Themen
- Faschistischer Putschversuch in Brasilien
- Frontex: neuer Chef, gleicher Default
- Erneuter Suizid in einem Genfer Asylcamp
- Griechenland: Prozess gegen 24 Mitglieder humanitärer Organisationen beginnt
- Tod eines Unerwünschten
- Zürich: 3000 Personen solidarisieren sich mit der iranischen Revolution
- Nadir Ulaş seit 47 Tagen im Hungerstreik
Was ist neu?
Faschistischer Putschversuch in Brasilien
Am 8. Januar stürmten faschistische Fans des früheren brasilianischen Präsidenten Bolsonaro das Kongressgebäude, den Gerichtshof und den Präsidentenpalast in Brasilien. Nachdem die lokale Polizei sie aus Sympathiegründen gewähren liess, übernahm der amtierende Präsident teilweise die institutionelle Kontrolle. Mittlerweile wurden die faschistischen Putschist*innen isoliert und geräumt. Der Bolsonarismus bleibt brandgefährlich.
Die Szenen ähnelten stark dem Sturm auf das US-Kapitol. Fast auf den Tag genau zwei Jahre zuvor versuchten Trump-Anhänger*innen einen ähnlichen Coup. Auch sie wollten die Abwahl ihres Idols nicht tatenlos hinnehmen, kündigten ihren Sturm an und drangen mit Gewalt, doch ohne Schusswaffen in die symbolischen Machträume der Demokratie ein, um diese zu verwüsten. Auch sie folgten einem von oben orchestrierten und finanzierten Plan, um die vermeintlich „gestohlene“ Wahl rückgängig zu machen. Auch sie scheiterten.
Die Bolsonaroanhänger*innen teilen nicht nur die faschistischen Überzeugungen ihres „Führers“, sondern glauben mehrheitlich auch an Verschwörungstheorien. Lula sei der Antichrist und der Begründer einer “Sowjetunion Südamerikas”. Im ganzen Land wurden Busreisen nach Brasilien organisiert. Wochenlang demonstrierten sie vor den Kasernen der Armee. Diese solle Lula absetzen und eine Militärdiktatur errichten. Doch trotz der Verankerung des Bolsonarismus innerhalb der Polizei und Armee hielten diese die Füsse still.
Der Weg der Entbolsonarisierung in Brasilien ist noch weit. Bolsonaros Schatten wirkt in den repressiven und ideologischen Teilen des Staates und der Gesellschaft weiter. Das ist auch nicht erstaunlich. Wurde er vor ein paar Wochen noch von einer Mehrheit der ökonomischen Elite, der Mittelschicht sowie von einem beträchtlichen Teil der Arbeitenden unterstützt. Armee, Polizei, evangelistische Kirche, Rüstungsindustrie und das industrielle Landwirtschaftshinterland sind nach wie vor Bollwerke, von denen aus sich der Bolsonarismus neu formieren kann.
https://alencontre.org/ameriques/amelat/bresil/bresil-il-est-temps-daller-de-lavant-contre-les-putschistes.html
https://www.belltower.news/sturm-auf-brasilia-145157/
https://netzpolitik.org/2023/sturm-auf-brasilianischen-kongress-wie-rechtsextreme-soziale-medien-zur-mobilisierung-nutzten/
Was tut Frontex?
Frontex: neuer Chef, gleicher Default
Niederländischer Militärpolizist übernimmt Leitung von Frontex. Und Frag den Staat veröffentlicht im Kampf gegen horrende Intransparenz 4’000 Dokumente in Frontex-Datenbank.
Im Dezember wurde der neue Chef der europäischen Agentur für Grenz- und Küstenwache Frontex gewählt: Hans Leijtens. Ein niederländischer Generalleutnant, bisher Kommandeur der niederländischen Militärpolizei, sowie seit sechs Jahren im Verwaltungsrat von Frontex. Er versprach in seiner Rede, sich gegen die Menschenrechtsverletzungen an den EU-Grenzen einzusetzen. Wie er dieses Versprechen in einer intransparenten, unwilligen, von Korpsgeist durchzogenen Agentur wie Frontex umsetzen möchte, sei mal dahin gestellt. Nach wie vor fehlt es an Kontrollmechanismen und an politischem Willen. Vielmehr geht ein Rechtsruck durch nahezu alle europäischen Staaten und somit steigt der Druck, am besten überhaupt keine geflüchteten Menschen mehr aufzunehmen. Und gleichzeitig steigt in Krisenzeiten die Zahl der Menschen die Schutz suchen. Eine grausame Spirale.
Frag den Staat hat Mitte Dezember eine Frontex-Datenbank veröffentlicht, in der über 4’000 Dokumente aus den letzten Jahren zusammengetragen wurden. Wie hieraus ersichtlich wird, wurden die Vorgesetzten der Agentur von den wenigen vorhandenen, sowie unterentwickelten Posten, welche als Kontrollmechanismen dienen sollen – wie Fundamental Rights Officer (FRO) und Consultative Forum – immer wieder auf Missstände hingewiesen. Diese wurden jedoch ignoriert, vertuscht, beschönigt, gar nicht erst dokumentiert, verheimlicht, die FRO gemobbt etc.. Bleibt abzuwarten, ob sich unter Leijtens sowohl an den Kontrollmechanismen, als auch an den Reaktionen etwas ändern wird.
Frontex’ höchstes Mandat, ihr grösster Auftrag ist nach wie vor: Ausschaffungen. Hierfür werden sie gerne angefragt. Bestimmte Länder wiederum wollen Frontex gar nicht erst engagieren, weil sie fürchten, ihnen würde bei brutalen Push-Backs auf die Finger geschaut, wie z.B. Polen und Kroatien. Obwohl doch Fälle wie Griechenland zeigen, dass Frontex gerne hinschaut und auch mithilft. Oder Fälle wie Ungarn, wo es fünf Jahre und ein Gerichtsurteil vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) brauchte, um einen Frontex-Einsatz abzubrechen und Frontex-Offizier*innen, zumindest teilweise, abzuziehen. So ist auch Leijtens Aussage, er würde auch vorm Auslösen des Artikel 46 (Abziehen von Frontex-Offizier*innen aus Gebieten, in denen Menschenrechtsverletzungen festgestellt werden) nicht zurückschrecken, kaum etwas wert.
Wenn der Auftrag von Frontex Grenzschutz lautet (ohnehin ein verzerrendes Wort, welches flüchtende Menschen zu einer Gefahr stilisiert), dann werden sie auch Abschiebungen durchführen, werden Drohnen und Flugzeuge kaufen, das Mittelmeer überwachen, und der sog. libyschen Küstenwache die Koordinaten von Booten mitteilen, sodass diese zurückgeschleppt werden. Also wo fängt das Dilemma an? Bei White Supremacy in den Köpfen der Leute? Bei unaufgearbeiteter Geschichte? Bei ungerechter Verteilung? Bei Klimaungerechtigkeit? Bei Waren und Geld vor Menschen? Bei Machterhalt anhand von Kontrolle der Massen durch Schüren von Angst? Beim Verzerren der Tatsachen durch Medien und Politiker*innen? Dabei, dass Menschenrechte verhandelbar werden? Bei rassistischer Entmenschlichung? Bei einer überfinanzierten Grenzagentur? Letztlich sind diese Aspekte alle komplex miteinander verknüpft und es gilt, sie alle zu bekämpfen.
Bei Frontex stinkt der Fisch eben nicht nur vom Kopf her, sondern die gesamten Strukturen sind verrottet, die ganze Idee, auf der die Agentur fusst. Eine neue Leitung wird daran wenig ändern.
https://fragdenstaat.de/blog/2022/12/13/alle-frontex-dokumente/
https://taz.de/Die-Rolle-von-Frontex-im-Grenzregime/!5900343/
https://www.zeit.de/politik/ausland/2022-12/eu-grenzschutzagentur-frontex-neuer-chef-hans-leijtens-niederlaender
https://www.spiegel.de/ausland/frontex-niederlaender-hans-leijtens-wird-neuer-chef-der-grenzschutzagentur-a-8ac2db0d-e30a-40ed-b253-7f620b53a047?utm_source=dlvr.it&utm_medium=twitter#ref=rss
https://www.deutschlandfunk.de/ende-der-debatten-frontex-bekommt-eine-neue-fuehrung-dlf-d2b96f27-100.html
https://taz.de/Europas-Grenzschutz/!5900923/
(https://www.tagesanzeiger.ch/der-mann-fuer-den-schwierigen-schutz-der-europaeischen-grenzen-897200840341)
Volltext auf https://antira.org/2022/12/22/medienspiegel-21-dezember-2022/
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1169881.festung-europa-mehr-oder-weniger-frontex.html
Was nun?
Erneuter Suizid in einem Genfer Asylcamp
Am 3. Januar hat ein 34-Jähriger aus Nigeria im Asylcamp Le Lagnon Suizid begangen. Es ist der zweite Suizid innerhalb der Genfer Asylunterkünfte innerhalb eines Monats. Mit ihrer menschenfeindlichen Abschiebe- und Isolationspolitik tragen die Behörden Mitschuld an diesen Todesfällen.
Der Mann war auf der Suche nach Asyl erst im Dezember in der Schweiz angekommen. Laut der Zeitung Le Courrier war der desorientiert und verwirrt. Doch die Behörden haben seinen Zustand offenbar nicht als besorgniserregend eingestuft. Am vorletzten Dienstag wurde er tot in der Kollektivunterkunft in Bernex aufgefunden. Es ist ein weiterer Todesfall zu dem sich viele Fragen stellen: Warum hat der Mensch keine psychologische Unterstützung erhalten, obwohl er sich in einem instabilen Zustand befunden hat? Haben die verantwortliche Migrationsbehörde und die zuständige Sicherheitsfirma im Camp alles unternommen, um den Suizid zu verhindern? Geflüchtete Menschen stehen in den Camps unter der Obhut des Staates. Doch dieser schränkt durch Repression und Isolation die Rechte der Asylsuchenden so stark ein, dass er eine klare Mitschuld an den Suiziden trägt. Solidarische Aktivist*innen haben in der Nähe des Bundeshauses in Bern darum auch «3.1.23 SUIZID IM CAMP» auf den Boden gesprayt.
Bereits vor gut einem Monat hatte ein 18-jähriger Afghane, der im Genfer Wohnheim L’Etoile wohnte, Suizid begangen. Er sollte nach Griechenland abgeschoben werden. Und dies trotz eines ärztlichen Attests, in dem ein hohes Risiko für Suizidhandlungen festgehalten wurde. Der Staat lässt Menschen bewusst sterben, nicht nur in Genf. Auch in einem Zürcher Polizeigefängnis ist es erst kürzlich zu einem Todesfall gekommen (siehe Tod eines Unerwünschtenunter Was schreiben andere?). Der strukturelle Rassismus in der Schweiz muss darum jeden Tag aus Neue sichtbar gemacht und bekämpft werden.
https://migrant-solidarity-network.ch/2023/01/13/suizid-im-asylcamp-le-lagnon/
https://lecourrier.ch/2023/01/06/nouveau-suicide-dun-requerant-dasile-a-geneve/
https://www.swissinfo.ch/fre/toute-l-actu-en-bref/nouveau-suicide-d-un-requ%C3%A9rant-d-asile-%C3%A0-gen%C3%A8ve/48187694
Griechenland: Prozess gegen 24 Mitglieder humanitärer Organisationen beginnt
Auf Lesbos hat am vergangenen Dienstag ein lang erwarteter Prozess gegen 24 Flüchtlingshelfende begonnen. Ihnen wird vorgeworfen, dass sie systematisch die Überfahrt von Migrant*innen von der Türkei nach Griechenland unterstützten – in einer “kriminellen Vereinigung”. Auch Spionage durch das Abhören der Funkaktivität von Küstenwache und der Polizei wird ihnen vorgeworfen.
Der Prozess hätte bereits im November 2021 beginnen sollen, wurde damals aber wegen diversen Verfahrensfehler eingestellt. So wurden in der Anklageschrift den Angeklagten nur Nummern zugewiesen, Namen werden nicht erwähnt. So ist nicht ersichtlich, ob alle wegen denselben Vergehen angeklagt werden. Einigen drohen bis zu 20 Jahre Gefängnis.
Menschen retten ist kein Verbrechen – doch nach griechischem Recht ist es strafbar, Menschen zu helfen, welche keine in Griechenland gültigen Papiere haben. Dies steht in Konflikt mit dem internationalem Seerecht, welches besagt, dass kein Mensch tatenlos zusehen darf, wenn eine Person ertrinkt. Die Angeklagten kommen einer Aufgabe nach, welche eigentlich die Aufgabe der europäischen Regierungen wäre – Menschen aus Seenot zu retten. Mit Prozessen, wie sie jetzt stattfinden, wird versucht, Helfer*innen abzuschrecken und einzuschüchtern. Menschen im Mittelmeer werden ihrem Schicksal überlassen.
Unter den Angeklagten befindet sich auch Sarah Mardini, die durch die Verfilmung ihrer eigenen Geschichte auf Netflix („Die Schwimmerinnen“) bekannt wurde. Der Film erzählt davon, wie Sarah und ihre Schwester Yusra Mardini auf der Flucht im Jahr 2015 kurz vor Kentern ihres Bootes dieses schwimmend an Land brachten. Sarah kehrte in einem Urlaubssemester selbst nach Griechenland zurück um anderen Geflüchteten zu helfen, dabei wurde sie von der griechischen Polizei verhaftet und sass 106 Tage in U-Haft. Griechenland verwehrte ihr, für den Prozess zu erscheinen, da sie „eine Gefahr für die nationale Sicherheit darstelle“. Die unabhängige Internationale Juristenkommission (ICJ) forderte die griechische Justiz am Dienstag in einer Stellungnahme auf, Flüchtlingshelfer nicht strafrechtlich zu verfolgen: „Die Anwendung des Strafrechts zur Bestrafung von Personen, die mutig lebensrettende humanitäre Hilfe für Menschen auf der Flucht leisten, ist bedauerlich“, schreibt die ICJ. Und die Folge ist, dass noch mehr Menschen ihr Leben auf der Flucht verlieren.
https://www.nau.ch/news/europa/prozess-gegen-seenotretter-in-griechenland-begonnen-66390028
https://www.jungewelt.de/artikel/442566.au%C3%9Fengrenzen-der-eu-fl%C3%BCchtlingshilfe-kriminalisiert.html
https://www.tagesschau.de/ausland/europa/griechenland-prozess-fluechtlinge-helfer-101.html
https://medium.com/are-you-syrious/ays-news-digest-9-01-23-trial-of-human-rights-defenders-in-lesvos-begins-e986700cc7e0
Was schreiben andere?
Tod eines Unerwünschten
Der 53-jährige Y.B. starb im Dezember 2021 alleine in seiner Zelle im Zürcher «provisorischen» Polizeigefängnis. Krank, unerwünscht, «illegal».
Ein Beitrag von Bündnis «Wo Unrecht zu Recht wird», Besuchsgruppe Urdorf und augenauf Zürich. Erstmals erschienen als Text im Augenauf Bulletin Nr. 112 im Dezember 2022.
„Am 22. Dezember 2021 fand ein Polizeibeamter um kurz vor fünf Uhr morgens den Algerier «regungslos auf seinem Bett» im provisorischen Polizeigefängnis Zürich. Sanität und Notarzt stellten den Tod des Mannes fest. Todesursache war Herzversagen, so der Bericht des Gerichtsmediziners. Hinweise auf eine «todesursächliche relevante, mechanische Fremdeinwirkung» gebe es nicht. Y.B. war ein Mann, dessen Asylgesuch abgelehnt wurde, ein Migrant aus Nordafrika, dessen Pläne gescheitert sind. Ich habe ihn nur einmal kurz im September 2021 vor dem «Rückkehrzentrum» Urdorf getroffen. Das RKZ, wie der Kanton Zürich dieses und weitere Lager nennt, ist ein heruntergewirtschafteter Zivilschutzbunker am Rand von Urdorf. Neben dem Bunker verläuft die Autobahn, der Verkehrsstützpunkt der Kantonspolizei Urdorf ist wenige Dutzend Meter entfernt.
Y.B. sagte mir bei unserem ersten und einzigen Treffen, er sei krank. Krank im Kopf. Um zu belegen, wie krank er ist, zeigte er mir ein Rezept des ehemaligen Hausarztes des Lagers. Auf dem Rezeptblock des über 70-jährigen Arztes war noch eine Telefonnummer mit der Vorwahl 01 (bis 2007 Telefonvorwahl der Stadt Zürich) aufgedruckt. Im Rezept aufgelistet waren zwei Antidepressiva, ein Schlafmittel, zwei Neuroleptika, ein Mittel gegen Asthma und zwei Mittel gegen Epilepsie. Jedes täglich ein- bis dreimal einzunehmen. Ich machte ein Foto des Rezepts und zeigte es einer befreundeten Psychiaterin. Sie stufte die unüberwachte Verabreichung der wild zusammengemixten Psychopharmaka als lebensgefährlich und unverantwortlich ein. Und sie konnte keinerlei Therapiestrategie erkennen.
Zudem zeigte mir Y.B. einen Strafbefehl, in dem er zu 60 Tagen Gefängnis verurteilt worden war. Er habe die Plexiglasscheibe «zertrümmert», die im Eingangsbereichs des Bunkers das Büro mit den Computerarbeitsplätzen der Wach- und Betreuungsleute vom Gang trennt. Die Einsprachefrist war abgelaufen – nichts zu machen.
Ich habe Y.B. nie wieder angetroffen. Er war – so hörte ich später – in ein anderes Lager verlegt worden und ist dann «untergetaucht». Das heisst, er hatte sich aus dem Lager in die Obdachlosigkeit verabschiedet und übernachtete «mal da, mal dort», erzählten mir Bekannte. Y.B. war seit einigen wenigen Jahren in der Schweiz und eine gewisse Zeit in den provisorischen Baracken der Asylorganisation Zürich in Altstetten untergebracht. «Damals war er noch ‹zwääg›», erzählte der Bekannte. Später wurde er im Bunker-Lager in Urdorf untergebracht. «Nach Urdorf ist er ausgerastet», so der Bekannte. Offenbar hat Y.B. in dieser Zeit Medikamente, Alkohol und Drogen gleichzeitig konsumiert.
Die Pressemitteilung der Kantonspolizei, in der sie den Tod von Y.B. mitteilte, alarmierte augenauf und das Bündnis «Wo Unrecht zu Recht wird». Wir begannen, herumzufragen. Es war Y.B., wie uns ein Bewohner des Bunker-Lagers zwei Wochen später sagte. Einige Wochen danach gelang es Bekannten von Y.B., seinen Bruder und seine Mutter in Algerien zu kontaktieren. Die Mutter bevollmächtigte eine befreundete Anwältin in Zürich, sie in der Untersuchung des Todesfalls zu vertreten, und entband sie gegenüber augenauf vom Anwaltsgeheimnis. Die Untersuchung ergab, dass Y.B. in den Tagen vor seinem Tod zwar drei Psychopharmaka sowie Methadon verabreicht worden waren, diese aber nur noch in sehr geringen Mengen nachweisbar waren. Daran verstorben ist er nicht, bestätigten zwei Fachleute, die augenauf konsultierte. Sein Herz war kaputt. Er ist daran gestorben, dass er «illegal», unerwünscht und krank war.“
Wo gabs Widerstand?
Zürich: 3000 Personen solidarisieren sich mit der iranischen Revolution
Am Samstagnachmittag, 13. Januar, protestierten rund 3000 Menschen gegen das Regime im Iran und gegen den Kurs der offiziellen Schweiz. Die Demonstration sollte den Protestierenden im Iran eine Stimme geben. Gleichzeitig wurden umstrittene Meinungen vertreten.
Zur Demo aufgerufen hatte die Organisation «Free Iran Switzerland». Ziel der Organisation ist es, sich mit den Protestierenden im Iran zu solidarisieren, ihnen eine Stimme zu geben. Zudem verlangen die Organisator*innen vom Bundesrat die Übernahme der EU-Sanktionen. Die Revolutionsgarde und Basij-Milizen sollten als Terrororganisationen eingestuft werden.
antira.org kritisiert Sanktionen, welche die Potestierenden im Iran ebenfalls treffen, speziell die Frauen. Auf der Redner*innenbühne war die monarchistische Flagge weiterhin unübersehbar präsent. Wie das Migrant-Solidarity-Network in seiner Stellungnahme zur Solidarität mit den Protestierenden im Iran erklärt, steht die monarchistische Flagge für Diskriminierung, Unterdrückung und Nationalismus. «Sie entspricht nicht den Wünschen der Protestierenden».
Weiter erklärt das Migrant-Solidarity-Network: «Die Flagge ist ein Symbol für die Monarchie des Schahs Reza. Dieser kam 1925 mit Hilfe des britischen Imperialismus im Iran an die Macht. Er setzte seine Macht mit rassistischen ethnischen ‚Säuberungen‘ durch und errichtete einen Nationalstaat mit persischer Dominanzkultur. Reza identifizierte sich mit einer ‚arischen Herrenrasse‘ und dem Faschismus. Die Folgen der Schah-Monarchie sind bis heute spürbar. In den unterschiedlichen Provinzen des Landes leiden grosse und kleine ethnische (Minderheiten-)Gruppen, die kulturell, ethnisch, politisch anerkannt und respektiert werden wollen. In der Khusistan-Provinz sind es Millionen Araber*innen, im kurdischen Territorium trifft es Millionen Kurd*innen, in der Sistan-Belutschistan-Provinz werden Millionen Belut*innen diskriminiert, im Aserbaidschan-Territorium Türk*innen, im Turkmen-Sahra Territorium die Turkmen*innen. Sie alle wurden vom Schah unterdrückt und entrechtet.»
Für die Protestierenden im Iran ist es enorm wichtig, dass sie sich durch weltweite Solidarität, Unterstützung und Aufmerksamkeit bekräftigt werden und ihren mutigen Widerstand weiterführen. So gilt es, die Proteste zu stärken und ihre feministische Perspektive zu unterstreichen.
https://www.aargauerzeitung.ch/news-service/inland-schweiz/tausende-protestieren-in-zuerich-gegen-die-gewalt-des-iranischen-regimes-ld.2397627
https://www.tagesanzeiger.ch/auch-wir-haben-die-goettliche-ordnung-erst-spaet-ueberwunden-138754075849
https://wecollect.ch/projekte/iran-proteste-aufruf-von-100-schweizer-personlichkeiten-aus-kultur-und-wissenschaft
Nadir Ulaş seit 47 Tagen im Hungerstreik
Weil er seit über fünf Jahren auf einen Entscheid in seinem Asylverfahren wartet, ist Nadir Ulaş am 30. November in einen Hungerstreik getreten. Der 38-jährige Kurde lebt in einer Asylunterkunft in der Region Baden.
Im August 2017 hatte er ein Asylgesuch gestellt. Bei einer Rückkehr in die Türkei würde ihm eine lange Gefängnisstrafe drohen, da er sich nach dem Massaker des IS in der syrischen Stadt Kobane an Protestkundgebungen beteiligt hat. Nach einem Negativentscheid in erster Instanz im September 2020 hat Ulaş den Entscheid ans Bundesverwaltungsgericht weitergezogen. Und wartet seitdem auf einen Bescheid. Am Montag, 9. Januar, hat Ulaş einer Kontaktperson geschrieben, dass er auch nichts mehr trinken werde, wenn er «bis in ein paar Tagen» keine Antwort erhalten werden.
Im Schweizer Asylwesen sterben regelmässig Menschen, wie wir allein in dieser Ausgabe der Wochenschau an zwei aktuellen Fällen in Zürich und Genf sehen. Manche durch Suizid, andere werden in ihrer Hoffnungslosigkeit vom Staat langsam sterben gelassen. Wie können das SEM und das kantonale Amt für Integration und Migration (Mika) es zulassen, dass ein Mensch über so lange Zeit die Aufnahme von Nahrung verweigert und sein Leben riskiert, weil er jegliche Hoffnung verloren hat? In organisierter Unverantwortung schieben sich die Ämter die Verantwortung hin und her. Dass die Aargauer Zeitung in ihrem Artikel mehrere Abschnitte lang auf das politische und medizinische Vorgehen im Falle eines Hungerstreiks eingeht, aber kein einziges Mal fragt, wie die verantwortlichen Behörden zulassen konnten, dass es so weit kommt, sollte den beteiligten Journalist*innen auch zu Denken geben. Niemand zieht einen Hungerstreik so lange durch, weil er nur Druck aufbauen will. Doch es ist eine bewusste Entscheidung des Staates, Menschen für eine unmenschliche Politik ihr Leben riskieren zu lassen.
https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/aargau-fluechtling-ist-seit-ueber-40-tagen-im-hungerstreik-aus-protest-gegen-das-lange-asylverfahren-ld.2397714?reduced=true
Volltext ohne paywall unter: https://antira.org/2023/01/10/medienspiegel-10-januar-2023/#more-11172
Was steht an?
Demo: Das WEF gegen alle – alle gegen das WEF
17.01.23 I 19:00 I Zürich, Ni-Una-Menos-Platz (ehem. Helvetiaplatz)
Sie können es nicht lassen: Auch im Januar 2023 treffen sich in Davos allerlei Wirtschaftsbosse, zusammen mit selbsternannten Wohltäter*innen und Regierungsvertreter*innen, um über die Gestaltung der Welt und die Aufteilung der knappen Ressourcen in den Krisen unserer Zeit zu verhandeln. Dieses Mal wird unter dem Motto „Kooperation in einer zersplitterten Welt“ ins sichere Schweizer Hinterland eingeladen. Es geht um die Frage, wie die Bereicherung der Wirtschaftselite sichergestellt werden kann.Tatsächlich brennt es in verschiedenen Teilen der Welt. Zeitgleich wüten Kriege, die Klimakrise, die Energiekrise, die Krise des Gesundheitssystems, kurz: Eine Krise des Systems, die sich in unterschiedlichen Formen äussert. Doch während dieser Krisen zeigen sich auch Perspektiven, welche für die Herrschenden eine Bedrohung darstellen. Revolutionäre feministische Aufstände und Streiks im Iran, der grösste Streik an akademischen Einrichtungen der US-amerikanischen Geschichte, streikende Lokführer*innen in England, die Gerîla in Kurdistan und der Generalstreik in Griechenland: Die Menschen wehren sich und bauen Druck von unten auf. Sie organisieren sich zu einer Gegenmacht, die sich den Mächtigen und ihrer Profitgier in den Weg stellt und Alternativen aufzeigt!
https://barrikade.info/event/1890
Iran – Europa – Knast: Kriminalisierung an der europäischen Grenze
27.01.23 I 20:00 I Bern, Brasserie Lorraine
28.01.23 I 17:30 I Winterthur, Hi&Da
H. Sabetara wurde in Griechenland zu 18 Jahren Haft verurteilt, weil er ein Auto mit Flüchtenden fuhr. Er ist einer von tausenden Menschen, die aktuell in Italien und Griechenland für ihre Migration kriminalisiert werden. Seine Tochter Mahtab Sabetara berichtet uns über die Anklage ihres Vaters in Griechenland, die aktuelle Situation im Iran und möglichen Widerstand gegen die Kriminalisierung von Migration.
https://seebruecke.ch/event/iran-europa-knast-kriminalisierung-an-der-europaeischen-grenze/
Infoanlass zu Besuchen in Nothilfeunterkünften
28.01.23 I 14:00 I Luzern, Hello Welcome
Wir sprechen über die Situation in der Nothilfe und die Besuche in den Camps. Menschen ohne Bleiberecht berichten von ihrem Alltag.
Lesens -/Hörens -/Sehenswert
Notizen einer Revolution: Verfluchte Sonnenaufgänge
Niloofar Rasooli über die jüngsten Hinrichtungen im Iran, stille Trauer und laute Wut.
https://www.woz.ch/2302/notizen-einer-revolution-2/notizen-einer-revolution-2-verfluchte-sonnenaufgaenge/%21WZEX5ABJRZW8
Holy Spider
Der Iraner Ali Abbasi erzählt in seinem neuen Spielfilm die wahre Geschichte eines religiösen Serienmörders – und gibt Einblick in den realen Horror einer Gesellschaft, die auf Hass und Gewalt gegen Frauen gebaut ist.
Jetzt im Kino.
«Ich musste etwas tun, wachrütteln»
Die grössten Proteste seit Jahrzehnten, das plötzliche Ende der Null-Covid-Politik, nun die riesige Infektionswelle: Drei Chines:innen in Zürich erzählen, wie sie die Ereignisse in ihrer Heimat erleben. Und warum sie gegen das Regime aufstehen.
https://www.woz.ch/2302/chinesinnen-in-der-schweiz/chinesinnen-in-der-schweiz-ich-musste-etwas-tun-wachruetteln
The Crisis of Missing Migrants
What has become of the tens of thousands of people who have disappeared on their way to Europe?
https://www.newyorker.com/magazine/2023/01/16/the-crisis-of-missing-migrants