadtberner Politikerinnen und Politiker gehen noch weiter, wenn sie hinter vorgehaltener Hand finden, der Passus ziele einzig auf die Reitschule ab. Obwohl das autonome Kulturzentrum in der Mitteilung der Stadt nicht erwähnt wird, so dürften solche Überlegungen durchaus eine Rolle gespielt haben.
Die These einer «Lex Reitschule» hat letzte Woche Regierungsrat Philippe Müller persönlich befeuert. In einem Beitrag auf Twitter bringt er die autonome Kulturstätte als möglichen Hotspot für Videoüberwachung ins Spiel. Der Grund: Anfang Jahr wurde beim Skatepark vor der Reitschule eine schwer verletzte Person gefunden.
Dass Müller bei der erstbesten Gelegenheit die Reitschule ins Spiel bringt, überrascht Edith Siegenthaler nicht. Das bestätige die verbreitete These, dass es bei dem Gesetzesartikel unter anderem um die Reitschule gegangen sei, sagt die SP-Grossrätin und Vizepräsidentin der Sicherheitskommission.
Auf Anfrage rudert Philippe Müller zurück. Es wäre falsch, schon jetzt konkrete Beispiele zu nennen. «Ob und wo ein solcher neuralgischer Ort mit erhöhter Gefahrenlage besteht, ist im Einzelfall nach Inkrafttreten der Gesetzesanpassung nach sachlichen Kriterien zu beurteilen», heisst es nun plötzlich. In seiner schriftlichen Antwort betont er mehrfach, dass er als Sicherheitsdirektor bloss einen vom Grossen Rat überwiesenen Vorstoss 1:1 umsetze. Eingereicht hatte die Motion zum Videozwang Francesco Rappa (Die Mitte).
Müller stört sich auch daran, dass bei der Debatte eine zentrale Frage nicht wirklich diskutiert werde. Nämlich jene, ob das Aufklären und Verhindern von Gewalttaten und Sexualdelikten nicht «einen vergleichsweise schwachen Eingriff» wie das Aufstellen einer Kamera rechtfertige? Zumal die Videoaufnahmen ja nur dann ausgewertet würden, wenn eine Straftat erfolgt sei.
Nause hat resigniert
Vom heutigen Regierungsrat weiss man, dass er schon als Stadtberner Parlamentarier ein Verfechter von Videoüberwachung im Raum Schützenmatte/Reitschule war. Auch der städtische Sicherheitsdirektor Reto Nause (Die Mitte) hat nie ein Geheimnis aus seiner Haltung gemacht. Gleichzeitig hat er sich schon vor Jahren damit abgefunden, dass er mit diesem Vorhaben im rot-grün dominierten Bern wohl nie durchdringen wird. Nause spricht von «fundamentalistischem Eifer», mit dem Videoüberwachung in Bern bekämpft werde.
Dass sein Begehren durch Müllers Sicherheitsdirektion erzwungen werden könnte, geht aber auch ihm zu weit. Ausserdem seien Fragen offen: «Was passiert zum Beispiel, wenn der Stadtrat das Budget zur Videoüberwachung nicht genehmigt?» Denn laut Reglement müssen Investitionen von über 300’000 Franken vom Stadtparlament abgesegnet werden. Dass dieser Betrag bei der Schützenmatte locker überschritten werden würde, ist für Nause klar. «Es bräuchte wohl mehrere Kameras, die zudem vor Vandalismus geschützt sind.»
Als Referenz zieht er seinen bislang einzigen Versuch heran, in der Stadt den öffentlichen Raum zu überwachen. Vor zehn Jahren war das. Es ging um den «Fanwalk» zwischen Bahnhof Wankdorf und dem Gästesektor des Wankdorfstadions. Die geplanten 13 Kameras hätten 770’000 Franken verschlungen, hinzu wären jährliche Betriebskosten von 140’000 Franken gekommen. Das Vorhaben wurde schliesslich als zu teuer verworfen.
Studien bezweifeln Nutzen
Der Zwang zur Videoüberwachung könnte dereinst gar ein Fall für die Justiz werden. Falls das Gesetz im Grossen Rat tatsächlich durchkommen sollte, kann sich SP-Grossrätin Edith Siegenthaler gut vorstellen, dass ihre Partei oder sonst eine Organisation den Eingriff in die Gemeindeautonomie von einem Gericht prüfen lassen würde.
Tatsächlich sei es möglich, den umstrittenen Passus in Form einer sogenannten «abstrakten Normenkontrolle» vor Gericht zu bringen, meint auf Anfrage Rechtsanwalt und SP-Stadtrat Dominic Nellen. Dazu legitimiert wären laut ihm aber wohl primär Gemeinden, da deren Rechte betroffen seien. Ob die Stadt Bern diesen Weg allenfalls einschlagen würde, dazu will sich Sicherheitsdirektor Nause noch nicht festlegen.
Was Rechtsanwalt Nellen am Gesetzesartikel weiter kritisiert: Nirgends werde auf Studien verwiesen, die den Nutzen von Videoüberwachung bei der Gewaltprävention nachweisen würden. Das überrasche ihn nicht, denn einen solchen Nutzen gebe es nicht, das würden zahlreiche Studien zeigen.
Er verweist auf die Stadt Luzern, die Ende der Nullerjahre testweise den Bahnhofplatz mit Kameras ausgestattet hatte. Die Bilanz nach zwei Jahren war ernüchternd, ein präventiver Effekt nicht feststellbar. Kurioserweise wurden in dem Zeitraum gar mehr Delikte registriert. 2015 stellte auch die Stadt Thun ein Pilotprojekt aus ähnlichen Gründen vorzeitig ein.
Doch warum ist das so? Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen hat in einer Studie dazu vor vier Jahren Folgendes festgehalten: Videoüberwachung habe höchstens bei Diebstählen – etwa in Zügen oder Bussen – eine eindämmende Wirkung, da ein Raub meist im Voraus geplant werde. «Bei Gewaltdelikten, wo die Taten oftmals im Affekt geschehen, bringt eine solche Überwachung keinerlei Nutzen.»
(https://www.bernerzeitung.ch/breiter-widerstand-gegen-die-lex-reitschule-211085904883)
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tagblatt.ch 17.01.2023
Dank Methadon hat der Ostschweizer Michael Baumgartner seine Heroinsucht im Griff – doch jetzt droht das Opioid knapp zu werden
Bilder: Michel Canonica
Zwischen einem geregelten Alltag und dem Rückfall liegt bei manchen Süchtigen eine Methadon-Tablette. Doch diese wird nicht mehr produziert, weil Swissmedic dem Hersteller die Bewilligung entzog. Deshalb könnte bald nicht nur Methadon ausgehen, sondern auch andere Opioide. Was der drohende Engpass für Süchtige bedeutet, erzählt ein Betroffener.
Aylin Erol
Michael Baumgartner hat heute Morgen schon «gefixt», wie er sagt. Jeden Tag holt er sich seine Ration Heroin am Schalter der Stiftung Suchthilfe St.Gallen, im Herzen der Kantonshauptstadt. Die Mitarbeitenden der Suchthilfe stellen es ihm dort in Spritzen zur Verfügung. Nehmen kann er es dann direkt nebenan, an einem kleinen, runden Tisch.
Desinfektionsmittel und Pflaster stehen schon bereit. «Ich benutze immer dasselbe Loch, dieselbe Vene», sagt Baumgartner. Das gehe gut, weil der Stoff, den sie hier bekämen, so sauber sei. «Da kann nichts kaputtgehen», sagt der 54-Jährige und zeigt auf seinen rechten Unterarm. Dort verdeckt ein weisses Pflaster den Einstich. Sein Blut hat darauf einen roten Fleck hinterlassen.
Drogen waren seit der Jugend an der Tagesordnung
«Oft sind noch drei weitere Personen an einem Tisch neben mir und geben sich ihren Knall», sagt Baumgartner. Das habe ihn zu Beginn gestört. Denn sobald das Heroin wirke, würden manche ganz laut und redselig. Viele seien einsam, von der Gesellschaft ausgeschlossen. Das Heroin gebe ihnen wieder Glücksgefühle.
«Ich selbst merke nur noch ein kurzes Kribbeln, werde nicht high.» Nach so vielen Jahren merke man nicht mehr viel vom Hochgefühl des Heroins. Angefangen zu spritzen, hat Baumgartner Mitte zwanzig, also vor dreissig Jahren. «Ich habe eine Abhängige dazu überredet, mir eine Spritze zu geben. Sie wollte zuerst nicht. Heute weiss ich, wieso.»
Er habe schon mit 13 Jahren gekifft, in der Lehre mit Koks angefangen und deshalb geglaubt, er habe alles unter Kontrolle. Doch Heroin war anders. Baumgartner war sofort süchtig. «Zuerst brauchst du’s einmal im Monat, dann einmal in der Woche. Und dann, wenn du bei der täglichen Spritze angelangt bist, hast du verloren.» Schnell hatte das Heroin ihn unter Kontrolle – bis heute.
Magen-Darm-Grippe und Schüttelfrost: So fühlt sich Entzug an
In all den Jahren hat er schon mehrfach versucht, vom Stoff, der als tödlichste Droge gilt, loszukommen. Am besten funktioniert hat es bisher unfreiwillig im Gefängnis. Dort gelandet ist Baumgartner in jüngeren Jahren, als er eine Tankstelle überfiel. «Ich brauchte natürlich Geld für Heroin.»
Im Knast kam er nicht an den Stoff heran und war auf Entzug. «Das ist ein ganz schlimmes Gefühl. Wie Magen-Darm-Grippe, Fieber, Schüttelfrost, Herzrasen, Angst – alles zusammen», erklärt Baumgartner resigniert und schüttelt sich. An die nüchterne Zeit erinnert er sich aber gut. «Mein Körper fühlte sich wieder viel besser an. Gesünder.» Sogar regelmässig Sport habe er damals wieder treiben können.
Doch kaum kam Baumgartner wieder auf freien Fuss, lockte ihn das alte Umfeld zurück an die Spritze. Inzwischen hat er die Hoffnung aufgegeben, dass er eines Tages vom Heroin loskommt. «Ich versuche einfach, so gut wie möglich mit der Sucht zu leben.» Seit einigen Jahren wohnt er mit seiner Frau in einer «ganz schönen Stadtwohnung», wie er es beschreibt. Geld bekommt Baumgartner von der IV. Nachmittags arbeitet er in einer Tagesstätte, wo er Sujets in Holz einbrennt.
Methadon ermöglicht «normales» Leben
Dass Baumgartner heute ein relativ normales Leben führen kann, hat er unter anderem Methadon zu verdanken. Das chemische Opioid wirkt ähnlich wie Heroin: schmerzlindernd, leicht euphorisierend – und süchtig machend. Dafür aber hält seine Wirkung im Gehirn länger an als das zerstörerische Heroin und hält ihn erst noch von einer Überdosis ab. Methadon ist deshalb der am häufigsten verabreichte Wirkstoff, um Heroinsucht zu therapieren.
In den 90er-Jahren nahm Baumgartner in Winterthur als einer der ersten an einem Methadon-Programm für Heroinabhängige teil. Kurz nachdem sein Bruder verstarb. Mit roten, wässrigen Augen erklärt Baumgartner: «Mein Bruder hat auch gefixt, ist zwar nicht an einer Überdosis gestorben, aber an den Konsequenzen der Heroinabhängigkeit.»
Seither ist er bei der Suchthilfe, wo er über die Jahre immer wieder andere Therapien versucht hat. Vor drei Jahren ist er schliesslich wieder bei Methadon angelangt. Wenn Baumgartner seine tägliche Ration Heroin abholt, gibt ihm die Suchthilfe auch 90 Milligramm flüssiges Methadon mit, abgefüllt in ein kleines Fläschchen. «Das nehme ich dann am Abend, damit ich’s bis zum nächsten Tag schaffe.» Die beiden Suchtmittel wurden für Baumgartner optimal aufeinander abgestimmt.
Methadon-Hersteller wurde Bewilligung entzogen
Wie lange dieses Vorgehen noch möglich sein wird, ist derzeit ungewiss. Denn der Schweiz droht ein Methadon-Engpass. Dies, weil Swissmedic im November dem grössten einheimischen Hersteller von Methadon-Tabletten, der Amino AG in Gebenstorf (AG), wegen Sicherheitsmängeln die Betriebsbewilligung entzog.
Zwar besitzt die Schweiz ein Notlager für Methadon-Tabletten. Da dieses jedoch im Besitz der Amino AG ist, darf es nicht angetastet werden. Das Bundesamt für Gesundheit und Swissmedic stehen aber nicht nur deshalb in der Kritik, sondern auch, weil zum Zeitpunkt, als über die Schliessung informiert wurde, bereits keine Tabletten mehr bestellt werden konnten.
Gemäss der Schweizerischen Gesellschaft für Suchtmedizin (SSAM) haben deshalb inzwischen selbst Grosshändler keine Methadon-Tabletten mehr, die sie an Apotheken und Arztpraxen vertreiben könnten (Ausgabe vom 6. Januar). Viele Süchtige weichen darum auf den flüssigen Wirkstoff aus, den Baumgartner täglich verwendet. Deshalb droht aber auch dieser bald knapp zu werden.
Suchthilfe und Betroffene sind sich Engpässe gewohnt
Von all dem wusste Baumgartner bis kurz vor dem Gespräch nichts. Und er glaubt auch, dass vielen Süchtigen der drohende Engpass noch nicht bewusst ist. «Wenn man die von der Suchthilfe fragt, die mir mein Methadon geben, heisst es: ‹Du musst dir keine Sorgen machen.› Aber weiter oben tönt es ganz anders.»
«Weiter oben» ist in diesem Fall bei Regine Rust, Geschäftsleiterin der Stiftung Suchthilfe in St.Gallen. Sie sagt: «Es ist schon so, dass wir traurigerweise Engpässe und Lieferverzögerungen gewohnt sind.» Sevre Long, ein ebenfalls häufig verwendetes Opioid, sei in den letzten Jahren etwa immer mal wieder knapp gewesen. Auch hier stellt nur eine einzige Firma das Medikament her. «Noch ein Klumpenrisiko», nennt Rust diese Ausgangslage, die auch den Methadon-Tabletten-Engpass verursacht hat.
Die Suchthilfe St.Gallen hätte bei allerlei Engpässen bisher immer Lösungen für ihre Klientinnen und Klienten gefunden. Rust sieht es daher als Vertrauensbeweis an, dass sich diese noch nicht verunsichern lassen. Die jetzige Situation aber sei anders: «Dass eine ganze Produktion geschlossen wird, hatten wir noch nie.» Rust befürchtet darum, dass in einem halben Jahr neben Methadon auch andere Opioide knapp werden.
Opioid-Knappheit mit schweren Folgen?
Für Süchtige kann das gefährlich werden. Rust erklärt den langwierigen Prozess, den ihre Klientinnen und Klienten hinter sich haben, bis sie die für sie passende Medikamentenkombination gefunden haben, die sie vertragen, und fügt dann an: «Die Gefahr, dass die Leute rückfällig werden, ist gross, wenn sie unter den Nebenwirkungen anderer Medikamente leiden!»
Dass es vom Rückfall bis zum plötzlichen Tod schnell gehen kann, hat Michael Baumgartner schon viele Male erlebt. «Man merkt der Person nichts an, alles ist gut. Und dann Zack! Steht plötzlich wieder ein Kerzchen bei uns am Schalter und daneben ein Bild. Tot.» Das lasse einen nicht kalt.
Baumgartner lässt sich von den trüben Aussichten nicht verunsichern. Er habe bis jetzt alles durchgestanden. «Ich werde einfach Sevre Long nehmen und dann ist gut. Freunde nehmen das auch und vertragen es gut.»
Dass Sevre Long wegen des Methadon-Engpasses aber ebenfalls knapp werden könnte, diese Information ist noch nicht bis zu ihm vorgedrungen. Und vielleicht ist das auch besser so. «Was in ein paar Monaten wirklich sein wird, wissen wir einfach nicht», sagt Regine Rust. Ihre grösste Angst ist jedoch, dass in einer solchen Notsituation ein Mal mehr jene Menschen in Vergessenheit geraten, die ohnehin oft von der Gesellschaft vergessen werden.
(https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/ressort-ostschweiz/abhaengigkeit-dank-methadon-hat-der-ostschweizer-michael-baumgartner-seine-heroinsucht-im-griff-doch-jetzt-droht-das-opioid-knapp-zu-werden-ld.2401397)
+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Hunderte demonstrieren in Zürich gegen das WEF
In Zürich demonstrieren am Dienstagabend hunderte Menschen gegen das Weltwirtschaftsforum (WEF). Dabei fliegen auch Feuerwerkskörper durch die Luft.
https://www.nau.ch/news/schweiz/hunderte-demonstrieren-in-zurich-gegen-das-wef-66395798
-> https://www.watson.ch/schweiz/z%c3%bcrich/647927699-hunderte-leute-demonstrieren-in-zuerich-gegen-das-wef
-> https://www.blick.ch/wirtschaft/wef/autoschlange-vor-davos-protestaktion-gegen-wef-sorgt-fuer-stau-vor-davos-id18220631.html
-> https://www.20min.ch/story/wef-2023-davos-liveticker-alle-news-infos-videos-abseits-der-offiziellen-events-155872358269
-> https://twitter.com/MegahexF
-> https://twitter.com/RaimondLueppken
-> https://www.zueritoday.ch/zuerich/stadt-zuerich/hunderte-wef-gegner-ziehen-durch-die-zuercher-innenstadt-149714031
-> https://www.tagesanzeiger.ch/hunderte-protestierende-huellen-firmensitz-in-schwarzen-rauch-505963242248
-> https://twitter.com/rjbw_org
-> https://twitter.com/gegen_oben
-> Demoaufruf: https://barrikade.info/article/5541
«Wilde Horde von Queers und trans Personen» besetzt Haus
In Basel wurde eine leerstehende Liegenschaft über Nacht von einer Gruppe von Queers und trans Personen besetzt. Sie würden bei der Wohnungssuche diskriminiert, sagen sie.
https://www.20min.ch/story/wilde-horde-von-queers-und-trans-personen-besetzt-haus-537674249792
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/ambulantes-gesundheitszentrum-laufen-baubewilligung-ist-da?id=12319843 (ab 05:14)
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Haus im Gellert besetzt
Im Basler Gellert-Quartier wurde in der Nacht auf Dienstag ein Mehrfamilienhaus besetzt. Wie die Pendlerzeitung «20 Minuten» mit Berufung auf ein Bekennerschreiben berichtet, handelt es sich um ein seit mehreren Jahren leerstehendes Gebäude an der Hardstrasse 99.
Die Besetzenden bezeichnen sich im Communiqué als «wilde Horde von Queeren und trans Personen». Man sei «empört, dass Hausbesitzende das Recht haben, so viel Platz und Wohnraum so lange ungenutzt zu lassen». Als gendernonkonforme Personen würden sie besonders unter Wohnungslosigkeit leiden.
Der Basler Kantonspolizei war die Besetzung bis zur Anfrage von «20 Minuten» am Dienstagmorgen nicht bekannt. (bor)
(https://www.bazonline.ch/newsticker-region-basel-297230329650)
Claus Noppeney: Berner Professor und Klimaaktivist
Claus Noppeney engagiert sich bei der Klimabewegung «Renovate Switzerland». Wie kommt ein HSG-Ökonom und Hochschulprofessor dazu, Autobahnen zu blockieren? Wie weit darf Klimaaktivismus gehen? Und was bringt er wirklich?
https://www.srf.ch/audio/tagesgespraech/claus-noppeney-berner-professor-und-klimaaktivist?id=12319906
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Gymilehrer nahm an Strassenblockade teil: Verurteilt und fast gefeuert
Roman S. blockierte 2021 eine Zürcher Strasse zusammen mit Extinction Rebellion. Er wurde wie andere wegen Nötigung angeklagt. Protokoll einer Gerichtsverhandlung zur Klimakrise.
https://www.watson.ch/schweiz/klima/493014946-gymilehrer-nahm-an-strassenblockade-teil-verurteilt-und-fast-gefeuert
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Feministische Streikkollektive künden Riesen-Streik an: «Es braucht Druck von der Strasse»
Warum es wieder so werden soll wie 1991 und 2019, was die Covid-19-Pandemie damit zu tun hat und warum es jetzt «feministischer Streik» und nicht nur mehr «Frauenstreik» heisst – eine Übersicht in drei Punkten.
https://www.watson.ch/schweiz/feminismus/882346588-vorschau-auf-den-frauenstreik-2023-er-soll-wieder-riesig-werden
SVP-Tadel und Lob der Grünen für Polizei nach Klima-Protestaktion
Die St.Galler SVP kritisiert die „falsche Toleranz“ der Polizei gegenüber den Klima-Aktivisten, die am Montag auf dem Flugplatz Altenrhein friedlich gegen das Weltwirtschaftsforum (WEF) demonstrierten. Die Grünen loben den „professionellen Einsatz“ der Polizei.
https://www.toponline.ch/news/stgallen/detail/news/svp-tadel-und-lob-der-gruenen-fuer-polizei-nach-klima-protestaktion-00203477/
+++REPRESSION DE
„Schwerer Eingriff in die Rundfunkfreiheit“: Hausdurchsuchung bei Radio Dreyeckland
Heute um kurz nach 8h früh stand die Polizei mit zehn Beamten und eine unabhängige Zeugin vom Polizeipräsidium bei Radio Dreyeckland auf der Matte und durchsuchte auch die Privaträume zweier Redakteure mit der Begründung „Verstoß gegen das Vereinigungsverbot“. Dabei wurden auch Datenträger mitgenommen. Grund war der unten verlinkte Artikel vom August 2022. Die Argumentation der Staatsanwaltschaft zielt darauf ab, RDL als „verlängerten Arm“ von linksunten indymedia zu betiteln. Dies rechtfertige auch den Eingriff in die Pressefreiheit. Hört den Kommentar von Kollege Michael.
https://rdl.de/beitrag/hausdurchsuchung-bei-radio-dreyeckland
-> Mittagsmagazin nach der Hausdurchsuchung bei Radio Dreyeckland 17.01.23: https://rdl.de/beitrag/mittagsmagazin-nach-der-hausdurchsuchung-bei-radio-dreyeckland-170123
-> https://netzpolitik.org/2023/linkhaftung-scharfe-kritik-an-razzia-bei-freiburger-radiosender/
-> https://www.nd-aktuell.de/artikel/1170204.radio-dreyeckland-razzia-bei-journalisten.html
-> https://rdl.de/beitrag/230117-pm-hausdurchsuchung
-> https://www.spiegel.de/netzwelt/web/radio-dreyeckland-ermittler-durchsuchen-sender-wegen-link-auf-indymedia-a-374a6962-2a27-460a-8e37-7a971a0d459d?utm_source=dlvr.it&utm_medium=twitter#ref=rss
-> https://www.nd-aktuell.de/artikel/1170224.freiburger-radio-dreyeckland-graulich-schlaegt-zurueck.html
-> https://taz.de/Razzia-bei-Radio-Dreyeckland-in-Freiburg/!5909781/
+++RASSISMUS
tagblatt.ch 17.01.2023
«Nichts Böses dabei gedacht»: Rheintaler Sternsinger färben ihre Gesichter schwarz – und entfachen eine Blackfacing-Debatte
Im Rheintal verkleiden sich Sternsinger meist noch ganz traditionell als Caspar, Melchior und Balthasar. Weil einer der Heiligen Drei Könige vagen Überlieferungen zufolge schwarz gewesen sein soll, gehört zur authentischen Kostümierung auch das Färben des Gesichts. Ob das noch zeitgemäss ist? Darüber scheiden sich im Rheintal die Geister.
Cassandra Wüst
Mit bunten Gewändern, Kronen und einem Stern ausgerüstet sind in der vergangenen Woche die Kinder durchs Rheintal gezogen, haben Häuser gesegnet und Geld für einen guten Zweck gesammelt. Eine Tradition, die aufgrund schwarz gefärbter Gesichter, um einen der König darzustellen, immer wieder Aufsehen erregt. Denn: Was für viele Menschen eine geliebte Tradition ohne böse Absichten ist, sehen andere eher kritisch. Von Rassismus und der Verbreitung von Vorurteilen ist die Rede.
Geschichte, Überlieferung oder Volksglaube
«Absurd» findet Roman Ammann, der die administrativen Aufgaben des Sternsingens von Kobelwald-Hub-Hard übernimmt. Er sagt: «Hier wird politische Korrektheit an den Haaren herbeigezogen, wo sich niemand etwas Böses dabei gedacht hat.» Schliesslich gehe es nicht um eine Fasnachts-, sondern um eine historische Figur, betont er und fügt hinzu: «Uns geht es in keiner Art und Weise darum, etwas ins Lächerliche zu ziehen, sondern darum, den guten Gedanken, dass Kinder sich für andere einsetzen, weiterzutragen.» Schliesslich wolle man mit dem Schminken des Königs lediglich eine überlieferte Geschichte nachstellen.
Je nach Übersetzung sucht man in der Bibel vergeblich nach den Heiligen Drei Königen. Stattdessen ist oft von Magiern, Weisen und Sterndeutern die Rede. Erst der Volksglaube machte sie zu Königen, gab ihnen Namen und verbreitete im späten Mittelalter deren Darstellung als Repräsentanten der damals bekannten Kontinente Europa, Asien und Afrika – deshalb wurde einer der Könige als schwarzer Mann dargestellt. Die Sternsinger und Sternsingerinnen nahmen sich diese Darstellung zum Vorbild und malten das Gesicht eines der Kinder fortan ebenfalls schwarz an.
Obwohl «Blackfacing» nichts mit dem Schminken beim Sternsingen zu tun hat, wird es von einigen Menschen damit in Verbindung gebracht. Im Rheintal wird mancherorts deshalb auf das Schwärzen der Gesichter verzichtet. In Heerbrugg werden die Sternsinger-Kinder schon seit einigen Jahren nicht mehr geschminkt. «Wir halten es für unnötig und nicht für politisch korrekt. Die Kinder können so gehen, wie sie sind», sagt Reinhard Paulzen, Pfarreibeauftragter in Heerbrugg.
Kein Zwang, sich das Gesicht zu schminken
Auch Montlingen, Eichenwies, Rebstein und Marbach verzichten darauf. «Bei uns wird nicht klar definiert, wer welchen König darstellt. Es sind einfach drei Sternsinger, die für einen guten Zweck von Tür zu Tür gehen. Sie verkleiden sich nicht als Afrikaner oder Asiate», sagt Alice Steiger vom Katholischen Pfarramt Marbach.
Ganz anders verhält sich die Situation in Lienz. Bernadette Haefelin, die Verantwortliche fürs Sternsingen, erklärt, dass man sich bewusst für die Fortführung der Tradition entschieden hat. Sie begründet dies damit, dass nicht alle Menschen auf der Welt hellhäutig sind, sondern unterschiedliche Hautfarben haben: «Das wollen wir mit den drei Königen darstellen. Schliesslich sieht man das in jeder Krippe.» Einen Zwang zum Schminken gibt es aber nicht, wie Haefelin sagt: «Jedes Kind darf selbst entscheiden.» Ähnlich ging man in Balgach vor. Auch dort war die Debatte ums Schminken im Vorfeld für die Verantwortlichen kein Thema.
Das Internationale Katholische Missionswerk der Schweiz, Missio Schweiz, hat Anfang Jahr in einem Interview mit dem Nachrichtenportal kath.ch den Verantwortlichen der Sternsinger-Aktionen dazu geraten, die Kinder nicht zu schminken, da diese Tradition heute nicht mehr überall verstanden werde. Ein Verbot gibt es aber nicht.
(https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/rheintal/tradition-nichts-boeses-dabei-gedacht-rheintaler-sternsinger-faerben-ihr-gesicht-schwarz-und-entfachen-eine-blackfacing-debatte-ld.2401564)
+++RECHTSEXTREMISMUS
derbund.ch 17.01.2023
Die Welt eines Staatsleugners: Reichsbürger drohte Bündner Konkursamt mit Militär und Waffengewalt
Ein Deutscher pochte auf seinen Diplomatenstatus, rammte ein Polizeiauto und setzte sich ins Ausland ab, bis ihn ein ungarisches Spezialkommando verhaftete. Der Fall eines Reichsbürgers.
René Laglstorfer, Felix Schaad(Karikatur)
Franz Mauser (Name von der Redaktion geändert) behauptet, dass der Staat eine Firma sei. Er spricht davon, dass die Polizei an eine private Sicherheitsfirma verkauft worden sei. Und der 62-Jährige gab sich in der Vergangenheit als Mitglied des russischen Militärstabs und Geheimdienstes aus. Er bezeichnete sich als deutscher Missionsleiter der Vereinten Nationen (UNO) und schien felsenfest an seine «diplomatische Immunität» zu glauben.
Franz Mauser ist ein Reichsbürger.
Der Deutsche lebte nahe dem Bodensee und arbeitete von 2014 bis 2018 in der Schweiz. Sein Fall zeigt, zu welchen Taten es führen kann, wenn reichsbürgerliche Querulanten mit dem Gesetz in Kontakt kommen. Es endet meist nicht gut.
Er drohte mit Waffengewalt
Alles begann 2018. Damals eröffnete ein Bündner Konkursamt ein Insolvenzverfahren gegen den damaligen Unternehmer Mauser, der mit technischen Lizenzen handelte. Weil man aber keine Vermögenswerte fand, sollte sein Dienstwagen mit Schweizer Kennzeichen gepfändet werden.
Doch Mauser dachte nicht daran, sein Fahrzeug freiwillig aufzugeben. In mehreren Schreiben an das Konkursamt, in denen er das UNO-Emblem verwendete, verwies er auf seinen «internationalen Diplomatenstatus». Wie aus einer «Erklärung unter Eid», die dieser Zeitung vorliegt, hervorgeht, hat der Reichsbürger dem Konkursamt ein wohl selbst gebasteltes «Wertpapier» zugesandt, mit dem er seine «Steuerschulden», wie er es ausdrückte, begleichen wollte.
Nachdem das Konkursamt das «Wertpapier» nicht akzeptierte und angeblich nicht zurücksandte, soll er von der Behörde «den Betrag, den dieses Papier» laut seiner Vorstellung wert sei, gefordert haben: über 600’000 Franken. «Da ich in diesem Bereich tätig bin, weiss (ich, Anm.), was ich tue», schrieb Mauser in seiner Erklärung zur Höhe des Betrags. Vor Gericht wird später von 840’000 Franken die Rede sein, mit denen der Reichsbürger versucht haben soll, das Schweizer Konkursamt regelrecht zu erpressen.
Denn seiner Forderung verlieh der Mann mit mehrfachen Drohungen Nachdruck, wonach er im Fall einer Nichtzahlung Militär aufbieten und seine Interessen mit Waffengewalt durchsetzen würde. Als er während eines Telefongesprächs der stellvertretenden Leiterin des Konkursamts drohte, bekam sie es mit der Angst zu tun und erstattete Strafanzeige.
Die Vorfälle nehmen zu
Franz Mauser ist kein Einzelfall. Auseinandersetzungen mit reichsbürgerähnlichen Querulanten nehmen nicht nur in Deutschland zu, sondern auch in der Schweiz, wie eine Recherche dieser Zeitung offenlegte. «Mit Militär zu drohen, ist genau der Stil, den wir auch kennen», sagt Yves De Mestral, Präsident der Konferenz der Stadtammänner und Stadtamtsfrauen in Zürich sowie Chef des Stadtammannamts und Betreibungsamts Zürich 3.
Seit Corona hätten diese Vorfälle zugenommen. Wenn Staatsleugner und Querulanten Besuch von Beamten bekommen, filmen sie diese mit ihren Smartphones und laden alles sofort ins Internet. «Es ist kein Massenphänomen, aber sehr mühsam für unsere Mitarbeitenden», sagt De Mestral.
Im Fall Mauser ersuchten die Bündner Strafverfolgungsbehörden ihre baden-württembergischen Kollegen um internationale Rechtshilfe und Beschlagnahmung des Dienstwagens, für den seit einem halben Jahr kein Versicherungsschutz mehr bestand.
Aus taktischen Gründen entschied sich die Polizei im Mai 2019 für eine gezielte Verkehrskontrolle im Landkreis Sigmaringen. Doch der Reichsbürger soll dabei jegliche Zuständigkeit der Polizei abgelehnt und sich auf seinen «Diplomatenstatus» berufen haben, der ihn vor Strafverfolgung schütze, wie die Polizei mitteilte.
Als ein Polizeibeamter versuchte, den Zündschlüssel abzuziehen, soll der damals 59-Jährige aufs Gas gedrückt haben. «Der Polizist konnte sich gerade noch rechtzeitig in Sicherheit bringen», teilte später die Polizei mit. Bei der darauffolgenden Verfolgungsjagd umfuhr Mauser eine Polizeisperre, indem er mit seinem Auto auf einen Gehweg auswich. Kurz darauf gelang es einem Streifenwagen, auf gleiche Höhe aufzuschliessen. Dabei lenkte der Reichsbürger ruckartig nach links und rammte den Streifenwagen. Am Ende konnte die Polizei den Mann trotz Widerstand festnehmen.
Noch am Tag der Verfolgungsjagd durchsuchten deutsche Spezialkräfte auf richterliche Anweisung das Anwesen von Mauser und seine Geschäftsräume nahe dem Bodensee nach Waffen, Sprengstoff und anderen gefährlichen Stoffen. Sie wurden aber nicht fündig.
Die Flucht nach Ungarn
Trotz seiner staatsfeindlichen Überzeugungen, der Drohungen mit Waffengewalt und der Erpressungsversuche wurde Mauser noch am selben Tag freigelassen. Laut seiner eigenen Darstellung auf Telegram, weil das Office of International Treasury Control (OITC) aus Fernost bei der Polizei angerufen und seinen internationalen Diplomatenstatus bestätigt habe. Das OITC behauptet wahrheitswidrig, mit den Vereinten Nationen und der US-amerikanischen Zentralbank verbunden zu sein.
Dennoch erhob die Staatsanwaltschaft Ravensburg Anklage gegen Mauser wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, gefährlichen Eingriffs in den Strassenverkehr, versuchter Erpressung sowie Missbrauchs von Titeln. Seine Freiheit nutzte Mauser, um nach Ungarn zu fliehen. Er fürchtete, von den Behörden in eine psychiatrische Klinik und ins Gefängnis gesteckt zu werden.
In Budapest schrieb Mauser mehrere wirre «Erklärungen unter Eid», eine angeblich auf Wunsch der russischen Militärstaatsanwaltschaft. Diese habe laut seiner Darstellung beim Gericht, vor dem er sich verantworten hätte sollen, für ihn interveniert, weshalb das Ermittlungsverfahren gegen ihn eingestellt worden sei. «Deshalb habe ich mich nicht mehr um das Verfahren gekümmert», schrieb Mauser.
Zwei Jahre lang geht sein Plan auf, sich der Verantwortung für die begangenen Straftaten zu entziehen – auch dank der sich in die Länge ziehenden Untersuchungen der Justiz. Doch nach einem europäischen Haftbefehl wird er von einem ungarischen Spezialeinsatzkommando verhaftet.
Zwei Monate sass der Reichsbürger in ungarischen Gefängnissen, was er später als schlimmste Zeit seines Lebens beschrieb. Die Bettwäsche und Matratze seien siffig und dreckig gewesen. Ungeziefer habe ihn so zerstochen, dass er Schwellungen davongetragen habe. «69 Tage musste ich in derselben Kleidung verbringen», sagte Mauser in einem Onlinemonolog auf Telegram. Eine Gesprächsanfrage liess er unbeantwortet.
Seine Auslieferung im Februar 2022 nach Deutschland in ein Frankfurter Gefängnis erlebte er als grosse Erleichterung: «Das war fast ein Kulturschock, endlich mal was Sauberes zu haben.» Die letzten Tage vor dem Prozess habe er das Essen im Gefängnis nicht mehr zu sich genommen – aus Angst, es sei mit Psychopharmaka versetzt.
Plötzlich entschuldigt er sich
Bei der Verhandlung im Mai 2022 gab sich der 62-Jährige reumütig und entschuldigte sich bei der Behördenleiterin des Bündner Konkursamts, die er mit Militär und Waffengewalt bedroht und erpresst hatte. Am Ende erhielt er wegen versuchter Erpressung, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, Missbrauchs von Amtstiteln, wegen gefährlichen vorsätzlichen Eingriffs in den Strassenverkehr, Sachbeschädigung und fahrlässiger Körperverletzung eine inzwischen rechtskräftige bedingte Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten – ausgesetzt für drei Jahre zur Bewährung.
Schon kurz nach seiner Verurteilung erklärt Mauser in mehreren langen Audiomonologen auf Telegram mit zum Teil mehr als 40’000 Zugriffen, wie er den Prozess erlebte: «Ich wusste genau, wenn ich anfange zu diskutieren und mit meinem Kommerz-Zeug (gemeint ist wohl seine Reichsbürger-Gesinnung, Anm.) anfange, dann bin ich verloren.»
Nebenbei erwähnte er, dass es manchmal besser sei, sich taktisch klug zu verhalten, anstatt den Sturkopf zu spielen. Die Verlesung der Anklageschrift vor Gericht mit den detaillierten Vorwürfen bezeichnete er in seinem Onlinemonolog als «Blödsinn», die Zeugenaussagen der Polizisten als «Lügengebilde».
Ausserdem verstieg sich Mauser zu der für Reichsbürger typischen Behauptung, der Prozess sei nicht rechtmässig geführt worden. Nach seiner Verurteilung kündigte Mauser an, er wolle mit seiner Verlobten wieder in jenes Land zügeln, in dessen Gefängnissen er laut eigenen Angaben die schlimmste Zeit seines Lebens erlebt hatte: nach Ungarn.
–
Die Reichsbürger
Sie widersetzen sich gezielt Gesetzen und Behörden, manchmal auch mit Drohungen und roher Gewalt. Rund 20’000 Reichsbürger und sogenannte Selbstverwalter gibt es laut Bundesamt für Verfassungsschutz in Deutschland. Wie viele Staatsleugner es in der Schweiz sind, will der Nachrichtendienst des Bundes nicht nennen. Reichsbürger und Staatsleugner hängen laut deutschem Verfassungsschutz Verschwörungstheorien an, betrachten die demokratisch gewählten Politiker als illegitim und definieren sich ausserhalb der Rechtsordnung stehend. (rla)
(https://www.derbund.ch/reichsbuerger-drohte-buendner-konkursamt-mit-militaer-und-waffengewalt-886417828287)
+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Coronavirus: Skeptiker Stricker sucht Ausrede – zu spät
Bei einem Auftritt enthüllte Daniel Stricker, er habe für eine US-Reise das Zertifikat zum Coronavirus gefälscht. Nun rudert er zurück. Zu spät.
https://www.nau.ch/news/schweiz/coronavirus-skeptiker-stricker-sucht-ausrede-zu-spat-66395802
-> https://www.20min.ch/story/staatsanwaltschaft-prueft-rechtliche-schritte-jetzt-drohen-stricker-konsequenzen-834031879135
Weltwirtschaftsforum: Das sind die fünf irrsten WEF-Mythen
Rund um das World Economic Forum (WEF) kursieren viele Falschbehauptungen. Das sind die diesjährigen Top 5.
https://www.20min.ch/story/das-sind-die-fuenf-irrsten-wef-mythen-210503322326
#Faktenfuchs: Die Verschwörungstheorie zu „The Great Reset“
Unter dem Titel „The Great Reset“ liefert das Weltwirtschaftsforum Vorschläge für eine nachhaltigere Neugestaltung der Wirtschaft nach der Corona-Pandemie. Verschwörungstheoretiker verbreiten dazu ihr eigenes Narrativ. Ein #Faktenfuchs.
https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/faktenfuchs-die-verschwoerungstheorie-the-great-reset,SY2OK1r
Q&A zur Reportage «Satanic Panic in der Schweiz – Der Fall Leonie»
https://www.srf.ch/play/tv/rec-/video/qa-zur-reportage-satanic-panic-in-der-schweiz—der-fall-leonie?urn=urn:srf:video:88305b80-e8b8-4a0e-a33d-61bd0db7c3fe&aspectRatio=16_9
Nein, WEF-Prominenz verlangt nicht nach ungeimpften Flugzeug-Crews
Auf Social Media heisst es, reiche Geschäftsleute würden auf ungeimpfte Crews für ihre Privatjets bestehen. Ein Luxus, den «normale Leute» nicht hätten. Zudem wird ein Zusammenhang mit dem WEF hergestellt. Das steckt dahinter.
https://www.20min.ch/story/nein-wef-prominenz-verlangt-nicht-nach-ungeimpften-flugzeug-crews-582581139219
Nein, dass 5000 Soldaten das WEF unterstützen, kündet nicht von «Ärger»
Mehrere Tweets sind so formuliert, dass sie den Eindruck erwecken, die WEF-Verantwortlichen erwarteten in diesem Jahr besondere Probleme. Dem ist nicht so.
https://www.20min.ch/story/nein-dass-5000-soldaten-das-wef-unterstuetzen-kuendet-nicht-von-aerger-995540376442
+++MEDIENSPIEGEL LÜTZERATH-RÄUMUNG 17.01.2023:
-> https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2023-01/reul-warnt-vor-unbelegten-gewaltvorwuerfen-gegen-die-polizei-luetzerath
-> https://www.grundrechtekomitee.de/details/die-entscheidung-fuer-die-raeumung-luetzeraths-war-eine-entscheidung-fuer-gewalt-polizei-und-rwe-raeumten-unter-gefaehrdung-von-menschenleben
-> https://www.derstandard.at/story/2000142646587/nach-raeumung-von-luetzerath-weitere-protestaktionen-von-aktivsten-innordrhein-westfalen?ref=rss
-> https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen/leipzig/leipzig-leipzig-land/anzeige-polizei-aachen-luetzerath-proteste-gewalt-100.html
-> https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/reul-102-polizisten-in-luetzerath-verletzt-200-strafanzeigen,TTBVSBS
-> https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/nordrhein-westfalen-kohle-gegner-besetzen-bagger-gleise-und-strassen-nach-luetzerath-raeumung-a-4e4a5774-bd4f-4880-bdce-a0da605c1d81
-> https://www.rnd.de/panorama/klima-demo-bei-luetzerath-wohl-doch-keine-lebensgefaehrlich-verletzten-7D3CMVZ36LHYRJEK7UEBMW5EKI.html
-> https://www.deutschlandfunk.de/greta-thunberg-bei-erneuten-protesten-von-polizei-weggetragen-100.html
-> https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/gruene-luetzerath-107.html
-> https://www.nd-aktuell.de/artikel/1170206.klimaproteste-luetzerath-ist-ueberall.html
-> https://taz.de/Pressefreiheit-in-Luetzerath/!5909691/
-> https://taz.de/Klimaaktivismus-in-Luetzerath/!5906404/
-> https://www.jungewelt.de/artikel/443016.kampf-geht-weiter.html
-> https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2023-01/luetzerath-greta-thunberg-tagebau-garzweiler-demonstration
-> https://twitter.com/Ende__Gelaende
-> https://www.zeit.de/sinn/2023-01/moench-luetzerath-aktivist-markus-fuhrmann-franziskaner
-> https://www.tagesanzeiger.ch/zuercher-klimaaktivistin-ist-das-sprachrohr-im-braunkohlegebiet-365064072369
-> https://www.20min.ch/story/raeumung-von-luetzerath-hat-begonnen-310291055738
-> https://www.srf.ch/news/international/nach-raeumung-von-luetzerath-d-aktivisten-von-polizei-festgehalten-darunter-greta-thunberg