Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/
+++ZÜRICH
«Social Fabric» – Flüchtende bekommen hier eine Chance für ihren Neuanfang
Sie kommen hauptsächlich aus Krisengebieten und müssen in der Schweiz ganz von vorne beginnen. Menschen mit Flucht-Erfahrung erleben viel Ablehnung, ob gesellschaftlich oder auch bei der Lehrstellen- und Jobsuche. «Social Fabric» bietet genau diesen Menschen eine Chance. Das Näh-Atelier bietet in Zürich Schneider Lehrstellen und offene Nähkurse für Menschen mit Flucht-Erfahrung an. Der gemeinsame Austausch und das knüpfen von neuen Beziehungen sei enorm wichtig. «Social Fabric» will aber nicht nur einen Raum schaffen, wo jeder und alle willkommen sind, sie sehen in den Geflohenen viel ungenütztes Potenzial, denn viele bringen handwerkliches Geschick aus ihrem Heimatland mit.
https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/social-fabric-fluechtende-bekommen-hier-eine-chance-fuer-ihren-neuanfang-00202760/
Weihnachten für ukrainische Flüchtlingskinder
Während in ihrer Heimat seit bald einem Jahr Krieg herrscht, haben viele ukrainische Familien in Zürich Zuflucht gefunden. An diesem Wochenende feiern die Ukrainer orthodoxe Weihnachten. Die Heilsarmee lud die Familien zum gemeinsamen Feiern ein und verteilte auch Geschenke an die Kinder.
https://tv.telezueri.ch/zuerinews/weihnachten-fuer-ukrainische-fluechtlingskinder-149582284
+++SCHWEIZ
Luzerner Regierungsrat Guido Graf zur Migrationskrise: «Wir müssen die Ukrainer besser integrieren»
Der Luzerner Regierungsrat Guido Graf sorgt sich wegen der Migrationskrise. Im Interview fordert er, dass der S-Status für Ukrainer überdacht wird – und die Schweiz das Botschaftsasyl wieder einführt.
https://www.blick.ch/politik/luzerner-regierungsrat-guido-graf-zur-migrationskrise-wir-muessen-die-ukrainer-besser-integrieren-id18204553.html
-> https://www.luzernerzeitung.ch/news-service/inland-schweiz/asylpolitik-luzerner-sozialdirektor-guido-graf-fordert-bessere-integration-von-ukrainischen-gefluechteten-ld.2397607
-> https://www.zentralplus.ch/politik/guido-graf-forderte-bessere-integration-von-ukrainern-2508484/
+++GROSSBRITANNIEN
Umstrittene Pläne der Innenministerin: Britische Ärzte wehren sich gegen Röntgen-Alterstest für Flüchtlingskinder
Mit »robusten Kontrollen« will die britische Innenministerin Braverman das Alter von Geflüchteten feststellen. Röntgenärzte im Land sind empört – weil das Gesundheitssystem ohnehin schon überlastet sei.
https://www.spiegel.de/ausland/grossbritannien-aerzte-wehren-sich-gegen-roentgen-untersuchungen-fuer-fluechtlingskinder-a-7c7bfb54-cdd5-427b-a618-2093caed4943
+++MITTELMEER
Flucht übers Mittelmeer 110 Menschen vor Libyens Küste gerettet
Die Mannschaften der Rettungsschiffe “Ocean Viking” und “Geo Barents” haben 110 Migranten vor Libyen aus Seenot gerettet. Einige sind demnach verletzt. Italien wies der “Ocean Viking” bereits einen Hafen zu, um die Menschen an Land zu bringen.
https://www.tagesschau.de/ausland/europa/bootsmigranten-rettung-mittelmeer-101.html
-> https://www.nau.ch/news/europa/ocean-viking-rettet-37-bootsmigranten-im-mittelmeer-66387705
-> https://www.srf.ch/news/international/ocean-viking-37-bootsmigranten-vor-libyens-kueste-gerettet
-> https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/hilfsorganisationen-retten-110-bootsmigranten-aus-mittelmeer,TSHQhIl
+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Protest gegen Hinrichtungen: 50 Personen demonstrieren vor iranischer Botschaft in Bern
Am Samstagnachmittag versammelten sich rund 50 Aktivistinnen und Aktivisten, um gegen die Hinrichtungen des iranischen Regimes zu protestieren.
https://www.derbund.ch/50-personen-demonstrieren-vor-iranischer-botschaft-in-bern-125642933253
Mindestens 2000 Teilnehmende an Iran-Demo in Zürich
Zwischen 2000 und 3000 Menschen haben am Samstagnachmittag in Zürich für die Anliegen der Protestbewegung im Iran und gegen die Repressionspolitik der dortigen Regierung demonstriert. Kritik gab es auch am Kurs der offiziellen Schweiz.
https://www.watson.ch/international/schweiz/688293882-mindestens-2000-teilnehmende-an-iran-demo-in-zuerich
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/mindestens-2000-teilnehmende-an-iran-demo-in-zurich-66387798
-> https://www.blick.ch/politik/zuerich-zeigt-solidaritaet-2500-menschen-protestieren-gegen-iran-regime-id18206370.html
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/protestaktion-zuerich-tausende-demonstrieren-gegen-iran-politik-des-bundesrats
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/iran-demonstration-in-der-stadt-zuerich?id=12314605
-> https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/mullah-muss-weg-tausende-leute-demonstrieren-in-zuerich-gegen-das-iranische-regime-00202762/
-> https://www.tagesanzeiger.ch/auch-wir-haben-die-goettliche-ordnung-erst-spaet-ueberwunden-138754075849
-> https://www.aargauerzeitung.ch/news-service/inland-schweiz/tausende-protestieren-in-zuerich-gegen-die-gewalt-des-iranischen-regimes-ld.2397627
+++JUSTIZ
Urteil ohne Richter – Kriminologin: «Strafbefehle sind rechtsstaatlich problematisch»
Immer mehr Menschen in der Schweiz werden verurteilt, ohne dass sie ein Richter angehört hat – aus Spar- und Zeitgründen. Ohne Einsprache ist der Strafbefehl rechtsgültig. Das sorgt für Kritik.
https://www.srf.ch/news/schweiz/urteil-ohne-richter-kriminologin-strafbefehle-sind-rechtsstaatlich-problematisch
+++POLIZEI SG
tagblatt.ch 06.01.2023
«Es geht nur darum zu zeigen: Hey, ein Ausländer war’s»: Wird Herkunft von Tätern in St.Galler Polizeimeldungen bald nicht mehr genannt?
Muss die Polizei über die Herkunft von Straftäterinnen und Straftätern informieren oder nicht? Ja, sagt das St.Galler Polizeigesetz. Doch erst kürzlich schwächte das Bundesgericht eine ähnliche Norm im Kanton Zürich deutlich ab. Kantonsrätin Monika Simmler (SP) fragt die St.Galler Regierung in einem Vorstoss, ob das Gesetz nun angepasst wird.
Luca Hochreutener
«Der 32-jährige Tunesier versuchte, durch ein Fenster in das Geschäft zu gelangen.»
«Bei den mutmasslichen Einbrechern handelt es sich um einen 24-jährigen Schweizer und einen 24-jährigen Portugiesen.»
Die beiden Passagen stammen aus zwei Medienmitteilungen der Kantonspolizei St.Gallen, die in den vergangenen Wochen veröffentlicht wurden. Sie sind nicht ungewöhnlich, doch bot ein Detail in der Vergangenheit oft Anlass zu Kritik: die Nennung der Nationalität der Täterinnen und Täter.
Kanton darf Nennung nicht vorschreiben
Im vergangenen Jahr wurde die Diskussion im Kanton Zürich wieder entfacht. Eine neue Norm im Zürcher Polizeigesetz sollte die Polizeien des Kantons dazu verpflichten, in jedem Fall die Nationalität von Täterinnen und Tätern, Tatverdächtigen und Opfern zu nennen. Kritikerinnen und Kritiker legten dagegen Beschwerde ein und zogen vor das Bundesgericht. Dieses hob die Norm zwar nicht auf, doch reduzierte es den Anwendungsbereich stark.
Gemäss Bundesgerichtsurteil gilt ab dem Zeitpunkt, an dem ein Strafprozess gegen eine Person läuft, die Strafprozessordnung des Bundes. Weil diese dem kantonalen Recht übergeordnet ist, dürfe der Kanton nicht vorschreiben, dass von sämtlichen Tatverdächtigen die Herkunft öffentlich gemacht werden muss. Bei Unfallopfern oder Vermissten könne er jedoch eine solche Regel erlassen. Aus diesem Grund liess das Bundesgericht die Norm stehen.
Vorstoss im Kantonsrat
Besagten Bundesgerichtsentscheid hat SP-Kantonsrätin und HSG-Strafrechtsprofessorin Monika Simmler nun in einer einfachen Anfrage an die St.Galler Regierung aufgegriffen. Sie fragt, ob das Polizeigesetz entsprechend dem Bundesgerichtsentscheid angepasst wird, ob dafür die aktuelle Gesetzesrevision genutzt werde und welche Weisungen künftig für die Polizei gelten sollen.
Vom Entscheid des Bundesgerichts fühle sie sich bestätigt, sagt Simmler. «Als die Norm in St.Gallen eingeführt wurde, haben wir bereits gewarnt, dass sie bundesrechtswidrig ist.» Sie sei froh, dass das Bundesgericht zu dieser Einschätzung gekommen ist.
Doch würde das Bundesgericht bei einer Prüfung des St.Galler Polizeigesetzes tatsächlich zum gleichen Schluss kommen wie kürzlich beim Zürcher Gesetz? «Definitiv», sagt Simmler. «In St.Gallen wäre ein Entscheid noch eindeutiger.»
Bei der St.Galler Vorschrift zur Nennung der Staatsangehörigkeit sei explizit von Straftaten die Rede. Sie gelte somit nur für Personen, gegen die ein Strafverfahren läuft. Unfallopfer oder Vermisste seien davon ausgenommen.
Wie über die Täterschaft zu informieren sei, ist laut Simmler in der Strafprozessordnung des Bundes geregelt. Deshalb sei die Norm im St.Galler Polizeigesetz irrelevant für die Kommunikationsarbeit der Polizei. «Diese Regel kann gar nie zur Anwendung kommen, also sollte man sie streichen», sagt Simmler. Sie empfehle, dafür die laufende Polizeigesetzrevision zu nutzen.
Was sagt der Bund?
In der Strafprozessordnung des Bundes finden sich Regeln, wie mit den Informationen einer oder eines Tatverdächtigen umzugehen ist. Demnach müssen zwingend die Persönlichkeitsrechte der in Polizeimeldungen genannten Personen geachtet werden.
Bei sämtlichen preisgegebenen Informationen sei die Verhältnismässigkeit zu überprüfen. Wenn die Information zur Aufklärung eines Verbrechens beitragen könnte, zum Beispiel bei einer Fahndung, dürfe die Nationalität genannt werden. Ausserdem sollte die Polizei nur über solche Details informieren, wenn dafür ein öffentliches Interesse bestehe, betont Simmler. «Ob aber ein Italiener oder ein Schweizer zu schnell gefahren ist, hat für die Öffentlichkeit keine Relevanz.»
Eine kantonale Regelung, wonach von jeder Person, die in einer Polizeimeldung erwähnt werde, die Nationalität genannt werden müsse, mache weder kriminalistisch noch mit Blick auf die Rechtslage einen Sinn. Simmler sagt: «Es geht nur darum zu zeigen: ‹Hey, ein Ausländer war’s›.»
Damit kritisiert sie die Regelung auch in politischer Hinsicht. Sie sei das Resultat einer Kampagne der SVP. «Diese Norm stammt aus einer Zeit, in der sich die SVP in allen Kantonen auf das Thema Ausländerkriminalität gestürzt hat», sagt sie. «Das Ziel war, gegen Ausländer Stimmung zu machen und Vorurteile zu schüren.»
Mit einer sachlichen Diskussion über die Einflussfaktoren und Bekämpfung von Kriminalität habe das nichts zu tun.
Was sagt die SVP?
Kantonsrat Karl Güntzel ist Präsident der Fachkommission Sicherheits- und Justizdepartement der SVP St.Gallen. Er widerspricht Simmlers Vorwurf: «Es geht uns sicher nicht darum, gegen eine Bevölkerungsgruppe Stimmung zu machen», sagt er. Von ihm aus könne man auch schreiben, dass ein Straftäter Schweizer ist. Vielmehr seien er und viele aus der SVP-Fraktion der Ansicht, dass es die Bevölkerung interessiere, welche Nationalität eine Straftäterin oder ein Straftäter hat. «Es ist ja bekannt, dass Ausländer überproportional häufig in Schweizer Gefängnissen einsetzen», sagt er.
Die Forderung, die Norm im St.Galler Polizeigesetz zu streichen, ist laut Güntzel «zu wenig begründet». Seines Wissens enthalte die Strafprozessordnung des Bundes keine solche Einschränkungen. Daher gehe es dabei um eine gesellschaftspolitische und nicht rechtliche Frage, über welche die Zürcher Stimmberechtigten seinerzeit abgestimmt hatten. Abschliessend sagt Güntzel: «Die Bundesrichter würden sich lieber mit wirklichen Rechtsfragen befassen und den Pendenzenberg abbauen, statt sich in die Politik einzumischen.»
Kantonspolizei muss sich weiter an Regelung halten
«Wir haben Kenntnis vom ergangenen Bundesgerichtsentscheid erhalten», sagt der Mediensprecher der Kantonspolizei St.Gallen, Hanspeter Krüsi auf Anfrage. Für die Medienstelle der Kapo werde sich aber vorerst nichts ändern. Krüsi sagt: «Wir sind an die geltende kantonale Rechtsgrundlage gebunden und setzen diese entsprechend um.» Sollte die Regelung der Bundesgesetzgebung widersprechen, sei es Aufgabe der Politik, sie zu ändern oder abzuschaffen.
Derweil wartet Simmler auf die Beantwortung ihres Vorstosses. «Ich erwarte von der Regierung eine Bestätigung, dass die Norm nicht anwendbar ist und die Bereitschaft, sie zu streichen.» Weiter erhoffe sie sich eine Ankündigung, wie man in der Sache weiter vorgehen wolle.
Sie traue der Regierung zu, dafür einen differenzierten Ansatz zu finden. Unabhängig davon, wie die Mehrheitsverhältnisse im Kantonsrat aussähen: «Jetzt sollte klar sein, dass der Kanton das Bundesgericht und die Bundesgesetzgebung nicht überstimmen kann», sagt Simmler.
SVP reicht weiteren Vorstoss ein
In der Zwischenzeit ist der Druck auf die St.Galler Regierung weiter gewachsen, sich dem Thema zu widmen. SVP-Kantonsrat Sascha Schmid reichte am Donnerstag zum selben Thema eine Einfache Anfrage ein. Darin bezieht er sich auf die Silvester-Krawalle in Berlin, bei denen es Übergriffe auf Polizei- und Rettungskräfte gab. Zur Herkunft der Täterinnen und Täter werde geschwiegen, schreibt er und zieht einen Vergleich zu den St.Galler Osterkrawallen im Jahr 2021. Von den Jugendlichen, die in deren Folge festgenommen wurden, hätten fast alle einen Migrationshintergrund.
Auch Schmid will wissen, ob die aktuelle Praxis der Kantonspolizei weiter fortgeführt werden soll. «Angesichts der aktuellen Vorkommnisse erscheint ein klares Bekenntnis der Regierung zu den geltenden gesetzlichen Bestimmungen als zentral», schreibt Schmid.
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Ausländeranteil in Schweizer Gefängnissen
Gemäss Bundesamt für Statistik lag der Anteil inhaftierter Ausländer in der Schweiz im Jahr 2021 bei zirka 66 Prozent. Dies bei einem Ausländeranteil von rund 39 Prozent. (hol)
(https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/ressort-ostschweiz/polizeimeldungen-es-geht-nur-darum-zu-zeigen-hey-ein-auslaender-wars-wird-herkunft-von-taetern-in-stgaller-polizeimeldungen-bald-nicht-mehr-genannt-ld.2394501)
+++RECHTSEXTREMISMUS
nzz.ch 07.01.2023
Michel Houellebecq warnt vor einem Bürgerkrieg in Frankreich. Nun wird er verklagt
Der französische Schriftsteller stiftet angeblich zu Hass an, weil er das Gewaltpotenzial in seinem Land bis zum drastischen Ende ausmalt. Das ist kein Fall für die Justiz.
Roman Bucheli
Der Schriftsteller Michel Houellebecq gehört zu den eifrigsten Provokateuren Frankreichs. In einem elend langen und in der Zeitschrift «Front Populaire» abgedruckten Gespräch mit dem Philosophen Michel Onfray hat er unlängst wieder eine Kostprobe seiner Abneigung gegen den Islam gegeben. Seinen Ruf als rabiater Islamophobe erwarb er sich bereits 2001, als er nach der Veröffentlichung seines Romans «Plateforme» in einem Interview den Islam als die «dümmste aller Religionen» bezeichnete. Mehrere französische Islam-Organisationen verklagten ihn danach wegen Anstiftung zum Hass. Allerdings ohne Erfolg, Michel Houellebecq wurde vom Vorwurf freigesprochen.
Nun ging er etwas schlauer vor, aber nicht minder bösartig. Und wieder wurde in diesen Tagen eine Klage wegen Aufruf zu Hass und Verletzung der Pressefreiheit gegen ihn eingereicht. Houellebecq kleidete seinen jüngsten Angriff auf den Islam und die Muslime Frankreichs in die Form einer Prophezeiung. Nicht weniger als einen Bürgerkrieg sieht er in Frankreich heraufziehen. Man könne feststellen, so sagte er im Gespräch mit Onfray, dass sich die Franzosen bewaffneten und in Schiessständen übten.
Es seien durchaus nicht nur Hitzköpfe, die sich solcherart vorbereiteten, versichert Houellebecq weiter, um dann ein düsteres Szenario auszumalen: «Wenn ganze Gebiete unter islamischer Kontrolle sind, dann wird es, so denke ich, zu Widerstandsakten kommen. Es wird Attentate und Schiessereien in Moscheen und in den von Muslimen besuchten Cafés geben, kurz: umgekehrte Bataclans.»
Der Rektor der Grossen Moschee in Paris, Chems-Eddine Hafiz, geht nun angesichts der, wie er sagt, «erschreckenden Brutalität» dieser Äusserungen juristisch gegen Houellebecq vor. Der Schriftsteller verletze damit die Würde der Muslime, er mache auch keinen Unterschied zwischen den gesellschaftlich integrierten muslimischen Bürgern und gewaltbereiten Islamisten. Vor allem aber will Hafiz im Hinweis auf einen möglicherweise bevorstehenden «umgekehrten Bataclan» einen Aufruf zu Gewalt erkennen.
Angriff auf die Redefreiheit
Houellebecq ging allerdings in dem Gespräch mit Onfray noch weiter. Er begnügte sich nicht mit der Rolle der wahrsagenden Kassandra. Er machte sich, wie der französische Philosoph Robert Redeker in einem Meinungsbeitrag für «Le Figaro» diese Woche schrieb, zum Bauchredner von Volkes Stimme. «Die sogenannte alteingesessene französische Bevölkerung», so Houellebecq, «hat nicht etwa den Wunsch, dass sich die Muslime assimilieren, vielmehr dass sie aufhören, sie zu bestehlen und zu attackieren. Oder dann die andere Lösung, dass sie sich davonmachen.»
Zwar betrachtet Redeker, der seinerseits 2006 von Islamisten mit Morddrohungen verfolgt worden war, Houellebecqs generalisierende Rede von «den Muslimen» als unangemessen und unmoralisch. Dennoch hält er die Klage für ungerechtfertigt und zugleich aussichtslos. Er sieht darin einen Angriff auf die Redefreiheit und den Versuch, eine Gedankenpolizei zu errichten und die Publizisten einer Selbstzensur zu unterwerfen.
Tatsächlich war Hafiz schlecht beraten mit seiner Klage. Natürlich ist es sein gutes Recht, die Zulässigkeit von Houellebecqs Aussagen von einem Gericht prüfen zu lassen. Und gewiss steht er vonseiten der muslimischen Gemeinschaft unter Druck, dieses Recht auch wahrzunehmen. Doch mit seinem Vorgehen hat er die breitere Öffentlichkeit erst aufmerksam gemacht auf das inkriminierte Gespräch. Damit riskiert Hafiz, unter dem Vorwand, gegen einen angeblichen Aufruf zu Hass und Gewalt vorzugehen, seinerseits Hass und Gewalt zu schüren.
Gegen Houellebecq hilft kein Gericht, selbst wenn Hafiz mit seiner Klage Erfolg haben sollte. Und der Sache der Muslime ist damit noch weniger geholfen, gleichgültig, wie der Prozess ausgeht. Man schafft den Hass nicht aus der Welt, indem man den Menschen verbietet, ihn zu artikulieren, und sei es in äusserst polemischer Schärfe.
Bei allen Vorbehalten gegenüber Houellebecqs Denkungsart und Redeweise muss man ihm dennoch zugutehalten, dass er lediglich ausspricht, was viele denken. Hafiz müsste ihm dankbar sein, statt ihn zu verklagen. Nur mit jenen lässt sich reden, die auch selber reden. Nicht vor den Richter, aber zu Houellebecq und Onfray müsste er gehen. Und selbst wenn Hafiz eine solche Begegnung für aussichtslos hält. Aussichtsloser als ein Gerichtsverfahren wäre eine solche Konfrontation jedenfalls nicht.
Gespenstische Gabe
Aber ruft Houellebecq zu Gewalt auf, indem er einen Aufstand bewaffneter Franzosen als Menetekel in die Zukunft projiziert? Er macht nichts anderes, als was alle Propheten des Untergangs tun. Sie entwerfen Schreckensszenarien, um ihr Eintreten zu verhindern. Denn Houellebecq ahnt, was geschehen würde, wenn es zu terroristischen Angriffen von Franzosen auf Muslime kommen sollte.
Er formuliert es ebenfalls im Gespräch mit Michel Onfray: «Die Muslime werden sich dann nicht damit begnügen, Kerzen anzustecken und Blumen niederzulegen.» Es hiesse nichts anderes als Bürgerkrieg. Kein Mensch, der halbwegs bei Sinn und Verstand ist, möchte zu so etwas anstiften.
Über Risiken und Nebenwirkungen von Prognosen muss man Michel Houellebecq nicht belehren. Zu oft schon hat man seinen Romanen eine fast gespenstische prophetische Gabe attestiert, indem sie islamistischen Terror seherisch vorwegzunehmen schienen. So wurden kurz nach der Veröffentlichung des Romans «Plateforme» die Anschläge auf die Twin Towers in New York verübt, und am Tag des Erscheinens von «Soumission» am 7. Januar 2015 ermordeten zwei Attentäter in der Redaktion von «Charlie Hebdo» in Paris elf Personen.
Freilich beschränkte sich die seherische Gabe in diesen Fällen – wie immer, wenn man es mit Schriftstellern zu tun hat – auf einen Mangel an Phantasie. Man glaubt, sie erfinden die Zukunft, doch sie beschreiben nur, was ist. Prognostiker hingegen ersinnen Zukunftsszenarien, um ihre Eintretenswahrscheinlichkeit zu vermindern oder zu erhöhen. Sie versuchen damit auf die Zukunft einzuwirken, sei es, indem sie diese mit abschreckenden Bildern zu verhindern trachten oder indem sie sie mitgestaltend herbeizuführen versuchen. Houellebecq gehört entschieden zur ersten Gruppe.
Prognostiker haben Hochsaison
Derzeit kann man Vertreter der zweiten Gruppe dabei beobachten, wie sie im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg spekulativ in die Zukunft blicken und dabei eher dem Wunschdenken als der Vernunft folgen. Im Oktober sagte Francis Fukuyama gegenüber der «Frankfurter Rundschau»: «Ich denke, Putin wird den Kampf verlieren.» Zuvor schon hatte er im März, es war kein Monat vergangen seit dem Überfall der Russen, in seinen 12 Thesen zum Krieg festgehalten: «Putin wird die Niederlage seiner Armee nicht überleben.»
Und vor Wochenfrist gab der britische Historiker Ian Kershaw in einem Interview mit den TA-Medien zu Protokoll: «Der derzeitige Grad der Zermürbung ist für beide Seiten schwer zu ertragen. Deshalb vermute ich, dass der Krieg in einem halben Jahr vorbei ist.» Zugleich sagte er aber auch, ohne dass es ihm als Widerspruch erschienen wäre, es sei «zum jetzigen Zeitpunkt unmöglich zu sagen, wie der Krieg in der Ukraine enden wird».
Bloss der Osteuropa-Historiker Karl Schlögel gestand vor ein paar Tagen im Gespräch mit der «Süddeutschen Zeitung» ganz offen seine schon fast verzweifelte Ratlosigkeit. Er hob sich damit wohltuend ab von all jenen, die mit markigen Sätzen die Zukunft weissagen in der ihrerseits etwas verzweifelten Hoffnung, sie auf diese Weise herbeiführen zu können. Karl Schlögel wäre der Letzte, der dies nicht wollte, aber er weiss auch, dass seine Ansichten keinen ukrainischen Soldaten am Leben erhalten: «Wir wissen ja noch nicht einmal, ob die Ukraine, ob Europa der russischen Gewalt standhalten wird. Wir können das nur hoffen und alles dafür tun.»
Auf einem ganz anderen Schauplatz steht der britische Premierminister Rishi Sunak. Auch er muss an der Zukunft arbeiten und bietet darum umso mehr Rhetorik auf, als andere Mittel knapp sind, um herbeizuzwingen, was die Briten mit guten Gründen von ihm erwarten, weil er es ihnen im Wahlkampf versprochen hat. Nun doppelte er in seiner Neujahrsansprache nach: Prosperität und weniger Flüchtlinge, eine halbierte Inflationsrate und geringere Wartezeiten im Gesundheitswesen verhiess er den Briten.
Dann warf er sich in die Hamlet-Pose: «We’re either delivering for you or we’re not.» So einfach, entweder/oder. Das klingt fast so, als schielte da einer bereits nach dem Notausgang. Aber immerhin wird sich diese Prognose mit hundertprozentiger Gewissheit bewahrheiten. Ob es auch die erhoffte Zukunft sein wird, steht auf einem anderen Blatt.
Michel Houellebecq könnte so etwas höchstens ein mitleidiges Lächeln entlocken. Er wird weiterhin die Kassandra vom Dienst spielen. Und kein Gericht wird ihn davon abhalten. Doch bei allem Respekt dafür, dass er tatsächlich auch ernstlich besorgt sein könnte um den Zustand Frankreichs: Seine Argumente, wenn man seine Auslassungen denn so nennen will, werden durch die ewige Wiederholung auch nicht besser.
(https://www.nzz.ch/feuilleton/michel-houellebecq-warnt-vor-einem-buergerkrieg-ld.1719572)
+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Verschwörungstheorie widerlegt: Nein, Satans Thron befindet sich nicht in Genf
Auf Social Media sind zuletzt Videos aufgetaucht, in denen der Thron von Satan in Genf verortet wird. Das ist jedoch Quatsch: Die Verantwortlichen sind einem Wikipedia-Troll aufgesessen.
https://www.20min.ch/story/nein-satans-thron-befindet-sich-nicht-in-genf-820651390921
+++HISTORY
Oury Jalloh: Doku-Podcast zum ungeklärten Fall
Ein Asylbewerber aus Afrika verbrennt 2005 im Polizeigewahrsam. Der an Händen und Füßen Gefesselte habe sich selbst angezündet, behaupten die Beamten. 15 Jahre lang scheitert die Justiz trotz mehrfacher Anläufe daran, den Fall aufzuklären – und macht ihn damit zum Politikum.
https://www1.wdr.de/mediathek/audio/wdr5/wdr5-tiefenblick/oury-jalloh/oury-jalloh-122.amp